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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190211309
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19021130
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19021130
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- unvollständig, Seiten 8303 -8306 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-30
- Monat1902-11
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1902
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' abcllarischer und Ziffernsatz entsprechend hoher. -- Gebühren für Nachweisungen nnd Ofsrrtenannahme LS H (rxcl. Portal Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit d?> Morgen-Ausgabe, oh»« PostbefSrderung -äi SO.—, mit Postbefördernng 7V.-> Zinnahmeschluß für Anzeige«: Ab«ud-Su-g<ch«r vormittag« 10 Uhr. Morg«»«AuSgader Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochtntagS anunteli i ochen geöffnet von früh S bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol, in Leipzig. Stu 609. ! Äonntash den 30. November 1902. 96. Jahrgang. Aus der Woche. Spät genug, aber hoffentlich noch rechtzeitig ist eS in der Angelegenheit des Zollt arifs „zum Klappen" gekommen: die Verständigung zwischen Negierung und MchrheitSvarteien wurde endlich erreicht. Nachgegeben haben dabei beide Teile, doch die Regierung zweifellos weniger als die Rechte und das Zentrum. Denn jene räumte nur eine» höheren (4 Zoll auf Braugerste und die Ermäßigung einiger Indnstriezölle rin, Zentrum und Rechte dagegen finden sich in die übrigen Getreide- und Jndustriezollsätze der Regierungsvorlage nnd verzichten auf Minimalzölle für Vieh und Fleisch, sowie für Futtergerste. Ihrer Festigkeit sich zu rühmen, hat gleichwohl die Reichsregierung keinen Anlaß. Vom Zentrum sowohl, wie von den nicht völlig unter die Zuchtrute der Führer des Bunde« der Landwirte gebeugten Konservativen wußte man längst, daß sie ihr „letztes Wort" noch nicht gesprochen. Die Regierung aber war mit so viel Auswand von Fischbein im Korsett aufgetreten, daß man selbst von ihrer geringen Verbeugung vor den „Kompromißparteien* wenigstens da überrascht sein mußte, wo man so gern an ihr weiteres Be harren in aufrechter Stellung geglaubt hatte. Und wenn sic dran doch einmal das „Umfallen* mitmachen wollte, so hätte sie sich wenigstens früher dazu entschließen sollen. Je länger sie sich sträubte, um so ausfallender machte sie ihr Entgegen kommen und nm so mehr erschwerte sic die parlamentarische Vollendung de« mit der Mehrheit gemeinsam revidierten Bauplanes. Immerhin kam die Verständigung noch recht zeitig, um zu bewirken, daß im Reichstage kein Termin siir da« Inkrafttreten des neuen Tarifs festgelegt, sondern die Entscheidung hierüber Kaiserlicher Verordnung mit Zustim mung de« BundeSratS überlassen wurde. Damit war ein weiterer Streitpunkt von großer Bedeutung aus der Welt geschafft. Der Nmsall des Zentrums und der Rechten würde in der öffentlichen Erörterung einen breiteren Raum in Anspruch grnommen habe», wenn nicht der Antrag Kardorff alles Interesse auf sich gelenkt hätte. Auch von der national- liberalen ReichStagSfraktion mit verschwindenden Ausnahmen gebilligt und von den nationalliberalen Parteiführern mit- eingebracht, bezweckt der Antrag Kardorff die en i>Iuc- Annahme des ganzen Tarifs, wenige Positionen abgerechnet. Mit der Möglichkeit, so zu verfahren, hatte sich die Opposition gegen den Tarif nicht vertraut gemacht; si: verfiel daher in ihrem sozialdemokratischen Bestandteile buchstäblich der Tob sucht, als der Antrag Kardorff eingebracht war. llnd diese Tobsucht steigerte sich bei der noch nicht beendeten Erörterung über die Zulässigkeit des Antrages so, daß der Präsident am Freitag zum ersten Male seit dem Bestehen des Reichstags die Sitzung unterbrechen mußte. Man kann ohne weiteres zugeben, daß der normale Weg die Durchberatung des Tarifs nach seinen einzelnen Nummern gewesen wäre. Sollte aber dieser Weg beschritten werden, dann war die Voraussetzung dafür ein normale« parlamen tarische« Verhalten der Minderheit. Die Sozialdemo kratie indessen hatte längst mit dem Versuche begonnen, im Reichstage jene Art der parlamentarischen Tollheit cinzn- bürgern, die in Deutschland glücklicher Weise noch als anormal gilt: die Vergewaltigung der Mehrheit vermittels der Obstruktion. Beweise der letzteren sind die zahllosen Anträge ans namentliche Abstimmungen, die Häufung aus sichtsloser Anträge über die Verwendung der Mehrerträge au« den Zöllen, die Ankündigungen Bebels, daß zu der Be ratung de« Tarif« 700 Anträge auf namentliche Abstimmung gestellt werden würden. Solches Gebaren hat niemand schärfer al« das Organ des Abgeordneten Eugen Richter bekämpft nnd gebrandmarlt, weil c< eine Satire auf den Parlamentarismus sei. Noch am kritischen 27. November wandte sich die „Freisinnige Ztg." gegen de» sozialdemo kratischen Mißbrauch der Geschäftsordnung, „den Willen der Mehrheit, auf dessen Geltung doch der ganze Parlamentarismus beruht, überhaupt nicht zum Ausdruck kommen zu lassem" Diesem Terrorismus gegenüber war eS ein Akt der Notwehr, wenn die Mehrheit eine nach ihrer lleber- zeugnng zulässige Auslegung der Geschäftsordnung sich zu eigen machte nnd die Anwendung deS abgekürzten Verfahrens beschloß. Tie Mehrheit hat ein um so besseres Recht hierzu, je notwendiger die gesetzliche Festlegung der neuen Zollsätze für den Abschluß vorteilhaster.HandelSverträge ist (aus welchen Gründen baben wir wiederholt dargelcgt) und je mehr da« Land die end losen Zolldcbatle» satt hat. Das Echo PachnickeS, die srei- bandlerische „National ztg.", tut freilich so, al« ob cs sich jetzt noch um eine sachliche Prüfung der gesamten Zollsätze bandelte. Dieser Vmwand und die „Empörung" über die Haltung der nationalliberale» Fraktion offenbaren lediglich, wie sicher die „Nat.-Ztg." auf daS Scheitern des Tarifs ge rechnet hat. klebrigen« muß selbst diese« Blatt zugebc», daß die Anwendimg einer außergewöhnlichen Maßregel nur eine Frage der Zeit sei und durch weitere sozialdemokratische Schikanen zur moralischen Pflicht werden könne, llnd da die Mehrheit an der Fortsetzung dc« schikanöse» Verhallen der sozialdemokratischen Opposition nicht zweifeln kann, so ist ani wenigsten die „National-Ztg.* berechtigt, dieser Mehr heit das Abirren vom Wege der Pflicht vorzuwersrn. „An den, der hat, kriechet der Neid heran!" Seit Sophokles in seinem „AjaS" so gesprochen, ist der Parteihaß des Neides Geselle geworden. Vereint zu schimpflichem Bunde, trachten beide darnach, die „Habenden" zu sich hinab in den Kot zu ziehen, mag nun die „Habe" Ruhm oder Reichtum, Schönheit oder Macht, Wissen oder Können sein. — AIS die Verkörperung der Parteihasse-, der „Vor wärts", jetzt zum Schlage gegen Krupp ausholte, geschah es unter der MaSke der Menschlichkeit, mit dem Vorgehen, daß nur die Notwendigkeit der Aushebung des tz 175 des Straf gesetzbuches dargetau werden sollte. Al« ob, wenngleich die Wissenschaft jenen Paragraphen in der Hauptsache preis gegeben hat, ter öffentliche Vorwurf der Verfehlung gegen ihn nicht gleichbedeutend wäre mit der schwersten Erschütter ung der gesellschaftlichen Stellung de« Beschuldigten! Und al« ob die Seelenqual eines wirklich Belasteten durch die öffentliche Denunziation nicht ins Unerträgliche ver größert würde! Daß aber Krupp wirklich einer der letzteren war, dafür sehlt jeder Beweis, immer neue Zeugnisse hin gegen weisen aus ruchlose Erpressung als auf die Quelle aller Anschuldigungen zurück. Daß diese vom Kaiser in der doppelten Eigenschaft des Freundes und des ReichSober- hauptes in der ergreifendsten Art gegeißelt worden, ist ein Heller Lichtblick in dem düstern Bilde der ganzen trauervoUeu Angelegenheit. Dieselbe eindringcnde Beredsamkeit, mit welcher der Kaiser die sozialdemokratischen Giftmischer kennzeichnete, bewährte der Kurator der Bonner Universität von Rvttenburg, indem er vor dem Kronprinzen dcS Deutschen Reiches anläßlich LeS Rektorwechsels eine Lanze jür die Freiheit der Wissenschaft brach. Man kennt die „gewissen Kreise", welche die wissen schaftliche Forschung in bestimmte Grenzen bannen wollen; mau weiß, welchen Geistern die theologischen Fakultäten in dieser Richtung als Sprungbrett dienen soll. Und deshalb ist es wahrhaft erquickend, wenn ein Mann an der einflußreichen Stelle eine« Rottenburg beweist, daß er auf der Höhe der besten Traditionen des preußischen Beamtentums steht. Die Gleichgültigkeit der Zeitgenossen gegen die Kirche. Vor hundert und etlichen Jahren schrieb Schleiermachcr seine berühmten „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern". Manche- davon trifft noch zn. Doch hat sich die Situation insofern verändert, als über Verachtung der Religion als solcher heute nicht zu klagen ist. Selbst in der sozialdemoktratischen Presse sind Stimmen dcS Inhalt- laut geworden, daß man mit diesem Faktor, als einem nicht verächtlichen, nach wie vor rechnen nnd zwischen Religion und Religiosität unterscheiden müsse. Aber die Gleichgültigkeit gegen die besondere Gestaltung dcS religiösen 'Lebens in der Kirche ist zur Zeit größer al« je, und rS ist der Zweck des Nachstebenven, diese Tat fache dem ernsten Nachdenken aller Gebildeten zu em- pscblen. Vorher rin Wort zu ihrer Erklärung, und zwar auS der pfarramtlichcn Praxi«. „Ich gehöre", sagte bei Gelegenheit ein Leipziger Professor, „durch den Zufall der Geburt der katholischen Kirche an und ich denke dabei ;u bleiben. Tenn wenn iw auch, ans meine Gesinnung und GcisieSriwtnng angesehen, Protestant bin, so würde doch mein Uebcrtritt zur evangelischen Kirche eine neue Unwahrheit sein." Warum nnd wie ? „Weil iw mich der evangelischen Glaubenslehre ebenso entfremdet süble, wie der kalbolische». Mögen die Theologen über ihre llnterscheidnngSlchrcn weiterhin streiten: jür unser einen baben sic keine Bedeutung." Hatte der Mann Recht? Wir werben sehen. Ein anderer meinte: Anstatt die Gleichgültigkeit auf kirch lichem Gebiete ;u beklagen, sollte man sich darüber freuen; „denn sie ist eine Folge der zunehmenden Erkenntnis, daß man in ter einen wie in der andern Kirche ein rechtschaffener Manu, ein braver Familienvater, ein opferwilliger Patriot n. s. w. und anw in beiten von tem allen das Gegenteil sein kann." Da« ist nnit gewiß ricklia, und wie beklagens wert — es wird sich bald zeige», warum? — die Gleichgültigkeit, insbesondere ter Evangelischen, gegen die Kirche sein mag: rir Zeit, in ter Katholiken und Protestanten einander bis aufs Blut haßten und sich gegenseitig da« Recht auf den christlichen Namen absprachen, wüuscht niemand zurück. Aber damit allein ist die kirchliche Indifferenz nicht zu begründe». Nnd »och weniger freilich mit dem vorder Bemerkten, ich meine mit dem Hinweis auf die angeblich so geringe und für den Gebildeten nicht in Be tracht kommende Differenz zwischen den Dogmen der einen und der anderen Kirche. Denn der wesentliche Unterschied zwischen Katholisch nnd Protestantisch besteht nicht in dem „etwas mehr oder weniger für wahr hallen", sondern in dem Gegensätze zwischen Abhängigkeit ans der einen Seite und sittlicher Selbständigkeit nnd Freiheit ans der andern. Nnd das nicht bloß auf dein religiösen Gebiete, sondern, eonsegnentcr Weise, auf jedem. Es ist nicht zufällig, daß die Mehrzahl der katholischen Ehristen auch auf dem politischen und dem sozialen Gebiete reu Weisungen von Rom folgt; denn die Hierarchie versieht sich darauf, sie als Forderungen der Kirche darzustellcn, der die Laien, weil sie im Namen Gölte« redet, Vertrauen uuo Gehorsam schulden. Ma» hört oft sagen: „Nun in der evangelischen Kirche gibt - auch „kleine Päpste"; sie vermögen nur nicht so viel auSzu- richten wie der große in Rom". Das muß leider zugestanden werden. Aber man übersehe nicht, daß in dieser Bemerkung auch der u»S mit der ttiicrsrenlichcn Tatsache versöhnende Unterschied mitangezeigt ist. Die Herrschaft der „kleinen Päpste" hat nicht viel zn bedeuten, nnd slcsrichtrt sich, weil sie im Widerspruch mit den Grundgedanken?der Reformation stehl, von selbst. Die Herrschsucht de« großen Papstes hin gegen ist nichts Zufälliges oder nur Zeitweiliges; denn sie gehört zum Snstem und wer sich dagegen auflehnt, hört auf, katholisch zu sein. Welch ein Unterschied! Auch da« preußische Kirchenregiment kann einen evangelischen Theologen wegen mangelnder „Nechtgläubigkeit" ans dein Amte entfernen, aber es kann ihn nicht exkommunizieren und nicht einmal ver hindern, daß er andcrSwo als Prediger angeftellt wird. DaS wäre nun freilich nicht möglich, wenn die evangelische Kirche genau wie die katholische organisiert wäre und wie diese ein und demselben Regiment unterstünde. Oder baben sic Reckt, die uns bewundernd aus die straffe Einheit der katholischen Kirche Hinweisen und sagen: „ja, wenn wir die auch hätten,dann wäre uns geholfen'?" Nein, gar nicht, ihr Kurzsichtigen! Eine nach dem Vorbild-der katholischen organisierte evangelische Kirche, — ja wohl: eine große einzige, könnte dem Staate hin und wieder ebenso unbequem werden wie jene, während sie es in ihrer gegenwärtigen Verfassung und in Landeskirchen ge teilt nicht kann. Aber abgesehen davon: wozu Unmögliches wünschen? Tie Reformation mußte mit ihrer Proklamation der Ge wissensfreiheit zn kirchlichen Sondergemeinschaflcn führen, und deren Bestehen bietet außer dem ebcngcnannten dcu Vorteil, daß innerhalb der evangelischen Ehristenbcit den verschiedenen religiösen Bedürfnissen der einzelnen genügt werden kann —, beiläufig auch dem des eingangs genannten Gelehrten, als ich ibn äus eine kirchliche Gemcinschast hinWicS, in die er eintreten könne, ohne seine individuelle Ueberzeugung verleugnen zu müssen. Und das ist doch Wohl die Hauptsache. Tenn die Kirche ist der Religion wegen da und nicht Selbstzweck. Ihr Berus isr nicht, zu herrschen, sondern zn dienen, llnd diesen Beruf bat die evangelische Kirche seit bald lOO Jahren an unserem Volte erfüllt. Fern sei cs, dir Wirksamkeit der katholischen Kirche hcra'ezn'etzen und zu leugnen, daß ibre Art und Weise, insbesondere ihr fermenreichcr Kultus, noch dem Bedürfnis vieler entspricht. Aber Tatsache ist doch, daß wir den Fortschritt aus allen Lebensgebieten dem Protestantismus verdanken. Unsere größten Denker, Dichter, Staatsmänner, unsre Goethe, Schiller, Lessing, Herder, unsere Philosophen: Kant, Schelling, Fichte, Hegel und so viele andere sind al« von Nom ab hängige Katholiken undenkbar. Man redet gelegentlich von „katholischer Wissenschaft". Das ist eigentlich ein Unding. Denn eS gibt ebensowenig eine katholische Wissenschaft ans geschichtlichem und natur geschichtlichem Gebiet, wie eine katholische Mathematik. Ver steht man aber darunter die Wissenschaft der katholischen Gelehrten, so liegt am Tage, daß sie kein: freie ist, weil sie vor den Entscheidungen der Kirche Halt machen muß und daß es nicht zufällig ist, daß die sogenannte „katholische" Wissenschaft, waS ihre Ergebnisse und die Zahl ihrer Ver treter betrifft, hinter der protestantischrli, die frei von tirchlichrr Bcvvrniundilng ist, weit znrücksteht. Alle Lehrstühle der deutschen Universitäten, oder auch nur die Hälfte derselben, mit katho lischen Gelehrten zn besetzen, ist schlechthin unmöglich. Denn cs gibt nicht so viele. Daß die Sozialeemokratric, weil ihr die Religion „gleichgültige Privatsache" ist, auch siir den Unterschied der Kirchen kein Verständnis hat, kann nicht befremden; aber be fremdlich und dazu beklagenswert ist cs, daß es auch den meisten Freis innigen — außer den Nationalliberalen so ziem lich allen — daran fehlt. Denn dem verdanken wir die Macht deS Zentrums, dem die wachsende Zabl der Klöster, die, schon rein volkswirtschaftlich betrachtet, von Ucbel sind, dem, daß der deutsche Reichstag die Zulassung der Jesuiten beschließen konnte! Derselben Leute, deren zugesrandcne Mission eS ist, alles protestantische Wesen, nach Anleitung dcS SvllabuS, zu bekämpfen. Aus die Frage: wie das zu ändern sei, lann bier nicht näher cingegangen werden. Nur soviel noch: nickt polemisch, nicht durch Erwiderung gehässiger Angriffe. Ter gebildete Protestant macht mit dem Grundsätze der Toleranz Ernst. Auch in den Schulen mag diese gepflegt werden. Alles Schmäbcn der Andersgläubigen ist unwürdig. Aber eine- kennte und sollte von den evangelischen Lehrern und Pre digern mcbr geschehen. Sic sollten über dem biblischen Ge- schichtS- und KalechiSmuSnnterricht nicht versäume», die Jugend mit den Männern bekannt zu machen, denen wir die Reformation verdanken, insbesondere mit Luther, den sogar ein katholischer Gelehrter ersten Ranges (ft. Döllinger), der Wahrheit die Ebre gebend, den „größten Deutschen" genannt bat, und sollten, war wichtiger ist als alle Dogmatil, den Grundsatz der evangelischen Gewissensfreiheit den junge» Seelen jo tief cinpräge», cast sic i» reifere» Jahre» vor der Versuchung belüftet bleiben, diese wertvollste Errungen schaft de« menschlichen Gentes, „nach berühmten Mustern", zu unterschätzen. O. 1). Deutsches Reich. --- Berlin, 20. November. (Das Zcntru m z wiscken recht« und liiik-ft Die „Kölnische Volkszeitung" konstatiert mit einem Seufzer der Erleichterung, daß innerhalb des Zentrums die Einmütigkeit bezüglich des ZolllarisS hergcstcllt sei. Sie nennt diese Tatsache „hoch erfreulich" und sic meint: „Nach der parteipolitischen Seite ist damit die Hauptschwierigkeit beseitigt." Die Hauptschwicrigkeit gewiß; denn wir können c« sehr gut versieben, daß cs jür daS Zcntrnm eine Wvnnc ist, endlich wieder einmal in einer so wichtigen Frage geschlossen austrctcn zu können, nach dem im letzten Jahrzehnt eie Partei wiederholt bei den wichtigsten wirtschaftlich.» nnd politischen Gesetzen auSciuaudcc- gcsallen ist. Aber eine andere Schwierigkeit besteht noch: der gesamten Wählerschaft deS Zentrum« die Haltung der Partei mundgerecht zu machen. In derselben Stunde, in der die „Köln. VolkSztg." sich über die Einmütigkeit der Zentrums-Fraktion erfreut, drückt die aristokratisch katholische „Rheinische Volksstimme" ihre Entrüstung darüber an«, daß die Mehrheit der Zentrumsabgeordneten sich dazu hat bereit finde» lassen, die KommisstonSbestimmuug, daß der Zolltarif spätesten« bi« zum 1. Januar 1905 in Kraft treten solle, wieder fallen zu lassen. DaS Blatt verhöhnt die Erllärung der Abgeordneten Di'. Spahn, daß die Ab schwenkung an« Liebe zur Landwirtschaft geschehen sei, mit dem Ausrufe: „Wer tackt da?" Wenn diese« agrar katholische Blatt schon hierüber so empört ist, so wird c« natürlich mit dem Zurückweichcn de« Zentrums auf die Regierungsvorlage noch viel weniger einverstanden sein. Ob gleich also das norddeutsche Zentrum weit über die Zollsätze hinauSgcht, die eS 18S8/4 sestsetzen half, dürfte es nach dem Zustandekommen des Zolltarifs mit dem niederrheinischcn t^rgan nnd seinem aristokratisch-agrarischen Anbange ebenso heiße Gefechte anSzukämpsen haben, wie ,m Jahre 1891, nur daß jetzt die Wahlen viel näher vor der Tür stehen und daß deshalb die Rebellion eines Teile« der Wählerschaft viel fataler ist als damals. Gibt aber nach der Meinung der niederrheinischcn katholischen Aristo kratie da« Zentrum der Landwirtschaft zu wenig, so gibt eS ihr nach ter Ansicht vieler katholischer Arbeiter im rheini schen Industriegebiete und in Oberschlesien erheblich zu viel. Insonderheit dürsten sich die radikalen Polen ui Ober schlesien die Zustimmung de« Zentrums zu dem Zollyesetze gründlich zn Nutze machen. Man weiß, daß die radikalen Polen Gegner jeder Zollerhebung sink, weil sie damit besonders bei der industriellen Bevölkerung des oberschlesischen Greii;gebietS, die allerdings von der Erhöhung der Zölle, der Verschärfung der Grenzkontrolle und dem Verbote de; zollfreien Einfuhr geringer Mengen von Lebensmitteln har! betroffen wird, viel Anklang findet. Da nun die radikalen Polen Liesmat in einer ganzen Reihe oberschlesischer Wahl kreise dem Zentrum eigene Kandidaten entgegenstellen wollen, so werden sie sich dieses willkommene Futter für ihre Agitation gewiß nicht entgehen lassen. Und mit ihnen wirb sich die Sozialdemokratie, die bereits bei den vorigen Wahlen dem Zentrum in zwei oberschlesischen Wahl kreisen sehr unbequem geworden ist, in die Beute, d. h. in die vom Zentrum abfallende Wählerschaft, teilen. Nach alledem vermögen wir in ter Einigung der ZentrumSfraktion in ter Zollsrage noch keinen Verteil für d lese Partei zu erblicken, wenigsten« so weit die Aussichten der Partei bei den nächsten Wablen in Frage kommen. Und die Wahlen sind doch für eine so mandat-hungrige Partei, wie das Zentrum, unter allen Umständen die Hauptsache. Nicht einmal Elsaß-Lothringen dürfte einen Ersatz bieten, denn die vom Zentrum mit ungeschickter Hast betriebene Frage deS Anschlusses der elsaß-lothringischen Katholiken an das Zcnlrum hat bisher nur Verwirrung und Feindschaft in die Reihen dieser Katholiken getragen. st. II. Berlin, 2!). November. Die Anarchisieu ent falten zur Zeit wieder eine ganz intensive Agitation. Em Ausruf „Aus zur Agitation" ist erschienen, in dem vor allen Dingen zur Gründung von AgitationSklub« ausgescrtcrt wird. „Genossen", so heißt es in dem Ausrufe, „wenn ihr einige Anhänger unserer Ideen in einem Orte seid, so gründet Euch einen DiSknticrklub, meldet ibn an und siickl indifferente Kollegen in denselben auszunehmcn niiv über unsere Anschauungen auszuklärrn. Diese Agitations weise kann auch nicht verboten werten und wird für die Ausbreitung unserer Ideen nur nützlich sein" Die Zentralstelle in Berlin (Redaktion de« Anarchisten- Organ«» verstricht, die Genossen, welche Diskussionsklub« gründen wollen, mit billigem und gutem Agitationsstoff zu unterstützen. Wir werden also bald neue anarchistische Herde sich bilden sehen. Ilm Berlin herum gibt c« solcher Sammelpunkte bereits eine ganze Anzabl; einer der »übrigsten dieser Vereine hält fast alle acht Tage eine Versammlung ab. In der letzten Versammlung sprach der bekannte Anarchistenfiibrcr Paul Pawlowitsch über Ludwig Börne, in der Versammlung am 2. Dezember soll der Generalstreik, die Licbtingsidce der Anarchisten, erörtert werden. Die Polizei läßt c« an 2luj- nicrlsaink.it nicht fehlen, so ist der anarchistische Agitatcr Huatek an« Prag von der Hamburger Polizei au-sgewicscn worden und bei dem anarchistischen Führer Gladaick Hier selbst wurde HanSsnckung vorgcnommcn, desgleichen in der Redaktion des anarchistischen Organ«. Konivrouiiltierenre Papiere sollen nicht gesunden worden jein, was aber hoffent lich die Behörden nicht lässig in ihrer llcberwachung und Nachforschung macht. A Berlin. 2!>. November. lG e n o s s c n s ist a s l s - statisiil siir da»' deutsche Reich.) Zum ersten Male liegt in den von der prensnschen Zrnlralgenoisen sckiastolasie heransgegebenen Mitteiluiigeii zur deutichen Genosscnsthaftsstatistif siir i!«M eine gemeinsame Gc- nosienschastanatistil sur dae> deutsche Reich mit Aneftchinu von Bauer», Württemberg und Ersten vor. Ter Zeil piinlt, siir welchen die Stalisiil gill, der ll. Dezember ltinn, lieg« allerdings etivae- weil zurück, iiidencn wird ste für rückwärtige Vergleichungen ilireu dauernden Werl beyallcn. Rael» dieser Statisiil betrug die Zahl der am Iahreoschlussc lstun ju dem Gebiete der gemeinsamen Ge. ilvikelischaftsslalislik bestehenden Genossenschaften >28V und die ihrer Mitglieder -'N7Nül.>i. Tarwn kamen an' Preußen allein t^'N Genossenschaften mit l t !!l I!5 Ge nossen. Am IN. Juni 1898 waren ra in Preußen ^242 Genvsscnschasten mit IlstllXV «Genossen. Daa zentrale Kreditinstitut der Preusteulasie Hal darnach uuzwctitlha'l eine» belrbeuden Eiinluß aui die Bildung von Genvsscn- schaften gehabt. In dem ganzen Gebiete der gemein samen l^envjseusilmst-.'statistil waren van der Gesanftzalck 8777 Genossenschaften mit I nn ! 1 tN Mitgliedern Genossen schaften mit unbeschrankter Haftvftulu, l : > nnt-'N Vft solche mit nnbtschränller Rachschnstvfticht und ln-_>t mit !>ä6v«>7 solche mit beschranltrr Haitpsliilü. Tie <N'sa>nthafflnmme aller Genossen in der letfterrn Kolegoiie betrug 285,0 Millionen Marl. Belonntlich ist gnrh die Gcnosiclnchaft mit bcschronlter vaitpsticht erst durch doe- Erwerb«, und Wirtschaft-gcnossenschaftaacsctz vom Jahre l d ir Leben
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