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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021126024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-26
- Monat1902-11
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Es bestätigt sich, daß der Reichskanzler im Namen der verbündeten Negierungen einen M indc st s a tz f ü r Braugerste von 4 (Regierungsvorlage 3 .Ls den Mehrheitsparteien unter der Voraussetzung angeboren hat, daß ein Minimalzoll für F u t t e r g e r st c im Tarif gesetze nicht eingestellt und von der Bindung der Vieh- zölle abgesehen werde. Die Mchrheitsparteicn, ein schließlich der Nationallibcraleu, haben gestern vormittag über dieses Angebot verhandelt. Das Zentrum hat sich, wie bestimmt verlautet, einmütig mit dem Angebote einverstanden erklärt und wird durch dritte Lesung auf den Boden der so veränderten Regierungsvorlage zu rücktreten. Die National liberalen werden den Reichskanzler in seiner Verständigungspolitik unterstützen. Nicht völlig einig soll man dagegen in -en beiden konservativen Fraktionen geworden sein. Es ist auch kaum anzunehmeu, daß die vorhandenen Gegensätze völlig ausgeglichen seien: mit Sicherheit wird aber darauf gerechnet, daß die für die Mchrhcitsbildnng erforderlichen Stimmen sich bei den .konservativen werden finden lassen. Wahrscheinlich haben die gestern abend zwischen -en Vertrauensmännern der Mehrheit und dem Reichskanzler gepflogenen Besprechungen einen formellen Beschluß bereits herbeigesührt. An die Mchrheitsparteicn tritt nunmehr die Ausgabe heran, das Ergebnis der Ver ständigungsaktion durchzuführen. Niemand verhehlt sich, daß sie, nachdem der Reichstag so viel Zeit verloren hat, sehr, sehr schwierig ist. Tie Herren „Verständigungs kommissare" werden sich nunmehr mit der Lösung der Frage zu befassen haben, wie die weitere geschäftliche Hand habung der Zolltarifberatung einzurichtcn ist, um über haupt die Verabschiedung des Tqrifs noch zu ermöglichen. Es müssen Mittel nnd Wege gefunden werden, um der Obstruktion Herr zu werden. Waö in dieser Richtung zu geschehen hat, darüber werden die „Verständigungs kommissare", zu denen vou nationallibcraler Seite noch der Abgeordnete vr. Sattler treten wird, aber noch nicht getreten ist, weiter mit den Fraktionen und den Ne gierungsvertretern unterhandeln. Wie nötig das ist, zeigte die gestrige Reichstagssitzung, in der die Sozial demokraten wieder Triumphe feierten — freilich auf den Wegen des Zentrums. Was dieses mit seinem Vcrwcn- dungsantrage, der nun als 8 11» in das Tarisgcsctz ein gefügt ist, angerichtct, mußte es gestern zu seinem Schrecken durch die sozialdemokratischen Anträge erfahren. Tie Sozialdemokraten stimmen gegen den Zolltarif, aber verfügen mit freigebiger Hand über die mutmaßlichen Heberschüssc aus den Einnahmen dieses von ihnen „in den Orkus" verurteilten Tarifs! Bis um 5 Uhr des gestrigen Tages wollten die Herren Sozialdemokraten die Kleinigkeit von 292 Millionen aus dem zukünftigen großen Zoll-Portemonnaie heranclhvlcn! IM Millionen zur Förderung des Volksschulwesens, 49 Millionen zur Auf hebung der Salzstener, IM Millionen für Aufhebung der Zuckersteuer und 43 Millionen zur Herabsetzung der Ver brauchsabgaben für Branntwein! Andere Anträge zur Erleichterung des Reichs-Portemonnaies sind noch in Vorbereitung oder gar schon eingebracht. Natürlich wurden die Anträge „schlankweg" abgelchnt und werden ferner abgelchnt werden: aber wenn das Versäumte nach geholt werden soll, muß dem unerhörten sozialdemokra tischen Zeitvertreibe baldigst ein Ende bereitet werden. Bemerkt sei übrigens, daß die „Freisinn. Ztg." den Sozial demokraten den Vorwurf macht, sie hätten dem Ausgleiche die Brücke gebaut: sie seien ausschlaggebend gewesen für die Annahme des Antrages Trimborn in Bezug auf die Witwen- und Waisenvcrsichcrung und hätten damit als Hülfstruppe der Agrarier einen Brückenpfeiler zu stände gebracht, der Vorbedingung war für die Verstän digung des Zentrums mit der Regierung. Ohne den An trag Trimbvrn würde die Zcntrumspartci von vorn herein für keinerlei Verständigung zu haben gewesen sein. Ter Antrag Trimbvrn in der angenommenen Form aber sei für die Regierung kein Hindernis mehr, wenn im übrigen die Verständigung gelinge. Ter KlerikaliSmuS in Bayer». Da der bayerische Finanzminister v. Riedel erst kürzlich wieder für einen 3 .L nicht übersteigenden Geislenzoll ein- getrelen ist, so wird der „Ausgleich", nam dem ter Zoll auf Braugerste 4-L betragen soll, wenn der für Fuitergerste arg nur 2 -L normiert irird, dcn Gerückten Vorschub leisten, daß Herr v. Riedel bald nach seinem 25jährigen Ainis- jubiläum zurückirelen werde. Mit ihm würde eine der markantesten Persönlichkeiten aus dem bayerischen und dem bundesstaatlichen öffentlichen Leben verschwinden; auf seiner hervorragenden Begabung und Tüchtigkeit beruht ganz wesentlich der bestimmende Einfluß, den Bauern seit Riedels Tängkeit als BundesratSbevoNmächtigter (1872/77) und seiiber als Finanzmiiüster in der Leitung der Reichspolitik gewahrt hat. In Bayern selbst in dem unpopulärsten Amt außerordentlich beliebt und volkstümlich, würde Herr v. Riedel durch sein Scheiden eine schwer aue- zufüllende Lücke zurückl.iffen. Von den Nachfolgern, die für ibn genannt werden, erwärmt sich die Zenirumspreffe auf fällig für Len Bundesratsbevollmächiiglcn jZrbrn. v. Siengel, und da daö Zeinrum jetzt in Bayern allen Anlaß bat, mit der Berücksichtigung seiner Wümcke zufrieden zu sein, so darf man der Lösung der Nieccl-Frage mit Spannung cntgegeniehen. Iedensalls ist die Ncubeietzung des Postens des Kultusministers für das Zentrum günstiger aus gefallen, als es anfangs selbst zu hoffen gewagt. Das beweist nicht nur der Ausgang der Würzburger Streitfrage, durch den die klerikalen Gönner EbrouitS das, was sie nicht unmittelbar durchsetzen konnten, auf dem Wege eines von dem neuen Kultusminister zu stände ge brachten Kompromisses erieickt haben, sondern noch mehr der AuSgang des Weißenburger St>eilcs. Bei diesem handelt eS sich nickt nur um die lokale Frage, ob Weißen- bürg zwei Konseisionsichulen oder eine Snnultansckule er halten loll, sondein um eine grundsätzliche Entscheidung zu grinsten der Konfessionsschule, die über den Geist der bayerischen Schulgesetze und Verordnungen binansgeht. Die alte KonsessionSschulverordnung ließ die Gründung vou Simulianichulen zu, wenn „schultecknische Gründe" sie er fordern. Der neue Minister aber entscheidet: Sckultechnische Rücksichten dieser Art i leichtere Verwaltung und dergleichen) werden für sich allein in der Regel nicht die Zulässig keit der Umwandlung von Konfe sionsschulen in konfessionell gemischte schulen begründen können. Sie dürfen nämlich nur da iu Betracht gezogen werden, wo auch noch andere Gründe die Umwandlung rechtsirtigen oder wo beide Konfessionen in ihrer überwiegenden Mehrheit in dein Wunsche nach einer konfessionell gemischten Schule einig sind. Zu dieser Auslegung läßt die „Germania" sich aus München schreiben: „Tas ist eine hochbedcuisame Erklärung. ES ist eine derart enge Deklaration der fchultechnischen Gründe, daß diese kaum mehr ernstlich ins Gewicht fallen. W>r er blicken darin eine programmatische Kundgebung der Schul politik des neuen Ministers, eine ganz wesentliche Beseitigung des Konscjjionsjchulprinzips und eine Einengung der Simultan- Ichule aus ganz auß rorvenlüche Maßnahmen." In Uebereinstimmung mit der klerikalen Presse Bayerns erteilt das Zentrumsblatl dafür dem Kuliusminisler ein uneingeschränktes Lob. In der Tat, eS Hal allen Glunk, mit ihm zufrieden zu sein. Oefsentlichc Verbrennung von Bibeln, das ist das Neueste vom Schauplatz der österreichi sch c u L o s v o n R o m - B c iv c g u n g. In Apiing in Obcrtrain traten nämlich jüngst 18 Personen — übrigens nicht Deutsche, sondern Slowenen — z um Protestantismus über. Daraufhin begann die römisch-katholische Geistlich keit eine maßlose Hetze gegen diese Leute, die ihrer reli giösen Uebcrzeugung gefolgt waren. Nach berühmten Mustern erklärte u. a. der Aplingcr Pfarrer, Sinkovec, daß ne sich durch diesen Schritt vom Kaiser losgesagt hätten! Von der Kanzel aus forderte er auf, den — übrigens voll ständig aus dem Boden des Gesetzes tätigen — Bibclver- tciler, sobald er sich zeige, dem Pfarrer oder der Gendar merie anzuzcigcn. Infolge solcher geistlichen Hctzarbeit wäre der Bibcllvlporteur beinahe von den erregten katho lischen Bauern getötet morden. In einem katholischen Maurer und Hausbesitzer, Simon Azman in Sava, aber stieg der Glaubcnseiser bis zu der Siedehitze, daß er am 12. Oktober d. I. in Grobljc vor seinem Hause aus öffent licher Straße mehrere Bibeln mit Petroleum begoß und sie darin mit dem Ruf: „Man muß dcu lutherischen Teufel verbrennen!" anzundctc. Ter Laibacher Staatsanwalt, der in der Konfiskation evangelischer Schriften einen be wundernswürdigen Eifer entwickelt, hat sich bisher nicht bewogen gefühlt, gegen diese „Herabwürdigung von Ein richtungen einer im Staate gesetzlich anerkannten Kon session" und die Bedrohung friedlicher protestantischer Staatsbürger irgend etwas zu unternehmen, obgleich die Laibachcr Presse ibn wiederholt auf diese Pflicht aufmerk sam gemacht hat. Diese „Duldsamkeit" österreichischer Be hörden gegenüber dem Vcrbrenncr von Bibeln sticht merk würdig ab von dem großen Eifer derselben, als cs sich darum handelte, den Herausgeber des Innsbrucker „Scherer" wegen Verbrennung eines herausfordernden Hirtenbriefes des katholischen Fürstbischofs von Trient zur Verantwortung zu ziehen. Es handelt sich allerdings nur nm die Bibel und um den Schutz von Protestanten, die in dem von ultramontancn Katholiken beherrschten Oester reich bekanntlich eine ganz wunderliche Art von „Gleich berechtigung" genießen. Annähcrvug zwischen der russische« Regierung und dem Vatikan. Zwischen Petersburg und dem Vatikan findet gegen wärtig ein sehr lebhafter Notenaustausch statt, und vor allem zeigt Rußland dem Vatikan gegenüber ein be merkenswertes Wohlwollen, soweit dabcl dle religiösen Interessen der katholischen Bewohner des weiten Zaren reiches in Betracht kommen. Ob vielleicht auf der andern Seite die russische Diplomatie von: Vatikan betreffs der Katholiken Russisch-Polens gewisse Bürgschaften im stillen sich ausgewirkt hat, entzieht sich vorläufig jeder Kenntnis. Tas Mitglied des russischen Reichsrates, Graf Sergius Tymitrowitsch Schema , ff der als der Nach folger Pl't'! co"eöeff . des Oberprokurators des heiligen Lynod, gilt, hatte vor kurzem eine Audienz beim Kardinal Rampolla, und wurde auch vom Papst empfangen. Diese Nomrcise des russischen Grafen hängt aber durch aus nicht, wie einzelne Blätter annehmen, mit der, wie cs heißt, für das nächste Frühjahr geplanten Romreise des Zaren Nikolaus zu sammen, wobei derselbe auch dem Papste einen Besuch ab statten will. Für sämtliche Vorkehrungen dieses Besuches würde ja der ständige russische Gesandte in Rom genügen. Vielmehr betrifft die Romreise des Grafen Sckeiemaneff die Lage der katholischen Kirche in Rußland, und ins besondere die Rückbcrusung des von der russischen Regie rung erst in diesem Jahre nach Twer verbannten katho tischen Bischofs Zwierowicz von Wilna, sowie die Ver hältnisse verschiedener katholischer Bistümer in Polen und Litthaucn. Bischof Zwierowicz, der augenblicklich noch in der Verbannung in Twer lebt, kommt als Bischof nacü Sandomicrz an der Weichsel in Russisch-Polen, kehrt also in eine polnische Diözese zurück, nachdem er als Obcrhirt einer solchen (Wilnas vor etwa dreiviertel Jahren von der russischen Regierung entsetzt worden war. Das ist ein bedcntsamcr Schritt der russischen Regierung nnd ein Akt sehr versöhnlicher Nachgiebigkeit der russischen Ortho- dvric gegenüber der katholischen Kirche. Die Installation des Bischofs erfolgt binnen kurzem. Ter Bischof lehrt aus Twer, wo er sich jetzt noch in der Verbannung be findet, über Moskau nach Warschau zurück. In Warschau — wo man ihn in kürzester Frist erwartet — wird er, wie üblich, vor dem Gcneralgouvcrneur Ezcrtkow den Ei der Trene leisten und dann sofort sein Bistum über nehmen. Tie Route Twer-Moskau-Warschau ist dem Bischof von der Regierung angewiesen worden, damit er nicht nach Petersburg kommt. In letzterem Falle würde Bischof Zwierowicz, um aus Petersburg nach Warschau zu gelangen, über Wilna fahren müssen, und dies wird nicht gestattet. Die Negierung befürchtet nämlich eine Lvation der Bevölkerung anläßlich der Durchfahrt des verbannten Bischofs durch seinen früheren Bischofssitz. Betreffs der Neubesetzung des Wilnaer Bischofsstuhlcs ist noch keine Entscheidung gefallen. Die russische Regierung wünscht vor allem keine schnelle Erledigung dieser Frage, die von den Petersburger Kreisen mit allergrößter Vor sicht lchandelt wird. Der Prälat des Wilnaer Domkapitels Trvnckicwicz, der zum Administrator der Wilnaer Diözese ernennt wurde, soll dieses Amt noch ans geraume Zcit wciterführen. Ungünstige Zustände in Transvaal. Aus Johannesburg, 1. November, schreibt man uns: Unter den Verwaltungen, welche täglich zu Ber- ^errilleton. 29 Das Findelkind. Rvman von Ernst Georg y. Nachdruck verboten Er konnte auch keine Auskunft erteilen. „Das Beste ist wohl, wenn ich selbst nach dem Rechten schaue. Der General hat immer viel Geld im Hanse. Man kann sich auf unfern französischen Affen, den Haus meister, doch nicht verlassen. Wahrscheinlich hat er die Räume drüben nicht ordentlich abgeschlossen!" brnmmtc die Krüger. Sie erteilte Iwan den Befehl, mitzulommcn. Erna schloß sich ihnen an. Leise schlichen sie durch den Speise saal, die Salons und das Schlafgcmach zu dem Adjn- tantenzimmcr, neben dem die Bibliothek lag, in der Graf Wosakin arbeitete. Ein feines, bohrendes Geräusch, wie wenn man Eisen seilt, drang zu ihnen. Alle zuckten zu sammen. Also war wirklich ein Dieb an der Arbeit! „Bleiben Sie ganz still hier!" flüsterte die Krüger. „Ich hole die anderen Diener und lasse die Ausgänge besetzen. Die Mans sitzt in der Falle. Iwan löeibt zu Ihrem Schutze da, oder haben Sic Angst? Ich würde Sie gern schicken und selbst hier bleiben: aber Sic können die Leute so schlecht an Ort und Stelle bringen, weil Sie lcln Russisch verstehen!" Sic sagte dem zitternden Diener noch einige Worte und huschte hinaus. Erna blieb mit ihm im Dunkeln zurück. Minuten verstrichen. Nebenan klirrte etwas, dann wurde cs toten still. Das junge Mädchen näherte sich vorsichtig der Tür und schob die verdeckende Portiöre zur Seite. Ein schwacher Lichtschein fiel durch die Spalte, also war die cisenbeschlagcne Eichentür nicht ganz geschlossen. Sorg sam vergrößerte sie die Ocffnung und spähte hinein. Ihre Ncttgier wich einer atembetlemmenden Angst. Bor Schreck wurde sie cislalt. Der Mann, welcher dort, in der Tracht eines Lakaien, den Schreibtisch Wosakins zu erbrechen versuchte, war kein anderer wie der Pole Przcwslu. Obgleich seine Haare und Augenbrauen blond gefärbt, sein Gesicht glatt rasiert war, erkannte sie ihn. Der Unglückliche! Arme Tatiana! Er wurde er griffen, als Dieb gefangen, als längst gesuchter Ver brecher gerichtet. Wenn er ihre Teilnahme an -er Ver schwörung verriet, wenn er sich an dem bedauernswerten Mädchen rächte?! — Blitzschnell erwog sie alles. AuS dieser Entdeckung konnte für die Eltern wie für die Tochter nur Unheil erwachsen. Er durfte nicht gefunden werden! Schon hörte sie die Verfolger auf der Treppe. Jetzt schlichen sie in den Saal. Rasch entschlossen stürzte sic vorwärts, die Tür hinter sich zuschlagcnd. Der Pole blickte entsetzt ans die Eintrctendc, er hatte keine Zeit mehr, die Blendlaterne zu löschen. „Fliehen Sic, Przewskn, fliehen Tic! Springen Sie aus dem Fenster, sonst nimmt man Sic gefangen!" rief sic in ihrer Aufregung deutsch. Er mußte sic wohl nicht verstanden haben. Bei der Nennung seines 'Namens sprang er wie ein Panther auf sie zu uud versetzte ihr einen Stich mit einem Instrument. Sie sprang znr Seite, fühlte aber die kalte, scharfe Schneide in ihren Arm dringen. Tann raste er durch das nach der anderen Seite liegende Schreibcrzimmer zur schwarzen Treppe. Aus Ernas verwundetem Arm rieselte das Blut. Sic achtete nicht darauf, denn die Dienerschaft eilte hinzu und nahm die Verfolgung auf. Vom Hose her ertönten die Rufe: ,<Haltct ihn, haltet ihn!" Halb bewußtlos vor Angst, stürzte sic hinterdrein auf die Straße. Sic sah den Polen in einiger Entfernung davonrascn, sah ihre Diener dicht dahinter. Jetzt stürzten sich ihm zwei Gardevois (Schntzleutci entgegen. Er wurde ergriffen und überwältigt. Verloren! — Von der Aufregung nnd dem Blutverlust erschöpft, sank Erna ohnmächtig zu Boden. Als sic erwachte, lag sie in der Loge des Schweizers, und der alte Wassili beugte sich über sie. Fran Krüger stand daneben und musterte sie mißtrauisch. Erna ermunterte sich mühsam; cs dauerte einige Zcit, ehe sic die klare Besinnung wiedcrfand. „Ist er gefangen?" fragte sie. „Gewiß! Gottlob! Aber nun erklären Sic mir, was Ihr Ruf: „Fliehen Sie!" bedeutete. Ich war starr darüber! Nur Feodor, der an der schwarzen Treppe stand, ist eS zu danken, daß man ihn in der richtigen Richtung verfolgte. Bitte, Fräulein Bolmann, ich wünsche Ihre Antwort!" „Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig, sondern werde sie nnr dem Grafen geben!" entgegnete Erna stolz. „Lassen Sie Ihre hochmütige Miene, verstehen Sie!" rief die Wirtschafterin zornig. „WaS ich gehört habe, lasse ich mir nicht abstrcitcn! Warum machten Sic die Tür zu? Damit wir nicht schnell genug hinein konnten? Sie sind ja nett! Na, der Prtstaw wird Sie schon zur Antwort zwingen, er wirb bald hier sein!" Dieser (der Polizeivorstand) und zwei seiner Beamten erschienen, uni den Tatbestand aufzunchmen. Die Krüger gab aufgeregt ihre Aussage und erzählte alles. Erna ver weigerte ihre Aussage. Der Pristaw, von ihrer Schönheit und Haltung betroffen, redete ihr freundlich z«. Tie bat nmSchonnng und um dieErlaubnis, nur dem Grafen ihre Erklärung machen zu dürfen. Der Mann, welcher sehr gut deutsch sprach, sah, daß seine Bemühungen nichts fruchteten. So leid es ihm tat, er mußte das vornehm aussehende, junge Mädchen zur Untersuchung sortführen lassen. Ernas Wunde wurde verbunden, dann stieg sie totenbleich iu den bercitstchcndcn Wagen. Im Utschastok (Polizeirevier-Gebäude) wurde ihr eine saubere Kammer für die Nacht angewieseu. Als die Tür hinter ihr ver schlossen wurde, sank sic auf den Stuhl, der neben dem kleinen Tisch stand, nieder und brach in heißes Schluchzen aus. Sic, Erna Bolmann, gefangen, daS war das Letzte! — Am anderen Morgen gegen elf Uhr kehrten der Graf und seine Gemahlin aus Petcrshvf zurück. Entsetzt hörten sie, was sich begeben hatte. Wosakin fuhr sogleich nach dem Utschastok, um sich persönlich nach Erna zu erkundigen. Er war gerade fort, als Ludwig Antok in das Palais trat und nach Erna fragte. Da er das Russische beherrschte, war er in der Lage, mit dem alten Schweizer zu plaudern. Der Greis crzäbltc ihm aufgeregt den Hergang nnd die Verhaltung der schönen Deutschen. Auf das Höchste er schreckt, verlangte der junge Bildhauer, zur Gräfin geführt zu werden. Diese empfing ihn nach langem Hin und Her. Sic weinte selbst und wanderte ratlos auf und ab. Ehe man etwas unternahm, mußte die Heimkunft des Grafen ab gewartet werden. In der Zcit offenbarte Ludwig der vor Erstaunen sprachlosen Frau, daß die Gesellschafterin ihrer Tochter nicht die einfache Erna Boimann, sondern eine vornehme Aristokratin, die Nichte ihrer Schwägerin, sei. Er erklärte ihr eifrig, wie diese romanbafte Tatsache entstanden. Aufmerksam lauschte sic, und so überhörten beide, daß gegen halb ein Uhr der Wagen cinfuhr. Sic schreckten auf, als der General in blitzender Uniform unter der Portiere erschien. „Sv, Liebste, hier bringe ich dir unsere heldenhafte, schuldlose, jnnge Freundin! Wir haben viel an ihr gut zu machen!" sagte er warm. Er hatte den Arm um daS bleiche, junge Mädchen geschlungen und zog die Wider strebende mit sich. Erna trat schwankend ein. Sie erblickte Antok und, überwältigt von allem, stürzte sie mit dem aus tiefstem Herzen kommenden Jubelschrei: „Ludwig, du! Ach endlich, endlich!" auf ihn zu. Er öffnete die Arme und zog sic fest an sich, sie mit seinen Küsten und Liebcsworten überflutend. Tie Wosakins hatten sich diskret zurückgezogen. Sie erzählten sich gegenseitig, was sic gehört und gesehen. Als endlich Erna, hcißglühcnd, doch Ludwigs Hand fest in der ihren, zu ihnen trat, erhob sich der Graf. Er umarmte sic und drückte einen Kutz auf ihre Stirn: „Ich grüße, Jutta Wingirslaja, als meinen Gast, als die treueste, er probteste Freundin unseres Hauses!" Auch die Wosa- kiua umarmte und küßte die iviedergcfundenc Komtesse. — Betreten schaute Erna von einem zum anderen, bis Antok sie auftlärte: „Ja, Geliebte, du hörst die Wahrheit. Du bist die Tochter der Gräfin Lantow, und in wenigen Tagen wird deine Mutter dich an ihr Herz drücken!" Drei schöne, herrliche Tage voll süßen Glückes, voll bangender Hoffnung verstriche» für das junge Mädchen. Sic war der gefeierte Mittelpunkt des Hauses, wurde ge hegt und gepflegt und mit Geschenken überschüttet. Ihre Armwnndc zwang sie, sich ruhig zu verhalten. Und wie gern lag sic in dem prachtvollen Salon auf dem Divan und p änderte mit dem geliebten Bräutigam, während die Gräfin mütterlich besorgt neben ihnen saß. Dann kam ein Nachmittag, wo Ludwig mit seiner Braut, in der Wosatinschen Equipage, durch die Straßen zum Hafen fuhr. Die Jacht war angckvmmen nnd hatte Anker geworfen. Graf Lantow führte das zitternde Mäd chen über die leichte Schiffsbrücke auf das Deck. Dort saß Karla in einem Sessel. Bebend streckte sie die Arme aus, jauchzend unter Tränen erklang ihr Ruf: „Jutta, mein Kind!" Und mit dem Worte: „Mama!" stürzte Jutta vor der geliebten Frau zn Boden. Die beiden umschlangen sich und schluchzten Brust an Brust vor unnennbarer Wonne. Auch Lantow, die beiden Druzins, Lndovika und Viktor Lantow konnten die Tränen nicht zurückhalten. Als die Gräfin endlich aufsah, ihre rechte Hand von Juttas Schulter löste und in ihrer milden Art dem etwas abseits stehenden Bildhauer zuricf: „Ludwig, lieber Sohn, willst du mich nicht auch begrüßen ?" —, da schrie das junge Mäd chen in unfaßbarem Glück aus. «ie blickte von der wieder gefundenen Mutter auf den Geliebten. Sie sah die beiden teuren Menschen Hand in Hand, und sic wußte, — das Glück war gekommen. Es war gesichert! End«.
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