Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021125023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-25
- Monat1902-11
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug--Preis di der HauptexpedMo» oder den im Stadt» bezirk und de» Bororteu errichtete» AnS- goorstelleo abgeholt: vierteljährlich 4.K0, — zweimaliger täglicher Zustellung iuS Hau- K.KO. Durch dir Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich6, für die übrigen Läuder laut Zeitungspreisliste. Redaktion «nd Expedition-. Johannt-gaffe 8. Fernsprecher 153 und L22. FUtalrvpedtttorre« r Alfred Pah», Buchhandlg., NuwersttätSstr.8, L. Lösche, Lathartnenstr. 14» u. Löuigspl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Etrehleuer Straße S. Fernsprecher Amt L Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: Uüuiggrätzer Straße 118. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SS. Abend-Ausgabe. KiWger TagMaü Anzeiger. MLsVM -es Königttchen Land- nnd -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates nn- -es Rolizei-Änrtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene PetitzeUe LS Reklame, unter dem Aedaktionsstrich (4 gespalten) 7b vor de» Famlltenuach- richten (S gespalten) bü H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbefSrderurrg SO.—» mit Postbesörderung ^l 70^-» AnnatMeschtub für Lbeud-An-gabe: LormittagS 10 Uhr. Morges-Lu-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition z» richten. Die Expedition ist wochentags nnmrterbroch« geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sir. M. Dienstag den 25. November 1902. 98. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. November. Aus dem Reichstage. Die Aussichten auf Beschleunigung der parlamentarischen Arbeiten gestalten fick immer ungünstiger. Die gestrige Sitzung des Reichstags endete nach zweistündiger Dauer mit der Feststellung der Beschluß» nsähigkeit. Zur Ver handlung stand der von den Sozialdemokraten beantragte 11b, in dem vorgeschlagen wird, daß von den Zollein- nahmrn jährlich 1ÖO Millionen zur Förderung des Volks- schulwesenS aufgewendet werden. Bebel begründet diesen Antrag in einer l^stündigen Rede über die Mängel unseres Schulwesens. Nachdem darauf der Pole von Czarlinski einige polnische Schulbeschwerden vorgebracdt hatte — vom Zolltarif wurde überhaupt nicht gesprochen —, kam es zur Abstimmung, au der nur 178 Abgeordnete teilnahmen. Die Sozialdemokraten hatten bis auf neun den Saal ver lassen. Die heutige Fortsetzung der Beratung beginnt mit der Debatte über einen inzwilchen eingegangenen neuen sozialdemo kratischen Obstruktionsantrag (H 11 o), von den Zolleinnahmen 49 Millionen jährlich zur Aufhebung der Salzsteuer zu ver wenden. Derartige Anträge können, besonders wenn das Haus beschlußunfähig bleiben sollte, noch zu Dutzenden eingebracht werden. Einen weiteren Arbeitstag wird der Reichstag ein büßen durch die Verhandlung einer neu eingebrachtcn polnischen Interpellation, betreffend polizeiliche Hebelgriffe gegen polnische Redakteure, das Verfabren der Slandesämler bei der Regi strierung von Namen und betreffend den von der Militär- verwaliunz über polnische Geschäfte verhängten Boykott. Es ist b« solcher Lage der Dinge im Reichstag gar nicht abzu sehen, zu welchem Zeitpunkte die zollpolitische Verständigung, wenn sie wirklich erzielt wird, praktische Bedeutung ge winnen kann. Denn wenn nach Beendigung der zweiten Lesung des TarffgesetzeS in die zweite Lesung des Zvlliariss cingetreten wird, dürfte eS kaum noch zur dritten Lciung des TarffgesetzeS kommen, cS wäre denn, daß, um sie zu ermög lichen, dre zweite Lesung des Zolltarifs unterbrochen würbe. Trotzdem sei mitgeteilt, was heute über den Stand der Verständigungsaktion verlautet: Ueber Verlauf und Inhalt der Verhandlungen, die am Sonnabend beim Reichs kanzler zwilchen diesem und den Vertretern der Mehrheits parteien gepflogen worden sind, ist nichts mitzuteilen; eS wird absolutes Stillschweigen beobachte«, um den Fortgang der Beratungen nicht zu stören. Daß dieser indessen nicht ungünstig ist, sondern das Gelingen des VerständigungSwerkeS m gute Aussicht stellt, ergibt sich daraus, daß heute Abend beim Reichskanzler eine zweite Konferenz folgen wird, außerdem aber auch auS den fast ununterbrochen abgehaltenen Sitzungen der Zentrums fraktion. Nachdem diese am Sonntag von 1 bis 5 Uhr beraten, setzte sie gestern vor dem Plenum die Besprechungen drei Stunden hindurch fort, um sie auch am Abend weiter- zuführen. Die konservative Fraktion und die der ReichSpartei waren für heule vormittag zu Sitzungen einberufen. — Im Zentrum soll es sich außer um die Frage der Mmdest-Viehzölle um die Ausgleichung der Mernuugsverschiedenherten mit dem bayerischen Agrarier flügel handeln. Lum Tode Krupps. Der Kaiser, der gestern nach Bückeburg zur Jagd ab gereist ist, wird sich von dort nach Essen begeben, um an der Beisetzung F.Ä. Krupps teilzunehmen. Dieser Akt der Pietät gilt nicht nur dem „Kanonenköuig", sondern ist auch ein kräf tiges, auS edelster Gesinnung hervorgegangeneS Zeugnis für den Mann,der ein Opfer janatischenKiassenhaffes und niedriger Sen- sationSlüsternbelt geworden ist. Alle ihm gewidmeten Nekrologe stimmten darin überein, daß Krupp, der sich seines Gesund heitszustandes wegen von der geschäftlichen und technischen Leitung seiner Werke mehr und mehr zurückgezogen halte, die Aufgabe seines Lebens hauptsächlich in der sozialen Für sorge für sein Arbeiterhecr erblickte und für den Ausbau der wohltätigen Institute seines VaterS kein Opfer scheute. Daß durch diese großherzige Wirksamkeit der Ausbreitung der Sozialdemokratie unter der Kiuppschen Arbeiterbevölkerung ein Riegel vorgeschoben wurde, Hal der Dabingeschiedene büßen müssen. Denn wenn auch wirklich — wofür aber noch keinerlei Beweis vorliegt — nicht alles auS der Luft gegriffen sein sollte, was über eine krankhafte Neigung des Ver storbenen verbreitet worden ist, so ist cs doch Heuchelei tchlimmster Art, wenn die Verbreiter dieser Gerüchte mit diesen ihre Verfolgungswut begründen. Denn gerade diese Kreise sind eS, die auf Beseitigung dcS 8 l"5 des Strafgesetzbuches dringen, weil sie die Opier dieses Paragraphen nicht als Schuldige, sondern als bedauerns werte Kranke angesehen wissen wollen. Nein, cs waren Haß und Neid, die seit Iabren das Leben Krupps ver gifteten, denn die Befürchtungen für sein Leben, welche seine nähere Umgebung angesichts der Aufregungen hegte, die ihm bereitet wurden, stammen nicht erst aus ter jüngsten Zeit, in der die erwähnte Nachrede festere Gestalt annahm. Doch wir wollen uns nicht an dem noch offenen Grabe eingebender mit denen beschäftigen, die es gegraben; der Zeit punkt, auch ihrer zu gedenken, wird noch kommen. Aber eö drängt unS, dem Kaiser für seine Teilnahme an der Be erdigung den Dank auszufprechcn, den alle empfinden werden, die für die zahllosen Beweise edler Menschenfreund lichkeit, die Krupp gegeben, ein empfängliches Gemüt sich bewahrt haben. Tic Lozialdemokratic im Landtage von Schwarzburg-Rudolstadt. Bekanntlich ist die Sozialdemokratie im Fürsten tum Schwarzburg-Rudolstadt nabe daran ge wesen, von den 16 Landtagsmandaten die Mehrheit zu er langen. Jetzt hat der Landtag seine Arbeiten ausgenommen, nachdem die üblichen Formaluätcn, wie Vereidigung, Wahl des Präsidiums u. a. erledigt worden sind. Gleich den „Genossen" in andern Landtagen baden die Schwarzburg- Rudolstävter den erforderlichen Eid „schlank" geleistet, obwohl weniger „robuste" Gewissen vielleicht Anstoß nehmen würden, mit dem sozialdemokrauschen Parteiprogramm nn Kopf und auf der Zunge zu schwören, daß man „der Ver fassung stets Treue bewahren, zum Woble des Fürsten und des ganzen Landes nach besinn Wissen und Gewissen mitberatcn" wolle. Wenn die Schwarzburg - Nudolftävter „Genossen" bei der Wahl des Präsiciums durch den Mund des Abgeordneten Hartmann ausdrücklich rbre Nechtc auf das Vize-Präi idrum gellend machten, so ist das ein Voi gang von prinzipieller Bedeutung. Die bürgerlichen Landlags abgeordneten haben sich bei der Wahl des Vize-Piäsivcnten der Abstimmung enthalten, so daß mit den sieben iozial- dcmokrattjchen Stimmen eine gültige Wahl des sozialdemo kratischen Vize-Präsidenten zu stände kam. Es bleibt abzu warten, ob dieser alle mit dem Amte verbundenen Obliegen heiten erfüllen wird. Man erinnert sich hierbei, daß die klerikale^„Köln. Dolksztg." die Bereitwilligkeit des Zentrums, Herrn Singer zum Vize-Präsidenten deü Reichstages zu wählen, erklärt hat, falls derieibe zu Besuchen im Ber liner Schlosse sich bereit erklärte. Die Kossuthistcn gegen den ungarischen König. Seit einiger Zeit scheuen sich die Kossuthisten nicht, auch die Person des Königs, die sie früher aus dein Spiele ließen, in ihre Agitation hereinzuziehen und mit einem bedenklichen Mangel an Ehrfurcht und Loyalität zu be handeln. In der langen Immunitätsdebatte des Ab geordnetenhauses erlaubte sich der tossuthistische Abg. Olay, die Minister als „Lakaien des Königs" zu be zeichnen und zog sich dadurch einen Ordnungsruf zu. Ter Abg. Kossuth glaubte die Meinung aussprcchcn zu dürfen, daß die Macht der Krone in Ungarn eine übergroße sei und von der Kraft Oesterreichs unterstützt werde, während doch tatsächlich das parlamentarische Regierungssystem in Ungarn 'ich immer mehr Geltung verschafft hat, allerdings ohne unbestrittene Anerkcnung erlangt zu haben. Das Hauptorgan der Kossuthpartei, der „Független Magyar- orßag", bctannt namentlich durch seine plumpen Be schimpfungen des Deutschtums, hat anläßlich der geforderten Erhöhung der Civillistc einen Aufsatz gegen den König veröffentlicht, der an giftigem Hohn und tückischer Ironie alles überbietet, was bisher in der Kossuthprcfse zu lesen war. In diesem Aufsatz heißt es wörtlich: „Viel Geld, sehr viel Geld wird für den König gefordert. Denn der König ist ein armer Mensch und der König kann damit nicht auskommen, was er fetzt hat. Entsetzlich find die Sorgen unseres guten Königs. Das Fleisch ist teuer geworden, teuer ist das Mehl geworden; er muß der Köchin mehr in die Küche geben. Auch die Wohnung ist größer ge worden, er braucht mehr Lakaien und Bediente. Auch die Kinder haben sich vermehrt. DicErzhcrzögc sind ihrer so viele, daß einige schon gezwungen waren, sich nach einer anständigen bürgerlichen Beschäftigung umzusehen. Ein unerträglicher Zustand, dein man schleunigst abhclfen mutz. Es ist noch gut, daß Koloman Szcll nicht einen jungen Erzherzog auf den Arm genommen und nach Pretzburger Vorbild unter Tränen und Schluchzen gleich Leben und Blut von der Nation gefordert hat . . . Guter Ungar, mach doch die Börse aus! Wenn der erste Bürger Geld braucht, so gib ihm doch! Biel, sehr viel, damit er sicht, wie dankbar dec Ungar seine hingehende Liebe, seine väterliche Ob sorge bezahlt. Du siehst doch, wie sehr er mit dem bischen Geld, das du ihm Jahr für Jahr gibst, haushalt: Heuer kommt er nicht nach Ungarn, nur um die geringen Reisekosten zu er sparen, für die er tausendfache andere Verwendung hat. Ein König, der so auf den Groschen achtet, der so über die Heller, die er von der Nation zum Geschenk erhalten hat, wacht: der „verlangt nicht" — fürwahr! — wenn er nicht not hat." Wohin muß cs führen, wenn die giftigen Verhetzungen der Kossuthprcsse selbst den ehrwürdigen Monarchen nicht verschonen. Unter der Regierung Franz Josefs I. hat Ungarn Freiheiten erlangt, wie cs sie früher nie besaß. Wird man den Magyaren aber diese Freiheiten lassen können, wenn sie zum Schaden der Gcsamtmonarchie miß braucht werden ? Und diese Magyaren sind cs, welche den Nationalitäten, vorab den Deutschen, Illoyalität und Un treue gegen den Staat und den König vorwerfen und wegen dieser „Verbrechen" mit Füßen auf ihnen herum treten! Nordamerika und Kuba. Die gesamte New Vorkcr Presse schlägt gegen Kuba einen sehr feindseligen Ton an, da die Erwählung Por- tuondvs zum Präsidenten des kubanischen Repräsen tantenhauses einen offenkundigen Vorstoß gegen die Ver einigten Staaten bedeute. Auch der Staatspräsident Palma erweise sich trotz seiner äußerlich zur Schau getragenen Freundschaft für Nordamerika als Parteigänger der ent schiedenen Separatistenpartei. Dies zeige sich besonders in den Schwierigkeiten, welche Palma dem nach Kuba entsandten nordamerikanifchen Kommissar bet Ausarbei tung des sogenannten Reziprokvertrages in den Weg lege. Die kubanische Regierung arbeite mit allen Mitteln darauf hin, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zu schwächen, während man anderseits, in Anbetracht der durch die Brüsseler Zucker konvention zu belebenden Rohrzuckerausfuhr Kubas nach Europa, auf eine baldige wirtschaftliche Annäherung der Insel an die europäischen Staaten rechne. — Tie „New Uork Times" nnd andere Blätter fordern daher auf, man solle der Spielerei mit der angeblichen Unabhängigkeit Kubas ein schnelles nnd endgültiges Ende bereiten und dieInsel ei »fach den Vereinigten Staaten e i n v e r l e i b e n. Ties sei die einzig mögliche Lösung der Knbafrage. Deutsches Reich. * Leipzig, 25. November. Der zum bayerischen Justiz minister ausersekene ReichsgericktSrat Miltner zählt zu den jüngsten Mitgliedern des ReichSgericktS; er ist erst 46 Iabre alt. Am l. Mai 1899 wurde er an den obersten deutschen Gerichtshof berufen uno durch Excellenz von Oehlsch laeger in fein neues Amt eingewiesen; vorder war er Rat im Mi nisterium der Justiz in München. Er gehörte dem 2. Straf senate an. Berlin, 24. November. (Zur Bekämpfung der Sozialdemokratie.) Wer sich gegenwärtig hält, wie verbältniSmäßig leicht und mühelos die Sozialdemokratie die Unkosten ihrer Wahlagitation aufbringt, der muß nachgerade erstaunen darüber, wie schwer daS Trägheitsmoment auf der nichtsozialistischen Seite sich überwinden läßt. Wir meinen das Trägheitsmoment, das die Mahnung des unvergeßlichen ersten Kanzlers an die Orbnungsparteien mißachtet, daß diese erst dann von Erfüllung ihrer Pflicht reden und auf den entsprechenden Ei folg rechnen könnten, wenn sie ihre Orgaoi- taiion auf den Höhepunkt gebracht hätten, auf dem die der Gegner angelangt sei. Wie der „Vorwärts" mitzuteilen in der Lage ist, bat eine Anzahl von Reichs- und Landtagsabgeordneteu der Rechlsparteien und der Nationalliberalen wieder einmal de» Weg beschulten, ein Circular zu versenden und in diesem zur Sammlung von Beiträgen zur Versendung einer sogar in drei Ausgaben erscheinenden Schrift aufzu,ordern, die dazu bestimmt ist, in allen Wablkreisen, in denen eS sich um den Kampf gegen die Sozialdemokiatie handelt, sämtlichen Wahlberechtigten zugestellt zu werden. Die drei Ausgaben sollen je nach den besonderen Verhältnissen der einzelnen Wahlkreise zur Verwendung kommen. Diese Schrift bat, so wird gesagt, den Beifall der Sachverständigen verschiedener Parteiricbtungen gefunden, und es stehe zu hoffen, daß ihre klaren Ausführungen gegenüber der sozialvemokratlscben Agi tation und Hetze in den Kreisen der Arbeiter nicht ohne Wirkung bleiben würden. Alsdann wird in dem vom „Vorwärts" der Oeffentlichteit überantworteten Circular noch gesagt, es seien zur Verteilung von so und soviel Exemplaren der verschie denen Ausgaben der Broschüre nach sachverständiger Berech nung noch insgesamt 300000.L erforderlich. Mit berechtigtem Hohne sagt dem gegenüber der „Vorwärts" : Wir müssen ohne Rast und ohne Ruh den Wahlkampf aufs vorzüglichste organisieren in allen Wahlkreisen, in welchen wir Anhänger haben. Wir müssen unausgesetzt Mittel sammeln, wo immer die Gelegenheit sich bietet. Tun wir unsere Schuldigkeit, so stellen wir den 300 000 Mart, oie unsere Feinde zur Verwendung gegen Feriilletsn. Das Findelkind. Roman von Ernst Gcorgy. Viauivruct verboten. Das Sündenkonto des Marquis mußte ein sehr großes sein. Er verfärbte sich erschreckend, ballte die Hand zur Faust, um sich zur Ruhe zu zwingen, und meinte gepreßt: „Das klingt ja ganz gefährlich, mein lieber Herr Antok, also gehen Sie gleich gerade aufs Ziel los und lassen Sie mich nicht zappeln. Ich bin Pattent und nervös!" — Ludwig blickte ihn durchdringend an: „So hören Sie, bitte, ruhig zu, nud versuchen Sie keine Verteidigung, die nutzlos wäre, Herr Marquis! Nur Ruhe kann Sic retten!" „Retten? Haha!" „Jawohl, retten!" fuhr Antok fort. „Der russische Bot schafter in Paris ist bevollmächtigt, bei Ihrer Regierung im Auftrage der Gräfin Lantow und des Fürsten Druzin Schritte gegen Sic einzulcite» wegen Kindesraubes, be gangen an Jutta Wingirskaja, einzigen Tochter der Gräfin Lantow aus ihrer Ehe mit dem Grafen Win- girsky. Die Lache ist sehr wichtig, wird vom Zaren unterstützt —" „Lächerlich! Was, ich ? Ein Kind entführen?" „Lächerlich und doch klar!" meinte Ludwig unerbittlich. „Tie Beweise sind da. Man fand sie in -en Nachlaß papieren des letzten verstorbenen Grasen Alexei Win- girsky. Auch die Summe ist genannt, mit der Sic da mals bezahlt wurden!" Villant fiel ganz iu sich zusammen und zitterte am ganzen Körper. Er mar durch seine Krankheit zu sehr ge schwächt, um eine Verteidigung zu wagen, die er in ge sunden Tagen sicher mit spitzbübischer Raffiniertheit ge führt hätte. „Sie können sich nur durch volle Wahrheit, durch rück haltloses Gestehen retten, Herr Marquis!" sagte Ludwig. „In meine Hand ist es gelegt, die Klage, die bis morgen beim Gesandten geheirn bleibt, noch zurttckzuziehen. Wir wissen bereits alles. Versuchen Sie also keine Ausflüchte, sonst gehe ich, — und Sic sind vernichtet, da Sic im an dern Kalle schon heute abend verhaftet werden! Sie haben verstanden? — Also, wo ist das geraubte Kind, lebt es noch?" Villant bebte und klapperte mit den Zähnen: „Ja, cs lebt!" „Und wo ?" „Tas weiß ich nicht!" „Herr Marquis!" ,I)iuntro! Ich übergab die Jutta einer Familie Bol mann in Hamburg. Sic tauchte wiederholt hier auf und soll, wie mir die Marquise Charbart erzählte, jetzt in Rußland in Stellung sein. Wo und bei wem, habe ich vcr- geffcn!" „Das genügt mir! Ihre klaren Antworten werden Sie retten. Nur verlange ich, daß Sic die Angaben jetzt in Gegenwart zweier Zeugen schriftlich wiederholen. Dor» ist Papier, Feder nnd Tinte. Ihr Diener und Ihre Wirtin genügen mir. Wir wollen Sic nicht verderben, Herr Marquis, sondern wollen eitler trostlosen Mutter ihr Kind wicdergebcn. Wie Sie sich mit Ihrem Gewissen und unserem himmlischen Richter abfinden, das ist Ihre Sache!" Antok erhob sich. Er rief die Besitzerin des Hauses und den Diener herbei und erklärte ihnen, daß er ihre Zcugcnuntcrschriften für ein wichtiges Dokument brauche. Die beiden Leute waren etwas bestürzt, als sic den Marqnis in einem Zustande fast hilfloser Schwäche fanden. Er ließ sich von ihnen aufrichten und nahm die Feder, scheu und bebend zn Ludwig aufsehcnd. „So, Herr- Marquis, bitte, schreiben Sie, was ich Ihnen diktiere." Er zog seine Notizen aus der Tasche und suchte nach den Daten. „Jetzt habe ich alles beisammen, also bitte: „Troiwille, August 18V—. Ich, Frederic Louis Antoine, Marqins de Villant, erkläre hiermit an Eidcsstatt dem Bildhauer Ludwig Antok, daß ich am 16. Mai 187— mit der jungen Gräfin Jutta WtngirSkaja, einem Kinde von elf Monaten, und mit ihrer Wärterin Julia Michailow, von Schloß Win- girsselv bei Wirrballeu abgereist bin. Am 20. Mai 187— habe ich dem Kaufmann Alexander Bolmann nnd seiner Gattin Adelheid, beide aus Hamburg, das Kind Jutta unter den ihnen bekannten Angaben in Luzern, Schweiz, übergeben. Das Mädchen wuchs unter dem Namen Erna Bvlmann heran. Ich habe sie verschiedene Male in Paris iviedergcsehen und weiß, daß sie jetzt, durch Ver mittelung der Marquise Eharbart und -er Fürstin Druzin Gesellschafterin der Gräfin Tatiana Wosakin wurde und noch in dieser Stellung ist. Ich beeide noch einmal, daß Jutta Wingirskaja und die Pflegetochter des Alexander Bvlmannschen Ehepaares in Hamburg, namens Erna, ein und dieselbe Person ist." Ter Marquis hatte mit größter Beherrschung seine Hand zum Niedcrschreiben des Diktierten gezwungen. Tie Schrift war zitterig, aber leserlich. Tie Unter schriften wurden gegeben. Villant wurde ohnmächtig, der Diener gab ihm Wein und rieb ihm die Stirn mit Kölnischem Wasser ein. Antok wartete, bis er sich belebte. Er hatte das Dokument sorglich gefaltet und auf seiner Brust geborgen. „So, Herr Marquis, meine Mission ist erledigt. Ich danke Ihnen, Sie haben zwei Menschen glücklich gemacht. Fürchten Sie nichts, cs wird nichts gegen Sie erfolgen, denn cs war bisher kein Kläger da. Ich bekenne Ihnen frei, daß ich Sie im Interesse einer ge liebten Person überlistet habe. Leben Sic wohl!" Antok eilte schnell fort, doch hörte er die zornigen Scheltworts des Ueberlistctcn noch hinter sich herschallcn. Bollricd war bereits in das Hotel zurückgekehrt. Er stand am Fenster des Lesezimmers und blickte aus die Straße. An dem fröhlichen Hutschwenken des Freundes merkte er sogleich, daß Ludwig eine gute Botschaft überbrachte. Bis zum späten Abend saßen die beiden Freunde zusammen nnd ließen ihr Leben noch einmal an sich vvrübcrziehen. Dann beratschlagten sic den (Hing der nächsten Hand lungen und kamen in ihren Entschlüssen überein. Ludwig wollte seine gewaltige Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen noch länger mit eiserner Willenskraft zügeln. Er beschloß, die vollendete Dianabüste erst bei der Fürstin Druzin abzuliefern. Die Dame, welche doch eine Schwester der Lantowa war, sollte zuerst in da- Geheimnis von Ernas Herkunft eiugcweiht werden. Sic konnte die Ent deckung ihrer Schwester sorgsam enthüllen. Inzwischen wollte der Bildhauer seine Braut aus Petersburg ab holen und sie der wiedergesundcncn Mutter zuführen. Aus deren Händen sollte ihr kommendes G.ück in Empfang genommen, von ihr sollte es gesegnet werden. Einige Tage später trat Ludwig Antok hoffnungsfrvh die Reise nach Riga an. Er wurde von der Familie Druzin auf das Liebenswürdigste empfangen. Sein Werl erregte das Entzücken aller, die es sahen. Mehrere Be stellungen und der Auftrag einer großen Monumental- Brunuenanlage waren die unmittelbare Folge. Erst am dritten Tage kam er dazu, der Fürstin und ihrem Gemahl Ernas Brief, das Zeugnis des Marquis Villant und die Aufzeichnungen der Familie Bolmann vorzulegen. Tic Lensation, welche diese Nachricht hervorbrachte, war un beschreiblich. Tie Druzina lachte und weinte vor Freude. Noch an demselben Tage trat sie ihre Reise nach Lantowko an. Sic nahm die Beweise mit und überlegte sorglich mit den anderen, wie sie der Leidenden diese erschütternde Botschaft ohne schädliche Folgen für ihre Gesundheit über bringen könne. Lluch Fürst Druzin wollte bei diesem freudigen Ereignis nicht fehlen. „Ich komme mit!" ries er entzückt. „Sic fahren nach Petersburg zu meiner Nichte Jutta, Ludwig Leopoldowitsch, und bereiten diese vor. Lantow und ich lassen die Jacht klar machen und holen Sic beide selbst im Triumph nach Lantowko. Auf ihrem eigenen Grund und Boden, in ihrem eigeneir Miniaturhafen, soll Karla die Tochter empfangen! Warten Sie im „Hotel Europa" auf meine Depesche. Ich zeige Ihnen nttsere Ankunft :m Petersburger Hafen an." Während am Abend die beiden Gatten nach Finland reisten, fuhr Antok der Residenzstadt zu. Lein ganzes Ich bebte in einer namenlosen Erregung. Er verstand sich selbst nicht mehr. Wie hatte er es so lange, fern von der Geliebten, ertragen können, ohne vor Sehnsucht zu ver gehen! Er starrte in die sternenklare Sommernacht hinaus, die heute keiir Ende nehmen wollte. Denn der kommende Morgen brachte ihm, deß war er sicher, die Er füllung seiner langen Träume, da- Glück, den Besitz der durch lange Jahre treu Geliebten.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite