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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021016022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-16
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Erkra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 16. Oktober 1902. 9K. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Oktober. Den sozialdemokratischen Verschleppungsversuchen gegen über hat eS also gestern im Reichstage die Mehrheit doch durchgesetzt, daß schon heute nach einer kurzen Besprechung der Interpellationen über die Fleischteuerung die zweite Lesung der Zolltarifvorla gen begonnen wird. Damit verringert sich die Hoffnung der „Genossen", diese zweite Lesung selbst ungebührlich in die Länge ziehen zu können. Noch mehr aber dadurch, daß gestern der Zentrumsabgeordnete Bachem die sozialdemokratische Interpellation über die Be kämpfung der Arbeilsnot dazu benutzte, die Dringlichkeit des Zustandekommens der Zolltarifvorlagen nachzuweisen. Wärmer, als er dies tat, hätte eS kaum ein Vertreter der verbündeten Regierungen gekonnt. Damit ist erwiesen, daß wenigstens der größere Teil deS Zentrums bereit ist, zu diesem Zustande kommen beizutragen. Da Herr Bachem und seine Ge sinnungsgenosse» nicht im Zweifel darüber sein können, daß die verbündeten Regierungen von ihrer wiederbolt auf das entschiedenste kundgegebenen Stellung zu den Kommissions beschlüssen über die Minimalzollsätze nicht abgeben werden, so müssen die Herren auch geneigt sein, sich auf diese Sätze nicht zu versteifen. DaS war freilich vorauSzusehen und auS den Auslassungen der führenden klerikalen Blätter schon mit Bestimmtheit zu ent nehmen. DaS Zentrum darf, wenn es sich seine Position als ausschlaggebende Partei nicht verderben will, die Zoll tarifvorlagen nicht zu Falle bringen helfen und eS braucht sich seinen Wählern gegenüber nicht zu scheuen, sich mehr und mehr dem Regierungsstandpunkle zu nähern, da dieser die Mitte hält zwischen dem, was die klerikalen Landwirte einerseits und die klerikalen In dustriearbeiter anderseits fordern. Und endlich ist das Zentrum einer die Wählerschaft befriedigenden Belohnung für geleistete Dienste sicher, auch wenn ihm nicht die geringste Konzession in Aussicht gestellt wird. Der preußische Druck auf Baden in Sachen der Männerklöster beweist, daß man in Berlin mit Sehnsucht auf eine Gelegenheit wartet, sich das Zentrum noch mehr zu verbinden. Daran werden auch alle nationalliberalen Resolutionen und Proteste gegen Be günstigung deS Klerikalismus nichts ändern; denn man weiß an maßgebender Stelle, daß die Nalional- liberalen trotz solcher Begünstigung für alles eintreten, waS dem Reiche und den Einzelstaaten zum Vorteile gereichen kann. Konnte also das gestrige Eintreten deS Abg. Bachem für beschleunigte Fertigstellung der ZoUvorlagen nicht überraschen, so war es doch von Wert, da es noch vor Beginn der zweiten Lesung diesen Vorlagen eine erfreuliche Aussicht auf den Verlauf und den Schluß dieser Lesung eröffnet. Diese Aussicht wird noch verbessert dadurch, daß der konser vative und sehr agrarische Abg. Graf Kanitz, wie wir einem ausführlichen Berichte entnehmen, dem Zentrums redner zurief: „Herr Bachem, tun Sie das Ihre, daß der neue Zolltarif möglichst bald zustande kommt!" Nachdem ras Zentrum die „größeren Stiesel" resolut angezogen, wird auch der größere Teil der Konserva tiven einsehen, daß sie nicht Zurückbleiben dürfen. Werden die Klerikalen belohnt, so wird ja auch ein ost genug in der „Kreuzztg." laut gewordener konservativer Herzenswunsch er füllt. UebrigenS darf man aus den gestrigen Auslassungen des ultramontanen und des konservativen Redners noch nicht schließen, daß die zweite Beratung der Zollvorlagen in rasender Eile sich vollziehen werde. Gerade wenn Zentrum und Konservative in Bezug auf die Höhe der Getreidezoll- und die Bindung der Viehzoll-Sätze nachgeben, so werden sie bei anderen Tarifsätzen Forderungen stellen, über die sie unter einander und mit den verbündeten Regierungen sich nur schwer werden verständigen können. Immerhin ist eS ein Gewinn, wenn ihnen bei diesen Streitigkeiten mit ihren eigenen Worten zugerufen werden kann: „Tun Sie das Ihre, daß der neue Zolltarif bald zustande kommt!" — Nicht unbemerkt darf bleiben, daß trotz des Abschweifens auf die Zolltarisvorlagen die gestrige Fortsetzung der schon im letzten TagunzSabschnitte begonnenen Verhandlung der Interpellation über die Arbeitslosig keit nicht resultatlvS verlief. Wenigstens erfuhr man, daß die einzelstaalticken Negierungen um Erhebungen über die Lage des Arbeitsmaikles ersucht worden sind, daß die An gelegenheit eines allgemeinen Arbeitsnachweises wissenschaftlich aus Grund prak'ischer Erfahrungen geprüft und daß endlich auch von Re^ierungs wegen der Frage der Arbeitslosen versicherung näher getreten werden soll. Zu dem Anträge des Zentrums, die erwarteten Mehr erträge aus den festzustellenden landwirtschaftlichen Zöllen für Zwecke der Arbeiter-, Witwen- und Waisen- Vcrsorgung mit Beschlag zu belegen, hak sich bekanntlich der Reichskanzler anfangs günstig gestellt. Allmählich aber scheint er erkannt zu haben, daß die Mittel für die Be streitung der Kosten der gegenwärtigen Aufgaben des Reiches sich ohne die Heranziehung jener Mehrerträge schwerlich werden beschaffen lassen und daß auch noch andere Gründe gegen den Antrag des Zentrums sprechen. Wenigstens wenden sich heute die offiziösen „Berl. Pol. Nachr." gegen den An trag und fahren, nachdem sie dieses Bedenken hervorgehoben haben, fort: „Der Antrag ist von der Absicht diktiert, den Arbeitern sür die aus der Erhöhung der Zölle für Brotgetreide in Aussicht stehende Mehrbelastung einen Ausgleich dadurch zu gewähr.:,, doß die Mehrerträge aus diesen Zöllen nicht zu einer Finanzguelle gemacht, vielmehr zum Besten der Arbeiter verwendet werben, lieber Len Rahmen dieses an sich geschlossenen Gedankens gehl aber der Zenlrumsantrag weit hinaus. Es mag dahingestellt sein, ob selbst der Weizen als Brotsrucht sür unsere Arbeiter in vollem Sinn angesehen werden kann. Darüber ober kann Loch kein Zweifel bestehen, Laß Gerste, Hafer, Mais und sämtliche andere zu Futter- oder gewerblichen Zwecken verwandten GetreiLearten nicht unter Leu Begriff des Brotgetreides fallen und daß demzufolge auch sür die Erhöhung der Zölle auf diese Getreidearten nach Lein Grundgedanken des Zentrumsantrages selbst ein Ausgleich nicht erforderlich sein würde. Die Ausdehnung dieses Antrages auf alle Getreidearten, gleichviel, ob sie als Brotfrucht dienen oder nicht, ist an sich unlogisch und kann eine ernsthafte Kritik nicht bestehen. Es entspricht ferner nur dem Grund gedanken des Zentrumsantrages, über die Mehrerträge gewisser Zölle gegenüber ihrem jetzigen Ertrage zu gunsten der Witwen- und Waisen-Versicherung der Arbeiter Verfügung zu treffen, aber die Art, wie Liefer Gedanke in dem in der Tariskommijsion angenommenen Zenlrumsanirage verwirklicht werden soll, unterliegt jedenfalls begründeten Einwänden. Wenn danach dieser Mehrertrag von dem durchschnittlichen wirklichen jetzigen Ertrage berechnet werden soll, so wird übersehen, daß sür die künftige Gestaltung dieses Ertrages nicht allein die Zollerhöhungen maßgebend sind, sondern daß dazu auch der wachsende Konsum infolge der Zunahme der Be völkerung beiträgt. Will man daher denjenigen Betrag auS dem Ertrage der Zölle ausscheiden, welcher dem Mehrerträge aus den Zollerhöhungen entspricht, so wird man nicht von dem durch schnittlichen gegenwärtigen Ertrage im ganzen, sondern von dem Ertrage auf den Kopf der Bevölkerung auszugehen haben. Ter Mehrertrag, welcher künftig aus den Getreidezöllcn oder auS einem Teile derselben auf den Kopf der Bevölkerung gegenüber dem jetzigen Ertrage erwächst, stellt allein richtig die finanzielle Folge der Zollerhebungen dar. Es bedarf der näheren Darlegungen nicht, daß die eben geschilderten Ein wendungen gegen die Formulierung des Zentrums antrages die eingangs erwähnten grundsätzlichen Be denken noch erheblich verstärken müssen." Hoffentlich genügen diese schwerwiegenden Bedenken den verbündeten Regierungen, den Zentrumsantrag bei der Plenar beratung runvweg abzulebnen. Das Zentrum wird dann umsomehr darnach trachten müssen, daß das Reich durch die Erschließung neuer Einnahmequellen in die Lage versetzt wird, durch die längst als wünschenswert erkannte Arbeiter-, Witwen- und Waiscn-Versorgung seine sozialpolitische Gesetz gebung zu klönen. Der gegenwärtige Ausstand der französischen Gruben arbeiter, deren Zahl die Hunderttausend bereits über schritten haben dürfte und immer noch im Wachsen be griffen ist, muß als das Ergebnis einer Streikbewegung betrachtet werden, deren Anfänge bis zum Beginn des vorigen Jahres zurückreichen. Im März 1M1 legten die Kohlenarbcitcr von Mvntccau-les-MineS die Arbeit nieder, jedoch kam es nicht zu einem allgemeinen oder länger an dauernden Ausstande, da die von dieser Arbeitseinstellung betroffenen Gesellschaften den Ausständigen eine nicht un erhebliche Erhöhung ihrer Lohnbezüge gewährten. Damit war aber den Führern der sozialistischen Arbeiter Mld- den Arbcitcrsyndikatcn nicht gedient, sie erweiterten des-" halb ihre Forderungen in einem Maße, daß cs notwen digerweise zu einem neuen Zwiespalt zwischen Arbeit gebern und Arbeitnehmern kommen mußte. Auf dem Kon greß von Lens wurden der achsstündige Arbeitstag, die Gewährung einer Altersrente bezw. Pension von 2 Francs pro Tag nach Ablauf 25jähriger Tätigkeit, d. h. für ein Lebensalter von 38 bis 40 Jahren, und die Fest setzung eines Minimallohnes als die Bedingungen bc- zeichnet, unter denen die Arbeiter von Mvntceau die Arbeit wieder ausnehmcn wollten und die Proklamierung des Generalstreikes unterbleiben sollte. Da diese Be dingungen nicht erfüllt wurden und nicht erfüllt werden konnten, traten von den 160 000 französischen Gruben arbeitern am 28. April 30 000 in den Ausstand, 20 000 er klärten sich gegen den Generalstreik, trotzdem wäre dieser, zumal da diejenigen, die sich der Abstimmung enthalten hakten, als Freunde des allgemeinen Ausstandes angesehen werden sollten, tatsächlich proklamiert worden, hätten nicht die Mincnarbeiter von Montccau infolge der Erschöpfung sämtlicher Hülfsqucllcn die Arbeit wieder ausgenommen und damit sich gegen die weitere Ausdehnung des Streiks erklärt. Außerdem hatte die Regierung eine Kommission mit der Prüfung der Arbcitsverhültnisse in den Berg- werken beauftragt. Aber die an dem Fortgänge der Be wegung persönlich interessierten Führer ließen sich daher auch dadurch nicht abschrcckcn, sondern hielten nach wie vor an den Forderungen des Achtstundentages und der Altersrente fest, während die Frage des MinimallohncS angesichts der absolut ablehnenden Haltung des Mini steriums Waldeck-Rousseau vorläufig beiseite gelassen wurde. Es half auch nichts, daß der damalige Minister der öffentlichen Arbeiten eine Vorlage einbrachte, in der die Gewährung einer Pension im Betrage von 300 Francs befürwortet wurde, daß ferner die Kammer die allmähliche Herabsetzung der Arbcitsdauer auf acht Stunden ge nehmigte. Wiederholt, im März 1902 auf dem Kongreß von Alais und im September in Commentry, wurde mit der Proklamierung des Generalstreikes gedroht, ohne daß es jedoch zur Verwirklichung dieser Drohung kam. Nun mehr scheint cs allerdings, daß die Syndikate ihren Ein fluß genugsam erweitert haben, um dem Kohlenarbeitcr- streik eine dem allgemeinen Ausstande nahezu gleichwertige Ausdehnung zu geben. Aus Pretoria, Mitte September, wird uns ge schrieben: Die idealen Zustände, die sich unter der eng lischen Herrschaft im Transvaal cinstellen sollten, wollen noch immer nicht kommen; vielmehr macht sich die britische Verwaltung oft recht unangenehm fühlbar. Das Neueste ist die unter dem 29. August erlassene Verordnung, betref fend den Besitz von Waffen und Munition. Nach derselben sollen zwei Monate nach dem Inkrafttreten der Lrdinance alle Personen, mit Ausnahme der Militärs, der Polizei und der durch spezielle Erlaubnis (lieonso) Ermäch tigten, sämtliche in ihrem Besitz befindliche Waffen und Munition ablicfern. Ter speziell ermächtigte Besitzer eines Gewehrs darf nicht mehr als 200 Stück Äugel munition auf einmal führen. Die Erlaubnis wird nur auf beschränkte Zeit erteilt. Uebertretungen dieser Be stimmungen werden mit Gefängnis, mit und ohne schwere Arbeit, bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 250 Lstrl. bestraft. Wer Gewehre oder Munition führt und keine lieouso hat oder vorzcigen kann, kann sofort ohne „vserant" verhaftet werden. Der Gouverneur kann die er- Mlte Erlaubnis jederzeit widerrufen. Waffenvcrkauf bezw. -Reparatur darf nur an lieense-Bcsiyer stattfindcn. Jedes Wohnhaus oder Gefährt kann jederzeit auf Waffen durchsucht werden. Spezieller Erlaubnis vom Kolonial- Sekrctär bedarf cs auch bei Waffen- und Munitions-Ein fuhr. Im Zuwidcrhandlungsfalle können die eingeführ ten Waffen nach Ermessen des Gouverneurs konfisziert werden. Waffenhändler und Importeure bedürfen gleich falls besonderer Erlaubnis. Händler ohne Lizenzen und Leute, die Waffen an Personen ohne Lizenzen abgeben, können zu Gefängnisstrafen bis zu 3 Jahren mit und ohne schwere Arbeit und zu einer Geldstrafe bis zu 1000 Lstrl. verurteilt werden. Die Waffen- u. s. w. Händler müssen Buch führen über ihre Geschäfte und zweimal im Jahre der Behörde Rechenschaft legen. Unrichtige Eintragungen können mit Geldstrafe bis zu 50 Lstrl. ibcz. 3 Monaten Ge fängnis) belegt werden. Die Waffen- und Munitionsab gabe kann vom Gouverneur unter Zuziehung des Exe cutive Councils jederzeit inhibiert werden, über die ganze Kolonie oder einen Teil derselben. Waffen-Lizenzen kön nen auch an Häuptlinge von Eingeborenen erteilt werden. — Die Bestimmungen, betreffend die Einfuhr von Gütern nach Johannesburg haben neuerdings Erleich terungen erfahren. Danach ist sür die Einführung der meisten Gitter keine spezialisierte Ausstellung, sondern nur noch die Angabe des Gewichtes erforderlich. Nur für Spirituosen, Vieh, Fahrzeuge und Waffen und Munition werden noch umständlichere Nachweisungen verlangt. Feuilleton. Compania Cazador. 14) Roman von Woldemar Urban. Sinchrrrck verbcter. Elftes Kapitel. Fräulein Lore von Thesscn mar von der Welt nicht sehr erbaut. Ihre bevorzugte gesellschaftliche Stellung, die Vor nehmheit und der äußere Glanz, mit dem sie auszutrcten pflegte, machten ihr immer mehr und mehr den Eindruck von pompösen Theaterdekorativnen zu einem Stück, das nichts wert war. Wozu das alles? fragte sic sich. Mit einem gewissen Galgenhumor fügte sie sich ja den Anord nungen ihrer Eltern, die sie wie ein Schaustück hierhin nnd dorthin führten, ohne doch den gewünschten Erfolg zu erreichen. Niemand empfand vielleicht so scharf und bitter wie sic, daß der Luxus ihrer Lebensweise nicht gerecht fertigt war, da ihr Papa verschuldet war und immer mehr in eine schiefe Sicklung geriet. Wohin sollte das alles führen und was sollte schließlich aus ihr werden ? Ein altes Stiftfräulein, das die Welt sozusagen nur durch das Fernrohr sicht? Das war für ihr frisches und gesundes Naturell eine trübe Aussicht. Sic war nun bald dreißig Jahre und damit also an der äußer sten Grenze «»gelangt, an welcher eine junge Dame noch für eine junge Dame gelten konnte. Was dann, wenn auch diese Grenze überschritten war? Sollte sie wirklich mit ihrer ganzen Eristenz als Frau und Mädchen in den Maschen der Ävnvenienz hängen bleiben ? Wie beneidete sie die vielen Mädchen ans den anderen Ständen, ans den Bürger- nnd Arbeiterfamilien, die sich frisch fromm fröh lich frei verlieben und verheiraten durften, ohne daß von allen Verwandten nnd einer ganzen weitverzweigten Familie hochnotpeinliche Erörterungen darüber angcstcllt wurden, ob sich das auch schicke und standesgemäß sei. Schließlich handelte es sich doch in erster Linie nm sie! Wo blieb sie mit ihrem „Ich" in solcher Situation? Es war kein Wunder, daß Fräulein Lore mit der Zeil immer nachdenklicher, immer bedenklicher nnd spekulativer wurde, und cs war nur eine natürliche Folge, daß sic bei einem Besuche, den sie während der Ferien bei ihrem Onkel Exzellenz auf dessen Gute in Schlesien machte, eine kleine Sondierung riskierte. Ihr Onkel, der Ministerialrat in Berlin war, und den man sogar als kommenden Minister bezeichnet, hatte sic immer gern gehabt und sich unter der ordenbcdeckten Brust ein warmes Herz für sie und ihre kleinen Bedrängnisse bewahrt. „Laß hören, Lore, laß hören", hatte sie ihr Onkel er muntert, „nur heraus mit der Sprache." Er mochte ja wohl schon wissen, wo sic der Schuh drückte, und Lore schmeichelte und seufzte und meinte und erzählte so lange, bis ihr Onkel über ihre Situation nicht im geringsten mehr im Zweifel war. „Kamenz?" fragte er nachsinnend, „warte einmal, Kamenz! Natürlich ist er mit uns verwandt. Ich begreife deine Mutter nicht. Seine Großeltern stammen aus Schlesien. Ich besinne mich. Sic waren in der Nähe von Oppeln begütert." „Es handelt sich nicht um die Großeltern, Onkel, die schon lange tot sind, sondern nm uns, die leben nnd leben wollen." Ihr Onkel sah die hübsche volle Figur seiner Nichte, die in Tränen ichimmernden großen Augen und fuhr ihr schmunzelnd ums Kinn. „Hm ja, ich weiß schon, die Sache ist ein bißchen faul. Aber wenn Hauptmann Kamenz vernünftig ist, kann sich die Sache vielleicht machen. Ich würde dir vorläufig die Zinsen von fünfzig- bis scchzigtausend Mark zuschicßen —" „Onkel, lieber Onkel " „Nur sachte, Kind. So fix schießen die Preußen nicht", wehrte ihr Ontel leicht ab, „ich würde das tun, nm den gesetzlichen Vorschriften in Bezug auf eine OffizierSche zu genügen. An euch ist es dann, klug zu wirtschaften und euch nach der Decke zu strecken. Verstanden? Das Geld gehört meiner Familie, und ich kann nicht damit umgehen, ivic eS mir mein gutes Herz cingibt. Aber es kann sich machen. Seid ihr dann verheiratet, so kann man an dem kleinen Hauptmann schon ein bißchen schiebend nachhclfcn und es wird gehen. Natürlich muß er selbst vernünftig sein, stramm im Dienst, fleißig, nett mit den Vorgesetzten und vor allen Dingen keine Dummheiten anstelle«. Ver standen ?" Warum hätte denn Fräulein Lore daS nicht verstehen sollen? Tie war in einem Alter, wo die jungen Damen eiu sehr feines Obr für solche Redensarten haben. Voller guter Laune und Hoffnungen kam sie anS Schlesien zurück und wollte nun vor allen Dingen den Vetter Kamenz über die neue Sachlage informieren. Sie zog eine direkte Besprechung mit ihm einer Auseinander setzung mit ihren Eltern vor, von denen sie allerhand Ver zögerungen, Erwägungen und Hindernisse befürchtete, denn besonders ihre Mutter rechnete noch immer stark auf Habicht II, oder vielmehr auf dessen Vater, der ihr fest versprochen halte, daß er schon Ordnung machen wolle. Gegen die Millionen des alten Habicht, die freilich jetzt auch etwas in der Luft hingen, und dessen hübsches Hans am Marienplatz waren die Versprechungen des Onkels Exzellenz doch etwas sehr mager, und Fräulein Lore glaubte jetzt, da sie der Einwilligung ihres Onkels sicher war, mit einem tait aeeompli gegenüber ihren Eltern rascher und sicherer zum Ziele zu kommen. Sie hatte ge wartet genug und den sonderbaren Bcglückungsvcrsuchcn ihrer Eltern lange genug nachgcgebcn; nun wollte sic nicht mehr. Aber Vetter Erwin ließ sich ewig nicht sehen. Die Zeit verging und Fräulein Lore kam mit ihrem heiklen Unter nehmen nicht vom Fleck. Zweimal hatte sie es so ein gerichtet, daß Hauptmann Kamenz sie sehen mußte, wenn er mit seinen Soldaten vom Exerzierplatz hereinkam. Beide Male lmtte sic ihm Zeichen gemacht, die er auch gesehen und verstanden haben mußte, und doch ließ er sich nicht blicken. Schreiben wollte Fräulein von Thessen nicht. Das waren keine Angelegenheiten, die man schreibt. Hier war nur mündliches Verfahren am Platz. So war der Liebe Mühe lange Zeit umsonst, und seufzend entschloß sich Fräulein Lore, mit ihren Mitteilungen zu warten bis zum Wohl- tätigkeitskonzcrt in der Konkordia. Bei dieser Gelegen heit mlssstc sic mit Vetter Erwin zusammentreffen. Sie würde sogar nach dem Konzert nach allen bisherigen Er fahrungen mit ihm tanzen. Mit diesem Walzer wollte Fräulein Lore also in das neue Leben hinüberwalzcn. Manchmal kam ihr freilich der Gedanke, daß Vetter Erwin nicht an ihr festhalten würde, daß ihm die Zeit zu lange gedauert und er inzwischen, sei cs aus Trotz gegen ihre eigenen Versuche, einen reichen Mann zu erhaschen, sei es aus eigener Spekulation, sich nach einer reichen Krau »mgesehen habe. Aber das huschte nur ganz flüchtig an ihrem hoffnungsfreudigen Geist vorüber. Das war ja ganz unmöglich. So bitterböse konnte doch die Welt nicht sein. Und vor allem Vetter Erwin selbst brachte das nicht übers Herz. Er wußte und mußte wissen, daß das ihr Tod sein würde. Indessen war es nicht Fräulein Lore allein, die mit großem Interesse dem WohltätigkeitS-Konzert für den armen unschuldigen Briefträger entgegensah, sondern mit ihr harrte die halbe Stadt mit ganz ungewöhnlicher Span nung auf das Ereignis. Es mar von dem Zusammenhang und den Vorgängen, die zu dieser Veranstaltung geführt hatten, etwas >n die Öffentlichkeit gedrungen, eines der kleinen Lokal blätter hatte eine Abbildung Isas im spanischen Kostüm gebracht, und alle Welt, so weit sie nichts zu tun hatte, erhitzte sich sür oder gegen die Spanierin, die unter so sonderbaren Umständen an die Oeffentlichkeil empor gewirbelt wurde. Auf der einen Seite wurde sie in den Himmel gehoben, ein ausgehender Stern allererster Ord nung genannt und ihre Leistungen weit über alle Maßen übertrieben. Durch abenteuerliche Erfindungen über die Vorgänge aus ihrem Leben wurde die Neugier aufs höchste gespannt, während man auf der anderen Seite mit eben solcher Hartnäckigkeit behauptete, daß die Konkordia keine Versuchsstation sür abenteuernde Existenzen sei, und die Gesellschaft nicht nötig habe, sich durch Schülerinnen lang weilen zu lassen, die nur zufälliger persönlicher Begünsti gung ihr Auftreten in der Öffentlichkeit zu danken hätten. In dieses Horn stieß besonders die Militärpartci in der Konkordia, die sich dadurch für die mißglückte Präsidenten wahl zu rächen und an dem neuen Präsidenten zu reiben suchte. Von dem armen Briefträger und seinem gebroche nen Bein, dem man doch all die schönen Aufregungen zu danken hatte und der doch angeblich die alleinige Ursache der ganzen Unternehmung war, war gar keine Rede mehr. Er hatte aber keinen Grund, sich darüber zu beklagen, denn die Aussichten auf eine glänzende Einnahme zu seinen Gunsten stiegen von Tag zu Tag. Ein guter Teil der Plätze war schon lange vor dem Konzert verkauft oder bestellt. Am aufgeregtesten von allen war natürlich Isa selbst, und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal machte ihr das erste künstlerische Auftreten in der Öffentlichkeit banges Herzklopfen und dann — ihre Toilette. Isa war eine ori ginelle Figur vom Kopf bis zu den Küßen. Kür sic gab es keine Mode, keinen Gebrauch, dessen Formen sie ge dankenlos nachmachen konnte. Kür sie war die Krage: Wie muß ich mich in diesem Kalle kleiden? eine Aufgabe ihrer persönlichen Erfindung nnd ihres Geschmackes. Wegen ihrer künstlerischen Befähigung beruhigte sie Pro- fessor Hennig so gut er konnte. „Mein liebes Kind" — er war wie ein Vater zu ihr — „tun Sie mir die Liebe und lassen Sie sich nicht von dem albernen Lampcnfieber überwältigen, Sie glauben nicht, was es für jämmerliche Ouetschtöne und bängliche Vor tragsweise zu Tage fördert. Wie können Sie damit dem
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