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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030916029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-16
- Monat1903-09
- Jahr1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß sür Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 16. September 1903. 97. Jahrgang. Balfour-Chamberlains Finanz- und Zollpolitik. Der englische Premierminister Balfour hat als Vorläufer seiner politischen Rede, die er am 1. Oktober halten wird, eine Schrift mit wirtschaftlichen Darlegungen, betreffend den insularen Freihandel, die er unter seinen Ministerkollcgen ver teilte, erscheinen lassen. Er sagt darin, die englischen handelspolitischen Reformer vor 50 Jahren hatten nicht vorausgeschen, daß die Welt den Freihandel Wiirttcmbcrgisch-partiknlaristischc Schmerzen. Die klerikalen Partikularsten Württembergs können die Einführung öcr gemeinsamen Briefmarken im Schwabcnlande immer noch nicht verwinden. To klagen sic jetzt darüber, daß die Absicht besteht, in Stutt gart Postbricskäjlcn uach dem Muster der Reichöpoft ein- zusühren. Die Reichsvost-Briefkästen unterscheiden sich von den ivürttcmbergcschcn durch einen größeren Einwurf und dadurch, daß sämtliche Abholungsstnnden auf einer Tafel an der Vorderseite des Briefkastens angegeben sind, während bei den wurttembcrgischen Briefkästen nach jeder Leerung eine Tafel mit der Angabe der nächsten Ab- holungszcit eingestellt werden muß. Obwohl also die Reichsbrieskästcn unleugbare Vorzüge vor den württem- bcrgischen haben, paßt dem Ltuttgarter „Deutschen Volks blatte" die Einführung der Rcichsbrieskästen nicht uud es stößt die Kassandraklage aus: „Es wird auch noch anderes folgen!" Eine Klage anderer Art gelangt in der „Neckar- Zeitung" deswegen zum Ausdrucke, weil die von der ReichSpost hergcstclltcn Postkarten „zu wenig geleimt" seien, so daß die Tinte zerfließe und ein Kopieren nicht zu lasse! Das „Deutsche Volksblatt" greift auch diese Be schwerde auf, um «in Gravamcn wegen schlechter Gummie rung der Reichspostmarkcn hinznzufügen und daran den geistreichen Scherz zu knüpfen: „Vielleicht wird man nun in Berlin so viel Gummi ausmcnden, daß Württem berg für immer an Preußen hängen bleibt!" — Ein derartiger Mehraufwand an Gummi zu dem gedachten Zwecke wäre Verschwendung) denn schon die R c i ch s v e r f a s s u n g sorgt dafür, daß „Württem berg für immer an Preußen hängen bleibt". verwerfen werde, und hätten es auch unterlassen, die für das britische Reich zu erwartenden kommerziellen Möglichkeiten voll in Bettacht zu ziehen. Balfour gibt zu, daß der englische Ausfuhr handel zugenommen habe, doch sei die Zunahme nur eine absolute und stehe nicht im Verhältnis zum Wachstum des Wohlstandes und der Bevölkerung Großbritanniens. Diese relative Verminderung sei nicht die Folge eines Gesetzes, dem nicht zu entgehen sei, sondern eine Wirkung der feindlichen Tarife. Es seien auch keine be friedigenden Anzeichen für eine Besserung in dieser Hinsicht vor handen. Deutschland, Amerika und Frankreich ließen keinerlei dahingehende Absicht erkennen, während die weniger entwickelten schutz-- zöllnerischen Gemeinwesen, wie Rußland, und einige englische Kolonien mit Selbstverwaltung angelegentlich damit beschäftigt seien, die durch Zölle geschützten Interessen zu kräftigen. Balfour erkennt die mit dem Schutzzollsystem verknüpften Nebel an, mit denen die Schrift sich sodann im einzelnen beschäftigt, und sagt, England müsse eine Milderung derselben zu erreichen streben und dies nur in einer Richtung, nämlich durch Unterhandlung. Anstatt sich auf wirtschaftliche Thronen zn berufen, denen die fremden Nationen durchaus ungläubig gegenüberstehcn, müsse England han delspolitische Lockmittel anwenden, die jene völlig verstehen. Eng lands erstes und wichtigstes Ziel müsse es sein, sich aus den Banden zu befreien, in die es sich aus freien Stücken verstrickte. Die ge naue Art, in der es dann von der wiedergewonnenen Freiheit Ge brauch mache, sei nur eine Frage zweiten Ranges. Balfour hat sich bekanntlich ziemlich weit in das Kielwasser des Chamberlainschen Zollschiffes ziehen lassen. Vielleicht, ja wahrscheinlich verschwindet er mit ihm von der Bildfläche, wenn die Mehrheit der Regierunasich gegen die Einführung des Schutzzollsystems ausspricht. Wie wir mitteilten, ist eine Entscheidung in den beiden Ministerratssitzungen, die sich dieser Tage mit der Angelegenheit beschäftigten, noch nicht getroffen worden. Zur Lage in der Türkei. Bekanntlich sind Meldungen der „Times" über ausländische Politik stets mit großer Vorsicht auszunehmen. Wenn aber jetzt die „Times" berichten, daß das österreichisch-russische Reform Programm in Kraft bleiben und der 8tatu3 quo auf der Balkanhalbinsel aufrecht erhalten werden würde, so kann auf Grund guter Informationen diese Nachricht als zuverlässig gelten. Wenigstens ist das Bemühen des Grafen Lambsdorff, im Einklänge mit der Haltung des Wiener Kabinetts, auf die Durchführung des österreichisch-russischen Reform programms unter Aufrechterhaltung des statu8 quo gerichtet. Es liegt auf der Hand, daß die Durchsetzung dieser Politik sehr erleichtert würde, falls die beiden auf der Balkanhalb insel tonangebenden Staaten die übrigen Großmächte be stimmen könnten, sowohl der Türkei als auch Bulgarien, nicht, wie neulich verlautete, bloß Bulgaren, in einer gleichlautenden Note zu erklären, daß im Kriegsfälle keine der beiden Parteien von den Großmächten Hülfe zu erwarten habe. Der bul garische Minister Petrow soll, wie heute gemeldet wird, gegenüber dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Sofia auf die Vorhaltung wegen bulgarischer Unterstützung des Aus standes erwidert haben, daß die bulgarische Regierung keine genügende Truppenmacht besitze, um die Banden zu unterdrücken und eine wirksame Grenzsperre durchzuführen. Eine derartige Erklärung macht aus den Unbefangenen natürlich den Eindruck Armenierunruhen in Südrnszland. Der Armenier im Kaukasus hat sich eine heftige Er regung bemächtigt, die sich in offenem Widerstand gegen die Behörden Luft macht. In Jelisawetpol und in Tislis fanden Zusammenrottungen und blutige Schlägereien statt. In beiden S>tädten schritt das Militär ein. Einige Personen wurden in den Straßenkämpfen getötet. Das armenische Element im Kaukasus hat nach den türkischen Armeniermetzeleien einen starken Zuwachs erhalten. Man schätzt die Flücht linge, die sich^auf russischem Boden niedergelassen haben, auf 40 000 Seelen. Der russischen Regierung waren diese Gäste nichts weniger als willkommen Dre Russi- sizierung der eingeborenen Armenier hatte sich schon vor her als eine überaus schwer zu bewältigende Aufgabe er wiesen. Eine Hinneigung zur russischen Kirche besteht unter den Armeniern nicht, obwohl die gregorianische Kirche der Armenier in den wesentlichsten Punkten dem orthodoxen Ritus nahe verwandt ist. Seit dem Ucbertritl der Flücht linge über die russische Grenze haben die Russifizierungs- bestrebungen mit erhöhter Kraft eingesetzt. Im Oktober 1001 erschien eine kaiserliche Verordnung, nach der die Flüchtlinge sofort die russische Untertanenschaft anzunehmen oder das Land wieder zu verlassen hätten. Auch wurde be stimmt, daß die im Lande Verbleibenden vom Jahre 1903 an der allgemeinen Wehrpflicht nachzukommen haben. Irgend eine Erleichterung des Aufenthaltes gegenüber anderen Staats angehörigen wurde ihnen zu ihrer großen Enttäuschung nicht Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. September. Sozialdemokratische Mitarbeiter an bürgerlichen Zeitungen. Auf dem sozialdemokratischen Parteitage in Dresden ist man mit den schriftstellerisch tätigen „Genossen", die für bürgerliche Blätter gearbeitet und in diesen zu weilen eine ziemlich ungenierte Sprache über einzelne sozial demokratische Führer geführt haben, scharf ins Gericht ge gangen. Mit Reckt. Alle diese Herren verdanken ihre Existenz der Partei, zu der sie sich zählen, und zahlen diesen Dank mit Undank. Selbst wenn sie durch eine an den eigenen Führern in bürgerlichen Blättern geübte Kritik ihrer Partei zu nützen und sie zur Abstellung von Uebelständen veranlassen zu können glaubten, schlugen sie einen falschen Weg ein; denn selbstverständlich wäre diese Kritik von den bürgerlichen Blättern nicht ausgenommen worden, wenn sie den Zweck der Förderung soziajdemokrati- scher Zwecke an der Stirn getragen und nicht vielmehr den Anschein erweckt hätte, der Verfasser verfolge die Absicht, seiner Partei zu schaden. Leute aber, deren literarische Tätigkeit in Bezug auf ihren Zweck so zweideutig ist, kann keine Partei brauchen. Trotzdem werden die „Genossen" die schärfstcns verwarnten Herren nicht „fliegen" lassen, da diese, zu den bürgerlichen Raubtieren in die Wüste gestoßen, noch mehr schaden könnten. Sie werden bleiben, wo sie sind; die ehrlichen, d. h. die, die ihrer Partei wirklich nützen wollten, werden ihre Beziehungen zu bürgerlichen Blättern abbrechcn, und die anderen, die nur des Honorars wegen schreiben und sich den Teufel um die Wirkung kümmern, werden die Spuren ihrer Tätig keit noch sorgsamer zu verwischen suchen, als früher—voraus gesetzt, daß die bürgerlichen Blätter, für die sie bisher ge arbeitet, ihnen nicht den Stuhl vor die Tür setzen. Wird das geschehen? In Dresden hat man es seltsamerweise unterlassen, auf die erbärmliche Rolle hinzuweisen, die alle bürgerlichen Blatter spielen, die sozialdemokratische Mitarbeiter besolden. ES liegt doch auf der flachen Hand, daß solche Mitarbeiter entweder mit ihren Beiträgen insgeheim sozialdemokratische Zwecke verfolgen, oder aber Gesinnungslumpen schofelster Art sind. In jedem Falle handeln also solche bürgerlichen Blätter dumm oder kläglich. Das hat man, wie gesagt, seltsamer Weise in Dresden zu sagen vergessen; von dort aus hat man also den betreffenden Blättern keinen Rippenstoß zur Aenderung ihres Verhaltens versetzt. Um so mehr ist es Pflicht der von sozialdemo kratischer Mitarbeiterschaft reinen bürgerlichen Presse, darauf zu dringen, daß mit dieser Mitarbeiterschaft überall gründlich aufgeräumt werde, wo sie leider bis jetzt gebräuchlich gewesen ist. Die sozialdemokratische Presse „erfreut" sich ja freilich zahlreicher freiwilliger Mitarbeiter aus dem bürgerlichen Lager und fragt nicht danach, ob diese Herren sich der Ge sinnungslumperei schuldig machen. Der „Vorwärts" und alle anderen Sozialistcnblätter fragen, wenn ihnen aus Bürger- oder wohl gar aus Beamtenkreisen eine Ent hüllung auf den Redaktionstisch stiegt, lediglich danach, ob die Veröffentlichung und Ausschlachtung der Ent hüllung der Sozialdemokratie Früchte verheißt. Alles, was auch nur den leisesten Verdacht erweckt, es sei be stimmt, der Partei zu schaden, wird abgelehnt. Und so atmet jeder Satz eines sozialdemokratischen Blattes den gleicken Haß gegen die Bourgeoisie und verfolgt den gleichen Zweck der Schürung dieses Haffes. Wie jammer voll stechen von diesen Blättern jene bürgerlichen ab, die sich mit den Federn sozialdemokratischer Mitarbeiter „schmücken"! Entweder schillern diese Federn so, daß sie den Leser verwirren, oder sie lassen für jedes schärfere Auge den Zweck erkennen, die Sozialdemo kratie als in völliger Mauserung und auf dem Wege zur Umwandlung in eine unschädliche, jeden Gedanken an Umsturz verabscheuende Reformpartei begriffen erscheinen und tragen dadurch dazu bei, daß die Zahl der sozialdemo kratischen Mitläufer von Jahr zu Jahr wächst. Man sollte daher auf den Parteitagen der bürgerlichen Parteien sich künftig auch mit der Frage ter sozialdemokratischen Mitarbeiter an bürgerlichen Zeitungen beschäftigen und nachholen, was in Dresden versäumt worden ist: nämlich jene Blätter gehörig abrüffeln, die urteilslos oder sensationslüstern genug sind, sozialdemo kratische KuckuckScier aufzunehmen und auszubrüten. Die Sozialdemokratie hat es wahrhaftig weit genug gebracht, um die bürgerlichen Kreise zu veranlassen, mit aller Entschieden heit dem Unfuge weiterer Förderung der Umstürzler durch bürgerliche Blätter entgegenzutreten. gewährt. Seither haben sich denn auch die Beziehungen der alten und der neuen armenischen Untertanen zu den russischen Behörden wesentlich verschlechtert. Viel hat dazu die Tatsache beigetragen, daß die an revolutionäre Um triebe gewöhnten zugewanderten Armenier ihren Nei gungen auch auf russischem Gebiete vielfach freien Lau) ließen. Die Russen glauben, wie die „Voss. Ztg." aus führt, zu wissen, daß die antirussischen Strömungen unter den Armeniern vornehmlich von der armenischen Geistlichkeit genährt werden. Tie Regierung holte daher jüngst zu einem Schlage gegen diese Geistlichkeit aus, indem sie die Uebernabme der armenisch-gregorianischen Kirchen güter in die Staatsverwaltung beschloß; damit sollte den Unruhestiftern die materielle Grundlage entzogen und zugleich die Russifizierungsarbeit erleichtert werden. Allein die Armenier wehren sich gegen die Durchführung dieser Verordnung, und nach den neuesten Nachrichten aus dem Kaukasus gehen sie dort mit genau denselben Mitteln vor, die in der Türkei zu den blutigen Ereignissen von 1893 bis 1896 geführt haben. Nach einer Meldung der „Now. Wremja" hat der Chef des Kreises Artwin im Engpaß von Murgal, zwischen Batum und der türkischen Grenze, eine aus 42 Armeniern bestehende Bande unter Führung deS ehemaligen Studenten des Stuttgarter PolytechnimmS, Abramjan, ausgerieben. Es fielen dabei den russischen Be hörden in die Hände: Die Fahne der Bande mit der Auf schrift „Tod oder Freiheit", 30 moderne Gewehre, 6000 Re volverpatronen, 15 Pfund Dynamit, 8 Sprengbomben, sowie Medikamente, Verbandzeug und Proviant. Die Mitglieder dieser Bande lebten bis vor kurzem in verschiedenen Städten Trans kaukasiens. Die „Now. Wr." knüpft daran die Bemerkung, daß augenscheinlich Versuche gemacht werden, von neuem eine „armenische Frage" an der russisch-türkischen Grenze zu schaffen, die Kurden aufzuwiegeln und von deren Seite An griffe auf die Armenier hervorzurufen. Das ist leider die- elbe Methode, deren sich die Armenier in der Türkei bedient laben und in der sie die Lehrmeister anderer unzufriedener Nationalitäten des osmanischen Reiches geworden sind. Feuilleton. i2j Ingeborgs Kinder. Roman von MargareteBöhme. Nao riuck verboten. „Also Sie wohnen bei meiner Frau! Sie hat ihren Mädchennamen wieder angenommen, als wir uns vor elf Jahren trennten. Wir sind nicht einmal gesetzlich ge schieden. Differenzen allerhand Art mochten unser Zu sammenleben damals unerträglich, und deshalb beschlossen wir, uns zu trennen, jedes unserer Wege zu gehen. Da das damals kaum zweijährige Kind natürlich bei der Mutter am besten aufgehoben war, ließ ich es ihr. Es würde zu weit führen, wollte ich Ihnen die Gründe unse res Ehckonsliktcs auscinandersetzcn, und überdies dürfte es Sie kaum interessieren. Wir glaubten eben, nicht zu einander zu passen. Wir waren beide Hitzköpfe, meine Frau und ich. Aber die Zeit versöhnt. Ich habe all mählich das Nomadenleben satt bekommen und sehne mich nach Familienleben, nach einer geordneten Häuslichkeit, einem geregelten Leben. Man wird allmählich auch ruhiger und sieht die Geschehnisse der Vergangenheit in objektiver Beleuchtung. Ja, und deshalb habe ich wiederholt eine Verständigung zu erzielen versucht, aber meine Frau hat einen wirklich unheimlichen Starrsinn. Noch vor meiner Abreise nach China bot ich ihr wieder die Hand zur Versöhnung; ich kann doch nicht mehr, als den erstenSchritt tun, als das erste Wort sprechen, aber sie lehnt konsequent jede An näherung meinerseits ab." Er machte eine kleine Pause. Thyra entgegnete nichts. Was sollte sic auch sagen? Vor ihren Augen stand eine schöne, schwarzhaarige Frau mit funkelnden Augen, von der vr. Sonntag behauptete, daß sie Kronau beherrsche, seinen Willen unterjoche . . . Und sie sah im Geist die Scene vor sich, wie das zornige Weib den Sektkelch gegen die Wand warf und Kronau sich erregt von ihr abwandte. Ein paar Worte des Gesprächs zwischen beiden, die sie aufgefangcn, fielen ihr ein . . . „Von einer Versöhnung, die möglicherweise in Berlin stattfinden werde", hatte Frau von Deinhardt gesprochen . . . „Frau Weingarten macht auf mich nicht den Eindruck eines starren Charakters", sagte sic endlich. „Sie kennen sie jedenfalls nur oberflächlich. Sie selbst bezeichnet ihre Hartnäckigkeit als Charakter. Ich danke für solchen Charakter. Da unsere Ehe nicht gesetzlich ge trennt wurde, könnte ich sie ganz einfach zwingen, zu mir zurückzukehren, oder mir wenigstens meine Tochter herauszugeben, aber ich verzichte gern auf eine derartige Gewaltmaßregel. Nur möchte ich wenigstens mein Kind einmal Wiedersehen. Auch das verweigert sie mir. Glauben Sie mir, daß ich schon stundenlang vor dem Haus in der Bülowstraße auf- und abgepilgert bin, weil ich dachte, das Kind könnte herauskommen? Ich hatte nie mals Glück damit. Und ich habe doch solche Sehnsucht, sie zu sehen . . . Sie kennen sie ja, sieht sie meiner Krau ähnlich?" „Sie ähnelt entschieden der Mutter. Aber Käthe Weingarten hat rötliches Haar und " Thyras Augen flogen prüfend über Kronaus Gesicht, „vielleicht hat sie auch einige Züge von Ihnen. Aber bitte — in wie fern könnte ich Ihnen in dieser Sache gefällig sein?" „Sie könnten mir Käthchen einmal zuführen! Ganz unauffällig, wie von ungefähr. Die Kleine begleitet Sie eines Nachmittags, so etwa um diese Zeit, in der Dämme rung auf einem Spaziergang: Sic bleiben vor einem be stimmten Schaufenster, vielleicht an demselben, an dem ich Sie heute traf, stehen und betrachten die Auslage. Ich komme dann zufällig auch, begrüße Sie, und wir bleiben ein halbes Stündchen beisammen. Auf diese Weise lerne ich meine Tochter kennen, ich kann sie sehen, mit ihr plaudern, ohne daß sie selber zu ahnen braucht, wer ich bin. Ich möchte nickt einmal den Frieden des Kindes stören; wie meine Frau ihr das Fehlen des Vaters erklärt hat, weiß ick nickt." „Käthe glaubt ihren Vater tot . . . in ihrer frühesten Kindheit gestorben." „Das dachte ick mir", sagte Kronau bitter. „Meinet wegen, aber sehen will ick sie. Sehen muß ich sie. Wenn ich es nickt im Guten oder durch List durchsetze, mnß ich Gewalt gebrauchen. Ich hoffe, Sie erfüllen meine Bitte." „Darf ich Fran Weingarten Ihren Wunsch mitteilen?" „Ick sagte Ihnen schon, daß meine Frau mir sogar den Anblick des Kindes konscauent verweigert, und daß mir jede Gewaltmaßregel widersteht. Aber freilich . . . wenn es nicht anders geht . . . Sogar dem geschiedenen, für schuldig erklärten Ehegatten können die gemein samen Kinder nicht ganz vorenthalten werden, wie viel mehr steht also in unserem Falle das Gesetz auf meiner Seite. Dennoch würde ich zu diesem Schritt nur im äußersten Falle kommen. Ich rechne bestimmt auf Ihre freundliche Hülse." Thyra schüttelte den Kopf. Die Sache war ihr durch aus nicht angenehm. Aber anderseits wurde es ihr schwer, Kronaus inständige Bitte abzuschlagen. Zwischen dem Ehepaar mochte vorgefallen sein, was da wollte, auf jeden Fall war das Verlangen des Vaters, seine Tochter zu sehen, gerechtfertigt und verständlich. Nur die Heimlich keit widerstand ihr. Daß sie hinter Frau Weingartens Rücken diese Begegnung zwischen Vater und Tochter in- scenieren sollte, war ihr eine unsympathische Vorstellung; wie ein Betrug gegen die ahnungslose Frau schien es ihr. Kronau tat sein möglichstes, ihre Bedenken zu zerstreuen, und schließlich gelang es ihm wirklich, sie zu überreden, so daß sic, wenn auch widerwillig, die Erfüllung seines Wunsches versprach. In ihrem eifrigen Gespräch hatten beide cs kaum bemerkt, daß sie von einer kleinen Gesell schaft, die unmittelbar nack ihnen in das Cafö getreten war und an einem Tischchen neben ihnen Platz genommen hatte, beobachtet wurden. Erst als sie aufstanden, um zu gehen, erkannte Thyra in den Offizieren mit ihren Be gleiterinnen, Herren und Damen, die sie schon bei Leise manns getroffen hatte. Ihr freundlicher Gruß wurde etwas reserviert erwidert. Kronau begleitete sic bis in die Bülowstraße. Erst in der Nähe des Hauses verabschiedete er sich mit vielen Dank sagungen und immer wieder den Zufall — oder wie er jetzt sagte — die Vorsehung, die sie heute abend zusammen geführt hatte, vreiiend. Als Thyra in ihrem Zimmer war und alles noch ein mal überdachte, bereute sie indessen ihr voreiliges Ver sprechen. Was in aller Welt gingen sie KronauS Familien verhältnisse an? Sie batte nur einmal in ihrem Leben mit verdeckten Karten gespielt, es war ihrer ehrlichen, geraden Natur hart genug geworden, aber damals war cs um einer guten Sache willen und für Fritz geschehen. Warum aber sollte sie wildfremder Menschen wegen eine doppelzüngige Rolle übernehmen? Warum sollte sic Frau Weingarten bintergehen?" Wenn sie nur nicht gerade Kronau ihr Wort gegeben hätte. . . . Sie schlief sehr wenig in der folgenden Nacht. Fast schien es ihr eine glückliche Lösung der Angelegenheit, in die sic sich gegen ihre Ueberzcugung verwickelt hatte, als sie am nächsten Morgen mit einem heftigen Scknupfenfiebcr aufwachte, das sich im Laufe der nächsten Tage zu einer regelrechten Influenza entwickelte. Konnte sie doch, ohne eine Unwahrheit vorzubringen, jetzt an Kronau schreiben, daß sie tatsächlich durch ihr Befinden am Ausgehen ver hindert war. Wenigstens war die Geschichte dadurch vor läufig aufgeschoben. Thyra hatte wiederholt an Tante Jngeborg geschrieben, aber auf keinen Brief eine Antwort erhalten. Zu Weih nachten kam eine umfangreiche Kiste. In rührender Weise hatte die alte Frau darin für die ferne Pflegetochter ein Stückchen heimatliches Weihnachten zusammengetragen. Obenauf in dem ganz mit Tannenzweigen auSgeschlagenen Kasten lag, sorgfältig zusammengebunden, ein frischgrünes Tannenbüumchen. Dann folgten sauber eingewickclte rot bäckige Aepfel aus dein Obstgarten hinter der Bleiche, selbstgemachtes Marzipan in allerlei Formen, eigen gebackene, citronat- und mandelstarrende braune Kuchen, weiße Vanillepfeffernüsse und anderes Gebäck. Auch aller hand nützliche und minder nützliche Dinge für junge Mäd chen, Stoff zum Kleide, Wäsche, Taschentücher, Gürtel, Bänder, ein Gedichtbuch und — in einem Karton mit Seife versteckt — zwei große Goldstücke. Aber kein Brief dabei; keine Zeile; kein Gruß. Und nichts für Fritz; nicht die kleinste Gabe; nicht das leiseste Zeichen, daß sie vergeben hatte. Thyras Freude über die Sendung verstummte vor dieser Tatsache. Sie sehnte sich »ach einem guten, freund lichen Worte, und sie wußte auch, wie sehr Fritz nach ein«r Aussöhnung mit der Tante verlangte. Vielleicht war daS Geld für ibn bestimmt. So unwahrscheinlich die Annahm« an sich war, sie erwärmte sich an dieser Vorstellung und glaubte schließlich selbst daran. Vielleicht hatte Tante ihr die Freude machen wollen, selber für Fritz auszuwähle», einzukaufcn und auszubauen. Am Tage vor Weibimchtsabend machte sie ihre kleinen Besorgungen. Das war auch ein Stück Festfreude, so von Laden zu Laden zu wandern und Gaben der Liebe ein- zukaufen. Sic^ wählte mit großer Umsicht und Sorgfalt die einzelnen Sachen: Krawatten, deren Muster und Form nach ihrer Ansicht dem feinen Geschmack des fimgen Herrn Doktors entsprachen, Handschuhe, Battisttücher, elegante Hausschuhe, ein Regenschirm mit silbernem Griff und end lich ein winziges goldenes Glücksbrcloque tn Form ein« Bohne. tFortsetzung folgt.)
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