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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021103028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902110302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902110302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-03
- Monat1902-11
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Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Tlu-gabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—» Anzeiger. Amtsblatt des Äönigkicheit Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Rolizei-Ämtes -er L1a-1 Leipzig. Annalimelchluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 llhr, Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen stnd stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 blS abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Str. 56V. Montag den 3. November 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. November. Die rollpolitischen BerständigungSversuche. Wenn der im allgemeinen zutreffende Satz, daß über BerständigungSversuche um so weniger in die Oeffent- lichkeit dringe, je aussichtsvoller sie seien, auch für die jetzt schwebenden Versuche zu einer Verständigung über die Zoll fragen gilt, so steht ein Erfolg dieser Bemühungen in Aus sicht. Denn in der Presse begegnet man nur ganz verein zelten Auslassungen über die Vorgänge hinter den Coulisscn. Eine dieser Auelafsungen ist deshalb beionderS interessant, weil sie von der demokratischen „Berl. VolkS-Ztg." auSgehr und die Angst dieses Blattes vor vemZustandekommeu deS„Brot- und FleischoerteuerungStarifS"deutlich verrät. Die „Volks-Z." erör tert nämlich den Plan, nach der Beendigung der zweiten Lesung des TarisgesetzeS nickt alsbald zu der deS Zolltarifs zu schreiten, sondern sofort die dritte Lesung de« Tarifgesetzes solgen zu lassen, um so die Mehrbeit in die Lage zu versetzen, ,n absehbarer Zeit ihre soeben gefaßten unannebmbaren Be schlüsse betreffs der Getreide» und Bieb-Minimalzöllc zurück zunehmen, den Tarif selbst dann mittels Zusammenfassung ganzer Abschnitte bei der Beratung und womöglich auck bei der Abstimmung in möglichst kurzer Zeil Lurchzudrücken. Ueber diesen Plan kommt das demokratische Blatt zu folgendem Schluffe: „Zunächst werden mit der zweite» Lesung des Zolltorisgesttzes »och einige Wochen iuS Land gehen. Dann wird es eine lang wierige und heiße Geschäftsordnungsdebatte geben über die Vorwegnahme der dritten Lesung, und auch diese dritte Lesung selbst wird einige Zeit in Anspruch nehmen, wenn die Linke in berechtigter Notwehr von allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln der Geschäftsordnung rücksichtslosen Gebrauch macht. Diese Mittel muß sie auch gegen den unerhörten Plan der Zu sammenfassung ganzer Abschnitte des ZolltarijS in-Z Feld führen. Für den Kampf, der sich solchergestalt den Zollgegnern aufdrängt, stehen aber, gut gerechnet, nur noch fünf Wochen zur Verfügung, da der Reichstag Mitte Dezember in die Weih, uachtsfrrien geht und vorher noch die erste Beratung des Reichs- Haushaltsetats erledigen soll, dessen Verabschiedung ihn nach seinem Wiederzusammentritt von Anfang Januar n. I. bis zur Oncrpause vornehmlich beschäftigen wird. Bis zum 15. Juni ist dann mir »och eine kurze Spanne Zeit. Die Gesahr eines Zustande- kommens des Brot- und Fleischverteuerungstarifs ist bedeutend näher gerückt; daö verkennen wir keinen Augenblick. Aber sie kaun a'ogewendrt werden, wenn die Linke ihren Abwehrlampf mit der Rücksichtslosigkeit führt, mit der er ihr aufgczwungcn wird." An der Rücksichtslosigkeit der Link-n hat allerdings noch kein Mensch gezweifelt. Aber die Mehrheit wirv auck nickt im Zweifel darüber sein, daß gegen Rücksichtslosigkeit jede Rücksicht wegfällk. Zunächst wird morgen im Reichstage die zweite Beratung dcö TarisgesetzeS weitergeben, vor dessen tz 2 sie erst steht. Die 3 bis lO bieten eine Fülle von Sioff für Spezialdiskussionen über Einzelheiten des Zollwesens, und wenn diese erledigt sind, wird man zu den HZ lOa bis 12 gelangen, in denen drei große Mcmungs Verschiedenheiten zwischen der Kommissionömehrbeit rind der Regierung formuliert sind: tz lOa enthält da von der Regierung bekämpfte Verbot kommnnalcr Abgaben auf notwendige Lebensbedürfnisse, tz Na den ebenfalls von ihr bekämpften HentrumSarnrag wegen der Reservierung der Mehrertrage der Lebensrnittel- zölle für die Arbeiter-Witwen- und Waisen-Bersickerung, H 12 die von der Negierung für unannehmbar erklärte Be stimmung, daß der neue Tarif spätestens am 1. Januar 1905 in kraft treten soll, odne Rücksicht darauf, wie bis dahin die zollpolitischen Beziehungen zum AuSlande sich gestaltet haben. Der tz lOa, für den eine Mehrheit aus entgegengesetzten Lagern gestimmt bat, dürfte ohne Mühe zu beseitigen sein. Der 8 Na aber ist der Stolz des Zentrum«, dessen Durch setzung behufs Beschwichtigung der katholischen Arbeite» massen offenbar sür die Herren vr. Spahn und Genossen einer der wichtigsten Punkte einer „Deiständiaung" ist, während sogar die Rechte gegen diesen finanzpolitischen Widersinn gestimmt bat. (Es wird also gar bald zutage treten, wie weit die Derständigungsncigungen deS Zentrums und der reinen Kon servativen gehen und wie weit die Kompromißverhandlungen gediehen sind. Die „angebliche" deutsche Einheit. Unter diesem vielversp.eckenden Titel läßt sick der Pariser „Rappel" von seinem Berliner Korrespondenten einen Humbug austischen, der an die schlimmsten Zeiten sranzösffcher Publizistik erinnert. Der Gewährsmann deS „Rappel" will nämlich an eine Spannung zwisckcn dem Berliner Hose einerseits und den Höfen von München und Karlsruhe anderseits glauben mache». Vermutlich um für seine Märchen größeres Vertiauen zu erwecken, scheidet er dabei die Angelegenheit des bayerischen GeneralsbuteS und des kaiserlichen „KunsttelegrammeS" aus. Dafür aber sährt er fort: .Preußen besteht mehr als je auf der Erwerbung der Eisen- bahnen in der Pfalz. Bayern will sie schlechterdings nickt ab- treten, den» es hält darauf, Herr seiner Schienenwege zu bleiben... In Berlin ist man bis zu Drohungen gegangen. Eine ossiziöse Note gibt logar zu verstehen, daß Preußen jeden vernichten wird, der sich der Befestigung der Einheit des Reiches entgrgenstellt. Diese Drohung richtet sich auch an das Großhcrzogtum Boden. Trotz seiner Verwandtschaft mit den Hohenzollern zeigt sich der Großherzog seit einiger Zeit weniger gelehrig alS gewöhnlich. Der Berliner Hof beargwöhnt die Ab sichten deS HoseS von Karlsruhe. Tas Grvßherzoglum möchte gern Elsaß-Lothringen sür sich und sich jo zu einem Königreiche um« bilden... Vielleicht hat auch die Haltung gewisser süddeutscher Staaten in der Zollfrage dazu beigelragen, die Verstiin.uuug herbeizuführen." Für deutsche Leser bedarf dir vorstehende Darstellung im Grunde genommen keinerlei Berichtigung. So märchenhaft, wie die oben erwäbnte offiziöse Berliner Drohnote, ist da« Gerede von dem Streben Preußen« nach dem E>werbe der Pfälzischen Eisenbahnen. Gerade der neue preußnche Elsen- bahnministcr liimnil Bayern gegenüber eine überaus ent- gegenkommende Haiiung em, nickt zuletzt in bezug auf die Bayern so sehr am Herren liegende Angelegenheu der Main- Kanalisation. Was im „Rappel" von vcrdäckligcn Aspirationen Badens erzählt wird, ist nickt geringerer Schwindel, als der Hin weis auf die angeblich verstimmende Stellungnahme süd- ocutscher Höfe in der Zollsrage. Die Tendenz, mit der solche Tatarcngesckichten dem französischen Leser vorgesetzt werden, erhellt auS der ileberschrisl des Gan;en. Weil rS aber in Frankreich immer noch Kreise gibt, die sich durch solche Phantastereien in den Glauben an die Zerbrecklichkeit der deutschen Einheit versetzen lassen, ist eS notwendig, die Franzosen auf den Irrtum hinzuwcisen, dem sie von tendenziösen Märchenerzählern überantwortet werden. Man erspart so gewissen Leuten eine vielleicht höchst unliebsame Enttäuschung. Deutschland und Täncmark. Die leitenden dänischen Blätter widmen nunmehr dem Besuche des Kronprinzen Friedrich am deutschen Kaiserbose, sowie den möglicken politischen Nackwnkungen dieses Ereignisses längere Betrachtungen, die sich durch das Bestreben auSzeichnen, von Preußen Zugeständ nisse auf dem Gebiete der Grenzpolitik zu erlangen. Nickt überraschen tann es, wenn die „Nationaliidenre", das Hauplorgan der deutschfeindlichen Rcchtenpart-i, schreibt: „Der Systemwechsel, der eine ent scheidende Bedeutung erkalten und den Weg zu einem wirk lich guten Verhältniß zwischen Dänemark und Deutschland bahnen soll, wie wir alle wünsche , — dieser Systemwccksel muß vor sich gehen in Berlin." Mehr Bedeuiung kommt dem Umstande zu, daß auck das der Regierung nahestehende Blatt „Politiken" setz' „Bedingungen" für eine daucrnLe Annäherung stellt. Es schreibt u. a.: Tft Reise deS Kronprinzen ist daS Kemizeichen eines Um schlages von nicht geringer Bedeutung. Der Kronprinz ist nicht mit besonderen Absichten nach Berlin gegangen, aber als der Ucberbringer der Wünsche seine- Volke-, dir aus Frieden und Freundjchafl mit Deutschland hinausgehen. Man muß dem Kronprinzen dankbar sein, daß er hierzu in rechter Zeit die Initiative ergriffen hat. Aus der deutschen Presse erkenne man die große Bedeutung der Reise. Man wolle drüben nicht nur freundnachbailiche Beziehungen z» Dänemark pflegen, sondern, nach der Presse zu urteilen, sobald Dänemark sich absolut friedlich stelle, auch das Köller-Regiment in Nordschleswig ausgeben. Mit der Zuiage friedlicher Gesinnung räume Dänemark keineswegs ein, daß cs auf die Erhaltung dänischer Kultur und Sprache in Nordschleswig verzichte. Im Gegenteil? Die Gleichberechtigung beider Kulturen in Schleswig sei die Grundlage eines dauernden FreuiidlckaitSverhältnisser zwischen beiden Nationen. Die jetzige Berfolgungspolitik in Nordschleswig könne kein Däne billigen; sie müsse ihn empören und jene unheimliche Stimmung nur »ähren, die zu verurteilen Deutschland und Dänemark jetzt anscheinend übcreingelommen sind. Mit Beziehung aus die Optanten- frage seien Beihandlungen zwischen beiden Ländern unmöglich. Tie Nordschleswigrr, deren Presse aus die Optanteniache anspiele, müß:en hoffen, daß der preußischen Politik die Augen aufgchcn mückten über die kleinliche Weise, wie sie dänisch redende Bauern in Nord schleswig behandle. Was dem einen recht, ist dem ander» billig. In Deutschland bildeten sich ständig Vereine mit dem Zwecke, das Deutschtum im Auslände zu unterstützen Da könne man sich auch mcht verwundern, daß sich in Dänemark ein warmes und wirksames Interesse sür die Erhaltung dänischer Kultur in Schleswig zeige! Wozu denn diese Verfolgung-Politik? Tie Kronprinzen reise ici eine „Politik der auSgestrecklcn Hand", die sür Dänemark den Aubruck einer neuen Periode bedeute. Kaiser Wilhelm habe nicht nur großmütig vergessen, wie wenig würdig ihn einst Kopen« Hagen empfing, sondern jetzt den Kronprinzen geradezu ausgezeichnet durch Herzlichkeit des Empfange-. In der Wert'chätzung dänische» Freundschaft schmeichle d'e deutsche Presse dem kleinen Dänemark. Zurück steht nur ein Punkt: die Unterdrückung däniicher Sprache in Nordichleswig. Hier schaffe man den ruhigen Rechtszustand der Gleichberechtigung beider Kulturen, die auch in der deutschen Presse verlangt worden ist. Hierzu ist zu bemerken, daß die „Versolgungspolitik" so fort eingestellt würde, sobald die zwingenden Gründe, die sie veranlaßt haben, sortsielen. Der Systemwechsel hat sich dem gemäß nickt zuerst in Berlin zu vollziehen. Die in Preußen lebenden Dänen mögen ibre Sprache und Kultur erhallen, so fern sie sick rückhaltlos aus den Boren der gegebenen völker rechtlichen BeihällNtsse stellen. ElwaS dunkel gehalten sind einige Bemerkungen der in Hadersleben erscheinenden „SchleSwigichen Grenzpost" zu dieser Frage, in denen behauptet wird, daß jetzt „offenbar wieder, wie vor drei Jahren bei Beginn ter Köllencken Politik der festen Hand, eine von ge wissen deutschen Seiten mit günstigen Augen angesehene däniiche Aktion im Gange ist, welche gegen die entichieden deutsche Nordmark-Politik hier in Deuticyland selber Stim mung zu machen und sie womöglich lahm zu legen sucht. Namen deutscher Blätter zn nennen, die aufs neue in dieser Richtung beeinflußt zu sein und sie zu fördern scheinen, wird noch später wohl Gelegenheit sein." UnS ist, bemerken die „Bcrl. N. N", bisher von einer Aenderung der in der Nord mark seit mehreren Jahren angewandten Grundsätze nichts zu Ohren gekommen. > Protest gegen die politische Korruption in Norwegen. Ueber die Art und Weise, wie unter dem jetzigen radi kalen Regiment Norwegens bei der Besetzung öffent licher Aemter verfahren wird, hat sich vor einigen Tagen abermals der allgemeine Unwille auf eine besonders kräftige Art Luft gemacht. Von dem „Norwegischen Studenten bund" war eine Versammlung cinberuten worden, in welcher der Vorsitzende des Vereins, Professor Oskar Jaeger, in einem einstündigen Vortrage alle die zahl- reichen, seit Jahren gehörten Anklagen gegen das Ministerium zusammenfaßte. Der Redner nannte seinen Vortrag „Die politische Korruption und die Mittel zu ihrer Hebung". Er begann, wie der „Schlesischen Zeitung" aus Ehnstiania geschrieben wird, mit ter Bemerkung, daß er mit rem von ihm gewählten Ausdruck nicht die schlimmste Art der Korrupiion, eie Bestechung mit Geld, meine, die glücklicher weise in Norwegen noch unbekannt wäre. Korruption »ei es aber auch, politische Freunde dadurch für ihre Dienste zu belohnen, daß man sie zu bezahlten Mitgliedern vocr Eoiniivs ernenne, in denen sie nichts leisten tonnten, oder ihnen Aemter gebe, denen sie nicht gewachsen seien. Es folgten nun zahlreiche Beispiele von Ernennungen, deren manche der Redner als skandalös bezeichnete, wie die Ernennung eine« Redakteurs als Direktor der Hypotheken bank oder die Einsetzung eines EonnteS von vier unfähigen Leuten, welche über die wichtige Frage der Invaliden versicherung einen vollständig unsinnigen Gesetzentwurf zustande gebracht hätten, der die Sacke auf lange Zeil hinaus verderben muffe. Die Presse habe mit seltener Einigkeit immer und immer wieder dagegen prolestiert, aber sic sei machtlos der herrschenden Partei im Stortbing gegenüber, die alles mit Still- schweigen durchgehen lasse. Ibsen habe schon vor 20 Jahren geschrieben, die Bornehmbeit der Gesinnung sei in Norwegen im Abnehmen, und dies sei leider Wahrheit. Es fehle im Storthivg an einer mannhaften Opposition, um die Regie- 'iings» und Stortbingsmoral gesund und unverdorben zu er halten. Nur ein Mittel gebe cS gegen die Korruption, und Feuilleton. A Das Findelkind. Roman von Ernst Gcorgy. Slachoruct verboten. Ohne eine Antwort abzuivartcn, verließ er das Zim mer, die anderen Anwesenden nur stumm durch Verneigen begrüßend. „Monsieur Antvk ist doch ein sehr schöner junger Mann! Gerade wie ihn denke ich mir einen großen Künstler. Ter Professor L meint auch, er wird eine Größe ersten Ranges werden!" sagte eine alte Französin. „Ja, er hat einen bedeutenden Kopf: die grauen Augnr und die braunen Locken! Das wirkt so interessant!" rief eine Engländerin entzückt. Alle fanden irgend eine Schöne heil an dem jungen Manne zir bewundern. Nur Erna hörte sinnend zu. Gegen halb sieben Uhr hatte Maria, die Zofe, welche Erna aus Hamburg mitgcbracht, die Toilette ihrer jungen Herrin beendet. Auch Frau Schmidt mar bereit. So stiegen sic denn leise die Treppe herab. Das ganze HanS schlief. Aber der Wagen der Marquise, der sie abhnlcn sollte, war noch nicht da. — Einige Male waren ne schon vor dem Hause auf und abgemandelt. Endlich wurde cS ihnen zu langweilig. Marta, welche dke Abendmäntcl und eine kleine Reisetasche trug, wurde vor dem Tore als Wache ausgestellt. Sie sollte die Damen herveiholen, »venu das Fuhrwerk in Sicht kam. — Frau Schmidt und Erna traten durch die kleine Pforte im Staket in das Gelände der Künstler-Kolonie, das von hohen Ahorn» und Kastanien' bäumen beschattet war. Neugierig, die Kleider sorglich em« porgehoben, schritten sie über den breiten Mittelweg un versuchten, durch Türen nnd Vorhänge in das Innere der Häuschen zu spähen. „Schau, hier wohnen also die „Unzertrennlichen!" ries Frau Schmidt und beugte sich zu den beiden Visitenkarten, die mit Reißnägeln an der Tür befestigt waren. „Schade, Vdaß keiner von ihnen hier ist! Sic könnten uns doch einmal ihr Atelier zeigen." Erna war um das winzige Häuschen herumgcaangen. Ihrem scharfen Gehör war es nicht entgangen, daß ein Wasserplätschevn plötzlich ausgehört hatte, und daß schnelle, leise Schritte über den knirschenden Kies huschten. Neben einer Baumgruppe mar ein Brunnen. In seinem Becken lagen schmutzig grobe Lcin- wandlappen, die wohl just frisch angefcuchtct werden füllten. Eine schlanke Jüngliugsqestalt in blancr Arbeits bluse verschwand gerade in einer daneben liegenden Ba racke. Tas junge Mädchen hatte den Flüchtling bereits erkannt: „Herr Antok, — Herr Antok, — bitte kommen Sie doch und zeigen uns Ihr Atelier!" rief sie ihn laut und in freundlichem Ton an. Sehr verlegen kain er langsam zum Vorschein. Seine Augen hingen begeistert an der schöne» Mädchengestalt, neben der er sich doppelt armselig und prolctarierhaft er schien. Seine Ausreden, seine Weigerung wurden nicht angenommen. Er mußte die Damen in sein und BollriedS Heiligtum entlassen. Die beiden Arbeitsstätten waren durch kineii Vorhang getrennt. Der junge Maler hatte sein kleines Reich mit einfachen Mitteln geschmackvoll deko- riert. Erna und ihre Gesellschafterin waren von allem begeistert. Sic stöberten in allen Ecken herum, betrachteten alle die unverkäuflichen kleinen Gemälde nnd Skizzen. Mit dem Eigensinn der verwöhnten reichen Erbin schichtete Erna eine ganze Reihe Bilder aufeinander, die sic „unter allen Umständen" kaufen wollte. „Ticke Sachen wünsche ich zu haben! Bitter» Sic also Ihren Freund in meinem Namen, mir de» Preis zu be stimmen! Und nun zu Ihnen!" Sic hob den Vorhang nnd blieb etwas betroffen stehen. Antvks Raum war völlig kahl nnd unfreundlich. Au den Wänden hingen und standen Skizzen, Entwürfe und allerlei Fragmente, die von einer tiefen Kraft, einer machtvollen Wucht zeugten. Fast der ganze Raum war von der lebensgroßen „Kain und Abcl"-Gruppe auSgefüllt. Zuerst wirkte die große, weiße Marmormasse in dem engen Gemach beinahe er drückend. Erst nach mehreren Minuten unterschieden die Augen der Besucherinnen die einzelnen Gestalten. Frau Schmidt wandte sich bald den kleineren Sachen zu. Erna hatte ihr hellrosa Seidenkleid, das mit weißen Spitzen Überzogen war, achtlos fallen lasten. Stumm schaute sie auf die Schöpfung vor sich. Die milde Weichheit des er mordeten Adels, -er in -en Armen des Bruder» hing, die Schlaffheit der toten Glieder neben der sehnigen, lebensvollen Fülle de» Mörder» erschütterten sie tief. Am meisten packtest« jedoch der Ausdruck in Kain» gen Himmel gewandt«» Antlitz. Erna schaute lies erblaßt in dieses Gesicht, auf dem der furchtbare Kainsstcmpel sich schon zeigte. — Sie konnte nicht sprechen, die Worte fehlten ihr. Langsam wandte sie sich den: Schöpfer dieser Menschheits-Tragödie zu. Er stand neben seinen: Werke nnd blickte zu ihr hin, wie ei»: Verurteilter zu seinen: Richter. Halb im Traum, erhob sic langsam die beiden Hände und reichte sic ihm. Er riß die kühlen, weißen Finger mit wilder Kraft, sie heftig pressend, empor und drückte sie gegen seine Brust. „Nun aber ? Erna, Sie —" ries Fran Schmidt er staunt. Durch diesen Anrnf kau: das Mädchen zur Be sinnung. Ein Ausdruck von Schreck huschte über ihre Züge. Dann lächelte sic, — ihr altes, kühles Lächeln, das den: süßen Müdchengesichtchen alle Holdseligkeit benahm und in Hochmut verwandelte. Sie wollte sprechen; aber noch ehe sie den Mund öffnete, Ivar Ludwig, sie einfach zur Seite schiebend, rücksichtslos an ihr vvrübergestürzt nnd ver schwunden. „Er ist doch ein ungehobelter Barbar, — der junge Mann!" sagte Fran Schmidt lachend. „Er ist ein großer, großer Künstler!" entgegnete Erna stockend. Sic war verwirrt und nachdenklich. Ihr schien es, als ob die glühenden, grauen Augen sich noch in die ihren bohrten. Ein fröstelnder Schauer rann ihr den Rücken herab. Sie raffte ihr Kleid und richtete sich auf: „Kommen Tie, hier ist es kühl!" Hastig verließen sie die Künstler-Kolonie und trafen vor dem Tor auf Marta, die das Warten des Wagens meldete. Sie stiegen ein. Die Zofe reichte dem Kutscher den Handkoffer auf den Bock hinauf. Die beiden Traber zogen an und das Gefährt sauste davon. Die Lebhaftig keit der Pariser Straßen, das bereits beginnende Volks gewühl zog die Aufmerksamkeit der Fahrenden bald von dem kleinen Erlebnis ab. Sie schauten sich interessiert um, lachten nnd plauderten. Keine von ihnen dachte noch an Ludwig Antok. Wie ein Verbrecher war dieser nach etwa einer halben Stunde wieder in seine Werkstatt -urückgekebrt. Müde hatte er sich auf den Holztritt neben seiner Arbeit nieder gelassen. Die beiße Stirn gegen den kalten Marmor ge lehnt, dämmerte er mit geschlossenen Augen vor sich hin. Seine Phantasie versuchte vergebens, sich den hinreißenden Ausdruck des geliebten Mädchens wieder vorzuzaubcrn. Aber so bald er das Bild erfaßte, verschwamm e», und nur da» tzeraslastende Lächeln schwebte ihm »or. Die liebte ihn nicht! Sic beachtete seine heiße Leidenschaft nicht, das war ihm klar. Und gequält stöhnte er vor sich hin. Eine große Gesellschaft war bei der Baronin Enclös in den: herrlich geschmückten Garten versammelt. Die Lakaien ii: grellroten Livreen servierten gekühlten Cham pagner, Liinonaden und EiS. Auf der Veranda saßen die älteren Herrschaften, alle treue Anhänger der Orleans, beieinander. In den lauschigen Alleen ergingen sich junge Paare in ernstem und heiterem Gespräch. Auf dem Tennis platz, sowie auf der Kegelbahn waren die Spieler ii: heißer Kampfeslust in ihre Partien verwickelt, als Erna Bolmann und ihre Gesellschafterin in der Equipage die Ausfahrt hcraufrollteu. — Tic Kammerfrau half den Damen in der Garderobe, und der Hausmeister geleitete sie durch die elegante», blumeudnsteuden Salous auf die Veranda. Die Marqnise Charbart, die Schwester der Wirtin, kam ihrem Schützling lebhaft entgegen. Mit der gewinnendsten sran- zösischen Liebenswürdigkeit übernahm sie die Vorstellung. Fran Schmidt trat völlig in den Hintergrund. Sie setzte sich zu der englischen Vorleserin der Baronin in eine ab seits gelegene Laube und blieb in dieser Cieseflschasr während des Festes. Ernas prächtige Erscheinung, ibre mädchcnbaste und doch kostbare Toilette erregten einiges Aussehen. Besonders gefielen den Anwesende»: ihre sonnig goldenen, lockige»: Haare. In zwei schweren Zöpfen umrahmten sie das schmale, stolze Gesichtchen mit den pechschwarzen, fein ge zeichnete»: Brauen. In einem kleine»: Pavillon, unterhalb der Veranda, saß eine üppige, dunkle Fraucngcstalt, lässig in den tiefen ftiartcnstnhl gestreckt. Ein schwarzes Seidentüllkleid um schloß die vollen Formen; blitzende Flitter, Perlen und Türkisen waren in feinem Rankenwcrk über den leichten Stoff gestickt. Den schmalen Ausschnitt ain Hals umgab eine doppelte Reihe funkelnder Brillanten, von denen ein zierliches Kettcngcbängc aus Perlen nnd Brillante»: bis zur Taille herabhing, an den: die gleichfalls funkelnde und glitzernde Stiel-Lorgnette aus Perlmutter beseitigt war. Ringe, Armbänder und Haarspange»: von seltener Kostbarkeit vervollständigten den Schmuck. AlS Frau von Charbart jetzt mit Erna im vollen Lickte der Abendsonne auf den Stufen stand, erhob die Dame sich ein wenig. Sie ergriff das Glas, schaute scharf nach den beiden und »nachte ein betroffenes Gesicht: „Wer ist die fremde junge Dame?" »ragte sie in etwas hartem Französisch. „Bitte, ich möckte »e kennen lernen!"
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