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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030902014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903090201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903090201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-02
- Monat1903-09
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Reklamen unter dem Redaktiousstrich lsgespaUru) 75 vor den Famtlienuach- richten (S gespalten) 50 Dabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweifungen und Offerteoauuahme LS H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuag ^ll 60.—, mit PostbesSrderung ^l 70.—. Ilunahmeschluß für Änzeige«: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E, Polz in Leipzig. Nr. 445. Mittwoch den 2. September 1903. 97. Jahrgang. ZUM Sedanlage. * Schon al» zum ersten Male der Tag von Sedan volks tümlich gefeiert werven sollte, fehlte eS nicht an Siimmen, die von einer Feier abrieten. Man möge festlich den Tag begehen, der nach schweren Kriegsereignissen den Frieden gebracht, nicht aber einen Schkächltag. ES zieme der deutschen Nation nicht, blutig erkauft« Siege, wie groß und folgen- reich auch ihr Ergebnis sei, wie Freudentage zu feiern und sich an den Bildern mörderischer Kampfe zu be rauschen. Und den Gegner, der an einem solchen Tage die Hoffnung auf Erfolg seiner heldenmütigen Hingabe an die Sache seines Vaterlandes begraben, werde der Jubel de« Siegers noch tiefer erbittern, noch mehr zur Pflege deS RachrgedaokenS aufstacheln. Damals verhallten diese Stim men im Sturme der Begeisterung, der die deutsche Nation durchwebte, fast vollständig. Aber sie wurden lauter und zahl reicher im Laufe der Jahre. Und als «S schien, al» ob jenseits der Vogesen der Rachegedanke im Verlöschen sei und die Hand gern werde ergriffen werden, die von der deutschen Diplomatie weit genug au-gestreckt wurde, da fanden jene Stimmen ein Echo auch in solchen Kreisen, die sich ihnen bis dahin verschlossen hatten. Die volkstümliche Srdanseirr verlor die Gunst der obersten Regionen und damit auch die rechte Anziehungskraft für alle di« Bielen, denen au einer VolkSfcier daS Beste fehlt, wenn sie nicht auch Teilnahme in Palästen findet. Diese» Verblaflenlaffen der Sedaufeier hat sich bitter gerächt. E» hat dem Rachegedanken in Frankreich nichts von seiner, ab und zu selbst in diplomatischen Kreisen ausflammenden Glut genommen und in weiten Schichten deS deutschen Volkes Asche streue« helfen auf die lodernd« Begeisterung, von der da» erste Sedan- fest durchweht war. Zweifellos haben noch andere Ursachen mitgewirkt, daS Bewußtsein einzuschläfern, daß nur die einmütig« Hingabe aller deutschen Fürsten und Stämme au die nationale Sache daö Gewaltige berbeiführen konnte, waS bei Sedan erreicht wurde, und daß nur dieselbe ein mütige Hingabe auf die Dauer zu erhalten vermag, was damals, die kühnsten Erwartungen und Träume über treffend, wie vom Himmel auf die Besieger deS französischen Imperator- herabfiel. Sicherlich trägt der materielle Zug der Zeit ganz wesentlich dazu bei, daß selbst bei großen Parteien, die daS Trachten nach dem Wohle deS Ganzen auf ihre Fahne geschrieben haben, dieses Trachten mehr und mehr von dem Haschen nach Vorteilen der Partei und der Parteiangehörigen verdrängt wird; daß Gruppen auf Gruppen sich bilden, die selbst bei Gelegenheiten, bei denen da- Heil deS Reiche- auf dem Spiele steht, ihre Stim men nur nach den Sonderwünschen abgeben, die ehrgeizige und kurzsichtige Kandidaten zu erfüllen versprechen; daß zahllose Tausende in daS Lager der Sozialdemokratie über gehen, die nur dem Arbeitrrstande lockende Bilder vorgaukelt, aber dem Reiche bei jeder Gelegenheit versagt, WaS eS zur Aufrechterhaltung seiner Machtstellung, zum Schutze «nd zur Förderung aller seiner Glieder bedarf. Der überhand nehmende Individualismus kommt hinzu, um selbst hochgebildete Männer über ihrem Suchen nach Rechten deS Einzelnen und ihrer Befriedigung ganz vergessen zu lassen, daß Reich und Staaten zu Grunde gehen müssen, wenn nicht die Befriedigung ihrer Bedürfnisse daS obersteZiel der Bestrebungen der Besten bildet. Aber wir täuschen uns sicherlich nicht in der durch mancherlei Symptome bestätigten Annahme, daß da- Berblassenlaffen der öffentlichen Sedansrierlichkeite» nickt unwesentlich zu den Erfahrungen beigetragen hat, die bei den letzten Reichstag-Wahlen gemacht worden sind. Mehr al« jede- andere Volk bedarf da- deutsche, da nur zu leicht in der Sorge um den Tag aufgeht, einer gelegentlichen machtvollen Emporrütteluug zu den Höben, von denen au- die Geschichte seine- Reiche- sich Überblicken läßt und in denen die Brust sich weitet zur Aufnahme begeisternder Ideen. Mehr al- jede- andere schon deshalb, weil durch unser Reichstag-Wahlrecht selbst solchen Volks schichten, die von den Bedürfnissen de- Reiche-, seinen Institutionen und seiner Gesetzgebung höchst mangelhafte Begriffe haben, derselbe Einfluß auf di« Zusammen- setzung de- Reichstag- eingeräumt ist, wie anderen Schichten, die schon durch ihren Beruf genötigt sind, mit allem, waS da- Reich betrifft, sich eingehend und gründlich zu beschäftigen. So muß da- deutsche Volk Tage, wenigsten- einen Tag haben, an dem ihm die Erinnerung wachgerufen wird an jene gewaltig« Zeit, in der die Gegner von 1866 Schulter an Schulter kämpften und die todesmutigen deutschen Heere unter ein heitlicher Führung den Boden ebneten, auf dem da» Reich emporwachsen tonnte; einen Tag, an dem auch dem schlichtesten, in der Sorge um seine kleinen Interessen aufgebenden Mann« klar wird, daß nur die selbstloseste Hingabe, der engste An- «inauderfchloß der Einzelnen da- Große schaffen konnte, dessen Srgnnnß» nun der Einzeln« wie Licht und Luft genieß«. vriß e« nicht da- Zentrum und weiß es Nicht di« Sozial demokratie, daß Tage nötig sind, an denen in ihren An- Hangern daS Bewußtsein der Zusammengehörigkeit gepflegt und gestärkt und in den festlich gestimmten Massen ein Grundakkord angeschlagen werden kann, der in der übrigen Zeit deS Jahres alle anderen Klänge übertönt oder doch wenigstens durchzieht und der in Stunden der Entscheidung nur wieder kräftig zum Erklingen gebracht zu werden braucht, um Vie Menge einmütig an die Vorsänger zu fesseln? »Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr." Und nichts wirkt im staatlichen, im politischen Leben so mächtig nach wie ein Tag der Freude, der Freude über das Errungene und der Freude an den Zukunftsbildern, die über den Bildern des Erreichten schweben. So war eS Hohr Zeit, daß nach den schlimmen Er fahrungen der letzten ReichStagSwahl in zahlreichen deutschen Städten die volkstümliche Feier deS SedantageS wieder aus genommen und mit dem früheren Glanze ausgestattet wurde. Möge eS in Zukunft so bleiben und wieder Brauch werden im ganzen Reiche. Und mögen sich überall die reckten Männer finden, die dem Volke auSveuten, was der Tag von Sedan ihm gebracht, ihm sagen, was Deutschland war, so lange eS zittern mußte vor den Machtworten fremder Herrscher, wie das Volk lebte unter jener Furcht, waS eS wurde, nachdem durch selbst lose, nur von der Reichsidee erfüllte Männer ausgebaut worden war, was die Blutzeugen des großen Krieges in heiliger Treue und Einigkeit aufgebaut, und welche Selbstlosigkeit und Hingabe an daS Ganze dazu gehört, wenn Großes er reicht und dauernd erhalten werden soll. Mögen auch die jenigen Klassen, die sich selbst zu den gebildetsten zählen, gerade in diese« Stunden der Freude und Erhebung ihre Zugehörigkeit zum Volke dadurch bekunden, daß sie die leider durch den Klassenkampf zur Gewohnheit geworbene Zurück haltung aufgeben. Sie werden mit Genugtuung inne werden, daß ihr Entgegenkommen nicht nur Entgegenkommen finde», sondern auch eine Kluft überbrücken hilft, die von der Sozialdemokratie zu ihrem Vorteilt künstlich erweitert worden ist. Wenn so der Sedantag allüberall in Deutsch land gefeiert wird, dann werden auch Zeiten wieder kommen wie die, in denen das deutsche Bürgertum stolz sein durfte auf seinen Reichstag und mit festem Vertrauen hinauSblicken konnte auf die Zukunft deS so teuer erkauften Reiches. Deutsches Reich. /S. Leipzig, 1. September. (DaS Bismarck denkmal in Dresden und die Sozialdemo kratie.) Die Enthüllung eines Bismarckdenkmals in Dresden hat natürlich die Wut des dortigen Organs der sozialdemokratischen Partei entfesselt. Das Blatt er klärt das Denkmal gewissermaßen für einen Anachronis mus, weil unter dem Zeichen Bismarcks die sächsischen Ordnungsparteten vor einigen Wochen die schwersten Niederlagen erlitten hätten. „Unter dem Zeichen Bismarcks haben gerade die Sozialdemokraten die schwersten Niederlagen erlitten." AIS Bismarck im Jahre 1887 im Vollbesitze seiner machtvollen Stellung war, da gelang es seiner Kunst, das Bürgertum zu ge schlossenem Vorgehen zusammenzufassen, die Sozialdemo kraten, die früher eine Reihe sächsischer Reichstagswahl- kretse inne hatten, aus der Vertretung Sachsens im Reichstage vollständig auszumerzen; im Jahre 1890, wenige Wochen vor seiner Entlassung, war bekanntlich die Kraft seines Armes schon gelähmt worben. Das Denkmal Bismarcks in der „roten Hautpstadt deS roten Sachsens" ist allerdings ein Zeichen, aber ein Zeichen dafür, daß das Bürgertum, wenn es alle Kräfte anstrengt, der Sozialdemokratie selbst in einem industriellen Lande noch Herr zu werden vermag. In diesem Sinne wird eS hoffentlich wirken, und darum gönnen wir dem sozial demokratischen Blatte die Wut, mit der eS auch bei dieser Gelegenheit Bismarck zu verkleinern sucht. Berlin, 1. September. iE in Schulfall -er Zentrumstaktik.) Eine Polemik über die Frage der Ordensniederlaffunaen in Baden ist ein geradezu klassischer Schulfallder Taktik unseres Zentrums, und da das Zentrum mit dieser Taktik die glänzendsten Ge schäfte gemacht hat, so verlohnt eS sich wohl, sie an -er Hand diese- Kalles zu beleuchten. Ein konservatives badisches Blatt batte die Annahme ausgesprochen, daß, wenn das Zentrum in den drei Wahlkreisen Karlsruhe, Pforzheim und Mannheim die nationalliberalen Kandi daten bei den Stichwahlen unterstützt und somit den Sieg der Sozialdemokraten verhindert hätte, die badische Re gierung den Wünschen des Zentrums in der Klosterfrage nachgegeben hätte. Das badische Hauptorgan der Zen- trumspartet nennt diese Auffassung „eine böse Leistung^. Das Zentrum habe an sich mit der Ordensfragc nichts zu tun, denn eS handel« sich dabei um ein Gesuch der katholischen Kirche, vertreten durch den Erzbischof von Freiburg. Wenn die Erledigung eines solchen Gesuches davon abhängig gemacht würde, „wie einzelne Glieder der katholischen Kirche oder auch eine große Zahl derselben von ihren staatsbürgerlichen Reckten Gebrauch machen", so wäre die- gegen ein« Logik und Gerechtigkeit. DaS Blatt fährt fort: „Bekanntlich ist die Kirche und deren legitimer Vertreter, der Erzbischof, tnaarkeinerWeisever- antwortlichzu machen für das, was eine aus ein zelnen Katholiken bestehende politische Partei tut oder nicht tut". Das Spiel des Zentrum- und gelegent- lich auch der katholischen Kirche ist also da- folgend«: Macht eine von beiden Parteien etwas, was sich schwerv«rt«ibtgen läßt, so erklärt sich die andere für unverantwortlich da für, geschieht aber von der Gegenseite et was, woraus sie Kapital zu schlagen Hof- fen, so sind beide Teile sofort solidarisch. Es sind also drei Möglichkeiten gegeben: Fall eins, die Zentrumspartei lehnt die Verantwortung für etwas ab, was die Kirche oder einer ihrer Vertreter tut; Fall zwei, die Kirche lehnt die Verantwortung für etwas ab, was das Zentrum tut; Fall drei, das Zentrum vergißt, daß es nur eine „politische" Partei ist, und sekundiert der Kirche in rein kirchlichen Dingen. Ein Beispiel für den ersten Fall war der Streit mit dem Bischof Korum von Trier, wo das Zentrum als „politische Partei" nichts mit der Sache zu tun haben wollte. Ein 'Sktsptel für den zweiten Fall liegt bei der Verbindung der Ordensfrage mit der Haltung des Zentrums in Pforzheim, Dkannheim und Karlsruhe vor. Für die Kirche als solche ist es natürlich ein harter Bissen, daß die Zentrumsvartei durch Unterstützung oder mindestens Wahlenthaltung den Sieg einer gottesleugne- rischcn Partei zuläßt, und sie möchte sich an der höchsten Stelle auch nicht dadurch unbeliebt machen, daß ein Teil der Schuld für die Haltung des Zentrums bei den Wahlen auf sie fällt, deshalb wird die Ordensfrage in aller Eile zu einerabsolut kirchlichen'Fragegemacht,wbwohlidasZentrum, wie das badische Organ zugibt, in dieser Frage wiederholt Kammerbcschlüsse Herbeigeführt hat. Nun, wir sollten meinen, daß das, was die Ordensfrage für Baden ist, -och auch die Jesuitenfrage für Deutschland sei. Hier aber erklären sich Zentrum und Kirche so fort für solidarisch. Und damit haben wir das Beispiel für den von uns angegebenen dritten Kall. Hier denkt das Zentrum gar nicht daran, sich für eine rein politische Partei zu erklären, sondern es verquickt die reli giöse Krage mit der politischen. Oder haben die Zentrums blätter nicht hundert, und aberhundertmal versichert, daß die Geduld des katholischen Volkes in der Jesuitenfrage erschöpft sei und daß die Regierung schon noch das Zentrum als Oppositionspartei kennen lernen werde, wenn si^nicht endlich das Jesuitengesetz, zunächst zum mindesten den 8 2, aufhebe? Da also ist das Zentrum auf einmal der Hort der konfessionellen katholischen Interessen. Wenn also das Zentrum sagt: Wenn nicht die Jesuiten zurückkommen, so stimmen wir gegen irgend etwas, was mit religiösen Fragen gar nichts zn tun hat — so ist das logisch und ge- recht; wenn aber eine Regierung sagt: Wenn das Zentrum in verschiedenen Wahlkreisen den Sieg der Sozialdemo kraten zuläßt, so lassen wir nicht die Ordensnieder lassungen zu — so ist das unlogisch nud ungerecht. So ist dasZentrum, wie gerade dieSituation es gestattet, politische oder konfessionelle Partei, und es macht darnit seine glän zenden Geschäfte, nicht nur den Regierungen, sondern auch den Wählern gegenüber. In Bay« rn , wo der größte Teil der Wählerschaft bäuerlich-agrarisch ist, hängt die Zentrumspartei ihr Eintreten für agrarische Forde rungen als Fahne heraus; da ist sie also eine politisch- wirtschaftliche Partei. Im rheinisch-westfälischen Industrie bezirk, wo dem Arbeiter die Erhöhung des Getreidezolles unerwünscht ist, sagt sie ibm: Du mußt mich trotzdem wählen, wenn du ein guter Katholik sein willst. * Berlin, 1. September. (StrafrechtlicheKürio- si täten.) In letzter Zeit sind in den Tagesblättern wiederholt Straf urteile besprochen worden, die, juristisch unanfechtbar, dem Rechtsbewußtscin zweifel los nicht entsprachen. „'Die „Frkf. Ztg." führt hierfür fol- gende Beispiele an: 1) Ein Junge macht sich ein Vergnügen daraus, das Stroh dach einer Hütte in Brand zu sehen. Kaum hat er dies getan, so löscht er das Feuer wieder. Sein Freund findet Gefallen an dieser Tätigkeit und will ganz genau dasselbe tun. Wie er jedoch das Zündholz an das Dach bringen will, bläst es ihm der Wind aus. Er macht sich des Versuchs der Brand st if- tung schuldig (vgl. Entsch. d. R.-G. Bd. 18, S. 355), wäh rend sein Freund, dem die Brandstiftung gelungen ist, auf Grund des 8 310 St. G. B. straffrei ausgeht. 2) Ein Dieb entwendet drei Hundertmarkscheine, die er später mit zwei Bekannten teilen will. Der eine nimmt den dargebotenen Hundertmarkschein an, der andere bittet den Dieb, den für ihn bestimmten Hundertmarkschein doch erst wechseln zu lassen und ihm daS gewechselte Geld einzuhandigen. Denn ihn erklärt die Rechtsprechung deS Reichsgerichts für straflos, während sein Genosse Hehlerei begeht. 3) Tin Bäcker schickt einen Jungen mit Brötchen zu einem Kunden. Der Junge bekommt unterwegs Hunger und ißt ein Brötchen. Er macht sich des Vergehens der Unter schlagung schuldig (vgl. Entsch. d. R.-G. Bd. 24, S. 38). Ein anderer Junge sieht einen Bäckerburschen mit Brötchen kommen und stiehlt ihm ein Brötchen. Er wird nur wegen Uebertretung des 8 370,5 Str. G. D. (Mundraub) bestraft. Und doch ist im allgemeinen Diebstahl ein schwereres Verbrechen als Unterschlagung. 4) Eine Zeugin hat an der Strafkammer des Landgerichts in D. einen fahrlässigen Meineid in einem Nebenpunkt ge schworen. Bevor noch eine Anzeige gegen sie erfolgt oder eine Untersuchung gegen sie eingeleitet war, beschloß sie, die Aus sage zu widerrufen und begab sich zu diesem Zweck ins Land- gerichtSgebäude. Im unteren Stock dieses Gebäude» ist nun links die Staatsanwaltschaft beim Landgericht und rechts die Gerichtsschreiberei der Strafkammer des Landgerichts. In ihrer Unwissenheit geht die Zeugin link» auf di« Staats anwaltschaft und widerruft hier ihre falsche Aussage. Später wird sie unter Anklage gestellt und muß verurteilt werden, weil die Staatsanwaltschaft beim Landgericht eine vom Landgericht verschiedene Behörde ist. Wäre die Zeugin zufällig recht» auf die Gerichtsschreiberei gegangen, dann wäre sie straflos gewesen. (8 163 St. G. B.) 5) A. und B. finden in einem Zimmer zwei ungeöffnete Kistchen Cigarren stehen. A. nimmt ein Kistchen Cigarren ganz mit und verkauft e». Der B. will nicht so unverschämt sein wie der A., er e r b r i ch t deshalb da» andere Kistchen und nimmt sich bloß SO Stück heraus. Der A. wird wegen ein fachen Diebstahls mit Gefängnis bestraft, der noblere D. kommt wegen schweren (Einbruchs-) Diebstahls in» ZuchrhauS. * Berlin, 1. September. (AuSbemZettalterber Aufklärung.) Von -er Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich inner halb der katholischen Kirche die Begriffe über die Reliquienverehrung auch nicht im mindesten ge klärt. Im Anschluß an ihre Berichte über die Kölner Katholikenversammlung bringt die ultramontane „Köln. Volkszeitung" unter der Spitzmarke ,-Mailand und K ö l n" nachstehenden Beitrag zur Kenntnis ihrer gläu bigen Leser: Die Anwesenheit der Herrn Kardinal-Erzbischof- Ferrari bei dem großen Katholikentage in Köln hat Gelegenheit ge boten, an die geschichtlichen Beziehungen zu erinnern, welche seit den Zeiten Friedrich Barbarossas zwischen der Stadt des h. Ambrosius und der rheinischen Metropole bestehen. Den Mailändern sind allerdings diese Beziehungen nicht immer als freundliche erschienen: glaubten sie doch, als Erzbischof Reinald von Köln im Sommer de» Jahres 1164 die Reli quien der heiligen drei Könige über die Alpen entführte, um ihnen in seiner Kathedrale eine neue Ruhestätte anzuweisen, den endgültigen Verlust ihres kostbaren Heilig tums beklagen zu müssen. Die Kölner aber, deren Stadt von nun an noch mehr als vordem eins der beliebtesten Pilgerziele geworden war, rühmten sich mit Stolz, im ungeteilten Besitze des ehrwürdigen Schatzes zu sein. Der Spruch: Eorpora sanotorum recudrnt üic terna magorum. Sx kis sudlatum nikil est alidive locatum war nicht bloß auf der Kapelle zu lesen, die den kostbaren Schrein umschloß, sondern auch auf den Zetteln, welche die Wallfahrer zum Andenken mit von dannen nahmen, und selbst in den Ge schichtsbüchern der Stadt. Mit eifersüchtiger Sorge wurde darüber gewacht, daß er seine volle Geltung behielt: vergebens bemühten sich die Päpste Alexander VI. und Gre gor XIII., letzterer auf Bitten des h. Karl Borromäus, um die Wiedererlangung der Reliquien für die Kathedrale von St. Ambrogio. Noch im Jahre 1675 verweigerte das Kölner Domkapitel dem Kardinal-Erzbischof Litta selbst die Abgabe einer kleinen Partikel. Jetzt endlich ist, wenn wir so sagen dürfen, Friede ge schlossen zwischen Mailand und Köln, da der e r l a u ch t e i ta- lienische Kirchenfürst einen Teil der Heilig tümer der Stätte wieder zuführt, an der sie bis zum Schreckenstage des 26. April 1162 Jahrhunderte hindurch unversehrt geruht hatten. Vielleicht dürfen wir e» für be sonders bedeutsam halten, daß dieses Ereignis sich vollzogen hat unter den Auspicien einer überaus groß artigen Kundgebung katholischen Lebens und Glaubens. (-) Vertin, 1. September. (Telegramm.) Der „Staatsanzeiger" schreibt: Die Generalobersten von Hahnke und Graf von Hacseler sind zu Mitgliedern de» preußischen Herrenhauses aus LebenSzert berufen worden. — Der Kaiser ist heute nachmittag 2 Uhr 15 Miu. nach Dresden abgereist. — Anläßlich der Ernennung de- Freiherrn v. Stengel zum Staatssekretär fand, den „Münck. N. N." zufolge, auch ein Depesckenwechsel zwischen dem Reichskanzler Grafen Bülow und dem bayerischen Ministerpräsidenten Freiherr v. Podewils statt. — Der „Allgem. Ztg." wird auS Berlin telegraphiert: Ueber den Wechsel im Reichsschatzamte weiß ein hiesige- Blatt neuerdings zu berichten, der Rücktritt deS Frbrn. v. Thiel mann sei seit längerer Zeit, uno zwar schon seit dem vorigen Jahre eine feststehende Tatsache gewesen. Auch diese Nachricht ist nicht richtig. Die Verhandlungen, die Frhrn. v. Tbielmann zu seinem Entschlüsse veranlaßten, find verhältnismäßig neuen Datum- und haben schnell zur Entscheidung geführt. — EinAnarchistevprozeß findet am Mittwoch vor der Strafkammer start. Die Aoarchistenführer Grünwald, Redakteur des „NeuenLebenS', und Imhoff au»Mannheim, sind wegen Aufreizung zu Gewalttätigkeiten und Grünwald auch noch wegen Gotteslästerung angeklagt. — Die JnvalidstätS-und Altersversichc- rungsan st alten haben die Kontrolle über die Bei tragszahlungen viel schärfsr gestaltet, als sie früher war. Das neue Jnvali-enversicherungsgesetz zwamg sie schon dazu. Trotzdem kommen Falle der Unterlassung der Verwendung von Beitragsmarken für Angestellte immer noch vor. Wie hart die Strafe dafür aussallen kann, zeigt eine Gerichtsentscheidung, die nach Blättermeldungen in Schlesien gefällt fein soll. Danach ist ein Arbeitgeber, der schul-haftcrwcise eine Zeit lang Beitragsmarken für einen Lehrling zu verwenden unterlassen hatte, so daß letzterer wegen Nichterfüllung der Wartezeit von -er Ber- sicherungSanstalt Schlesien mit seinen: Anspruch« auf Ge währung der Invalidenrente abgewicsen werden mußte, zur Zahlung einer dem JahreSbetrage -er Invalidenrente gleichkommenden JahreSrente von 123,60 verur teilt worden. — Bekanntlich hat die Direktion der S t r a f a n st a l t i n Tegel die Mitteilungen über die Aufnahme und Unterkunft des Prinzen v. Arenberg dementiert. Zu dieser Er klärung nimmt nunmehr der Gewährsmann der ersten Notiz Stellung, indem er, laut „B. T.", folgende Rechtfertigung an führt: Die Direktton hat versucht, die gemeldeten Einzelheiten abzuschwächen. Es wurde so dargestellt, als würde dieTqui « Page de» Direktor» snur um eme solche handelt e» sich) de» öfteren zu derlei Dienstfuhren benutzt, wie zur Abholung elnes Gefangenen. Die Equipage wird fast täglich von Direktor Kü-in und seiner Familie zu Spazierfahrten benutzt. E» Hai seinerzeit sehr schwer gehalten, die Mittel für ein so hochherr- schaftllchcs Dienpfuhrwerk und für so vorzügliche .Kutschpferd« bewilligt zu erhalten. Die Zelle, die jetzt der Prinz bezogen, ist auch nrcht, wie behauptet wird, bereit» früher getüncht wor den, sondern jetzt kurz vor der Ankunft ganz separat gestrichen worden, klebrigen» kennt in der Strafanstalt jeder Wärter und jeder Bemnter di« .Tiergartenstraße » « wird sofort
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