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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190210310
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19021031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021031
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-31
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1902
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2. WM M LchM ÄMt M A«Mk Nr. 444, KeitU, Zl. Alüber IM. Keformationsfest. Willst du auf Luthers Pfaden gehn. Ein Gottcsstreiter durch das Leben, Darfst du nicht zagen und nicht beben. Wenn Stürme drohend dich umwehn. Laß deine Seele nur -urchglühn Von echter Glaubensfreiheit Flammen, Halt alle deine Kraft zusanrmen, Sei Lark und kühn! Willst Z» aufLuthersPsaden gehn, Mußt du fiir Recht und Wahrheit streiten, Und riüßt'st du unter Dornen leiden. Du wirst auf sichrem Grunde stehn. Emst wird es um dich licht und klar, Wer viel erstrebt, hat viel gestritten, Wer viel geliebt, hat viel gelitten, Set treu lind wahr! Will st dtl aufLuthersPsaden gehn, So mach dich rein vom Alltagsstaubc, Der Weltlust wirst du leicht zum Raube, Drum lern' zu Gott in Demut flehn. Gebet soll Schwert und Schild dir sein, Gebet dein Glaubensfeuer schüren, Gebet soll dich zum Frieden führen, Sei fromm und rein! Willst du aufLuthersPsaden gehn. Mußt du mit Ernst ins Leben schauen, Sein Himmel wird nicht ewig blauen, Und seine Blüten schnell verwehrt. Wer sich nicht selbst erkennen will, Der irrt dahin, ein Tor aus Erden, Soll dir die Welterkenntnis werden, Sei ernst und still! Willst du aufLuthersPsaden gehn. Mußt du die Pflicht der Milde üben, Es muß dein eignes Herz betrüben, Siehst Tränen du im Auge stehn. Wo Herz und Hand still Liebes tut, Die eitle Selbstsucht ward bezwungen, Ist dieses Lebens Lieg errungen, Sei groß und gut! Hermann Pilz. Fürst von Bismarck. Persönliche Erinnerungen an ihn aus seinen letzten Lebensjahren. Bon Sidney Whitman. *j Nachdruck verboloi. Aus in^x-nontpn Bucke bieten wir unfern Lesern nachfolgenden Abschnitt: Wer sich seine Meinung über Bismarcks Art und Weise nach dem Eindrücke bildet, den er beim Lesen der Berichte über sein Berfahrcn mit seinen Gegnern bekommt, wird natürlich annchmcn, daß der Fürst starke Neigungen und Abneigungen gehabt hat und die letzteren auf sehr deutliche Art zu bekunden pflegte. Ich weiß nicht, was für einen Eindruck er in der Fülle seiner Kraft auf einen politischen Gegner oder einen unbotmäßigen Untergebenen, ge schweige denn auf einen Feind seines Landes ausgeübt hat. Es ist wohl anzunehmen, daß ein Mann von so außer ordentlicher Energie und dabei so ausgeprägter nervöser Reizbarteit, der sein ganzes Leben seinen Willen anderen gegenüber dlrrchgesetzt hat, Augenblicke gehabt haben muß, in denen das „loriitsr in re" nicht allzu harmonisch mit dem „susviter in mocko" verbunden war. Trotz alledem ist es schwer zu verstehen, wie Geschichten von der „Roheit" eines Mannes haben Glauben finden können, dessen her vorragendste Charakterzüge Humor und feines Benehmen waren. Oder sollte vielleicht eine Generation Roheit nennen, was eine andere für Aufrichtigkeit zu halten ge neigt sein möchte? Zum Teil mag Bismarcks Feinheit ihren Ursprung auch in seiner Zeit gehabt haben. Jedenfalls sind heute die Zeugnisse für Bismarcks fesselndes Wesen, für den Zauber, den er auf alle ausübtc, mit denen er nicht nur in seinen späteren Jahren, sondern zu jeder Zeit seines Lebens in Berührung kam, überwältigend. Gegen das Ende seiner Tage kam durch die Ruhe des Atters die Würde mehr zur Geltung, und das Ergebnis war, wie Lenbach so schön bemerkt hat, eine Berschmelzung von Stärke mit einer unbeschreiblichen Mlde. Wenn Bismarck Furcht einflößte, so war diese wohl nur Besorg nis, daß er ärgerlich sein könnte, ohne es zu sagen, ja, ohne seine Gefühle durch einen Blick auszudrücken. Denn er konnte mit seinen Augen ganze Bände reden,' nicht viele Menschen sind in ihrem Schweigen so beredt gewesen. Ich habe ihn niemals eine Meinung aussprechen hören, welche al- Ausdruck einer starken Neigung oder Abneigung hätte aufgefaßt werden können. Seine Neigung wies ihn auf das Land, sein Tätigkeits drang auf die Stadt. Wenige Menschen sind so vorurteils los in der Wahl derjenigen gewesen, denen er in seiner Familie Zutritt gewährte. Er liebte immer die Natur menschen und erklärte, er entdecke aristokratische Eigen schaften in ihnen, die den sogenannten „Hochgeborenen" hin und wieder fehlten. Er war frei von jedem Standes- vorurteil, das im deutschen gesellschaftlichen Leben eine so erschreckende Rolle spielt. Auf -aS bloße Vorwort „von" an sich gab Bismarck wenig? er belustigte sich über den Eifer, mit dem seine nichtadeltgen Untergebenen nach dieser Auszeichnung strebten. Diejenigen, welche nach dieser Standeserhöhung nichts fragten oder ihr keinen Wert dermaßen, wie z. B. Lothar Bucher, schätzte er unendlich höher als viele, die das AdelSprädikat besaßen. Für Bismarck war das Wörtchen „von" in der Hauptsache nur ein Merkmal, daß ein Mensch durch Geburt und Erziehung zu einer Klasse gehörte, welche Ansichten über Anstand, Sitte und allgemeine gesellschaft liche Verpflichtungen in sich ausgenommen hat, die mit denjenigen überetnstimmten, in denen er selbit erzogen war, an die er gewöhnt war und die er nicht missen mochte. Wenn diese Voraussetzung nicht zutraf, so hatte die in Bc. tracht kommende Persönlichkeit damit den Anspruch ver scherzt, von BiSmarck gesellschaftlich beachtet zu werden. Dagegen stand jemand, den er einen „Edelmann von Natur" nannte, bei BiSmarck in hohem Ansehen, wenn er auch von geringer Geburt war. Nur wer Bismarck kennt, vermag den wahren Sinn jener famosen Antwort zu ver stehen, die er seinem bekannten parlamentarischen Gegner, Tugen Rnhter, einst gab, als er ihm sagte, seine Er» *) Verlag der Union, Deutsche «erlagSgesellschaft. Stutt gart. Gib. 7 slk. ziehnng verbiet- ihm, auf gewisse beleidigende Ausfälle zu antworten. Bismarck verstand unter Erziehung nicht seine Büchergelehrsamkeit oder seine besonderen Eigenschaften als Edelmann oder Offizier, sondern seine Jugend erziehung. Er meinte die Unterweisung in der Kinder stube, die Pflege des Herzenstaktes. Bismarck selbst gehörte von Geburt zu dem sogenannten niederen Adel, der sich indessen wegen seines Alters wenn auch nicht cko juro, so doch wenigstens cks kaeto in Deutsch land eines größeren gesellschaftlichen Ansehens erfreut, als höhere Adelsstusen neueren Datums. So hatte für Bismarck, wie für viele seines Standes, nicht das bloße Adelsprädikat Wert, sondern die Geschichte seiner Familie und die Tatsache, daß seine Vorfahren Gnerationen hin durch dem Staate mit Auszeichnung gedient hatten. Unter sonst gleichen Umständen fühlte Bismarck sich zu der älteren grundbcsitzcnden Aristokratie, zu den Bern- storffs, den Stolbergs, den Hcnckel-Donnermarcks u. s. w. lnngezvgen, ebenso aber auch zu Angehörigen desselben Standes in anderen Ländern, in Rußland, Oesterreich nnd Frankreich. Diese hatten, wie er, und ihre Vorfahren vor ihnen, die Angelegenheiten der Welt von der Proszeniums loge aus betrachtet. Sie besaßen deshalb alle die Gewandt heit des Benehmens nnd die gelassene Ruhe, die fast nur dadurch erlangt werden, wenn man sein ganzes Leben hin durch aus den reservierten Plätzen des WeltthcatcrS sitzt. Man vermag dann wohl manchen Blick hinter die Scene zu tun; der Nimbus schwindet und mau gerät über die Possen der Spielenden nicht mehr aus dem Gleichgewicht. Gesetztheit nnd Selbstbeherrschung sind den aristokratischen Kreisen eigentümlich und bilden in jedem Lande den starken Gegensatz der wenigen zu der leicht erregbaren Schürfe der vielen. Und Menschen, welche diese Eigen schaften besitzen, fühlen sich naturgemäß zueinander hin gezogen. Aber auch hier mar die Individualität, die Persönlichkeit, der wahre Schlüssel zu Bismarcks Neigung. Die soziale Stellung war am Ende doch nur der Geleit brief für eine vorläufige Einführung nnd mich das nicht immer. Politische und landwirtschaftliche Angelegenheiten und ihre Vertreter fanden immer seine Teilnahme, militärische Dinge und Militärpcrsvnen viel weniger. Man konnte in seinem Hanse Nachbarn treffen, für die er sehr freundliche Gesinnungen hegte, und die er sehr gern bei sich sah, mit denen er aber im Lause eines ganzen Jahres nicht drel Gedanken austauschte. Den typischen Junker mit seinen ausgeprägten Kastenstolz und seinem StandeSvorurteil mochte Bismarck ebensowenig leiden, wie die Leute, welche Napoleon auf St. Helena einst ,,Fuo« par cicoit «l'lwrvckiie" nannte. Sowohl Bismarcks Verstand, wie auch sein Ge fühl für „knirnoss" leiner seiner LieblingsauSdrttckes em pörten sich gegen ein unterschiedsloses Uebelwollen gegen eine ganze Klasse. Wenn jemand z. B. seinen Beifall zu finden glaubte, wenn er sich in diesem Sinne anssprach und Lord Beaconsfield verächtlich einen Juden uaunte, so er hielt er von BiSmarck die Antwort: „Ja, aber ein seiner Jude." Ohne Zweifel hatte Bismarck seine Liebhabereien nnd seine Antipathien, aber sie waren selten aus Vorurteilen entsprossen. Sie waren ausnahmslos das Ergebnis der fortgesetzten Wirkung langer Beobachtungen und Er fahrungen auf eine außerordentlich sensitive Natur. Es gab zwei Menschenklassen, gegen welche Bismarck eine starke Antipathie halte: Klerikale und Bureaukraten. Aber auch diese Abneigung beruhte auf keinem Vorurteil. Die Erfahrungen, welche er während eines ganzen Lebens über diese beiden Typen gesammelt hatte, waren außer ordentlich widerwärtig. Und dennoch zählte er bis zuletzt Geistliclü inid Geheimräte keinen Freunden. Der gesellschaftliche Stand, mit dem er sich identifizierte und auf den er oft Bezug nahm, war der des Landedel- mannes. Und wenn er sich als solchen bezeichnete, so wußte er wohl, daß der Landedelmaun in vielen Ländern, in Rußland, Schweden und England z. B., nicht zum Adel von Rang gehört. Fürst Bismarck verdiente nie den unedelmütigen höhnischen Vorwurf, der ihm aus dem Schoße der nicht adligen deutschen Mittelklassen oft genug gemacht wurde, daß er in seinem Herzen ein Junker sei. Es ist eigentümlich, daß weder Moltkes noch Bismarcks Mutter zur Aristokratie gehörten; beide Mütter waren von Geburt bürgerlich. Wenn eS nun wahr ist, daß das Genie ein Erbteil der Ntutter ist, so kann das deutsche Volk, zum Unterschiede vom deutschen Adel, billigerweise für sich in Anspruch nehmen, daß das Genie dieser zwei großen Männer in Wahrheit aus dem Volke stammt. Bismarcks Gewohnheit des nil ackmirori in Bezug auf Mensche» hat dahin geführt, ihn der Menschenverachtung im allgemeinen zu zeihen; jedoch war diese seiner Natur ganz fremd, wenngleich niemand, der einmal Premier minister eines großen Landes — welches es auch sei — ge wesen ist, eine andere als geringe Meinung von der Menschennatur im allgemeinen hegen kann. Es ist so leicht, einen großen Mann zu einem Verächter seiner Mit menschen zu stempeln. Gedruckt sieht es so wirkungsvoll aus. Nun ist aber Menschenverachtung zunächst gar nichts spezifisch Deutsches. Kein Deutscher haßt gewohnheits mäßig seine Mitmenschen, außer vielleiüP in der Theorie ein Professor, der sich fürchtet, von seinem Weibe den Haus schlüssel zu fordern. Ein Römer, ein Sulla mag wohl eine wirkliche Verachtung gegen seine Mitmenschen gehegt haben. Aber selbst ein Napoleon wurde schwach, als er dieses Gefühl auf seine eigene Familie anzuwenden ver suchte. Selbst sein Herz war nicht undurchdringlich gegen Sympathie für sein eigenes Fleisch und Blut. Der Mann jedoch, den ich bei dem Anblick eines kranken fremden Ar beiters bewegt gesehen habe, konnte sein Geschlecht nicht hassen, wie arg ihm auch mitgespielt worden war. Für ihn, den fühlendstcn der Menschen, war es unmöglich, solch eine Gesinnung zu hegen. Bismarcks gewöhnliche Stimmung mag wohl zweifellos Gleichgültigkeit gewesen sein, aber sein Herz befand sich in stetem Kampfe mit seinem Ver stände, nnd wenn die Umstände günstig waren, so trug daS Herz den Sieg davon; denn es war reich an Mitleid. Es entsprach bereitwillig dem Rufe der Freundschaft nnd bewährte vor allem Ritterlichkeit und Ergevenheit. Sympathie und das Verlangen nach ihr waren der Grundton von Bismarcks Natur. Haß und die Rücksichts losigkeiten, die zur Politik gehören, wie Trinken zum Berufe eines Weinreisenden, machten ihn krank. Das Mitgefühl ließ seinem Humor freie» Spielraum und gab ihm die Gesundheit wieder. Herr v. Keudell schreibt dem Fürsten Bismarck in seinen schätzenswerten „Erinnerungen" ein tiefes Interesse für die Musik zu. Ich glaube nicht, daß Musik ihn sehr ergriff, oder daß Bismarcks Stimmung durch Musik be einflußt wurde. Ein Ereignis oder ein Stück Natur konnte ihn viel eher packen, als eine Melodie. Er war dramatisch und nicht lyrisch veranlagt. Er konnte an seine Gemahlin in poetischem Tone schreiben, aber das Detail der Schilde rung überwucherte Empfindungen und Gefühle. Musik wirkte auf ihn nur als ein Erinnerungsmittel, wie der Klang des Posthorns uns an eine bestimmte Reise zu er innern vermag. Wirkliche Erlebnisse, die Erinnerung an etwas, das er selbst durchgemacht hatte, aber nicht Musik „setzten seine Stimmung in Bewegung". Studentenlteder, die ihn an glückliche Tage der Jugend erinnerten, er griffen ihn mehr, als eine Sinfonie von Beethoven. Richard Wagner möchte in Bismarcks Augen als ein un sympathischer Sonderling erschienen sein. Niemand konnte weniger Geschmack an dogmatischen Streitigkeiten finden al» BiSmarck. Dogmatismus war ihm verhaßt. Die Anmaßung des Proselyten war ihm widerwärtig, wie jede andere Art von Anmaßung und Un duldsamkeit, die für ihn ein Zeichen von niedriger Ge sinnung nnd Ehrfurchlslvsigkeit waren. Er war in seinem innersten Wesen eine religiöse Natur. Ein tiefes Gefühl der Ehrfurcht angesichts der Rätsel des Universums war die Grundlage seines religiösen Gefühls. Gelegentlich sprach er einmal über die Lehre von der Seelenwanderung, eine Lehre, für die sich auch Graf Moltke sehr interessiert hat. Bei Bismarck mag es nur ein augenblicklicher Einfall gewesen sein — aber, was er sagte, >oar doch bezeichnend. „Wenn ich die Gestalt wählen könnte, in -er ich noch einmal leben möchte", sagte er, „so weiß ich nicht, ob ich nicht ganz gern eine Ameise sein würde. Sehen Sie, dieses kleine Insekt lebt in einem vollständig organisierten Staate. Jede Ameise muß ar beiten, ein nützliches Leben führen, jede Ameise ist fleißig. Ta gibt cs vollkommene Subordination, Disziplin und Ordnung. Sie sind glücklich, denn sie arbeiten." Bismarck kümmerte sich nicht um das Seelenheil anderer Menschen. Er begnügte sich damit, sie in dem Staate Friedrichs des Groben ihr Heil selbst versuchen zu lassen, wo bekanntlich jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Eine gelassene, philosophische Ruhe zeigte er, wenn in seiner Gegenwart von Toten gesprochen wurde, selbst von solchen, für die er im Leben ein wärmeres Gefühl gehegt hatte. Konventionelle Beileidsphrasen kamen selten über seine Lippen. Wenn er von einem Toten sprach, z. B. von seinem Freunde Mvtley, dem er sehr zugetan mar, so erzählte er irgend eine hübsche Geschichte aus der Zeit seines Zusammenlebens mit ihm, aber mehr in scherz hafter, sympathischer Weise, ganz frei von dem traurigen Gedanken, daß der alte Freund lange dahingegangen sei. Ter Tod an sich war für ihn nur ein natürliches Ereignis. Deshalb widerstrebte es ihm, über eine so natürliche Sache herkömmliche Worte zu verlieren. Mitteilungen aus der Ratsplenarschuug am 25. Oktober 1i)02. Vorsitzender: Herr Oberbürgermeister Fuslizrar Or. Tcöndliii. 1) Tic Stadtverordnete» haben zugcstimmr: ». den Verträgen wegen der Anlegung der Geibclsrraße in Leipzig-Eutritzsch, l>. der Errichtung eines Lnftschachkes auf dem Schlcuscn- dücker an der Friedrich August-Brücke in Leipzig Lindenau, c. der Gasversorgung der Gemeinden Zuckelhausen und Holzhausen, cl. dem Verkaufe des Grundstückes Pistoriösrraße 3 in Leip- zigLchlcußig. Tas Erforderliche str auözufuhrcn. 2) Tie «tadlverordneten haben bei den Mitteilungen des Rates auf die Beanstandungen aus der Hauprrcchnung für das Fahr 1900 Beruhigung gefaßt und, soweit noch erbeten, Zu stimmung erteilt. Es ist Justifikationsschcin auszufertigen, im übrigen be wendet es. 3) Die Stadtverordneten haben beantragt, 2000 ,/k jähr lichen Mietzins für die vom Hochbauamt benutzten Räume im Grundstück Eentralstraßc 3 in den Haushaltplan einzustellen. Dem Anträge ist beizutreten. 4-Tie Stadtverordneten haben eine Eingabe des Haus besitzer-Vereins in Leipzig-Eutritzsch wegen Herstellung einer direkten Verbindungsstraße zwischen Leipzig-Gohlis-Eutriysch und dem Osten der Stadt zur Erwägung, und weiter eine Ein gabe des Gemeinnützigen Vereins „Vorwärts" in Leipzig- Gohlis wegen Verbreiterung der Böttcher- und Gartensrraße zur Kenntnisnahme dem Rate überwiesen. Die Petitionen sind den zuständigen Deputationen vorzu legen. 5) Ein Vermächtnis des verstorbenen Kaufmanns Gustav Robert Teuscher in Höhe von 10 000 </k wird ebenso, wie die von Herrn emer. Oberiurnlehrer Schütz am Nikolaigymnasium errichtete Turnstiftung angenommen. Es ist zu danken und den Stadtverordneten Mitteilung zu machen. 6) Tie Schleuscnbauarbeiten auf dem der Gemeinnützigen Baugesellschaft überlassenen Areale in Leipzig-Lößnig werden antragsgemäß vergeben. 7- Die Einführung der Wasserleitung in eine Strecke dec Straße L in Leipzig-Schleußig wird genehmigt. Zustimmung der Stadtverordneten ist einzuholen. Vermischtes. — Die namentliche Abstimmung. AuS der am 25.-. M. erfolgten Sitzung des österreichischen Herrenhauses lBcratung -es Gesetzes über den Terminhandelj bringt die „Wiener Mvrgenzeitung" folgende heitere Schilderung: „Es ist Abend. Ter kleine Sitzungssaal des Herrenhauses wird von elektrischem Licht behaglich und milde erhellt. Die Abstimmung neigt ihrem Ende zu. Schon wird der letzte Paragraph dem Votum unterbreitet, und der Prä sident Fürst Windischgrätz hat jene Herren, die für den Paragraphen sind, gebeten, sich von ihren Plätzen zu er heben. Ein paar alte Herren stehen ans, ein paar andere bleiben sitzen. Ter Präsident zählt eifrig. Man merkt cs an seinen geschäftigen Augen und an seinen Lippen, die Ziffern murmeln. Nach einer Weile macht er den Mund etwas weiter auf, er will sprechen, und die Herren, die standen, setzen sich eilig nieder, denn das Gesetze-Gebcn wirkt auf alte Beine ermüdend. „Ich bitte um die Gegen probe", sagt der Präsident. Mit Vergnügen bleiben die, die früher genande», jetzt sitzen und sehen denen, die früher saßen und nunmehr stehen, zu. Wieder sucht der Präsident mit den Augen eifrig herum, wieder murmeln seine Lippen Ziffern, wieder öffnet er den Mund zum lauten Sprechen nnd alles scyt sich eilig nieder. Aber der Präsident schüttelt den Kopf, zuckt mit den Achesln: Er bringt eS nicht heraus, ob mehr gesessen oder mehr ge standen haben, und darum ordnet er die namentliHe Abstimmung all. Der Kanzleidirektor des hohen Hauses zieht aus der Brusttaschc eine lange, lange Liste hervor nnd beginnt zu lesen. Beim Buchstaben K augc- langt, ruft er: „Gras K hcvenhülle r!" . . . Alles bleibt still .... „Graf Khevcnhüller!" .... Neuer liches Schweigen .... Jetzt ruft der Präsident selbst laut und vorwurfsvoll: „Graf .Khevcnhüller!" .... Aber niemand antwortet. „Ich bitte, den Herrn Grafen Kheven- Hüller aufmerksam zu machen", sagt der Präsident. Darauf begeben sich ein paar Herrenhausmitglicder zum Platz des Grafen. Dort sitzt ein kleiner Herr, das Haupt auf die Brust gesenkt, ein Bild des Friedens und der inneren Harmonie. Man rüttelt an ihm, ruft ihn laut an. Da hebt er jäh das Haupt, blickt ungläubig nm sich und weiß nicht, warum man ihm seinen Frieden stört. Jemand beugt sich nieder, flüstert ihm etwas ins Ohr, und jetzt schreit er ein plötzliches „Nein!" dem Präsidenten zu, das wie anS der Pistole geschossen klingt. Gleich darauf be gibt sich sein Geist ans dem nüchternen Rayon des Termin handels wieder in andere, lieblichere und poetischere Sphären . . . Der Kanzleidirektor ist beim Buchstaben „Sck" .... „Prinz Schaumburg-Lipp e!" ruft er. In diesem Moment kommt ein kleiner, alter, weißhaariger Herr zufällig in den Saal; er trägt eine Generalsuniform und sein Antlitz lenchtet gar freundlich aus dem martia lischen Kostüm. Es ist der gerufene Feldmarschall-Leut- nant Wilhelm Karl August Prinz von Schaumburg-Lippe. „Durchlaucht sollen abstimmen!" ruft man ihm zu. Er aber macht eine abwehrende Handbcwegung und zieht aus der Tasche ein seltsames, fremdartiges Instrument hervor. Wär« man tmAbgeorbnetenhauS.sp mürb« man glauben, da kommt ein fechslünsiger Revolver oder ein Lasso oder ein Bvxapparat oder sonst was Gefährliches zum Vorschein. Im Herrenhaus aber ist es natürlich — ein H v r r v h r ! Der Prinz hält cs ans Ohr und einer von der Verfassnngspartei ruft hinein: „Ja! . . . ." Da kommt von der anderen Seite der Prinz Lobkowitz, nimmt seinem Standesgenvssen das Hörrohr aus der Hand und trompetet ein lautes „N e i n" in das Ohr des Prinzen Wilhelm Karl August von Schaumburg-Lippe. Gott weiß, weshalb . . . aber der Prinz gab nicht der Verfassungs partei, sondern dem Manne von der rechten Seite deS Hauses Recht und sagte „Nein". Darauf setzte er sich an sein Pult, hielt den Hörapparat wieder ans Ohr und ließ sich von einem gütigen Nachbarn erklären, wogegen er denn jetzt eigentlich gestimmt habe .... Als die Ab stimmung fertig war, stellte es sich heraus, daß nur vier- nnddreißig Mitglieder des hohen Hauses daran teilgcuvmmen hatten. Man war also beschlußunfähig gewesen, ohne cs zu wissen. Und jetzt ärgerte sich vernrut- lich der Graf Khevenhüller erst recht, daß man ihn nutzlos feinen Träumereien entrissen hatte." — Ei» origineller Thcaterprozeß. Das Pariser Ge richt wird sich demnächst mit der civilrechtlichen Stellung der Claqueure gegenüber den Theaterüirektoren zu beschäf tigen haben. Herr Jules Claretie, der Leiter der OornLckio krriuerriso, ist nämlich von dem bis jetzt bei jener Bühne angestellten Häuptling und Organisator des Beifalles auf einen Schadenersatz von 30 000 Francs verklagt worden, weil die Sozietüre den Beschluß gefaßt haben, die Claquc abzuschaffcu, und weil der Chef dieses Erfolgsinstrumcutö somit entlassen wurde. Man ist zunächst versucht, über eine solche Klage zu lachen. Sie ist jedoch nicht so aussichtslos, wie sie aus den ersten Blick scheinen könnte, denn die Gründe des Mannes lassen sich hören. Er macht geltend, daß er vor zwanzig Jahren von Perrin, dem Vorgänger Clareties, angestellt wurde. Er erhielt zuerst 100 Francs monatlich und 20 Francs für jeden Abend, an dem er zu „wirken" hatte. Also ganz wie ein Künstler: Gehalt und Spiclhonvrar. Nach zwei Jahren wurde diese Form der Zahlung in ein festes Gehalt von 300 Francs monatlich umgcwandclt. Es ist demnach zu konstatieren, daß seit zwanzig Jahren an der ersten französischen Bühne mit etatsmäßiger Besoldung ein Angestellter existierte, der für den Beifall zu sorgen hatte. Natürlich glaubte der Inhaber dieses Postens, daß er ebenso, wie alle anderen Beamteten des Hauses, in dem er tätig war, nach langen Diensten im Alter pensioniert werden würde. Dieses gewohnheitsmäßige Recht auf Pension könne er nur verlieren, macht er geltend, wenn man mit seinen Leistungen unzufrieden geworden sei. In seiner Klage zitiert er aber das an ihn gerichtete Entlassungsschreiben, worin ihm Claretie für seinen stets bewiesenen Eifer dantt. Dieser Grund scheidet dadurch aus. Das dem Ge richt zugestellte Aktenstück des verabschiedeten Zlpplaus- heldcn enthält dann die weitere Begründung, daß der brotlos Gemachte heute 58 Jahre zähle und nicht mehr in der Lage sei, sein ehemaliges Handwerk wieder aufzu nehmen, nachdem er zwanzig Jahre einem Staatsinstitute gedient hatte, das für das Alter aller seiner Bediensteten sonst zu sorgen pflege. — Es ist verständig, daß die Oomöckis krkineais« endlich jene Plage beseitigt, die den Besuch der Pariser Theater so unangenehm macht. Aber an dem bis herigen unleidlichen Zustande waren nicht die Claqueur? schuld, sondern die Direktoren, die sie besoldeten. Das Gericht könnte es deshalb sehr wohl unbillig finden, wenn die eigentlich Schuldigen sich die Hände waschen und einen alten Mann, der zwanzig Jahre lang gewissenhaft nur ihre Aufträge ausqefübrt hat, allein die mindestens gemeinschaftliche Sünde büßen lassen wollen. Der Advokat, der den Kläger vertreten wird, hat seinen per sönlichen Erfolg schon in der Tasche: die Inhaber der größten Handschuhnummern, über die Paris verfügt, wer den ihn nn Triumph nach Hause tragen. sFrkf. ZtgI — König Eduard VII. nnd Chamberlain als Roman helden. In England erregt gegenwärtig der letzte Roman von Marie Corelli bedeutendes Aufsehen. Das Werk erschien am 28. August; vor Ende September waren bereits 120 000 Exemplare verkauft. Die Ursache dieses großartigen Erfolges liegt sozusagen außerhalb der Lite ratur. Nicht als ob Miß Corelli ganz ohne Talent wäre; aber ihr Talent ist sicherlich die geringste Sorge der halben Million Leser und Leserinnen, die gegenwärtig die Licht- und Schattenseiten von „Temporal Power" er örtern. „Temporal Power" ist nämlich ein „Schlüssel roman", in welchem die königliche Familie von England und Chamberlain die ersten Rollen spielen. Natürlich ist niemand genannt; aber das ist auch das einzige Opfer, das die Verfasserin dem Gesetz über die Verleumdung ge bracht hat. Ihre Porträts sind himmelschreiend ähnlich, und die englische Presse tut das Ihrige, nm denen, die trotzdem noch nicht alles verstehen, den Schlüssel in die Hand zu geben. Da sind zuerst die Majestäten: er, ein schöner Mann, intelligent und vornehm, aber ein Herr, der sich immer etwas gehen ließ; sie, sehr schön und außer ordentlich tugendhaft, nur etwas frostig und kühl, be sonders Männern gegenüber. Der Beginn der neuen Regierung bot nichts besonderes. Der König regiert kon stitutionell; er läßt seine Minister und sein Parlament handeln. Schließlich hat er aber genug von seiner stummen Rolle. Er verliert den Geschmack daran, findet, daß die Revolutionäre nicht unrecht haben, wenn sie ihn alsSchwächling behandeln, und fragt sich mit einer gewissen Neugier, was geschehen würde, wenn er sich erlaubte, auch eine Meinung zu haben und sie anderen aufzwingen zu wollen. Während er solchen Betrachtungen nachhüngi, bricht sein ältester Sohn, der Kronprinz, kühn, ohne seine Eltern zu benachrichtigen, mit den politischen und gesell schaftlichen Vorurteilen. Er hat in einem bescheidenen Milieu ein hübsches Mädchen entdeckt, das ihm gefällt; er heiratet cs und will nicht einsehen, daß er unrecht ge handelt hat, als sein Vater ihm erklärt, daß „er sich des Vertrauens der Nation unwürdig gezeigt habe", und daß seine Torheit seine Familie zwingen werde, „unverzüglich eine königliche Heirat für ihn zu arrangieren". „Sire", antwortet der junge Prinz mit großer Kaltblütigkeit, „ick brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß die Tage dec Tyrannei vorbei sind. Sie können mich doch nickt zwingen, zwei Frauen zu haben." Der König wird zornig. Nach einer sehr scharfen Diskussion sagt ihm dec Sohu, indem er ihn von oben bis unten mustert: „Es muß Ihnen doch wohl angenehm sein, zu erfahren, daß ich lieber ein Ehrenmann sein will, als ein gemeiner Verführer." Zn dieser interessanten Scene findet man den Schlüssel in Steads „Review of Reviews". Die „Review" findet diese Scene geschmacklos, aber sie weist darauf hin, daß die Geschichte nicht ganz erfunden ist. Nach Gerüchten, die in England sehr verbreitet sind, „soll der Prinz von Wales in Malta die Tochter eines eng lischen Offiziers geheiratet haben". Miß Corelli hätte also nichts erfunden. Wir sind aber noch nicht am Ende der Enthüllungen. Sehen wir unS jetzt die englischen Staatsmänner an. Die Minister verfolgen die Ent wickelung deS Königs mit grober Besorgnis. Die Majestät emanzipiert sich und droht, dem Kabinett bet irgend einem Gesetze ein Veto entgegenzusetzcn. Der erste Minister, MarquiS Lutera, ist darob sehr aufgebracht. Der Premier ist nicht mehr jung. Er ist infolge seines hohen Alters etwas schwerfällig geworden, ganz wie Lor- Salisbury, dessen Haltung und dessen Aussehen er har. Er beginnt die Schwierigkeiten seiner Stellung zu fühlen und will seine Demission geben. Er hätte das auch längst getan, wenn sich Karl Pörouffe, der berühmte Staats sekretär, der eigentlich der einzige Leiter des britischen StaatSschiffr» ist, nicht widersetzt hätte« Da» Porträt
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