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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030918023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-18
- Monat1903-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ljfertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahme schluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 47«. Freitag den 18. September 1903. 97. Jahrgang. Chamberlains Demilsion. —i> Das längst Erhoffte ist endlich eingetreten, Chamberlain hat seine Demission eingereicht und der Premierminister sowohl wie der König haben sie angenommen. Gleich zeitig mit ihm sind die beiden anderen schutzzvllnerischen Mitglieder des konservativen Kabinetts Balfour, Ritchie und Hamilton, gegangen. Mit der Freude über das Verschwinden dieses unheilvollen Politikers mischt sich das tiefe Be dauern darüber, daß er nicht schon vor vier Jahren sein Portefeuille, das er im Juni 1895 übernommen, in die Hände des Monarchen zurückgegeben hat. Dann wiesen die Annalen der Weltgeschichte nicht die mit Blut geschriebenen Daten des furchtbaren Bocrenkrieges auf, der in frivolster Weise zu Nutz und Frommen einer kleinen Kapitalistenclique von Chamberlain vom Zaune gebrochen, zwei Staatengebilde von der Karte Südafrikas verschwinden machte, deren Schöpfung ein schönes vorbildliches Denkmal bürgerlichen Freiheits dranges, tiefer Religiosität und arbeitsreicher Tatkraft im Dienste der Kultur war. Chamberlains Schiff ist nicht an den Klippen dieses in der Geschichte beispiellos dastehenden Krieges gescheitert, im Gegenteil, die Wogen hatten ihn mit dem „ruhmvollen" Fricdensschluß hoch emporgetragen. Wenn er jetzt resigniert herunter steigt, so geschieht es, weil er, sich allmächtig in Albion füblenk, sich vermessen hatte, die Räder deS britischen Reichswagens mit rücksichtsloser Gewalt aus den Geleisen zu werfen, in denen sie seit Jahrhunderten glatt und glücklich gelaufen. Er wollte nichts Geringeres als das Frei handelsprinzip über Bord werfen und aller Welt den Zoll krieg erklären und damit, als Folge dieses Krieges, der Masse des englischen Volkes die notwendigsten Lebensbedingungen verteuern. Er stieß auf so gewaltige Opposition bei den Liberalen nicht bloß, sondern bis weit hinein in die konservative Partei und selbst im eigenen Kabinett erstanden ihm Gegner. Balfour ging weit mit Cbamberlain Hand in Hand, aber er trennte sich schließlich doch von ihm in der Frage der Lebensmittel verteuerung. Die Zeit zeigte sich für Chamberlains Pläne „noch nicht reif" und so ging er. lieber die Motive seiner Demission gibt folgender Briefwechsel nähere Auskunft: * London, 17. September. Chamberlain hatte am 9. Sep tember an Balfour ein Schreiben gerichtet, das besagt: Als er und Balfour zuerst die Aufmerksamkeit auf die Aenderungen der kommerziellen Lage Englands lenkte», hatte weder der eine noch der andere die Absicht, eine rein politische Kontroverse zu ver anlassen. Nichtsdestoweniger verwarfen die liberalen Partei führer von Anfang an den Gedanken einer fiskalischen Untersuchung; sie machten skrupellos Gebrauch von dem alten Geschrei der Brotverteuerung, und riefen so, da eine volle Diskussion in der Oefsentlichkeit fehlte, ein großes Vorurteil hervor. Da er, Chamberlain, fühle, daß die Frage der Vorzugs behandlung der Kolonien gegenwärtig nicht mit der Hoff nung auf Erfolg betrieben werden könne, wenn gleich für eine Politik der Repressalien eine starke Meinung vorhanden sei, glaube er, seinem Programm am besten außerhalb des Kabinetts nützen zu können und er demissioniere deshalb. Während man allgemein die Gefahr der unbeschränkten Konkurrenz der schutzzvllnerischen fremden Länder würdige, brachte man nicht ge bührend Beachtung der Wichtigkeit der kolonialen Märkte dar und der Gefahr, daß England sie verliere, wenn es nicht ihrem Ver langen nach einer Vorzugsbehandlung entspreche. Daher erscheine gegenwärtig ein Abkommen mit den Kolonien, das einen Zoll, wenn auch einen noch so geringen, auf gewisse Lebensmittel involviert, auch wenn es begleitet sei von einer Herabsetzung der Besteuerung anderer Lebensmittel, sür die Mehrheit der Wähler unannehmbar. Chamberlain weist auf die sehr starke Stimmung im Lande für denjenigen Teil der handels politischen Reform hin, der England in den Stand setzen würde, gegen die fremden Länder Vergeltungsmaßnahmen zu treffen, die den gerechtfertigten Ansprüchen Englands auf weitcrgchende Reziprozität keine Konzessionen machen wollen. Der Brief setzt ferner die Notwendigkeit einer engeren Union mit den Kolonien sowohl in ihrem als in Englands Interesse auseinander. Er glaube, es sei möglich, eine solche Union heute zu stände zu bringen; morgen sei dies vielleicht un möglich. Er könne durch ein Verbleiben im Amte die Ausschließung eines so wichtigen Teiles seines Programms nicht acceptieren nnd schlage schließlich vor, Balfour möge die gegenwärtge Politik der Regierung auf Betonung der Freiheit Englands in Bez ug auf alle kommerziellen Beziehungen zu den fremden Ländern beschränken. Er selbst beabsichtige, sich der Darlegung und Popularisierung jener Prinzipien der Reichsunion zu widmen, die nach seiner Ueberzeugung wesentlich für den künftigen Wohlstand und die Wohlfahrt Englands sei. Balfour erwiderte am 16. September in einem längeren Schreiben auf Chamberlains Brief, nahm mit Bedauern die Demission Chamberlains an und sprach seine Befriedigung dar über aus, daß Austen Chamberlain im Kabinett verbleibe. Balfour gibt zu, daß die Zeit für eine Aendernng in den Handels beziehungen Englands mit den anderen Staaten gekommen sei. Er glaube mit Chamberlain, daß eine engere handels politische Union des Mutterlandes mit den Kolonien für beide Teile vorteilhaft sein werde. Tie einzige Meinungsverschieden heit zwischen ihm und Chamberlain war bezüglich der Tunlichkeit des Vorschlages vorhanden, der die Besteuerung der Nahrungs mittel einschlicßt, für den die öffentliche Meinung noch nicht reif sei. Balfour schreibt weiter: „Sie haben zweifellos Recht mit Ihrem Rate, diesen Teil der finanzpolitischen Reform nicht unlös bar mit den anderen zu verknüpfen, den, wie wir glauben, das Land ohne Voreingenommenheit zu betrachten vorbereitet ist." Balfour bedauert Chamberlains Entschluß, aus der Regierung aus- zuscheiden, könne aber nichts gegen ihn sagen, angesichts dessen, daß Chamberlain glaube, hierdurch am besten der Sache der Reichs einheit dienen zu könne». Die letzten amtlichen Berichte, betreffend die Haltung der Kolonien, welche den Entschluß Chamberlains wesentlich be einflußten, lassen die großen Schwierigkeiten erkennen, die jedem Durchführungsversuche seiner Pläne entgegenstehen. Der Ministerpräsident des australischen Kolonienbundes Barton hatte sich anfangs bedingungslos auf die Seite Chamberlains gestellt. In Australien aber haben sich seine Parteianhänger, die durchgängig Schutzzöllner sind, nach und nach sämtlich gegen jeden Vorzugstarif für englische Jndustrieerzeugnisse erklärt, während die Oppositionspartei frei händlerisch ist und ebenfalls England keine Bevorzugung zu gestehen will. So hatte der Oppositionsführer Reid im australischen Bundesparlament den Antrag gestellt, die Körper schaft solle sich wenigstens in einer allgemeinen Resolution darüber äußern, ob sie das System der Vorzugszölle für England billige oder nicht. Barton ließ jedoch die Erörte rung über eine solche Resolution gar nicht zu, da tatsächlich von der schutzzöllnerischen Regierungsmehrheit kein einziger Abgeordneter das System der Vorzugszölle gebilligt hätte und anderseits die Opposition die Chamberlainsche Politik erst recht bekämpfte. Auch in Kanada ist nach den Ergebnissen der jüngst dort abgehaltenen allbritischen Handelskammerkonferenz die Stimmung völlig umgeschlagen, da man erkannte, daß die englische Kaufmannswelt eine Bevorzugung Kanadas vor den Vereinigten Staaten in ängstlicher Weise zu vermeiden wünscht.- Insofern ist es vollkommen klar, daß diejenigen Kabinettsmitglieder, welche auf die „Vertagung" der Vor zugstarif-Frage drangen, dieselbe damit begraben wollten. politische Tagesschau. * Leipzig, 18. September. Bebel und Vollmar. Herr August Bebel mutet seiner sozialdemokratischen Gefolgschaft viel, sebr viel zu. Erst haut er die „Revisi onisten", daß die Lappen fliegen, dann vergleicht er sich und den „Revisionisten" Vollmar mit Goethe und Schiller und ruft seinen Hörern zu: „Seid froh, daß Ihr uns beide habt!" Aber er weiß auch ganz genau, was er den „Ge nossen" zumuten darf: sie bejubeln die Verprügelung der „Revisionisten" ebenso, wie die Verherrlichung des Revisionisten Vollmar und finden es obendrein ganz selbstverständlich, daß der Mann, der fast in einem Atem dasselbe verdammt und preist, sich selbst maßlos verherrlicht. Daß solche Massen einesDiktators bedürfen, ist Herrn Bebel klar, und ebenso, baß solche Massen lieber dem radikalsten Diktator als einem „revisionistischen" folgen Und so faßt er seine Hörer, wie und wo sie gefaßt sein wollen: bei ihren radikalsten Instinkten und nnt den tönendsten Worten. Auf eine Hand voll Widersprüche kommt es dabei nicht an; die werden mit hinabgeschluckt, wenn nur einerseits die Vermöbelung der „Gemäßigteren" gröblich genug ausfällt und anderseits für die Gesamtheit der Partei die Schmeichelei nicht fehlt: selbst der der Vervrügelung durch den Diktator würdigste „Genosse" steht noch himmelhoch über der Bourgeoisie, so hoch wie Schiller über der Masse seiner Zeitgenossen und fast ebenso hoch, wie ich, Goethe-Bebel, über Kotzebue. Und daß Bebel der Mann ist, den die große Masse der Genossen braucht, wird auch Vollmar anerkennen. Er wird seinen Standpunkt ver teidigen, vielleicht auch Grobheit mit Grobheit vergelten, aber sicherlich nicht vergessen, Bebel die Schmeichelei zurückzu geben, mit der ihn dieser bedacht hat. Weiß doch der Führer der bayerischen Sozialdemokratie, daß es auch in seiner Heimat Bebelianer genug gibt, und kennt er doch ganz genau das, was ihn mit dem Parteidiktator eint. Unmittel bar bevor er zum Dresdener Parteitage abdampfte, hat er in der „Münchener Post" in einem Leitartikel unter der Ueberschrift „Vor dem Parteitage" geschrieben: „Beide Seiten aber sind einig in ihrer antimonarchischen Gesinnung; die Frage steht nicht zwischen Monarchie und Demokratie, sondern nur zwischen zwei Mitteln, ein Prinzip zu fördern, dem alle anhängen, nnd ein anderes zu bekämpfen, das allen gleich unlieb ist. Sicherlich werden die erhitzten Diskussionen, die in Versammlungen und in der Presse über die Präsidentenfrage geführt worden sind» ein wichtiges historisches Dokument bleiben, aber in ganz anderem Sinne als man gewöhnlich annimmt. Sie sind bezeichnend für den Niedergang des monarchischen Gedankens, ein Niedergang der Partei ist aus ihnen nicht zu befürchten. Sie haben bewiesen, daß die Partei bis auf die Knochen demokratisch gesinnt ist und daß gerade die „Revisionisten" im Punkte der Monarchie ihre Taktik nicht anders als mit revolutionären Argu menten zu begründen wissen. Die Abneigung gegen die monarchische Regierungsform, die tief im Herzen des deutschen Volkes begründet ist und besonders in den letzten 15 Jahren auch in den weitesten nicht proletarischen Kreisen überhand genommen hat, ist in diesen Debatten so elementar zum Ausdruck gekommen, als es ein streng auf die Wahrung der Gesetze bedachter Sinn nur erlaubte. Darin liegt die eigentliche Bedeutung der Diskussion über die Präsidenten frage. Sie ist für die bestehende Ordnung der Dinge ein flammendes Zeichen an der Wand, sie ist aber für die Partei als solche allerdings nur, wie sich der „Vorwärts" ausdrückt, ein „klägliches Problemchen"." Das ist jedenfalls eine Brücke, die zwei Ufer trotz eines zwischen ihnen rauschenden Stromes fest verbindet. Und Bebel, der schon offen genug bekundet bat, daß er als Goethe seinem Rivalen VoÜmar-Schiller über diesen Strom die Hand reichen will, wird höchst willig mit beiden Füßen die Brücke betreten, die Vollmar schon im voraus geschlagen hat. Braucht er doch gerade diesen „Genossen" und dessen Anhang bitter nötig, wenn wieder Wahlen kommen. Schon vor den letzten Reichstagöwahlen wurde den „Revisionisten" bereilwilligst die Beteiligung an der Propaganda gestattet, ja sie wurden sogar in den Vordergrund geschoben. Damals wurde von der „Revolution" geschwiegen und keine Silbe davon gesagt, daß die sozialdemokratssche Partei nur die Interessen der Arbeiterklasse vertreten will. Den „Revi sionisten" wurde es überlassen, durch ihre „Mauserungs"- Köder Mitläufer zu fangen. Und „die gewaltige Zunahme der hinter ihr stehenden Wählermassen" verdankt die Sozial demokratie ausschließlich der „revisionistischen" Taktik, die im schroffsten Gegensätze zu der jetzt von Bebel vorgeschlagenen Resolution steht. Das weiß Herr Bebel, der nun die „revi sionistische" Meute von ihren Schleichwegen zurückpfeifen will. Feuilleton. i4j Zngeborgs Linder. Roman von Margarete Böhme. '.'iat. rilick vkri'vten Ihre Eltern hatten kein Vermögen hinterlassen, aber der Erlös der Wohnungseinrichtung und eine Summe bares Geld, die sich im Nachlaß fand, ermöglichten es ihr, nach Berlin zu ziehen und sich dort eine größere Woh nung einzurichten. Die versuchte es dann zuerst mit dem Vermieten -er Zimmer; später nahm sie Pensionäre auf. Die Lache machte sich nicht gleich ganz glatt; sie hatte es sich bitter sauer werden lassen und manche Enttäuschung erlebt, bis das Unternehmen sich einigermaßen rentierte, aber bei alledem hatte sie sich durchgeschlagen ohne fremde Hülfe. Kronaus monatliche Geldsendungen hatte sie ein für allemal zurückgewiesen. Nun mar schon längst das Schwerste überwunden. Das Haus mar stets gut besetzt; dank ihrer rastlosen Arbeit hatte sie es durch eigene Kraft zu einem bescheidenen Wohlstände gebracht. . ." „Und jene Frau . . fragte Thyra, als Frau Mar garete schwieg. „Sie hat ihn festzuhalten verstanden. Er hat ihr jahrelang angehangen, wie es jetzt steht, weiß ich nicht, aber ich glaube nicht, daß sie auseinander sind. Jahre lang nmren sie beisammen, er dort, wo sie, sie, wo er war. Sic hat ihn sogar auf seinen ausländischen Reisen be gleitet." Thyra nickte. Frau Weingarten hatte keinen Namen genannt. Es war auch nicht nötig. Thyra wußte doch, wer jenes ehrvergessene Weib war, halb und halb hatte sie den Zusammenhang schon vorher erraten. „Aber cs wäre doch möglich, daß er bereute. Daß er sich wirklich nach einer Wiedervereinigung sehnte . . . Sic sind zwar tief gekränkt worden — aber — du lieber Gott! Kein Mensch sollte ganz unzugänglich gegen einen auf richtig gemeinten BersöhnungSversnch sein . . ." „So sagen Sie! ... Ja, wenn die Person tot. . . ober sonstwie kalt gestellt wäre . . . aber so nicht! So nicht! Unserer Wiedervereinigung steht ein machtvoller Faktor gegenüber, nnd das ist — so widerspruchsvoll es klingt — die Tatsache, daß ich meinen Mann noch immer liebe! Ja, liebe! Ich verachte ihn und liebe ihn doch. Seltsam — aber wahr. Und sie würde sich ja doch zwischen uns drängen, sie würde ihn doch wieder an sich locken, und jetzt hätte ich nicht mehr die Kraft, wie damals, diesmal würde ich es nicht mehr überwinden. Deshalb darf er auch Käte nicht sehen. Ich kenne ihn. Ich weiß, wie er betören, wie er bestrickend liebenswürdig sein kann. Er würde sich in das Herz des Kindes stehlen, er würde Ein fluß auf die Kleine gewinnen und sie zu seiner Ver bündeten machen. Und vielleicht wäre ich dann wirklich so schwach, um nachzugcben. Aber ich will nicht, nein, ich will nicht! Ich habe mich mühsam genug zu einem not- dürftigen Frieden durchgcrungen, und so soll es bleiben — so soll es bleiben . . ." Sie legte beide Arme vor sich auf den Tisch und ver barg das Gesicht darin. Ein leidenschaftliches Schluchzen brach sich über ihre Lippen und erschütterte ihre zarte Ge stalt. Die nie ganz vernarbten Wunden waren plötzlich wieder brennend und blutend aufgesprungen, und das Leid der Vergangenheit bohrte seine spitzen, bitteren Stachel wieder in ihre Seele. Und Thyra ließ sie weinen. Sie wußte kein Wort des Trostes für die schwer heimgesuchte Frau. Es war ihr plötzlich selber schwer und traurig ums Herz. Das fremde Leid legte einen dämpfenden und verhüllenden Schleier über ihr eigenes Glückscmpfinden. Siebentes Kapitel. In dem Verkehr- der beiden ehemaligen Pflege geschwister war keine besondere Aendcrung eingetreten. Sie waren sich beide bewußt, daß bis zu ihrer wirklichen Bereinigung noch eine lange Spanne Zeit zu durchmessen sei und daß cs in ihrer beider Interesse lag, dem Verkehr nach wie vor ein unbefangenes, rein freundschaftliches Gepräge zu geben. Wie sic zu einander standen, wußten sic ja jetzt . . . Das süße Geheimnis, das sich in jener feierlichen Ehristabendstnude offenbart hatte, lag wieder wohlvcrivabrt in den Hcrzcnstrnhen. Jeder hütete seinen Schatz in stillschweigender Ucbcreinkunft. Eines Tages, bald nach Neujahr, kam Fritz sichtlich verstimmt zu Thyra. Sie merkte gleich, daß er etwas auf dem Herzen hatte, und fragte ihn, was ihm fehle. Da platzte er heraus . . . Bei Leiscmanns war er gefragt worden, ob seine Schwester verlobt sei, und auf seine er staunte Verneinung hatte man ihm erwidert, daß Thura neulich bei Bauer mit einem Herrn gesehen war . . . Man hatte vermutet . . . „Was war das für ein Mensch? Wie kamst du dazu?" „Ei, derselbe Herr, mit dem ich bei meiner Ankunft auf dem Bahnhofe sprach: Herr vr. Kronau. Ich traf ihn natürlich zufällig . . ." „Und ließest du dich von ihm ins Cafs schleppen? Welche Unvorsichtigkeit." „Warum?" „Na . . ., daß du das nicht selbst begreifst! Du hörst doch, daß man sich bereits darüber aufhielt. Es war mir, offen gestanden, recht peinlich . . ." „Herr Kronau hatte mir etwas zu sagen, was sich nicht gut auf offener Straße verhandeln ließ." Herrgott ... So wichtige Geheimnisse hatte dir der wildfremde Mensch mitzuteilen . . ." „Jawohl . . .", und nach kurzem Zögern teilte sie ihm den Inhalt der Unterredung mit. Obgleich nach ihrer Ansicht die ganze Sache damit erklärt Und somit erledigt war, schien Fritz noch nicht befriedigt. ,„Jch sehe nicht «in, was dich die Angelegenheiten dieser Leute scheren! Du solltest deine Hände davon lassen; bei solchen Geschichten kann man sich höchstens die Finger verbrennen. Uebrigens eine kolossale Unverschämtheit von dem Menschen. Dich so nölens volens anzusprechen und dich mit seinem Ehekonflikt zu behelligen. Ich finde, daß du in mancher Hinsicht noch furchtbar naiv und ge dankenlos bist. . ." „Na, na. Das ist doch kein Grund, sich aufzuregen?" „Nicht?" fuhr er auf. „Wenn du durch deine Unvor sichtigkeit deine eigene und indirekt dadurch auch meine gesellschaftliche Stellung erschütterst, das ist kein Grund, darüber zu sprechen, dich wenigstens zu warnen —" „Da hört alles auf! Man glaubt, man wäre in Altstadt! Man sicht mich mit einem Herrn in einem an ständigen Lokal zusammensttzen, und zugleich wird ans diesem harmlosen Umstand Stoff zu allerhand verwegenen Vermutungen und am Ende gar zu einem niedlichen Klatsch gesogen. So kleinlich sind ja die Leute bei uns daheim nicht." „Menn man zur guten Gesellschaft gerechnet werden will, hat man sich dem Kodex derselben anzubcquemcn." Eine gereizte Erwiderung schwebte Thyra auf den Lippen, aber sie unterdrückte dieselbe und schwieg. Hatte sie anfangs das kleine Geplänkel von der scherzhaften Seite genommen und zu ihrem heimlichen Ergötzen sogar von Seiten Fritz' eine kleine eifersüchtige Regung zu kon statieren geglaubt, so merkte sic jetzt, daß der Wind aus anderer Richtung wehte. Offenbar hatte Fritz Angst, daß sic irgend etwas tun möchte, was ihm in seiner Stellung zu der Gesellschaft und besonders zu den Leise manns schaden könnte. Er selber wußte genau, was er von ihr zu halten hatte, aber ihm lag eben alles an dem Urteil der Leute. „Man soll immer den Schein meiden", setzte er nach einer Weile etwas milder hinzu. Auch auf diese Be merkung fand Thyra keine Antwort. »Hm — Lpropos! Das Allerneueste! Bahne Lüpsen soll sich gestern mit Else von Wies« verlobt haben. Die Tochter des Generalleutnants Wiese, die du neulich beim Geheimrat kennen lerntest . « ." „Unmöglich, Fritz!" „Unmöglich?" gab er verwundert zurück. „Mich über rascht es nicht allzu sehr. Die Geschichte schwebte schon lange in der Luft. Die kleine Wiese soll von Mutters Seite her sehr vermögend sein, na — und er hat doch auch ganz nett was in die Milch zu brocken, also beiderseits eine passende Partie. Dazu als Schwiegervater einen einflußreichen hohen Offizier im Stab... das ist auch keine verachtenswerte Requisition für ihn." „Aber Fritz! Er hat doch Anna Baland di« Ehe ver sprochen." »Hat er das? Ich glaube kaum, daß er sich wirklich zu solcher Torheit hat hinrcißcn lassen. Oder das Heirats versprechen datiert noch von der Schulbank. . . Wahr scheinlich existiert «8 aber mir in Annas Einbildung ... „Gleichviel. Sic korrespondierten zusammen, und auf jeden Fall ließ er Anna in dem Glauben, daß ste sich als seine heimlich verlobte Brant betrachten dürfte. Es wäre «ine bodenlose Gemeinheit von ihm, das arme Mädchen so zu hintergehen." , „Ach was! Wenn die schöne Anna borniert genug ist, an eine Rcali-ierung ihrer Hirngespinste zu glauben, so verdient sie nichts anderes, als tüchtig mit ihrer fixen Idee hineinzin'allen. Das ist ja lächerlich. Er kann sie ja gar nicht heiraten, selbst wenn er wollte. Er müßte schon seinen Abschied nehmen . . . Als aktiver Offizier kann er nur eine Dame mit angemessener Bildung und aus gutem Hanse heiraten. Nnd überhaupt ist jeder sich in solcher Sache doch selbst der Nächste." „Pfui, Fritz!" „Daß er närrisch wäre, sich nm eines sentimentalen Techtelmechtel willens seine Earriere zu verpfuschen." „Ich verstehe dich gar nicht, Friy." „Tn wirst cs auch schon verstehen lernen . . ."
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