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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021022028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-22
- Monat1902-10
- Jahr1902
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Schon die nächsten Tage werden voraussichtlich die Folgen dieses Beschlusses im weiteren Fortgänge der bis aus weiteres gegenstandslos gewordenen Zolltarif beratungen erkennen lassen. Wie leicht die extremagrarrsche Rechte sich über alle Folgen ihrer Haltung hinwegzusetzen weiß, bekundete in der Debatte der Abg. vr. Hahn, der sich zwar den Anschein gab, an die Möglichkeit von Handels verträgen auf der Basis der Getreiberollsätzc, wie die Kommission und selbst wie der Bund der Landwirte sie vor schlugen, zu glauben, aber für ein etwaiges Scheitern der Bertragspolitik hinreichenden Trost darin fand, daß dann der Schaden der deutschen Industrie viel größer sein würde, als der der deutschen Landwirtschaft. Wohl nickt in ter Meinung, aus die Hallung der Mehrheit durch Gründe der Vernunft noch einwnken zu können, sondern lediglich um die in der Debatte so vielfach verdunkelten Tatsachen ins rechte Licht zu stellen und die Haltung der Regierung noch mals zu rechtfertigen, stellte Graf Bülow zunächst dem leicht herzigen Bündler gegenüber fest, daß die Vorlage der ver bündeten Negierungen die landwirtschaftlichen Zoll- posilionen durchschnittlich um 17,2, die industriellen nur um 5,7 Proz. des Einfuhrwerts erhöht. Ferner konnte er gegen allerlei Anspielungen agrarischer Redner auf einen ver änderten „Wind von oben" erklären, daß das Bestreben der verbündeten Negierungen, der Landwirtschaft jeden mit der Rücksicht auf den Abschluß von Handelsverträgen verein baren Schutz zu gewähren, von oben in keiner Weise gekreuzt oder beeinflußt worden fei. Er fügte hinzu, daß cS ihm, dem Reickskanzler, nickt darauf ankomme, ob er jür sein seit zwei Jahren aufrichtig eingesetztes Bemühen, den Be dürfnissen der Landwirtschaft gerecht zu werden. Dank oder Undank ernte; aber cs werde lange, lauge dauern, ehe wieder ein Reichskanzler der deutschen Land wirtschaft das bieten werde, was er mit dieser Vorlage geboten habe. Der Reichskanzler wiederholte ferner die Er klärung, daß nach seiner Kenntnis der Dispositionen im AuS- lande keine Aussicht bestehe, gute Handelsverträge bei Er höhung der Minimalzölle für Getreide zu stände zu bringen. In einer die Beziehungen zum Auslande so tief berührenden Frage dürfe die Regierung erwarten, daß der Reichstag ihre größere Autorität anerkennen werde. Zum Schluffe verlas er mit erhobener Stimme folgende Worte: Im Namen der verbündeten Negierungen habe ich nochmals zu erklären, daß die Anträge Wangenheim, Heim und Albrecht ebenso wie die der Kommission in Bezug auf die Mindestsätze in jedem Stadium der Ver handlungen für die verbündeten Regierungen un annehmbar sind. Vergebens! Bei der etwas komplizierten Abstimmung wurde zunächst der Antrag Wangen beim, für Roggen 7,50 Mindestzoll, in namentlicher Abstimmung mit 289 gegen 44 Stimmen abgelehnt. Die Minderheit war die bündleriscke Reckte. 5 Konservative enthielten fick der Abstimmung. Der Antrag Heim, 6 Mindest zoll, wurde darauf in einfacher Abstimmung ab ge lehnt. Die vorherige Minderheit vermehrte sich hier durch das bayerische Zentrum und durch die Nationalliberalen Haas, Graf Oriola, Deinhard, Hische und Lichtenberger Die Abgg. Sieg und Frhr. v. Hehl waren nicht anweiend. In namentlicher Abstimmung wurde hierauf bei einer Anwesenheit von 344 Mitgliedern der Kommissions beschluß, 5,50 Mindestzoll für Roggen, mit 187 gegen 152 Stimmen angenommen. Die Mehrheit setzte sich zusammen aus der gesamten Rechten, dem Zentrum mit Welfen und Polen und den 5 oben genannten National liberalen. Von Zentrumsabgeordneten enthielten sich der Abstimmung: Humann, Fusangel, Eahensly, Krebs. In einfacher Abstimmung wurde sodann mit etwas größerer Mehrheit der autonome Zollsatz für Roggen nack dem KommissionSvorscklage, 7 angenommen. Die Abstimmungen über den Wei zen vollzogen sich rascher, da nur diejenige über den Mliidestzoll der Kommissionsvorlage namentlich war. Der Antrag Wangenheim wurde wie beim Roggen ab gelehnt. Die namentliche Abstimmung über den Kommissionssatz, mit dem sich für Weizen der Antrag Heim deckt, 6 Mindestzoll, ergab die Annahme dieses Satzes mit 194 gegen 145 Stimmen bei fünf Stimmenthaltungen. Ebenso wurde der Kommissions beschluß über den autonomen Weizenzoll, 7,50 angenommen. Die Regierungsvorlage war also vorläufig gefallen, und zwar ohne Abstimmung; Ihre Freunde kamen also nickt in die Lage, ihre Zustimmung zu der Vorlage durch ein Votum zu erkennen zu geben. Wir stellen dies ausdrücklich fest, um über die Stellungnahme des Abgeordneten für Leipzig, Prof. vr. Hasse, und seiner nationalliberalen Gesinnungsgenossen keinen Zweifel auf kommen zu lassen. Er und die große Mehrzahl seiner Freunde stimmten gegen die Anträge v. Wangenheim und Heim, ebenso gegen denKonimissionSanlrag, und wurden nur durch dicAnnabme dcs letzteren davon abgebalten, ausdrücklich für die Regierungs vorlage zu stimmen. Was die genannten anderen national liberalen Abgeordneten betrifft, die für den KommnsionSantraz stimmten, so nehmen wir zweifellos mit Recht au, daß sie bei der dritten Äsung gleickfalls für die Regierungsvorlage eintreten. Dadurch vermindert sich die ohnehin nickt imposante Mehrheit für den Kommifsionsantrag nicki unwesentlich. Es bedarf also keiner starken Absplitterung bei den Konservaiiven und dem Zentrum, um in der dritten Lesung der Regierungsvorlage zum Siege zu verhelfen. Jedenfalls rechnen die Regierungen mit dieser Möglichkeit und dürfen sich für dielen Optimismus aus die sich mehrenden Mahnungen konservativer und klerikaler Blätter, mit dem Erreichbaren zufrieden zu sein, berufen. Vorläufig freilich Hai die Fortsetzung der zweiten Lesung jeden Reiz verloren und dürfte sich daher vor leeren Bänken und ungezügelter Redewut der lozialdemokratischen Abgeord neten zu Ende wursteln. Der Voranschlag des französischen StaatshanS- haltoetats für 1908 hat ein sehr erhebliches Defizit ergeben, das zum Teil durch Fehlbeträge, die aus früheren Jahren übernommen werden mußten, zum Teil durch weitere Verschlechterung der Einnahmen und Erhöhung der Aus gaben verschuldet worden ist. Schon 1901 belief sich der Minderertrag der Einnahmen ans 108A die Vermehrung der Ausgaben auf 07 Millionen Francs, so das; sich ein Defizit von 175 Millionen Francs ergab, das allerdings erst nach Beendigung der legislativen Wahlen und unter dem neuen Ministerium Waldeck-Rousseau in die Er scheinung trat. Für 1902 wird das tatsächliche Defizit kaum hinter 200 Millionen Francs Zurückbleiben, und in der Etatsaufstellung, die Herr Rouvier im Laufe der vorigen Woche der Kammer vorgelegt hat, figuriert ein Defizit von 207 Millionen Francs. Trotzdem ist es dem Finanzminister gelungen, Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten und für das nächstjährige Budget ohne neue Steuern und Anleihen auszukommen. Aller dings hat sich dieses Ergebnis nur erreichen lassen, indem die aus der Konvertierung der 3Z4prozentigcn Rente, so wie ans der Sistierung der Staatsschuldenamortisation für das Etatsjahr 1903 resultierenden Einkünfte in den nächst jährigen Etat eingestellt wurden, was eine Einnahme von 95 Millionen Francs ergab. Des weiteren hat Rouvier, um neuer Steuern entraten zu können, Mehrerträgc ans den vorhandenen in Anschlag gebracht, und zwar ans der Erhöhung des Tabakverkansspreises innerhalb der Grenz zone 19 Millionen, aus der schärferen Heranziehung der boillour-; ckv eru 50 Millionen, aus Erhöhung der Spezial taxen, Abgaben von Gütern der toten Hand u. s. w. ca. 8 Millionen Francs; schließlich durch die Ausgabe sechs jähriger Eisenbahn-Garantiescheine 44 Millionen Francs, so daß auch der Restbetrag des Defizits von 1l2 Millionen Francs gedeckt erscheint. Es ist natürlich, daß sowohl die Ilebernahme der aus den inhibierten Amortisations beträgen resultierenden 22 Millionen Francs auf die Ein nahmen, wie die Steigerung der indirekten Steuer leistungen, die der Etatsvoranschlag enthält, in der Kammer erheblichen Bedenken begegnen und nicht ohne ernstlichen Widerspruch der betroffenen Bevölkerungs kreise bleiben wird. Die englische Presse, an der Spitze die„Timcs", verlangt von der Regierung energische Maßregeln, um die Scharte ausznwetzen, welche der Zug dcs Obersten Swanne gegen den sogenannten verrückten Mullah erlitten hat. Man zweifelt nickt daran, das; es dem geschickten Führer ge lingen wird, sich zurückzuziehen und solange zu halten, bis die Verstärkungen heran sind. Ende Mai war Oberst Swanne, der schon 1901 gegen Mohammed Abdullah den Oberbefehl inucgehabt hatte, aber auch damals keinen ent scheidenden Schlag führen konnte, von Vnrao, dem letzten englischen Posten, anfgebrvchen und auf das 200 Kilometer südwestlich liegende Bvhotlc vorgegangen. Der Ort wurde besetzt und dann aus Damot oder Dancle am Räude des wasserlosen Wüstcnlandes Hand vorgesloßcn. Bei Damot fand man sichendes Rcgcuwasser für 2 Tage. Tas Korps des Obersten Swayne soll 3000 Mann stark gewesen sein, darunter Kamelreitcr lind berittene Infanterie, und über Maximgeschütz und sicbenpfündige Kanonen verfügt haben. Jür die Verbindungslinie mit Burao hat diese Zahl jeden falls nicht ausgcrcicht und cs wurde aus Vritisch-Zentral- afrika noch ein Bataillon afrikanischer Königsschützen her angeholt, das aber kaum rechtzeitig cingetroffen sein dürfte. Im Juni hatte Swayne ein Gefecht mit dem Mullah dem er unausgesetzt gefolgt war, brachte ihm schwere Ver luste bei und erbeutete viele Schafe und Rindvieh. Nun trafen am 17. Oktober in Verbera Meldungen von einem neuen Zusammenstoß ein, bei dem die Engländer aller dings siegten, aber zugleich an dem inneren Gefüge der Tvmalihülsstruppen solche Erschütterungen erfuhren, daß der Rückzug notwendig wurde. Mangel an Wasser und die Sorge für die Verwundeten, vor allem aber große Ver luste an Kamelen spielen ferner mit und so ist die Kolonne jetzt unterwegs nach Bohotle, das etwa hundert englische Meilen entfernt liegt. Es läßt sich annehmen, daß der Mullah planmäßig den Gegner in ungünstige Gelände ge lockt und dann besonders den Train angegriffen hat. Ter Kampf muß sehr hartnäckig gewesen sein, da je 2 englische Offiziere und 50 bezm. 100 Mann getötet oder verwundet wurden. Bemerkenswert ist die Meldung, der Mullah habe Verbindungen mit KarlJnger angeknüpft. Nach der Ansicht der Londoner Blätter ist dies ein früherer österreichischer Offizier Karl Inger, der in jenen Gegen den ein merkwürdiges Abenteuerleben führt. Wenn wir, so schreibt die „Köln. Ztg.", nicht irren, ist dieser würdige Herr ein weggejagter Honvedleutnant, der vor einigen Jahren in Europa auftanchte und sich als Kriegsminister und Oberbefehlshaber Seiner Hoheit des Schecks ibn Suleiman gebärdete. Er suchte in Konstantinopel Be ziehungen zur Pforte und zum Motz-Palast anzuknüpseu, jedoch vergeblich, und erwarb sich mir durch sein tat kräftiges Besnchcn aller Arien von Vcrgnügungslvkalen einen Ruf. Seine Bemühungen, junge deutsche Offiziere für den „Dienst seiner Hoheit" zu überreden, wurden un schädlich gemacht, dagegen hatte er Anteil an einem ganz tollen Unternehmen, das von einigen früheren öster reichischen und ungarischen Offizieren ins Werk gesetzt wurde und in Dschibuti völlig znsammenbrach, so daß die Teilnehmer schließlich im tiefsten Elend nach Triest zurück gebracht werden mußten. — Wir erhalten noch folgende Meldung: * Limla, 21. Oktober. Vierhundert Mann des 23. Vom bay-Infanterie-Regiments nnd 6 andere Offiziere erhielten heute die AiUveisung, am Donnerstag nach dem Somalilande in See zu gehen. lieber die makedonische Gefahr wird uns, wohl etwas zu pessimistisch, aus Konstantinopel, 19. Oktober, ge schrieben: Es macht sich bereits in sehr starkem Maße der Einfluß der Militarpartci geltend, welche ein sofortiges und scharfes Vorgehen gegen die bulgarischen Banden verlangt. Man fordert, General Ibrahim Pascha solle mit außerordentlichen Vollmachten ausgerüstet wer den und er solle die aus Bulgarien übergctrctcnen Banden — wenn nötig — auch über die bulgarische Grenze bin ver folgen. Nach vertraulichen Berichten des türkischen Agenten in Sofia stehe es außer jedem Zweifel, das; General Tschontschem die Mittel zur Ausrüstung der nack Makedonien entsandten Freikorps von der bulgarischen Regierung erhalten habe. Die Gewehre derjenigen Frei fchürler, welche in die Gewalt der türkischen Truppen fielen, sind erwiesenermaßen Gewehre, welche ans den älteren Waffenniederlagen der bulgarischen Armee stammen. Man weiß auch sehr genau, daß Tschontschem über keinerlei Geldmittel verfügte, während er anderer seits auch noch nach seiner angeblichen Verhaftung im Kriegsmiuisterium zu Sofia aus und ein ging. Die hie sigen militärischen Kreise verlangen daher, das; die Pforte alle weiteren Rücksichten gegen Bulgarien fallen lasse und die gesamte bulgarische Propaganda in Makedonien durch Verschickung aller Agitatoren nach Kleinasien und Arabien ersticke. Werde dann hiergegen das Fürstentum irgend welche Schritte versuchen, so sei die sofortige Besetzung Bulgariens durch türkische Truppen die einzig zulässige Antwort. — Von einigen Botschaftern wird die Ansicht vertreten, daß hinter der schroffen Antwort der Militär partei englische Einflüsse zu sticken seien. Dies ist nicht unmöglich; aber jedenfalls ist die allgemeine Stimmung in den türkischen Kreisen der Hauptstadt eine solche, daß jede Ermunterung zu einem schroffen Vorgehen Feuilleton. Compauia Lazndor. 19j Roman von W o l d em a r U r b a n. Ä.ach.rnck cvrl'ctkn. Ein einfaches schmuckloses Gebäude mit glatten Wänden und rotem Ziegeldach löste sich aus den Nebelmassen ab, auf dem Dach ein Kreuz. Das war die Leichenhalle des Fried hofes. Jedenfalls hatte man also nicht weit für den Betreffen den, wenn es so weit war, dachte Herr Habicht wieder trüb selig. Das war also das Ende? Das kleine öde HauS mit dem Kreuz darauf und weiter nichts? Und deshalb all der wüste Lärm nnd Zank, der Kampf und Streit der Welt? Wegen eines kleinen Plätzchens in dem elenden Hause mit dem Kreuz auf dem Dach? Was hatte er denn nun eigent lich bishc» von seinem Leben gehabt? Es war doch jämmerlich wenig. Diese halbbcranschtcn Allotria seiner Studentcnjahre, der ganze dünkelhafte Kram seines bisherigen „Jchs" er schien ihm wie eine Theaterdckoration. Von vorn in der Beleuchtung des Kommenden sehr schön und sinnerregend, von hinten aber, wenn man vorbei war, lauter schmutzige Leinwand und zusammengenagclte Bretter, hohler Schein. Wie sonderbar, wie sonderbar, grübelte Herr Habicht ganz gegen seine Gewohnheit weiter, daß das Leben, an das der Mensch mit so ungcmcsscncn Erwartungen und herrlichen Hoffnungen herantritt, das ihm wie ein Kaleidoskop alle Wunder seiner Seele verspricht, von hinten so hohl und kahl, so ärmlich und erbärmlich aussieht. Oder hatte er es nur nicht verstanden, dem Ding Glanz und Licht, Luft und Wärme zu verleihen? Beim Eingang in das Haus des Lebens erschien ihm alles großartig, prachtvoll, vielver sprechend, ein Palast voller Herrlichkeiten und Genüsse, und beim Ausgang stellte cs sich als eine alte Bude dar, als eine verfallene Ruine, in deren Schutt und Moder Ratten und anderes Ungeziefer hausten. Wie ging das zu? Was für Dummheiten und alberne Streiche hatte er in seinem Leben begangen und wie wenig gehaltvoll war cs! Schließlich wurden ihm seine eigenen Gedanken lästig, und er fuhr aus seinen trüben Betrachtungen mit der hastig hingeworfenen Frag« axk: „Wo ist denn eigentlich der Platz, den Sie ausgemacht haben, Velten?" „Wir sind gleich da", erwiderte der ffstffragte. „Dort, der kleine Weidentümpcl, den Sie gleich hinter der Ewald- schen Gärtnerei sehen, das ist der Platz. Vollständig unge stört. Keine Seele komm: dorthin, da der Friedhosovcrkehr sich nach jener Seite hinzieht. Das Weidcngebüsch schützt vor unberufenen Blicken, während man doch von drinnen heraus ziemlich frei Umschau halten kann. Wie zum Paukplatz geschaffen." „Man sieht noch nichts von den andern?" fragte Habicht II wieder, weil ihm das Schweigen unangenehm war. Der Andere beugte sich etwas aus dem Wagen heraus und sah sich um. „Man kann vor lauter Dunst und Nebel nichts sehen", antwortete er dann. „Vielleicht sind sic schon da." „Das wäre mir fatal. Welche Zeit haben wir?" „Es ist sieben Minuten vor vier. Wir haben also noch sieben Minuten Zeit." Wenige Schritte weiter stiegen die Herren aus dem Wagen, ließen diesen aus der Straße hinter der Friedhofs mauer warten und gingen zu Fuß um die Ecke herum, die die Maner gerade an dieser Stelle bildete. Gleich darauf standen ne unmittelbar vor dem Weidentümpcl, den Vellen als Pankplatz bezeichnet. Von hier aus sah man auch die Ewaldschc Gärtnerei, wenigstens das große Gewächshaus und einige weitere Baumgruppen. Man würde auch das Wohnhaus und das kleine Häuschen, welches Direktor Cazador mit Isa und Mozzo be wohnte, gesehen haben, wenn cs nicht jo ncbeckg gewesen wäre. Das Terrain des Tümpels senkte sich ein wenig, war aber durchaus trocken uns hart ge froren. Etwa in der Mitte dcs Tümpels war ein freier Platz. Das war der Ort, den Herr Belten wie dazu ge schaffen fand, sich gegenseitig abzustcchcn. Es war noch niemand da, als sie hier ankamcn, und die Herren sahen sich gegenseitig verdutzt an. Was sollte das heißen? Es gibt keine größere Schlappheit, als unter solchen Umständen auf sich warten zu lassen. Man sah nach den Uhren, die in haarscharfcrUcbcreinstimmung zwei Minuten vor 4 Uhr zeigten, und weit und breit war nie mand zu erspähen. Dann schlug es auf den Türmen der Stadt 4 Uhr. Dumpf und schwer, wie mahnend, klangen die Glocken schläge aus dem grauen Nebelkreis heraus, der alles ver deckte, und in demselben Augenblick tauchten an derselben Ecke, nm die Habicht jun. mit seinen Begleitern soeben ge kommen, vier weitere Herren ans, die eilig dem Rendezvous zuschritten. Es war Hauplmann Kamenz mit seinen Zeugen und einem Arzt, alle in dunkeln Civilanzügen. Sie kamen etwa eine halbe Minute nach der verabredeten Zeit am Platze an. „Herr Rechtsanwalt", sagte einer der Herren, der eilig und noch ganz außer Atem zu Herrn Habicht hcrantrat, „ich bitte wegen der Verzögerung tausendmal um Entschul digung. Die Verantwortung dafür trifft mich ganz allein. Unser Kutscher ist ein Trunkenbold und war auf der anderen Seite der Mauer entlang gefahren, ohne daß ich es gleich bemerkte. Daher die Verspätung. Ich bitte noch mals " „Es ist gut, Herr Leutnant", erwiderte Habicht jun. ruhig, „eine halbe Minute früher oder später ? Was liegt daran?" Hauptmann Kamenz, den die Verspätung wohl am meisten ärgerte, sagte gar nichts, sondern machte nur eine stumme Verbeugung, die Herr Habicht ebenso erwiderte. Er sah ungewöhnlich blaß auS, was vielleicht umsomehr auf fiel, weil man gewöhnt war, ihn in Uniform zu sehen. ,^Hier ist der Ort, meine Herren", sagte ein anderer, „wir müßen uns beeilen. Der Tag ist kurz und außerdem sehr trübe." Ein anderer brachte die Waffen herbei. Die Herren zogen die Röcke aus. „Es ist verteufelt kalt", meinte Doktor Heuscher besorgt, „die Herren werden sich erkälten." Habicht jun. mußte über die zarte Besorgnis unwillkür- lich lachen. Es konnte sehr wobt sein, dachte er, daß sich einer von uns beiden bei dieser Affäre fo stark erkältet, daß er das Wicderaufstchcn vergißt. „ES wird rasch besorgt sein", warf Hauptmann Kamenz flüchtig, aber mit auffallend tiefer und ernster Stinnne hin. Habicht jun sah ihn rasch an. Es klang ihm, wie ver- sichtlich, als ob er sagen wolle: „Mit dir werden wir bald fertig sein." „Nimm dich nur in acht, Bursche", dachte er bei sich, „sonst schneide ich dir die unverschämte Zunge heraus." Dabei fuhr er prüfend mit dem Daumen an der Spitze seines Degens entlang. Sie war haarscharf geschliffen. Dann wurden die Klingen gemessen, der offizielle Sühncvcrsuch gemacht, eine Förmlichkeit, die auch allseitig als eine solche anfgefaßt wurde. Die bezüglichen Redens arten kamen kalt und mit einer gewissen schnodderigen Höf lichkeit hervor. Natürlich lehnten beide Gegner sofort ab und nahmen unmittelbar darauf ihre Aufstellung. „Achtung!" kommandierte Herr Velten als Ebagierter. Die beiden Gegner legten sich in Parade. Eine bange Stille herrschte einen kurzen Moment lang, vielleicht nur wenige Sekunden, die aber den Gegnern, die sich mit ge zücktem Degen, Auge in Auge scharf beobachtend, gegen überstanden, wie eine Ewigkeit erschien. „Los!" kam es plötzlich kurz und rasch von den Lippen dcs Herrn Velten, wie ein Stoß, und die scharf geschliffenen Klingen der Gegner fuhren mit dem unheimlichen, zischen den Klikeling aneinander entlang, das die Nerven der Be teiligten bis aufs höchste reizt und spannt. Beide Gegner waren etwa gleich groß und gleich kräftig. Man hätte das Duell ein schöncsSchanspiel nennen können, wenn eben nicht jede Sekunde das Leben eines der beiden aus den; Spiele gestanden. Aber cs war im höchsten Grade aufregend und spannend für die Beteiligten, wie die jungen, gewandten Körper sich bald kühn und kräftig nach vorn auslegten, zum Stoß auSbolten oder in der Parade ge schickt zurückwichen, so daß die blitzende Klinge des «Gegners karnn zollbreit am Hals oder am Arm dcs Gegners vorübersauste. „Halt!" rief plötzlich Herr Velten wieder, „Sic sind verwundet, Herr Hauptmann." „Nein", bestritt dieser, „es ist nichts. Wo? Bah, ein Riß im Hemd. Weiter." „Sie bluten, Herr Hauptmann", ries Herr Vellen wieder. In der Tat hatte der Degen des Rechtsanwalls seinen Gegner am rechten Oberarm gestreift, das Hemd aufge schlitzt und einen leichten Riß in der Haut gemacht. Er blutete ziemlich stark. „Ist keine Abfuhr. Weiter", rief Hauptmann Kamenz, jetzt schon mehr erregt. Die Wunde wurde itntcrsncht, aber nicht verbunden und dann, nachdem sic der Arzt als Nichtabfuhr erklärt, der Kampf fortgesetzt. Im zweiten Gange erzielte keiner der beiden Gegner ein Resultat, trotzdem er volle drei Minuten dauerte. Es zeigte sich eben, daß sic sich, was Geschicklichkeit und Kraft anlangtc, völlig gewachsen waren. Nur soviel konnte mau bemerken, das; sowohl Hauptmann Kamenz als der junge Habicht immer aufgeregter und erbitterter wurden, je länger der Kampf dauerte. Man sah ganz deutlich, daß Hauptmann Kamenz einen tragischen AuSgang deS Duells
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