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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021018025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-18
- Monat1902-10
- Jahr1902
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Um 8 Uhr sollte die Versammlung beginnen, um 5 Uhr zogen schon die ersten Polizeiabteilungen heran, die das bereits in der Bernburger Straße sich ansammelnde Publikum zerstreuten und die Straße von Dessauer dis zur Köthener Straße ab sperrten. Allmählich wurde die Polizei so verstärkt, daß wohl an 200 Schutzleute am Platze waren, die nur Karten inhaber durchlieben und so für bequemen Durchgang der Versammlungsbesucher sorgten. Dadurch kamen freilich die kartenlosen Boerenfreunde, die gehofft hatten, die Anfahrt der Generale zu sehen, nicht auf ihre Rechnung. Allmählich füllte sich der große Konzertsaal in der Philharmonie. Tas Konzertpodium war für den Ausschuß und die Generale reserviert. Etwas erhöbt saßen die Vertreter der Presse, die so zahlreich erschienen waren, daß der Platz nicht aus reichte. Von der Decke herab wehte ein riesiges deutsches Banner mit dem Reichswappen, zur Reckten das umflorte Oranjefreistaat-Banner, zur Linken umflort das Banner Transvaals. Im Künstlerzimmer batte sich inzwischen ein Berg von Lorbecrkränzen, grünen und goldenen angcsammelt, dazu zahlreiche Depeschen und Begrüßunqeschreiden. Der Saal war bis auf das letzte Plätzchen angesüllt. Angehörige aller Gesellschaftsklassen waren gekommen. Um 8>/i Uhr kündeten taute Ruse von draußen Vas Nahen der Generale. Kurz darauf betraten sie den Saal. Zn diesem Augenblicke setzte machtvoll die Orgel ein (gespielt vom Organisten Irr gang von der Heiligkreuzkirche), man erhob sich von den Sitzen, schwenkte mit Tüchern und brach in donnernden Beifall ans. Dankend neigten sich die Generale Botha, Dclarey und De Wet nach allen Seiten. Während sie sich setzten, stimmte ein Männer- cko- S".S einem Palmenbain den deutschen Gruß an: Gott grüße Dick! von Mücke. Dann ergriff der Vorsitzende Landtagsabgeordneter Direktor Lückboff das Wort, brachte ein Hoch auf den Kaiser aus, an daS sich der Gesang der Nationalhymne schloß und kielt dann die Eröffnungsansprache. Nicht gekommen sind die Generale, um Anklagen zu erheben gegen die Nation, mit welcher sie und ihre Armeen 2^4 Jahre lang in blutiger Fehde gelegen, nicht Betrachtungen anzustellen, auf wessen Seite Recht oder Unrecht liegt, nicht, um mit prophetischem Blicke die politische Gestaltung ihrer ehemaligen Republiken zu ergründen. Nein! Sie wollen den gesamten deutschen Volke Dank sagen für die erzeigte Liebe. Dann feierte der Redner den Heldenmut der Generale und deS ganzen Volkes. Wir haben deshalb nickt An stand genommen, ihre längst begrabene Fahne wieder Hervorzubolen, sie zum Beweis innigen Mitgefühls mit dem Zeichen der Trauer zu versehen, aber auch in Anerken nung und Bewunderung rhrer Tapferkeit, ihres Heldenmutes mit Lorbeerkränzen zu schmücken. (Stürmischer Beifall.) Sv stehen sie vor uns als die sich Unterwerfenden, aber als Un besiegte (Stürmischer Beifall), als Gebeugte, aber nickt Verzagende, als Gedemütigte, aber ausichauend zu den Bergen, von welchen sie Hülfe ersehnen, von welchen ihnen auch dereinst Hülfe kommen wird, und fest vertrauend auf Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, getrost in die Zukunft schauend, als Männer und Helden, die ruhig das Urteil der Weltgeschichte über sich ergehen lassen können. Auf den ruhmvollen Blättern der Geichichte wird auch ihre Kriegsweise als mit einer Menschlichkeit und edler hochherziger Gesinnung geführt verzeichnet stehen, die ihnen nach unserer Meinung ost zum Nachteil gereicht hat, aber allen civilisierten Volkern zum Vorbild dienen sollte! (Stürmischer Beifall.) Dann gedachte der Redner unter Beifall Krügers, Steins, der Boerenkricger und auch der tapferen Boerenfrauen und richtete zum Schlüsse eine warme Begrüßung an die Generäle, die fort und fort der Gegen stand begeisterter Huldigungen waren: In den Naam van ons Verzameling, in den Naam van bet deutse Volk hartelüd Willkomm in der Hofstadt von ons Vaderlanv! (Donnern der Beifall.) Dann trat General Luis Botha vor und nahm das Wort zu einer holländischen Ansprache, die zwar vielfach im Saale verstanden und bejubelt, die aber trotzdem von dem bekannten Dolmetscher Pastor Ludwig Schowal ter noch übersetzt wurde. Botha, dessen hohe, kraftvolle Gestalt be wundert wurde, sprach ruhig und leidensckastSloS, aber ein dringlich und sehr wirkungsroll. Es tut mir leid, sagte er, daß ich nicht Ihre Sprache reden kann, wir Afrikander gehören ja zu den „Dummen", die nicht viel Sprachen lernen. (Heiterkeit.) Es ist für uns leichter, die Position eines Feindes zu stürmen, als vor solch großer Versammlung zu sprechen! (Donnernder Beifall) Ich danke Ihnen sür diesen, ick kann wirklich sagen, kolossalen Empfang, dem Sie uns in Berlin bereitet haben. Wir danken Ihnen für alles, was Sie an uns getan haben, durch Sympathie, wie auch Gaben. Heute dursten wir die Frauenhände drücken, die sür uns gearbeitet haben. Das war uns ein besonders erhebender Augenblick. Dank allen, allen! Ich denke beule auch an die Deutschen, die in unseren Reihen sür uns gefochten, für uns sich haben verwunden und toischießen lassen. Deutschland kann stolz sein aus sie! Sie haben sich ausgezeichnet gehalten und es lat uns web, beim Friedensschlüsse ihnen nickt einmal das Geld zur Uebersahrt geben zu können. ES ist heute so freund lich deS Präsidenten Krüger gekackt werden. Er bat schwer gelitten dnrch den Krieg. Er konnie nicht mit uns gehen, er mußte hinüber nach Europa. Und was stand in den Zeitungen? Er sei mit den Millionen aus gerissen! (Lebhafte Pfuirufe.) Ich kann als Mitglied der Negierung und als Mann die Versicherung geben, daß diese Redereien absolut unwahr sind. (Lebhafter Beifall.) Krüger hat unö noch 40000 Pfund geborgt von dem Erlöse seiner Farm! Leider Hal man diese Schuld nicht als Staatsschuld anerkannt und zurückgezahlt! (Pfui!) Und da sagt man noch, Krüger sei mit Millionen duichgegangen? (Psui!) Ick will kein stärkeres Wort gebrauchen; aber eS ist eine Unwahrheit! (Lebhafte Zustimmung.) Als ich von Krüger von der portugiesischen Grenze zurückkehrte, sand ich schon die Pamphlete vor: legt nur die Waffen nieder; denn Krüger ist mit dem Staatsschatz geflüchtet und Botha liegt ernstlich krank in einem englischen Hospital! (Heiterkeit.) Nun, ick habe nie im Hospital unseres Gegners gelegen! (Dröhnender Beifall.) Sie haben auch den Präsidenten Stcrjn erwähnt. Er ist der Mann, er ist der Staats mann des Krieges gewesen, der bis ans Ende sestgestanren bat und nicht gewankt und gewichen ist. Und wenn Sie das Volk rühmen, das Wunder der Tapferkeit vollbracht bat; ich jage Ihnen: der Mann, der diesen Ruhm mit begründen half, daö war der Präsident Steijn! (Donnernder Beifall.) Steijn ist ein Opfer des Krieges geworden. Wenn ich an den Mann deute, so zittert mein Herz vor Wehmut. Der Krieg hat Dinge an den Tag gebracht, die keine civilisierte Macht je erwartet hat. Aber unser Volk hat alles geopfert in diesem Kampfe gegen die gewaltige Uebermackt. Ohne zu rühmen, darf ick doch sagen: wir haben alles getan, was wir konnten, um die Nation zu retten. (Dröhnender Beifall.) Aber wir haben auch dabei alles verloren, was wir hatten. Es wäre vielleicht noch länger gegangen; aber da kam die Politik der Weg führung der Frauen. (Pfuirufe.) Und 20 000 Frauen und Kinder mußten wir begraben. Wir haben er schütternde Briefe gesehen. (Ruf: Mordbrenner!) Da mußten wir uns Loch fragen: tun wir Recht, unser ganzes Volk auSsterben zu lassen? So kam es zu dem letzten schweren Schritt, bei dem selbst die fremden Völker fragten: wie war das möglich? Wir mußten ihn tun! Ich meine, unser Volk ist zu gut, um eS auSsterben zu lassen! (Minutenlanger Beifall. Botha muß fortwährend tanken.) Nun sind wir nach Europa gegangen, Hülfe zu suchen für all das Elend. Wir als Soldaten konnten nicht anders, als es für unsere Pflicht anschen, für die Brüder, die im Grabe liegen, Weiler zu kämpfen, nicht mit den Waffen, sondern mit dem Wort. Allein für diese treten wir ein, wenn wir hier stehen, als Bettler sür unser Volk! Oder sollen unsre Leute noch lange die Holzhacker und Wasser» iräger einer andern Nation sein? (Donnerndes Nein!) So kommen wir zu Ihnen: Helfen Sie unS! Unser Volk ist ein christliches Volk, das die Hände nicht lässig in den Schoß legt, voller Verzweiflung, sondern es will leben, hat Lebensenergie. Go>t wollte diesen Friedensschluß. Wir haben ihn geschlossen. Niemand wird jetzt von uns erwarten, daß wir ein Dokument unterzeichnet haben, das wir nicht halten wollen, oder das wir nicht so gemeint haben. Wir werden als Männer unsere Verpflichtungen halten. Und nun helfen Sie unS weiter. Mein Herz schweigt vor Hochachtung vor all dem, was das deutsche Volk schon an unS getan bat. In der Hoffnung, daß diese Sympathien nicht aushören, schließe ich! (Donnernder Beifall.) Delarey, ebenfalls mit einem Sturm der Begeisterung begrüßt, sagte u. a.: Der bittere Streit ist aus. Wenn je dunkle und ängstliche Augenblicke über mich gekommen sind, so war es nickt im Kampfe, als 40—50 Kanonenscklünde gegen unsere Häuflein den Tod ipien, sondern als der Friede geschlossen war, als unS das Volk mit hülseflebenden Augen aniah, als die Kiüppel und Witwen vor uns standen. Da ent stand der Auftrag für uns: gehl hinüber nach Europa und 'ammelt. Ich war nie in Europa und mir war bange: wußte ich doch nicht, daß so viele Millionen von offenen Armen sich uns entqegenstrecken würden. Aber wir sind überwältigt von dieser Liebe. Ich boffe ja, daß unsere neue Regierung helfen wird. Ich hoffe es. Aber trotz dem ist unsere Zukunft sehr dunkel. Doch unser Volk wird, wenn man ibm hilft, auch diese Feuerprobe bestehen, und so hoffen wir, wenigstens finanziell wieder ein unab hängiges Volk zu werden. Mit erneutem Dank und neuer Bitte schloß der General, der immer ernste Mienen zeigte und recht leise sprach. Auch jetzt wollte sich der Beifall nicht legen. Der Vorsitzende bat auch im Interesse der Gäste, gewisse kräftige Zwischenrufe lieber zu unterlassen. In einer Pause wurden Ansichtspostkarten und Erinne rungszeichen vertäust. Man drängle sich zum Podium und drückte den Generalen die Hand. Es war nicht leicht, wieder Ruhe zu schassen. Da begann die Orgel zu spielen und bald erklang der herrliche 23. Psalm von Franz Schubert: Gott ist mein Hirt. v. Riemann, der darauf das Wort ergriff, knüpfte seine begeisterte und begeisternde Ansprache an den Ehor- gesang „Der Herr ist mein Hirt!" an. Nach trüber Zeit habe der Psalmist die Summe seiner religiösen Er fahrung zusammengefaßt in das Bekenntnis: „Der Herr ist mein Hirt!" und sich zu der Gewißheit erhoben: „Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Dränger!" Das fromme Boerenvolk und seine Helden seien uns deshalb so bewundernswert, weil sie sich zu gleicher Gewißheit bindurckgerungen Kälten. Deulsche Männer und Frauen, rief der Redner in die Versammlung hinein, nicht wahr, eS ist doch so? Das wahre Heldentum erhält immer erst dann und da feinen herrlichsten VerklärunzSglanz, wenn eS und wo es durch die Feuertaufe der Leiden gegangen ist und sich bewährt auch unter dem Kreuz! Preußens große Königin Luise wäre niemals für unser preußisches Königshaus und Volk die Ahnfrau ohnegleichen geworden, wenn sie nickt gerade in den Tagen der tiefsten Demütigung unserer Königs- und unserer Volksfamilie ihre ganze Tugendstär ke und ihre ganze Dulder kraft und ihre ganze Heldengröße bewiesen bälle. Und unser seliger Kaiser Fiiedrich, die edle Siegfriedsgestalt, welchem Alldeutschland so entgegenjubelte, wo er auch auf dem Plan erschien, im Kriege und im Frieden, war doch erst da auf seiner größten Ruhmesböhe angelangt, als er leiden gelernt hatte, ohne zu llagen. Und der alte Ehrenobm Paul Krüger ist unö da erst am allerwertesten, wo er sür sein Volk betend und hoffend, auch die schließliche Katastrophe zitternd mit GotteS Willen reimt und nicht irre wird an der Liebes weisheit des Ewigen und auch nickt irre wird an der Zukunft seines Volkes. Und die Helden, die wir Keule hier feiern dürfen, die großen Boeren- generale Botha und Delarey und De Wet, deren Taten wir so begeisterungsvoll gepriesen haben, als der Draht unS immer neue Kunde von neuen herrlichen Beweisen ihres ur- wüchsigelrgermanischenHelkentuins krackte,sie sind unS da doppelt bewuuderungs- und rühmenswert, wo sie „als Bettler für ein unglückliches Volk" das Schwert mit dem Sammelbecken vertauscht haben und bittend durch die Lande ziehen und Gaben suchen sür ihr hungerndes Volk. Redner erinnerte dann an Ernst v. Wildenbruchs Worte: „Die Not, in die der Mensch gerät, weil er heilige Pflicht erfüllte, ist heilige Not!" und forderte in flammenden Worten auf, diese heilige Not keilen zu helfen, indem er schloß: Helfen Sie den Boeren! Ebren Sie das Volk und dessen Helden durch die Barmberzigkeitslaten Ihrer Liebe! Und unser Gott, der gioße Völkerhirte, segne eS und zeige dem frommen Boeren- volkc in dem Dunkel, welches über dasselbe hereingebrochen ist, die leuchtende Flammenschrift Seiner Liebe, daß es bei dem Glauben bleibt: „Der Glaube ist alles!" und den Glauben auch diesmal wieder in seiner Geschickte als stich haltig erprobt, den Glauben: „Der Herr ist mein Hirte!" Die Beifallsstürme wiederholten sich in verstärkter Weise, als sich gegen l0>/i Uhr zum Reden De Wet erhob. Direktor Lückboff versuchte durch lautes Klingeln Ruhe zu schaffen, was indessen nur schwer gelang. Immer wieder er tönten Hochrufe. Als endlich eine Pause cintrak, rief eine Stimme: „De Wet, der immer Gesuchte und niemals Gefundene!", was neue Heiterkeit entfesselte und neuen Jubel. De Wet sprach wieder am lebhaftesten, oft mit entschiedenen Handbewegungen begleitend. Auch er war voll Dankes für diese überwältigenden Gunstbezeigungen. Ich weiß nicht, wie hier bei Ihnen in Europa die Fürsten empfänge sind. Wenn sie aber noch angenehmer sind, als Feiirlleton. Compama Cazador. 16j Roman von Woldemar Urban. Nachdruck vkrdotcr. Unter den Wenigen, denen dies Glitzern im Ange weh tat, die ans Selbstsucht »nd Neid nicht zur Freude am fremden Glück kamen, war Fran von Tlicsscn nnd der alte Rechtsanwalt Habicht. Fran von Thcssen sah Isa mit dem neuen Präsidenten der Konkordia keine zehn Schritt von sich entfernt vorübcrgehcn, Arm in Arm. Welche schneidige Würde, welch strahlender Glanz von Iugendglück nnd Schönheit umgab das junge Paar! Fran von Thcsscn hatte unwillkürlich die Idee, das; die kurze Zeit, von der ihr der alte Herr' Habicht in Bezug auf das Verhältnis seines Sohnes zn der Spanierin gesprochen, sich noch recht lange ausdchnen könne. Habicht I sah das Paar auch vorübcrgehen. Seinen Sohn in einem ganz neuen, mit Seide gefütterten Frack, mit einem rvtscidencn Rcnommicrtaschcntuch in der Brusi- tasche und einer — der allerletzten Mode entsprechenden — roten, weit ausgeschnittenen Weste mit goldenen Knöpfen. Was das wieder alles kostete. Auch Isa knisterte vor lauter Seide. Wer mußte denn das nun schließlich alles bezahlen? Und sein Svhn sah ihn nicht einmal an! Er hatte keine Zeit, machte schöne und lächelnde Redensarten mit der Zigeunerin und bemerkte ihn im Gedränge wohl nicht einmal. Die Granatblüten, seine Granatblüten funkelten wie Feuer in dem blanschwarzcn Haar der kleinen Hexe. „Komm!" stieß er plötzlich rauh und heftig hervor, und gab seiner Tochter Hedwig einen unsanften Stoß. Seine Augen schillerten grünlich, sein Gesicht war bleich und welk -- der personifizierte Neid. Fräulein Hedwig sah erschrocken und ängstlich zu ihm auf. Sie hatte natür lich auch die Granatblüten im Haare Isas bemerkt und hatte die dunkle Ahnung, daß ihr jetzt wohl eine recht häßliche Viertelstunde bcvvrstünde. Aber sie gehorchte au'S Wort. Schließlich — so mochte sie sich sagen war es ja keine Sünde, was sic getan, nnd die Sache tonnte so schlimm nicht werden. Habicht I hatte genug von Konzert und Wohltätigkeit. Er ärgerte sich schändlich über die rücksichtslose Art seines SvhncS, über den cunischeu Egoismus, mit dem er sich — amüsierte, wo er doch wissen mußte, daß er damit seinen alten Vater im tiefsten Innern bekümmern mußte. Diese Verschwendung, diese skandalöse Liebelei, diese Vernach lässigung seiner Praxis, seiner wirtschaftlichen Existenz preßte seinem Vater Tränen in die Augen. Die Art, wie er alle Vorteile seiner Jugend und seiner robusten Gesund heit geltend machte gegenüber dem einsamen Alter seines Vaters, brachte diesen zur Verzweiflung. Was sollte er tun? Sollte er ihn unter Kuratel stellen ? Verstoßen ? Enterben? Ach Gott, der Skandal und der Stadtklatsch über Vater und Svhn war ja ohnehin schon groß genug. Und dann — es war sein Sohn! Sein leiblicher Svhn, das Resultat seiner Weltklughcit, wie er ihn gebildet und erzogen nach seinem eigenen Wesen. Wenn er aber nicht verstand, ihn zu zügeln, so konnte er sich das, waS kommen mutzte, aii den Fingern abzühlen. Er selbst würde ja schlietzlich sterben müssen, denn er war der Aelterc, und sein Svhn dann seine Zigeunerin doch heiraten und mit ihr verschleudern, was vom väterlichen Erbe etwa noch übrig war. Und deshalb hatte er sich geplagt und geschunden sein Leben lang ? Deshalb Neid und Mitzgnnst, Haß nnd Verachtung seiner Mitmenschen ans sich geladen? Deshalb war er nun alt und kal^ und einsam? Er sprach kein Wort unterwegs. Auch seine Frau und Hedwig sagten nichts. Sic sahen ja auf seinen Zügen, wie der Ingrimm und Zorn in ihm wühlte. Was sollten sie sagen ? Es war eine tvdcstraurige Heimfahrt in der vor nehmen und eleganten Karosse. Erst als sie zu Hanse waren, rief der Rechtsanwalt barsch und zornig: „Komm her, Hedwig!" Das Kind kam zitternd näher und stellte sich mit nieder geschlagenen Augen vor ihm ans. Die Tränen sickerten ihm durch die weichen, blonden Wimpern. „Du hast die Granatblütcn im GcwächShansc abge rissen?" fuhr ihr Vater mit leicht zitternder Stimme fort. „Ja, Papa", antwortete Hedwig leise und furchtsam. „Weshalb?" „Lorenz wollte sic so gern haben. Er bat mich so sehr, cS zu tun." „Du hast mit deinem Bruder gesprochen?" „Ja, Papa, zweimal. Er wartete auf mich, als ich aus der Schule kam." „Habe ich dir nicht jeden Umgang mit ihm aufs strengste verboten?" stieß er heftig hervor und schlug sic, vor Zorn seiner selbst nicht mehr mächtig, ins Gesicht. Hedwig wurde sofort leichenblaß, richtete den entsetzten Blick fragend auf ihn, als ob sie daran zweifle, daß sie vor ihrem Vater stände und brach dann, konvulsivisch zuckend, in die Worte ans: „Er ist doch mein Bruder!" Im selben Augenblick trat Frau Gertrud hinzu und nahm ihr Kind erschrocken in die Arme. „Komm, Hedwig", sagte sic liebkosend und weich, „sei ruhig. Ich will dich sicherstcllcn vor vor deinem Vater." Damit ging sic mit ihrem Kinde ans dem Zimmer. Mi nutenlang blieb der alte Mann ruhig stehen und blickte starr und finster vor sich hin. Nun war auch daS vorbei, dachte er. Hedwig war noch die einzige gewesen, in deren Augen er noch manchmal den warmen Glanz der Kindes liebe, das weiche unverfälschte Gefühl natürlicher und reiner Zuneigung gesehen. Sic war eben noch ein Kind. „Er ist doch mein Bruder!" hatte sie verwundert, wie irr an sich nnd der Welt gerufen. Das war der erste Protest, den er von ihr hörte, damit trat sie aus dem Kiudcsalter heraus, von ihm fort — zu ihrem Bruder. Immer und immer dieselbe Sache, wie bei den anderen. Alle traten von ihm zurück, seine Frau, Lorenz, Luise und nun auch Hedwig. War denn die ganze Welt verrückt? fragte er sich, oder — war cr'S ? Seine Frau wollte Hedwig vor ihrem Vater !u Sicher heit bringen, vermutlich auch nach Straßburg oder zu einer anderen Taute, oder gar — zu ihrem Bruder. Und dann » Dann war er mit seiner Frau in seinem schönen Hause, von dem kein Mensch etwas wissen wollte, in seiner — Gruft allein! „Allein!" stieß er endlich heftig und ärgerlich hervor und fiel mit einem schweren dnmpscn Fall, müde seufzend, in einen Sessel. Dreizehntes Kapitel. Isa hatte noch nie einen Ball gesehen, noch nie mit einem Mann getanzt. Als geborene Scvillanerin war sie natürlich in den Anschauungen ihrer Heimat groß ge worden, und dort kannte man den sogenannte» bnils I-'rn de» R»»dta»z, de» Herr und Dame gemeinsam ausführcn, mir dem Name» nach. Für Isa war der eigentliche Tanz der Bolero, die leidenschaftliche Flamenca, die graziöse Seguidilla mit den wilden und aufregenden Olö-Olö-Rufcn der Zuschauer. Zu dem Tanz »ach ihrem Geschmack gehörte» nicht nur die Küße, sondern auch die Arme, der Kopf, der ganze Leib. Sic begriff nicht, wie man tanzen konnte, wenn ein Mann den Arm um die Taille seiner Tänzerin legt und die Hand festhält, oder wohl gar damit geschmacklose Bewegungen macht. Es schien ihr unmöglich, einen Tanz auszuführen, wenn sic fortwährend jemand dicht vor sich hatte, der sie fcsthiclt, ihr alle Bewegungen Vormächte. Das konnte man einen Tanz nennen, wenn man wollte, aber cs war keiner. Auch diese Berührungen mit einem Manne waren ihr fatal. Sic kannte ja wohl, schon durch ihren Vater, das „ländlich sittlich" und wußte, daß Millionen Menschen durch Ge wöhnung und Erziehung dahin gelangten, in diesen Be rührungen nichts zu finden, was das Gefühl verletzte, aber sie hatte eben auch ihre Gewöhnung, ihr Sevillancr Blut, und sic ivar starr vor Staunen, als sic sah, wie eine junge Dame jetzt mit dem, gleich darauf mit einem anderen, daun mit einem dritten und vierten Herrn tanzte — ohne alles Arg! Und auch die Herren tanzten bald mit der und bald mit jener Dame und niemand schämte sich! DaS war sür Isa denn doch zu stark. Das ging ihr gegen das Gefühl, und sie war der Ucbcrzcugnng, daß sic daS nie in ibrem Leben fertig bringen würde. Das hätte einmal jemand in Sevilla riskieren sollen! Und wenn eS auch wahrend der lockeren Feria draußen vor der Stadt in den Zelten ge wesen wäre — man hätte ihn zerrißen. „ES geht nicht anders", sagte Herr Habicht II zu ihr. „um die Polonaise und den erneu WaUer kommen Sic nicht herum, Fräulein Isa. Nur Mur! ES ist mein Reckt und meine Pflicht als Präsident Er hatte bei Tiick etwas viel getrunken — er zählte die Gläser überhaupt daun nickt gern, wenn er trank — und nun ivar er um Jia mit einer beängstigenden Ausregung beschäftigt. Offenbar - so dachte Jia — hatte er sick heute abend etwas Vewndercs vvrgcnvmmen, und sie sah diesem Ereignis nick» obne Beklemmung entgegen. Was sollte sic tun, wenn er stürmischer nnd drängender wurde? Ihr Vaier hatte auch schon die ganze Zeit auf sic ein geredet. daß sie cs mit einem Gönner, wie Habicht junior, nickt verderben dürfe. Aber wenn sie sein erhitztes Gefickt, seine blitzenden Augen, sein nbcrlustigcS Wesen beob achtete, war ihr doch etwas ängstlich und zweifelhaft, ob sic die Grenze auch einhalten könne, bis zu der sic gehen konnte, ohne sich etwas zu vergeben. „Nichts leichter, als ein Walzer", plauderte er lebhaft, „und wenn Sic auch nie den Fuß zum Tanz angcsctzt
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