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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021202027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
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Gestern hat nun Herr Richter — und das war das Hauptereignis der Sitzung — seine damalige Rede ergänzt, und zwar in allem Wesentlichen so, wie wir es an seiner Stelle getan hätten. Er stellte fest, in welchen Fällen nach seiner Ucberzcugung die Obstruktion nicht nur erlaubt, sondern auch geboten sein könnte, und verurteilte dann um so schärfer und vernichtender die sozialdemo kratische Obstruktion nicht nur im vorliegenden Falle, sondern auch in der Art ihrer Ausführung. Er nannte den Obstruktionsfeldzug gegen den Zolltarif einen Kampf nicht gegen die Sache, sondern gegen die Zeit, verurteilte scharf das Snspcnsivveto der Minorität und deren Plan, die Beratung eines Gesetzentwurfes zu verhindern, der die Grundlagen der parlamentarischen Konstitution er schüttere. Unter stürmischer Heiterkeit und tosendem Bei fall der Mehrheit wiederholte er drastisch seinen schon in der „Freisinnigen Zeitung" geführten Nachweis, daß das obstruktivuistische Verhalten der Sozialdemokratie und der Freisinnigen Vereinigung, die von den Vorgängen hinter den Kulissen keine Ahnung gehabt, die Bildung der Mehr heit für die geschäftsordnungswidrige Erzwingung der Verabschiedung des Zolltarife» erleichtert und die Abücht der Freisinnigen Volkspartei, den Zolltarif durch sachliche Beratung ohne Obstruktion zu Fall zu bringen, zu Schanden gemacht hätten. Es mühte, führte er weiter aus, nach seiner Meinung eine jammer volle Majorität sein, die sich diese fortgesetzte Pro vokation gefallen liehe, ohne Mahregeln dagegen zu ergreifen. Die Sache habe schon den Eharaktcr eines Sportes angenommen, der für das Parlament, wie für jedes Mitglied eine Beleidigung sei. Der Anspruch, die Mehrheit an der Beschlnstfassting über eine Vorlage hindern zu dürfen, nm „das Volk entscheiden zn lassen", sei unberechtigt, da es in Deutschland eine Volksabstim mung, wie in der Schmerz, nicht gebe. Leider lieh seine Rede, trotz ihrer Schneidigkeit und ersichtlichen Wirkung auf das ganze Haus, doch noch eine empfindliche Lücke. Denn obwohl er, wie gesagt, anerkannte, dah die Majo rität geradezu verpflichtet wäre, Mahregeln gegen den „Sport" der Sozialdemokraten und der Freisinnigen Ver einigung zu ergreifen, und obgleich er die Zulässigkeit des Antrages Kardorff bestritt, unterlieh er es, die Maßregeln zu bezeichnen, die er für gerechtfertigt hält. Trotz dieser Lücke aber kann man die Rede als ein parla mentarisches Ereianis ersten Ranges bezeichnen, da sie den Sozialdemokraten und ihren Bundesgenossen von der Freisinnigen V reinigung keinen Zw ise! an der Ent schlossenheit der Freisinnigen und der Süddeutschen Vo'ks- partei läßt, alle ihnen, als zulässig erscheinenden Mittel anzuwcndcn, um den Obstruktionsmanövern gegen die Verabschiedung der Tarifvorlage ein Ende zu bereiten. Wahrscheinlich hatten die von ibm so scharf angegriffenen Fraktionen vorher von seiner Absicht, das Wort zu er greifen, gehört, wenigstens hüteten sie sich sorgfältig, ihm durch lärmende Zwischenrufe neues Angrisfsmaterial zu liefern. Herr Bevel versuchte es -war, ihn zu widerlegen, fühlte aber sichtlich die Keulenschläge! Richters noch so sehr in allen Gliedern, dah er seine lahmen Rechtfertigungsversuche nicht einmal in der ge wohnten Haltung vorzubringen vermochte. Eine Ergänzung zu Richters Rede bildete die des Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses von Kröcher, der seinen konservativen Parteigenoffen sowie den übrigen Schuldigen an der gcchnenden Leere des Hauses bei wichtigen Debatten derb den Text las. Nebenbei verriet Herr o. Kröcher die bösen Erfahrungen, die er privatim mit der Presse gemacht hat, mit der kon servativen nämlich. Herr v. Kröcher ist selbst unter die Zeitungsschreiber gegangen, zweimal hat er einen „hahne büchenen Artikel" über die Mandatsfaulheit seiner Freunde in den beiden konservativen Reichstags fraktionen geschrieben. Aber drei konservative Blätter Berlins haben die Aufnahme abgelehut, woraus Herr v. Kröcher sich damit in die „Pommersche Reichspost" flüchten muhte, mit dem Effekt, dah die konservativen Berliner Zeitungen den Artikel ungeachtet der Bitte des Verfassers, ihn nunmehr wenigstens abzndrucken, tod- schwicgen. Für den, der weih, was hinter den Kulissen vorgeht, war die Rede des Herrn v. Kröcher endlich noch dadurch interessant, daß sie mit der Auf forderung schloß, nun endlich Taten scheu zu lassen, nach dem schon so viel über die Zulässigkeit des Antrags Kar dorff gesprochen worden sei. Das läßt aus die Absicht der Mehrheit schließen, aus Grund eines Prchzcdenz- falles aus der Aera des Reichstagspräudenten v. Forken- beck die Geschäftsordnungsoebatte über die Zulässigkeit des Antrages Kardorff heute zu schließen, diesen An trag anzunehmen und die zweite Lesung des Zolltarif gesetzes zum Abschlüsse zu bringen, dann in die dritte Lesung einzutreten und somit den ganzen Zolltarif vor Weihnachten zu verabschieden. Zu erwähnen ist endlich noch die Rede des Abg. Or. Sattler, der mit der großen Mehrzahl der Nationalliberalen in dem Antrag Kardorff keinen Bruch der Geschäftsordnung siebt. Nicht durch diesen Antrag, so führte er aus, sondern durch die Brüllcret der Sozialdemokraten sei das Ansehen des R-tchstagcs hcruntcrgcdrückt morden. Der Wortlaut der Geschäftsordnung widerspreche dem Anträge nicht,' die Behandlung des Zolltarifs gemäß dem Anträge Kardorff sei nach dem Wortlaute der Geschäftsordnung zulässig. Im Interesse der Landwirtschaft und aller Industrie zweige, besonders aber auch im Interesse der Arbeiter schaft, müsse der Zolltarif angenommen werden. Die Lage habe sich dahin zugefpitzt, ob es achtundsünfzig lungcnkrästigen Leuten gestattet sein dürfe, den deutschen Parlamentarismus aktionsunfähig zu machen, womit die Waffe der Obstruktion ein für alle Mal in das Arsenal des parlamentarischen Kampfes ausgenommen sein würde. Abg. Oe. Sattler schloß mit der Bitte an alle national- 'iberalen Freunde im Lande, „die stch noch nicht mit dem Anträge Kardorff befreunden können, sich in unsere Lage bineinznversetzcn und von diesem Standpunkte aus die Richtigkeit unseres Vorgehens anzuerkennen." — Wie die „Freis. Ztg." feststellt, war der Reichstag auch gestern beschlußunfähig, so bah auf privates Verlangen der Sozialdemokraten die Parteien in die Vertagung willigen mußten. Zum Zollkompromiß. EL geschieht offenbar aus Rücksicht auf den Bund der Landwirte, wenn die „Kreuzztg." von der Verständigung über den Zolltarif behauptet, daß dabei die Landwirtschaft wieder einmal recht schlecht weg gekommen fei und sich mit dem Allernotwendigsten be gnügen müsse. Von dieser Auffassung unterscheidet sich ganz wesentlich die des Zentrums. Und zwar kommt nicht allein in preußischen Zenlrumsorganen die Be friedigung über das Zollkomvromrß zu Tage, sondern auch in dem offiziellen Blatte der bayerischen Zen- trmmspartei. Je geringschätziger die „Kreuzztg." das Zollkompromih vom Standpunkte der Landwirtschaft aus behandelt, um so mehr ist es angezeigt, die Gründe her vorzuheben, ans denen das bayerische ZentrumSorgan mir dem Zollkompromiß durchaus einverstanden ist. Es sind dereri zehn und ihr wichtigster Inhalt läßt sich wie folgt zusammensassen: 1) die Landwirtschaft erhält einen gesetzlich sestgelegten Mindest-Mehrzoll, der für Weizen 57 Prozent, für Roggen 48 Prozent, für Hafer 78 Prozent, für Gerste IM Prozent des bisherigen Zolls ausmacht; 2) die Zollsätze für die übrigen Hauptprodntte der Land wirtschaft, insbesondere für die der Viehzucht, sind wesent lich erhöht, so das; sic z. B. bei Ochsen 850 Prozent, bei Kühen 700 Prozent, bei Schweinen 200 Prozent be tragen und auch dann noch wirksam sein werden, wenn durch Handelsverträge eine Ermäßigung enttritt; 3j zum Schutze des deutschen Schälwaldes wird das bisher zoll freie Ouebrachohvlz mit einem Zoll von 7 utl pro Doppel zentner belegt, daS Gerbrindenbolz mit 1,50 .L an Stelle der bisherigen 50 Psg.; 4) der Hopfenzoll ist pro Doppel zentner von 20 aus 70 erhöht; 5) für bisher zoll freie Gemüse u. ä. ist ein angemessener Schutzzoll er reicht: 6) und 7> die zollfreien Transitiüger werden auf das wirkliche Bedürfnis beschränkt und die Stundung des Zolles für Getreide fällt fort; 8) und 9> die Gefahr, dah bei Ablehnung des Tarifs die alten Handelsverträge fortbestehcn oder daß über neue nur auf Grund des alten niedrigen Tarifs verhandelt werden könne, ist ebenso wenig zu Unterschüßen, wie die Gefahr, daß ein künftiger Reichstag eine der Landwiiüschafr günstige Mehrheit nicht aufweisen werde; 10) die Erledigung des Tariks be deutet einen Sieg über die sozialdemokratische Obstruk tion, dessen mora'ische Wirkung ins Gewicht falle, und entziehe den Hetzereien des Bundes der Landwirte den Boden. — In einem zweiten Artikel des „Bayerischen Kuriers" wird die Bedeutung erörtert, die der n a t i o n a l l i b e r a l e n Partei für den Abschluß des Zollkawpfes beizumessen ist. Das Zentrum fand sich hier nach auf die National'ibcralen deshalb angewiesen, weil etwa die Hälfte der Konservativen, als im Fahrwasser des Bundes der Landwirte segelnd, nicht sicher in die Rechnung eingesetzt werden konnten. Sodann war der Triumph der Sozialdemokratie nur durch eine summa rische Annahme des Tarifs zn verhindern. Diese aber konnte gegenüber dem leidenschaftlichen Widerstande der Opposition nur durch eine große, geschlossene Mehrheit durchgeführt werden, die nur mit Hülfe der National liberalen zu finden war. — So weit das Urteil des baye rischen Zentrumsorgans'. Man wird gut tun, dasselbe im Gedächtnis zu behalten. Denn gerade im klerikalen Lager, und gerade in Bayern, ist wohl die Zeit nicht fern, da man den Anteil der Nationalliberalen an der Durch führung des großen Tarifwerkes wird herabsetzen und verkleinern wollen. Der Protestantismus ia Ungarn. Außerordentlich bedenklich ist die Lage des Pro testantismus in Ungarn. Letzteres ist das Land Europas, in dem bisher keine dem Evangelischen Bund verwandter Bestrebungen sich innerhalb der protestantischen Kreise geltend gemacht haben, in dem aber euch wohl allein in Europa der Protestantismus durch Uebertritte, und die^ in erschreckender Weise, Terrain verliert. In den letzten sechs Jahren, 1896 bis 1901, sind in Ungarn ausgetreten: Aus der römisch-katholischen Kirche 5408 Personen, aus der griechisch-katholischen Kirche 1248, aus der griechisch, orientalischen Kirche 9807, aus der lutherischen Kirche 42H, aus der reformierten Kirche 9170, Unitarier 1136, Israe liten 2158. Gewonnen haben die einzelnen Kirchen gemeinschaften: Römisch-katholische Kirche 18 582 Personen, griechisch-katholische Kirche 8425, griechisch-orientalische Kirche 4904, lutherische Kirche 2012, reformierte Kirche 5287, Unitarier 1480, Israeliten 519. Den Uebertrirr nahmen wieder zurück: Romisch-katholische 316 Personen, Griechisch-katholische 1, Griechisch-orientalische 19, Luthe raner 95, Reformierte 85, Unitarier 1, Israeliten 89. Eine Vermehrung bezw. ein Verlust sand also statt «durch Uebertritt): Römisch-katholische -j- 7858 Personen, Grle chisch-katholische -j- 7176, Griechisch-orientalische — 4482. Unikarier -s- 299, Israeliten — 1600, Lutheraner —> 1684, Reformierte — 3968. Die Lage ist derart, daß der Günstling des österreichisch ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand, Graf Fichv, aus dem ungarischen Katholikentag im Jahre lr«0l dt.- Losung ausgebcn konnte: Ungarn müsse wieder zu einem r ö m i s ch - k a t h o I i s ch e n La n d e ge macht werden'. Vor einigen Wochen erklärte sogar der ehemalige ungarische Ministerpräsident Baron T. Banssu als Oberkurator der reforinierten Kirche in Siebenbürgen: „Schwere Zeiten sind über uns herein gebrochen. Mit Angst und Bangen blicken wir nm uns Schaudernd sehen wir die Geiahr. drohende GKrv-fw - der Vergangenheit aus istrem längst vermchucn Sussum winkel hervorkricchen. Wir suhlen es, daß wir handeln müssen, wir fühlen es, daß wir dagegen etwas tun müssen, und doch stehen wir ratlos da." Die Gegenmittel durften indcß nicht so schwer zu finden sein. In Debrezin, dein „calvinistischen Rom", wie es genannt wird, machte dl: römische Propaganda besondere Fvrtsclnntte. Ta entschloß sich ein dortiger evangelischer Geistlicher, die Schrift: „St. Petrus und die römische Kirche" ins Ungarische zu über setze«. Hierauf entstaub eine so erfreuliche evangelische Gegsnbewcgung, daß sogar der seit mehreren Jahren dort arbeitende römische Titularbischof die Stadt verließ und sich einen andern Wirkungskreis suchte. Solche Finger zeige sollten die ungarischen Protestanten befolgen, wenn sie und ihr Land nicht unter ultramontaner Herrschaft zu Grunde gehen wollen. Ungarn braucht protestantisch - Aufklärungsarbeit. Bildete sich auch dort ein Evange lischer Bund, so würde sich das Bild bald ändern! Ein griechisches Schlußwort zu der Mordtat an Bord der „Loreley". Die „Akropolis" schreibt in sehr ruhiger und würdiger Weite: Selten hat das hellenische Volk einen so tiefen Anteil an einem eine fremde Nation betreffen den Verbrechen genommen, wie an dem auf der „Loreley" verübten Morde. Gewiß hatte der erste Verdacht, daß Feuilleton. y Der Untersuchungsrichter. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. Mit einer unwillkürlichen Bewegung hob der Assessor sein Gesicht; seine Mienen belebte ein sichtliches Interesse. „Worin hat Ihr Herr Bruder recht?" fragte er lauernd - „Mit seiner Behauptung, daß Sie ihn absichtlich ge reizt haben, daß Sie geflissentlich darauf ausgingen, einen Streit mit ihm zu provozieren. Ihr Verhalten beweist mir bas." Herr Wredc zuckte mit den Achseln. „Das sind Ansichten, Empfindungen", sagte er ab lehnend, „über die zn disputieren überflüssig sein dürfte." In dem Landrichter schlug es wie eine Flamme hoch. Seine Hände ballten sich unwillkürlich. Er mußte sich Ge walt antuu, um nicht zornig auszuspringcn. Die Worte, die Mienen und das ganze Benehmen des Mannes, der ihm da so ruhig gcgenübersaß, als verhandelten sic irgend eine gleichgültige, selbstverständliche Sache, reisten ihn aufs äußerste. Und er konnte es nicht verhindern, daß sein Gesicht wenigstens seine Empfindungen wider spiegelte und seine Stiivme vor Entrüstung bebte, wäh rend er erwiderte: „Fch sehe, daß er recht bat nnd auch darin hat er wohl nicht geirrt, wK:u er meinte, Sie halten auch schon vorher allem Anschein nach Feindselig keit gegen ihn empfunden, als wenn Sie Grund zu einer bcsond.rln Gehässigkeit ihm gegenüber zu haben glaubten." „Vielleicht", äußerte der Assessor gelassen, während sein Gesicht die Maske undurchdringlicher, kalter Ruhe bewahrte. „Aha! Ihr halbes Zugeständnis ist mir wertvoll. Und ich sehe nun klar. Sie haben das sehr geschickt ein- znrickttcn verstanden, das muß ich sagen, sehr geschickt. Als Beleidigter haben Sie den ersten Schuß —" Der RegierungSasscssor fuhr mit einem Ruck in die Höhe. „Herr Landrichter, sind Sie hierher gekommen, um mich zu brüskieren?" Herbert Deinhard atmete tief. Dann erhob er sich und strich sich mit zitternder Hand über die feuchte Stirn. Zugleich empfand er mit quälendem Unbehagen, daß er sich allzuweit hatte hinreißen lassen. Hatte ec denn in seinem Berufe nicht gelernt, Mäßigung zu üben und sein kaltes Blut zu bewahren? Freilich, es handelte sich um das Teuerste für ihn auf Erden, um das Leben seines Bruders. „Ich bin zu Ihnen gekommen", sagte er ruhiger, „um eine Verständigung mit Ihnen zu suchen. Leider sehe ich, daß Sie nicht den Frieden, sondern den Kampf wollen." „Ich bemerkte Ihnen bereits, daß die Schwere der mir widerfahrenen Beleidigung mich dazu zwingt." Der Landrichter tat unwillkürlich einen Schritt nach seinem Gegner hin. „Sie irren", rief er. „Mein Bruder wird sich nicht vor Ihre Pistole stellen." „Ihr Herr Bruder ist Offizier und kann als solcher sich nicht weigern, mir Satisfaktion zu geben." Der Landrichter sah seinem Gegenüber mit flammenden Augen in das kalt blickende, hochmütige Gesicht. „Ich werde ihn daran hindern." „Dann würden Sie nicht im Interesse Ihres Herrn Bruders handeln." Der- Landrichter lachte kurz auf. „Nicht in seinem Interesse? Das Leben meines Bruders ist für mich das höchste Gut, ist mir heilig. Und ich sollte nicht dazwischen treten, wenn ich sehe, daß Sie darauf ausgehen, ihn über den Hausen zu schießen, weil er Ihnen irgendwo im Wege zu stehen scheint? Ich werde Sie daran hindern, das ist meine Pflicht, und wenn ich Sie selbst vor meine Pistole fordern sollte." Der RegierungSasscssor verneigte sich mit einer Ver beugung und mit einer Miene, die etwas Spöttisches und Höhnisches hatte. „Ich werde mich Ihnen nicht entziehen, Herr Land richter", sagte er, „wenn Sie mich durchaus zu einem Kampfe zwingen wollen, aber ich bemerke Ihnen, daß ich mich Ihnen nicht eher zur Verfügung stellen kann, als bis meine Angelegenheit mit Ihrem Herrn Bruder er ledigt ist." Ter Landrichter biß seine Zähne zusammen. „Ich erklärte Ihnen schon", erwiderte er, „daß ich einen Zweikampf zwischen Ihnen und meinem Bruder nicht zulassen werde." „Ich glaube nicht, daß Sie Ihren Herrn Bruder an der Ausübung seiner Ehrenpflicht werden hindern können.? „Tas wollen wir sehen. Zuerst werde ich mich an seinen Kommandeur wenden." Der Assessor zuckte geringschätzig mit den Achseln. „Ich kann Sie nicht davon zurückhatten, wenn Tie glauben, einen solchen Schritt vor Ihrem Herrn Bruder verantworten zu können." Der Landrichter erwiderte nichts. Er verneigte sich kurz und ging. Drittes Kapitel. Als Herbert Teins.a'so aus die Straße trat, sah er nach der Uhr. Es war btt - höchste Zett, zum Gericht zu gehen. Noch nie in seinem Leden war ihm die Ausübung seiner Berufspsltchten so schwer geworden, wie an diesem Vor mittag. Während fieberhafte Unruhe in ihm glühte, mußte er dem Vorträge der Anwälte folgen, mußte er Parteien und Zeugen vernehmen, Protokolle diktieren und sich ein Urteil bilden. Zum Glück kam ihm ein Zu fall zu Hülfe, zwei Streitfälle kamen überhaupt nick« zur Verhandlung, da die Parteien zwecks gütlicher Aus gleichsversuche Vertagung beantragten; in ein paar anderen Sachen wurden nach kurzer Verhandlung neue Beweistermine beschlossen, und schon um halb zwölf Ul>r konnte der Landrichter das GerichtSgebände verlassen. Zunächst begab er sich nach Hause. Sein Bruder kam ihm beim Eintritt in den Flur aufgeregt, mit verstörter Miene entgegen. „Gott sei Dank, daß du da bist!" rief er. Der Landrichter legte ab nnd ging mit Paul in sein Arbeitszimmer, Er selbst bemühte sich, eine ruhige, gefaßte Miene zur Schau zu tragen, während Paul mit erhitztem Gesicht vor ihm stand. „Scheußliche Situation!" rief der Leutnant. „Was soll ich nun tun? Hildegard erwartet mich. Was soll üe denken, wenn ich nun nach dem, was heute Nacht zwisileu uns vorgesallen ist, nichts von mir hören lasse? Wcmäg. lich hat sie ihren Eltern schon mitgctetlt —" Er reckte mit einer verzweifelten Gebärd, tetde Arme in die Luft. Der Landrichter klopfte dem Erregten der «lugend auf die Schulter. „Ich werde mit dem Staatsanwalt sprechen.'! „Und du wirst ihm sagen — „Ich werde ihm alles mitteilen." Der Leutnant nickte. „Gut! Es geht nicht anders. Eine Aufklärung muh i man ihm geben. Du tust mir einen großen Gefallen, I Herbert." Der Aeltere machte eine abwehrende Handbewegung l und sah daraus seinem Bruder forschend, mit geheimer Unruhe in die Augen. „Hat Wrede etwas von sich hören lassen?" fragte er. Der Lentnant nickre. „Er hat mir seine Zeugen geschickt." Der Landrichter biß sich auf die Lippen; seine Hände ballten sich. „Also wirklich ?" entfuhr es ihm unwillkürlich. Paul Deinhard sah seinen Bruder erstaunt an. „Hast du das anders erwartet?" „Ich glaubte allerdings, die Angelegenheit würde sich durch eine beiderseitige Erklärung aus der Welt schassen lassen." Der Leutnant runzelte seine Stirn. „Hast du dich iu dieser Hinsicht bemstht?" „Ja. Ich war bei Wrede." „Ah!" Der Leutnant zuckte zusammen, hoffentlich bist du ihm nicht weiter entgegengekommen, als cs sich mit meiner Ehre verträgt." „Natürlich nicht. Uebrigcns war unsere Unterredung sehr kurz. Er wies den Gedanken an eine gütliche Bei legung schroff zurück." DeS Leutnants Augen blitzten. „Ich sagte es dir ja. Von Wredcs Seite liegt eine ganz bestimmte Absicht vor. Schade, daß du ihn überhaupt aus gesucht hast." „Der Versuch mußte jedenfalls gemacht werden. Das war icki dir und mir schuldig. Er hat dich also gefordert — auf Pistolen?" „Natürlich." „Und du?" „Fch öabc meine Kameraden v. Brachwitz und Holten ersucht, sich mit seinen Kartcllträgcrn bezüglich des weiteren in Verbindung zu setzen." Der Landrichter machte eine zusammcnsahrendc Be wegung und blickte eine Weile zu Boden. Tann erhob er mit der Miene des Vorwurfs sein Geücht. „Warum hast du mich nicht zu einem deiner Kartell träger gewählt?" „Ich sagte mir, daß dir ein solcher Auftrag unangenehm sein müßte, deiner richterlichen Stellung wegen." ,Hm, ja! Tu hast recht; es ist vielleicht besser so. Ist schon etwas betreffs der Bestimmungen verabredet?" „Noch nicht. TaS ist Sache der Sekundanten. Ich
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