02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030902021
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903090202
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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- Tag1903-09-02
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Wie unS aus politisch wohlunterrichteten Kreisen de» Herzogtums Anhalt gemeldet wird, herrscht dort die nicht geringe Besorgnis, der sozialdemokratische Bewerber könne gleich rm ersten Wahlgange gewählt werden, weil beide bürgerliche Kan didaten keine sonderliche Anziehungskraft besitzen uno weil der Aufstellung der Kandidaturen mancherlei die Wahllust nicht eben fördernde Unerqmcklichkeiten und Reibungen voran gegangen sind. Wir möchten einen so weit gehenden Pessimismus denn doch nicht teilen. Während der benachbarte Wahlkreis Bernburg bei den Wahlen von 1898 der Sozial demokratie anheimfiel — diesmal ist er erfreulicherweise zurückerobert worden—, ist der Wahlkreis Dessau bisher noch niemals sozialistisch vertreten gewesen; bis zu den Wahlen von 1893 kam diese Partei nicht einmal in die Stichwahl. Bei den allgemeinen Wahlen vom Juni d. I. gelang es ihr allerdings zum ersten Male, mit 12 168 Stimmen an die Spitze aller Parteien zu kommen, aber die bürgerlichen Parteien brachten doch mit 17 120 Stimmen (für beide Kandidaten zusammengenommen) nahe 5000 Summen mehr aus, als die Sozialdemokraten, also fast um zwei Fünftel mehr. Wie wohl auch wir glauben, daß diesmal beide bürgerliche Kan didaten weniger Stimmen erhalten werden, als am 16. Juni, so können wir uns doch kaum denken, daß ein noch vor zehn Wochen erzieltes Plus von 5000 Stimmen sich in jo kurzer Zeit in ein Minus verwandeln werde. Auf der andern Seite glauben wir auch nicht, daß die Sozialdemokratie eine nur irgendwie erhebliche Stimmenzunabme erfahren werde, da sie bei den Wahlen vom Juni 3000 Stimmen mehr erhalten hat, als bei den vorangegangenen Wahlen, so daß sie zweifellos schon im Juni ihre Kräfte aus« äußerste angespannt hat, waS auch dadurch bewiesen wird, daß sie bei der Stichwahl noch nicht 600 Stimmen mehr auszu dringen vermochte als bei der Hauptwahl. Wir hoffen also, daß eS auch diesmal zur Stichwahl kommt und baß dann aus dieser der bürgerliche Bewerber als Sieger heroorgeht. Käme eS anders, jo würbe dre Sozialdemokratie mit Recht auf dem bald varauf stallfindenden Dresdner Parteitage ein ÄubelHeschrei darüber anstimmen, daß gleich die erste Ersatz wahl rhr wieder einen Sieg verschafft habe. Dänen und Sozialdemokraten. Als Feinde des Vaterlandes, nickt nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, entpuppen sich die Sorial- demokraten auch jetzt wieder bei den preußischen Landtagswahlen. Die in Kiel erscheinende „Sckleswig- Holsteintsche Bolkszeitung- bemüht sich aufs eifrigste, die Dänen zu einem Bündnis bei den preußischen Landtags- Wahlen zu bewegen. Es sind dabei folgende jünf Wahlkreise ins Auge gefaßt: Husum, HaderSleben, Äpenrade-Sonderburg, Tondern und Flensburg. Am Schluffe des ArttkelS, der „Die Landtagswahlen im dänischen Gebiet" über schrieben ist, heißt e«: „Den Dank, den die Dänen für ihre Stichwahlhülfe im Juni verlangen können, tragen wir gern ab, wo wir unseren Aufgaben treu bleiben können. Das wäre zum Beispiel der Fall bei dem oben angeschnittenen Vorschläge. Man denke sich den Ausgang. Erstens: Allgemeine und selbstständige Wahlbeteiligung der Dänen und der Sozialdemokraten mit gegens eitig er Stichwahlhülfe bei den Urwahl en. Zweitens: Glatter Sieg zweier dänischer Abgeordneten. Drittens: DieMöglichkeit, in Nordschleswig nationalliberale, konser vative und auch freisinnige Feinde der Dänen unmöglich zu machen. Auch freisinnige Feinde der Dänen — man denke an Herrn Wolgast mit seinem „keinen Fuß deutschen Landes" — werden unmöglich, wenn die dänischen und die sozialdemokratischen Wahlmänner als verbündete Minderheit in einer Reihe von Kreisen der Provinz das Zünglein an der Wage bilden." Innerhalb des Artikels entblövet sich das sozialdemo kratische Blalt nicht, zu schreiben: „Bon 120000 Dünen, die das Unglück haben, Preußen zu sein, muß man doch mehr als 8000 Urwähler an den Wahl tisch bringen." Auf dänischer Seite hat man aus rein praktischen Gründen gegen bas angetragene Bündnis noch einige Bedenken, doch weiß man sehr wohl zu würdigen, was die sozialdemokratische Partei in ihrer Gesamtheit für alle anti-deutschen Interessen zu bedeuten hat. So schreibt „Flensborg Avis" m bezug auf einen bereits früher erschienenen Artikel der „Schleswig- Holsteinischen Volkszeitung": „Es scheint in dieser Aussprache eine Andeutung durch, als ob bei „Flensborg Avis" oder bei der dänischen Bevölkerung in Nordschleswig ein Vorurteil gegenüber der deutschen Sozial demokratie gefunden werden könnte. Ein solches Vor urteil giebt es nicht. So lange man in Deutschland und Preußen noch hart und täglich für die Anerkennung der meist selbstverständlichen politischen und bürgerlichen Rechte kämpfen muß und so lange die deutsche Sozialdemokratie die Haupt arbeit in diesem Kampfe leistet — so lange können es die dänischen Schleswiger unmöglich unterlassen, Wohlwollen für die Sozialdemokratie in Deutschland als politische Partei zu empfinden. Dieses Wohlwollen muß im hohen Grade durch die Art vermehrt werden, mit der sich die deutschen Sozialdemokraten zur nor^ schleswigschen Frage stellen, indem sie die preußische Zwangspolitik auf das Kräftigste bekämpfen und unser Selbstbestimmungsrecht nach Artikel V des Prager Friedens anerkennen." Indem die Sozialdemokraten dieses „Selbstbestimmungs recht" anerkennen, treiben sie dem Sinne nach eine Politik des Hochverrats, die darauf gerichtet ist, einen Teil deS Bundes gebiets vom ganzen loSzureißen. Ter neue Primas von England. Die katholische Bevölkerung Englands bat wieder einen Primas erhalten, vr. Francis Bourne, Bischof von Southwark, wurde von der Propaganda in Nom zum Nach folger deS verstorbenen Kardinal Vaughan gewählt. Die Wahl kommt überall als eine große Ueberraschung. l)r. Bourne gehörte nicht zu den drei in erster Linie vorge schlagenen Kandidaten. Diese waren vielmehr Msgr. Merry del Val, der greise Bischof von Newport, vr. Hedley, und der als Historiker bekannte Or. Gasquet. Letzterer erhielt tatsächlich nack Bourne die meisten Stimmen. Bischof Hedley nur zwei. Msgr. Merry del Val wurde nicht gewählt, einmal in Anbetracht seiner Stellung zum Vatikan, und sodann, weil er schließlich doch ein Fremder ist. Or. Hedley erschien zu alt. I)r. Gasquet gehört demselben Orden an, wie Bischof Hedley, den Benediktinern; es schien mithin mißlich, ihn vorzuziehen, man wollte ihn auch seinen historischen Studien nicht entreißen, schließlich war aber maßgebend, daß er nie Gelegenheit gehabt hatte, sich in umfangreicher Verwaltungsarbeit Erfahrungen zu sammeln. Der neue Primas, der in dem sehr jugendlichen Alter von zweiundvierzig Jahren steht, bat von Anfang an eine glänzende Karriere gemacht. In einem Vororte Londons, mithin in seiner neuen Diözese, 1861 geboren, wurde er zu St. Cuthberts, Usbaw, im St. EdmundS-Colle- gium zu Ware, zu St. Sulpice in Paris und schließ lich an der Universität Löwen ausgebildet. 1884 wurde er zum Priester geweiht, und war er sodann in der Vorstadt Blackheath zu Mortlake und in Hensield in Sussex tätig. Hier begann er zuerst die Aufmerksamkeit durch die Gründung eines in katholischen Kreisen viel ge rühmten Seminars auf sich zu lenken. Die Folge war, daß er schon mit 28 Jahren zum Rektor des bei Goildjord ge legenen Seminars der Diözese Southwark ernannt wurde. Seine hervorragenden Leistungen an der Spitze dieser Anstalt erwarben ihm die besondere Gönnerschaft des Kardinals Vaughan. 1895 wurde er zum päpstlichen Haus prälaten ernannt. Trotz dieser großen Auszeichnung deS 34 jährigen Mannes überraschte es doch ungemein, als ihn Kardinal Vaughan schon rm folgenden Jahre zum Koadjutor veS greisen Bischofs Or. Butt von Southwark mit dem ausdrücklichen Anrecht auf die Succession in der Diözese und zugleich zum Bischof von Epiphanias weihte. Diese enorme Bevorzugung deS dem größeren Publikum immerhin noch unbekannten jungen Geistlichen rief zum Teil auch heftige Opposition hervor. Aber man erkannte bald, daß er aus dem richtigen Holze geschnitzt war, um der Verwalter einer Diözese zu werden, und als schon nach Jahresfrist der alieBiscbof zurücktrat, wurde dieErnennunz des jungen Nachfolgers mit Zustimmung begrüßt. ES kam dem neuen Kirckensürslen außerordentlich zu statten, daß er die Verhältnisse der Diiftese gründlich aus Erfahrung kannte, und er zeigte nack der Ernennung neuen Feuereifer. ES gibt keine noch so kleine Kapelle oder Kirche, um welche er sich nicht geküm mert, in der nicht persönlich gepredigt hätte. Er ist ein energischer, vielleicht rücksichtsloser Verwalter, im persönlichen Verkehr aber entgegenkommend, ja bestechend liebenswürdig. Er sieht ganz auf dem Bode» der vatikanischen Anfprücke und der päpstliche Stuhl wird sich nach dieser Richtung hin unbedingt auf ihn verlassen können. Auch ist er dem längst entworfenen Plane, einen apostolischen Delegaten nach London zu entsenden, nickt abgeneigt. Selbstverständlich sind neben seinem großen VerwaltungStalenle auch diese Punkte bei seiner Wahl schwer ins Gewicht gefallen. Man sieht voraus, daß der junge Primas gleich seinem Vorgänger bald auch den Kardinalshut erhalten wird. Ter „FrtedenSengel" England. Je näher der Zeitpunkt rückt, an dem vertragsmäßig die Räumung der Mandschurei erfolgen soll, desto mehr hetzt die englische Presse zum Kriege, indem sie durch sichtlich tendenziös gefärbte Berichte Japan zum Losschlageu zu ver anlassen sucht. Es hat fast den Anschein, als wünsche man in gewissen englischen Kreisen die japanische Aktion gegen Rußland beginnen zu sehen, noch ehe letzteres mit feinen Kriegs vorbereitungen zum Abschlüsse gelangt ist. Da aber noch geraume Zeit ins Land gehen dürste, bevor Ruß land seine Rüstungen in den Grenzprovinzen und die Organisation seiner rückwärtigen Verbindungen vervoll ständigt haben kann, so behelfen sich die englischen Blätter einstweilen mit der Meldung, daß infolge Anhäufung von Truppen und Vorräten Rußlands die Lage in Ostasien täglich bedrohlicher werde. Dalny, der russische Kriegshafen an der Ta-lien-wan Bai, soll seine frühere kommerzielle Be deutung gänzlich verloren haben uud nunmehr einer von russischem Militär, von Waffen und Vorräten angefüllten Garnisonstadt gleichen. Ebenso soll in Port Arthur lebhafteste militärische Tätigkeit herrschen. All diese Darstellungen sind entweder stark übertrieben oder greifen offenbar der Wirklichkeit weit vor, denn bisher ist aus japanischer Quelle Zuver lässiges über bedrohliche Kriegsrüstungen des russischen Nachbars nicht bekannt geworden. Vielmehr wurde von japanischer Seite wiederholt betont, daß die japanischen Interessen in der Provinz Mulden und in Korea nicht von solcher Wichtigkeit seien, daß deswegen eine unbesonnene Aktion gerechtfertigt wäre. ES hätte also der neuerlichen Erklärung deS japanischer» Gesandten Hayashi in London, daß Japan keinen Grund sehe, weshalb eS bezüglich Koreas oder der Mandschurei zu Unannehmlichkeiten mit Rußland kommen solle, nicht erst bedurft, um die Haltlosigkeit der englischen Behauptungen zu erweisen. Immerhin mag die Folge dieser halbamtlichen Verlautbarung sein, daß die englischen Krieg»- treibereien auf einige Zeit verstummen oder weniger scharf zum Ausdruck kommen. Aber so lange nicht in der ostasiatischen Interessensphäre die Entscherbuog nach den englischen Wünschen gefallen ist, wird England nicht aufhören, an der Vermehrung und Verschärfung der russisch-japanischen Gegensätze zu arbeiten, die gewissermaßen einen Ausgleich der Schwierigkeiten herbeisühren sollen, die der britischen Politik in Persien und Afghanistan bereitet werden. Auch mag für England der Wunsch miisprechen, endlich einmal einen praktischen Wert de» Bündnisses mit Japan kennen zu lernen. Die japanische Regierung aber dürfte sich gegenüber der Lage in Ost asien so viel klares Urteil bewahrt haben, daß sie sich dreimal bedenkt, die noch unfertigen Kräfte de» Lande» an ein Unter nehmen zu wagen, das selbst, wenn England sich als treuer und zu gleichwertigen Leistungen bereiter Bundesgenosse erweisen sollte, nur geringe Wahrscheinlichkeit de» Erfolge» in sich trägt. Deutsche- Reich. ch Leipzig, 2. September. Das Tarifamt der deut schen Buchdrucker versendet jetzt über daS Geschäftsjahr 1902/1903 seinen Geschäftsbericht, auS dem folgendes zu ent nehmen ist: Durch rege Propaganda hat sich der Krei» der rur Tarifgemeinschaft der Buchdrucker Deutsch lands gehörenden Prinzipale und Gehilfen erweitert. In folge der letzten Bewegung für Tarifverallgemeineruug kam eS nur noch zu geringen Konflikten. 138 Gehilfen an 32 Orten waren aus dem erwähnten Anlaß ge zwungen, ihre Stellung aufzugeben. Dagegen wurden durch die letzte Agitation mehr als 3000 Gehülfen bei 786 Firmen an 272 Orten für die Tarifgemeinschaft gewonnen. Eine Eingabe an die Reichsregierung vom 19. April 1902, die Herstellung amtlicher Druckarbeiten für da» ganze Reich nur in tariftreuen Buchdruckereien zu verfügen, blieb unbeantwortet, weshalb in neuer Eingabe vom 18. Juni dieses Jahres um Beschleunigung der Angelegenheit gebeten wurde. Auch die vor Jahresfrist an den deutschen BundeSrat gerichtete Eingabe über die gesetzliche Regelung der LehrlingSzahl im Buchdruckgewerbe darrt noch ihrer endgültigen Erledigung. Entsprechend dem Ersuchen deS ReichSamts des Innern ist noch weitere» Material zu dieser Eingabe eingeschickt worden. Es ist eine Reihe Firmen ermittelt worden, in denen Lehrlinge in Über mäßiger Zahl gehalten werden. ES wurde nachgewieseo, daß allein bei 116 Firmen neben 340 Gehülfen 655 Lehr linge beschäftigt wurden. Die Zahl der Tarif-Arbeit». Feuilleton. 2sj Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Er starrt finster auf das Löschblatt vor sich. „Soll ich mich für etwas Selbstverständliches — be zahlen lassen?" „Daß ich einer solchen Zumutung fähig gewesen wäre, glauben Sie selbst nicht. Ich war nur der festen Ueber- zeugung, daß mein dummes Geld nirgends besser auf gehoben sei als bei Ihnen. Und jetzt — welche Pläne haben Sie nun?" Er reißt die Augen auf. ,ZSieso? — «Ach, das! Hem! — Die Rücksicht gegen Tante Friederike ist ja nun hinfällig geworden, und ich werde bas Rohlsche Anwesen kaufen können." „Und dieses?" ^erkaufen." „Aber nicht gern?" „Nein." „Das war wenigstens ehrlich. Und auch jetzt noch schlagen Sie mein Anerbieten aus?" „Unbedingt." Da sprühte ihr Auge Heller Zorn. „Das nenne ich Eigensinn. Und welche Idee Sie da- bet haben, weiß ich auck. Sie wollen der Aristokratin nichts verdanken: denn Sie halten mich für stolz, für stolz im schlechten Sinne. Und das ist doch ein Paradoxon, wie kein krasseres denkbar; ich stolz, die wochenlang im Banne eines Killmann gestanden hat, die sich noch jüngst vor einer seiner Kreaturen Lomütigen mutzte, die im Riedstädter Stadtklatsch zermahlen wurde! Ach, nein, Herr Bollhard,. mein Stolz ist so bedenklich in die Brüche gegangen, datz ich mich am liebsten irgendwo im Stillen Ozean anfiedeln möchte", spottet sic in bitterer Selbstironie. Nun hebt er wieder den Kopf. „Ich bin seit fünf Monaten wenig unter die Menschen bekommen und dieses Haus bat der Klatsch nicht erreicht." will ich Ihnen erzählen." Mit schier automatenbafter Ruhe berichtet Renate, was Bollhard noch nicht weik. Da schwillt ihm die Stirnader und schwer fällt seine Faust auf die Tischplatte. Das sagt mehr als Worte. „Und nun? — Morgen werde ich abreisen müssen, Ihnen demnach nicht wieder mit einer Bitte unbequem werden. Wollen Sie mit mir halbpart machen?" Er richtet sich auf, hochrot im Gesicht. halbpart — Die meinen das Geschäft — Nein, gnädiges Fräulein, ich kann nicht. Auch ein Geschäfts mann hat seine Ehre." ,^Warum dies auch? Habe ich je einen Zweifel daran geäußert?" Er hat ein paar hastige Schritte durch das kleine Comptoir gemacht. Nun bleibt er vor ihr stehen, ihr gerade ins Auge schauend. „So war's nicht gemeint, Fräulein Renate. Aber Sie sind in anderen Anschauungen ausgewachsen als ich, denken als Weib naturgemäß anders; Ihnen ist alles Gefühls-, mir dagegen dieses — wesentlich Geschäftssache." ,Hch sagte Ihnen bereits, datz auch ich meine Kapitals anlage weder anders betrachtet noch behandelt zu sehen wünschte. DaS Gefühl" — hier lodert es jäh in ihren Wangen auf — „hat gar nichts damit zu tun." Er hat die Arme über der Brust gekreuzt. ,Hst Dankbarkeit kein Empfinden?" Schweigend fenkt sie den Blick. Dann ihn wieder zu ihm emporrtchtend, fragt sie mit halblauter Stimme: „Die glauben bei mir also wenigstens an diese?" Da geschieht etwas Unerhörtes: Georg Bollhard, der unbeholfene Geschäftsmensch, neigt sich über die Hand, die sie ihm gereicht hat, und preßt einen Kuß auf ihre Finger spitzen. In seinem Comptoir geht er noch lange auf und ab. Am folgenden Morgen benimmt er sich linkischer und schweigsamer denn je. Ein unbehagliches Frühstück vor ihrer Abfahrt. Draußen schüttelt sein alter Fuchs, den Martin Roggow am Zaumzeug hält, scharrend den ungewohnten Schellenbeschlag. Lina Salzmann verteilt im Schlitten fürsorglich Decken und Jußtaschen, hinten auf dem Kutschersitze ist Renatens Koffer aufgeschnallt. „Es wird Zeit", spricht oben im Wohnzimmer Georg Bollhard. Das erste Wort, das seit fünf Minuten aus seinem Munde kam. ,Ha, es wird Zeit", wiederholt Renat«. Dann sehen sie beide einander in die Augen. „Es wird hier sehr einsam werden", bemerkt er. Sie nickt mechanisch. Er geht im Zimmer umher, als suchte er etwas. Dann bleibt er plötzlich vor ihr stehen. ,^Wenn ich jetzt etwas Törichtes rede, so haben Sie den Trost, mir in einer Minute entfliehen zu können, Fräulein Renate. Und ob es nicht sehr töricht ist, zu hoffen, mir könnte noch einmal ein neuer Frühling blühen, dessen bin ich mir keineswegs sicher. Sie redeten gestern von Dankbarkeit, ohne dessen zu gedenken, was Sie in Ihrer Großmut mir alles zu vergeben hatten, aber ich glaube, Sie sind einigermaßen unterrichtet, rvie ich auf den Isolierschemel meiner Selbstherrlichkeit ge riet: um ein Weib! Jahrelang lzabe ich an dem Schlage, den mir Walter KillmannS Schwester versetzte, gelitten, und hernach, als die Wunde verharschte, da war es zu spät, ich mir selbst zu alt geworden, die Freuden des Lebens zu suchen, ja auch nur seine Formen zu schätzen. Das Einzige, was mir blieb, war die Sorge um mein Geschäft — die Sorge ums Geld, werden Sie gedacht haben, ohne zu erwägen, daß der Kaufmann so gut seinen Ehrgeiz besitzt, wie — wie etwa der Offizier, der höher strebende Beamte. Da trugen Sie de»» Frühling in dieses Haus. Und je duftiger er blühte, um so dichter suchte ich mich gegen sein Locken zu panzern. Es half mir nicht. Und dann erlebten Sie, ich — wir beide — um denselben Mann, der mein Leben schon einmal gekreuzt hatte, die herbe Enttäuschung. Ich glaube, Tic hatte»» dieselbe längst überwunden, als Sie vor einigen Tagen wieder zu uns kamen. Nun aber stand ich vor der unlöslichen Frage: Ist es ein Frevel, ein Wesen, das aus einer ganz anderen Sphäre stammt, als die unserer eng begrenzten Interessen, dessen Jugend noch halb vor ihm liegt, dessen Mittel ihm gestatten, sich das Leben selbst zu bauen, wie es ihm gefällt — ein solches Wesen an mich binden zu wollen? An mich? Mit diesen Gedanken bin ich letzthin zur Ruhe gegangen und wieder aufgestanden, und nun — Renate, helfen Die mir die Frage lösen — ist es Frevels Renate ist bei seinen Worten auf einen Stuhl ge sunken. Still ergeben, die Hände im Schoße gefaltet, schaut sie vor sich hin. Ihre Lippen bewegen sich leicht, doch kein Laut dringt zwischen ihnen durch. Nun er ge redet, sitzt sie noch wie gebannt von dem schlichten Zauber seiner Worte. Nie hätte sie geahnt, daß er so etwas sprechen könnte, ob sie ihn gleich liebte, seit — sie weiß eigentlich selbst nicht recht, seit wann. Jedenfalls aber schon seit lange. Das war's ja, was ihr in Zirpshagen gefehlt hatte. Das die Lücke in ihrem Dasein! Sich erhebend, reicht sie ihm beide Hände. Er küßt sie auf die Stirn. Martin Roggow macht große Augen, als sein Herr aus dem Fenster den Befehl zum Ausspannen gibt. „Irst hott, un dann hü!" brummt er in Len grauen Bart. „Da fall woll Lat oll adlig KrugenSminsch dran schuld sin. Na, wegen meiner is 's eenjahl." Bierundzwanzig Stunden später reist „Lat oll adlig Frugensminsch" aber -och. „ . - — Un- kein Mensch in Riedstädt, der sie mit Herrn Georg Bollhard nach der Bahn fahren sah, wunderte sich über ihre verweinten Augen. Das »oar ja natürlich, wo die alte Hengler so große Stücke auf die Person ge halten hatte! Wieder trägt Georg Bollhard am Bahnhofe die Sorge für Renatens Gepäck. Sie sitzt währenddem im Wartesaal, sich zum hundertsten Male die Frage vorlegend: Was wird Grete Horsten sagen? Ein kühler Luftzug von der Bahnhofshalle her, ein Stampfen von Männerfützen, die -en Schnee von den Sohlen schütteln, ein Kichern, Flüstern dann ein Rauschen neben ihr „Du erlaubst, datz ich dir meinen Bräutigam vorstelle, liebe Renate? — Herr Doktor Troppel vom Lyzeum Drei
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