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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021121027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-21
- Monat1902-11
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Tabellarischer and Ziffrrnlatz «ntsprechevb höher. — «Lebühre» für Nachweisungen und Offrrtenanoahme VS H (eicl. Porto). Ertra-Beilagen tgefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohu» Postbesärderung SO.—, mit Postbesärdonmg 70.—. Iiuuahmeschluß für Irrigen: Abead-Arr-gabe: Vormittags lO Uhr. Morgos-ÄuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen find stets an dte Expedition zu richten. Die Erpeditioa ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh S bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sk 583. Freitag den 21. November 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. November. An» dem Reichstage. Obgleich der Reichstag gestern nicht nur beschlußsäbig, sondern auch von Mitgliedern der Rechten besonders stark besucht war, trat in der Debatte nichts zu tage, was auf einen Erfolg der eingeleiteten BerständigungSversucke schließen lassen komne. Zur Beratung stand der vom Zentrum in der Kommission mit Hülfe der äußeisten Linken eingefügte 8 10a, der bei Gelegenhcit deS Zolltarifgesetzeö alle in Deutsch land bestehenden städtischen Octroi« (Mabl- und Schlacht steuern) mit einem Federstrich aufheben will. Die bereits in der Kommission von den Bertrelern der beteiligten Regierungen erbobenen Einwendungen gegen ein derartige« Borgebeu der RrichSgesetzgedung wurden gestern vom preußnchen Minister de» Innern Frdrn. v. Hammerstein nochmals zusammen» gefaßt. Der Minister machte geltend, daß der Beschluß der Kommission ' einen der Verfassung widersprechenden Eingriff in die Steuerautonomie der Gemeinden darstelle und die Budgets zahlreicher Städte — eS bandle sich um ein Gesamtauskommen von mehr als 15>/z Millionen Mark — geradezu gefährde, ohne den beabsichtigten Zweck, die Entlastung der ärmeren BevölkerungSklasscn, wirklich zu erreichen. In gleichem Sinne äußerte sich der Vertreter der bayerischen Finanzverwaltung, Ministerialdirektor v. Geiger. Im Hause wurden die staatsrechtlichen wie die finanz politischen Bedenken der verbündeten Regierungen trotz arund- sätzlicherGegnerfchast gegen die OctroiS von denNationatliberalen und den konservativen Parteien geteilt. Für diese Parteien kam der Wunsch tunzu, die Verständigung über den Zolltarif nicht unnötiger Weise zu komplizieren. Die Abgg. Rettich, Giaf Kanitz, Paasche und von Kardorff sprachen denn auch in diesem Sinne. Den Antrag der Kommission vertrat der Abgeordnete Herold, der die Hoffnung aussprach, die verbündeten Regierungen würden rl re Bedenken gegenüber einem Beschlüsse deS Reichstags zurücktreten lassen. Mit erklärlichem Eifer sekundierten ihm die Abgeordneten Singer und Goth ein. Das Z n- trum fand e» aber aeratener, in der Abstimmung aus einen Antrag de- Abg. v. Kardorff einzugebcn, der den Eintritt der vorgeschlagenen Maßregel bis zum 1. April 19l0 hinaue- schieben will. Mit dieser Aenverung wurde der Paragraph schließlich mit 145 gegen 90 Stimmen angenommen. Für dir Verworrenheit der Lage ist eS charakteristisch, daß das HauS in einem Augenblicke, in dem mit aller Macht hinter den Eoulifsen an der Verständigung gearbeitet wird, daS Zollrarifgesetz noch mit einem Beschlüsse bepackte, der in dritter Lesung doch wieder umgesloßen oder mindesten- ganz wesentlich abgeäneert werden niuß, wenn eine Einigung erzielt werken soll. Trotzdem brauche an einer solchen noch nicht verzweifelt zu werden. Daß zwischen dem Reichskanzler und den Führern der MebrheiiSpaiteien vor der Pause über die Ginnczüae eine V-rständigung vereinbart worden sei, siebt trotz der Ableugnung einiger Blätter fest. Die „KönrgSb. Hart. Zig." will diese Grundzüg auch schon kennen: Keine Erhöhung der Minimalzvlle für Getreide, auch nicht für Gerste. Keine Minimalzölle für Bich und Fleisch, aber event. Erhöhung der autonomen Zollsätze für landwirtschaftliche Produkte und Ermäßigung der Zölle für landwirtschaftliche Maschinen, Geräte und andere gewerbliche Gegenstände. Keine Festsitzung des Ter mins für die Einführung des neuen Zolltarifs, aber modi fizierte Zustimmung der Regierung zu den Koinmiisions- beschlössen aus Beseitigung der kommunalen Abgaben auf Mehl, Brot und Fleisch, und aus Verwendung der Zollüberschüsse zur Witwen- und Waisenverjorgung. Die zweite Lesung des ZolltarifgeietzeS wird zunächst sort.esitzt. Stellt sich nach ihrer Beendigung die Unmöglichkeit heraus, den ganzen Tarif zu er ledigen, so verzichtet die Regierung auf Lessen Durchberatung und der Tarif wird als Resolution zum entsprechend ab geänderten Gesetze der Regierung überwiesen, als Grundlage sür die neuen Handelsvertragsverhandlungen. Jedenfalls fordert die Regie rung keine einfache Unterwersnng von der Mehrheit. Ob Vas rutriffl, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber hat man sich verrechnet, ai« man im Reichstage eine Pause einireten ließ, um ven Fraktionen Zeil zu Beratungen nut ibren Führern unv untereinander zu lassen. Die Herren reisten nack Hause und so kamen die Verhandlungen ins Stocken, statt gejordert zu weiten. Eist sitzt ist cs möglich, in Fraklioneberalungen einzulreten, die hoffentlich zum Ziele führen. So grobe, fast komische Rechenfehler dürfen freilich nicht mehr gemacht werden. Sozialdemokraten urrd Anarchisten. Der sozialdemokratische „V orwärts" treibt wieder einmal sein altes Spiel. Rach dem Grundsätze, daß der Sozialdemokratie alle Dinge zum besten, zur Vertiefung nnd Verschärfung der rcvvlutiviiärcu Plvpaganda, dienen müssen, bemüht sich das Zentratorgan der Partei, das ja äußerlich mit der Propaganda der Tat nichts zu tun baben will, den a n a r ch i si i s ch c n Eharaktcr des bel gischen Attentates in Abrede zu stellen und das jliichivürdige Verbrechen Rubinos für ,.Tpitzelarbeit" zu erklären, die zu dem Zwecke getan sei, ein schärferes Vor gehen gegen die Anarchisten zu rechtfertigen. Schon anS der Tatsache, daß das sozialistische Parteiblatt sich beeilt, den Anarchismus in Schurr zn nehmen und seine Vertreter gewissermaßen als die unschuldigen Opfer polizeilicher Ekntanen hinzu'tcllen, läßt sich mit überzeugender Gewiß heit schließen, wie nahe Anarchismus und internationale Sozialdemokratie mit einander verwandt sind. Was aber die Sache selbst betrifft, so kann kein Zweifel darüber be stehen, daß Rubino die Tat mit voller Uebcrlegung ge plant, mit aller Sorgfalt vorbereitet hat und auch mit vollem Erfolge dnrchgeführt hätte, wenn nicht ein glück licher Zufall den König vor der Kugel des Mörders be wahrt hätte. ES ist erwiesen — und selbst demokratische bel gische Blätter berichten es übereinstimmend—, daß derVer- brechcr nach seiner Verhaftung bedauert hat, den König nicht getötet zu staben, nnd daß er die Hoffnung aus gesprochen, ein anderer werde in naher Zukunft mehr Glück haben. Zeugt 'chon diese Acußcrnng dafür, daß Rubino anarchistischen Kreisen angehört und seine Tat als anarchistischer Genosse, den das Los gerade getroffen haben mag, verübt hat, so wird die Annahme, daß er Mit schuldige gestabt haben müsse, zur Gewißheit, wenn man berücksichtigt, daß Irin Ausländer, wie Rubino, der sich obendrein kaum acht Tage in Brüssel aufhielt, mit den Einzelheiten der religiösen Zeremonie, welcher der König in der Kirche Saint-Gudule beiwohnte, so genau vertraut sein konnte, um, ohne Slussehen zu erregen, sogleich die für die Ausführung des Verbrechens günstigste Position zu wählen. Rubino aber stand unweit der Stelle, wo die Geistlichkeit den König zu begrüßen und infolgedessen ein Aufenthalt des königlichen Zuges von 2 bis 3 Minuten zu entstehen pflegt. Dieser Umstand muß dem Verbrecher von kundiger Seite mitgeteilt morden sein oder doch von jemandem, der genügend Zett hatte, diese ccremonielle Ge pflogenheit auszukundschasten. Nimmt man hinzu, daß ans Briefen, die Rubino an anarchistische Führer in London gerichtet hat, hervorgcht, daß er wiederholt größere und kleinere Geldbeträge der anarchistischen Pro paganda zugewendct hat, so dürfte damit erwiesen sein, daß auch der jüngste Versuch des KvntgSnrordcs anar chistischen Motiven entsprungen ist, und der „Vorwärts" sollte nicht verfehlen, die hier angeführten Tatsachen keinen Lesern mitznteilen, damit sie sich über die von dem Partei organ vertretene Auffassung ein selbständiges Urteil bilden können. Verständigung in Böhme»? Gestern fand in Wien eine gemeinsame Besprechung sämtlicher d e u t s ch b v h m i s ch e r Mitg ieder der deutschen Fortschrittspartei, der deutschen Volkspartci, des verfassungstreuen Groß grundbesitzes, sowie außerhalb dieser Verbände stehender deutschböhmischer Abgeordneter statt. Eine hier über ausgegebene Mitteilung besagt: Abgeordneter I- unke hob die Notwendigkeit hervor, in positiver Weise zur politischen Lage Stellung zu nehmen. ES entspann sich eine längere Debatte, in welcher insbesondere zum Ausdruck kam, daß die deukschböhmischen Abgeordneten sich der großen Verantwortlichkeit vollkommen bewußt und bereit seien, reichlich erwogene Vorschläge zu machen, und in welcher ferner die volle Geneigtheit ausgesprochen wurde, die Hand zur V c r st ä n d i g u n g zu bieten, aller dings nicht um den ephemeren Preis sür wenige Wochen im Parlamente Ruhe zu schaffen, sondern in der Er wartung, die Arbe itsfühigkeit im Parlame nt, sowie dauernde Grundlagen für die Stel lung d e r D c u t s ch e n i n B ö h m e n, ihre sprachlichen Erfordernisse und für den Frieden irr Böhmen herzu stellen. Schließlich wurde ein Antrag Prade angenommen, ein Eomitö zur Vorbereitung der Angelegenheit einzu setzen, welchem Vollmacht erhält, sich von Fall zu Fall durch neue Mitglieder zu verstärken, di. sich mit den einschlägigen Fragen besonders beschäftigt haben, sowie sich in geeigneter Weise mit den alldeutschen Fraktionen in Verbin dung zu setzen. — Wie man dagegen auf j u u g t s cd e ch i - scher Seite gesinnt ist zeigt die gleichzeitige Wiener Mel dung daß der Klub dieser Partei gestern über die politische Lage verhandelte und sich d-rhin einigte, daß nicht der geringste Anlaß vorliege, den von il.m ein genommenen Standpunkt irgend wie zu ändern. Die Rede deS ungarischen Ministerpräsidenten v. Szell. Die Rede, die der ungarische Ministerpräsident von Szcll am Mittwoch im ungarischen Abgeorbnetenhause gehalten hat, wird auch in Deutschland wegen ihres handelspolitischen Anhaltes und wegen der Stellungnahme gegenüber den ungarischen Deut schen besondere Beachtung finden. Sichere Angaben über die handelspolitische Entwicklung der nächsten Zukunft konnte Herr v. Szcll naturgemäß nicht machen. Aber er ist wohl im Rechte, wenn er eine Kündigung der Handels vertrüge durch Deutschland für unwahrscheinlich hält, und er hat deutlich genug durchblicken lassen, daß er seinerseits von dem Kündigungsrechte keinen Gebrauch zu machen wünscht. Tein Hinweis, im Falle der Kündigung wurde Oesterreich-Ungarn arif der Grundlage des neuen Zoll tarifs in die Verhandlungen etntreten, sollte für den derttschen Reichstag ein neuer Ansporn zur Durchführung des deutschen Tarifwerkes sein. — Den ungarischen Deut schen gegenüber betonte Herr v. Szell, daß sie im Gebrauch ihrer Sprache und in der Bewahrung ihrer Sitten nicht gebindert wurden. Damit ist aber die vielfach so ein schneidende Magnarisierung auf allen Gebieten der staat lichen Verwaltung nicht aus der Welt geschafft. Und wenn Herr v. Szell erklärt, die Erschütterung der staatstreuen Gesinnung der ungarischen Deutschen energisch verhindern zu wollen, so wird man in Deutschland doch der Ueber- zcugung bleiben, daß, bei allem Respekt vor dem guten Rechte Ungarns, die Staatstreue aller seiner Bürger zu bewachen, vielfach arge Mißgriffe gegenüber den unga rischen Deutschen begangen wurden, Mißgriffe, die durch deren tatsächliches Verhalten nicht begründet waren. Eine Beeinflussung der Gerichte in dieser Beziehung durch Szcll hat man in Deutschland nicht behauptet, wohl aber auf ein parteiisches Verhalten der Gerichte nnd der Polizei gegen deutsche Elemente hingewiesen. Erfolge der Opposition in Rumänien. Man schreibt uns aus Bukarest, li". November: Tie gestern im ganzen Lande stattgefundenen K o m m u n a l w a h l c n sind sehr wenig nach ocm Wunsche der Regierung ausgefallen. So wohl in Bukarest, als auch in Eampulung, Pltesti, Tirgu-Iin und Tultscha kommen die Oppo sitionellen mit den Gouoernementalen in die Stichwahl nnd in Tecuci und Dragaschani ist es den unter der Führung Eantacuz stehenden Altkonservativeu sogar gelungen, ihre Kandidaten zum Siege zu führen. Es ist dies bemerkenswert für jeden, der da weiß, wie in Rumä nien, seitdem es eine Konstitmion besitzt, jedes Ministe rium dank des ihm zur Verfügung stehenden Wahl apparates eine fast einmütige Majorität sowohl im Par lament, alS auch in den Gemeinderätcn zu erzielen weiß, derart, daß, wie der Kriegöminister in den beiden letzten konservativen Kabinetten, General Lahovary — den ich soeben über den Ausfall der gestrigen Wahlen inter viewte —, sagte, Rumänien für Europa ein beschämendes Schauspiel darbot, indem eS in seinen gesetzgebenden Körpern eine Opposition nicht aufkomnrcn ließ. DaS werde sich von nun an hier ändern und es sei ein Zeugnis ron der zunehmenden politischen Neire des rumänischen Volkes, daß bei den gestrigen Wahlen oppositionelle Stimmen in so großer Anzahl ab gegeben wurden. Letzteres sei aber auch ein Beweis von der liefen Unzufriedenheit, die wegen des jetzigen Regimes durch das Land gehe. Speziell die Wahl in Bulkarest sei Feuilleton. Das Findelkmö. Roman von Ernst Georgy. Nachdruck verboten. Munter kehrten die Damen von der Musik h im. Der ttstrst war nach Petersburg zurückgefahren. Man speiste zur Nacht und begab sich zur Ruhe. — Am solgenden Mor gen traf eine dringende, reizende Einladung der Lantvwc. für Tattana und Erna ein. Die letztere war erstaunt, cls dte Komtesse aufjubclte: „Natürlich, Erna Alexnnorvwua, Sonnabend reisen wir nach Wibvrg zur Tante Karla. Sie ist mein Ideal, bas wissen Sic ja! Bon ihrer Besitzung kann man so schöne Ausflüge machen und ans Onkels Dampfjacht so weite Meersahrten. Vielleicht fährt er unö nach Kopenhagen. Und von dort aus steht einem die ganze Welt offen!" To sehr Erna sich über das Gelingen ihres Planes, welches die Last der Verantwortung von ihr abioälzte, freute, so sehr staunte sie über Tatianas Freude. Sie war schon so weil, hinter jeder Bewegung der Gefährtin etwas Verdächtiges zu argwöhnen. »Heute nachmittag fahre ich mit Tante Anuta nach Petersburg. Wir treffen uns mit meinen Brüdern und Andrer Feodorowitsch an der Station und fahren nach den Inseln. Sie, Duschenka, bitte ich, daheim zu bleiben. Unser Vetter fühlt sich so bedrückt, wenn er nicht mit Ahnen deutsch sprechen kann. Ich möchte ihm den letzten Abend seines Hierseins nicht verderben durch irgend einen Zwang!" „Aber ich bitte Sie, Tatiana Nikolajewna, es bedarf keiner Erklärung weiter. Ich bleibe gern in dem schönen, stillen Garten oder gehe mit der Frau Krüger ins Bau; hall!" entgegnete Erna. Sie stand im Musikzinttner auf der Veranda. Die Komtesse hatte sich etwas nicderlegcn wollen, um auszu ruhen. Srna stieg langsam in den Garten hinab, um einen Straub zu pflücken. Sie kniete vor einem Blumen, beet nieder, daS durch hohe Gebüsche gegen das Haus hin unsichtbar war. Doch konnte sie von ihrem Punkte aus das Tor zur Straße übersehen. — Nach einiger Zeit er schien ein Bettler an der Pforte und blickte in den Garten. Erna suchte bereits in ihrer Tasche, als Ne Tatiana über den Weg schlüpfen sah, ein großes Paket über dem Arm bangend. Sie öffnete daS Gitter, reichte das Mitgebrachte hinaus und sprach mit dem Bittenden. In dieser Minute sah Erna, daß der Mann einarmig war und einen großen Vollbart halte. Tie Gräfin rief ihm noch: n-orsol.ei-oeQ!" nach, waö auf deutsch: „Heute abend!" be deutet. Dann basiere sie, sich nach allen Seiten umseüend, in die Datsche zurück. Ter Bettler verschwand. Die junge Deutsche hatte nr.r doch so Rel russisch ge lernt, um diese Worte zu verstehen: „Heute abead!" Gerade heute wollte Tatiana mir der tauben Tante und dem verdächtigen Vetter aus Odessa zur Stadt fahren. Frau Schervjew ließ sich leicht genug bei Seite schieben. Sie war kein Schutz. Hier musste gehandelt werden. Erna erhob sich und eilte in ihr Zimmer. Sic versah ,.ch mit Geld, ergriff Hut und Zacke' und ging in den Wohnraum der Dienerschaft. Der Hausmeister saß bei keiner Zeitung und rauchte behaglich. „Ach gehe nach Zarcktoje Ssclv, Herr Michailow", sagte sie französisch. „Ais zum Tiner hoffe ich zurück zu sein: wenn dies nicht der Fall ist, ängstigen Sie sich nicht Dann bleibe ich bis zum Konzert im Vanrhall und erwarte die Damen, die wohl mit dem letzten Zuge kommen werden!" „Aber all-irr können Sie auf dem Bahnhof nicht warten, Fräulein!' ctgegnete der Mann. „Das will ich auch nicht! Bitte schicken Sie Awan mit dem Wagen hin, das ist mir angenehmer! Adieu, Herr Michailow!" „Adieu, Fräulein!" Erna überlegte ihren Feldzug aus dem Wege. Vielleicht begab sie sich unverantwortlicher Weise in Gefahr, viel, leicht machte sie sich lächerlich nnd erzürnte die Komtesse. Ihr Herz klopfte erregt,' aber sic war kein feige veran lagtes Mädchen. Mutig und ohne viel Besinnen folgte sie der inneren Simme, wenn auch ihre Rechte den russi. schen Sprachführer fest umklammerte, um nicht zu zittern. Sie löste ein Retourbillet und fuhr mit dem nächsten Zuge nach Petersburg. Dort angelangt, begab sic sich in den Wartcsaal, öffnete daS Buch und notierte sich auf einen Zettel verschiedene Phrasen, die sie so lange laut hcrsagte, bis sic sie auswendig konnte. Hier, angesichts der großen Stadt, bedauerte sie doch, daß sie nicht wenigstens die Krüger in ihr Vorhaben cingcwciht und mitgenommen hatte. Ihre Diskretion erschien ihr jetzt lächerlich. Wohin würde sic heute noch treiben? Vielleicht in ihr Unheil? Gleichviel sie mußte auöharren! Wenn sic Tatiana zur Seite war, konnte diese wenigstens nichts Verderbliches anrichten. Gar viele sprachen das schöne Mädchen an: aber ihr stolzes Fsrtwcnden und ihre Unfähigkeit, die rasch geflüsterten Worte zu verstehen, schützten sic vor Zudring lichkeiten. Unruhig harrte sie, zwischen ihren Ykdankcn gar manches innige Gebet zu Gott um seinen Schutz emporsendend. Mit dem Zuge um sieben Uhr erwartete sie die Paw- lowster. Sic verbarg sich hinter einem Zcitungöhändrer. Wirtlich stiegen otc Lchermcw und ihre 'Nichte aus einem Abteil der ersten Klasse. Auf dem Bahnsteig herrschte lebhaftes Treib.n. Erna sah, wie Taüana sich nach allen Seiten umsah, plötzlich zu: Linken abdog und, hinter einer Menschen'.ruppe versteckt, mit hinausschlupfte. Im Nu war sie versä,wunden. Erna folgte der Komtesse. Sie er blickte dieselbe schon mitten ans dem D.'mme vor dem Bohnlwfcgcbändc. Ern Herr in dunklem Ueberzteher, der der Gesta.t nach dem Vetter ans Odessa glich, näherte sich ihr, aus einem Aswoschtsctnk springend, und bot ihr den Arm Sie legte den ihren hinein und ließ sich von ihm nach den Sagvrodrrij-Prospckt führen. Doch schon bei der Garochonutja liegen sie ab. Ihre Vcrkolgerin blieb ihnen auf den Spuren, bis bas Paar in dem Eckhausc der Ka sanskaja verschwand. - Ratlos dlteb Erna stehen. Was machte sie, wenn die beiden nicht mehr herauskar.en oder durch einen zweiten Ausgang ihr entschlüpften? Vor läufig ging sie auf der andern Straßenseite aus und ab. Die Menschen hasteten in dieser Gegend, die äußerst belebt war, an ihr vorüber. Die Wagen rasselten an ihr vorbei und nahmen ihr ost den Ausb.ick aus den Torweg. Die Zeit verstrich fabelhart langsam. Eine dumpfe Ver zweiflung bemächtigte sich der Wartenden, auf die Anfälle von rasender Ungeduld und bitteren Selbstvorwürfen solgt-n. WaS ging sie da« fremde Mädchen an? Sie brauchte sich nur harmlos zu stellen, und kein Mensch konnte ihr Vorwürfe machen! Aber ihr Pflichtgefühl bannte sie an den Platz. Die Gräfin hatte ihr dte Tochter anvertraut. To weit es in ihren Kräften lag, mußte sie über diese wachen. Wenn daS Paar schon fort war? — Plötzlich zuckte sie zusammen. Der Einarmige ging in das gleiche Haus. Erna zermarterte ihr Hirn. Wie konnte sie irgend einen Mann herbeischaffen, der ihr half, oder zum mindesten eine entschlossene Frau, welche die Sprache verstand. Wo blieb der gerühmte ckoug ex maclrina, der Zufall, der immer hülsretch waltete? Unaufhörlich schritt sie auf und ab. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Erna wandte sich zur Sette, empört über diese Unverschämtheit. „Also habe ich mich doch nicht getäuscht, Sie sind cs, Fräulein Bolmann! Ich wollte meinen Augen nicht trauen! Wie kommen Sie denn hierher?" Ganz fassungslos betrachtete Erna den Grafen Kola Wosakln, der in leichter Sommerklctdung vvr ihr stand. „Lie — Herr Graf, — welches Glück!" stammelte sie besangen. Beide sahen sich starr und erstaunt an. „Ich war bei einer Künstlerin, die hier wohnt!" sagte er. „Von den Inseln nach hier ist es keine Entfernung. Aber Sie?" Es klang unverhohlenes Mißtrauen ans seinen Worten. Unschlüssig schaute ihn das Mädchen an. Schließ lich dneb ihr nichts weiter übrig, wie die Wahrheit zu vffenbaren. Sie tat es zögernd, mit fliegendem Atem. Alle ihre Beobachtungen, ihre gesammelten Verdachts momente, alles enthüllte sie dem sehr bleichen, aufs ttessre erschreckten Manne. „Sie sind eia tapferes Weib, und wir sind Ihnen zu höchstem Tanke verpflichtet! Vielleicht nicht nur wir, sondern —, Fräulein Bo,mann, meine Schwester ist in höchster Gefahr. Hier rettet unö nur entschlossenes Handeln! Ach habe meinen Plan, und beobachten Sie den Torweg weiter. Ich muß inö HauS. Oben sind zwei freunde von mir, die daü Weitere übe: nehmen sollen, da mit ich Ihnen zur Sette bleiben kann. Bitte, beurlauben Sie mim nur auf fünf Minuten!" „Können wir nicht Ihre Schwester retten, ohne die anderen unglücklichen Opfer zu verraten? Tatiana ver zeiht es uns nie, wenn Przewsky " „Sie sind eine Frau: mit sentimentalen Gefühlen aber tvnnnen wir nickst weiter, Fräulein! Lolche allgemein gefährlichen, umstürzlerischen Elemente müssen ansgervtrer werden, da Hilst nichts. Gerade der Pole ist der Gcsälir lichste! Sie bleiben nachher bei meiner Schwester und fahren mit ihr sofort nach Pawlowsk. Alles andere über lassen Sie uns! Auf Wiedersehen!" Er stürzte fort in ein Nebenhaus. Nach wenigen Minuten kam er mit zwei jungen Herren zurück. Sie sahen sehr erhitzt ans. Kola sprach ans ne ein. Ihre roten Gesichter erblaßten und wurden ernst. Tann riefen sic einen voruberfahrendcn Iswvschtschik an, sprangen in den Wagen und fuhren davon. „Wassilt Ostrom verstanden Sie, nicht wahr, Fräulein Bolmann?" „Ja, Herr Gras, gerade diese Worte waren mir so be kannt, daß ich sie auffaßte und behielt!" „Reichen Sic mir den Arm!" sagte Wosalin. Er merkte, daß sie sich kaum aufrecht hielt. Jetzt, wo ein Stärkerer für sie handelte, verlor sie ihre mühsam erzwungene Kraft. Sie biß die Zähne zusammen, um nicht zu weinen oder die Besinnung zn verlieren. Schweigend gingen sie cutz nnd ab. Kola hielt die Uhr in der Hand und verfolgte den Lauf der Zeit. Auch er war innerlich beschäftigt. Mil einem Mal drückte Erna heftig seinen Arm und wies mit einem Kopfnicken nach der gegenüberliegenden Seite. „WaS ist?" fragte er. „Przewüku als Obsthändler!" murmelte sic. Kola erblickte den als russischen Bauer gekleideten Polen. Ruhig schob er sein kleines Gefährt vor sich her, neben ihm schritt der Einarmige nnd rief mit lauter Stimme: „klubrulca ssackorvaja, — Llzuüva, — Zemlz'anilk»
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