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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030911013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-11
- Monat1903-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen lgesalzt), nur mit der Morgen-Ausgab», ohne Postbeförderung ./l 60.—, mit Postbesördrrung 70.—. Ännahmeschlub für Änzeigen: Ab end-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgea-AuSgab«: iliachmittagS 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» iu Leipzig. 97. Jahrgang. Deiüschösterreich gegen Ungarn. lDer Stand der k. k. Staatskrisis.) Während die ungarische StaatArise im Zustande völliger Versumpfung verharrt, bietet augen blicklich die österreichische Reichshälfte ein Bild ganz ungewöhnlichen politischen Lebens. Nicht, daß es in CiSleithanien jemals an Partei, und Sprachen- kämpfen gefehlt hätte — aber mehr und mehr kommt in die zahllosen Scharmützel des nationalen Kleinkrieges wieder jener große Zug, in dem man — wie erst vor 6 Jahren in den Babent-Tagen — Len Atem der Geschichte zu spüren meint. Historische Luft weht wieder aus allen Ecken der kampfburchwtthlten Monarchie, um die Kaiserstadt an der Donau, sie ermuntert sogar die kläglich-weich und rom- fromm geworbenen Phäaken des Wiener Gemeinderates zu einer devotesten Supplikation in Sachen der zurückbe- haltencn Urlauber und — bas Erfreulichste in all der Trüv. sal — treibt die deutschen Parteien nach langem Hader wieder zu einer nationalen Gemeinvürgschaft zusammen, die sich diesmal weniger um das bedrohte Volkstum, als vielmehr schützen- um den wankenden Habsburgerthron in Oesterreich schart. Deutschösterreich kann und will den Gedanken nicht fassen, daß es in der Berechnung der slawisch-klerikalen Einflüsse, die seine Vormacht schon ge brochen, völlig aufhören soll, die nationale Grundlage der angestammten Dynastie zu bilden, noch einmal erwacht die alte Nibelungentreue in dem systematisch gepeinigten und geschwächten Volkskörper, um mit dem eigenen Leibe Sie Krone wider den Ansturm der Hunnen zu, decke». Noch einmal flackert im Deutschtum Oesterreichs die Hoss, nung auf, das Haus Habsburg werde in feiner i^rßersten Sorge um seine Stellung als europäische Großmacht die Treue seiner Deutschen mit deren Wiedereinsetzung in das ErstgeburtSrecht belohnen. Wird bas berühmte ironische Zweiflerwort „Dank vom Hause Oesterreich??" auch dies mal recht behalten? Am 8. d. MtS. hat in Brüx iDeutschböhmen) ein von den radikalen Alldeutschen (Richtung Wolf) einberufener deutscher Volkstag Deutschösterreich zum Kampfe wider Ungarn aufgefordert und ein von der deutschen Volks partei veranstalteter Parteitag für die Alpenländer in Linz (Obervsterreich) ist ihm Tags darauf gefolgt, mit derselben Losung: Sofortige Einberufung des Reichs- ratsl Los von Ungarn! Kein Demagoge konnte für die alte Forderung des beutschnattonalen Linzerpro- grammS, das fchon seit den 80er Jahren den Ersatz des Dualismus durch die Personalunion unter gleichzeitiger Zolltrennrrng verlangt, ein wirksameres Agitationsmittel schaffen, als die jüngste Verordnung des Reichskriegs ministeriums, daß wegen der von Ungarn verweigerten Rekrutierung die für den 1. Oktober zu bckrrlaubenben Mannschaften drei Monate länger unter Len Fahnen bleiben müssen. Wenn man erwägt, wie schwer hiermit Oesterreich, obgleich es seinerseits die Hceresvorlage glatt bewilligt hatte, für die Sünden des magyarischen Chauvi nismus bestraft wird, wie viele Tausende von Urlaubern, die am 1. Oktober bereits ihren bürgerlichen Berufen nach gehen wollten, ihrer Zivilstellungen verlustig werben, der wird verstehen, welchen verstädnisvollen Widerhall heute das Wort „LoS von Ungarn" in den Herzen der fried liebendsten Staatsbürger findet. Die aus ungarischen, wie au» österreichischen Garnisonen aufflackernden Gerüchte von förmlichen Meutereien der betroffenen Mannschaft haben sich allerdings hinterher als ack hoc erfundene Tenbenzmeldungen herausgestellt, die für das Ausland berechnet waren und auf den Monarchen einen Druck im Sinne der magyarischen Heeresforderungen ausüben sollten. Go schwach sind das Pflichtbewußtsein und die Manneszucht im k. und k. Heere doch noch nicht. Aber was unter dem straffen deutschen Kommando, welches den letzten Rest des alten deutschen NeichsheereS verkörpert, derzeit noch ausgeschlossen ist, kommt unfehlbar, wenn der Soldat einmal unter magyarischem oder tschechischem Kom mando glaubt, einer nationalen Beschwerde ungestraft Luft machen zu können. Diese Gewißheit ist'», die in dem greisen Monarchen, dem ersten Soldaten seines Heere», den alten Habsburgertrotz wieder geweckt und an scheinend bis zur starrsten Unnachgtebtgkett gegen bas Verlangen nach magyarischer Kommandosprache, eigenen ungarischen Feldzeichen usw. gestärkt hat. Gin Minister und Parteiführer nach dem andern, v. Tzell, Weckerle, Lukac», Gzapary, Tisza — sic alle haben den Audienzsaal unverrichteter Dinge wieder verlassen. Keiner will die Kabinettsbildung anstelle des gescheiterten Khuen-Heder. vary unter anderen Bedingungen, al» denen der wildesten Obstruktionisten übernehmen, wobei sie wohl wissen, wie sehr sie durch ihre Weigerung gegenüber dem Willen, dem Bitten und Flehen des Monarchen den chauvinistischen Größenwahn ihrer heimlichen Bundesgenossen Kossuth, Baraba», Polonyi usw. zur Siedehitze steigern. Dabei hat der KalkSburger Jesuttenzögling, Graf Apponyi, als Mitglied der eben in Wien tagenden — Weltfriedens ¬ konferenz (!), die Stirne, vor den harmlosen Schwärmern aus ganz Europa leichthin zu bemerken, mau werde erst sehen, um „wie wenig eS sich gehandelt habe" und von der künstlich in die ungebildeten Massen Ungarns getragenen Hetze der Staatszerstörer zu behaupten: Die Obstruktion sei diesmal eigentlich der Volksseele entstammt. Mit welchen Gesinnungen diese kochende Volksseele Magya- riens geheizt wird, davon gibt gleichzeitig ein in der Wiener „Ostdeutschen Rundschau" übersetzter Ckflihls- erguß des Abgeordneten Bartha im klerikalen „Magya- rorszay" eine klassische Probe. Dieser ritterliche Magnare iiberhäust die „Impertinenz", die „unverschämte Eselei und Gemeinheit der Teutschösterreichcr, welche sich „iu eine Sache mischen, die sie gar nichts angeht", mit einer Flut wüstester Schimpfworte. Er meint dabet nicht den wirk lichen Deutschen ld. h. den Reichsdeutschen), „welcher Knochen, Kraft ui d nationale Ehre besitze", sondern „jenen zahnlückigen Deutsch Österreicher, welcher seit Jahrhun derten der Ausgehaltene des Herrscherhauses Habsburg ist." „Diese Deutschen sind politischer Mist Dieser Mistdeutsche will uns beißen? Er will uns diktieren!?" Solche Ergüsse, die reichsdeutschcn Geruchsnerven viel leicht sebr ungewohnt nach Stalljauche duften mögen, kennt man in Oesterreich übrigens schon längst) aber eine neue Note, die dieser ungewaschene Sohn der Pußta anschlägt, gibt zu denken: „Die Polest" — fährt er fort — „sind ein anständiges Volk, auch die Tschechen sind es in ihxer Mehrheit. Beiden sieht man es an. Sie behindern i d sere Forderungen nicht. Die slawische Rasse besitzt staaten bildende Kraft ldie Polen!!), die germanische aber nicht. Polen, Tschechen und Magyaren, welche der Deutsche ins Joch spannen will, werden einander früher oder später verstehen lernen . . ." Man sieht, wo das hinauswill: Die Polacken, deren tief verschuldetes, verelendetes Ga- lizien so lange an den Steucrgeldern Oesterreichs schma rotzt hatte, die Tschechen, die zur wirtschaftlichen Not die furchtbaren Sprachenkämpfe fügten, sollen jetzt auf Geheiß Ungarns den Deutschösterreicheru Eisleithaniens in die Flanke fallen, die Einberufung des ReichSratcs verhindern und g-gen das wirtschaftliche Interesse ihrer eigenen Wähler den einmütigen Widerstand Oesterreichs, welcher die Stellung des Monarchen stärken würde, zersprengen. Und dieser Appell des magyarischen an den tschechischen Größenwahn hat wirklich Erfolg: es ist bekannt, wie die Bedrängnis des Monarchen durch die Forderungen nach einem magyarichen Nationalheere bei den tschechischen „Patrioten" keine anderen Gefühle hervorgerufen hat, als das gierige Geschrei: Auch unser Staatsrecht muß für die künftige Wenzelskrone dasselbe verlangen: Tschechisches Kommando und tschechische Feldzeichen! Das ist augenblicklich der trostloe Stand der österreichi schen Staatskrise, während welcher Kaiser Wilhelm an der Seite des österreichischen (und ungarischen?) Thron folgers, Erzherzogs Franz Ferdinand, nach Ungarn kom. men wirb, um dort bei den Manöver« die Wehrkraft seines beklagenswerten Bundesgenossen zu besichtigen — viel leicht zum letztenmale des gemeinsamen Heeres . . . Ein lozialdemokratischer Antrag auf Ablchaffung der Todesstrafe. Die Landeskonferenz der Sozialdemokratie Hessens hat einen Antrag angenommen, welcher „anläßlich der unter so grausigen Umständen erfolgten Hinrichtung des Mörders Detrois in Mainz energisch die A b s ch a f f u n g der Todesstrafe" fordert und die Erwartung aus- spricht, „daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beim Zusammentritt des R e t ch s tag S als I n i t t a t i v- antrag die Abschaffung der Todesstrafe einbringt". — Vermutlich wird die Sozialdemokratie des Reichstags aus agitatorischen Gründen diesem Anträge entsprechen, ob wohl der Mainzer Vorfall nickt »usreickt, den Antrag auf Beseitigung der Todesstrafe zu rechtfertigen. Denn auch in Mainz ist nach Berichten, denen von sozialdemokratischer Seite unseres Wissens nicht widersprochen wurde, der Tod de» Mörders auf der Stelle einaetreten, obwohl das Haupt nicht sofort vom Rumpfe aetrennt wurde. Auf den so fortigen Eintritt des Todes aber kommt es an. Zwischen fälle, wie die Mainzer, werden sich von Zeit zu Zeit viel leicht ereignen, können icdock das Urteil über die Todes strafe nicht bestimmend beeinflussen. Daran freilich ist im allgemeinen festzuhalten, daß der Vollzug der Todes strafe jeder Grausamkeit entkleidet werde. Die in unserem Strafgesetzbuche vorgeschricbcne Enthauptung, die, je nach dem Rechte des einzelnen Bundesstaates durch Beil, Schwert oder Fallbeil vollzogen wird, erfüllt nach der Auf fassung des Rostocker Rechtslehrers F. Wachenfeld lin der neuesten Auflage der Holtzendorffschen „Encyclo pädie der Rechtswissenschaft") dieses Erfordernis nicht ganz. Da Wachenfeld indessen einersstts auf Grund der in Amerika gemachten Srfahrumaen die Tötung durch Elektrizität nicht befürworten kann, anderseits einen sonstigen Vollzug der Todesstrafe nicht namhaft macht, so wird man die bei uns übliche Hinrichtung einstweilen mit um so größerem Rechte beibchalten dürfen, je vollständiger der Exekution durch die ausschließliche Zuziehung von SolennttätSzeugen da» Anstößige und der Charakter eines Schauspiels genommen ist. Gin zweite» Bedenken WachenseldS besteht iy dem Zweifel, ob ein« scharfe Scheidung der todeswürdigen von den nicht todeswürdigen Handlungen durch dasjenige Kriterium, von dem die Todesstrafe bei uns heute tatsäch- lich abhängt, bas ist die Ueberlegung, herbeigeftthrt werden könne,- denn die Ueberlegung stelle durchaus nicht den Gipfel aller Verschuldung dar und sei ein Internum auf welches mau nur indirekt aus äußeren Vorgängen schließen könne, ohne irgendwie die Sicherheit des Be- weises zu verbürgen. Trotz solcher Einwendungen gegen- über dem geltenden Rechte tritt Wachenfeld keineswegs für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Vielmehr hebt er hervor, daß sie den einen Ltrafzweck, den der Unschüd- lichmachung, sehr gründlich erfülle, nnd fügt hinzu: „Darum wird mass, auch wenn sie in Deutschland einmal abgeschafft werden sollte, in manchen Zeitläufcn immer wieder auf sie zurückgreife n." Zur Zeit steht die Möglichkeit der Abschaffung ohne Zweifel noch in weiter Ferne. Und das ist gut so. Hat man sich doch bei der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahre 1871 auf ein möglichst kleines Gebiet beschränkt. Die Todesstrafe ist nur für Mord und hochverräterischen Mordversuch, sowie bei Eintritt des Kriegsrechts für acht weitere Delikte, nach dem Strafgesetzbuche angedroht,- außerhalb des Strafgesetzbuches findet sie sich in dem Sprengstofsgeseve von 1884 und im Gesetze über Sklaven raub von 1895. Die innere Berechtigung der Todesstrafe ist auch in neuester Zeit durchaus unerscküttert geblieben. Führende Geister der deutschen Nation haben sich in Ucbcreinslimmung mit dem Rechtsgefühle des Volkes gegen jene falsche Humanität aufgelehnt, deren Verkünder hauptsächlich Beccaria gewesen ist. Weim Beccaria dem Staate das Recht, die Todesstrafe zu verhängen, des halb aberkennt, weil nicht angenommen werden könne, daß bei Eingehung des — imaginären — StaatsvcrtrageS jemand ciugeivilligt haben sollte, sich unter Umständen das Leben nehmen zu lassen, so hat I m manuclKant diese Beweisführung mit vollem Rechte als Sophisterei und Rechtsverdrehung abgetan. Viel eher darf man wahrlich mit I u st u sMöser fragen, ob der Staat ein Recht habe, einen berufsmäßigen Raubmörder am Leben zu lassen, erstens mit Rücksicht auf die Familie des Ermordeten, der der Staat die Rache aus der Hand genommen hat: zweitens mit Rücksicht auf diejenigen, die für die Erhalturrg des Ge fangenen sorgen müssen: drittens mit Rücksicht auf die ferneren möglichen Opfer des verbrecherischen Triebes. Diese Frage Mösers macht sich auch ein wahrhaft humaner Philosoph der neuesten Zeit, Friedrich Paulsen, in seiner „Ethik" zu eigen, indem er hinzufllgt, daß es ihm immer als Anzeichen der Entfremdung des Liberalismus vom Volksleben erschien, so oft er die Abschaffung der Todesstrafe für ein wichtiges politisches Ziel hielt. Paulsen ist ferner der Meinung, daß Sie modernen Völker in Zukunft die Todesstrafe erheblich öfter anwenden möchten, und verweist schließlich aus die Abnahme der Scheu vor dem Verbrecken, die durch viele Bluturteile dem Vvlksbewnßtscin in früheren Jahrlumderten tief ein geprägt war. Erinnert mau sich hierbei, wie viel anarchistische Frevler gerade ein Land geliefert hat, in dem die Todesstrafe abgeschasft ist, nämlich Italien, so wird man den Ausblick Paulsens auf die Zukunft der Todesstrafe für wohl begründet erklären. Deutsches Reich. * Leipzig, 10. September. Nach der „Leipziger Volkszta." ist der verantwortliche Redakteur der „Muldenthaler Volkszeitung", ReichötagSabgeordneter „Genosse" Schöpf lin, gestern nachmittag auf Gerichtsbeschluß aus der Unter such» ng sh ast entlassen worden. In Haft be finden sich noch die „Genossen" Lüttich, Hellmann und Schmidt. Der von ihrem Verteidiger gestellte Antrag, auch sie rn Freiheit zu setzen, scheint abgelehnt worden zu sein. Dem „Genossen" Schöpflin wurde übrigens am Mittwoch früh noch eine neue Anklage in die Gefängniszelle geschickt. Kommerzienrat Koch in Lausigk fühlt sich beleidigt. In diesem Falle handelt eS sich um eine Privat klage. --- Berlin, 10. September. (Zur Frage-derHand- w e r r v e r s i ch e r u n g.) Der vom 10. bis 12. d. M. in München stattfindende Handwerkertag wird sich u. a. mit Leitsätzen betreffs einer H a n d w e r k« r Ver sicherung beschäftigen. Auf den Inhalt dieser Leitsätze braucht angesichts der bevorstehenden -Beratung im ein zelnen nicht eingegangen zu werden: nur im allgemeinen sei bemerkt, daß die Leitsätze die Absicht der Regierung, für das Handwerk eine obligatorische Invalidenversicherung im Anschlüsse an die bestehende Arbeiterversicherung zu schassen, zur Grundlage lmben. Ein hervorragender Kenner der Handwerkeroerhältnifle, der Kieler National, ütonom Prof. vr. G. Adler, der 1901 in seiner Schrift „Die Epochen der deutschen Handwerkerpolttik" (Jena, Gustav Fischer) den ersten Plan einer Handwerkerocrsiche- rung veröffentlicht hat, begrüßt die dem Handwerkertage vorzulegenden Leitsätze als ungemein praktisch und al» ausgezeichnete Grundlage für die fernere Aktion auf dem Gebiete der Handwerkerversicherung. Gleichzeitig setzt sich Adler m der „Sozialen Praxis" mit -en prinzipiellen Einwänden auseinander, die gegen jede auf Zwang be- ruhende Organisation selbständiger Personen und gegen die Gewährung eines Staatszuschuffe» für irgend eine Einrichtung erhoben werden. Adler macht vor allem geltend, daß die Grundsätze, ans denen solch« Einwände fußen, in Deutschland durch die Tatsachen längst über wunden seien. Sv seien z. B. zur Abwendung gemeiner Gefahr, selbst bloß zur erheblichen Förderung der Landes kultur, die Besitzer von der UeberschwemmungSgefahr aus gesetzten Grundstücken ohne Widerrede verpflichtet, den Deichverbänden beizutreten. So habe es in manchen Städten einen Zwang zur Teilnahme sämtlicher Haas- bcsitzer an den FeucrversicherungSkassen gegeben. Wa» aber die Staat»zuschüsse anlana«, so würden sie nirgend» mehr in pvnxi abgelehnt. Man denke nur an die staa^ liche Förderung privater Eisenbahnunternehmungen durch ZinSgarantie und dergleichen. Das Bismarckick« Wort vom „Soldaten der Arbeit", welcher gleich dem Beamten und dem Krieger Anspruch auf Pension habe, in die Er innerung zurückrufend, betont Adler, daß jenes Wort nickt bloß für den Lohnarbeiter, sondern auch für den Hand werker gelte: „Nachdem Las Deutsche Reich die Arbeiter versicherung geschaffen bat. für die Staat und Arbeitgeber jährlich mehr als Milliarde Mark Zuschuß zahlen, wird das Reich den Handwerkern, die zum großen Teile ebenfalls zu den unteren Schichten gehören und so einen harten Kampf um ihre Existenz zu bestehen haben, «inen ähnlichen Schutz nichk versagen können." * Berlin, 10. September. (Herr v. Podbielski über ü«n deutsch-russischen Handelsver trag.) Ueber die Aussichten eines neuen deutsch-russi schen Handelsvertrags soll sich der Landwirtschaflsminister v. Podbielski dem Chefredakteur der „Birschewija Wjedo- mvsli" (Petersburger „Bürsenzeitung") gegenüber näher ausgesprochen haben. Danach wies der Minister darauf hin, wie schon die bloße Wahrnehmung, daß in Rußland und in Deutschland die analogen Bevölkerungs- und Be rufsschichten die entgegengesetzten Bestrebungen haben, daß in Rußland die Landwirte als Exportintereflenten dieselbe Rolle spielen, wie bei uns die Industriellen, während die russischen Industriellen dieselben protektio nistischen Neigungen haben, wie die deutschen Landwirte, notwendig zur gegenseitigen Anerkennung der subjektiven Berechtigung der erhobenen Forderungen führt. Man hat Zeit gewonnen, das in Ruhe zu erwägen, und damit ist die Wahrscheinlichkeit gewonnen, -aß man -i« be rühmte „mittlere Linie" finden wird, auf der ein Ausgleich möglich ist. Freilich sind wir an die Rück sichten gebunden, die uns das Parlament auferlegt. Es wäre vergebliche Arbeit, wollten wir einen Vertragsent wurf vereinbaren, von dem wir nicht erwarten dürfen, daß er die Zustimmung des Reichstages finden wird. Wir müssen auch die Direktiven gelten lassen, die in der Festsetzung von Minimalzöllen enthalten sind. Sollte man in Rußland besonderen Wert darauf legen, den Unterschied zwischen dem Weizenzoll und dem Roggen zoll über 50 Pfg. für den Doppelzentner hinan» zu er höhen, so könnt« das nur unter Innehaltung der im autonomen Tarif für den Roggenzoll festgesetzten Minimalgrenze geschehen. Der Minister kst der Mei nung, daß Rußland Gelegenheit nehmen könnte und nehmen würde, sich Gegenleistungen, wenn man so sagen darf, auf dem Gebiete des Holz- und Petroleumhandels zu bedingen. Die Regelung der Biehzölle begegnet «tner zweifachen Schwierigkeit, deren kleinere Larin liegt, daß die Aenderung der Etsenbahntarife die Wirkung jedes nicht unbedingt prohibtttven Zolle» aufheben kann. Die größere liegt in den Maßnahmen, die zum Schutze gegen Viehseuechn unbedingt getroffen werben müssen. Auf die Grenzsperr« zu verzichten, hält Minister v. Podbielski für unmöglich, wenn jenseit -er Grenze ein Verseuchungs fall vorgekommen ist. Bet dem Fletfchversanb waltet in der Regel die Absicht ob, minderwertig«» Fleisch an den Mann zu bringen: dazu kommt, daß Rußland an gutem Fleisch keinen Ueberfluß hat. Wa» die Erwartung eine» zu erzielenden Einvernehmens steigert, ist der Hinblick auf die Tradition guter Nachbarschaft. Wir sind aufein- ander angewiesen und können miteinander gut auS- kommen. Lange Erfahrung hat un» gelehrt, daß wir zu einander Vertrauen haben dürfen. Wir behandeln ein ander wie Gentlemen. Haben wir ein Abkommen ge troffen, so führen wir e» auch in dem Sinne au», in dem es getroffen wurde, und wir sind sicher davor, daß irgend ein überraschender Trick uns in di« alte Meinungs verschiedenheit zurückwirft und in uns da» unbehagliche Gefühl hervorruft, wie seien nicht ehrlich behandelt worden. (D Berlin, 10. September. (Telegramm.) Die „Nordd. Allg. Zeitung" meldet: Die kürzlich von einem Wiener Blatte gekrackte Angabe, der Reichskanzler werde an der bevorstehenden Zusammenkunft des Kaiser» mit Kaiser Fran; Josef nicht teilnebmen, erweist sich als unzutreffend. Gutem Vernehmen nach wird Graf v. Bulow in den Tagen der Wiener Zusammenkunft sich in der Begleitung Seiner Majestät befinden. * Essen, 9. September. Unter den Kruppschen Arbeitern soll eine starke Mißstimmung wegen der Haltung der Firma gegenüber dem Koalition-recht ausgetreten sein. Wie die „Frkf. Ztg." berichtet, wird eine große Versammlung geplant. <D Merseburg, 10. September. «Telegramm.) Der Kaiser und Prinz Eitel-Friedricv sind 12'/» Ubr mittags aus dem Manövergelände hierher zurückgekehrt. * Aus der Ostmark. Zu den LandtagSwablen in der Ostmark bringt die „Kölnische Volkszeitung" längere Ausführungen, in denen das Blatt, das noch vor wenigen Tagen die überschwänglichen nationalen Loyalitäts versicherungen der Katholikentagsredner feierte, in unnach ahmlicher Harmlosigkeit die Notwendigkeit eines ultra- montan-polnischen Landtagswahlbündnisses für den Osten predigt! Es schreibt: „Konservative und Liberale haben hier bereit», wie in früheren Jahren, einen Kompromiß abgeschlossen und je einen Kandidaten für die kommende Wahl uomtniert. Bei einträchtigem Zusammengehen zwischen Zentrum und Polen un guter Wahlagitation wäre eS aber gar nicht ausgeschlossen, die vereinigten Konservativen und Liberalen au» dem Felde zu schlagen, um so mehr al» gerade hier gelegentlich der letzten Reichstagswahlen Konservative und LandwirtSbündler arg an einander gerieten. Leider verlautet aber von einer solchen Einigung immer noch nicht», und doch wäre e» in beider Interesse absolut notwendig. ES heißt vielmehr, die Polen wollten ihre eigenen Kandidaten aufstellen. Offiziell ist die« aber noch nicht geschehen, so daß immer noch eine gegenseitige Fühlungnahme nnd infolge dessen ein gemeinsame« Vorgehen möglich ist. Daß diese- recht bald geschehe, wäre um so notwendiger, al« bereit« feiten« der „Haka- ttsten" ave Anstrengungen gemacht werden, die deutschen Katholiken für dir sogenannten (!) gemeinsamen deutfchrn Kandidaten einzu- fangen. Daß solche hakatistischrn Anstrengungen nicht immer ver geblich sind, haben leider dir letzten Reich-tagSwahIen gezeigt, wo
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