02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030912023
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091202
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Filialrrprditionerr: VlfredHahn, Buchhandlg., Universitätsstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, «. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34. Ferusprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Lari Dumker, Herzgl. Bahr. Hofbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Abend-Ausgabe. UtMgtr TagMalt Anzeiger. KmlsAatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiaintes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PretS die ögejpaltene Petitzeile 2d H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familirunach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. Nr. M Sonnabend den 12. September 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. September. Die Besetzung der ostasiattschen Alottcnftation. ES scheint, als habe die Nähe der preußischen Landtags wahlen bei Herrn Eugen Richter das Bedürfnis erzeugt, die Sparsamkeit der Freisinnigen Volkspartei empfeh lend in Erinnerung zu bringen. So erklärt sich zwanglos ein Leitartikel, den das Richtersche Organ unter der Ueber- schrift „DaS Defizit liegt auf dem Wasser" ver öffentlicht. In dem Artikel beschäftigt sich die „Frei sinnige Zeitung" mit angeblich geplanten Ueberschreitungen des Flottenorganisationsentwurfes von 1900 und bemängelt u. a. die Stärke der ostasiatischen Flottenstation. Die dort vorhandenen deutschen Kriegsschiffe seien für den Schutz unserer ostasiatischen Interessen „mehr als zu viel"; denn die chinesische Flotte komme überhaupt nicht in Betracht und weder mit Japan noch »nit England, Frank reich oder Nordamerika hätten wir dort einen See krieg zu führen. „Die deutschen Kriegsschiffe", sagt die „Freisinnige Zeitung", „fahren dort auf und ab und wären anderwärts im Auslandsdienste nützlicher zu verwenden." — Selbst die nützlichste Verwendung deutscher Kriegsschiffe im AuSlandSdienste wird nicht verhindern, daß sie „auf und ab fahren" ; ja, ohne „Auf- und Abfahren", wie das Richtersche Organ aus gründlich fehlgreifender Spottsucht bemerkt, ist die nützliche Verwendung von Auslandsschiffen überhaupt nicht denkbar. Die nützliche Verwendung der Auslandsschiffe ist ferner ganz unabhängig von der Möglichkeit eines kriegerischen Zusammenstoßes mit den Großmächten, welche die „Freisinnige Ztg." namhaft macht. Die Besetzung einer Flottenstation hat sich nach der Größe der überseeischen Interessen zu richten und muß außerdem an Brenn punkten überseeischer WirtschaftSinteresscn auf die mari timen Machtmittel anderer Staaten wenigstens einige Rücksicht nehmen. Daß auch bei der Besetzung unserer ostasiatifchen Station nickt mebr als dies geschehen ist, lehrt em Blick auf die in Ostasien vorhandenen mari timen Streitkräfte anderer Großmächte. Nach der Tabelle im neuesten Bande des „NauticuS" hatte Rußland.Ende März 1903 auf der ostasiatischen Station 6 Linienschiffe, 3 Panzerkreuzer, 5 große und 5 kleine Kreuzer, 3 Kanonen boote, 2 Torpedobootszerstörer und 12 Torpedoboote; Eng land hatte 4 Linienfchiffe, I Panzerkreuzer, 5 große und 2 kleine Kreuzer, 12 Kanonenboote, 9 Torpedoboots zerstörer, 8 Torpedoboote und 8 Flußkanonenboote; die Vereinigten Staaten hatten 3 Linienschiffe, zehn kleine Kreuzer, 2 Küstenpanzcr; Frankreich hatte I Linienschiff, 1 Panzerkreuzer, 2 große und 3 kleine Kreuzer, II Küstenpanzer, 1 Torpedobootszerstörer, 8 Torpedoboote und 10 Flußkanonenboote; Deutschland endlich hatte kein em siges Linienschiff, nur 1 Panzerkreuzer, 2 große und 4 kleine Kreuzer, 4 Küstenpanzer, 2 Torpedoboote und 1 Fluß kanonenboot. Dem Gesamt Tonnengehalte nach ver fügte Rußland über 167 328, England über 131218, die Vereinigten Staaten über 57 842, Frankreich über 52 612, Deutschland über 35 266 Tonnen. Ein Blick auf diese Zahlen lehrt, daß „NauticuS" zu sagen berechtigt ist, Deutschlands Machtmittel auf der ostasiatischen Station seien geringfügig im Verhältnis zu denen der andern interessierten Mächte. Wenn im Gegensätze hierzu Herr Eugen Richter seiner preußischen Wähler wegen behauptet, es seien in Ost asien „mehr als zu viel" deutsche Schiffe für den Schutz unserer Interessen vorbanden, so ist das wohl nur ein Vor spiel dessen, was man im Reichstage bei der nächsten Flotten vorlage von diesem Parteiführer, der ja bekanntlich in Marine- Angelegenheiten auch für die sozialdemokratische Fraktion die Parole ausgibt, zu erwarten hat. Ultramontanc Minicrarbctt. Die Zentrumspresse schlägt in letzter Zeit sehr sanfte Töne an, die aber hoffentlich die liberalen Parteien nicht ein schläfern auf ihrer Wackt. Statt der lauten Kainpfrufe u la Trimborn auf dem „Katholikentage" zu Osnabrück greift das Zentrum jetzt zu einer geräuschloseren Taktik: der un sichtbaren, aber weit gefährlicheren Minierarbeik. Der Vor sitzende des Kölner Katholikentages, Herr v. Orterer, hat jedoch unvorsichtigerweise etwas von dieser geräuschlosen Arbeit, die in Bayern den Sturz des Ministerpräsidenten v. Erailsheim herbeiführte, verraten. Er sagte am vorigen Sonntag auf der Tuntenhausener Versammlung: „Die überraschende Entlassung des Ministerpräsi denten ist weder durch die öffentliche Meinung noch durch die Kammermehrheit herbeigeführt worden. Hier müssen ost andere an der Oberfläche nicht ganz bekannte Verhältnisse mitarbeiten und den Hebel an setzen; dann geht es!" Treffend bemerkt hierzu die „Köln. Ztg": „Damit hat Herr v. Orterer eine dankenswerte Erklärung abgegeben, die auch in der Betrachtung der preußischen Verhält nisse von der höchsten Wichtigkeit ist und nicht vergessen werden sollte. Auch in Preußen ist der Ultramontanismus unablässig beschäftigt mit einer solchen stillen, unbemerkten Minierarbeit, die unter der Oberfläche den Hebel ansetzt und deren Wirken in so manchen Fällen in überraschender Weise zu Tage tritt. Das „Ignorieren" der Ablaßrechnungen von 1517 ist dafür ein kleiner, aber recht bezeichnender Beleg gewesen. Es ist deshalb durchaus notwendig, daß auch in dem neuen preußischen Landtage die Augen mehr als bisher offen gehalten werden, um diese Schleich wege, auf denen so mancher eigenartige Kuhhandel zu Stande gekommen ist, anfzudecken." In der Tat haben die liberalen Wähler in Preußen alle Ursache, bei den Wahlen zum Ab- gcortnetenhausc ihre Augen vor der drohenden Ge fahr nicht zu verschließen. Aber es sind die preu ßischen Wähler nicht allein, die ermahnt werden müssen, die Augen offen zu halten. Es liegen Symptome in Fülle dafür vor, daß dre im ganzen Reiche sehr einflußreiche Stelle, die daS „Ignorieren" der Ablaßrechnungen von 1517 befahl und die wahrscheinlich auch an dem selbst Herrn v. Orterer überraschend gekommenen Wechsel im bayerischen Minister präsidium nicht ganz unbeteiligt ist, in Baden und in anderen Einzelstaaten einer der neupreußiscken ähnlichen Politik den Boden zu bereiten sucht, schon um im Bundesräte das Ver sprechen einlösen zu können, daS den, Zentrum bezüglich deS tz '2 des Iesuitengesetzes gegeben worden »st. Es wurde uns auch nicht überraschen, wenn demnächst aus Karlsruhe eine Meldung cinträfe, die deu Erfolg jener Bemühungen bewiese. Um so größere Achtsamkeit ist in den anderen Einzelstaaten nötig. Wahlniederlage der norwegische» Negierung. Nunmehr liegen, nachdem das Zünglein an der Wage lange geschwankt, die Resultate der norwegischen Storthingwahlcn vollständig vor. Danach wird der kommende Storthing aus 63 Mitgliedern der Rechten und Moderatenpartei, 50 Mitgliedern der Linken und 4 Sozialisten zusammengesetzt sein. Der Sieg der Rechten ist also Tatsache, die norwegische Bauerndemokratie, die bisher die Gewalt in der Regierung (Ministerium Blehr) innegehabt, hat abgewirtschaftet, wenn sie auch immer noch über eine erhebliche Anzahl von Storthing- sitzen verfügt. Der fanatische Sckwedenbaß verfängt nicht mehr. Gerade daS unionspolitische Entgegenkommen der schwedischen Zweiten Kammer führte diesen Umschwung herbei. Hätte die Regierungspartei die „Durchführung der Konsulats sache in nächster Saison" und die „gleichzeitige energische Arbeit für ein eigenes Ministerium des Auswärtigen" von ihrem Wahlprograinm sortgelassen, so würde sie heute noch uner schüttert dagestanden haben. Als wahrscheinlich gilt, daß Professor Hagerup, der staatsmännisch hochbegabte konser vative Führer, der Chef der neuen Regierung wird, unter deren Mitgliedern der Staatsrat vr. Sigurd Ibsen das freisinnige Element repräsentieren dürfte, da Hagerup schon vor Beginn des Wahlkampfes erklärt hat, auf keinen Fall ein reines Parteiministerium zu bilden. Nussifizterung AinlandS Der Zar hat soeben einen wichtigen UkaS für die sin- ländische Universität Helsingfors erlassen. Es werden dort zwei neue Lehrstühle gegründet, von denen der eine für das russische Staatsrecht und die Geschichte deS russischen Rechts, der andere für die Geschichte Rußlands und russische Staatskunde hestimmt ist. Die Eröffnung beider Professuren soll nicht später als nach drei Jahren erfolgen. Der Vortrag in diesen Fächern wird in russischer Sprache erfolgen, ebenso die Prüfung, und außerdem sind die Studenten mehrerer Fakul täten verpflichtet, die Vorlesungen zu hören und über ihre Kenntnisse sich prüfen zu lassen. Deshalb wahrscheinlich werden die Lehrstühle nicht schon jetzt, sondern erst nach einiger Zeit eingerichtet; man will den Studenten die Möglichkeit bieten, die russische Sprache zu erlernen. Der Zar hat am Schluffe seines Ukases bezeichnender Weise hinzugefügt, er hoffe, daß die neuen Lehrstühle beitragen werden, in den Herzen der sinländiscken Jugend „Ergebenheit für den Thron" und „freundliche Ge fühle für Rußland" zu erwecken. Vorläufig ist davon im Großfürslentum nichts zu bemerken. Der UkaS, der übrigens nicht überraschend kommt, wird allgemein als ein neues Mittel der Nufsifizierung angesehen. Die englische Besiedelung Kanadas. Seitdem in England der Plan einer engeren Handels verbindung mit den Kolonien entstanden ist und als nächstes Ziel die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs aus kolonialen Produkten angestrebt wird, ist die Besiedelung Kanadas, das bezüglich der landwirtschaftlichen Ertragfähigkeit die größten und schnellsten Erfolge verspricht, in ein neues Stadium getreten. Weit lebhafter als in früheren Jahren gestaltete sich die Auswanderung, in England bildeten sich Comitss, welche sich die Förderung dieser Bewegung zur Aufgabe machten, und auch im Auslande wuchs das Interesse an den neu zu erschließenden Gebieten und kam in einer stark ver mehrten Zahl der nach Kanada gehenden Auswanderer zum Ausdruck. Die meisten dieser aus allen Teilen Europas stam menden Auswanderer haben sich durch die Versprechungen der in England, in erster Linie in London und Liverpool be ¬ stehenden „Gesellschaften für die kanadische Auswanderung" verlocken lassen, ihren Weg nach Kanada zu nehmen, in der Hoffnung, dort am ehesten Beschäftigung zu finden und zu einem leidlichen Wohlstände zu gelangen. Jetzt erläßt der kanadische AuSwanderungskommiffar in Ottawa folgende amtliche Warnung: „Nachdem das Londoner AuS- wanderungsbureau der kanadischen Regierung über die Tätig keit der sog. Gesellschaften für die kanadische Auswanderung, die innerhalb Englands bestehen, sorgfältige Erhebungen an gestellt hat, muß die mit der Organisation des Auswanderungs wesens betraute kanadische Behörde jede Verantwortlich keit für die von den bezeichneten Gesellschaften ge machten Versprechungen ablehnen; zugleich werden alle, die nach Kanada auszuwandern beabsichtigen, dringend er sucht, bei dein amtlichen Auswanderungsbureau der kanadischen Regierung in London, welches allein verbindliche Auskünfte erteilt, Erkundigungen über die Bedingungen der Einwan derung und die Lebens- und Arbeitsverhältniffe in Kanada einzuziehen." Leider kommt diese Warnung der kanadischen Regierung etwas verspätet, denn bereits sind viele Tausende durch Vermittelung der genannten englischen Gesellschaften zur Auswanderung nach Kanada bestimmt worden. Deutsches Reich. a Berlin, 11. Sevtember. (Die wahre Sozial demokratie.) Wiederholt haben wir davor gewarnt, all dem jetzt im sozialdemokratischen Lager tobenden Streite zu weit gehende Schlüsse zu ziehen. Die „Mauserung" der Sozialdemokratie scheint uns durch die Stellungnahme einer kleinen Anzahl sogenannter Revisionisten zur Vuepräsidenten- Frage weiter denn je in die Ferne gerückt. Ueberall, wo Organi sationen geschaffen sind, die ein leidlich gutes Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen und Arbeits konflikten vorbeugen könnten, bemächtigt sich ihrer die Sozial demokratie und macht sie zu unbedingt fügsamen Werkzeugen im Dienste der sozialdemokratischen Parteipolitik. Wer kann jetzt noch von den „neutralen" Gewerkschaften sprechen? Sie sind der Sozialdemokratie vollständig hörig geworden und gehen mit rücksichtslosestem Terrorismus gegen vereinzelte Mitglieder oder Beamte vor, die es etwa wagen, gegen den sozialdemokratischen Frondienst sich aufzulehnen. Was sich vor allem dem anti-monarchischen Prinzip der Sozial demokratie entziehen will, das wird als besonders ae- ährliche Sippe bezeichnet, gegen die festes „Zupacken" Er- »altungspflicht der Sozialdemokratie sei. Dies führt da» özialdemokratische Zentralorgan, der „Vorwärts", heute in einem Artikel über die „Einheit der Aktion" aus. Seine Darlegungen zerstören wohl endgültig die Träume von einem baldigen Uebergange der durchaus republika nischen, sozialdemokratischen Klaffenpartei in eine radikale Volkspartei. „Niemand denkt daran", schreibt heute der „Vorwärts", „den Monarchen mit der Sozial demokratie versöhnen zu wollen", und fährt dann fort: „Das wäre allerdings eine Meinungsverschiedenheit, die ernst haft wäre und die zum Austrag gebracht werden mußte; Niemand betrachtet auch die Hofgängerei als eine Konzession an die bürgerlichen Parteien; die Befürworter meinen vielmehr: die bürgerlichen Parteien werfen uns nur den Strohhalm hin, damit »vir darüber stolpern; den Gefallen tun wir ihnen aber nicht.' Die Taktik der Sozialdemokratie in der Vizepräsidenten- »es arx- «tll- w-li. lot»- »iL», /dt»- >»i<t« 1l»o, »iso, :or>» ilrit »5/H rurx »rch xot 'örk 0«t- U»8) U«» äl» Feuilleton. 9i Ingeborgs Kinder. Roman von Margarete Böhme. Nae inilk verboten Ellen — eben diese dritte Tochter Leisemanns — war von Kind an ein von der Natur überreich mit äußeren und geistigen Vorzügen ausgestattetes Mädchen gewesen. Schon früh hatte sich eine Neigung bei ihr zum Un gewöhnlichen bemerkbar gemacht. In einem Alter, wo andere junge Mädchen mit Herzklopfen an ihren ersten Ball denken und hundert niedliche Nichtigkeiten im Köpf chen haben, las sie deutsche und ausländische Philosophen, studierte römisches Recht, kritisierte Nietzsche und begeisterte sich für Tolstoi. Sie behauptete, daß sie sich niemals ver heiraten werde, weil sie die Ehe in ihrer gegenwärtige»» Form für eine unmoralische Institution halte, und daß nach ihrer Ansicht nur die freie, lediglich auf Herzens neigung und Pflichtbewußtsein fundamentierte Ber einigung zweier Menschen sittlich anerkennenswert und wahrhaft moralisch sei. Sie verfocht ihre eigenartigen, allgemeine Entrüstung hervorrufenden Anschau»rngen mit so viel Energie, ihr ganzes Verhalten beschrieb einen so weiten Bogen um den Koder der Gesellschaft, welcher sic angehörte, daß sie schon vor »hrem „tollen Streiche" ziem lich unmöglich in dieser Gesellschaft war und es gar keine große Verwunderung hervorries, als eines Tages das Ge rücht ging, Ellen Leikemann werde demnächst ihre revo lutionären Ideen wirklich zur Ausführung bringen. Wirklich hatte sie die Bekanntschaft eine» Mannes ge macht, der ihre Ansichten über die „freie Liebe" teilte. Er kam auS Amerika, wo er eine ejeitung herausgegeben hatte, deren Verkauf ihm ein kleines Vermögen einbrachte, von dessen Zinsen er in bescheidenem Wohlstände lebe»» konnte. Tin Zufall führte ibn mit Ellen Leisemann zu sammen; beide verliebten sich ineinander, und da sich über dies «ine seltene Uebereinstimmung ihrer Ansichten ergab, beschlossen sie, sich freihändig, ohne Priester und Standes- amt, miteinander fürs Leben zu verbinden. Es soll ja seinerzeit furchtbare Austritte im Hause Leise mann gegeben haben. Ellen bestand auf ihrem Willen und setzte allen gütlichen Vorstellungen, Drohungen, Bitten und ihrer gesellschaftlichen Achterklärung zmn Trotz ihre»: Entschluß durch. Eines Tages war sie aus ihrem Eltern- Hause verschwunden . Nun lebte das Paar schon seit sieben Jahren — und wie es hieß, in glücklichster Harmonie! — in Wien. In den Annalen der Familie Leisemann war der Name des entgleisten Kindes ausgelöscht. Sie war nicht tot, nein, sie hatte nie gelebt, diese Ellen. Dennoch kreisten die Schatten jenes Vorkommnisses noch immer verdüsternd um das sonst glückliche Familienleben; es war der wunde Punkt das Skelett im Hause, das man sorgfältig geheim zu halten suchte und um dessen Vorhandensein doa> jedermann wußte. Thyra hatte durch Fritz diese Einzelheiten erfahren. Allgemein war man erstaunt, daß Leisemann bis dahin keine seiner Töchter mit einem seiner Assistenzärzte ver heiratete. Dem Schwiegersohn des berühmten Chirurgen konnte auch ohne pekuniäres Beiwerk eine glänzende Zu kunft nicht fehlen. Kusekoff wollte sich später dec Bewirt schaftung seiner Güter widmen, konnte also in dieser Hin sicht nicht in Betracht kommen. Thyra merkte an dem wohlwollenden Empfange, der ihr seitens der Dame deS Hauses bereitet wurde und der Freundlichkeit, mit der die jungen Mädchen sie begrüßten, daß Kusekoff hier für sie vorgearbeitet und ihr den Weg bereitet hatte. Befangenheit kannte sie nicht — Personen und Verhältnisse hatten in ihren Augen immer nur den abgestuften Wert von mehr und minder interessanten Studienobjekten —, und so war bald eine lebhafte Unter haltung im Gange. Im Handumdrehen hatte sie die Anwesenden nach dieser Norm abgewertet: Die Geheimrätin in jedem Zoll die Dame -er großen Welt, anscheinend ziemlich vielseitig gebildet und nicht ohne natürliche Herzensgüte; Auguste, dte Braut, eine hübsche, helläugige Blondine, etwas vorlaut und voll Uebermnt, bet aller „Gerissenheit" des echt Berliner Back fisches noch ein richtiges Kind; Olga — oder wie man sie hier rief: Olli, ein schmalbrüstiges, neunzehnjähriges Mädchen, ebenfalls hellblond, ein Gesicht, das wie die Figur in allen Details etwas zu lang und schmal geraten schien, schläfrige hellbraune Augen un- nußbraunes, modern frisiertes Haar. «Die chike Eleganz der Toilette, eine Wolke von Puder und ein ganz diskreter Hanch von rosa Schminke taten ein übriges, um di« im Grunde un ansehnliche junge Dame zu einer recht beachtenswerten, hübschen Erscheinung zu machen. „Ich hör« von Herrn Kusekoff, daß Die sich anch schön geistig beschäftigen", sagte die Geheimrätin, „das ist hübsch. Das habe ich gern. Etwas künstlerische Veranlagung ist ein prachtvolles Gottesgeschenk. Meine Mädchen sind auch alle talentiert. Meine Tochter Helene, die Sie später kennen lerne»» werden, ist hervorragend musikalisch be gabt, Gnsti malt sehr nett und Olli hat eine nicht un bedeutende literarische Veranlagung; besonders auf dem Gebiete -er Kritik; sie hat einige wundervolle Essays ge schrieben. Wie ich hörte, sind Sie auch schon gedruckt worden." „Nur in unserer heimatlichen Provinzpreffe, gnädige Frau." „Io, ja, die großen Zeitungen und Zeitschriften sin- leider Gottes so von erwerbslüsternen Berufsschriftstellern umlagert, daß es für eine junge, ideale Kraft schwer hält, dort anzukommen", »aale die Dame, »nit ihrem lang gestielten Lorgnon spielend. „Darin besteht eben der Ucbelstand unseres heutigen Schrifttum», daß zu viele Leute ei»» Geschäft, ein Handwerk aus -er idealsten aller Künste machen. Das Schriftstellern sollt« immer nur eine Ehren- und keine Honorari'ach« sein." „Dieser Ansicht kann ich nicht beipflichten, gnädige Frau! Nach meinem Dafürhalten ist es keine Ehre, ohne Honorar gedruckt zu werden. Darin liegt eine Gering- schäynng der schriftstellerischen Leistung seitens des Ver legers, die für den Verfasser keineswegs schmeichelhaft ist." „Eben, weil die Verhältnisse einmal so sind. Es sollte anders sein. Das schöngeistige Talent sollte immer Edel gut bleiben, mit dein man keinen Schacher treibt, dessen Lohn einzig und allein der grünende Lorbeer ist. Statt dessen betrachten diese Berufsschrifisteller die Literatur gleichsam als melkende Kuh. als eine Ware, ans der man Kapital schlägt " „Aber — erlauben Sie, gnädige Frau! Die Schrift steller wollen doch leben", »sagte Thyra etnz»rwenden. „Sie verstehen mich nicht richtig, liebes Fräulein. Ich meine, eben diese Elemente, die nur des Verdienstes wegen schreiben — schreiben muffen — sollten aus der Literatur ausgemerzt werden. Denken Sie, wieviel Schöneres und Idealeres diejenigen zu lösten im stände sind, die nur um des Ruhmes willen und nicht für klingenden Lohn ar beiten. Solche, denen nicht die Misere des platten Alltags lebens anklebt, die schon durch ihr Milieu auf Schönheit der Formen und Kunst gestimmt, sozusagen trainiert sind. Nur aus unfern Kreisen — dabei bleibe ich — können die echten, wahren Dichter hervorgehen." Thyra war sonst nicht eben auf den Mund gefallen, wo «S ihre Ansichten und Ueberzeugungen zu verteidigen galt, aber die sonderbare Loaik der Dame verblüffte sie -er maßen, daß sie nicht sogleich eine Erwiderung fand. Und die Geheimrätin sprach weiter, daß sie im Vorstande eines Frauenvereins sei, der sich theoretisch und praktisch mit -er Krauenfrage beschäftige und der nebenbei auch Kunst und Wissenschaft pflege, und daß es sehr zweckmäßig und em pfehlenswert für die junge Dame sei, sich in diesen Ver ein ausnehmen zu lassen; Tbvra könne dort wirklich viel lernen. Und an jedem ersten Freitag im Monat gab sie einen literarischen Tee, und ein geistreicher Mann habe diese Abende einmal als den Brennpunkt des Berliner geistigen Lebens bezeichnet. Fräulein von Rönniger sei freundlichst dazu einaeladcn. Die berühmtesten Sterne seien ständige Besucher, zum Beispiel der Dramatiker V . . . und der Romanzier S . . und L „Ach V. . .!" Die Geheimrätin seufzte vor Entzücken. Sein neuestes Drama kenne sie beinahe auswendig. ,„Zu herrlich!" „Aber diese Herren beziehen doch auch Honorare für ihre Geistesprodukte", sagte Thyra, einem rückwärtigen Gedankensprunge Worte gebend. „Ja — die! Solche Berühmtheiten. Das ist selbst verständlich, daß solche Männer goldenen Lorbeer ernten." „Sie waren aber auch nicht von Anfang an berühmt." Die Beharrlichkeit, mit der Thyra an -em Thema fest- hielt, schien die Geheimrätin zu langweilen. Ohne weiteres nahm sie einen andern Gesprächsstoff auf. Ende nächster Woche veranstaltete sie einen kleinen familiäre»» Tanzabend, und man werde sich das Vergnügen machen, Fräulein von Rönniger und Herrn Doktor Christiensen dazu einzuladen. Fräulein Olga, die sich bis dahin ziem- lich schweigsam verhalten hatte, fragte, ob Thyra am letz ten Abend im Deutschen Theater gewesen. Ibsens „Nora" war gegeben. Tic schwärmte für Ibsen. Ueberhaupt für nordische Dichter. Diese Kraft der Sprache, diese Wucht der Handlung, die Großartigkeit der Ideen Die „Ge- spenster" erst . . . ah . . . man sei ordentlich erschöpft nach solcher Vorstellung." Fräulein Olga sprach sehr fließend und geistreich, wie ein personifiziertes Theaterfeuilleton. Ihre eintönige nnaccentuierte Stimme verminderte aller- -tngs den Effekt; eS hörte sich an, als ob sie etivas auS- wendig Gelernte» anfsagte. Vielleicht war der Verdacht nicht einmal so ganz von der Hand zu weisen Thyra ivar nur einmal im Theater gewesen, aber sie hatte die Meisterwerke der modernen nordischen Literatur gelesen und ihre Feinheiten eingehend studiert; übrigens ließ der glatt dahinslictzende Wortschwall des FräulcimH
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