Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021017024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-17
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-. Preis bl der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichtete» Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich6, sür die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Ne-aktion und Expedition: IohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialevpeditione«: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713, Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzer Straße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. Abend-Ausgabe. WMcr TaMM Anzeiger. ÄiNtsvlatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen. PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redakttonsftrich (4 gespalten) 75 L,, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./L 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—. Annahmeschluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Polz in Leipzig. Nu 53«. Freitag den 17. Oktober 1902. 88. Jahrgang. Die Loerengenerale in Berlin. I-p. Berlin, 16. Oktober. Die Boerengenerale sind heute nachmittag pünktlich in der deutschen Rcichshaupt- stadt eingetroffcn. Wohl nie seit dem alten Kaiser Wilhelm hat Berlin diese Begeisterung erlebt, diesen Jubelorkan gehört, diese Menschenmassen aus den Beinen gesehen. Elektrische Straßenbahnen, Droschken, die Hochbahn, alle erdenklichen Verkehrsmittel brachten ungezählte Scharen heran in die Nähe des Bahnhofes Zoologischer Garten. BordemBahnhofe schwollen die Mcnfchenmasscn immer unheimlicher an. Zwar zog eine Kolonne von Schutzleuten nach der anderen heran, zwar gelang es auch, bis zur Ankunft der Generäle einigermaßen Ordnung zu halten und für die vier Wagen des Ausschusses ein Plätzchen zu reservieren. Auf solche Stürme aber, wie sic dann losbrachen, schien die Polizei doch nicht gerechnet zu haben. Geduldig standen die Massen schon anderthalb Stunden vorher wie eine undurchdringliche Maner, Kopf an Kopf. Das vorher so trübe Wetter hatte sich ein wenig aufgehellt und hielt sich recht gut; ja zur Zeit, da eben in die Halle der langerwartctc Zug cinfuhr, begann der Himmel sogar in einem sanften friedlichen Abendröte zu erglühen. Händler mit allerlei Boeren--Erinnerungen durchschwärmten die Reihen. Bilder der Generale wurden massenhaft gekauft. Die unteren Räume imBahuhosc waren von einem starken Polizeiaufgebot besetzt gehalten. Auch die politische Polizei war sehr zahlreich vertreten. Der Aufgang war nach Möglichkeit beschränkt worden. Indessen nützte dies wenig, da auf dem B a h n st c i g e sich schon längst eine vicltauscüdköpfige Menschenmenge angesammelt hatte. Jedem auf den Ferngleisen an kommenden Zuge entstiegen neue Boerenfrcunde, und so hatten selbst die Herren des Ausschusses einen recht schweren Stand. Ganz pünktlich um 5 Uhr 23 Minuten lief der Zug in die Halle. Das Brausen und Fauchen der Lokomotive wurde gänzlich übertönt von dem Jubel, der nun losbrach. Die Leute drückten mit aller Gewalt gegen den Zug, und es war ein Glück, daß cs ohne jeden Unfall abging. Endlich hielt der Zug. Ans dem vierten Wagen entstiegen grüßend die Boeren Helden. Sie ent blößten die Häupter, und ein leises, freundliches Lächeln der Genugtuung über diesen: Empfang glitt über die wetterharten Gesichter der Drei. Graf v. N orma n n, der Vorsitzende des Empfangs-Ausschusses, sprach das erste Wort des herzlichen, begeisterten Grußes. Auch Direktor Landtagsabgeordnetcr Lück ho ff nahm das Wort namens des deutschen Bvcren-Hülfsvereins. General Botha dankte. Nach dieser kurzen Scene sollte cs hinausgchen. Das war jodoch vollkommen unmöglich, und so ließ man kurzerhand den Bahnsteig mit Gewalt räume». Die Menge wurde über alle verfügbare» Treppen ab gedrängt. Als ein wenig Luft mar, konnte sich der Aus schuß mit seinen gefeierten Gästen in Bewegung setzen, voran die kolossalen Lorbccrkränze mit den Farben der Transvaal- und Oranje-Republik. Sehr langsam ging es vorwärts. Die Generale wurden auf der Treppe schon mehr getragen. Als sie glücklich das Freie erreicht hatten, brauste ein Orkan der Begeisterung los. Delarey er schien zuerst, Raummangels wegen den Lorbeerkranz über dem Kopfe tragend. Das war das Zeichen zum Sturm. Die Scenen vor dem Bahnhofe spotten jeder Beschreibung. Die Kette der Schutzleute wurde in einem Augenblick gebrochen, die Schutzmannspferdc wurden bei seite geschoben und mit elementarer Gewalt drängten sich die begeisterten Massen zu den Wagen der Generale. Kaum konnten diese in Begleitung von wenigen Herren cinstcigcn. Sie wurden umringt, man ergriff ihre Hände, man küßte sie, warf Blumen in den Wagen und wollte die Heiden schier nicht mehr loslassen. Inzwischen hatte sich die Polizei gefaßt und warf sich mit aller Gewalt der Flut entgegen. Es gab fast ein Handgemenge. Die Berittenen gingen langsam mit ihren Pferden in die Menge, es half aber alles wenig. Da setzte sich der Wagen Delareys mit vr. Liman und einigen anderen Herren in Be wegung und unter Hochrufen stürmten die Massen nach. Man sah, wie im Sturme einige Personen zu Falle kamen, sich aber bald wieder aufrichten konnten, so daß es hoffent lich ohne ernsteren Unfall abgcgangen ist. An v>'en Wagen schloß sich ein Wagen mit Vertretern der Berliner und auswärtigen Presse. Die Fahrt selbst war ein wahrer Triumphzug. Tic cs wissen, sagen, daß die gehobene Stimmung und die Begeisterung derjenigen glcichkam, die im Jahre 1871 herrschte, als der Hcldenkaiscr mit dem Lorbeer geschmückt von den französischen Schlachtfeldern heimkehrte. Auch die Journalisten, die berufsmäßig große Feierlichkeiten urrd Einzüge mitmachen, können sich nicht erinnern, je so einmütige und natürliche, herzensfrvhc Kundgebungen er lebt zu haben. Hoch die Boeren! so hallte es vom Zoologischen Garten auf dem ganze» Wege bis hi» zum Hotel „Prinz Albrecht" in der Prinz Albrechtstraße, wo die Generale abstrcgen. An der Kaiser Wilhelm-Gedächt- niskirchc machten die ersten beiden Wagen Halt und er warteten die anderen Generale, die vom Volke zurück gehalten worden waren. Endlich konnten sie sich in die Reihe fügen: erst General Botha mit dem Abgeordneten Lückhoff und dem bekannten Boeren-Dolmctscher Pastor Lchowalter, dann DeWet mit dem Abgeordneten Lieber mann und Pastor Großkvpf aus Bloemfontein, dann Delareu mit I)r. Liman, dann die übrigen Herren des Ausschusses. In mäßigem Trabe ging es vorwärts. Ein Vicer von wehenden Taschentüchern, gcschwcnltcu Hüten, winkenden Händen wogte ihnen rechts und links zur Seite. Auf dem ganzen Wege (abgesehen von der dunklen Tiergartenstraßc) standen die Massen Schulter an Schulter. Ein Rufen, ein Brausen von allen Seiten. Die Straßenbahnen hielten, die Fahrgäste stürzten heraus und grüßten, Droschken mußten still stehen. Sie waren bald besetzt und bestanden, llcbcrall ein Grüßen und Winken. Der Weg, den der kurze Wagenzug nahm, ist bekannt. Die breite Tauentzicn- und Kleiststraßc waren schwarz vor Menschen. Am Nollendorsvlatz bog er in die Maaßenstraßc ein. Hier das gleiche Bilfd. Am Lützow- play hatte sich eine Wagenburg angcsammelt. Die Droschkenkutscher selbst schwangen ihre weißen „Lack- töppe". Ab und zu gab es kleine Stockungen. Ans be sondere Bitte der Polizei vermied man die Durchfahrt durch das Brandenburger Tor, weil auf dem weiteren Wege in der Wilhclmstraße die englische Botschaft liegt. Man hatte Kundgebungen befürchtet. So lag denn die cnlglische Botschaft verlassen und gänzlich unbeachtet da und niemand wollte bei ihr vorübergchcn. Ein oder zwei Gestalten in Eivil, die sich in ihrer Nähe unauffällig anfhiclten, mochten Beamte der politischen Polizei gewesen sein. In der Wilhclmstraße war der Ucbcrgang über die Leipziger Straße nach der Durchfahrt der Generale nicht mehr möglich. Eine Wagenrcihe von erschreckender Länge hatte sich aufgefahrcn, das Publikum wurde zurückgedrängt und strömte zurück über den Wilhclmsplatz, diesen sonst so stillen Platz mit lauten Rufen erfüllend. — In der Prinz Albrechtstraße, wo das Absteigequartier der Generale, „Prinz Albrecht", liegt (früher „Vier Jahres zeiten"), waren die Mcnschcnmauern fast undurchdringlich. Bor dem Hotel hatten sich wohl drciß'igtausend Menschen oder mehr versammelt, die nicht wankten und nicht wichen. An der Ecke der Wilhclmstraße standen auch die Schutzleute Kops an Kopf. P o l i z c i o b e rst K r a u s e leitete hier selbst die Maßnahmen. Mit einem betäubenden Jubel empfing man die Generale, die alsbald in einen Saal geführt und vom Ausschuß willkommen geheißen wurden. Die Herren bedurften der Ruhe sehr; indessen draußen — stand das Volk! Der Jubel und die Hochrufe wollten kein Ende nehmen, ja, sie wurden stärker und stärker. Die Generale mußten sich zeigen. Geführt vom Grafen v. Normann, dem Abg. Lückhoff, Pfarrer Schowaller, dem Direktor des Hotels, Kir st, I)r. Liman u. a., begaben sie sich auf ihre Zimmer, die nach der Straße heraus liegen und mit Ballonen versehen sind. Da taten sich die Türen auf und die Generale traten heraus. Unbeschreiblich war das Tosen, das nun erscholl. Man hörte es weithin. Der Anblick" vom Balkon («if die Menschenmenge war imposant. Es winkte jemand von oben nnd es trat Ruhe ein. General Botha nahm das erste Wort. Er darikte kurz und gab seiner Bewegung Ausdruck über diesen über alle Maßen großartigen Empfang. Dann sprach General DeWet. Er ist in den Augen der Berliner vielleicht der gefeiertste Held. Wieder brauste ein Sturm herauf. De Wct winkte, aber nur schwer beruhigte man sich. Auch er war bewegt über das Bild, das er zu seinen Füßen leben sah. Auch mein Herz schlägt deutsch, sagte er (holländisch). Deutsches Blut rollt in meinen Adern! War doch meine Mutter eine Deutsche! — So viel verstand man auch unten in der Menge, und wieder brach ein Donner des Beifalls los. Hoch De Wet! Hoch die tapferen Boercnhelden! erscholl es. Aus vollem Herzen, fuhr er fort, danke ich meinen Stammesbrüdern für alle Sympathie, für alle Gaben! Wir haben die Deutschen kennen gelernt, nicht nur in Jo hannesburg, Pretoria, Bloemfontein, sondern vor allem auf den Schlachtfeldern, wo sie als tapfere Männer auf unserer Seite mitgckämpft haben. Wir sind im Kampfe besiegt worden und wir fügen uns. Wir sind nicht gekom men, um Rache zu suchen. Wir werden Treue halten. Aber in unserem Lande herrscht eine furchtbare Not. Wir brauchen Hülfe, und darum sind wir gekommen. Ich kann Sie versichern, ich habe noch nicht etwas gesehen, wie die Art, mit der man uns hier in Berlin empfangen hat. Ich fühle mich besonders froh, daß meine Mutter eine Deutsche ist und deutsches Blut in meinen Adern fließt. Ich danke Ihnen herzlich! Zuletzt trat auch Delarey hervor, der ernste Mann mit dem vollen schwarzen Bart. Auch er bankte in gerührten Worten. Es war ein reizvolles, seltsames Bild, das die drei Helden bei ihren Ansprachen boten. Zwei elektrische Bogenlampen leuchteten über dem Balkone, daß die Unten stehenden allerdings meist nur die Schattenrisse erkannten. Von oben aber war fast jedes Gesicht erkennbar. Es wogte wie ein Meer. Die Generale verneigten sich und traten ab. Wieder endlose Hoch- und Hurrarufe. Und nun trug sich etwas zu, was allen unvergeßlich sein wird, die es mit erlebten. Die Menge wurde von einer patriotischen B e g e i st e r u n,g ergriffen, wie sie leider in der deutschen Reichshauptstadt, wo die Elemente des Umsturzes arbeiten, recht selten ist. Wie aus einem Munde erscholl es aus dreißig-, vierzigtaufend Kehlen: Deutschland, Deutschland über alles! Dann wieder Hochrufe, Hüteschwenken, Tücher wehen. Aber die Generale konnten nicht konrmen. So sang man ihnen das alte Uhlandsche Kameradenlied zum Fenster hinauf: Ich hatt einen Kameraden, einen bessern find st du nit. Biele hatten das Haupt entblößt. Man sang es mit Andacht und Innig keit. Es war ein wundervoller, ergreifender Augenblick, als die altvertraute deutsche Weise heraufklang. Daß die amtlichen Kreise dem Boerenempsange fern blieben, ver droß die Menge nicht. Was frag ich viel nach Geld und Gut? sang man wie einen Protest herauf. Inzwischen mochte unten die Polizei gedacht haben, es sei nun genug. Die Volksmassen beantworteten dieses Ver langen mit dem drolligen Verse: Nach Hause gehn wir nicht! und blieben! Später erklang noch der Sang vom deutschen Liede. Es war schon spät, als die Hauptmassen anfingen, abzurücken. Immer und immer wieder ertönten gemütvolle deutsche Weisen. Allen Teilnehmern aber werden diese Stunden, so erhebender und erfrischender Art, so durchhaucht von altem, hier und da fast entwöhntem national gehobenen Geiste, unvergeß lich bleiben: die Stunden, da Berlin die Helden vonSüdafrika grüßte! * Berlin, 16. Oktober. Zu Ehren der Boerengenerale fand heute abend 8 Uhr eine Festsitzung des Boerenhülfsbundcs statt, die Professor Sieme - ring mit einer Ansprache eröffnete, in der er einen ge schichtlichen Rückblick über die Entstehung des deutschen Boerenhülfsbundes gab und mitteilte, daß im ganzen 700 000 gesammelt wurden, wovon noch 200 000 übrig seien und den Generalen übergeben werden sollten. Red ner übergab darauf De Wet eine Anweisung auf diese Summe. Alsdann wurden weitere Geldbeträge überreicht vom Chefredakteur Engel vom „Reichsboten" und durch den Chefredakteur Lange von der „Deutschen Zeitung". Letzterer hielt dabei eine Ansprache, in der er seine Freude auödrücktc, den Generalen die Hand schütteln zu können. Darauf folgte ein einfaches Mahl. Beim Beginn des Fest mahles sprach der Reichstagsabg. Stöcker ein Gebet. Landtagsabg. Rcwoldt brachte ein Hoch auf den Kaiser aus. Botha hielt alsdann eine Rede, in der er aus führte, die Generale wären nicht hier, wenn sie es nicht im Interesse der Existenz ihres Volkes für nötig erachtet hätten, den schweren Weg zu gehen, um Geld für ihr Volk zu suchen, das wert sei, daß ihm geholfen werde. Die Boeren hätten Frieden geschloffen und wollten als englische Untertanen angesehen werden. Darum freue sich Redner, daß heute auf dem ganzen Wege der Generale durch die Stadt kein Wort gegen ihre neue Regierung gefallen sei. Die große Summe, die sie erhalten, lasse ihre Herzen von unendlicher Dankbarkeit überflicßen. Wir kennen die Deutschen. In der Nähe meiner Farm ist eine ganze Niederlassung, sie heißt Linneburg. Ich versichere Sie, in Afrika ist zwischen Deutschen und uns keine Trennung. Wir jubeln und freuen uns zu sammen, wir tragen gemeinsam den Schmerz, wir ver binden und verheiraten uns untereinander. Wir sind ein Volk, und als ich hierher kam, sah ich, daß es in Wirklich keit so ist: e s i st d a ss e l b e V o l k. Wir kennen einander nicht, und doch haben die Herzen sich zu einander gezogen gefühlt, als wären wir Kinder eines Volkes. Nochmals, meine Damen und Herren, meinen herzlichsten Dank. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel Herzen froh sein werden, wenn sie von der Höhe der Gaben hier hören, und es wer- Ferrilletsn. Compama Cazador. 5) Roman von Woldemar Urban. Nachdruck «»boten. 'Nun war's geschehen, und während Rechtsanwalt Habicht ruhig, als ob nichts geschehen wäre, hinter der Gruppe, die sich um Isa gebildet und die von dem Vor gänge keine Ahnung hatte, hcrschritt und im Direktorial zimmer verschwand, ging Hauptmann Kamenz mit hoch erhobenem Haupt und sichtlicher Befriedigung in den Saal. Er hatte erreicht, was er schon seit Wochen und Monaten so sehnlich gewünscht. Er hatte seinen Gegner vor der Klinge. Nun sollte die Abrechnung dafür kommen, daß der reiche Egoist, für den er den jungen und den alten Habicht ansah, sein Lebcnsglück zerstört, ihn in seinen süßesten und geheimsten Hoffnungen betrogen. Der lange aufgespeicherte Groll gegen den wegen seines Reichtums begünstigten Liebhaber wollte sich in einem festen und sicheren Degenstich Luft machen. Hauptmann Kamenz war nicht der Mann, der ruhig znsah, wenn ihm im Lcbensspiel die besten Bissen weggeschnappt wurden, wenn er wie ein Wicht von den „Jch-Jntcressen" anderer beiseite gestoßen wurde. C!r war zn jeder Stunde bereit, mit seinem Blute für sein Glück und sein Leben cinzustchen. Das Rencontre wäre schon viel früher gekommen, wenn sich eben die Gelegenheit dazu früher geboten hätte. Aber es hatte sich bisher nicht gemacht, nnd nun war Hauptmann Kamenz sehr befriedigt nnd erfreut, daß es endlich soweit war. Die Sachlage war so, daß das Duell unter allen Um ständen stattfinden mußte. Kein Ehrengericht konnte durch langweilige Vorschläge und Unterhandlungen an dieser Tatsache etwas ändern. Und wenn Hauptmann Kamenz seinem Gegner einmal gegenübcrstand, so hatte dieser allen Grund zur Vorsicht. Von Schonung war da keine Rede mehr. Ein toter Nebenbuhler war in diesem Falle am wenigsten zn fürchten. Zwölftes Kapitel. Es war immerhin merkwürdig, wie wenig bei dem Wohltätigkeitskonzert in der Concordia die Wohltätigkeit selbst in Krage kam. Das liebe Ich spielte auch hierbei, wie in so vielen Fällen im Leben die Hauptrolle. Man wollte sehen und vor allem gesehen werben, und von den etwa tausend Personen, die den großen Saal der Concordia füllten, waren wohl die wenigsten — wenn überhaupt einige — aus reinem menschlichen Mitleid mit dem armen Briefträger und seiner großen Familie gekommen. Der alte Rechtsanwalt Habicht war natürlich auch kein Held im Wohltun. Die höchste Tugend, die er kannte, bestand darin, sich selbst wvhlzutun, und auch darin hatte er es, wie sich in letzterer Zeit immer deutlicher heraus stellte, nicht weit gebracht. Gleichwohl hatte er sich auf das Zureden seiner Frau entschlossen, mit seiner Familie — soweit sie ihm noch übrig mar — das Konzert zu besuchen. Frau Gertrud hatte zu ihm gesagt, daß er nur aus dem Grunde nicht in die Concordia gehen wolle, weil sein Sohn Präsident geworden sei nnd er ihn darum beneide. Er sei nie etwas Derartiges gewesen. Daraufhin hatte sich der alte Habicht entschlossen, das Konzert zu besuchen, ans Trotz und in der stillen Hoffnung, dabei eine Gelegen heit zu finden, seinen Sohn zu sprechen, ihm seine Ver achtung gegen derartigen gesellschaftlichen Flitter, mit dem er seine Praxis vernachlässigte und seine Existenz unter grub, auszudrücken. Als er mit Fran Gertrud und seiner Tochter Hedwig durch den Garten ging, nm den Wagen, der vor dem Tor hielt, zu besteigen, hörte er plötzlich vom Gewächshaus her einen Mordspektakcl. „Da muß doch ein Himmcl-Herrgotts-Donnerwetter in die ganze Gärtnerei fahren!", wetterte der alte Selbmann, „so was war doch noch nicht da." „Was ist denn los, Selbmann?" fragte der Rechts anwalt und blieb stehen. „Ach, gnädiger Herr", fuhr der alte Gärtner mit Tränen in den Augen fort, „was zu arg ist, ist zu arg. Seit drei Jahren pflege ich den Granatstrauch wie ein Kind, vor jedem kühlen Lufthauch bewahre ich ihn, jeden Sonnenstrahl fange ich auf nnd rücke ihn hinein, er hat den besten Mist, den fettesten Boden " „Na ja doch, nur weiter. Was ist denn danrit?" „Seit voriger Woche hatte er endlich Blüten angesetzt, ich glaube, es sind die einzigen, die je in Deutschland ge zogen worden sind, drei schöne, kräftige Blüten. Ich freute mich wie ein Schneekönig und wollte sie der gnädigen Frau auf den Geburtstagstisch legen. Da mich der Teufel so einen verfluchten Haderlump herführen, der mir die Blüten in der Nacht abgerissen oder gestohlen haben muß " „Gestohlen?" „Es kann nicht anders sein, Herr Rechtsanwalt. Gestern abend waren sic noch da. Ich habe sie selbst gesehen, und jetzt sind sic fort. Kein Blatt, keine Spur ist mehr von ihnen da." „Das sind die Ratten gewesen", sagte Fräulein Hedwig und stupfte verlegen mit dem Fuß am Rasen herum. Ihr Vater sah sic prüfend an. „Die Ratten?" wiederholte Selbmann verwundert. „Ich gebe für jede Ratte, die im Gewächshaus gefunden wird, einen Taler, Herr Rechtsanwalt." „Es ist gut, Selbmann", erwiderte der Rechtsanwalt, „ich habe jetzt keine Zeit. Wir werden das morgen unter suchen." Damit ging er weiter und stieg mit Frau und Tochter in den Wagen. Die Angelegenheit war, wenigstens vorläufig, für den Rechtsanwalt nicht sehr aufregend. Wenn sich auch der alte Selbmann, der den Stock lange Jahre aufmerksam behandelt und sorgsam gepflegt — wie ein Kind — in seinem Gärtnergemüt über den Barbarismus entrüstete, fo lag doch dazu für Herrn Habicht selbst noch kein Anlaß vor. Merkwürdig war ihm dabei nur die Verlegenheit Hedwigs. Wahrscheinlich handelte es sich um irgend eine unschuldige Dummheit oder Unachtsamkeit ihrerseits, dachte er, und hatte die ganze Sache schon wieder vergessen, als er in der Concordia ankam. In demselben Vestibül, in dem kaum fünf Minuten vorher das Rencontre zwischen seinem Sohne und Hauptmann Kamenz stattgesundcn, traf er auf Frau von Thessen nnt ihrem Gemahl und ihrer Tochter. Die Begrüßung war sehr herzlich, besonders zwischen Krau von Theffen und dem alten Habicht, von dem sie noch immer erwartete, daß er „Ordnung schaffen" werde. Kräulein Lore hatte sich besonders fein und vornehm herausgcputzt, zierlich ausgeschnitten — es war nach dem Konzert Ball angesagt — und war sehr liebenswürdig. Sie wußte ja wohl, warum. Sie mußte cS mit allen gut halten, damit sie schließlich mit ihrer kleinen Ueber- rumpelung nicht auf allzu große Widerwärtigkeit stieß. Hatte sie fo lange gute Miene zum bösen Spiele gemacht, so hoffte sie, daß man auch ihr nicht gar zu schroff ent- gegentrat, wenn sie ihr Ich zur Geltung bringen wollte. „Haben Tie sie gesehen?" fragte Krau von Theffen den alten Herrn Habicht leise, als sie aus der Garderobe traten und nach dem großen Saale gingen. „Wen meinen Sie, meine Gnädigste?" entgegnete dieser. „Die Zigeunerin —" „Bah, lafsen Sie nur." „Sie ist hübsch. Alles, was recht ist, aber eigentlich ist es doch ein Skandal. Er hat sic doch sozusagen auf der Straße aufgelesen. Natürlich bezahlt er auch ihre Aus bildung. Wie?" „Ich weiß cs wirklich nicht. Aber möglich ist eS schon." Und nun bringt er sic gar noch in die Concordia", echauffierte sich Frau von Thessen weiter, „das geht denn doch wirklich übers Bohnenlied." „Nur ruhig Blut, gnädige Frau. Ich kenne doch meinen Sohn. Lassen Sie ihm noch einen oder ein paar Monate Zeit, dann wird er sie ebenso satt haben, wie all' die vorherigen. Tie müssen ein wenig Nachsicht mit ihm haben. Ich muß es ja auch. Hat er Sic schon begrüßt?" „Ja, natürlich. Er war soeben hier. Er war sehr nett und liebenswürdig, auch mit Lore. Wahrscheinlich wollte er in seiner neuen Präsidentenwürde glänzen." „Das ist auch wieder so eine Dummheit von ihm." „Lassen Sie ihn doch, wenn es ihm Spaß macht. Etwas mutz ein junger Mann doch haben, um sich zu amüsieren." „Er hat seine Praxis. Damit kann er sich amüsieren." „Sie sind zu streng mit ihm, Herr Rechtsanwalt." Der Saal war überfüllt. Die Herrschaften hatten ihre liebe Not, um auf ihre Plätze zu gelangen. „Glücklicher Briefträger!" seufzte mancher, wenn er die vornehme, Kopf an Kopf gedrängte Menge überschaute. Der neue Präsident machte mit dem Wohltätigkcitskonzert ohne Zweifel ein sehr glückliches Debüt. Sein „Organisations talent", wie man daS nannte, um den Mund recht voll zu nehmen, strahlte in hellstem Licht. Der einzige freie Raum in dem ganzen großen Saal war jetzt die kleine Bühne, die oberhalb des Orchesters ausgeschlagen und mit Blumen zierlich ausgcschmückt war. Augenblicklich war aber die Bühne noch leer. Ein aufgeregtes Suinmen und Surren ging durch den Saal, die Musiker stimmten ihre In strumente, Nachzügler strebten geräuschvoll nach ihren Plätzen. Endlich wurde alles still. Der Orchesterdirigent klopfte auf sein Pult und die Ouvertüre begann. Nach dicfer sollte Isa auftreten. Die „Zigeunerin", wie Frau von Thessen sie nannte. Auf dem Zettel stand: „Isabel Cazador, Schülerin am Konservatorium, als erster Ver such." Das sollte das Publikum etwas nachsichtig und freundlich stimmen. Das geschah auch wohl vielfach, andere aber wollten von der Zigeunerin nichts wissen und hielten die Räume der Concordia durch sic für entweiht.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite