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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021014020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-14
- Monat1902-10
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Mai 1901 erfolgte ein Abbruch der Verhandlungen duich Vertagung^ weil man die auf die Beratung der Seemannsordnung verwandte Arbeit nicht unter den Tisch fallen lassen wollte. Am 26. November 1901 nahm der Reichs tag seine Plenarverhandlungen wieder auf und vertagte diese am Schlüsse des ersten Drittels Les Juni dieses Jahres. Da während der diesmaligen Vertagung die Zoll- tarifkommission arbeitete, ist eine parlamentarische Ruhezeit im eigentlichen Sinne des Wortes nicht eingetreten. Ten ganzen Sommer über standen die Zo llvorlagen im Vorder gründe deS politischen Interesses. Sie werden eS auch während des neu beginnenden Arbeitsabschnittes des Reichstagsplenums bleiben, wenn nicht, was wenig wahrscheinlich ist, eö gelingen sollte, die Entscheidung über sie bereits vor Weihnachten herbeizuführen. Erwünscht wäre dies allerdings, denn namentlich der Industrie liegt außerordentlich viel daran, bald Gewißheit darüber zu erlangen, wie ungefähr sie sich einrichten soll. Vielleicht würde es zur Beschleunigung der Entscheidung nicht unwesentlich beitragen, wenn der Reichs kanzler alsbald nach Beginn der zweiten Beratung im Namen des BundeSratS eine bestimmte Erklärung über ressen Stellung zu den Kommissionsbeschlüssen abgäbe. An scheinend ist dies auch beabsichtigt, wenigstens weiß der „Hamb. Korr." zu melden, daß der Bundesrat sich am Sonnabend unter dem Vorsitze des Grafen Bülow mit den Zollvorlagen beschäftigt habe und daß volle Einigkeit erzielt worden sei. Deckt sich die Stellung des Bundesrats mit dem mit erdrückender Mehrheit gefaßten Beschlüsse des national liberalen Delegierten tages in Eisenach, sich im wesent lichen auf den Boden der Regierungsvorlagen zu stellen, keines falls über die in diesen enthaltenen Mindestzölle hinaus zugehen und weitere Mindestzölle abzulehnen, so kann dies einen tiefen Eindruck auf die Konservativen und das Zentrum zu machen nicht verfehlen. — Bei den, wie man annebmen darf, erst zu Beginn des neuen Jahres stattfindenden Etatsberatungcn wird sich ein Eingehen auf die Frage der Reichssinanzrefvrm schwer vermeiden lassen. Allzu große Abstriche an dem NeichshauöhaltS- voranschlag zu machen, wird schwer möglich sein. Um der Industrie und den in ihr beschäftigten Arbeitern Verdienst zuzuführen, empfiehlt eS sich, soviel Arbeit auözugeben, als irgend möglich ist; sie wird jetzt billiger geleistet werden, als später, wenn wir wieder einen Aufschwung der Industrie- und Gewerbetätigkeit haben. Da die Erledigung des Zolltarifs und des Etats die Kraft des Reichstags reichlich in Anspruch nimmt, werden andere große Aufgaben ihm kaum zu lösen gegeben werden. Doch gilt es für wahrscheinlich, daß ihm die Revision deS Militärpensionsgesetz es zugehen werde. Die Verabschiedung des Kinderschutz gcsetzes wird ihm besondere Schwierigkeiten wohl nicht machen. Die Abhaltung des Kolonialkougresscs veranlaßt die „Freisinnige Zeitung", in bekannter Manier gegen die „Kolonialschwärmerei" zu wettern und eine Lanze dafür zu brechen, daß der deutsche Steuerzahler im Punkte der Kolonialpolitik das Recht auf „Müdigkeit" habe. Der Angelpunkt der Ausführungen des Nichterschen Organs ist wie gewöhnlich: „das bischen Handel" Deutschlands mit seinen Kolonien, der Hinweis darauf, daß dieser ganze Handel noch nicht ein Drittel eines einzigen Prozents vom Werte des gesamten deutschen Warenaustausches mit dem Auslände darstelle re. Auf das hier geltend gemachte Wertverbältnis hat auch die freisinnige „Vossische Zeitung" seinerzeit hingewiesen. Aber das genannte Organ der freisinnigen Volkspartei zog tictzdem ganz andere Schlüsse, als das Blatt des Henn Richter, indem es in der Nummer 345 des Jahrgangs 1901 u. a. wörtlich schrieb: „Ter Handel (Deutschlands) mit den Schutzgebieten hat jetzt ungesäbr die selbe Bedeutung für Deutschland, wie im Jahre 1888 der Handel mit China batte, der sich seitdem in der Einfuhr vervierfacht, in der Ausfuhr verdoppelt hat. Würde sich der Hantel mit unseren Schutzgebieten auch nur in derselben Weise wie mit China entwickeln, so würde in zwölf Jahren die Einfuhr von dort einen Wert von 27 Millionen Mark, die Ausfuhr dorthin einen Wert von 48 Millionen Mark verzeichnen. In Wirklichkeit ist aber ein weil stärkeres Wachstum zu erwarten." — Zu solcher Annahme berechtigte die „Vossische Zeitung" ein Vergleich des Warenaustausches im Jahre 1900 mit dem im Jahre 1899. Danach war die gesamte Einfuhr (Kiautschau, als 1899 noch zu China gezählt, außer Betracht gelassen) im Jahre 1900 dem Gewichte nach um 64 Prozent, dem Werte nach um 30 Prozent gestiegen. Tas Organ des Herrn Richter kümmert sich ru seiner Auf fassung von den deutschen Schutzgebieten um solche Zahlen nicht. Daß das Gegenteil in anderen tonangebenden Organen der freisinnigen Volkspartei geschieht, ist deshalb doppelt er freulich. Je weniger „Kolonialschwärmerei" bei der „Vossischen Zeitung" vorausgesetzt werden darf, desto wirksamer in ihre Beurteilung Les Warenaustausches zwischen Deutschland und seinen Schutzgebieten und seiner Zukunft. Der Generalstreik i» Genf, der rascher beendet worden, oder besser, gescheitert ist, als man glauben konnte, hat die Well eine merkwürdige Beobachtung machen lassen. Das Erste, was die dortige republikanische Re gierung nach Ausbruch deS Ausstandes lat, war, daß sie fremdländische Arbeiter auSwieS, und nicht in geringer An zahl. Diesem Akte ließ sie die Bekanntmachung folgen, daß alle Ausländer, die wegen Ruhestörung verhaftet worden seien, ohne weiteres ausgewiesen würden. Das Eine wie das Andere mag praktisch gewesen sein und war jedenfalls nicht unberechtigt. Aber die gezeigte Energie steht in einem merkwürdigen Kontrast zu der Nachsicht gegen schwerere verbrecherische Absichten schwer ver dächtigter Ausländer, eine Nachsicht, deren sich die Schweiz lange befleißigt hat und die sie noch heute vielfach übt. Es ist doch merkwürdig, daß men einem Streik und Krawallscenen gegenüber die Nützlichkeit und Dringlichkeit von Präventivmaßregeln bereitwilliger anerkennt, als dort, wo es sich um Verschwörung handelt, die innerhalb kurzer Zeit die Ermordung zweier republikani scher Staatsoberhäupter, eines Königs nnd einer harm losen Frau, herbeigesührt haben, gegen die auch ein Anarchist keinen anderen Vorwurf erheben konnte als den, daß sie die Gattin eines Monarchen gewesen sei. Zum Schau platz dieser letztgenannten und entsetzlichsten aller Uniaten ist bekanntlich gerade Genf ausersehen gewesen, aber auch nach > ihrer Verübung hat die Schweiz nicht alles getan, was sie > zum Zwecke der internationalen Ueberwachung der unheim- I lichen Meuchlerbande hätte tun können. Europa, ins besondere Italien, bat zweifellos noch beute ein Recht, sich über die Zurückhaltung der Schweiz in Bezug auf die Aus weisung fremder Anarchisten zu beklagen. Mit der Redens art von der „Heiligkeit des Ajylrechts" wird sich die Republik und werden sich die einzelnen Kantone nun nicht mehr ausreden tönuen, nachdem die Genfer Regierung sich ibrer Abschiebungs rechte so ausgiebig in einem Falle bedient hat, in dem die Abschiebungs p f l i ch t nicht im entferntesten so dringend war, wie sie es gegenüber dem Mordbuben von der „Pro paganda" der Tat ist. Ruhestörungen bei großen und gar allgemeinen Arbenseinstellungen können recht bedrohlich sein, aber ihre Gefährlichkeit für die Mensch heit und auch für das betroffene Territorium ist doch gewiß geringer, als der mit Dolch und Revolver hantierende Anar chismus. Nachdem ein so demokratischer Kanton wie dcr Genfer rasch bei der Hand war, das Instrument der Ausweisung ausgiebig zu gebrauchen, wird die Schweiz nicht mehr mit grund sätzlichen .Hindeutungen die Entfernung von Anarchisten in zweckdienlichem Umsang abweisen können. Täte sie es den noch, so würde das Wort von dem „wilden Lande" in wenig ehrender Verbindung mit einem Hinweise auf den „prak tischen Sinn" der Schweizer neu auslcben. Von Zeit zu Zeit sieht sich irgend ein sozialdemo kratische r Führer veranlaßt, den Eintritt des großen „Kladderadatsch" in nahe nnd sichere Aussicht zu stellen und, da cs selbst den gewandtesten Partciagitatoren immer schwerer wird, angesichts dcr zweifellos recht erträglichen Lage besonders dcr deutschen Arbeiter das Schreckgespenst der „grauen Wirklichkeit" heraufzubcschwören, statt dessen des Lebens goldenen Baum den andächtigen Zuhörern zu schildern, der im sozialdemokratischen Znkunftsstaat dem Boden der allgemeinen Gleichheit nnd Brüderlichkeit ent wachsen werde. Glücklicherweise ist das deutsche Land und Bolt von den Segnungen dieses sozialistischen Pro duktes noch verschont geblieben, doch bietet eine Reihe snmptomatischcr und lehrreicher Vorgänge in anderen Ländern Gelegenheit, die Ucbcrtragung der sozialdemo kratischen Zttknnftsidcen in die Praxis kennen zu lernen und von dem nivellierenden und depraviercnden Charakter dieser „Staatsidee" eine Vorstellung zu gewinnen. Be kannt sind die Mißerfolge und die ungeheuerlichen Schädi gungen auf alle» Gebieten des öffentlichen Lebens, die in der Gemeindeverwaltung von Marseille und im austra lischen Staate Viktoria infolge dcr sozialdemokratischen Herrschaft zn Tage getreten sind. Es wird viele Jahre hindurch mühevoller Arbeit und schwerer Opfer des nicht- sozialdcmvkratiichen Teiles der Bevölkerung bedürfen, um wieder gut zu machen, was die sozialistische Mißwirtschaft verschuldet hat. Diesen Beispielen reiht sich würdig an die Geschichte der städtischen Verwaltung des 250 000 Ein wohner zählenden Londoner Vorortes West- Ham, die bis vor nicht langer Zeit in den Händen einer sozialdemokratischen Mehrheit war. Ehe die dortigen Sozialisten, die zum ersten Riale 1890 nach dem AuSstand dcr Dvckarbeitcr in das Ratskvllcgium cingczvgcn waren, diese Mehrheit erreichten, versprachen sic ihren Wühlern goldene Berge, ohne zumeist, als sie ihren Zweck erreicht hatten, sich ihrer Versprechungen zu erinnern. Vielmehr benutzten sic ihre Stellung und ihren Einfluß, um Mit glieder dcr Vertretung der Bürgerschaft durch Zuweisung einträglicher Stellungen zu gewinnen und so ihre eigene Position zu befestigen. Anderseits übertrugen sie den in der Partei geübten Terrorismus auf ihre amtliche Tätigkeit, indem sic jeden ihrer Freunde oder Schützlinge, der eine Anstellung im städtischen Dienst oder eine reiche Pfründe erhalten sollte, in einer Beratung der Partei genossen, die der jedesmaligen über derartige Angelegen heiten beschließenden Sitzung der städtischen Behörden voraufging, auf das sozialistische Programm verpflichteten und bei Betätigung gegensätzlicher Gesinnungen seine so fortige Entlassung bewirkten. Doch genügte den „Ge nossen" dieser passive Gehorsam ihrer Anhänger nicht. Für jede öffentliche Sitzung der städtischen Kollegien wurde eine Anzahl der städtischen Arbeiter dcr untersten Klasse, die ebenfalls ihre Beschäftigung den Parteigenossen! vcr dankten und sich einer achtstündigen, oft auch nur sechs stündigen Arbeitszeit „erfreuten", ausdrücklich bestimmt, nm durch „spontanen" Beifall ihrer Erkenntlichkeit Aus druck zu geben nnd so die Sache ihrer „Wohltäter" zu unter stützen. Die erschreckenden Folgen dieser Amtsführung zeigten sich aber auf finanziellem Gebiete. Als der Wahl sieg dcr bürgerlichen Kandidaten der sozialistischen Wirt schaft ein Ende machte, war die Anleiheschuld der Ltadt um rund 38 Millionen Mark gestiegen. Gewiß ein untrüglicher Beweis für den tatsächlichen Zwiespalt zwischen sozial demokratischer Theorie und Praxis. Die Vermittelung des Präsidenten Roosevelt zwischen den amerikanischen Kohlenarbeitern und den Grubenbesitzern ist von beiden Seiten abgclehnt worden, nachdem die Grubenbesitzer sich geweigert haben, auf die von dem Arbeiterführer Mitchell geforderte schiedsrichter liche Entscheidung einzugehen. Seit fünf Monaten währt ttttiimehr der Ausstand, und während die Arbeiter er klären, sie könnten cs den ganzen Winter durch aushalten, bekunden die Bcrgwcrkseigner den Willen, den Kampf bis zum äußersten durchzusührcn, ehe sie in dem Kardinal punkt der ganzen Frage, der Anerkennung der Arbeiter- Union, nachgcben, da sie Herr im eigenen Hause bleiben wollen. Tic Folgen dieses langwierigen Streiks machen sich nachgerade aber nicht nur in den Vereinigten Staaten in einer empfindlichen Kvhlennot geltend, welche angesichts des herannahendcn Winters doppelt schwer cmpfnndcn wird. Sie tragen vielmehr auch zu einer Verschärfung der aus dem amerikanischen Wirtschaftsleben gegenwärtig lastenden Geldspannung bei. Tenn die umfangreichen Lieferungen englischer Kohle, welche auch in England bereits auf ein Steige« dcr Preise hinwirkten, vergrößern die ohnehin bedeutende Verschuldung der amerikanischen Union an Europa, erschweren Goldzuflüssc nach Amerika nnd entziehen dem New Aorker Geldmarkt weitere Mittel, die für die an das Schatzamt zu entrichtenden Zölle für den gesteigerten Import erforderlich sind. Aus diesen un erfreulichen Begleiterscheinungen erklärt sich die vielleicht auffällige Tatsache, daß der amerikanische Kohlenarbeitcr- ausstand so geringen Einfluß auf die Kursbewegung der heimischen Bergwcrkspapierc gewinnen konnte. Denn gegenüber dem Schaden einer allgemeinen wirtschaftlichen Krisis in Amerika, auch für die europäischen Länder, tritt der Gewinn, welchen die englische und deutsche Kohlen industrie aus der amerikanischen Nachfrage für Kohle er zielen könnte, stark zurück. — Wir erhalten noch folgende Meldung: * Nclv Aork, 13. Oktober. Zuverlässig verlautet, der Sekretär des Kriegsamtes Rost sei am Sonnabend vom Präsidenten Roose- Feiiilletsn. Compania Cazador. 12j Roman von W o l d ema r Ur b a n. N-a-rrnck verbeter. Dann war dieser stumme, verbissene Kampf zwischen Vater und Sohn gekommen, der nun schon so lange Monate währte. Sein eigener Vater suchte dem jungen Rechtsanwalt die Klienten abzutrcibcn und seine Stel lung zu ruinieren, um ihn zu zwingen, zurückzulehrcu und wieder klein bcizugcbcn. Er setzte ihn im Kreise seiner Klienten herab, machte ihn verächtlich, um das Ver trauen seiner Kundschaft zu erschüttern, prozessierte selbst gegen ihn — cs war toll, und die halbe Stadt rieb sich vergnügt die Hände: Im Gerichtssaalc stand Habicht I gegen Habicht ll, nicht einmal, sondern in letzterer Zeit immer häufiger. Als alles nicht zog, wollte Habicht I das Uebel an der Wurzel ausrvtten und setzte die Intrige gegen Isa in Scene, die mit deren Ausweisung enden sollte. Es half alles nichts. Sein Sohn zertrcuztc seine In trigen, verbürgte sich selbst für das Lumpengesindel, das er auf dem Jahrmarkt aufgestöbert, und das nun, wie Habicht I auuahm, auf Kosten seines Sohnes lebte. Da bei machte dieser selbst Schulden. Lein Vater wußte, daß er seine Möbel, mit denen er die neue Wohnung aus gestattet, auf Pump genommen und auch Bargeld geborgt hatte. Aber er lief seine Straße weiter, und statt daß er weich werden sollte, wurde sein Vater müde und alt. Habicht I war in -en wenigen Monaten um viele Jahre gealtert, und wenn er, was früher nie geschehen, jetzt stundenlang einsam in seinem Bureau saß, den Kopf in die Hand gestützt, den Blick starr und sorgenvoll vor sich ins Leere gerichtet, so zeigten sich ans dem sonst so glatten, rvvhlgcpflegtcn und selbstgefälligen Gesicht graue Falten nm den Mund und nm die Augen. Leine Haut wurde sonderbar trocken und spröde, sein Appetit war ihm ver gangen. Er aß fast nichts mehr, und sein Temperament verfiel in gleicher Weise und erschreckend schnell wie sein .Körper. Langsam und mit gesenktem Kopse schritt der Rechts anwalt durch den Garten, nach dem Haufe. Als er die kleine Vortrcppe hinaufstieg und er in das Vestibül ein trat, sah er dort einen großen, noch ganz neuen Reisckoffer stehen. Verwundert sah er das Ding an. Eine unange nehme Idee zuckte ihm durch den Kopf. Wollte jemand ver reisen'? Oder war jemand angekommen'? Er trat näher und hob den Koffer an einer dcr Tragen etwas empor, um zu fühlen, ob er voll oder leer war. Er war sehr schwer, also voll. In demselben Augenblick öffnete sich die Salontür und Fräulein Hedwig steckte neugierig deu Kopf heraus. Als sic aber ihren Vater bemerkte, wollte sie sich rasch und unbe merkt wieder zurückzicyeu. Es sah aus, als ob sie Angst vor ihm habe. „Hedwig!" rief ihr der Rechtsanwalt laut und herrisch zu. Schüchtern und zögernd trat das junge Mädchen nun vollständig heraus. „Was soll ich, Papa ?" fragte sic ängstlich. „Wem gehört der Koffer?" „Luisen." „Was soll er hier'? Will Luise verreisen ?" »Ich — ich weiß nicht, Papa", antwortete Hedwig un sicher. Dann, als sic sah, daß ihr Vater weitcrging und sich nicht mehr um sie kümmerte, schlüpfte sic hinaus in den Garten, offenbar froh, von weiteren Auseinandersetzungen mit ihrem Papa verschont zu bleiben. Im nächsten Augenblick stand dcr Rechtsanwalt mit einer gewissen Erregung vor seiner Frau, die er im Salon traf, wo sie auf einem Stuhl in ein Buch vertieft saß. „Was soll denn das heißen ?" fuhr er auf. „Wohin will denn Luise'?" Fran Gertrud erhob sich sofort ernst und mit einer energischen Entschlossenheit. „Nach Straßburg, zu meiner Schwester Charlotte", antwortete sie. „So?" rief er ironisch, „zu deiner Schwester Charlotte! Die Sehnsucht nach deiner Schwester Charlotte, die sic nie gesehen, ist wohl sehr groß?" „Das weiß ich nicht. Luise hat mich gebeten, ihr diese Reise zu gestatten, »nd ich habe das getan. Sie reist morgen früh acht Uhr zwanzig ab." „Sic bleibt hier!" unterbrach sie dcr Rechtsanwalt heftig. „Ein junges Mädchen gehört ins Hans nnd nicht auf die Reise." „Ja, aber nicht in eine Gruft, wie du sie aus diesem Haus gemacht hast." „Eine Gruft!?" „So sagte ich. Ich wünsche, daß meine Tochter in meiner Art Welt und Leben sieht und kennen lernt. Deshalb fährt sie morgen früh nach Straßburg." Ueberrascht durch diese ungewohnte Festigkeit seiner Frau, sah der Rechtsanwalt sie einen Augenblick an. „Aber du weißt doch ebcuso gut wie ich, daß deine Schwester Charlotte nur ein Borwand ist und Luise doch nur nach Straßburg will, um ihren Ritter von dcr traurigen Gestalt wieder zu scheu, der nicht einmal Mann genug ist, eine Frau heiraten und eine Familie ernähren zu können ?" fuhr er dann ans. „Und das erscheint dir als eine Sünde?" „Ach was Sünde! Es sind Dummheiten, die ich nicht dulde." „Auch Dummheiten sehe ich darin nicht, wenn Luise da oder dort einmal mit Hauptmann von Wehlen zusammen trifft nnd in gesellschaftlicher Art mit ihm verkehrt. Ich habe schon an Charlotte geschrieben. Sie weiß alles, und ich bin auch überzeugt, daß Luise das Vertrauen, das ich durch die Bewilligung dieser Reise in sic scye, in keiner Weise täusche» wird." »Ich " „Jawohl, immer du!" unterbrach ihn Frau Gertrud mit lang verhaltener und nun plötzlich gewaltsam hervor brechender Heftigkeit, „ich, ich und immer ich! Und um die andern kümmerst du dich nicht. Daß Luise seit Monaten verhärmt und bleich im Hause hcrumsitzt, sichst du nicht." »Ick, - „Du hast mit deinem ewigen Ich deinen Sohn zum Hause hinauSgcjagt und Zank und Streit in dcr Familie entfacht. Weißt du, was daraus entsteht? Weißt du, an welcher Stelle ei» solcher wüster Jnteresscnkampf Halt macht ? Du opferst in deiner Selbstsucht nicht nur daS Glü.k fremder Menschen, indem du ihre Interessen in deine selbst süchtigen Berechnungen ziehst, du opferst auch die Existenz deiner eigenen Kinder und selbst dich, von mir gar nicht zu reden. Tein Egoismus ist eine Leidenschaft, die vor nichts stehen bleibt, wie jode andere auch. Uivd was hast du erreicht, Lorenz? Siche in den Spiegel!" Diese Worte stieß Frau Gertrud hastig und ängstlich hervor, als ob sic schon längst in ihrem Innern fertig damit gewesen und nur auf eine Gelegenheit gewartet habe, sie ihm zu iagen. Aber sie machte gleichwohl keinen besonderen Eindruck damit. Ihr Mann zuckte verächtlich mit der Schulter, als ob er über diese Weiberweiöhelt längst er haben wäre und nicht nötig finde, aulf ihre Erörterungen I cinzugehen. Nur war ihm unangenehm, daß seine Frau I gerade jetzt wieder einmal so obstinat wurde. Er hatte gerade jetzt mehr als je mit anderen Sachen zu tun und hätte gern zu Hause Ruhe gehabt. Zufällig ging er aber bei den letzten Worten seiner Frau an einem Spiegel vor über und sah hinein. Er fand sich sehr gealtert und schwieg betroffen, obwohl ihm seine Frau durch eine Pause Gelegen ycit zn einer Erwiderung ließ. Erst nach einer Weile zuckte er wieder mit den Schultern und warf kurz hin: „Bah! Andere Leute werden auch alt." „Gewiß, Lorenz", fuhr seine Frau ruhiger, aber gleich wohl nachdrücklicher fort, „wir alle werden alt, gebrechlich und hilflos und sind dann wieder wie in unserer Kindheit ans die Liebe und Sorgfalt unserer Nächsten angewiesen. Glaube doch nicht, daß das Geld, dcr Reichtum, den du mit so schweren Opfern errungen hast, dir die Liebe eines Kindes oder anch nur die Achtung oder das Mitleid dcr Menschen ersetzen kann. Im Gegenteil, man wird auf deinen Tod lauern, um sich in deinen Raub zu teilen — und ibn vielleicht gar verbrecherisch beschleunigen " „Halt' den Mund!" fuhr er plötzlich grob und heslig auf. Sie hatte ihn offenbar an einer wunden Stelle be rührt. „Tn weißt wohl, Lorenz, denn du kennst das Leben besser wie ich, daß du nicht der Erste sein würdest, der in seinem Alter so furchtbare Erfahrungen machen mnß, der sich am Ende seiner Tage sagen muß: du hast umsonst gelebt, dein Leben war versebll. Du weißt auch, wie bitter eine solche Hefe im Lebenskelch ist. Die Kindheit und das Alter des Menschen sind wie Lehren, die nur zeigen sollen, was denn eigentlich au dem berühmten „Ich!" ist. Ein armes, schwächliches und gebrechliches Ting, ein Scherben, dcr in dcr Lonne glitzert und abends wieder in Dunkel versinkt. Und deine Sonne scheint nicht einmal hell. Die Achtung und Anerkennung dcr Menschen, die Liebe der Kinder und Angehörigen, das sind die Lichter, die das Leben er hellen, den Scherben glitzern laßen. Wer sic vernachlässigt, vernachlässigt sich selbst. Das „Ich" ist kein abgeschlossenes Ganzes, sondern eS saugt seine 'Nahrung aus der Cicmcin- samkcit. Die Familie, daS Gemeinwohl, das Vaterland sind sein Acker, Liebe, Opferwilligkeit, Arbeit, Patriotis mus sind seine Wurzeln seine Sonne!" „Geh' in die Küche und mache das Essen", befahl er barsch, „von deinen Redensarten wird niemand satt." Flüchtig und prüfend sah sie ihn an, wie er müde und seuszend in einen Sessel fiel. Sie kannte ihn doch genau
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