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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190210129
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19021012
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021012
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-12
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1902
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenauuahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung ^il 60.—, mit Postbesördermrg 70.—. Ännahmeschluß fnr Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags unuuterbrochev geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzig. Nu 52S. Sonntag den 12. Oktober 1902. Sk. Jahrgang. Oie Flottenvermehrung in Japan. Wie aus Japan gemeldet wird, will die japanische Marinevermaltung nunmehr doch die geplante gewaltige Vermehrung der Flotte durchführen. Der Plan zu dieser Vermehrung ist nicht neu; er ist bereits in der ersten Hälfte des laufenden Jahres in den Vordergrund getreten, damals aber in Japan selbst mit lebhafter Opposition empfangen worden. Unter anderem hat damals ein Mann, dem man weder militärische Autorität, noch Liebe für sein Vaterland absprechcn kann, der Marschall Aamagata, erklärt, er halte weder sine Verstärkung der Flotte für nötig, noch eine Vermehrung der Armee für wünschenswert. Wenn die japanische Marineverwal tung ihren Plan jetzt trotzdem wieder aufnrmmt, so hängt dies vielleicht mit der Lage der Verhältnisse in Korea zusammen. Die allgemeine Flottcnpolitik Japans ist ja durchsichtig: es will sich eine so starke Flotre schaffen, daß es im Vereine mit den maritimen Streitkräften seines Bundesgenossen England die ostasiatischen Gewässer voll kommen beherrscht. Um aber dies Programm, ohne allzu großen Anstoß zu erregen, etappenweise durchführen und vor allem auch der eigenen Volksvertretulig gegenüber rechtfertigen zu können, bedarf Japan immer wieder solcher Situationen, die die Vermehrung seiner Flotte von Fall zu Fall erklären. Nun ist bisher die Situation in Korea so gewesen, daß die Japaner und Engländer ziemlich Oberwasser hatten; in jüngster Zeit aber ist Herr Vacber -um russischen Gesandten in Söul ernannt worden; es ist derselbe Diplomat, in dessen Haus der Kaiser von Korea zur Zett des japanischen Attentates auf seine Gemahlin sich flüchtete. Lange Monate hat er dort als Gast des russischen Vertreters geweilt und davon ist ein Freundschaftsverhältnis übrig geblieben, von dem Rußland zweifelsohne Nutzen für seine Zwecke zu ziehen wissen wird. So müssen die Japaner eine erneute Er höhung des russischen Einflusses in Korea, und damit eine erneute Verschärfung der politischen Lage in Ostasien er warten; und bet der Einstimmigkeit, mit der alle japa nischen Parteien Korea als japanische Jntercssen-Sphäre reklamieren, ist es immerhin möglich, daß der Hinweis auf die Lage in Korea der japanischen Negierung zur Durch setzung ihrer Marincforderungen verhelfen wird. Die Frage ist aber, ob die neue Marinevorlagc nicht anderweitige Folgen haben könnte, die der japanischen Negierung unangenehm sind. Wir haben hier insbeson dere die Stimnmng in Bezug auf das englische Bündnis im Auge. Diese Stimmung hat bereits einmal eine Ab kühlung erfahren, damals, als Lord Cranborne die un- bedachte Aeußerung tat, daß England Japan ein Bündnis „gewährt" habe. Das verletzte japanische Nationalgcfühl äußerte sich damals in eisiger Zurückhaltung der japa nischen Presse. Der vorliegende Fall jedoch ist ernster. Was nützt uns, so wird man in Japan fragen, das Bünd nis mit der größten Seemacht der Welt, wenn uns da durch die Verpflichtung zu außerordentlichen neuen Aus gaben für unsere Flotte aufgelegt wird? Schon hat der erwähnte Marschall Yamagata erklärt: wenn die Alliance mit England einen vernünftigen Sinn haben solle, so müsse man auf Englands Seemacht genügend bauen können, um dcks Gleichgewicht und selbst die Ueberlegen- heit zur See in den ostasiatischcn Gewässern Frankreich und Rußland gegenüber schon jetzt zu behaupten. Die militärischen Lasten, die Japan zu tragen hat, sind im Verhältnisse zu der Größe und dem Wohlstände des Landes sehr bedeutend, und es wird der Wert eines Bündnisses in -en Augen der Bevölkerung bedenklich er schüttert werden, wenn dieses Bündnis dem Staate die Ausgabe von 250 Millionen Mark auferlegt oder wenigsten« nicht erspart. In der inneren Politik Japans wird diese Flottenvorlage jedenfalls noch eine erhebliche Rolle spielen; denn die Opposition wird sie unter -em Ge- sichtspunkte der Sparsamkeit bekämpfen, und sie wird dies um so wirksamer tun können, als sie in der Tat Argumente von nicht zu unterschätzender Bedeutung für sich an» führen kann. . , Das stärkste von diesen Argumenten ist die wirtschaft- lichc Lage Japans. Noch hat Japan sticht die schwere industrielle KrisiS überwunden, durch die seine Handels- kreise erschüttert worden sind, und öS ist auch nicht zu erwarten, daß diese KrisiS so bald vorübergehen wird, da die eigentümliche Gcbahrung der japanischen Geschäfts- weit das europäische Kapital, dessen Japan auf das Drin gendste bedarf, von der Beteiligung an japanischen Unter- Tarif bedeute. Nun gehört freilich der Gersteozoll der Vorlage zu den Zollsätzen, die die Regierung oft direkt und noch in der verflossenen Woche zweimal hochosfizröS als „tabu" bezeichnet hat. Insofern ist die Erklärung de» führenden CentrumS- organS materiell zurückhaltender, als die deS Herrn Rettich, der an die Viehzölle denkt. Die Regierungen haben sich zwar ebenfalls entschieden gegen die von der Kommission beschlossene Bindung von Viehzollsätzen er klärt; daß sie über Viehzollzölle im Generaltarif absolut nicht mit sich reden lassen würden, ist aber nicht zu er kennen gegeben worden. Auf der anderen Seite ist „trotz alledem unv alledem" immer wieder auf den Gerstenzoll als den Punkt hingewiesen worven, an dem die Regierungen schließlich doch ein Entgegenkommen um des Ganzen willen zeigen würden. Es geschah dies auch in der zollfeindlichen, aber oft gut unterrichteten „Franks. Ztq.", bei der der Wunsch sicherlich nicht der Vater des Gedankens war. Wir möchten keine Meinung äußern, glauben aber doch wegen der Erklärung in der „Germania" dem Kassierer der Freisinnigen Volkspartei gratulieren zu sollen. Großbrauer sammeln bekanntlich Geld, um diese Partei in ihrem Widerstande gegen den Gerstenzoll, sogar den der Regie rungsvorlage, zu ermuntern, und di« Eröffnung der „Germania" wird ihre Freigebigkeit aufs neue beflügeln. Wird ein höherer Gerstenzoll nicht zur goldenen Rückzugsbrücke der MehrheitSparteien, so würde eS wertvoll sein, zu erfahren, wem die Nichterrichtung zuzuschreiben wäre: ob dem an der Bierprodultion besonders stark interessierten bayerischen Finanz minister oder einer bestimmten Berliner Stelle. Aus der Woche. Die Aollsrage oder ihre Behandlung durch mitent scheidende Parteien hat in vergangener Woche mehrere Pbasen durchgemacht. Nach Beendigung der zweiten Kommissions lesung wurde schwärzester Pessimismus so geschickt zur Schau getragen, daß Leute, denen der Gedanke an Komödienspiel fern lag, sich mit echter Hoffnungslosigkeit zu erfüllen begannen. Dann kam ein Zwischenspiel und die- wurde zwischen Zentrum und Konservativen gespielt. Die klerikale „Köln. Bolksztg." redete den Konservativen gut zu, nicht zu hartnäckig auf ihren Forderungen zu beharren; für die eigenen Leute aber bemerkte sie gegenüber einem Organe der Linken, die Behauptung, daß das Zentrum auch nur einen Fuß breit zurückweichen werde, sei „ohne allen Beweis". Konservative Blätter wiederum rieten dem Zentrum, nicht ruhart zu bleiben. Um diesen anmutigen Contretanz ganz genießen zu können, mußte man sich erinnern, daß die Forderungen, die man sich gegenseitig auszureden versuchte, vom Zentrum und den Konservativen gemeinsam erhoben und vertreten waren. Es bandelte sich um die sogenannten Kompromißbeschlüsse der Reichstagskommission. Der Beweggrnnd für die sanfte Erinnerung, daß der — andere Teil die größeren Stieseln anhabe und deshalb vorangehen müsse, war auf beiden Seiten derselbe. DaS Zentrum wollte, daß die Konservativen einen Schritt täten, der es in den Stand setzte, seinen bäuerlichen Wählern späterhin zu sagen: Ja, nachdem die Konservativen umgefallen waren, konnte unsere Fraktion ihren landwirtschafts freundlicheren Standpunkt nicht mehr behaupten, und die Konser vativen wünschten, daö Eentrum möchte es ihnen ermög lichen, sich als die im Stiche Gelassenen und dadurch in eine ohnmächtige MinderheitSstellung Gedrängten anzustellen und weiterem geschätzten Vertrauen zu empfehlen. Die ziemlich dumme Gescheitigkeit in beiden Lagern batte aber kurze Beine. Die Zeit drängte und zudem kam Herr Ist-, v. Frege-Weltzien und sagte gänzlich undiplomatisch, aber wirksam, „daS Ding, daS ist". So mußte man nun von dem Piedestal der Unentwegtheit herabsteigen. HerrR ettich vollzog die Bewegung für die Konservativen und wenn er, der selbst aus taktischen Gründen sein volles Herz wenigstens einigermaßen wahren zu wollen erklärte, von der „Kreuzztg." wegen zu weit gehender Offenbarung seines SchauenS leise getadelt wird, so hat dies wohl nicht viel zu bedeuten. Für daS Zen trum besorgte daS saure Geschäft am Freitag die „Germania", und sie war noch präciser als der Kompromißgenoffe auS dem konservativen Heerlager. Herr Rettich hatte gesagt: „Meiner Ansicht nach müssen wir, wenn die Regierung unS entgegen kommt, nachgeben. Wie weit, darüber möchte ich mich auS taktischen Gründen nicht aussprechen." — Herr Rettich exempli fizierte auf Viehzölle, mit denen das Fraktionsinteresse sich für Nichtersolge beim Getreide etwa entschädigen lassen könne. Die „Germania" drückt sich, wie gesagt, ge nauer auS. In einer Zuschrift von „hochangesehcner Seite", höchstwahrscheinlich von Herrn Müller-Fulda, läßt sie sich erzählen, daß die maßgebenden Zentrumsleute im Regierungsbezirk Wiesbaden der Fraktion für die bis herige Haltung gegenüber dem Zolltarif einhellig die Zustim mung und zugleich daS Vertrauen auSgedrückt hätten, es werde der parlamentarischen Vertretung der Partei gelingen, „in dem Widerstreite der Interessen bei der Weiterberatung des Gesetzes den richtigen Weg zu finden." Finden — daö ist deutlich; der richtige Weg ist also noch nicht gefunden. Die „Germania", richtiger ihr Gewährs mann, ziert sich denn auch nicht, die Wiesbadener Resolution so zu kommentieren, wie sie gemeint ist. Sie findet, es „soll doch offenbar angedeutet werden, daß eine Verständigung mit den verbündeten Regierungen nicht von der Hand gewiesen werden und keineswegs auf dem Standpunkt „Alles oder nichts" beharrt werden soll". Das ist ein weitgehendes und dankenswertes Zugeständnis. Die Kompromißbeschlüffe der Reichstagskommission, die unter dem Namen des Zentrums abgeordneten Herold kursieren, werden vorbehaltlos in den Bereich jener Politik verwiesen, die „Alles oder nichts" verlangt. Damit sind die Kompromißanträge feierlich preisgegeben. Die Behauptung, daß es nach dieser Parole zu handein ge denke, hat daS Zentrum, wie auch die konservative Partei, jederzeit als verleumderischen Vorwurf zurückgewicsen. Nun kommt der Vorbehalt außerhalb der Politik deS „Alles oder nichts"; Herr Müller-Fulda, oder wer es sonst ist, läßt dem allgemeinen Verzicht auf erhöhte Mindestzölle für Getreide die nachstehende einschränkende Erklärung folgen: „Wenn man dagegen in maßgebenden Regierungskreisen glauben sollte, daß mit einem einfachen Zurückweichen auf alle Sätze der Vorlage seitens des Zentrums oder auch nur eine» Teil» desselben gerechnet werden könne, wird man sich einer vollständigen Täuschung hingeben. Es unterliegt z. B. nicht dem mindesten Zweifel, daß ein Zolltarif mit dem Gerstenzoll von 3 nicht die Zustimmung de» Zentrum» finden wird. Man hat seitens de» Zentrums den maßgebenden Stellen gegenüber auch in früheren Stadien der Zolltariffrage niemals einen Zweifel gelassen, daß die angemessene Erhöhung de» Gersten zolls ..ccmäitlo sino guu non" sür Annahme de- Tarifs ist. Da in dieser Hauptfrage bisher „offiziell" nicht da» miudrste Entgegenkommen in Aussicht steht, wird eS begreiflich sein, wenn auch alle diejenigen Abgeordneten, welche sonst gern die Hand zu einer Verständigung bieten und vielleicht mit den Kommissions beschlüssen nicht in allen Punkten einig gehen, durch Festhalten an allen KommissionSbeschlüssen den Zolltarif zum Scheitern bringen helfen. Aus solchen Kreisen, von denen man eine gewiss« Fühlung mit de» maßgebenden Stellen voraussetzt, konnte man schon vor einiger Zeit erfahren: „Die Regierung wünscht keine Verständigung." Sollte die» zutreffend sein, so könnte man auch annehmen: „Die Negierung wünscht keinen neuen Zolltarif."" Die nur beispielsweise Hindeutung auf de» Gerstenzoll beansprucht Wohl keine sonderliche Beachtung. Die „Ger mania" will offenbar sagen, daß ihr em Tarif mit einem Mindestgerstenzoll von mehr als 3 rin nicht „einfache» Zurückwrichen", mithin einen annehmbaren nehmmtgen abschreckt. Nun hat allerdings das Finanz jahr 1900/1901 unerwarteter Weise einen Ueberschuß von etwa 13 Millionen Mark ergeben, und wegen der Hebung des Seiden-Exports und der guten Rekserntc haben sich die allgemeinen wirtschaftlichen Slussichten etwas gebessert. Dennoch ist Japans finanzielle Lage nach wie vor prekär; und wenn hervorgehoben wird, daß die japanische Staats schuld bisher nur 25 pro Kopf betrage, so ist zn be denken, daß die Bedeutung dieser Ziffer eine relative ist und an dem Nationalwohlstande des Volkes zu messen ist. Für einen reichen Mann will eine Schuld von 1000 .L nichts besagen, einen Armen erdrückt sie. Den besten Gradmesser für Japans finanzielle Lage bilden die Schwierigkeiten, die es mit seinen Anleihen hat. Die 40-Millionen-Anlcihe bei Baring Brothers ist ganz ge scheitert, andere Anleihen mußten zu recht schweren Be dingungen ausgenommen werden, wie z. B. die der Stadt Yokohama, für die 7 Prozent bezahlt werden mutzten. Für seine letzte, die 150-Millionen-Anleihe, zahlt Japan uns 5 Prozent, und es wird sich hierfür wohl bei der englischen Negierung zu bedanken haben, die gerade jetzt, im Hinblick auf die neue Flottenvorlage, einen sanften Druck auf die City ausgcübt haben dürfte. Immerhin: die Staatsschuld wächst, gewaltige neue Ausgaben stehen bevor, die wirtschaftliche Lage ist bedenklich — Gründe genug, die die Opposition bet den Wahlen mit Erfolg ins Feld führen kann. Deutsches Reich. Berlin, 11. Oktober. (Katholische Wissenschaft und kirchliche Lehrautorität.) Kardinal Fürstbischof vr. Kopp hat sich auf der Generalversammlung der Görres- Gesellschast über daS VerbältniS der katholischen Ge lehrten zur kirchlichen Lehrautorität in einer Weise geäußert, die nicht ohne Kommentar gelassen werden darf. Der genannte Kirchensürst bat zwar anerkannt, daß der katholische Gelehrte durch die Lehrautorrtät seiner Kirche gebunden ist, „aber", so fuhr der Fürstbischof fort, „waS sür ihn (den katholischen Gelehrten) vom höch sten Werte ist, das ist das Gefühl der Sicherheit, mit dem er an seine Forschungsarbeiten gehen kann. . . . Die menschliche Forschung wandelt beständig an den Ab gründen des Irrtums. Den Seinigen aber ruft Christus zu: dlon turbotur cor vcstrum, nagno kormiäct. Ja, der katho lische Gelehrte kann ohne Unsicherheit unv Unruhe an seine Forschungen geben, kann sie so weit auSdebnen, wie es menschlichem Geiste nur möglich ist. Er wird immer an der Hand der Kirche den Rückweg zur Wahrheit finden, an der sanften Hand der Kirche, welche ihre Macht, wie der heilige Paulus sagt, nicht in <lc8truetiouom, sondern in aeciikcotionom gebraucht, welche die Geister nicht unterdrück», sondern mit ihnen daS Hobe Gebäuve der Wissenschaft bis in die höchsten Stufen ausbauen will". — Eine Unterdrückung der Geister könnte in solchen Fällen doch nur dann in Abrede gestellt werden, wenn die irrenden katholischen Gelehrten freiwillig den „Rückweg zur Wahrheit" an der „sanften" Hand der Kirche suchten. Die katholische Kirche wartet jedoch darauf nicht: sie weist den „irrenden" katho lischen Gelehrten den „Rückweg zur Wahrheit" mit rauhester Hand, sie unterdrückt die Geister, indem sie von ihnen das Opfer deS Intellekts heischt und damit zugleich ver langt, daß auch das Gewissen deS „Irrenden" ihr zum Opfer gekrackt werde. An diesem Tatbestände ändert selbst die schönste Rede eines Kardinals und Fürstbischofs nichts. Und ebensowenig ändert ein Kardinal und Fürstbischof etwas an der Tatsache, daß unter den im SyllabuS verworfenen und verdammten „Lehrmeinungen der Zeit" sich unter den Paragraphen II und V folgende befinden: „Die Kirche darf nicht nur nicht gegen die Philosophie jemals einschreiten, sondern muß vielmehr die Irrtümer der Philosophie dulden und eS dieser überlassen, daß sie sich selbst korrigiere." „Die Ver pflichtung, welche katholische Lehrer und Schriftsteller über haupt bindet, ist auf daS beschränkt, waö von dem unfehl baren Ausspruche der Kirche als Glaubenssatz allen zu glauben vorgesteckt wird." — Gerade der letzter« vom Papste ver worfene und verdammte Satz verdient eS, als Gegenstück zu der Darstellung deS Kardinals vr. Kopp herangezogen zu werden. Denn er zeigt, wie weit die katholische Kirche die Befugnisse der kirchlichen Lehrautorität auSdehnt. L Berlin, 11. Oktober. (Sozialdemokratie und Gewerkschaften.) Die Reihe der Gegensätze prin zipieller Natur, die zwischen der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften sich herauSaebildet haben, ist seit dem Stuttgarter Gewerkschaftskongresse und seit dem Münchener Parteitage um einen neuen vermehrt worden. Dieser Gegensatz betrifft die Frage der Arbeits losenversicherung. Nach den Beschlüssen deS Stuttgarter Gewerkschaftskongresses sollen die Gewerkschaften Träger der Arbeitslosenversicherung werden. Auf dem Münchener Parteitage der Sozialdemokratie dagegen war als Referent über jenes Thema „Genosse" Molkenbuhr bestellt. Dieser bekämpft den Standpunkt de» Gewerkschaftskongresses mit derselben Leb- Hastigkeit, mit welcher er für eine obligatorische Reichs- Arbeitslosenversicherung für alle Angestellten und Arbeiter unter Angliederung an die Invalidität-- und Altersver sicherung eintritt. Molkenbuhr hat e» ausgesprochen, daß ein den Gewerkschaften überwiesener ArbeitSlosen- fond- ein Fond- zur Korrumpierung der Gewerkschaften sein würde. „Selbst da- Zuchthausgesetz", meint Molkenbuhr, „halte ich für harmlos gegenüber diesem au» größtem Wohl wollen entsprungenen Vorschlag«!" DaS Zentralorgan der sozialdemokratischen Gewerkschaften antwortet« hierauf mit begreiflicher Scharfe, daß „auf so niedrigem Niveau" gegen die gewerkschaftlichen Forderungen nur der polemisieren könne, der die Gewerkschaften niemals verstand. Die übrige Gewerkschaft-presse fängt jetzt an, gegen Molkenbuhr» Stellung in der Frage derArbeitSlosenverstcherung und gegen die sozialdemokratische Partei, die Molkenbuhr mit dem Referat für den Parteitag betraute, vorzugehen. So schreibt z. B. das Organ des Buchdruckerverbände-: „Daß man.. gerade ihn (Molkenbuhr), von dessen Ansichten man bereits soviel wußte, daß die Verwirklichung derselben den Anfang vom Ende unserer . . Gewerkschaftsbewegung bedeuten würde, zum Referenten in der Frage der Arbeitslosenversicherung bestellte, sollte den Leitern und Mitgliedern unsere gewerk schaftlichen Organisationen doch sehr zu denken geben und sie für die künftige Behandlung dieses Problems recht wach sam sein lassen." — Nach den Beschlüssen des Stuttgarter Gewerkschaftskongresses dürften zahlreiche GewerkjchaftS- organe sich bald ähnlich wie daS Buchdruckerblatt äußern. Berlin, 11. Oktober. (Sozialpolitisches.) Wir haben seiner Zeit mitgeteilt, der neugebildete Beirat für Arbeiterstatistik werde im Oktober zusammentreten, um die Ansichten des Präsidenten deS Kaiserlich statistischen Amtes vr. Wilhelmi über den Arbeitsplan der arbeitsstatistischen Abteilung deS ihm unterstellten Amtes entgegenzunehmen. Die Einladungen an die Mitglieder deS gedachten Beirats sind für den 22. Oktober ergangen. Die Tagesordnung der ersten Sitzung enthält insbesondere folgende Be ratungsgegenstände: 1) Bericht über die bisherige Tätig keit der Abteilung für Arbeiterstatistik. Berichterstatter: Der Vorsitzende vr. Wilhelmi. 2) Entwurf der Geschäfts ordnung des Beirats für Arbeiterstatistik. Berichterstatter: vr. Fischer. 3) Herausgabe einer monatlichen Zeitschrift durch die Abteilung für Arbeiterstatistik. 4) Bestellung von Berichterstattern für die Erhebung über die Arbeitszeit im BinnenschiffahrtS- und im Fuhrgewerbe. k) Weitere Behandlung der Erhebungen über die Arbeitszeit der Gehilfen und Lehrlinge in solchen Comptoiren deS Handelsgewerbes, die nicht mit offenen Verkaufsstellen ver bunden sind, sowie der dazu vorliegenden Eingaben. Berichterstatter: vr. Fischer. 6) Wahl von Ausschüssen. Unter den Ausgaben auf sozialpolitischem Gebiete, welche der Reichstag in seinem nächsten Tagungsabschnitt voraus sichtlich ihrer Lösung entgegenführen wird, steht voran die Durchberatung des Kinderschutzgesetzeatwurf». Man gibt sich in Reichstagskreisen der Hoffnung hin, e» werde sich über die Meinungsverschiedenheiten, welche diese» Gesetz entwurfes wegen noch obwalten, durch einige Vereinfachungen seiner Struktur hinwegkommen lassen. Mehrfach wird auch eine Verschärfung einzelner Bestimmungen für nicht aus sichtslos gehalten. — Die zugesazte Vorlage wegen der kaufmännichen Schiedsgerichte schlägt auch in da» Gebiet der Sozialreform. Es besteht, wie wir unlängst mit teilten, begründete Aussicht, daß auch dieser Gesetzentwurf dem Reichstag in nächster Zeit zugehen wird. lD Berlin, 11. Oktober. (Deutschland und Däne mark.) In Dänemark mehren sich die Stimmen, die einem guten Einvernehmen mit Deutschland daS Wort reden. Vor einiger Zeit haben sich hervorragende dänische Männer in diesem Sinne geäußert; jetzt spricht sich das führende Blatt der dänischen Linken ebenso auS, ja, „Politiken" erklärt sogar, daß die auswärtige Politik Dänemarks von der Ueber- zeugung auS geleitet werden müsse: Frieden mit Deutsch land sei für Dänemark eine Lebensbedingung. Eine Auffassung, die vom dänischen Standpunkte auS lediglich eine rcalpolitische ist, wird in Deutschland gern willkommen ge heißen werden. Aber von deutscher Seite darf mau zugleich das Verlangen erheben, daß Dänemark, wir meinen natür lich daS nichtamtliche, aus seiner politischen Theorie die praktischen Folgerungen nach jeder Richtung ziehe. Das gilt selbstverständlich sür die Haltung mancher dänischer Kreise gegenüber Nordschleswtg. Je unumwundener Blätter wie „Politiken" und hervorragende dänische Männer sür ein Hand in Hand-Gehen Dänemarks mit Deutschland eintrcten, um so lebhafter sollten sie bemüht sein, zu verhüten, daß die dänische Agitation in Nordschleswig von Dänemark aus moralisch und finanziell unterstützt wird. Denn jene Agitation und ihre Förderung durch die dänischen Chauvinisten verbietet eS einstweilen der öffentlichen Meinung Deutschlands, das Einvernehmen mit Dänemark so vorbehalt los zu pflegen, wie eS andernfalls möglich wäre. * Berlin, 11. Oktober. (Die Lutherkirche in Rom.) Der hiesigen „DolkSzeitnng" wird geschrieben: Seit vielen Jahren liegt der im ganzen Deutschen Reiche ge- sammelte Betrag von etwa 880000 bereit, der zum Bau einer protestantischen Kirche in Rom bestimmt ist. Die englische Nation hat ihre prachtvolle Kirche anglikanischer Richtung in der ewigen Stadt, die französischen Protestanten benutzen die Waldenser Kirche. Nur die von Jahr zu Jahr wachsende deutsche Gemeinde muß sich mit der kleinen Kapelle der deutschen Botschaft im Palazzo Caffa relli begnügen. Sie ist dort bei dem diplomatischen Beamten des Reiches zu Gaste; denn der Prediger gehört zum Botschafts personal. Seit dem Zeitpunkt nun, daß die Zentrumspartei aus die Geschicke deS Deutschen Reiche» einen maßgebenden Einfluß aus übt, ist die schon vordem nicht» weniger al» unabhängige Stellung eine» Botschaft-Prediger» in Rom ganz unleidlich geworden. Aus Berlin kam nämlich der Wink: „ES darf um keinen Preis in Rom eine Luthrrkirche gebaut werden; denn solch' ein Unterfangen nehme der Heilige Vater übel, und auf seinen Wink würde da- Zentrum alS parlamentarische BewilltgungSmaschine zu Wasser and zu Laud erst recht schwierig!" Ein junger Schriftsteller, auf den der Protestantismus mit allen Reizen der Neuheit wirkt, bewies sofort schlagend, 1) daß man mit 880000^! überhaupt keine Kirche bauen könne und 2) daß in der Stadt deS Papsttum» eine Lutherkirche sogar Anno 2000 ei« Luxu» sei. Diese im zweiten Satze aus gesprochene Prophezeiung hat etwa- für sich. Urber kurz oder lang werden vermutlich alle höheren Beamten de» Reiche» in Rom au» den Kreisen der Zentrumsanhänger entnommen werden, wie der Leiter de- preußischen historischen Institute», und dann kann, wenn die Herrschaften auch ihr Personal bi» zu den Dienstboten nur aus katholischen KonfessionSgenossen rekrutieren, die evangelische Kapelle im alten Botschaftsgebäude geschloffen werden. Der allbrliebte Prediger vr. Laag hat an den gegenwärtigen Verhältnissen so wenig Gefallen gesunden, daß er freiwillig ging. Jetzt ist ein Militärgeistlicher nach Rom beordert. WaS aber wird an» de»
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