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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190211190
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19021119
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021119
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-19
- Monat1902-11
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1902
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SS Wenn sozialistische Blätter dem Abgeordneten Richter höhnisch vorhalten, er habe mit seinen scharsen Acußerungen gegen eine unpassende Art der Obstruktion und gegen willkürliche Auslegung der Geschäftsordnung nur den Beifall der „Brotwuchcrer" gefunden, so machen sie sich einer Unwahrheit schuldig. Herr Richter hat als rechtlich denkender Mann gesprochen und hat darum den Beifall der rechtlich Denkenden, ohne Unterschied, ob sie ,LSrotwucherer* sind oder nicht, gefunden. Er hat den Beweis geliefert, daß er noch jener alten Garde der Parlamentarier angehört, die, weil sie den Parlamen tarismus seit den Tagen seiner Kindheit in Deutschland mit erlebt und mit erprobt haben, auch eine wirkliche Liebe zu ihm hegen und ihn nicht seiner Gesundheit und seiner Würde berauben wollen. Wir glauben aber, daß Herr Richter noch nicht alles gesagt hat, was ihn bewegt und was ihn veranlaßt, sich in Gegensatz zu der Mehrheit der Linken zu stellen. Er halte noch mehr sagen können, und wir glauben, seinen Gedankengang richtig wiederzugebcn, wenn wir ihm das Folgende in den Mund legen: „Parlamentarische Obstruktion braucht nicht unter allen Umständen unberechtigt zu sein. Sie ist es dann nicht, wenn die Negierung oder die Mehrheit mit Ge setzentwürfen, insonderheit politischen, herausrücken, an die vor den Wahlen niemand denken konnte. Wenn in solcher Weise die parlamentarische Konjunktur ausgenutzt werden soll, so hat die Opposition ein Recht, die Ent scheidung möglichst zu hintertreiben, damit die Wähler schaft Gelegenheit habe, b ei neuen Wahlen dazu Stellung zu nehmen. Dieser Fall liegt indessen bei dem Zolltarife nicht vor. Der Wahlaufruf der sozialdemokratischen Partei vom Jahre 1898 hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß innerhalb der Legislaturperiode die zollpolitischeu Fragen erneut würden behandelt werden müssen. Er hat weiter daraus hingewiesen, daß die Agrarier alsdann eine sehr erhebliche Steigerung aller Lebcusmittclzolle ver langen würden, und wörtlich gesagt: „Diese Politik der Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung wird siegen, seid ihr nicht auf der Hut und tut ihr nicht eure Pflicht bei den Wahlen." Was dieser Wahlaufruf gesagt hat, haben alle sozialdemokratischen und freisinnigen Kandi daten hundertfach wiederholt, um so mehr, als bei de» Wahlen von 1898 mangels einer ausgesprochenen politi schen Parole die wirtschaftlichen Fragen stark in den Vordergrund gerückt wurden. Die Wähler von 1898 konnten also wohl wissen, was die Legislaturperiode hinsichtlich der Zollfrage bringen würde, denn wenn auch damals der heute vorliegende Zolltarif nicht bekannt war und nicht bekannt sein konnte, so ergab sich doch aus der ganzen Lage, daß die unab lässige Agitation der Agrarier insofern einen Erfolg haben würde, als die Regierungen nicht zu den Zollsätzen von 1892/94 zurückkehrcn könnten. Trotzdem haben die Parteien der Linken zusammcngenommen, wenn auch an Stimmen erheblich mehr, so doch an Sitzen nur wenig mehr als ein Viertel aller Mandate erhalten. Nach meinen Auffassungen ist dieser Zolltarif eine schwere Nute für das Volk: aber das Volk hat sie sich selbst gebunden. Wir Mandatare des Bolkswillens können unsere Auf gabe im Reichstage nur darin sehen, daß wir erstens selbstverständlich gegen diesen Tarif stimmen und daß wir zweitens auf dem Wege der Moral und Vernunft, d. h. Lurch Anführung aller sittlichen, wirtschaftlichen, polt- tischen und sozialen Gründe gegen den Tarif auf die anderen Parteien zu wirke» suche». Auf diese Mittel der Ueberzcugung uud Ucbcrrcdu»g aber si»d wir allein an gewiesen und es steht uns nicht an, nach der Art, wie übel berüchtigte Advokaten alle Lücken des Gesetzes aus nutzen, von allen sich uns bietenden Vorteilen der Ge schäftsordnung Gebrauch zu machen, um die Vorlage zu Falle zu bringen. Denn die Geschäftsordnung ist seiner zeit in den besten Zeiten des deutschen Parlaments — denn die ersten Zeiten waren die Vesten — in der Voraus setzung gemacht worden, daß von ihr nur in der Weise Gebrauch gemacht werden würde, wie es Männern zu kommt, die die höchste Ehrenstellung inne haben, die das deutsche Volk verleihen kann. Jedem verständigen Manne wird immer das Große und das Ganze über das Einzelne gehen müssen. Für mich sind der Parlamentarismus und der Liberalismus das Große und das Ganze, der Zolltarif, so einschneidend er auch in seinen Wirkungen ist, nur ein Einzelnes. Um dieses Einzelnen willen das Große, dem ich nach meiner Einsicht und nach meinen Kräften zeitlebens diene, zu gefährden, halte ich für leichtfertig und frevelhaft. Parlamentarismus und Liberalismus aber werden ge fährdet, wenn man ein Spiel treibt, das nicht nur die Mehrheit erbittert, nicht nur die Achtung der Regierung vor dem Parlamente herabsetzt, sondern auch aus alle ge recht denkenden Männer im Volke den übelsten Eindruck machen muß." Zur braunschweigischen Angelegenheit wird dem „Hann. Eour." ans Berlin geschrieben: Wenngleich es in der dein braunschweigischen Landtage zugcgangenen Vorlage nur andeutungsweise aus gesprochen ist, so kann doch kein Zweifel bestehen, daß sie in voller Ucbereinstimmnng mit „der maßgebenden S t e l l e d c s R c i ch c s" erfolgt ist. Nach Auffassung Ver lebteren, so wird in der Begründung ausdrücklich fest gestellt, ist auf eine durch ncncstc Vorkommnisse veranlaßte Anfrage des Herzog!. Staatsministcriums von maßgeben der Stelle des Reiches kein Zweifel darüber gelassen. „daß nach dortiger Auffassung in den tatsächlichen Berhältnisien keinerlei Veränderung cingetretcn ist, welche dem BundeSratc Anlaß geben könnte, aus eigener Entschließung oder am An. rufen eine andere Stellung als in dem Beschlüsse von 1885 ein- zunehmen." Eine solche Antwort der maßgebenden Stelle des Reiches war vorauszuseven angesichts der Agitation, wie sie durch den „Altbraunschwcigischen Volkskalender für 1903", sowie durch die „braunschivcigisch-wclfische Partei" mit zehn Filialen usw. in wachsender Gehässigkeit gegen Preußen betrieben wird. „Die Kreuzzeitung" hat diese Dinge in ihrer Rundschau über die äußere Politik vom 5. November vorigen Jahres sehr eingehend be handelt, und da der Verfasser dieser Rundschau kurz zu vor Tischgast des Reichskanzlers gleichzeitig mit dem Kaiser war, so darf man annehmen, daß jener Artikel die An schauung der maßgebenden Stelle des Reiches genau wider spiegelt. Insbesondere scheint ein die Tvdesnacht Kaiser Wilhelms 1. behandelndes, auf Lüge beruhendes Gedicht jenes Kalenders eine berechtigte Entrüstung hervorgerusen zu haben. Selbstverständlich ist das zeitliche Zusammentreffen jener krankhaften Blüten einer absolut aussichtslosen Agi tation mit der Braunschweiger Regierungsvorlage nur ein zufälliges, aber cs ist immerhin beachtenswert, daß bei diesem Anlässe in einer für jedermann verständlichen Weise von neuem darauf hingewiesen wird, wie jene Agi tatoren ihren Zielen direkt cntgegenarbeiten. So lange solche Gehässigkeiten fortdauern, hat das Haus Braun schweig-Lüneburg sicherlich nicht die allergeringste Aussicht, den braunschweigischen Thron cinzunchmen, und da diese Agitation ihre Stützpunkte außerhalb des Reiches findet, so wird sic damit rechnen müssen, daß sie eines Tages an dem Maßstabe des Reichsverrats gemessen wird. In dieser Beziehung bestehen gerade an der maßgebendsten Stelle im Reiche sehr scharfe und bestimmte Ansichten. An mancher Stelle wird es heute als ein politischer Fehler angesehen, daß Preußen im Jahre 1869, wenn cs schon die hannoversche Krone und Dnnastie beseitigte, sich nicht auch ausdrücklich ihres braunschweigischen Erb- anspruches bemächtigt hat. Eine Zett lang hat der letztere ja auch in Frage gestanden, man ist aber dann davon ab gekommen aus Grüriden, die bisher noch nicht authentisch bekannt geworden sind. Vielleicht hat zeitweilig die An nahme bestanden, daß mit der Beseitigung der Wclfen- dnnastie ans den nämlichen Gründen auch deren braun schweigisches Erbrecht beseitigt sei. Dieser Gedanke war aber mit Bundes- und Reichsvcrfassung nicht mehr ver einbar, und Kaiser Wilhelm I, sprach in seinem Dank schreiben an den Braunschweiger Biirgerverctn vom -'3. März 1885 ausdrücklich ans. daß er „wie bisb-"-. so auch > ferner bereit sei, der Zukunft des Herzogtums und seine» buud^-mäßigen Stellung unter den Gliedern des Reiches die verfassungsmäßige Gewähr zu leisten", wie denn Preußen schon im Jahre 1884 durch Anerkennung der Re gentschaft prinzipiell die Erbfolge des Herzogs von Eumbcrland anerkannt hatte. Ein dunastischer Zweck wurde daher mit der Berufung des Prinzen Albrecht zum Regenten weder von feiten Preußens, noch des Prinzen verbunden. Als Beweis dafür darf gelten, daß der Regent nicht nur selbst seinen Aufenthalt im Lande auf das Not wendigste beschränkt, sondern daß auch keiner seiner drei Söhne der militärischen Ausbildung bei einem der braun schweigischen Regimenter oblieg«, was sonst doch sehr nahe liegend gewesen wäre. Im Gegenteil hat die Aussicht, tatsächlich nur der Platzhalter für den Herzog von Enmber- laud oder dessen Tescendenz zn sein, die versönliche Stellungnahme des Prinzen zu der von ihm über nommenen Ausgabe stark beeinflußt. Er bat sich ihr mit dem Pflichtgefühl eines Soldaten und Mitgliedes des königlichen Hauses gewidmet, sie aber stets als eine zeitlich begrenzte angesehen. Gerade um die Zeit, da Herzog Wilhelm von Braunschweig starb, war der damalige Statt halter in Eliaß-Lotkiringen, Feldmarschall v. Manteuffel, bemüht, dem Prinzen Albrecht die Nachfolge in der Statt halterschaft zu sichern. Manteuffel starb am 17. Juni 1885, zu jener Zeit war der Prinz schon als Regent für Braun schweig in Aussicht genommen, die Neubesetzung dcS Statt- balterpostens erfolgte aber erst am 10. Oktober, nachdem die Wahl des Prinzen zum Regenten von Braunschweig, die am 21. Oktober stattkand, beiderseitig gesichert war. Pr»nz Albrecht, geboren am 8. Mai 1887, steht jetzt im 6l>. Lebensjahre, der srühe Verlust seiner Gemahlin Hai den Prinzen sehr vereinsamt. Unter diesen Umständen ha, die braunschweigische Regierung in Anbetracht der ge samten Sachlage sowie einer Reihe neuerer Vorkommnisse die Pflicht, die Regentschaft des Landes von der Lebens dauer des jeweiligen Regenten oder von dessen frei willigem Rücktritt unabhängig zu machen und durch Siche rung der Institution gegen alle Wechselfälle dem Lande selbst neue Aufregungen und neue Eventualitäten zu er sparen. Deutsches Reich. 8. Berlin, 18. November. (Houston Ehamber- lain über „Rom ".) Der in weiten Kreisen beliebte und durch seine literarischen Arbeiten auf religiösem Ge biet ziemlich einflußreiche Houston Stewart Ehamberlain hat in Nr. 6 der „Zukunft" in einer bei diesem Schrift steller ungewohnten Härte und Strenge über Nom und sein politisches Snstem in, Gegensatz zum religi ösen Katholizismus sich ausgesprochen. In diesem Aus satze zieht er Grenzlinien zwischen diesen beiden Strö mungen im Rahmen der rvmisch-tathotischen Kirche, die sich ihm allerdings sofort wieder unter den Händen ver mischen, so daß er selbst wiederholt zugcden muß, daß solche Abgrenzung beider so stark ineinander wirkender Bc griffe recht schwer sei. Man kann dem Schriftsteller also in dieser Frage nicht unbedingt Gefolgschaft leisten. Da gegen hat der kleine Aufsatz Ehamberlalns den andern Vorzug, daß er mit seltener Klarheit die Mittel nachwcisi, deren sich Nom je nach den Zcitumständen bedient. Ins besondere scheint beachtenswert, was unter diesem Gesichts punkt über das O r dens w e f e n gesagt ist: „Ein Haupt hindernis für die Verwirklichung des römischen Ideals — das beachtet man viel zu wenig — ist gerade die Kirche selbst, die katholische Kirche. Wie oft sind nicht in früheren Jahrhunderten die Bischöfe gegen Rom, das Schwert in der Hand, gezogen! Nach und nach und mit Hülfe kurzsichtiger Staatsaewalten isi allerdings diese Unabhängigkeit der Kiunnnsiaoc die im Gegensatz zur Tnrannei Noms — völlig gebrochen worden Im Jahre 1870 sabcn wir noch die Mehrzahl der deutschen Bischöfe „katholisch" stimmen gegelt das römische Pro gramm. Doch sie unterwarfen sich^ Das Heer der Welt priester aber, der Männer, die ans dem Volke hervor gehen, mit ihm leben nnd leiden, die ihr Vaterland über alles liebelt und cs nie an eine andere Macht auSlicfern könnten, — diese Männer gelang es bisher nie ganz im selben Maße wie die Bischöfe zu unterwerfen nnd durch wegs zu blind gehorsamen Agenten der Gcneralgcwalt nmznmodeln; wer in katholischen Ländern gelebt nnd mit Pfarrern bei der Flasche Wein gemütlich verkehrt hat, weiß genau, was ich meine, er weiß, wie „katholische" Re ligion im Gegensatz zn „römischer" noch selbst in den Pfarrhäusern lebendig ist, und er weiß, was dieser lctzteRest an Nationalism ns nnd an echt christ licher Duldsamkeit in der Hierarchie zn bedeuten hat. Es ist förmlich, als stünden zwei ganz verschiedene Religionen unter einem Namen neben einander. Doch, wie Gocthe sagt „Ter päpstliche Stuhl hat Interessen, woran wir nicht denken, und Mittel, sic durchzusührcn, wovon wir keinen Begriff haben." Das Mittel ist in diesem Fall die lieber flutttng der Welt mit geistlichen Orden, wie wir es jetzt erleben. Dadurch wird die Wcltgeistltchkcit nach und nach entwertet nnd — so zu sagen — an-geschaltet; die Mönche nnd Ordenöpricster werden mehr nnd mehr die Prediger, sic sind die Beichtväter, sie sind die Schullehrer, sic sind die P o l i t i k e r; in den Städten wenden ihre Kirchen alle Mittel an, nm die Feuilleton. Auf ungewöhnlichem Wege. Novellette von B. Rittweger. Nachdruck verbotcn. — und zum Schluß dieser laugen Freundschaits- epistel fällt mir noch etwas ein, was Dir »vielleicht von Nuyen sein kann. Denke, der Doktor Hansen, der damals mll an unserem Kränzchen teilnahm — er war durch seine Mittler an Frau v. Boddien empfohlen —, der ist jetzt Feuilleton-Redakteur der hiesigen „Neuesten Nachrichten". J.o kcfubr es zufällig von meinem Bruder, der ihn bis weilen in dem Junggesellenklub trifft. Woraus Du er sehet» kannst, daß Doktor Hansen bis dato ledig geblieben ist. Nun ja, etwas schüchtern war er, Damen gegenüber. Weißt Du, wir Mädchen machten uns gern ein bißchen lustig über ihn. NurDu nicht. Du uitterhicltest Dich, glaub' ich, ganz hochliterarisch mit Hansen, wahrscheinlich in Vor ahnung Deiner späteren Laufbahn. Vielleicht gibt Dir die frühere Bekanntschaft Gelegenheit zur Anknüpfung mit dem Blatt. Ich höre immer, persönliche Beziehungen seien für Schriftsteller recht wünschenswert. Und Du klagtest einmal über die große Konkurrenz. Nun aber endlich Schluß, liebste Fritze. Tausend Grüße, auch von meinem Mann und von den Kindern, deiner verehrten Fran Mutter und Dir. In alter Freundschaft Deine Lulu v. Bamnbach. Fritze v. Marwitz ist beim Lesen dieses letzten Bries blattes abwechselnd rot und blaß geworden. Jetzt läßt sie es sinken und preßt die Hände auf ihr hochklopfendes Herz. Dann springt sie auf und läuft erregt in dein kleinen Zimmer auf und ab und reißt das Fenster auf, al» wär's ihr zu eng in dem kleinen Raume. Sie schaut zum klaren Himmel empor nnd flüstert allerlei abgebrochene Worte. — Als eine Stunde später Fritzes Mutter, eine sehr aristo kratische, dabei etwas wehleidige Dame zn ihr tritt, um sie zum täglichen Spaziergang abzuholen, da findet sie Fritze am Schreibtisch. Ohne die Mutter anzusehcn, ruft sie ihr zu: „Heut nicht, Mainachen, du mußt allein gehen. Ich habe dringend zu arbeiten." „Ach Kind, es ist wirklich schrecklich! Ueber deiner Schreiberei vergißt dn auch alles, vernachlässigst sogar deine arme Mutter." Es ist dies eine beliebte Redensart der verwitwete»» Majorin v. Marwitz, die sie niemals unterdrücken kann, obgleich sie wohl weiß, daß ohne die Honorare, die Fritze für ihre Feuilletons erhält, der kleine Hausstand lange nicht so behaglich geführt werden könnte. Sic hat sich das Seufzen und Klagen angowöhnt, die Ma jorin, in den Jahren nach des Gatten Tod, die ihr Sorgen genug gebracht haben. Nun istS ja besser. Heinz, der Oberleutnant, hat eine gute Heirat gemacht, Max ist eben Leutnant geworden, und Fritze ist durch ihre Schrift stellerei wenigstens halbwegs versorgt. Freilich, eine passende Partie hätte der Majorin besser angcftanden. Und bei Fritzes inneren und äußeren Vorzügen ift'S eigentlich ein Wunder, daß cs trotz mangelnden Vermögens nicht dazu gekommen ist. Es gibt doch auch reiche Offiziere. Zweimal hätte Fritze ja Gelegenheit gehabt. Hauptmann v. Körner war doch wahrlich ein annehmbarer Freier, und Oberst Hassel, wenngleich Witwer und bürgerlich, wäre immerhin eine gute Partie zu nennen gewesen. Aber das Mädchen war ja nicht zu bewegen. Die dumme Ge schichte konnte doch nicht mehr schuld darau sein, die Fritze vor Jahren mal mit dem jungen Menschen, dem Schul meister, gehabt hatte. Diese Kinderei, der der verstorbene Major ein rasches Ende gemacht hatte. Und nur» ist Fritze ein Blaustrumpf, entsetzlich! Und denkt an keinen Mann, unnatürlicher Weise. Die Mutter ahnt nicht, daß Fritze nie aufgehört hat, sich nach Erich Hansen zu sehnen; daß sie wohl geglaubt hat, sterben zu müssen aus Schmerz um ihn, dem sic nicht Treue halten durfte, daß sie alles darum gegeben hätte, zu erfahren, wo er lebt, wie er lebt nnd ob er ihr immer noch zürnt Fritze sitzt am Schreibtisch; die Feder fliegt nur so über das Papier. Blatt um Blatt bedeckt sich mit den klaren, energischen Schriftzügen, und sic bemerkt nicht, wie die Zeit verfliegt. Die Mutter kehrt heim und ruft Fritze zum Thce. Vergebens. „Verzeih', Mütterchen, ich kann jetzt nicht anfhören. Schicke mir, bitte eine Tasse Thce und ein Bröt chen hierher." Seufzend trinkt Frau v. Marwitz ihren Thce allein und beklagt aufs neue ihr trauriges Loos. Was hat sie von ihrer Tochter'? Tie hat ja nichts weiter im Kops als ihre Schreiberei! So arg, wie hellte, hat sies allerdings noA nicht getrieben. Bisher hat sic doch wenigstens noch regel- »näßig die Mutter auf dein Spaziergänge begleitet und ihre Mahlzeiten geteilt. Jetzt scheint sie nicht 'mal mehr soviel Rücksicht nehmen zu »vollen. WaS sie nur so Wichtiges unter der Feder hat ? Schließlich wird sieS nicht mal los. Das kommt auch vor. Es ist wirklich ein Kreuz. Fritze sitzt in dieser Nacht bis über die zwölfte Stunde hinaus am Schreibtische. Endlich legt sie die Feder nieder, tief ansatmend. Einen Augenblick scknvankt sie, ob sic das Manuskript, welches in sauberer Reinschrift vor ihr liegt, nochmals dnrchlesen soll. Aber nein, sic kann nicht. Dunkle Blutwellen steigen ihr ins Antlitz, als sic jetzt die Bogen znsammenfaltet und in den Umschlag steckt. Nun noch den üblichen Begleitbrief, in dem sie die verchrliche Redaktion ersucht, beifolgendes Manuskript gefälligst prüfen zn wollen. Ihre Hand zittert, als sie ihren Namen unter den Brief setzt und ihre Adresse. DaS Manuskript trägt nur ihr Pseudonym. Nun schiebt sie den Brief eben falls in den Umschlag nnd adressiert diesen an die Re daktton der Neuesten Nachrichten (Feuilleton» in " Dann schlägt sic ein Tuch »cm die Schultern, nimmt aus dem Schränkchen neben der Tür den Hausschlüssel nnd eilt leise auf die Straße, daS dicke Schreiben -ein am Neben- hanfc befindlichen Kasten zu übergeben. Sic mußte es tun, gleich tun, svtaiige sic den Mut dazu hatte. Morgen fände sie ihn vielleicht nicht mehr. ES ist zwei Uhr, als sic ins Schlafzimmer, welches sic mit der Mutter teilt, tritt. Tie Majorin ermuntert sicki ein wenig: „Kommst dn endlich, Fritze ? Du übertrcibsi eS, Kind. Hast du wenigstens Hoffnung auf Erfolg ?" „Ich weiß nicht, Mama, ich weiß nicht. Tas kann man ja nie bestimmt sagen. Aber wenn ich diesmal Erfolg hätte - ach, Mama, dann würd' ich nnsagbar glücklich sein!" Tie Majorin bemerkt, troydem sie wieder am Ein schlafen ist, Fritzes ungewöhnliche Erregung. WaS das nur zu bedeute»» hat? Das Mädchen ist doch sonst immer so vernünftig. Aber natürlich — eS kann schließlich nicht anders sein, bei der ewigen Schreiberei! „Na, was gibts denn heute 'mal wieder alles?" Doktor Hansen nimmt die Postsachen zur Hand. „Probcnummer einer neuen Wochenschrift — kostbar! Einem dringenden Bedürfnis abznhelscn, haben wir unS entschlossen, mit großen pekuniären Opfern lediglich iin Dienste der gntcn Sache. — Wenn Sie die Güte haben wollten, nnsern Bestrebungen eitrige empfehlende Worte in Ihrem hoch geschätzten Blatt Sollt' mir cinfallcn! Schießen wie Pilze ans der Erde Diese Wochenschriften, die alle einem „dringenden Bedürfnis" abhelscn wollen. Papicrkorb, basta! Und da? Gedichte. Von Lilli. Dreißig Stück. Ge fälligst prüfen. Wurde glücklich sein, wenn die Produkte meiner Muse nach nnd nach in den Spalten der „Neuesten Nachrichten" zum Abdruck kommen könnten. Gott, wie bescheiden! wie rücksichtsvoll! Nach und nach. Nicht 'mal alle in eine Nummer. Sv'n alberner Backfisch! Hot aber doch wenigstens Rückporto beigerügt. Also kann Lillichen ihre Reimereien wieder bekommen. Weiter im Text. WaaaS? „Bitte um das Rezept zu echten Thüringer Kar toffclklößen. Meine Frau versteht sie nicht zu kochen." Da hort doch alles ans! Woher weiß der Mensch, daß meine Wiege tn Thüringen gestanden hat? Gottvoll! Wie sie schmecken, ja, das weiß ich, aber, wie sie gekocht werden — keinen Schimmer! Na, da muß Schwester Lotte aushelsen. DieieS Zutrauen muß belohnt ivcrdcn. Großarttg, zu was ne Redaktion alles gut ist!" Rasch wirft Doktor Hanse«« auf einen Plockzcttel die Worte: Bei Lotte anfragen wegen
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