02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030904025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903090402
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-04
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 45«. Freitag den 4. September 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. September. Die polnischen OrtSbezeichnungcn und die deutsche Post. Die Pole» müssen eS schon recht arg treiben, wenn so gar die klerikale „Köln. Volksztg." ihnen einen scharfen Ver weis erteilt. Bekanntlich hatte der Posener „Dzienuik" vor kurzem polnische Uebersetzungen sür deutsche Orts namen veröffentlicht. Dazu bemerkt die „Köln. Volksztg.": „Eine Anleitung, solche deutsche Ortsnamen auf den Bries adressen durch polnische zu ersetzen, die in den weitesten Kreisen unbekannt sind, wäre em Unfug und die Brief steller könnten sich nicht beklagen, wenn die Post mit solchen Briefen kurzen Prozeß machte." Der Ansicht sind auch wir und können deshalb keineswegs der „Köln.Ztg." zuslimuien, die bei der Bestellung von Briesen mit polnischen Orlsadresscn eiuen Unterschied zwischen dem Inlande und dem AnS- lande machen will. Die „Kölnische Ztg." meint: „Wenn auS dem Auslande polnisch adressierte Briefsendungen ein- gehen, so ist verständlich, daß die Post sich zu ihrer Beför derung alle mögliche Mühe gibt, weil von vornherein kein Anlaß vorliegt, an der Gutgläubigkeit der Absender Zweifel zu hegen." Zunächst sind wir in diesem Falle ganz und gar nicht von dem Vertrauen der „Köln. Ztg." auf die Gutgläubigkeit der ausländischen Polen erfüllt. Wir meinen, daß die Solidarität des Polentunis hinlänglich bekannt sein müßte, wir erinnern aber zum Ueberflusse nur an die monatelangen Entrüstungsstürme in Waischau, Krakau, Lemberg usw. gelegentlich der Wreschener Schulaffäro. Wenn also die deutschen Polen ihren Landsleuten in Russisch-Polen und Galizien einen Wink geben, die deutsche Post mit pol nischen Ortsnamen sür Köln, Krefeld usw. zu chikanieren, so wird dies unzweifelhaft geschehen, und wir sehen nicht ein, warum dann unsere Postbeamten sich „alle mögliche Mühe" geben sollen, damit die Unfugstislcr sich über den dummen deutschen Michel amüsieren. Man muß die ganze Adressenangelegenheit von einem prinzipiellen Stand punkte aus betrachten und daran fefthalten, daß fremdsprachige Bezeichnung von Ortsnamen nur dort zulässig ist, wo sie historisch und traditionell begründet ist. Wenn z. B. die Franzosen „Cologne" und „Mayener" schreiben, so ist dies dadurch begründet, daß die Franzosen zu diesen Orten zeitweise in politischen und sehr viel in wirt schaftlichen Beziehungen gestanden haben, sowie daß ferner die französischen Bezeichnungen von den ursprünglichen lateinischen Namen dieser Orte abgeleitet sind. Als roma nisches Volk also haben die Franzosen ein wohl begründetes historisches Recht, ihre eigenen Namen für diese Orte anzuwenden. Deshalb soll es den Polen auch nicht ver wehrt sein, wenn sie aus Briesadressen für Breslau „Wraclaw" und für Posen „Posnanie" schreiben, denn beide Städte sind ursplünglich polnische Gründungen und wenn auch erst unter deutschem Scepter etwas aus ihnen geworden ist, so mag man den Polen ihren historischen Stolz lassen. Mit dem Rheinlande aber haben die Polen ebensowenig jemals engere Beziehungen gehabt, wie wir mit Toulouse oder Nantes oder Portsmouth oder Manchester. Wenn es uuS einfiele, für diese Orte deutsche Namen zu erfinden, so l würden die französischen bezw. englischen Postbchörden keinen I Augenblick daran denken, sich „alle mögliche Mühe" zu I geben, weil diese Briefe auS dem Auslande stammen. Wa-1 rum Iwir die Polen im Auslande rücksichtsvoller behandeln sollen, als das mächtige deutsche Reich von den französischen oder den englischen Postbehörden behandelt werben würde, können wir schlechterdings nicht einsehen. Tie Bayern unv der neue RcichSfinanzminister. Alsbald nach der Ernennung des Frhrn. v. Stengel zum Reichsfiiianzminister haben wir vor der Annahme ge warnt, Frhr. v. Stenzel werde, weil er Bayer ist, einen besonderen Einfluß auf die bayerischen Zentrumsabgeordneten im Reichstage ausüben können. Wie berechtigt diese War nung war, ergibt sich jetzt aus einer Auslassung des bayeri schen Zentrums, die man als programmatisch bezeichnen kann, weil das offizielle bayerische Zentrumsorgan sie einem anderen bayerischen, von einem bayerischen Zentrumsabge ordneten redigierten Blatte entnimmt und als „trefflich" bezeichnet. Es heißt darin: „So sympathisch uns Bayern auch die Person des neuen Reichs schatzsekretärs ist, so wenig werden die Bayern im Zentrum sich von ihrer grundsätzlichen Haltung zu verschiedenen Reichsfinanzfragen abbringen lassen. Es ist nicht das erste Mal, daß Freiherr v. Stengel auf seine bayrischen Landsleute in langen Einzelbesprcchungen einzuwirken suchte; so wenig es dem Vertreter Bayerns im Bundesrats gelang, bei all seiner Liebenswürdigkeit seine Landsleute im Zentrum zu seiner Anschau ung in gewissen hier nicht erörterten Fragen zu bekehren, so wenig, ja noch weniger wird der Reichsbeamte dies vermögen." Was aber unter den Reichssinanzfragen, in denen der Reichsschatzsekretär nicht auf das bayerische Zentrum zu rechnen bat, mit in erster Reihe zu verstehen ist, geht aus der Erklärung der ultramontanen „Donauztg." hervor, sie halte Herrn v. Stengel für viel zu klug, als daß er der Hoffnung, den bayerischen Zentrumsflügel für den alte» „Finanzautomalen" zu gewinnen, sich auch nur sür den ersten Moment bingeben würde. Für den „Fmanzautomaten" ist also das bayerische Zentrum nicht zu haben; daß es nicht für neue den Konsum belastende indirekte Steuern zu haben sein würde, das hat der „Bayrische Kourier" schon am Tage nach der Ernennung des Freiherrn v. Stengel proklamiert. Ebenso hat dasselbe Blatt verkündet, daß daS bayrische Zentrum sich nicht vom Frhr. v. Stengel für neue große Ausgaben gewinnen lassen werde, worunter wohl in erster Reihe die Ausgaben für Heereszwecke zu verstehen sind. Herrn v. Stengel könnte nun dreierlei im Reichstage ob liegen: 1) die Regelung des finanziellen Verhältnisses der Einzelstaaten zum Reiche im Sinne des verstorbenen Finanz ministers v. Miquel, 2) die Erschließung neuer Einnahmequellen durch neue indirekte Steuern, 3) die Vertretung bezw. die Billigung neuer Ausgaben vom Standpunkte des ReichS- schatzamtS aus. In allen diesen drei Punkten versagt das bayerische Zentrum. Wenn also die Ernennung des Frei herrn von Stengel nicht um seiner Fähigkeiten halber, sondern aus parlamentarisch.taktischen Beweggründen erfolgt wäre, so wäre die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Uebrigens enthalten die oben citierten Sätze eine Stelle, die an sich mit der Haltung des bayerischen Centrums in Reichssinanzfragen nichts zu tun hat, aber in hohem Grade charakteristisch ist für die „Neichstreue" dieser Herren, die Stelle nämlich: „So wenig es dem Vertreter Bayerns gelang, seine Landsleute ... zu bekehren, so wenig, ja noch weniger wird dies dem Reichsbeamten gelingen." Dieses „ja noch weniger" spricht Bände. Die „bayerischen Patrioten" zetern, daß Bayern nicht genug Einfluß auf das Reich besitze, in dem Augenblicke aber, wo ein Bayer in ein hohes Reichsamt gelangt, wird er bei seinen Lands leuten — soweit sie dem Centrnm angehören — gewissermaßen mit einer „levis waoula" behaftet; sie erklären offen, daß sie dann noch weniger auf seine An schauungen geben, als vorher. Er wird ihnen eben durch seine Neichsstelluna verdächtig, denn er kommt ja mit den anderen ReichSbebörden und also auch mit vielen Herren preußischer Staatszugehörigkeit zusammen und dadurch erscheint er seinen klerikalen Landsleuten als preußisch verseucht. Dieses edle Bekenntnis macht man wenige Tage, nachdem bayerische Zentrumsabgeordnete den Kaiser aus dem Kölner Katholiken tage verherrlicht haben. Der Wert der loyalen Kundgebungen wird dadurch illustriert. Tic finnische Obstruktion. Die Ergebnisse der diesjährigen WehrpflichtSaufgebote im Verhältnis zu den vorjährigen Werken von der „FinlandSkaja Gaseta" in der letzten Nummer veröffentlicht und kommen tiert. Das Blatt stellt zunächst fest, daß „trotz des stärker gewordenen Widerstandes der politisierenden Partei" das Aufgebot bedeutend erfolgreicher gewesen sei als im Vorjahre. Im vorigen Jahre batten sich 54,1 vom Hundert der Wehrpflichtigen nicht gestellt, in diesem Jahre dagegen nur 32,9 v. H. Von diesen letzteren seien jedoch noch diejenigen auszunehmen, die aus gesellschaftlichen Gründen nicht erschienen seien (3,7 v. H.) und ferner solche, die schon vor ihrer Einberufung, vielleicht schon als Kinder(!) nach Amerika ausgewandert sind (12,2 v. H.). Somit ergibt sich, daß sich in diesem Jahre — so schreibt das offiziöse Blatt — nur 17 v. H. aus ungesetzlichen Gründen nicht gestellt haben, ein Prozentsatz, der in Berücksichtigung dessen, daß in Finland die Zakl der sich der Wehrpflicht Entziehenden immer «ine sehr große gewesen sei, und bis zu 12 v. H. betragen habe, als fast normal an zu seh en sei. Wenn die „Finl. Gas." auS diesen Resultaten folgert, der Einfluß der Agitatoren habe abge nommen, ja sogar die Studenten verhieltensich wenigerablehuend (die lo Proz. deS vorigen Jahres seien auf 50 Proz. herab gesunken), so sind das ebensolche Trugschlüsse wie die pro zentualen Feststellungen. Am deutlichsten zeigt sich daS „Potemkinsche Dörferspiel" in der Rubrizierung der 12,2 Proz., die „vielleicht schon als Kinder nach Amerika ausgewandert seien." Denn erstens wird die Liste der Wehr pflichtigen natürlich nicht nach den GeburtS- bezw. Tauf listen, sondern nach den letzten polizeilichen Meldungslisten bergestellt, und zweitens verläßt niemand den russischen Boden, ohne durch einen von der Polizeibehörde ausgestellten Auslandspaß dazu autorisiert zu sein. Diese beiden Fakta lassen sich nicht ableugnen. WaS die Offiziösen mit diesen Trugschlüssen wollen, das liegt ja auf der Hand. Ist eS doch mehr als beschämend für die russische Autokratie, daß sie dieses Häufchens „Rebellen" nicht Herr werden kann, trotz AuSsuchungen, Ausweisungen und des sonstigen Terrorismus. Es ist leider einleuchtend, daß diese beschämenden Ergebnisse eine weitere Verschärfung der Russifizierungspolittk zur Folge haben werden. Die Balkanwirren. Aus Bukarest, 3. September, schreibt man uns: Ver schiedene Blätter, sowohl oppositionelle, wie auch solche, welche der Regierung sonst freundlich gegenüberstehen, er klären eine völlige Neutralität Rumäniens im Falle eines bulgarisch-türkischen Krieges für unmöglich. Das bulgarische RevolutionScomitä unterhalte schon jetzt zahlreiche Geheimagenten in Rumänien, welche dort Unruhen zu erregen suchten. Ganz offen arbeite man darauf hin, die Landbevölkerung der Dobrudscha, die zur Häkfle slavisch-bulgariscken Stammes ist, zu einem Auf stand zu bringen. Tatsächlich haben in den letzten Wochen mehrere Desertionen von gemeinen Sol daten und Unteroffizieren auS der Garnison Tultscha stattgefunven. Die Geflüchteten stammen auS der Dobrudscha und hatten sich stets als „Bulgaren" bekannt. Vor ihrer Flucht haben sie Briefe geschrieben, in denen sie erklären, sie gingen nach Makedonien, um an dem bulgarischen Freiheitskampfe teilzunehmen. Auch von Cra- jowa ist ein Leutnant bulgarischer Abstammung nach Bul garien desertiert und von dort nach Makedonien gegangen. In Kalafat wurde ein wohlhabender rumänischer Kauf mann von zwei Bulgaren getötet und beraubt, worauf Vie Täter nach Bulgarien entkamen. Die rumänischen Zei tungen behaupten, daß die Mörder Agenten des bulgarijchen RevolutionScomitös gewesen seien und daß das dem Ermor deten abgenommene Geld in die Revolutionskasse geflossen sei. Alle diese Vorgänge ließen darauf schließen, daß die bulga rischen Revolutionäre auf rumänischem Boden ihre Umtriebe begonnen hätten. — Weiter teilt man unS auS Athen, 3. September, mit: „Die Bildung eines großen HülfS- ausschusses für die Griechen in Makedonien wird von allen Parteien gebilligt, und die Gaben fließen von allen Seiten reichlich. Bisher sind jedoch noch keine Beschlüsse darüber gefaßt, in welcher Weise daS Comitü in Makedonien eingreifen solle. Aus den von den Auf ständischen eroberten und gebrandschatzten Orten, besonders aus Kruschewo, Klissura und NeveSka, treffen täglich Flüchtlinge in Griechenland ein, deren Berichte die allgemeine Erregung steigern. Ministerpräsident Ralli erklärte gegenüber einem Artikel der „Times", in West europa könne Niemand die Lage in Makedonien verstehen. Die dortigen Griechen kämpfen um ihr Leben, ihr Volkstum, ihre Kirche und ihren Besitz, welche Güter ihnen von den bulgarischen Wölfen entrissen werden sollten. Er selbst würde aufhören Grieche zu sein, wenn er die Hand dazu bieten wolle, diese Raub- und Gewaltpolitik der Bulgaren zu unterstützen. Das Griechentum habe in diesem Kampfe Schulter an Schulter neben der Türkei zustehen. Die mißgünstigen Urteile englischer und französischer Blätter täten ihm zwar leid, aber sie würden an seiner Haltung nichts ändern. Ihre Bestätigung erhält diese Correspondenz durch folgendes unS heute zugehendes Telegramm: * Athen, 3. September. (Telegramm.) Ministerpräsident Ralli hat die Gesandten der Mächte ersucht, bei der Pforte auf die Bestrafung des Gouverneurs von Kruschewo, Bachtiar Pascha, wegen der Ausschreitungen der türkischen Truppen zu dringen. Ein Bericht der Pforte an die österreichische und russische Bot schaft besagt, daß in der letzten Sitzung des Comitss inSo fia der Beschluß gefaßt wurde, die Mitglieder der ComitSS zur Formierung von Banden oder zur Leistung von Geld beiträgen zu zwingen und jene, welche weder nach der einen, noch der anderen Richtung Folge leisten, zu ermorden. Infolge dessen soll die Konzentrierung von Banden an der bulgarischen Grenze bei Dubnitza und Kuestendil begonnen haben. Ewige Bandenchefs, darunter auch bulgarische Offiziere sollen nach Bulgarien zur Bildung neuer Banden abgegangen sein. Der Bandenführer Fresne-Bulzari sei mit acht KomitatschiS zur Feuilleton. Lj Zngeborgs Kinder. Roman von MargareteBöhme. Nachdruck verboten. Es war eigentlich die Erfüllung ihres heißesten Herzenswunsches, die ihr so unerwartet zuschncite. Wie oft hatte sie auf demselben Platze am Fenster gesessen und mit sehnsuchthungrigen Auaen den in die Kerne ent eilenden Zügen nachgeschaut! Hundertmal hatten ihre Träume sie über die einsame Ebene hinausgetragcn, ohne daß sie jemals auch nur in Gedanken die Möglichkeit einer Verwirklichung dieser Träume erwogen hätte. Ihr erstes Empfinden war eine gewisse innere Be freiung. Alles, was sie eben der Tante gesagt hatte, drückte ihr schon lange Zeit am Herzen; sie hatte nur auf eine Ge legenheit gewartet, um es auszusprechcn. Für ihren Be ruf und überhaupt für ihre Zukunft war es unumgänglich notwendig, daß sie fort kam. Tante Jngeborg hatte recht; sie war über die heimischen Verhältnisse geistig hinaus gewachsen, sie stieß überall mit dem Kopfe gegen die eng gezogenen Schranken kleinbürgerlicher Ansichten und Be denken, die sie hier von allen Seiten umgaben. Es hatte alles so kommen müssen, wie es sich jetzt fügte. Die Tat sache, daß die Erfüllung ihres Herzenswunsches sich in die Form einer Verbannung von der Heimat kleidete, senkte allerdings einen fühlbaren Stachel in die Freude. Jngeborg erhob sich ^langsam. Von der Kornmode nahm sie «ine Schachtel Streichhölzer, rieb eins an und hielt den Brief ihres Psleacsohnes an dasselbe, bis die winzige Flamme ihn verzehrt hatte. Die verkohlten Reste warf sie in den Ofen. In der energischen Art, wie sie die kleine eiserne Tür zuklappte, lag etwas wie ein Ausruf: „Punktum! Diese Sache ist erledigt. Kein Wort weiter." „Du wolltest heute abend noch auf den Kirchhof gehen, Thyra", sagte sie ruhig. „Setz' den Teekessel auf, wir wollen zeitig essen." Zweites Kapitel. Wester-Altstadt, in dem Fräulein Juppersens Besitz tum lag, war, obgleich es sich direkt an Altstadt an gliederte, ein sekbständiges Gemeinwesen. Die Stadt hotte sich schon wiedcffholt bemüht, das reiche Dorf in ihre Fangarme zu ziehen, aber die Westcr-Altstädter, die nnr^oenig Kommunalabgaben zu entrichten brauchten, während eine drückende städtische Schuldenlast den Ein wohnern von Altstadt eine starke Steuerschraube auf zwang, wehrten sich bis Dato erfolgreich gegen das An sinnen. Eben die günstigen Verhältnisse der dörflichen Kommune veranlaßten viele wohlhabende Privatiers, sich in Westsr-Altstadt anzusiedeln; die Grundstücke waren deshalb in den letzten Jahrzehnten erheblich im Werte gestiegen, und mehr als einmal hätte Fräulein Jngeborg Juppersen ihre Häuser samt den angrenzenden Wiesen zu einem verhältnismäßig hohen Preis verkaufen können. Sie dachte indessen nicht daran, solange sie lebte, auch nur eine Handbreit Erde ihres Besitztums zu ver äußern. Ihr Vater war Schuhmacher gewesen; sie war seine ein zige Tochter. Obgleich Meister Juppersen von den Zinsen seines ansehnlichen Vermögens gut hätte leben können, hatte er sein Handwerk doch bis an sein Ende betrieben. Jngeborg war nie vom Vaterhause fortgcwesen, deshalb war die Heimat ihre Welt, die alle ihre Wünsche, all' ihr Lieben und Hoffen mid Leben umschloß. In ihren späten Mädchenjahren hatte sie sich mit einem Gesellen ihres Vaters verlobt, aber das Verlöbnis ging kurz vor der schon anberaumtcn Hochzeit aus unbekannt gebliebenen Gründen wieder zurück. Bald darnach hei ratete der Ex-Bräutigam eine blutjunge Waise, die von den Juppersens aus Gnade ünd Barmherzigkeit ausge nommen war. Im allgemeinen verdachte man ihm die Veränderung nicht sonderlich, denn Jens Christiensen war erheblich jünger als Jngeborg, und neben der blonden Lieblichkeit des ganz jungen Dinges, konnte das reiz lose, schon ergrauende Mädchen keinen Vergleich aus halten; aber es sektc doch in Erstaunen, daß sich die Braut- Metamorphose so still und geräuschlos, ohne jede auf regende Zutat, als etwas ganz Selbstverständliches voll- zog, und das junge Ehepaar mit den Juppersens in innigster Freundschaft verbunden blieb. Nach dem Tode des alten Meisters setzte Jens Christiensen das Geschäft desselben auf eigene Rechnung fort. Der junge Handwerker erfreute sich seines Eheglückes nur wenige Jahre. Keine vier Jahre nach des alten Juppersens Tod, in einer stürmischen Herbstnacht, kam er bei einem Brande in Altstadt ums Leben, nachdem er vorher eine hcldvnlmstc Rettungstat vollbracht hatte. Just in derselben Nacht — die älteren Leute in Altstadt erinnerten sich dieser Nacht so gut, als sei sie erst gestern gewesen — verunglückte Jngeborg Juppepscns nächster Nachbar zur Linken, der Doktor der Philosophie von Rönniger, auf eine unaufgeklärt gebliebene Weise in der Aue. Man fand seine Leiche Tags darauf an der Schleuse, wohin die abebbende Flut sie getrieben hatte. Dr. v. Rönniger war erst seit ein paay Jahren in Wester-Altstadt ansässig. Er war aus dem Süden Deutsch lands zugezogen. Seine Verhältnisse und seine Ver gangenheit kannte niemand in Altstadt. Er hatte mit seinem kleinen, noch nicht schulpflichtigen Töchterchen ein paar möblierte Zimmer bewohnt; soviel man wußte, lebte er von einer kleinen Pension und von dem ErjjPage schrift stellerischer Arbeit. Der kleine Nachlaß deckte kaum die Beerdigungskosten, und das Kind wäre wohl einem Waisenhause überwiesen worden, wenn Jngeborg Juppersen sich nicht über die kleine Waise erbarmt und sie zu sich genommen hätte. Als einige Jahre später Jens Christiensens junge Witwe an der Schwindsucht starb, öffnvte Jngeborg auch dem ein zigen, nun ganz verwaisten Söhnchen ihres ehemaligen Verlobten ihre mütterlichen Arme. So hatte sie, die Unvermählte, nun doch' zwei Kinder, denen sie die ganze Liebesfülle ihres Herzens schenkte. Die beiden Waffen wuchsen fröhlich nnd zur Freude ihrer Pflegemutter heran. In der Nachbarschaft und überhaupt in der Stadt hatte man sich so daran gewöhnt, die Kinder als Fräulein Juppersens unantastbares Eigentum zu betrachten, daß man das unzertrennliche Pärchen nie anders als mit dem Namen seiner Adoptivmutter be zeichnete: Fritz und Thyra Juppersen. Selbst in der Schule wurden sie so gerufen. Im großen und ganzen mokierte man sich ein wenig darüber, daß Jngeborg, ihren übrigen, schlichten Gewöhn- hciten entgegen, so viel „Staat" mit ihren Kindern machte. Sie waren immer sehr sorgfältig gekleidet, umd auch sonst wurde an ihnen nichts gespart. In der Tat konnte keine Mutter ihre Kinder inniger lieben, als Fräulein Juppersen ihre Pfleglinge. Wenn sie schon in frühester Jugend den Lebcnsplan in allem Emzelheffen zurechtlegte, um ihn später nach bestem Ge wissen und mit aller Energie und vielem Eifer auszu bauen, so gsschah dies nach ihrer festen Ucberzeugung doch nur zum Besten der Beiden. Sic war es von jeher ge wohnt, in allen häuslichen wie familiären Angelegenheiten die Initiative zu nehmen und in den verschiedensten Wechselfällen des Lebens selbständig handelnd aufzu treten. Der alte Juppersen mar ein etwas indolenter Mann gewesen, der sich in allen Stücken der besseren Ein sicht seiner praktischen und scharfsinnigen Tochter ugter- ordnete, und der es sich niemals einfallen ließ, in ihre Dispositionen einzureden. Sie würde überlegen gelächelt habens wenn jemand sie darauf aufmerksam gemacht hätte, daß man, wo es sich um wichtige, das ganze spätere Leben beeinflussende und diesem Richtung gebende Bestimmungen handelt, auch die eigene Meinung der Kinder einzuholen und ihre Nei gungen soviel als tunlich zu berücksichtigen pflegt. . . . Sie wußte doch besser als diese selber, was zu dem Glücke ihrer Kinder dienlich war Von dem erstell Tage an, wo Fritz in ihr Haus über siedelte, stand es fest bei ihr, daß der Junge Theologis studieren und später Pfatzrer werden sollte. Sie wchx wohl ungehalten darüber, daß seine Zeugnisse während der ganzen Schulzeit in Religion immer die mäßigsten Noten aufwiesen, und daß er sehr wenig zum Kirchen besuch inklinierte, es ärgerte sie, wenn er in seinen letzten Schuljahren bisweilen Ansichten äußerte, die ihren auf kirchlich orthodoxer Grundlage basierenden Uebcr- zeugungen geradezu ins Gesicht schlugen, aber bei alledem kam ihr nicht im entferntesten der Gedanke, daß dies alles wenig günstige Auspizien für seine Zukunft als Geist licher waren; im allgemeinen »rahm sie wenig Notiz von der Ansicht eines noch urteilslosen und unmündigen Jungen, und tröstete sich mit der Hoffnünzg, daß daS Studium die schartigen Stellen in seinem Glauben schon glätten und auswetzen würde. In dieser festen Hoffnung batte sie ihn — taub gegen seine Bitten — auf die Universität ziehen lassen. Seitdem versenkte sie sich oft und gern in das Zukunftsbild: Fritz am Altar. Den geliebten Jungen noch einmal auf der Kanzel sehen, ihn einmal predigen hören, dann konnte mam sie ihretwegen zur Ruhe betten. Wenn sie dann auch noch Thyra versorgt wußte, wohlgeborgcn in der Gut eines braven Mannes, dann war ihr Tagewerk ja ohnehin vollendet Sic hatte während seiner Studienzeit nicht geknausert. Ohne Murren, ohne Rechenschaft zu verlangen, hatte sie ihm immer die verlangten Summen geschickt. Einmal nur war er in den Ferien zu Haufe gewesen; die übrigen Ferien hatte er ans Reffen zugcbracht. Ingeburgs Freund und Berater, der junge Pastov Martens, schüttelte manchmal bedenklich den Kopf, wenn sie ihm erzählte, wieviel der „teure" Junge ihr koste.
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