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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030915013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-15
- Monat1903-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnanuahme 85 H (excl. Porto). Extra. Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70 — Ännalimeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeige« sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig. S7. Jahrgang. Die englischen Liberalen. Die letzte Tagung deS Parlaments war schon völlig von Chamberlains Zollplänen beherrscht, obwohl diese noch keineswegs als gesetzgeberische Borlag« zur Ber- Handlung standen, ja, obwohl die politischen Gedanken des Kolonialministers überhaupt noch keinen schriftlichen formalen «Ausdruck aefurrden haben. Auch die Ferien stehen unter dem Einflüsse des Kampfes um di« Handels- Politik, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß die ganzen nächsten Jahre der politischen Geschichte des Insel reiches durch den Streit für oder wider Chamberlain er füllt sein werben. In diesem erbitterten Kampfe wird nicht «her Frieden geschloffen werden, als bis das britische Weltreich ein Zollimperium nach dem Herzen Chamber lains geworden ist oder bis — was ausgeschlossen — die untonistisch-schutzzvllnertsche Rechte durch eine frctyändle- rische Strömung bis auf die letzte» Reste hinweggespült sein wird. Selbst der Tod des „Emporkömmlings" von Birmingham würde nur einen Waffenstillstand in diesem Kriege «bedeuten. Chamberlain, dieser Mann von „ge hacktem Eisen", wird nicht nachgeben, bis er am Ziele ist. Er hat im Kampfe gegen die Boer«n kaltlächclnd die Niederlagen von Colenso und Magersfontein eingesteckt, auch Wahlschlappcn, wie die von Argyllshire, und kämen sie zu Dutzenden, werden ihn in seiner Politik nicht irre machen. Dieser Mann ist in seinen Zielen Fanatiker und in seinen Mitteln skrupellos wie ein Jesuit. Jede noch so bedenkliche Waffe ist ihm recht, wenn sie mir dem Gegner Wunden zufügt. Wie er in der Transvaalpolitik mit Ver logenheit, Heuchelet und noch Schlimmerem arbeitete, so läßt er auch jetzt seine Preffemeute auf seine frcihändle- rischen Gegner los und verdächtigt sie -und beschimpft sie als Landesverräter, bezahlte Agenten des deutschen Tod feindes nsw. Man darf bet alledem mit einiger Sicher heit annehmen, dast, so viele Wechselfälle der Kampf auch bringen mag, Chamberlain mit derselben Zähigkeit, wie sein handelspolitischer Antipode Cobden um die Mitte -es vergangenen Jahrhunderts, ausharren wird, und schließ lich, wie vor fünfzig Jahren Manchester, so jetzt Bir mingham den Sieg erringen wird. Immerhin mag bis dahin noch viel Wasser am House of Parliament vorbeiflicßerr. Ja, es ist sogar nicht un möglich, daß -er gegenwärtigen, ganz vorschriftswidrig langen Herrschaft der unionistisch-konservatiocn Rechten eine vorübergehende liberale Periode folgen wird. Die gegenwärtige Zeit in England ist am gefährlichsten für die Unentschlossenen, die Halben und die Lauen, und so sind am schlimmsten daran die sreihändlertschen Unionisten und die liberalen Imperialisten von der Richtung Rose berys. Bon grober Kampfesfreudigkeit ist bei diesen Opportunisten nichts zu spüren. Dagegen klingt der Schlachtruf hell und herausfordernd aus den Reihen der Imperialisten saus pstrus«, und ebenso wittert man im Lager der vorgeschrittenen und radikalen Linken endlich Morgenlust. Die letzten Nachwahlen zeigen, daß das Wort vom Brotwucher, das auch bei uns die Massen in das Lager -er Radikalen jagt, gewirkt hat) falls, wie anzu nehmen, über kurz oder lang in England ber Appell an die Wähler in Neuwahlen im ganzen Lande erfolgt, so ist eS nicht unmöglich, daß «der Sieg sich nach langen, kummervollen Jahren einmal wieder den Liberalen zu wendet. Jedenfalls ist jetzt zum ersten Male ber Zeitpunkt gekommen, seit Rosebery Salisbury Platz machen mußte, daß man «in kommendes liberales Ministerium in Er wägung ziehen muß. In den Kreisen des Kolonial ministers weiß man di« drohende Gefahr wohl zu wür digen und sucht bei Zetten den Gegner da zu treffen, wo er am verwundbarsten ist. Es ist das alt« Lied, das aber immer wieder wirkt, «das jetzt von der Chamberlainpresse angestinmtt wird: der Sana von «dem Mangel an führen den Männ«rn im liberalen Lager. Als ob mit der kon servativen Mtnistergarnttur gegenwärtig sonderlicher Staat zu machen wär«. Salisbury war der letzte Mann rin«r großzügigen, vornehmen konservativen Politik. Sein Neffe, der gelehrte und sportfreudig«, aber un gewandte und unentschlossene Balfour, hat völlig versagt. Ritchie ist ein vortrefflicher Ftnanzmtntster, ist aber wirtschaftlich durchaus Anhänger einer liberalen Handels- Politik und eher als Gegner der augenblicklichen Strö mung in der Regierungspartei aufzufaffen. Und wer ist dann sonst in den ragenden Hallen des „Hotel Lecil" zu finden, der im Ernste darauf Anspruch machen kann, als Staatsmann großen Stils angesprochen zu werd«»? — Damit soll sticht gesagt sein, daß es auf ber rechten Seite in Westminster an hervorragenden Kräften s«hlt; ganz ge wiß nicht, aber der Nepotismus der letzten Lalisburyschen Periode und der prüde Toryhochmut Balfours sperrte diesem Nachwuchs« die Tore, und nun machen di« LanS- downe und Brodrick sich auf Kosten des ganzen Kabinetts lächerlich. Der einzige wirkliche Mann im Kabinett ist Chamberlai»», dieser Selfmademan, der eigentlich gar nicht in diese aristokratisch« Gesellschaft paßt. Dagegen sind auf der Linken tüchtige Köpfe genug, aber die Partei leidet an Disziplinlosigkeit und heilloser Zersplitterung. Nachdem Rosebery durch sein unerklärliches Schwanken imrd Zögern alles Vertrauen verscherzt hat, wäre Sir Henry Campbell Bannerman, der Führer «der oppositionellen Linken, als Chef eines zu künftigen liberalen Ministeriums ins Auge zu fassen. Zwar ist er in der letzten Zeit wenig hervorgetreten und hat auch noch keine Plattform für feine Partei im bevor stehenden Wahlkampfe aufgestellt. Aber aus andern Symptomen kann man erkennen, daß Campbell Banner inan eventuell als Nachfolger Balfours in Frage käme. Ein untrügliches Zeichen für den Ernst seiner Kandidatur sind die Intrigen, die jetzt bereits im Chambcrlainschen Lager gegen ihn gewonnen werden. Wie auf Signal ging in den letzten Tagen durch die Regierungspresse die Nach richt, daß Sir Henry sich vom politischen Leben ganz zurück- zuziehen gedenke. Zwar daran war kein Wort wahr, und Campbell Bannerman ließ denn auch sofort feststellen, daß er jetzt, wo nach langer, trüber Zeit endlich glorreicher Sommer für die Sache der Whigs zu kommen scheine, gar nicht daran denke, von der politischen Bühne abzutreten. Jedenfalls ist bei einem Sturze des Ministeriums Balfour Campbell Bannerman der Mann der ent schiedenen Linken. Der persönlich hochehrenwerte Mann hat auch bei den Gemäßigten Freunde genug, so daß trotz seiner etwas unvorsichtigen Haltung in der Transvaalfrage auch die Gefolgschaft Asquiths und Rose berys, an dem die Seinen schon längst irre geworden sind, ihm -»laufen würde. Der schottische Lil'eralismus wäre ihm sicher, und auch die Iren würden den alten Gladsto- nianer unterstützen. Trotzdem wird Campbell Banner- man vielleicht davon Abstand nehmen, die Führung einer Regierung selbst zu übernehmen. Die Gründe dazu liegen nahe genug. Der jetzige Führer der Liberalen würde eine vortreffliche innere Politik machen. Aber für die äußere Taktik wäre er nach Ansicht -er überwiegenden Mehrheit des englischen Volkes ein Verhängnis. Es ist nun einmal nicht anders: die Insu laner sind all« von dem imperialistischen Fieber angcsteckt und haben für die Gedanken des Little- EngländertumS im Sinn« Campbell Bannennans nicht das geringste Verständnis mehr. So würde also Campbell in einem neuen liberaler» Ministerium vielleicht eine ähnliche Rolle spielen, wie Chamberlain im jetzigen: die Rolle eines „heimlichen Kaisers", der die äußeren Zeichen der Führerschaft andern überläßt. Sir Henry würde jedenfalls in das Ressort des Aeußern sich nicht cinmtschen und vielleicht sogar in das Ministerium selbst gar nicht eintreten, sondern nur der eigentliche Be rater der neuen Regierungspartei sein. Möglich, daß Lord Spencer, der Führer der Opposition im Oberhanse, dann Premierminister wird und Asquith der Führer des Unterhauses würde. Das sind einstweilen aber noch alles Zukunftsträume. Aber selbst wenn sie Wahrheit werden sollten: wir glauben nicht, daß die Herrlichkeit eines Whigmintsteriums lange dauern würde, dazu ist der imperialistische Gedanke schon zu mächtig geworden. I'. ^V. Deutsches Reich. tt Berlin, 14. September. (DaS Aversioni erungs- abkommen mit der Reichspost.) Im preußischen Staatshaushaltsetat für 1904 wird auch wieder der Posten erscheinen, der sich auf da- AversionierungSabkommen mit der Reichspostverwaltung bezieht. Bekanntlich hat Preußen mit der Reichspostverwaltung wegen der Beförderung der Postsendungen in Staatsdienstangelegenbeiten ein solches Abkommen vor Jahren getroffen. Während es aber früher von drei zu drei Jahren lief, hat man e- zum letzten Male anders bemessen, weil man zunächst die vom Staate zu zahlende Vergütung neu berechnen wollte. Bisher ist die Portopauschsumme stet- ent sprechend der gesteigerten Zahl der dem Averstonierungs- verfahren unterfallenden Postsendungen gesteigert worden. Früher betrug sie 7,5 Millionen Mark, im Etat für 1902 war sie auf 8,8 Millionen Mark, in dem für 1903 auf 9,7 Millionen Mark festgesetzt. Jedoch die Ermittelungen, die für die Berechnung der Vergütung im Jahre 1894 benutzt wurden, liegen über 10 Jahre zurück. In diesem Zeiträume sind nicht nur in der Organisation und dem Geschäftsbetriebe der Staatsbehörden einschneidende Nenderungen durchgeführt, es haben sich auch auf dem Gebiete des postalischen Tarifwesens Umwälzungen vollzogen. Man hat deshalb bekanntlich in Preußen eine Ermittelung des jetzigen wirk lichen PostverkebrS der StaatSbehörqen in der Weise ein treten lassen, daß in der Zert vom 1. Januar bis 31. Dezember 1903 eine Portozähluna mittels Zäblniarken stattfindet. Das Ergebnis dieser Zählung soll der späteren Festsetzung der Portobauschsumme zu Grunde gelegt werden. E- steht zu hoffen, daß die Ergebnisse schon bald eine Berück sichtigung im Etat erfahren können. 6. N. Berlin, 14. September. (Wahlbewegung und Wahlaussichten in Berlin.) In Hunderttausenden von Exemplaren haben heute die Sozialdemokraten ein Flug blatt mit der Ueberschrift: „Auf zur Landtag-wahl!" verbreitet. Diese« Flugblatt, das die sozialdemokratischen Vertrauensleute herausargeben haben, schließt mit den Worten: „Setzt alle Eure Kraft ein, bannt der Tag der Landtagswahlen ein ebenso glänzende- Zeugnis von der Macht der Arbeiterklasse ablegt, wie der 16. Juni, der Tag der Reichstag-Wahl! Nieder mit der Reaktion, der staatlichen und polizeilichen Bevormundung, der Rechtsunsicherbeit und der Bevorzugung der besitzenden Klasse! Auf zum Kampfe für die Frcikeit und den Fortschritt auf allen Gebieten, für Wissen und Aufklärung! Vorwärts zur Erringung des allgemeinen gleichen, direkten und ge heimen Wahlrechts auch zu diesem jetzt so vermoderten Junkerparlamente!" In dem Flugblatte wird mitgeteilt, daß jeder Wahlberechtigte von einem Vertrauensmanne aus gesucht werden wird, der sich davon überzeugen soll, ob auch die Eintragung in die Wählerliste erfolgt ist. Bei dieser intensiven Agitation der Sozialdemokratie ist, zumal die früher freisinnige Organization in den Bezirksvereinen stellenweis fast ganz eingeschlafen ist, der Sieg der Sozial demokratie wohl in allen Bezirken der dritten Abteilung im zweiten und im vierten Wahlkreise so gut wie gewiß. Die Steuerdrittelung bringt es leider mit sich, daß wir hier in Berlin an der äußersten Peripherie im Norden und im Osten eine nicht unbedeutende Anzahl von Bezirken haben, die nicht nur in der zweiten, sondern sogar in der ersten Klasse sozialdemokratisch gefärbt sind. Und da nun die Sozialdemokraten fest entschlossen sind, der freisinnigen Volkspartei keine Heeressolge mehr zu leisten, so kann es sich ereignen, daß die freisinnige Volkspartei sechs Mandate in Berlin verliert. Herr Engen Richter zieht also mit trüben Aussichten in den Wahlkampf. Eine nennenswerte Partei verschiebung wird ja voraussichtlich im Abgeordnetenhanse nicht stattfinden, jedenfalls aber hat die freisinnige Volks partei eher auf eine Einbuße, als auf Zuwachs zu rechnen. * Berlin, 14. September. (Die Ueber Windung des Ultra montanismus.) Graf Hoensbroech veröffentlicht in seiner Monatsschrift „Deutschland" einen ans dem Kreise des „Rheinischen Bauernvereins" stammenden Brief, der von der Ueberivindung des Ultramontanismus handelt und bemerkenswerte Züge aus dem Kampf eingeengter Bauernnatnren be schreibt: . . Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Macht des Zentrums und der von der katholischen Geistlichkeit ausgeübte Geistesdruck nur von innen heraus gebrochen werden könne. Die Kraft bezw. die äußere Stärke der Partei ist ja nur sie wirklich ehrliche Gläubigkeit der Landbevöl kerung; denn in den Städten stützt sich ihre Herrschaft doch nur auf die Frauen, die im Beichtstuhl bearbeitet werden. Der Bauer aber hat bisher aufrichtig geglaubt, und er sah in der von dem Priester vertretenen Geistesgewalt die gesamte Staats und Weltordnung, der er unbedingt zu gehorchen habe. So bald aber der Bauer erkennt, daß der Geistliche seine materiellen Interessen schädigt, so entstehen in ihm die Zkvcifel an der Echtheit des göttlichen Berufes des Priesters. Wenn der Bauer erkennt, daß nur eine nationale Heimats politik seine wirtschaftlichen Interessen schützen kann, während die von dem Priester vertretene Rom-Politik in Wahrheit eine internationale Politik ist, welche die weltlichen und die wirtschaft lichen Interessen des deutschen Bauern an das Ausland preis gibt, — dann erwacht in dem katholischen Bauern die Vater landsliebe, und wenn er dann sehen würde, daß (was heute leider nicht der Fall ist) der Staat und seine amtlichen Vertreter mit Entschiedenheit für die Interessen des Bauern eintreten würden, so würde dem gut katholischen Bauern doch der Staat als das Wertvollere gegenüber der Kirche er scheinen. Es ließen sich Hunderte von Beispielen an führen, wie unter den hiesigen Bauern zum größten Entsetzen der Kapläne das vaterländische Gefühl erstarkt, wie sie den Fürsten Bismarck nachträglich zu würdigen lernen, und wie sie über die Priester hinweg nach der Staatsautorität verlangen. Deshalb glaubte ich, diejenigen Kreise, welche eine starke antiultramontane Be wegung wünschen, würden sich für die Unabhängigkeits bewegung der katholischen Bauern interessieren und dieselbe in irgend einer Weise fördern. Man mag Herrn Schreiner wegen seiner agrarischen Haltung nicht besonders lieben; aber hier im Westen ist er der schärfste Gegner des Zentrums. Die Kaplanokratie freut sich über jeden offenen Angriff des Libe ralismus gegen die katholische Kirche, weil sie dann vor ihren Gläubigen über Verfolgung jammern kann; aber gegen die Schreinersche Taktik, durch welche die Bauern über dieinnere Unwahrheit des Ultramontanismus aufgeklärt werden, sind die Kapläne machtlos. Da bleiben ihnen nur die Mittel der giftigen Verleumdung; und augenblicklich ist man so weit, daß man glaubt, Herrn Schreiner und die „Volksstimme" er drücken zu können." So recht „von innen heran»" scheint uns zwar diese Ueberwindung nicht zu sein, aber auch in dieser materiellen Frage kann ja eine Aufklärung nichts schaden. (-) Berlin, 14. September. (Telegramm.) Die Kaiserin besichtigte heute vormittaa die in Potsdam im Palast Barberini ausgestellten Ehorstllhle, welche der Kaiser für das Kloster Zum heiligen Grabe in der Ost-Priegnitz gestiftet hat. L. Berlin, 14. September. (Privattelearamm.) Auf Befehl des Kaisers hat der Staatssekretär deS Reichs- MarmeamtS den Oberbürgermeister Kirschner eingeladen, am Dienstag, 22. September, in Danzig di« Taufe de« in der dortigen Werft vom Stapel lausenden Kreuzers „Ersatz Ziethen" vorzu nehmen. Vermutlich wird der Kreuzer den Namen „Berlin" oder eine auf Berlin bezügliche Bezeichnung erhalten. (Nat.-Ztg.) — Freiherr von Zedlitz bespricht in einem längeren Artikel über das preußische Schuldotationsgesetz im „Tag" den Gegensatz zwischen den Konservativen und dem Zentrum auf der «inen und „den beiden Mittelparteien", nämlich Freikonservativen und Nationalliberalen, aus der anderen Seite. E- ist er freulich , daß von freikonservativer Seite aus endlich wieder einmal eine politisch« Jnteressrngemeinschaft der „beiden Mittelparteien" gegenüber den Konservativen betont wird; noch erfreulicher aber wäre eS, wenn der freikonservalive Führer sich nicht darauf beschränken wollte, in geistigen Kulturfragen an diesen Zusammenhang zu denken, sondern auch in wirtschaftlichen Kulturfragen gemeinsam mit den Nationalliberalen die Rückschrittler bekämpfen wollte — wozu ihm ein Kulturwerk von der Bedeutung des Mittelland kanals die schönste Gelegenheit bieten würde! — In mehr als 1000 Häusern Berlins, in denen sich Warenhäuser oder ähnliche Geschäfte befinden, sind nach der „Voss. Ztg." von der städtischen Bauinspektion bau liche Veränderungen angeordnet worden. Es handelt sich dabei um Verstärkung der Sicherheitsmasiregeln zur Ver hütung von FeuerSgefahr, insbesondere ist m zahlreichen Fällen die Anlage doppelter Decken verlangt und darauf be standen worden, daß sich über den an Warenhäuser ver mieteten Räumen keine Privatwohnungen befinden. — Ein Blatt, bei dem gemeinhin die „Bildung" nicht in bestem Ansehen steht, bekehrt sich neuerdings zu der Anschauung, daß -em ganzen Volke politische Vorbildung not tue. Es ist die „Dt. Tagesztg ", in der wir zu diesem Thema lesen: „Für die Fortbildungsschule kann die so genannte Bürgerkunde als besonderes Unter richtsfach einen, wenn auch mäßigen, Platz beanspruchen. Gerade in dieser Zeit ist es ungemein nötig, daß daS Heran wachsende Geschlecht objektiv und wahrheitS- gemäßüberdiepolitischenDingeunterrichtet werde; denn in diesen Jahren pflegt die Sozialdemo kratie ihre unterrichtende und erzieherische Tätigkeit an der Jugend zu beginnen, die für die Lehren jetzt besonders empfäng lich zu sein pflegt. Auch hier muß man sich vor jeder Auf dringlichkeit hüten und die Sache an sich und durch sich wirken lassen. Dabei kommt fast alles auf die Persönlichkeit deS Lehrers an. Sie ist mächtiger und maßgebender als jede- Reglement und jedes Lehrbuch. Hier liegen die größten Schwierigkeiten, die unr angedeutet werden können. Eine un geeignete Lehrerpersönlichkeit vermag die Wirkung d«S ganzen Unterrichts entweder ganz zu vernichten oder zu beeinträchtigen oder in das Gegenteil dessen zu verkehren, was beabsichtigt war. . , . Was die Universität an volkswirtschaftlichen, staatspolitischen, staatsrechtlichen und ähnlichen Vorlesungen bietet» wird meist nur von Nationalökonomen oder vielleicht noch von einigen Jurist«» ge hört. Man sollte überall darauf bedacht sein, Vor lesungen über Reichsverfassung und Staats verfassung, über allgemein« politische Grundfragen usw. für Studierend« aller Fakultäten einzuführen und dies« Vor lesungen obligatorisch-» machen. Sonst sind wir keine Freunde vieler Zwangskollegien; aber hier kann und darf eine Ausnahme gemacht werden. Solche AwangSkollegie» sind auch nichts absolut Neues. An manchen Universitäten müssen die Juristen zwei philosophische Zwangskollegien hören, an anderen bestehen für Mediziner, für Mathematiker ähnlich« Be stimmungen. Wir sehen nicht ein, weshalb man nicht für jede» Studierenden zwei oder drei allgemein politische ZwangS- kollegien festsetzen sollte. Dadurch würden den Männern, die später Führer des Volkes sein sollen, wenigstens die not wendigsten politischen Vorkenntnisse vermittelt." (-) Hamburg, 14. September. (Telegramm.) Die Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik wurde heute vormittaa durch Professor Schmoller-Berlin er öffnet. Als Ehrengäste waren anwesend: Bürgermeister Burghard, Senator Lapp en berg, Präsident der Bürger schaft Engel und andere. Da- Präsidium wurde aus dem Professor Schmo ller, dem Staatsminister Freiherrn von Berlepsch, dem Gymnastaldirektor Thiel und dem Professor Phillipowich gebildet. Zu Schrift führern wurden gewählt: Professor Francke-Berlin, Rechtsanwalt Heckscher, BerlagSbuchhändler Geibel- Berlin und Rechtsanwalt Bitter. Der Bürgermeister Burchard begrüßte die Versammlung in längerer An sprache. Professor Schm oller dankte namens der Ver sammlung. Professor Francke referierte über die Lage der in der Seeschiffahrt beschäftigten Arbeiter. DaS Kor referat hielt Inspektor Polt--Hamburg. Hieran knüpfte sich eine lebhafte Erörterung. * Oldenburg, 18. September. Dem „General-Anz." in OldenVurg wird erzählt, wie Oberlehrer 1>r. Ries als Gewährsmann deS „Residenzboten" entdeckt worden sein soll: Während der letzten Inhaftierung deS „Residenzboren"- Redakteurs erhielt derselbe von seinem anonymen Mitarbeiter einen Brief, in dem dieser Biermann den Rat gab, sich im „Residenzboten" an das Mitgefühl seiner Leser und Freunde zu wenden, daß sie eine Sammlung veranstalteten, um Bier- mann- Familie während seiner Haft vor Not zu schützen. Ein Aufruf für diesen Zweck lag dem Briefe bei, ebenso sandte dec Briefschreiber al» erster 60 -L «in. Dieses Ansinnen seine» Mitarbeiter» empfand Diermann al» einen Angriff auf seine Ehre, der ihn angeblich so empörte, daßcrvordemStaatS« anwalt erklärte, er fei b«ereit, demfalben sämtliche Berichte und Zuschriften der ano nymen Persönlichkeit zur; Verfügung zu stellen, wenn ihm Entlassung aus der Haft ge währt würde. Al« dies« ihm bewilligt wurde, lieferte er der Staatsanwaltschaft alle» Material au«, da« er von der so eifrig gesuchten Persönlichkeit besaß. Zunächst vermochte di« Staatsanwaltschaft nun feftzustellen, daß die Briefe anfänglich au» Jever, dann au» Barmen her rührten. E» wurde weiter konstatiert, daß in Jever nur Oberlehrer l)r. Ries den „Residenzboten" gehalten hat, ebenso wie er auch in Barmen der alleinige Abonnent war. Darauf vorgenommene Handschriftenvergleichungen stießen zunächst auf Schwierigkeiten, denn Ob«rl«hr« vr. Ri«» hatte s«tt *hi»
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