Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021021027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-21
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.59, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisllste. —— Redaktion und Expedition: Ivhannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Ftliale»prditio«e«: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, L. Lösche, Kalharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. - - Haupt-Filiale Lerlin: Königgrätzer Straße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. S3V3. Abend-Ausgabe. WiMger TagMalt Anzeiger. Ämtsvlatt des königlichen Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nalizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dein Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 90.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L Polz in Leipzig. Str. 537. Dienstag den 21. Oktober 1902. 96. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. Oktober. Damit es heute endlich im Reichstage zur Abstimmung über die Mini malzölle für Brotgetreide kommen könne, ist der Beginn der Sitzung wieder auf 12 Uhr angesetzt. Ob aber die gute Absicht erreicht wird, ist bei der Redewut der Sozialdemokratie und ver schlechten Besetzung namentlich der rechten Seite des Hauses, die es nicht wagen darf, Schlutzanträge einzu bringen, noch fraglich. Jedenfalls aber ist, obgleich gestern die Vertreter Bayerns und Württembergs im Bundesrate, die Ltaatsmintster Frhr. v. Riedel und v. Pischek, dem vorgestern von ihrem badischen Kol legen I)r. Buchenberger gegebenen Beispiele folgten, das Festhalten der Regierungen an ihren Erklärungen be tonten und mahnende Worte, besonders an die Freunde der Landwirtschaft, richteten — mag nun die Abstimmung morgen oder erst übermorgen erfolgen — kein Resultat zu erwarten, mit dem der Bundesrat sich abfinden könnte. Zwar ließ gestern der konservative Graf Schwerin- Löwitz, der sich scharf nicht nur gegen die bündlerischcn Anträge, sondern auch gegen die für diese Anträge ein tretenden eigenen Parteigenossen wendete, erkennen, daß er den Unterschied zwischen den Regierungsvorschlägen und den Kompromißbeschlüssen für ziemlich bedeutungslos hält und also am Ende wohl mit diesen Vorschlägen sich begnügen wird: aber die Zahl seiner Anhänger ist zu ge ring, als daß sie den Widerstand der sich noch auf die Komprvmißbeschlüsse versteifenden Konservativen und Klerikalen wirkungslos machen könnten. Nicht einmal der Schreckschuß des Abg. Ur. Sattler, der gestern an die verbündeten Regierungen die Aufforderung richtete, auf die Abstimmung über die Getrcidezöllc mit der Auf lösung des Reichstages oder der Zurückziehung des Zoll tarifs zu antworten, wird voraussichtlich fruchten, da die Mehrheit die begreifliche Abneigung der Negierungen gegen Neuwahlen unter der Zollparolc und gegen jede Handlung, die der immer noch erhofften Verständigung bei der dritten Lesung vorgreifen würde, kennt. Die „Freis. Ztg." stellt denn auch bereits eine Berechnung über die Abstimmung an und kommt zu folgenden Resultaten: Der höchste Sah muß zuerst zur Abstimmung kom men, also der Betrag von 7,50 Dafür werden aber höch stens 50 bis 60 konservative und wilde Stimmen sich finden. Dann kommt der Antrag Heim, der 6 verlangt. Die Minderheit stellt sich bei dieser Abstimmung auch nicht größer heraus. Nun kommt man zu dem K o m m i s s i o n s v o r schlag von 5,50 .L für Roggen. Wenn jetzt die Herren, die für 7,50 «K gestimmt haben, von dem Geschäft nichts mehr wissen wollen und auch gegen 5,50 ./k stimmen, so wird auch dieser Kommisfionsvorschlag abgelehnt, weil 170 Stimmen der Linken, der Nationallibcralen und der Elsässer ohnehin dagegen sind und eine Mehrheit bei voller Präsenz 199 Stim men erfordert. Bescheiden sich nun aber die 7,50 <F-Männer und nehmen mit 5,50 fürlieb, so wird voraussichtlich dieser Satz mit einer Mehrheit von 60 Stimmen angenommen und ebenso der Sah von 6 für Weizen. Da die Negierung diese Preise aber nicht zahlen will, so vertrösten sich diejenigen, die 5,50 für Roggen und 6 für Weizen verlangen, auf die dritte Lesung, die aber frühestens im Monat April statt finden kann. Im großen und ganzen wird diese Rechnung wohl stimmen, und so wird sich die wichtige Entscheidung über die Zollfragen bis in das nächste Frühjahr hinziehen. Aus der s ä ch s i s ch c n E in k o m m e nste u e r - Sta- r i st i t für das Jahrzehnt 1890 bis 1900 sind jüngst Schlüsse betreffs einer starken Bermehrung des Mittelstandes im Königreiche Sachsen gezogen worden. Die „Deutsche Tagest g." macht gegenüber diesen Schlüssen geltend, daß nicht vom Jahre 1870 an die sächsische Steuerstatislik ver wertet sei, sondern daß man nur die Jahre 1890 bis 1900 in Betracht gezogen habe. Der Einwand des Organs des Bundes der Landwirte ist nicht stichhaltig. Denn auch für die Jahre 1879 bis 1890 beweist die sächsische Ein- tommensteucr-Statistik die Zunahme des Mittelstandes. In dem genannten Zeiträume waren nämlich unter den ein geschützten physischen und juristischen Personen in der Klasse bis 500 Einkommen im Jahre 1879 51,5 Prozent, im Jahre 1890 nur 38,9 Prozent: in der Klasse von 500 bis 1600 im Jahre 1879 40 Prozent, im Jahre 1890 41,3 Prozent: in der Klasse von 1600 bis 3300 im Jahre 1879 5,7 Prozent, im Jahre 1890 6,5 Prozent: in der Klasse von 3300 bis 9600 im Jahre 1879 2,3 Prozent, im Jahre 1890 2.6 Prozent: in der Klasse über 9600 im Jahre 1879 0,5 Prozent, im Jahre 1890 0,7 Prozent. Also auch in der Zeit von 1879 bis 18m sind die Einkommen des Existenz minimums erheblich zurückgegangen und die relativ stärkste Vermehrung weist der Mittelstand auf. Die „Deutsche Tageszeitung" wendet gegenüber dem neuen Mittelstände ein, daß ihm die Selbständigkeit fehle: sie erblickt daher in ihm „kein Element der Ttaatscrhaltung, der Kultur, der Vvlkskrast, sondern vielmehr einen Faktor der Zersetzung und der nationalen Gleichgültigkeit." — Die Einseitigkeit dieses Urtciles sticht aus das Unvor teilhafteste von der sachlichen Abwägung aller in Frage kommenden Momente ab, die man in der Schrift !)r. Hugo Böttgers „Vom alten und neuen Mittelstände" finden kann. Böttger beurteilt den neuen Mittelstand weniger optimistisch als z. B. Schmvller. Aber er zeigt durch einen kritischen Blick auf gewisse Bestandteile -cs alten Mittel standes, wie eine zutreffende Auffassung von der mangeln den Selbständigkeit mancher Schichten des neuen Mittel standes zu gewinnen ist. Böttger führt in dieser Beziehung u. a. aus: „Gerade die in das Proletariat hinabgesunkenen Handwerker und die verunglückten Kleinhändler, sic haben auch den Schein einer Unabhängigkeit kaum kennen ge lernt. Bei den Lieferanten mußten sie um Kredit, bei den Kunden inn Bezahlung betteln, überall devot und gefällig sein, politisch mit der herrschenden Macht gehen: froimn mit der Geistlichkeit, radikal mit den Sozialdemokraten tun. Den Gesellen und Gehülfen mußten sie gute Worte geben, damit diese bei dem unregelmäßigen und niedrigen Lohne nur blieben. Man lese in den Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik nach, wie der Tischlermeister am Wochenschlusse mit den fertigen Taunenmöbcln bei den Trödlern herumzieht und sie um jede» Preis losschlägt, um am Sounabcnd etwaAGeld in der Kasse zu haben: wie die Lcderhändler die Kleinschuhmacher in ihrer Gewalt haben.. . . Und nicht anders sieht es beim Kleinkausmann aus. Er hat in leider gar nicht seltenen I Fällen die Waren lediglich unterzubringen, welche ihm der I Fünfkilo-Grossist borgt, der ihm den Laden eingerichtet I und die Miete vvrgestreckt hat. Von einer wirtschaftlichen Selbständigkeit, von eigener Entschließung ist in diesen Fällen nicht zu reden." — Anderseits bekämpft Böttger es ebenfalls als Selbsttäuschung, wenn dem neuen Mittel stände die liebenswürdigsten Züge goldener Freiheit an gedichtet werden. „Freilich kennt der neue Mittelstand", schreibt hierzu Böttger, „nicht die nagende Sorge, den Lohnfonds, die Zinsen für das geborgte Betriebskapital, Laden- und Wcrkstattsmicte aufzubringen; auch wird er im allgemeinen unabhängig vom Moloch Publikum und von gesellschaftlicher und politischer Macht sein. Aber auch er trägt seine Fesseln, die freilich um so leichter sind, je tüchtiger und unentbehrlicher der Vorarbeiter, Werk meister, Prokurist, Buchhalter n. s. w. ist. Immerhin hat er das Urteil oder auch Vorurteil seiner Vorgesetzten, den Neid und die Nachrede Minderbegabter oder schlechter dotierter Kollegen . . . zn fürchten. Anch soll man nicht übersehen, daß das Durchschnittseinkommen des Mittel standes in die unteren Klassen der Mittelstandsquote füllt, daß cs verhältnismäßig unsicher ist, daß Arbeitslosigkeit, Krankheit und Invalidität das unsnndicrte Einkommen gewaltiger erschüttern, als das Einkommen aus Besitz. Man darf den Freunden des alten Mittelstandes ohne weiteres zugeben, daß ein gesunder Handwerksbetrieb, ein gutes Ladengeschäft bessere und tiefer liegende Steuer quellen, daß die Inhaber solcher Betriebe in der bürger lichen Gemeinschaft schwerer ersetzbare Persönlichkeiten als Angestellte und Untergebene sind." — Böttger malt, wie man sieht, den neuen Mittelstand durchaus nicht rosig. Aber mit Fug verhilft er auch seinen Vorzügen gegenüber dem proletarisierten Kleinmeister und den Pseudo-Prinzi palen zu ihrem Rechte. In der Fehde der magyarischen Presse gegen das ungarische Deutschtum spielt bekanntlich die stehende Redensart der magyarischen Ehauvinisten eine große Nolle: von einer ungerechten Behandlung der deutschen Redakteure könne einfach deshalb keine Rede sein, weil die magyarische Presse sich aller Beleidigungen gegen Deutsche enthalte und deshalb der Staatsanwalt nie in die Lage komme, gegen sie einzuschreitcn. Zur Beur teilung dieser Behauptung bietet jetzt der „Függetlcn Magyarorßag" einen hübschen Beitrag — wvhlgemcrkt: nicht irgend ein kleines Blättchen aus der Provinz, son dern das führende Organ der Kossnthisten, das, wie bei läufig bemerkt sein mag, unlängst von dem sächsischen Ab geordneten vr. Karl Lurtz meinte, Leute von seinem Schlage müßten „niedergeschlagen werden wie tolle Hunde oder am ersten besten Baum aufgeknüpst werden". Dieses Blatt bringt jetzt zu Beginn der neuen Neichstagssession einen Artikel, in dem es mit der unentschiedenen Haltung der „unfähigen, die Nation verratenden Negierung" gegenüber den Nationalitäten scharf ins Gericht geht. Vor allem wendet cs sich in den schärfsten Ausdrücken gegen die alte österreichische Nationalhymne „Gott er halte", die den ungarischen Ehauvinisten als ein deutsches Lied ja schon längst verhaßt ist. Es schließt seine Aus führungen mit den Worten: „Tiefes schuftige, nieder trächtige (eruckar!) Lied werden sie bei uns noch öfter spielen: aber deshalb bleiben wir doch bei unserem Liede, das jeder Magyarc kennt und das so anfängt: liuneriut a nervet . . ." Und was ist das für ein Lied? Es lautet in der Ucbersctznng: Deutscher wart'! Bald lvird's Dich reuen! Thust Du dem Magyaren dräuen! Dudel wird aus Deiner Haut, Drauf spiel' ich ein Liebel laut. Hundsfott doch der Deutsche ist. Wenn ihn nur der Teufel frißt! Friß ihm Lung' und Leber auf Und die Rippen obendrauf. Mit diesem Liede soll die alte Königshymne des deut schen Habsburgerhauses beantwortet werden! Sv darf eins der größten Blätter Ungarns unbehelligt und un gestraft schreiben, während soeben der sechste Prozeß dieses Jahres gegen einen deutschen Journalisten (Ztein- ücker) wegen Aufreizung gegen die magyarische Nation vor der Tür steht! In Serbien ist das Kabinett Wuitsch durch das Kabinett Welimirowitsch abgelöst worden. König Alexander hat selbst der Ansicht wiversprochen, daß der erneute Aufschub dcö Empfanges des Königspaares am russischen Hose eine Absage des wiederbolt in aller Form imNamen desKaisers vonRußlaud zugesagten Empfanges bedeute, aber er wird damit der überall geteilten Ansicht nicht den Boden entziehen, baß der wieder- bolte Aufschub ber Reise nach Petersburg und der Weigerung der Zarin, die Königin Draga bei sich zu seben, den Abtritt des Ministeriums Wuitsch veranlaßt habe. Wie man in österreichischen Kreisen den Ministerwechsel beurteilt, geht aus folgender, gut orientierter Wiener Correspondenz der „Münchner Allg. Zeitung" hervor: Daß die Kaiserin von Rußland sich so hartnäckig weigert, Königin Draga zu empfangen, kann auf die Dauer vielleicht auch andere Wirkungen üben wie die, Ministerwechsel hervorzurufen. Vorläufig bleibt es beim Ministerwcchsel. In Wien nimmt man das Scheiden Wuitsch« und das Erscheinen seines Nachfolgers ohne Bewegung hin. Wuitsch hat sich immer sehr um die Gunst Rußlands bemüht, aber uns hat er damit nicht geschadet, und es liegt kein Anlaß für uns vor, uns zu freuen, wenn dieser Russen- sreund fortgeht. Unannehmlichkeiten kann uns Serbien nicht bereiten, ausgenommen auf einem einzigen Gebiete, nämlich in Vos- nien, wo es durch Agitationen die orthodoxe serbische Bevölkerung des OstenS gegen uns aushetzen kann, was für uns unzweiselhast lästig ist, aber freilich für Serbien selbst viel schlimmer, da wir immer Büttel haben, es für dergleichen Torheiten büßen zu lasten. Eine einigermaßen vernünftige indische Regierung wird sich daher, anch wenn sie noch so russenfreundlich ist, darauf nicht einlasscn, und auch Wuitsch hat in dieser Hinsicht keinen Grund zur Klage gegeben. Er hielt sich an Rußland, erstens, weil der Anschluß an die große glaubensverwandte slawische Macht nun einmal populär bei den griechisch-katholischen Slawenvölkern des Balkans ist, zweitens, weil der König gerührt war über die russische Zustimmung zu seiner Ehe mit der geliebten Draga, und dritten-, weil man glaubte, mit russischer Hülse die Interessen de« Landes und der im sogenannten Allserbien und in Makedonien lebenden Volksgenossen gegen Türken, Albanesen und Bulgaren am besten wahren und fördern zu können. Die Ausgabe, Serbe». Protektor zu sein, ist indes wenig dankbar, und der ganze Erfolg, den das mächtige Rußland für die Serben erzielte, war die Weihe Firmilians zum Bischof von Uesküb, während es in Altserbien, wo die christlichen Bauern fortwährend um Schutz gegen die Albanesen bitten, bisher nicht einmal Sicherheit für den eigenen Konsul erlangen konnte. Beim gegenwärtigen Stande der orientalischen I Verhältnisse ist den Russen die serbische Freundschaft vermutlich I mehr lästig als willkommen; als Werkzeug zur Einschüchterung I des Sultans ist Bulgarien, das der Länge nach aus Makedonien FeiriHetsir. Compania Clyador. 18j Roman von Woldemar Urban. NaLcruck verboten. „Nicht fort?" wiederholte er, währen- ein bitteres Lächeln um seine Züge spielte. „Das sagen Sie zu mir, Isa, mit dem Sie jahrelang In halb Europa herum gezogen sind? Sagen Sie das dem Wind, oder den Wollen, das hat mehr Sinn, als es zu mir zu sagen. Morgen früh bin ich über alle Berge. Was soll ich denn hier? Ihre Spesen vermehren? Das hieße ja geradezu. Sie Ihrem Tchlitzwang in die Arme treiben!" „Herr Altmann, ich bitte Sie, ich beschwöre Sic, denken Sie daran, wie weh Sie mir tun, wenn Ihnen ein Un glück zustoßen sollte." „Unkraut verdirbt nicht! Aber eins lassen Sie mich Ihnen sagen, Isa, heilig und wahr, ernst und ehrlich: Hüten Sie sich vor dem Lchlitzwang!" „Aber " „Nein, sagen Sie nichts. Sie sind ein Mädchen, wie alle, und wenn Ihnen jemand immer und immer wieder sagt, daß er Sic liebt, so glauben Sie es schließlich, und das ist's, was in den fürchterlichsten Tagen und Nächten wie ein Alp auf mir gelegen, das mich aus Rußland wieder fortgetricben und mir nie un- nirgends Ruhe läßt. Ein Mann sieht und weist das bester als Sie. Er liebt Sie nicht, denn er liebt nur sich, oder doch nur wie ein Kind seine Puppe liebt, die cS später, wenn es ihrer überdrüssig, zerlumpt und schmutzig in einen Winkel wirft. Hüten Ste sich vor der Existenz einer solchen zerlumpten un schmutzigen Puppe, Isa! Heilig und wahr, ernst und ehr lich — hüten Sie sich, dast Sic sich nicht selbst verlieren, nicht Ihre eigene Größe und Künstlerschaft daran geben, um der Wegwnrf eine« Tagc-icbeS zu sein." Dabei klapperten seine Zähne vor Frost, und Isa hatte alle Not, ihn zu überreden, doch wenigstens mit ihr ins Haus zu kommen und sich ordentlich zu erwärmen. End lich gab er darin nach. Der alte Cazador wurde geweckt. Er freute sich aufrichtig. Monsieur August wiederzufehcn, und die halbe Nacht fasten sie bei Esten und Trinken zu sammen, um sich von ihren Kreuz- und Ouerfahrten zu erzählen. Die Verhältnisse in Rußland, natürlich nur so- wett ste für Schaubuden und Publtspteler in Betracht kamen, wurden des langen und breiten erörtert, und Herr Cazador war sehr vergnügt darüber, daß er wieder jemand hatte, mit dem er sich vom Reise- und Wanderleben erzählen konnte. „Das müssen Sie mir morgen erzählen, Monsieur August", rief er eifrig und interessiert. „Uebcrhaupt dürfen Sie nicht so bald wieder fort." Am andern Morgen, noch ehe jemand in -em kleinen Hause aufwachte, war Monsieur August wieder ver schwunden. „Wanderblut, Wanderblut!" murmelte der alte Cazador, am Fenster stehend und sehnsüchtig den Wolken nachsehend. Isa hörte, was er sagte, erwiderte aber nichts. Sie wußte, daß sie nur ein Wort Hütte zu sagen brauchen, nm dieses Wanderblut zur Ruhe zu bringen. Sie las in den Augen des Wanderlustigen, daß ihn die Eifersucht zu ihr zurück, der Stolz aber wieder fort getrieben. Es ging ihm wider das Mannesgefühl, anch nur das Geringste von ihr anzunehmen. Ter Mann in seinen Lumpen hatte einen Stolz, den manche ordens geschmückte Brust nicht kennt oder doch verächtlich als Bettlerstolz bezeichnet. Und warum hatte sie das Wort nicht gesagt? Warum ihn nicht zurückgehaltcn? Sie wußte es wohl selbst nicht genau, sondern fühlte nur instinktiv, -ast es so besser sei. Wozu hätte das denn führen und was hätte daraus werden sollen? Nein! Ter Mann mußte sich auslcben, wie un gegorener Wein erst klären, mußte seinen Stolz entweder besiegen oder durch ihn empvrwachsen zu einem ganzen Mann. Isa ließ ihn ziehen, denn sie wußte, -aß er eines schönen Tages wieder da sein würde, so oder so, aber er würde sie nicht aus den Augen verlieren und plötzlich wieder ans- tauchen, wenn sie seiner bedurfte. „Er wird schon wiederkonnnen!" Das war ihre Weis- heit und ihr Trost. Vierzehntes Kapitel. Man sagt vielfach, ein Hausbesitzer habe nur zwei gute Tage, einen, wenn er in sein neues Haus cinzieht, und den andern, wenn er wieder auszieht. Aehnlich ging cs dem jungen Herrn Habicht mit seiner neuen Wohnung in der Wilhelmstraße. Im Anfang war alles wunderschön. Die goldene Freiheit war errungen, endlich, endlich war er sein eigener Herr und konnte machen, was er wollte. Das tat er denn auch, aber er mußte nur zu bald merken, welche mißliche Folgen die sogenannte goldene Freiheit mit sich brachte. Zunächst war sic unglaublich kostspielig. Er hätte nie geglaubt, was alles in solch eine eigene Wirtschaft hin- eingehürt, um sie anständig herzurichten und zu erhalten. Tie sechzehn Tausend Mark, die er ausgenommen, hatten nicht lange gereicht, was allerdings auch damit zusammen hing, daß er durchaus kein Wirtschastsgenie war und cs eine Menge Tinge gab, um die er sich bisher nie gekümmert und von denen er infolgedessen nichts wußte. Wie er sah, daß das nicht so ging, wie er dachte, wurde eine Wirt schafterin angeschafft — jetzt hatte er in den wenigen Mo- natcn die siebente —, die ihm dann recht freundlich half, sein Geld unter die Leute zu bringen. Diese Wirtschafterin frage und die immer drohender werdende Geldnot hatten den Zauber der goldenen Freiheit schon bedenklich durch löchert. Aber eck kam noch ganz anders. Er fühlte sich einsam in seiner großen — für ihn viel zu großen Woh nung. Niemand war da, mit dem er plaudern und sich die Zeit vertreiben konnte. Er lief also fort und suchte sonst wo Zerstreuung — man weiß, was das zu bedeuten hat. Wenn er dann wieder heim kam und ausruhen wollte, so wurde unter oder über ihm, oft auch an beiden Stellen Klavier gespielt, manchmal sogar getanzt, daß die Wände zitterten. Alle Schrecken einer Mietwohnung wurden ihm, der davon bisher noch nie etwas erfahren, klar. Der Hausmann war ein Flegel, der Hausherr sagte, cs ginge ihn nichts an, die Wirtschafterin stahl wie ein Rabe, brachte gelegentlich auch sogenannte Verwandte mit in die Woh nung, die wohl anch nicht leer fortgingen — kurz, die goldene Freiheit wurde immer mehr rmd mehr zum schönen Traum, und er kam auf die Idee, das er eine fürchterliche Dummheit begangen habe. Das war eigentlich noch das Beste daran, und wenn die Lehre auch eine etwas teure war, so war cs eben doch eine Lehre. „Sic müssen heiraten, Herr Rechtsanwalt", sagte seine neue Wirtfckmfterin, eine dicke, robuste Person von fast fünfzig Jahren — er hatte mit den jungen schlechte Er fahrungen gemacht — und sah ihn verliebt von derScite an. Er erschrak vor der Frau und ihren unverkennbaren Absichten, aber Recht hatte sie. Er mustte heiraten und wollte cs ja auch, wenn nur Isa nicht solche Umstände ge macht hätte. Und dann — dazu gehörte wieder Gelb, und die Sache ließ sich schon deshalb nicht übers Knie brechen. Nun kam zu all dem noch das Rencontre mit Hauptmann Kamenz! Der junge Herr Habicht hatte die ganze Sache recht satt, aber eine solche Beleidigung ungestraft hingehcn zn lassen, bas brachte er nicht übers Herz. Er mußte Satisfaktion haben seine Ehre stand auf dem Spiel, und er wollte dem Beleidiger einen Denkzettel verabreichen, der ihm weitere Unverschämtheiten vergehen lasten sollte. Ta beide Gegner dem Offizierskorps angchvrten — Herr Habicht war Leutnant der Reserve —, so kam der Handel vors Ehrengericht. Die Sache zog sich in die Länge, so daß die Vertranten schon glaubten, cs würde überhaupt nichts daraus werden. Hauptmann Kamenz bestritt die Be leidigung, das Ehrengericht aber erkannte sie schließlich au und bestand aus Abbitte. Ta diese nicht erfolgte, konnten die Zeugen endlich die näheren Bedingungen des Duells fest setzen. Habicht junior als Beleidigter hatte die Wahl der Waffe. Er wühlte den Stvßdegen. Seine Zeugen machten ihm Vorstellungen. Er möge doch eines im ganzen nicht erheblichen Wortwechsels wegen nicht eine so gefährliche Waffe wühlen. „Es ist die Waffe, die mein Gegner täglich trägt. Ich darf also voranssetzcn, daß er damit umgehen kann. Kann ich cvulanter sein?" erwiderte Herr Habicht spitz. So blicb's dabei. Es mar ein grauer farbloser Winterkäg. In der Stadt war die Lust mit Ruß und Rauch erfüllt, iu der Umgcbuua mit Nebel. Die Sonne kam nicht zumDurchbruch, eine tröst lose und dabei empfindlich kalte Witterung, der Spott eines Tages, der eigentlich nur eine Dämmerung war. Als der Wagen, in dem der junge Habicht mit seinen beiden Zeugen und dem Regimcntsarzt Henscler nach dem Terrain fuhr, außerhalb der Stadt kam, sah der junge Mann iu dem schwarzen Geäst der winterkahlen Bäume, die die Straße einsäumtcn, eine Unmenge Naben, die sich teils kreischend in den Gipfeln niedergelassen, teils unbeholfen und plump hin und herslatterten. Im Hintergründe tauchten dunkle Baumschatten, Eypressen, Tannen und ähnliches ans dem Nebel hervor. Auch eine lange graue Maner zog sich weit durch die Felder, hinter der sich der Lüdsriedbof erbob. Der Lärm der Stadt verstummte allmählich hinter ihnen und immer mehr machte die Stille des Friedhofes, die öde träge Witterung und die traurige Melancholie der Land schaft sich bemerklich. In dem Wagen fiel kein Wort, cs war wie bei einem Leichenbegängnis. Es konnte ja wohl auch sein, dachte Habicht junior, indem er ernst und nachdenklich vor sich hin in die trostlose Ocde starrte. War das sein letzter Tag ? Er sah ganz dar nach aus. Ein schäbiger Nest von Tag, ohne Licht un- Farbe, als ob cs nicht weiter gereicht hätte. War cs aus ? Schon? Mit dreißig Jahren! Sein Gegner war ein ge wandter Fechter. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite