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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021114013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-14
- Monat1902-11
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VezugS-Preis t» der Haupterpedttio« oder den tm Stadt- bezirk md de» Vororte» errichteten Uns- -adeftelle» ad,«holt:vierteljährlich^ L.K0, — «wetmalt-er täglicher Au stell»», ta« Ham ^l Durch die Post bezogen für Deutschland ». Oesterreich vierteljährlich «, für di« übrig«» Länder laut Zeitungdpreirliste. Ne-aktton und Expedition: Johannt-gaffe 8. 8er»s-«ch«r LSS und SSL FUUtlmpMdtttm»«« r Älfr»d Hahn, vuchhaadlg., Untv«rfitüUstr.S, L. Ldsch«, Katharine»str. ». Kdntglpl. 7. Hanpt-^iiiale Vrerden: Strehlener Straß« S. Kernsprecher Amt I Nr. 17IL Haupt-Filiale Serlin: KSaiggrätzer Straße IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SS. Morgen-Ausgabe. MipMcr, TagMalt Anzeiger. ÄmtsMatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Antes und des Aolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Pemzeiie Lü H. N«U«>»«» «N« d«» Nedattio»»strtch l«-«fM«») 7» Mr d«a FamMonnach- richte» (S,«spalt«») S0 Tabellarisch«» and Ztffrrasatz entsprechend höh«. — Vebühre» filr Nachweisungen und Osfertenaunahm« LS (epcl. Porto). Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Audgab«, ahn« Postbeförderung SO.—, »tt Postbesörderuug 70.—. Rnnahmeschluß fiir Iiuzeizein Id«»d«L»r,ar«r vormittag» 10 Uhr. »»»-«».«»»gab«, Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen p»d stet« an di« Expedition ,» richte». Di« Erpedttio» ist Wochentag« mmtrrbrocken geöffnet vo» früh S bi« abend« 7 Uhr Druck and Verlag von E. Volz io Leipzig. Nu 58«. Freitag den 14. November 1902. 98. Jahrgang. Das DationalitStengeseh in Ungarn. Wenn man die gegenwärtigen Vorgänge in Ungarn aufmerksam verfolgt, insbesondere die rücksichtslose Maß regelung von deutsch-nationalen Redakteuren, aber auch der anderssprachigen Blätter, so merkt man bald, daß diese Vorgänge die Aeußernng eines tiefer liegenden Be strebens sind. Vornehmlich der Umstand muß auffallcn, daß allen diesen Verurteilten, als Alldeutschen, oder, wie der Ausdruck jetzt in Ungarn so modern geworden ist, als „Pangermancn", der Vorwurf gemacht wird, sic reizten nicht nur im Lande gegen die herrschende Nation auf, sondern seien dabei als bezahlte Agenten des Mdeutschen Verbandes bestrebt, Ungarn zu zerstückeln und so all mählich immer reifer zu machen für eine spätere Besitzergreifung desselben Lurch das Deutsche Reich. Jedem klarer denkenden Magyaren müßte cS doch bei etwas Uebcrlcgung zweifellos erscheinen, daß in dieser letzteren Beschuldigung ein großer Irrtum liegt, den man vielleicht treffender mit Irrwahn bezeichnet. Wenn trotz dem solche Anschuldigungen auch heute noch, nachdem ja laum ein deutsches Blatt im Banat und in Siebenbürgen von Aufsehen erregenden Prcßprozesscn verschont ge blieben ist — letzthin ist ja auch der verantwortliche Re dakteur der Krvnstädtcr Zeitung, Hermann schroff, nicht nur prcßgcrichtlich belangt, sondern auch sofort in Haft genommen worden —, in magyarischen Blättern immer wieder erhoben werden, so muß mau, mn dies zu erklären, nach weiter ausgreifenden Absichten ausschauen. Diese sind vorhanden in dem Bestreben, das seit 18^8 bestehende Nationalitäten gesetz, das den viel sprachigen Nationalitäten in Ungarn den Gebrauch der Muttersprache in Kirche nnd Schule, vor Gericht und vor den Verwaltungsbehörden gewährleistet, umzu ändern, respektive abzuschaffeu. Schon vor sieben Jahren, als die ungarländischcn Rumänen dem König ihre Be schwerden in dem bekannten Memorandum unterbreiten wollten, infolge dessen damals die Verurteilungen ihrer Stimmführer durch die ungarische Regierung erfolgten, versuchte man von Klausenburg aus, eine Bewegung zu stände zu bringen, die die Aufgabe haben sollte, dem Ratio- nalitätengcsctze in Ungarn den Todesstoß zu geben. Da mals ist diese, obwohl sehr energisch betrieben und aus- getrcitet, nicht zum Ziele gelaugt. Jetzt nun hält man magyarischerseits gerade im Anschluß an die, wie wir eben sehen, von den magyarischen Chauvinisten und durch deren Druck und Drängen auch von besonneneren Elementen mit staatsgefährlichen Aspirationen ausgestattctcn Unter nehmungen der nationalen Presse die rechte Zeit abermals gekommen, die Revision, eventuell die Ab schaffung des NativnalitätcngcsctzeS durchsetzen zu können. Die Preßburgcr Ävmitatsvcrsammlung hat jüngst ein Rundschreiben ansgcgeben, in dem eben die Revision des ungarischen Nationalitätengesctzes mit patriotischem Nachdruck allen anderen Kvmitatsvcr- trctungcn in Vorschlag gebracht wird. In den sächsischen Vertretungen hat diese Zumutung selbstverständlich die ge bührende Zurückweisung erfahren; man hat hier aus drücklich darauf hingewiesen, das; nicht eine Revision des Nattoualitäteugesetzeü in Ungarn heilte notwendig sei, sondern die strenge Einhaltung desselben. Und in der Tat ist ja die ganze sogenannte „Aufreizung" auch der Deutschen in Ungarn im wesentlichen nichts anderes, wie die nachdrückliche B e s ch w e r d e f ü hr u n g über die Nichteinhaltung dieses Nationali tät e n g c s e tz e s, wobei nur die durch den Chauvinis mus verwöhnte und erhitzte Vorstellung eines selbstver ständlich magyarischen „einheitlichen Ungarn" Staats- und Landesverrat scstznstellcn vermag. Eine Reihe ungar- ländischer Komitate aber hat dem Prcßburger Rund schreiben zngcstimmt, und man hat in der letzten Zett Ge legenheit gehabt, in chauvinistischen Blättern Einblick zu gewinnen in die eigentümliche Auffassung, die man i» gewissen Kreisen Wer das Nationalitätcngcsetz in Un garn hat. Diesen Blättern zufolge hat die ungarische Gesetzgebung seinerzeit den Nationalitäten des Landes, indem sic ihnen als Staatsbürger Ungarns das Recht cinräumtc, in Kirche nnd Schule, vor Gericht und den Verwaltungsbehörden ihre Muttersprache zu gebrauchen, eine Ausnahmestellung cingerüumt und ihnen somit eine Wohltat erwiesen, für die sie der magyarischen Nation zu Dank verpflichtet sein müßten. Den Dank der Nationalitäten habe diese, heißt es, darin erwartet, daß sich die Nationalitäten enge an- schließen möchten an die magyarische Nation, daß sie treu seien in ihrem Verhalten gegenüber dem Staate und vaterländisch gesinnt in Kirche und Schule. Nun ist diese Wohltat insoweit sehr fraglich, als zur Zeit der Schaffung des Nationalitätengcscycs eine so fortige Magyarisierung der Nationalitäten in allen ihren öffentlichen Einrichtungen, vor Gericht und den Ver waltungsbehörden nicht recht möglich und vor allem äußerst unklug gewesen wäre, galt cs doch, sie sich zuerst in ein ganz ncngcschaffencs Staatswesen cinlebcn zn lasten, lind dann scheint die chauvinistische Presse Ungarns insbe sondere davon nichts zu wissen oder nichts wissen zu wollen, daß doch dieses in seinen einzelnen Paragraphen sehr humane und politisch kluge Nationalitätcngcsetz in der Praxis nicht nur fort nnd sort übertreten worden ist, seit cs besteht, sondern mit Rücksicht auf den Gebrauch der nichtmagyarischcn sprachen vor Gericht und im Verkehr mit den staatlichen Verwaltungsbehörden schon jetzt fast spurlos beseitigt erscheint. Mit dem Vorwürfe also, als hätten die Nationalitäten Ungarns sich einer Wohltat nicht würdig erwiesen, ist cs nicht weit her; und daher erscheint der Aufruf, diese Ratio- nalitütcn ihrer Sonderrechte zu entkleiden, indem unter ihnen rücksichtslos die Ansprüche des einhcitlichcnLtaatcs zur Geltung gebracht werden sollen, eine unvcrhüllte Pro paganda für die Magyarisierung der Natio nalitäten. „Die Zeit ist gekommen", schreibt „Magy- roßzäg", „wo wir schärfere Mittel anwcnden müssen. Ten Gifttiegel müssen wir den Nationalitäten aus den Händen ringen, ihre Rechte beschränken. Ans Leitsetl müssen ihre Schulen kommen, und das Licht der staatlichen Kontrolle muß hineinleuchten in die Winkel ihres kirchlichen Lebens. Das Preßgesetz muß solcherart umgeschaffcn werden, daß -er Schuldige nicht straflos auSgchcn kann. Vom Gesichts punkte der Nationalitätenvergchen müssen wir auch das Strafgesetz ändern. Wir müssen Mittel ausfindig machen, eine entsprechende Kontrolle zn üben über die, natio nalistischen Zwecken dienenden Geldinstitute. Die Lehrer bildung muß ausschließlich der Staat in seine Hände nehmen. Tie den Gesetzesanforderungen bezüglich der magyarischen Sprache usw. nicht entsprechenden konfessio nellen Volksschulen müssen endlich einmal gesperrt wer den. In den konfessionellen Mittelschulen mögen Geschichte, Geographie und magyarische Literatur magyarisch vor getragen werden. In der Ausbildung der Geistlichen soll das Oberaufsichtörecht des Staates in seiner vollen Schärfe zur Geltung kommen. Kurz die Politik der Zugeständnisse und des Entgegenkommens sei vorbei. Die magyarische Nation will nun einmal R a s sc n p o l i t i k betrieben sehen!" Wer fühlte nicht, welch' großen Gefahren durch diese Politik der nationalen Rücksichtslosigkeit das künftige Ge schick der Nationalitäten Ungarns entgcgengetricbcn wird! Es ist ja denkbar, daß bei der heutigen Stimmung in Un garn die Chauvinisten ihr Ziel erreichen und den Natio nalitäten ihr bisher im Gesetze wenigstens einigermaßen geschütztes Eigenleben vernichtet wird. Ob aber eine solche Entwickelung ohne in ihren Folgen unabsehbaren Wider stand der Nationalitäten abgehcn wird, ist zu bezweifeln, vor allem aber eine glückliche Zukunft Ungarns. Eine katholische Stimme über Leo XIII. Es ist die einer angesehenen schweizerischen Dichterin. Die meist französisch schreibende, durch ihre Novellen: „Wenn die Sonne nntcrgeht" (Stuttgart, bei Kotta Nachf.) aber auch in Deutschland bekannt gewordene Isabelle Kaiser veröffentlicht in französischen Blättern ihre „römischen Eindrücke". Der neueste, auch für weitere Kreise sehr interessante Artikel handelt vonPapstLcoXIII. Sic hat ihn mit 60 000 Menschen, meist ausländischen Pilgern, zuerst in der Peterskirche und sodann in Privat audienz gesehen. Beide Male fühlte sie sich tief ergriffen von seiner persönlichen Erscheinung. Auch abgesehen von seiner kirchlichen Würde würde ihr der ehrwürdige Greis von über 1)2 Jahren imponiert haben. „Weiß gekleidet, mit weißem, weil fast blutleerem Angesichte, sicht er ans wie einer, der nicht mehr dieser Welt, sondern der Ewigkeit angchört." In dieser Schilderung sindc ich keine Ucbcr- treibung, — sie wird von ganz vorurteilsfreien Besuchern des Papstes bestätigt —, und auch nicht in dem, was sie von der geistigen Bedeutung des Mannes rühmt, der ihr schon als Gelehrter und feinsinniger Dichter sympathisch ist. Aber ihre Behauptung: „Leo XIII. ist der moderne Papst" muß beanstandet werden. Gewiß, er hat sich, besser als sein Vorgänger, in die neuen Verhältnisse zu finden gewußt, nnd das spricht für seine Klugheit. Aker es ist eine irrtümliche Annahme der Dichterin, daß er auf die „weltliche Herrschaft" verzichtet habe. Und das gerade wird ihm von Isabcl 1 e Kaiscr als sein größtes Ver dienst angerechnet. Tenn auch sie mag davon, um höherer und höchster Interessen willen, nichts wissen. „Als ich die Menge schreien horte: „Es lebe der Papst-König", da wandte ich mich erstaunt und fast verletzt um. „Wie Papst- König? Der Stellvertreter dessen, der die Herrschaft über Jerusalem verschmähte und dessen Haupt nur eine Krone aus Dornen geschmückt hat?" Nein, er sei und bleibe König auf geistigem Gebiet, im Namen des Herrn, der zu seinen Jüngern gesagt hat: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Die Könige haben stehende Heere und führen Krieg unter einander. Nicht so dieser. Er braucht kein anderes Schwert, wie das lebendige Wort, keine andere Artillerie (sic), wie die heiligen Schriften, keine andere Herrschaft, wie die über die Seelen. Es wäre töricht, wenn er als Papst-König, um die vergänglichen Güter, die ihm die Heere Victor Emanuels abgenommen haben, zurückzugeivinnen.die unvergänglichen,die ihmseit- dem zugefallcn sind, opfern wollte. Denn nur um den Preis könnte es geschehen . . . „Der Papst war nie so mächtig, wie seit dem Tage, an dem man ihn seiner Staaten beraubt und aufs Patrimonium Petri beschränkt hat. Nie vorher hat er einen so großen Einfluß auf die ihm an vertrauten Seelen und nie mehr Freiheit gehabt, wie seitdem er in seiner räumlichen Beschränkung auf den Vatikan nur noch moralisch herrscht." Und daS nicht allein. „Auch die Kirche ist nun freier nnd größer. Ja, größer, als da ne zn Gegenrevolutionen aufforderte und Baunstrahlen gegen Neucrnngen der fortschreitenden Civilisation schleuderte; selbst größer, als zur Zeit, da ein Hvhenstaufe dem dritten Alexander -en Steigbügel hielt!" Der Patriarch des Vatikans herrscht lediglich durch die Achtung und Bewunderung, die er den Gläubigen ab nötigt. „Tenn aufgehört hat der Schrecken, den die Päpste der Inquisition und all die tyrannischen um sich ver breiteten, die für alle zeitgemäßen Reformen nur ein Anathema hatten." Wie wahr ist das alles! und uns längst bekannt. Anch im „Leipziger Tageblatt" wurde vor einiger Zeit der Tat sache gedacht, daß der länderlose Papst mehr bedeutet, als ein Papst-König, also daß mir es als Protestanten, im kirch lich religiösen Interesse, nicht zn beklagen hätten, wenn man ihm den Kirchenstaat nnd die Sorge nm ihn zurück gäbe. Aber interessant ist es doch, dasselbe, fast mit dcn- sclbcnWorten, von einer gebildeten frommen Katholikin in katholischen Blättern ausgesprochen zu hören. Und so ist zu hoffen, daß sich deren Wunsch: die Schreier möchten endlich aushören, die Rückgabe der weltlichen Herr schart an Len Papst zu fordern, auch auf den künftigen deutschen Katholikentagen erfüllen wird. v. v. Deutsches Reich. b>. Berlin, 13. November. (Zur Erziehung deutscher Kinder in ausländischen katho lischen A nstalte n.) Eine sehr bedauerliche Tatsache ist cs, daß jährlich tausende von Kindern ans wohlhaben den katholischen Familien über die deutsche Grenze geschickt werden, nm in belgischen, holländischen, englischen und französischen Erziehungsanstalten, die von Ordensleutcn geleitet werden, erzogen zu werden. Die nltramontanc Presse Deutschlands gibt sich dazu her, diese Verschleppung zn fördern; jedesmal im Frühling und Herbst wimmelt cs in nltramontanen Blättern von Anzeigen, die die Treff lichkeit solcher ausländischer ultramontaner Erzichnngs anstaltcn anpreisen. So stehen z. B. in der „Kölnischen Volkszeitung" vom 21. September 1902 (erstes Blatt) vier große Anzeigen belgischer und englischer Klosterschulen. Ucber diesen in nationaler, volkswirtschaftlicher nnd päda Fsirillstsn. Sandringham. Bon Fritz Scherer. Nachdruck kerdotcn. Auf seiner gegenwärtigen Englandreise hat Kaiser Wilhelm für mehrere Tage im Schlosse Sandringham, dem in Suffolk gelegenen Landsitze seines königlichen ObeimS, Aufcnhalt genommen. Als Prinz von Wales genoß König Eduard dort mit feiner Familie am liebsten die Freuden ländlicher Zurückgezogenheit. Im Jahre 1861 kaufte der Prinz-Gemahl diesen durch Natnrschönheiten ausgezeich neten Besitz für seinen ältesten Sohn um die Summe von ö Millionen Mark, die seit der Geburt des Thronerben ans den Einkünften seines Herzogtums Cornwall erspart waren. Das sehr alte Herrenhaus befand sich im Zustande schon weit vorgeschrittenen Zerfalls, so daß man darauf verzichten mußte, ihm sein nrsprüngliches Aussehen wiederzugeben. Es wurde deshalb ein neues Schloß mit cinem Kostenaufwand von N<> Millionen Mark erbaut. Zu Landringham gehören fünf Dörfer, von denen kein einziges sich eines Wirtshauses rühmen kann, so daß der königliche Lchlofthcrr und seine Familie dort vor auf dringlichen Touristen nm so sicherer sind. Den ganzen, lehr ausgedehnten Park schließt ein Eiscngitter ein, das dem Prinzen von Wales bei seiner Vermählung von der Ltadt Norwick geschenkt wurde und als ein Meisterwerk der Schmiedcknnst gilt. Das neue Herrenhaus, im modernisierten Stil der Zeit der Königin Elisabeth er richtet, ist in seinem Acnßercn nicht gerade imponierend, im Innern jedoch mit fürstlicher Pracht anögcstattet. Die interessantesten Räume sind unzweifelhaft das Boudoir der Königin nnd das LcrapiS-Zimmcr, so genannt nach dem Schiss, ans dem König Eduard als Prinz von Wales seine Reise nach Indien machte. Es ist mit den Fellen von Tigern, die Albert Eduard selbst erlegt hat, mit ge waltigen Elcsantenzähncn nnd den überaus wertvollen (sscjchenteu indischer Fürsten ausgeschmückt. Der Park, -er an malerischer Mannigfaltigkeit wohl setbst in England nicht seinesgleichen hat, zerfällt in zwei Teile. Der östliche ist ein englischer l^rtcn im reinsten Stil; der westliche mit seinen künstlichen Fclsklüften und Wasserfällen, seinem chinesischen, von steinernen Löwen bewachten Tempel zeigt ein ganz anderes Aussehen. Nach der vom Prinz-Gemahl in England cingcführtcn Sitte haben hier Königin Viktoria, Kaiserin Friedrich, der König von Griechenland, Gladstone und andere, durch Geburt und Ansehen hervor ragende Personen, die als Gäste in Sandringham weilten, zur Erinnerung an ihren Besuch Bäume gepflanzt. Königin Alexandra hat in Sandringham ihr kleines Trianvn, nämlich eine Mustcrfarm in einem abgelegenen Teil des Parkes. Das Gebäude ist im Lchweizerstil er baut, die Mauern sind mit blauer, in Indien verfertigter Majolika bekleidet. Jedes Viereck stellt die englische Rose, das irische Kleeblatt und die schottische Distel mit dem alten Wappcnspruch der Prinzen von Wales: „Ich dien" dar. In den Ställen stehen natürlich nur Kühe der besten Rasten. Die Meierei ist aus weißem Marmor erbaut und hat als schönsten Schmuck eine Fontäne in l^cstalt eines Schwans. Alle Milch nnd Butter für den Haushalt König Eduards und seiner Familie stammt ans der Meierei seiner Gc-mahlin. Bei den seltenen Besuchen, mit denen die verstorbene englische Herrscherin den Landsitz ihres ältesten Sohnes beehrte, versäumte sie es nie, in Beglei tung ihrer Enkel und Enkelinnen ihre Schritte dorthin zu lenken, nm ein Glas frisch gemolkener Milch zu trinken. Sic wurde dann jedesmal von dem Papagei der Prinzessin mit dem Willkommruf: „Pstroo eiioo» kor tko Quoen!" („Der Königin ein dreimaliges Hoch!") begrüßt. In unmittelbarer Nähe der Meierei liegt die von der Königin Alexandra zn Gunsten der weiblichen Jugend der zn Sandringham gehörenden Dörfer gegründete technische Mädchenschule, deren Oberleitung der ehemaligen deut schen Gouvernante der Prinzessinnen, Fräulein Rödel, an vertraut ist. Außer der Näh-, Zuschneidc- nnd Kochkunst wird hier auch gelehrt, wie Konserven eingemacht nnd wie Konfitüren bereitet werden. Fiir 4 Pence pro Tag und Kopf essen die jungen Mädchen aus ihrer eigenen Küche, und seit ihrem Bestehen hat diese Schule aus der Tasche der Gutsherrin von Sandringham keine Zuschüsse beansprucht. Die vornehmen «reise des Lande« wett eifern nämlich miteinander, ihr ihre Erzeugnisse, die hauptsächlich aus Gegenständen der weiblichen Toilette be stehen, um Preise abzukanscn, die den wirklichen Wert wohl oft bedeutend übersteigen. — Auch für die technische Ausbildung der männlichen Jugend hat die gegenwärtige Königin vou England eine Lchnlc gegründet, in der Holz schnitzerei und die künstliche Bearbeitung des Leders, wo rin sic es selbst zn großer Fertigkeit gebracht haben soll, gelehrt werden. Ans beiden Schulen sind seit ihrem etwa zwanzigjährigen Bestehen viele in ihrem Berufe tüchtige Männer nnd Frauen hcrvorgegangcn. Zu keiner Zeit geht es auf dem Norfolk-Landsitz des jetzigen Königs von England lebhafter her, als zur Jagd zeit. An Wild der verschiedensten Art ist dort Ucberfluß, so daß Sandringham als ein wahres Paradies für Jäger gilt. Von 1890 bis 1901 sind auf dem dazu gehörenden Gebiet jährlich zwischen 10 000 und 16 000 Stück Wild ge schossen morden, hauptsächlich Fasanen, von denen jedes Jahr gegen 10 000 Stück in Brutanstalten großgezogen werden. An den großen Treibjagden nehmen die Damen nicht teil; die Herren geben sich bei solchen Gelegenheiten Rendez-vons im Wartcsaal des Bahnhofes von Wolferton, wo es dann bei einem guten Trünke an waidmänntschcr Lustigkeit nicht fehlt. Kein Fest wurde bisher in Sandringham-Honse mir größerer Pracht gefeiert, als das Wcihnachtsfest. Am Weihnachtsabend beschenkt man sich gegenseitig unter einem Christbaum nach deutscher Sitte, am ersten Festtage dagegen erstrahlt die große Tafel in feenhaftem Glanze, und das ist -er einzige Tag im ganzen Jahre, an dem Königin Alexandra sich auf ihrem Landsitz mit dem herr lichen Halsband ans Diamanten und Opalen schmückt, das ihr die Ltadt London als Hochzeitsgeschenk darbrachte. Zum Geburtstage des Schloßherrn wurden bis zur Thronbesteigung König Eduards Groß und Klein, Alt und Jung ans dem ganzen Gutsbezjrk cingcladen. Bei Feuer werk und Fackelschein amüsierte man sich ans einem länd lichen Balle im wirklichen Sinne des Wortes, und wie einst in Balmvral zu Lebzeiten des Prinz-Gemahls, tanzte dann der Hof mit der Dienerschaft nnd -en Dorf bewohner». In jedem Torfe seines Landgutes hat Eduard V ll. als Prinz von Wales einen Klub gegründet, zu dem alle männ lichen Bewohner vom vierzehnten Lebensjahre an Zutritt haben. Jedes Klubhaus besteht aus einem Lese-, Spiel- und Eßsaal, jedes Mitglied zahlt als Beitrag einen Schilling pro Vierteljahr, die Ehrenmitglieder haben jährlich 10 Schilling zu entrichten. Andere Getränke wie Bier werden nicht ansgeschcnkt, und niemano darf mehr wie eine Kanne trinken. In der Bibliothek des Klubs, der zum Hcrrcnhausc selbst gehört, befindet sich ein Buch, in das sich sehr vornehme Besucher eingeschriebc»' haben, unter anderen die verstorbene Königin, der König von Belgien, Kaiserin Friedrich und Marie v. Teck, die gegen wärtige Prinzessin von Wales. Zn Sandringham gehört ein Hof von etwa 1000 Morgen, auf denen König Eduard mit großem Erfolge und nicht geringem pekuniären Nutzen Viehzucht betreibt. Es stehen dort gegen 200 Pferde, 150 Kühe und 300 Schafe; natürlich sind die besten Rassen vertreten. Alle zwei Jahre wird hier ein Vichmarkt abgehalten, zu dem sich Käufer aus allen Teile»! des Landes einznfMdcn pflegen, da die Erzeugnisse der Ställe von Hackncy lso heißt der Hof) in ganz England einen wohlverdienten Ruf genießen. Man hat gesagt, der englische Hof habe sich im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Windsor ge langweilt und in Sandringham amüsiert. Als Prinz und Prinzessin von Wales hatten nämlich König Eduard un feine Gemahlin in Sandringham ihr Haus nicht selten voll von Gästen, nnd dann ging cs dort ohne >tei»e Etikette oft lustig genug her. Zuweilen wurde weit über die Mitter- nachtsstundc musiziert nnd getanzt; bei schönem Werter, »venu Heller Mondschein eine Sonmrernacht durchlenchtetc, zog man jedoch eine Partie Tennis vor, schon deshalb, weil Albert Eduard keinen Sport für schlaffördernder hält als diesen. Ob sich unter dem jetzigen König von England in Sandringham je wieder ein so ungezwungenes geselliges Leben wiederholen wird? Wohl kaum; der „erste Gentle man" des Landes ist ein anderer geworden, seitdem schwere Krankheit ihn an den Rand des Grabes gebracht nnd die Kvnigswürde ihm höhere und schwerere Pflichten znge- wiesen bat, wie die eines Vorbildes im Reiche des Sports, der Mode nnd der feinen Lebensart.
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