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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-20
- Monat1902-10
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gekal-t), nur mit der Morgen-Ausgabe, oyne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. M-rge»-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition >u richte«. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Aach der Schlacht bei Jein an» Oktober Bon vr. K u r t tt r c b s. II. Als die wuchtigen Fäuste Napoleonscher Unmenschlich« leit Sachsen mit den furchtbarsten Schlagen Heimzusuchen drohten und sich der Verlaß auf ein Preußen ohne einen Friedrich den Großen als eine strafwürdige Vertrauenö- seligkcit erwiesen hatte, da war es gewiß nur ein Akt echt kaufmännischer Klugheit, daß sich die einheimischen Be hörden Leipzigs und seine vornehmsten Bürger zu den französischen Gewalthabern auf möglichst guten Fuß zu stellen suchten, mit ihnen auf freundlichste Art nähere Be- tanntschaft zu machen und hierdurch den Gang der Ge schäfte zwischen einander möglichst zu erleichtern bestrebten. Man hatte diese Ziele im Auge auf einem Diner, das man den französischen Herren am 0. November nachmittags 3 Uhr im Hotel de Sare gab. Daran nahmen teil Vize- präsidcnt v. Brvizcni, Kreishauptmann v. Nitzschwitz, die Majore v. Keller rind v. Rex, Amtshanptmann Graf Hohenthal, Kammerhcrr v. Wietersheim, Kvmmissionsrat Weidlich, Bürgermeister Lazer aus Eilenburg, Geheimrat Graf Hohenthal, Senator Limburger, die Herren Schwager, Mencr Frcgc, Ploß, Chevalier la Motte, Hvfrat Platucr, Kamwcrrat Dörrten, die Herren Mellt) Nuinmel und Schrepfcr, die Kreisstcuercinnchmer Eincrt und Her mann, die Herren Stoll und vr. Nichter und endlich 12 Franzosen, insgesamt 36 Personen. Für Speisen, Wein und Belciichlung wurden 257 Taler 10 Groschen bezahlt, und zwar 7 Taler von je einem Leipziger und 84 Taler aus der Kreiskassc. Auch der großen Menge der durch ziehenden feindlichen Truppen kam man ans das Liebens würdigste entgegen, bekennt doch selbst General Re-nö am 22. November 1806: „Vou^ trouvoreü ci-joint, dlossieurs, I'urrötö revtivoaux 8ub»iKa»ees tronpes. Vouz uver oiicorv angmevG eo gni ost aoeoräv ü vrosclo ainsi, Iss wilitaiios ilovant stio satiskaits oto." Ter Erfolg dieser besonucneu Handlungsweisen blieb zunächst auch nicht auS, denn General Rmw erlaubte nicht nur den Druck von Pässen zur persönlichen Sicherheit aller verpflichteten Pfleger der öffentlichen Ordnung, sondern gab auch schon seine Zustimmung zur Anlegung einer Sichcrhcitsnnifvrm, bevor die Landesregierung hatte um Genehmigung dazu begrüßt werden können. Jene Uni form sollte in einem einfachen dunkelblauen Nocke mit gelben Knöpfen und dunkelroten Manschetten oder Samt kragen, einem Säbel mit vergoldetem Gefäß, sowie goldenem oder rotem Portepee und einem dreieckigen mili tärisch gestreiftem Hule mit goldener Agraffe bestehen. Und wohl auch als ein Zeichen der Hochachtung, die der persönliche Wert so manches damaligen deutschen Mannes dem eingefallenen Feinde abgerungcn hatte, ist jener Armeebefehl aufzufassen, der am 12. November 1806 von Berlin aus publiziert wurde. Darin heißt eS: „ES ist allen Soldaten verboten, sich von den in den Marschrouten vorgcschriebcnen Nichtungcn und Straßen zu entfernen. Sie werden die Ober- und Unteroffiziere bedeuten, daß sie wegen -er Aufführung ihrer Leute verantwortlich sind. Sic werden sic erinnern, -aß jeder einzelne marschierende Mann (Soldat) arretiert werden soll. Da dieses das einzige Mittel ist, die kleine Zahl der Männer zu erkennen, die der Armee folgen, ohne sie jemals zu erreichen und die sich des Namens französischer Soldaten durch Begehung verabscheuungs- und strafwürdiger Ausschweifungen un würdig machen, so werden die Kommandanten sie sofort arretieren lassen und sich zu diesem Endzwecke sowohl der französischen Trappen als der Truppen des Landes, die ihrer Disposition übergeben sind, bedienen!" Als weiteres Moment dieser französischen Ritterlichkeit deutscher Klug heit gegenüber ist auch jener Befehl Neues anzuseyen, worin die Beköstigung einheimischer und durch marschierender Soldaten ganz genau bestimmt und jede Mehrforderung verboten wurde. Morgens sollte Suppe oder Käse und Brot und ein Glas Wein gereicht werden, mittags wieder Suppe, Pfund Fleisch mit Gemüse und eine Kanne Bier, abends aber Gemüse und eine Kanne Bier. Aber so recht an die Mcißncrsche Fabel vom Hamster und Igel erinnert das Berhalten Napoleons I. gegen König Friedrich Angnst von Sachsen nach dem Frieden zu Posen am 11. Dezember 1806, denn nie sich schließlich der gastfreundlich aufgenoinmenc Igel so breit machte, daß seine Anwesenheit unerträglich wurde, so lernte damals auch Sachsen die Schmerzlichkeit des B-Sagcns kennen, nachdem cs sich vorher zu dem A hatte bereit finden lassen, und daß Napoleon I. nur Königswürden verlieh, wenn er voraussah, daß man jahrelange Erpressungen geduldig tragen würde. Wohl war seit 11. Dezember 1806 Friede zwischen Frankreich nnd Sachsen geschlossen worden, so daß Frank reich in Sachsen auch nicht das Geringste mehr zu tun und zu lassen hatte,' trotzdem forderte am 16. Dezember der noch immer anwesende französische Intendant deS Leip ziger Kreises, Treilhard, von unserer Krcisdcputation die Lieferung von 600 Zentnern Weizen für die mit fran zösischen Verwnüdctcn «»gefüllten Hospitäler und äußerte galant, wie ja immer der Franzose zu sein pflegt, die Worte: „Vous vowlrez bien cnmmoocer Io versemovt cio eotto rsgcmitinu, aussilük cstts lettro rccns!'' Wohl wandte man sich um Nat an den König und bekam auch auf seine landcsvätcrlichcn Schritte hin mancherlei Trvstes- worte Zn hören, wie z. B., daß jene Forderungen nicht als Negnisitionen anzuschcn seien, die Militärstraße von Leip zig weg verlegt sei n. a. m.; nichtsdestoweniger aber wuchsen die französischen Bedürfnisse stündlich. Am 24. Dezember forderte Treilhard aufs neue 3000 Zentner Heu und stellte in Aussicht, daß die Bürger die Pferde würden füttern müssen, falls nicht bis 10. Januar 1807 das letzte Bund geliefert worden sei. Schonungslos verlangte er in feinem damaligen Briese auch 50 Stück Ochsen, da der Schlachtviehbedarf der französischen Nordlegion er schöpft sei, und kündigte im Ablehnungsfälle liebenswürdig die Verpflegung der feindlichen Soldateska durch die Ein wohnerschaft Leipzigs an. Wandte sich auf die Bitten des Nates -er Stadt Leipzig der König von Sachsen auch wegen dieser groben Nentralitätsverlctzungen an den Be vollmächtigten Napoleons zu Dresden, so fand er wiederum wohl viele mitunter recht sonderbare Worte, aber keines wegs irgend welche Einstellung dieser Ausplünderungen seiner Untertanen. Da hieß es, diese Flciscbfordcrnngen würden von -er Norölcgion an Leipzig gestellt, um ent kräftete Dorfschaften zu schonen,' ja, bei Unterbrechung der notwendigen Fleischlieferungen müsse Leipzig für alles entstehende Unglück verantwortlich gemacht werden! Einen Nechtsgrunü für diesen Gedankengang wird gewiß nicht so leicht jemand finden können, ebensowenig sicherlich auch für die französische Beschönigung, daß man jetzt nur wiederhaben wolle, was man vor kurzem dem Kreise ge liehen. Wer hatte denn dem französischen Kaiser ge heißen, Sachsen mit Krieg zu überziehen? Wer hatte denn die Leipziger Pflege nahezu ausgeraubt? Und da wollte man wiedcrhaben, was man aus naheliegenden Gründen nicht mehr von der hiesigen Bevölkerung hatte bekommen tonnen? Wahrhaftig, eine so arge Rechtsver- drehung findet sich nur höchstens noch in der Asopschcn Fabel vom Wolf und Lämmlcin! Dafür, daß vor kurzem der französische Kriegskommissar Andrö an die franzö sischen Truppen, welche durch die Leipziger Dörfer ge zogen waren, Fleisch auS den kaiserlich französischen Vor räten verabreicht hatte, dafür sollte der Leipziger Kreis jetzt dankbar sein! Glücklich, daß der Nat unserer Stadt damals in den Mitgliedern der Leipziger Krcisdcputation wackere Männer an seiner Seite hatte! Troy der Vorstellungen des Generals Villcmancn und Kriegskmmnissars Andro beschnitt die Kreisdeputation die französischen For derungen auf das denkbar Möglichste. Um nicht mehr das törichte Opfer gemeinen Betruges zu werden, forderte man die Zahl der in den hiesigen Lazaretten liegenden Kranken zu wissen, lehnte es ab, noch ferner lebendes Schlachtvieh zu liefern, ja, erbot sich, die Krankenpflege selbst zu über nehmen. Das war natürlich ganz und gar gegen die höheren französischen Befehle, denen die Herren Bille mauen und Andrö Gehorsam zu leisten hatten und führte zu den schärfsten Auseinandersetzungen, ja zu erneuten Bitten an König Friedrich August um den Schutz Leipzigs. Leider ging damals auch schon Gewalt vor Recht! Napoleons Verbot englischer Waren aus dem europäischen Festlande vom 21. November 1806 konnte wenige Orte so schwer treffen, wie gerade Leipzig, war cs doch damals einer der ersten Handelsplätze in diesen Waren. Für große Summen hatte sich der Leipziger Vorräte zugclegt, für nicht geringere Beträge hatte er englische Waren unter wegs, ganze Vermögen hatte er für gelieferte englische Waren anßenstchcn. Und um in diesem seinem Elemente, dem Handel, rücksichtsvoll behandelt zu werden, blieb schließlich dem Leipziger nichts weiter übrig, als alle fran zösischen Forderungen zu erfüllen, mochten sie auch noch so maßlos sein. Man lieferte wieder 20 Stück Vieh für 1228 Taler und regte zur Füllung der leer gewordenen Kreiskassen eine Ertrastencr an, und zwar eine ^Hnfensteucr". Da sich das BrotbcdürfniS in den Lazaretten Leipzigs mehrte, beschloß man ferner die Einforderung von vier Metzen Weizen von jeder Hufe, wollte aber das Amt Düben völlig schonen nnd in den Ämtern Delitzsch, Eilenburg, Leipzig und Pegau die an den Militärstraßcn gelegenen Ortschaften. Und auch noch andere Sorgen mußte sich daS friedliche Sachsen von seinem französischen Gönner bereiten lassen! Die Schlachten bei Enlau (8. Februar 1807) und Friedland ll4. Juni) hatten den Franzosen hohe Zahlen Ver wundeter bereitet, deren Verpflegung in den ohnehin armen ostelbeschen Gelände« stündlich schwerer wurde. Kein Wunder, daß Napoleons Beamten auf den herzlosen, aber praktischen Gedanken kamen, diese Lasten gleichfalls den gesegneten Gelände» Mitteldeutschlands, insbesondere Sachsens, aufzubüröen. Auf den verschiedensten Wegen wurden diese Verwundeten über die Grenzen unseres Landes gebracht, von Görlitz her, über Königsbrück u. s. w. Und wie viele ihrer auch eintrafcn, jeder Ort suchte sie immer dem nächsten aufzuhalsen. Kein Wunder, daß schließlich auch Leipzig den König von Sachsen um Ent lastung bat. Tie königliche Antwort lautete, daß Leipzig durch Weißenfels Erleichterung erhalten sollte, in jenem nicht über 800 und in diesem nicht über 600 Kranke Auf nahme finden. Daß die sächsischen Behörden auch noch die hcrbcigeruseucn Aerztc aus ihren eigenen Kassen bezahl» sollten, das führte aufs neue zu Streit und Zwist mit Frankreich. So sehr sich aber das RechGgcfühl auch gegen solch unerhörte Forderungen sträuben mochte, so wenig konnte cS sich damals zur Geltung bringen. Ja, König Friedrich August mußte, wenn auch mit schwerem Herzen, endlich auch hierzu Anweisung geben. Schlecht genug kamen dabei allerdings die Aerzte weg, welche auf fran zösische Großsprecherei hin vielleicht gehofft hatten, ein UevrigcS zn verdienen, denn diö sächsischen Behörden be soldeten mit gutem Rechte nur in den bescheidensten Grenzen. Ein geradezu ergreifendes Bild damaliger Leipziger Verhältnisse entrollte die Aufbringung der dem Leipziger Kreise auferlegten Kontribution von 2 806 060 Frcs. oder 724 185 Talern, und mit möglichst getreuer Zeichung des selben fei diese Arbeit beendet. Zehn bis fünfzehn Jahre lang vor dem Jahre 1806, also ungefähr seit 1703, hatte Sachsen geringe Ernten ge habt, so daß befürchtete Hungersnöte wirklich auch in manchen Gegenden zum Ausbruch gekolnmcn waren, und z. B. die Branntweinbrennerei auf längere Zeit hatte ver boten werden müssen. Die Folgen solch teurer Zeiten hatten auf dem Lande dazu geführt, daß sich namentlich Häusler von landwirtschaftlicher Arbeit ab und dem Hand werk zugeivandt hatten, das Land also jetzt noch mehr als sonst seine gewerblichen Bedürfnisse selbst befriedigte, mit hin der Stadt gegenüber zn einer Selbständigkeit kam, welche Lieser geradezu gefährlich werden mußte. In der Stadt hatten sich die teuren Zeiten noch in anderer Weise geltend gemacht! Der hohe Preis der LebenSnrittcl hatte die Befriedigung anderer Bedürfnisse in zweite und dritte Linie gerückt und der Mehrzahl der städtischen Be völkerung, den Handwerkern, auch ihre sonstigen Ein nahmen aus der Stadt so arg geschmälert, „daß Tausende getreue Untertanen, unter dem Drucke der Zeit seufzend, sich und ihre Familien der größten, selbst der Hungersnot, ausgesetzt sahen". Zwischen Stadt und Land hatte die Teuerung noch ein weiteres tiefes Mißverständnis ge schaffen, sah doch jene in den ländlichen Großgrund besitzern nur die skrupellosen Einheimser teurer Be zahlungen und gedachte ganz und gar nicht der Unkosten eines Landwirtes, dieses aber in dem Städter inn einiger wohlhabender Zuzügler willen, die sich selbst in solchen Zeiten so manchen Lurus erlauben konnten und auf ihre Feuilleton. Unlre Studenten. Von Wilhelm Strub (Göttingen). Nachdruck verboten. Jahrzehnte hindurch blieb im vorigen Jahrhundert die Zahl der Studierenden auf den deutschen Universitäten ziemlich gleich. Sie schwankte um 12 000. Von einer Uebcr- süllung in den gelehrten Berufen war damals nicht die Rede. Als in den sechziger und siebziger Jahren eine lang same und stetige Zunahme der Ltndentcu sich bemerkbar machte, stand sic im Einklang mit dem Wachstum der Be völkerung Deutschlands. Dann aber stieg der Andrang zu den Hvrfälcn der Hochschulen mehr und mehr. Im Jahre 1885 betrug die Zahl der Studierenden bereits 27 000 und am Schluß des vorigen Jahrhunderts gegen 34 000. In dieser Zeit hat sich die deutsche Industrie, hat sich der deutsche Handel mächtig entfaltet, und beide zogen Scharen begabter, tüchtiger, junger Leute an sich. Tie meisten von ihnen erhielten ihre Borbildung auf den tech nischen Hochschulen. Wenn trotz dieser aufs Praktische ge richteten Strömung die Zahl der Studierenden an den Universitäten eine fv große Zunahme erfahren hatte, so be weist das, daß daneben der alte ideale Zug des deutschen Voltscharakters keine Einbuße erlitt, daß der Drang nach wissenschaftlicher Bildung vielmehr reger und reger wurde. Vom Jahre 1830 bis 1875 entfielen auf je 100 600 Ein wohner Deutschlands 32—38 Studenten, in den achtziger Jahren aber 57, und gegenwärtig beträgt die Verhältnis zahl etwa 60. So haben sich die Gelehrten bei »ns nahezu verdoppelt. Sie sind auch in der Tat gesuchter als früher. Tie Zahl der höheren Schulen, der Gymnasien und Real« schulen ist gestiegen; die ärztliche Hülfe wirb mehr als früher begehrt, neue Krankenhäuser, Heilanstalten aller Art sind entstanden, die Juristen finden nicht nur im Staatsdicnstc, sondern auch bei großen Handelsinstituten und Banken Anstellung, das Versicherungswesen, die hoch aufgeblühte Technik brauchen Männer, die die Hochschule durchgcmacht haben, und nicht zum geringen Teil hat die viclverzwcigte, an Bedeutung mehr und mehr gewinnende Preße akademisch Gebildeten Gelegenheit geboten, eine er sprießliche Tätigkeit zu entfalten und sich eine Lebens stellung zu sichern. Troy alledem bietet der große Andrang zu den gelehr ten Berufen den sorgsamen Volkswirten Anlaß zu Be denken. Für Eltern, die ihren Söhnen bei Wahl des Berufes mit Rat beistehen, für Erzieher, die bestimmend auf die Entschlüsse ihrer Zöglinge einzuwirken vermögen, entsteht da eine Pflicht zur Vorsicht. In einem der letzten Hefte der „Zeitschrift deS Königlich Preußischen Statistischen Bureaus" ist eine ausführliche Abhandlung über Univcrsitätsbesnch und Studentenschaft auf den deutschen, bezw. preußischen Universitäten von vr. Erich Petersilie erschienen. Bei der Besprechung der einzelnen Fakultäten finden sich Auslassungen, die von allgemeinem Interesse und für alle, die sich mit der Wahl des Berufes beschäftigen, besonders beachtenswert sind. Was das juristische Studium anbelangt, so trat in ihm ein großer und lebhafter Aufschwung nach dem französischen Kriege ein; er hat, immer wachsend, bis in die neueste Zeit ungehalten und droht mit einem solchen ttcbersluß von Juristen, daß der Rückschlag schwerlich ansbleibcn kann. Freilich bieten sich dem Juristen auch außerhalb des Staatsdienstes Aussichten auf Anstellung, aber cs macht sich schon jetzt an verschiedenen Stellen, wie bei Vcrsichc- rungsinstitutcn, in größeren Gemeinden und Sclbstver- waltungskörpern das Bestreben geltend, die betreffenden Stellen lieber mit Nationalökvnvmen zu besetzen. Ter Glaube, der Jurist könne „alles werden", der bei der studierenden Jugend heute weit verbreitet ist, bedarf also der Einschränkung. Es ist kaum zu erwarten, daß sich in der nächsten Zeit für die Juristen neue Tore ösfnen, eher ist zu befürchten, daß sich ofrenftehendc schließen werden. Beachtenswert sind diese Ausführungen »m so mehr, als die Zahl der Juristen an deutschen Universitäten von 2505 im Jahre 1870 und 4810 im Jahre 1884 auf 0250 bereits im Jahre 1000 stieg! Was das Studium der Medizin betrifft, so hat der An drang zu ihm im Laufe der Jahrzehnte verschiedene Schwankungen durchgcmacht. Die Hochflut war im Jahre 1800 eingetrctcn, wo an den deutschen Universitäten 8724 Mediziner immatrikuliert waren. Der Rückgang ist be reits erfolgt, indem die Zahl der Studenten dieser Fakultät 1000 nur 7483 betrug. Der Ueberfluß an Acrzten wurde indessen, wie unser Gewährsmann anöfükirt, nur in ein zelnen Großstädten wirklich bedenklich, während in weiten Landgcbicten Mangel an Aerzten herrschte und noch herrscht. „Dem wird sich aber schwer abhelfen laßen; denn bei den heutzutage unbedingt gestiegenen Ansprüchen an materiellen wie geistigen Lebensgenuß bedeutet cS für einen jungen Arzt ein Aufgeben mancher lieber Lebens- gewohnbeiten, selbst Lebensbedürfnisse, sich in eine Land- praxiS cinzuleben, die überdies in der Regel starke körper« liche Anstrengungen mit sich bringt. Dazu entschließen sich heute weniger Aerzte als früher, so daß selbst die frei werdenden Stellen aus dem Lande -cm Ueberflnße der Stadt nur mangelhaft Abzug gewähren. Im allgemeinen wird man aber von einer Ueberfüllung, wie sie das juristische Studium anfweist, bei der Medizin nicht reden dürfen." Die Zahl der in Deutschland studierenden evangelischen Theologen war verschiedenen starken Schwankungen unter« morsen. Von 2550 im Jahre 1860 fiel sie auf 1502 im Jahre 1876, flieg 1888 auf 4703 und sank bis 1000 wieder ans 2352. Abgesehen von verschiedenen Zeitströmungen hat sich ein höheres Bedürfnis nach Geistlichen trotz des Wachstums der Bevölkerung auch aus dem Grunde nicht gezeigt, weil die Einwohner sich in Städten anhänften und es hier möglich wnrde, längere Zeit mit weniger Geistlichen aus- znkvmmcn. „So ist wohl denkbar, daß der Zugang zum Studium der evangelischen Theologie auf geraume Zeit hinaus auf dem gegenwärtigen Tiefstände beharren wird, da er kein Erzeugnis von Zufälligkeiten, sondern tief innerer menschlicher Lebcnsbedingungen und LebcnSgc- staltungcn ist." So klar, wie die anderen, läßt sich die philosophische Fakultät in Bezug auf das Material ihrer Hörer und deren künftige Stellung nicht überblicken. Es sind in ihr ver- schicdene Fächer vereinigt. Sie ist die stärkste aller Fakul täten, die Zahl ihrer Zuhörer war, abgesehen von einem Rückgang in den neunziger Jahren, in steter Zunahme be griffen und betrug im Jahre 1000 12 244 Studierende. Ihren Hauptstamm bildeten lange Zeit die Hörer der humanistischen Fächer, der Philologie, Philosophie und Ge schichte; deren Zahl betrug im Jahre 1806 noch 2764 gegen über 502 Mathematikern und Naturwissenschaftlern, 535 Nationalökonomen, Kameralisten und Landwirten und 467 Pharmazeuten. Durch die großen Fortschritte der Natur wissenschaften haben sich diese Vcrhältniszahlcn von Jahr zu Jahr verschoben. Gegenwärtig halten die Studierenden der Naturwissenschaften den Humanisten die Wage; 4550 der letzteren stehen 4.305 der ersteren gegenüber. Die Zahl der Pharmazeuten ist stetig gewachsen und hat nur wenig Schwankungen gezeigt, das hängt mit der staatlichen Kon- zcssionierung der Apotheken zusammen, die nach der Maß gabe der Bevölkerungszunahme vermehrt wird. Bon 467 im Jahre 1866 ist die Zahl der Pharmazeuten auf 1148 im Jahre 1000 gestiegen. Eine» starken Zuwachs zeigen auch die Hörer der Zahnheilkunde. Es widmeten sich ihr im Jahre 1870 nnr 62, im Jahre 1000 aber 420 Studierende. Die Lust zum Studieren ist in den einzelnen Ländern des Deutschen Reiches verschieden. Obenan steht der Stadtkreis Berlin, aus 1 Million männlicher Einwohner entfielen in ihm zuletzt 2005 Studenten. Die wenigsten Studenten sandte Schleswig-Holstein, ans 1 Million Ein wohner nur 687. Für Preußen beträgt die Verhältniözahl 1047, für Bayern 1243, für Sachsen 1100, für Württemberg 1234, für Baden 1875, für Heßen 1569. Die Süddeutschen wenden sich also dem Universitätsstudium mehr zu als die Norddeutschen. Die Statistik der preußischen Universitäten geht noch auf einige besondere interessante Fragen näher ein. Wie lang ist die Studiendauer acrf den verschiedenen Fakul täten? Manche können nicht lange genug studieren. Im Durchschnitt der Jahre wurden z. B. ans preußischen Uni versitäten über 60 Herren ermittelt, die 10 oder mehr Semester zählten. Diese ausnahmsweise hohen Semester würden das normale Bild des Studienganges zu sehr trüben; sic wurden darum aus der Statistik ausgcschieden. Danach studieren am längsten die Mediziner, im Durch schnitt 0,7 Semester, ihnen folgen die Philologen und Historiker mit 0,6 Semester und die Mathematiker nnd Naturwissenschaftler mit 9,1 Semester. 7,1 Semester brauchen die evangelischen und 0,7 Semester die katholi schen Theologen, während die Juristen mit 6,6 Semestern am schnellsten mit dem Studium fertig werden. Gegen früher nimmt auch die Benutzung der Freizügig keit auf den Universitäten zu, augenblicklich haben von 1000 Studenten nur 401 die Universität nicht gewechselt, während 137 sie sogar drei- und mchrmal gewechselt habe». Zum Schluß seien uns noch einige Worte über die Herren Väter der Studenten, über ihren Stand und Be ruf, erlaubt. Ein Viertel von ihnen sind „alte Herren" auch im akademischen Sinne des Wortes, da sie selb» studiert haben. Obenan stehen die Geistlichen, denn ans 100 000 Personen der Bevölkerung stellen sie allein 1011 Studierende. Erziehung und Unterricht, sowie Gesund heitspflege beanspruchen die nächstgrößte Zahl, jedoch weniger als halb so viel, wie die geistlichen Kreise. Die Beamtenschaft im engeren Sinne weist nur etwa -en vierten Teil von der Leistung des geistlichen Standes auf. Alle übrigen Berufe erscheinen mit weit geringeren Zahlen. Die Lohnarbeit ist nur mit einem Studierenden auf 100 000 der betreffenden Bevölkcrungsschicht vertreten. Hier kommt gewiß die wirtschaftliche Lage zum Ausdruck; daß sic aber allein nicht maßgebend ist, beweisen die niedri gen Ziffern der Land- und Forstwirtschaft (14), Bergbau und Industrie (19), Handel und Verkehr (98). So zeigt cs sich auch hier, wie sehr die Familirnüberlieferung di, Wahl des Berufes beeinflußt, wie oft der Lohn dem Berufe des Vaters folgt.
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