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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030924027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903092402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903092402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-24
- Monat1903-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen lgesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 487. Donnerstag den 24. September 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. September. Die Fortsetzung der sozialdemokratischen Streitigkeiten. Nachdem der „glorreiche" Dresdner Tag vorüber, werden die Streitigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie in der Presse fortgesponnen. Als Wortführer tritt auch hier „Genosse" Bebel auf, der eine Erklärung gegen den „Vorwärts" wegen der von diesem am Parteitage geübten Kritik veröffentlicht. Allerdings begnügt sieb Bebel mit „einigen" Richtigstellungen, da die Diskussion über Taktik und Revisionismus, wie er mit berechtigter Besorgnis sagt, „später ganz von selbst wieder kommt". Was an der Kritik des „Vorwärts" Bebel am meisten verdrossen hat, ist der Vorwurf, die sozialdemokratische Parteileitung habe infolge mangelnder Fühlung zwischen den leitenden Stellen und namentlich infolge der langen Abwesenheit Bebels von Berlin den Parteitag ungenügend vorbereitet. Diesen Borwurf des Zentralorgans fuhrt Bebel auf einen bedauer lichen Mangel an Erkenntnis der treibenden Kräfte zurück. Den Hinweis auf seine Vorliebe für die Küßnachter Idylle lehnt Bebel sodann durch eine Warnung vor der Ueberschätzung einzelner Personen ab. Das ist nach der Dresdner Tagung doch einigermaßen auffällig. Denn Bebel, immer wieder Bebel hat sich m Dresden auf den vordersten Platz gestellt. Ist ihm etwa nachträglich die Verantwortung zu schwer geworden, die er in Dresden für die Gesamtpartei auf sich genommen bat? Oder wurde er inzwischen inne, daß selbst unter den Treuesten ttiner Getreuen die Rolle, die er in Dresden spielte, lästigen Neid hervorrief? Nack den tiefen Blicken, die man während der Dresdner wechselseitigen Abschlachtungen in die Herzen sozialdemokratischer Obergenossen werfen konnte, erscheint das letztere als sehr möglich. Wenn Bebel nach der Seite des „Vorwärts" hin vor der Ueberschätzung seiner Person warnt, so muß er an dem Nürnberger Parteiredakteur vr. Südekum eine Beobachtung ganz entgegengesetzter Art machen. „Genosse" Süke- kumnämlich bestreitet sehr scharsgegenUber Bebelund Katzenstein, daß er Bernstein in einer Nürnberger Rede „verleugnet" habe. Jener Vorwurf berube auf dem „Klatsch" eines Bericht erstatters der „Schwäbischen Tagwacht", und die „Retter der Partei", d.h. also vor allem Bebel, hätten den Klatsch „leicht fertig" zum Ausgangspunkte höchst ernsthafter Betrachtungen genommen. Wurde Bebel dergleichen im Reichstage von bürgerlicher Seite vorgehalten, dann pflegte er in sittliche Entrüstung zu geraten ; wird er den Hieb Südeknmö un erwidert lassen? „Genosse" vr. Südeknm beruft sich, bei läufig bemerkt, auf die „Derbheit der Sprache", die in Nürnberg gebräuchlich sei. Man erinnert sich hierbei jenes abscheulichen Vorkommnisses, das sich im letzten Sommer in Nürnberg zutrug. Dort ist, wie erinnerlich, einem Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinler wegen dieser seiner Eigen schaft von einem sogen, neutralen Gewerkschaftler ins Gesicht gespuckt worden. Die sozialistische „Sprache" in Nürnberg ist eben recht „derb", so derb, daß selbst Herr Bebel noch von ihr lernen kann. Zur Frage »er sozialdemokratischen Bizepräfidcntschatt im Reichstage nimmt ein Mitarbeiter der Münchener „Allgem. Ztg/' das Wort, um die Vertreter der bürgerlichen Parteien im Reichs tage vor der Wahl eines „Genoffen" zu warnen. Diese Warnung begründet er folgendermaßen: „Daß keine Partei einen verfassungsmäßig berechtigten An spruch auf eine Vertretung im Präsidium des Reichstags hat, ist selbst von dem Hamburger Genossen Molkenbuhr in Dresden unumwunden anerkannt worden. Ein verfassungsmäßiger Anspruch auf eine Vizepräsidentenstelle steht also der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion von vornherein nicht zu. Als erklärte Umsturzpartei hat sie aber auch keine Befähigung, im Präsidium einer die bestehende Staats- »nd Gesellschaftsordnung vertretenden parlamentarischen Körperschaft zu sitzen. Es genügt nicht, daß der Dresdener Parteitag dem etwaigen sozialdemokratischen Vize präsidenten gestattet hat, die mit diesem parlamentarischen Amte verbundenen „geschäftsordnungsmäßigen und ver fassungsmäßigen Pflichten" zu übernehmen, die Mitglieder des Reichstagspräsidiums müssen sich auch allen Verpflichtungen unter werfen, die sich aus der staatsrechtlichen Bedeutung des Reichstags und seiner Stellung zum deutschen Kaisertum ergeben. Wir hoffen daher, daß die Vertreter der bürgerlichen Parteien im Reichstage, wenn dort die Frage der sozialdemokratischen Vizcpräsidcntschaft zur Sprache kommt, im dargelegten Sinne Stellung nehmen werden." Daß „Genosse" Molkenbuhr in Dresden allen Parteien, also auch der sozialdemokratische», einen verfassungsmäßig berechtigten Anspruch auf eine Vertretung im Reichstags präsidium abgesprochen hat, ist richtig. Aber darauf kommt es bei der Entscheidung der Frage, ob ein sozialdemokratischer Vizepräsident zu wählen sei, nicht an. Die Hauptsache ist, daß der Dresdener Parteitag von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gefordert hat, sie solle ihren Anspruch auf die crsteVizepräsitcntenstelle geltend machen. Das wirb also geschehen. Und lehnen die bürgerlichenFraktionendie Wahl eines „Genossen" ab, so bat Herr Bebel, was er will: einen Agitationssloff, den die ganze sozialdemokratische Presse, die revisionistische wie die unentwegte, zu einem Skandale anSnutzen wird, der die Dresdener Skandäler in Vergessenheit bringt. Warum aber dem Diktator willkommene Gelegenheit zur Entfachung der Leidenschaften seiner Trabanten geben? Wenn die Möglichkeit vorläge, daß ein Sozialdemokrat aus die Dauer Vizepräsident des Reichstages würde und das Ansehen der sozialdemokratischen Partei wenigstens in den Augen der großen Massen erhöhte, so würden wir zur prinzipiellen Zurückweisung der Ansprüche der „Genossen" auch auf die Gefabr hin raten, Herrn Bebel ein neues Agitationsmittel in die Hand zu geben. Aber eine solche Möglichkeit ist durch die Dresdener Resolution voll kommen ausgeschlossen. Wohl aber bietet diese Resolution das Mittel, Herrn Bebel odereinen seiner Mitregenten in Ver legenheit zu setzen und ihnen den Weg zur Ausbeutung der Präsidentenwahl zu Parteizwecken zu verrammeln. Man wähle nur ganz ruhig den von der sozialdemokratischen Fraktion präsentierten Kandidaten. Lehnt er die Wahl ab, so kann weder er noch sonst jemand sich beklagen. Nimmt er sie nur bedingungsweise, d. h. unter der Bedingung an, daß er eine ter Verpflichtungen des Vizepräsidenten nicht zu erfüllen brauche, nun, so übt der Reichs tag nur sein gutes Recht, wenn er sich Bedingungen nicht vorschreiben läßt und einen anderen Vizepräsidenten wählt. Nimmt aber der sozialdemokratische Kandidat trotz der Dresdener Resolution ohne Bedingungen an und erfüllt dann nicht alle Pflichten, die mit einem Pizepräsidcntenposten verknüpft sind, so übt auch in diesem Falle der Reichstag nur sein gutes Recht, wenn er einen solchen Vizepräsidenten ab- Isägt. Jedenfalls bereitet Herrn Bebel oder einem seiner I Mitregenten die beanspruchte Wahl Verlegenheit und nimmt ibm I die Gelegenheit zur Entfaltung einer neuen Verhetzungsaction. Ja, noch mehr. Mag nun der Gewählte ablehnen oder durch sein Verhalten eine Neuwahl nötig machen, immer wird er die „Revisionisten" vor den Kopf stoßen und dadurch den Zwiespalt im sozialdemokratischen Lager vertiefen. Und daran muß doch den bürgerlichen Fraktionen mehr gelegen sein, als an einer ihren Zweck gänzlich verfehlenden Demon stration gegen die Umsturzpartei bei der Präsidentenwahl. Magyarischer Hyperchauvtnismus. Gegen das Deutsche in der ungarischen Armee wird die Hetze von den magyarischen Chauvinisten in einer Weise be trieben, von der wir uns hier kaum eine Vorstellung machen können. Ein kleines Beispiel. Es liegt uns der Text eines öffentlich angeschlagenen Plakates vor, das zu einer Volks versammlung zur Demonstration für die magyarischen Heeres- forderungen einlädt. Da heißt es: „Mitbürger! Brüder! Wir leben in großer Zeit, in historischen Tagen! Tie Besten der Abgeordneten der Nation sind auf den Plan getreten, um mit den Waffen des Gesetzes, der Gerechtigkeit mit der österreichischen Kamarilla zu kämpfen und die Reckte der Nation zu erstreiten: sie sind auf den Plan getreten, um von der Spitze des HeereS den österreichischen Kaiser zu verjagen, den schwarzgelben Lappen von den Fahnstangen herabzureißen, das Gotterhalte verstummen zu machen und die zu magyaren fressenden Offizierchen aufgepäppelten Bälge von tschechischen Werkelmännern und österreichischen Lakaien zu ihren Mamas zu rückzujagen und die verhaßte Sprache derKaraffaundHaynau:das Deutsche, auszurotten. Sie sind auf den Plan getreten, damit an die Spitze des Heeres an die Stelle des vertriebenen Kaisers Franz Josefs I., der König Franz Josef I., der den Schwur auf die Verfassung abgelegt hat, mit dem ungarischen Wappen, der ungarischen Fahne und der Sprache der Mküczi und Kossuth komme . . ." So geht's weiter. Man kann sich einigermaßen auS- denke», waS eine solche skrupellose Hetze bei den magyarischen Massen für eine Stimmung macht. Vor ganz kurzem wurden wegen eines einzigen Artikels, der die Deutschen Ungarns in maßvoller Weise zur Erkaltung ihres Volkstums mahnte, drei deutsche Männer zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt, angeblich, weil sie gegen das Gesetz gesündigt hätten, das es verbietet, die ungarischen Nationalitäten gegen einander aufzureizen. Bei solchen magyarischen Schmähungen rührt sich kein Staatsanwalt. Kanada, Deutschland und Chamberlains Zollpolitik. Das Mitglied dcS englischen Unterhauses Black richtete am 7. September an Chamberlain schriftlich das Er suchen, ihm Aufschluß darüber zu geben, wie die Tatsache, daß der Premierminister von Kanada, Laurier, einen amtlichen Schriftwechsel mit dem deut schen Konsul in Montreal, Bopp, über Finanz politik führte, in Einklang zu bringen sei mit Chamberlains Erklärung im Unterhause am 22. Juli, daß die kanadische Regierung mit Deutschland nur durch die Reichsregierung in Verbindung treten könne. Chamberlain erwiderte am 9. September, er sei außer stände, irgend eine Unvereinbarkeit zu sehen zwischen seiner Antwort vom 22. Juli und dem kanadischen Schriftwechsel' über den er nicht unterrichtet gewesen sei, als er am 22. Juli auf Blacks Anfrage erwiderte. Er habe die kanadische Regierung ersucht, ihm in Zukunft von allen, auch den nichtamtlichen Unterhandlungen, in die sie eintrete, in Kenntnis zu setzen. Black antwortete am 12. September, Chamberlain habe jetzt erwiesen, daß, als er den Plan des Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen dem Mutterlande und den Kolonien entfaltete, er von dem Schriftwechsel zwischen Kanada und Deutschland nichts gewußt habe. Der Schriftwechsel zeige, daß Kanada bestrebt sei, direkt mit Deutschland zu verbandeln und diesem Lande, wenn möglich, dieselbe vorzugsweise Behandlung zu gewähren, wie dem Mutterlande. Black spricht so dann sein Vertrauen aus, daß Cbamberlein mit der besseren Kenntnis von Kanadas Stellung, die ibm jetzt zu teil geworden, einsehen werde, daß das Gegenseitigkeitsverbältni» mit den Kolonien, das einen Teil seines Planes bilde, nicht aufrecht erhalten werden könne, ohne daß die Kolonien einen großen Teil ihrer Unabhängigkeit in Finanzangelegenheiten aufgeben. Chamberlain erwiderte daraus am 14. September, er sehe nicht ein, daß der Briefwechsel für die gegenwärtige Kontroverse irgendwie von Belang sei. Es wäre nicht unnatürlich, daß Kanada ver suchen würde, durch private Verbindunge» die deutsche Regierung zu beeinflussen; das sei aber nicht gelungen; die Lage bleibe genau wie sie gewesen sei, abgesehen davon, daß Kanada es auf eigene Rechnung unternommen habe, seine Auffassung von den deutschen Unterscheidungszöllen zu bekunden. Chamberlain fügt hinzu: Ich habe von irgend welcher Absicht Kanadas, die Angelegenheit durch direkte Tarifverhand lungen zu betreiben, nichts vernommen, noch habe ich eine Nachricht erhalten, die den unbeglaubigten Schluß, den Black aus der Korrespondenz zieht, bestätigen würde, daß Kanada Deutschland dieselbe Behandlung gewähren werde, wie dem Mutterlande. Chamberlain lehnt es ab, die Sache weiter hin in privatem Briefwechsel zu behandeln. — In einem Briefe vom 19. September erklärte Black, seine Ansicht sei, Chamberlain habe seinen Plan in die Oeffent- lichkeit gebracht in Unkenntnis eines wesentlichen Umstandes, nämlich der Stellung, die von der ersten Kolonie Englands eingenommen werde in den finanziellen Beziehungen zum Auslande. Er weist darauf hin, daß Kanada, das an Deutschland fünfmal soviel Waren dem Werte nach einführe, als Deutschland nach ibm, in einer außerordentlich starken Stellung sei, wenn es Ver geltungsmaßregeln ergreifen wolle. Chamberlains Brief zeige aber, daß Kanada auf diese Weise keinen Erfolg erzielt habe. Deutsches Reich. Berlin, 23. September. (Der Kaiser und die Arbeiter.) Die Ansprache des Kaisers zu der Abordnung von Arbeitern der Danziger Reichs- und Staatswerkstätten bat durch die Ruhe und Schlichtheit, mit der der Kaiser sprach, selbst auf den „Vorwärts" ihre Wirkung nicht verfehlt. Wenn das sozialdemokratische Zentralorgan das Gewicht der kaiser lichen Worte dadurch herabzumindern sucht, daß es schreibt, der Kaiser habe etwa dasselbe gesagt, was man in natio nalliberalen Reden zu hören bekomme, die auf die Ab lenkung der Arbeiter von der nachdrücklichen Vertretung ihrer Frnilleton. 1SI Ingeburgs Kinder. Roman von MargareteBöhme. . . i>uck »krl'vten Da siel ein Schatten auf den Hellen Boden zu ihren Füßen. Der Kreuzfahrer hatte sie in der Nische ent deckt und gesellte sich wieder zu ihr. „Ich habe Sie überall gesucht. . . . Sie waren plötzlich von der Bildfläche verschwunden." Da er sah, daß Thyra unmaskiert war, streifte er auch die MaSkc ab. Und nun kannte sie ihn: vr. Fabriani, — den sie vor Monaten auf jenem ersten Tanzabend bei Leisemanns kennen gelernt hatte. „Sie sehen sehr angegriffen aus. Darf ich Ihnen eine Erfrischung besorgen?" Kopfschüttelnd lehnte sie ab, aber sie ließ es dennoch geschehen, daß der Rechtsanwalt seine Hand auf ihren Arm legte und sie zu dem breiten, niedrigen, mit Kiffen und Teppichen zu einem Ruhesitz umgewandelten Fenster sims führte. Tatsächlich war sie einer Ohnmacht nahe. „Die Hitze im Saal hat Sie anscheinend mitge- nommen. ... Es ist auch fast unerträglich unter der Maske. . . . Ich will Ihnen rasch ein Glas Limonade holen ..." „Ich danke. Sie sind sehr freundlich. Aber . . . . mir war schon vorhin nicht ganz wohl. . . . Und wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, Herr Doktor?" „Zehn für einen, gnädiges Fräulein!" Der Mann hatte so etwas Vertrauen Sinflößendes in seinem schlichten, ruhigen Wesen. Thyra fühlte sich zu ihm hingezogen, ohne daß sie besondere Belege für ihre Sympathie angeben konnte; vielleicht war es der gute, freundliche Blick seiner Augen, vielleicht seine klare, an genehme Stimme, vielleicht war eS auch nur die ernste Ruhe seines Wesens, die ihren stark erschütterten Nerven Wohltat. „Ich möchte das Fest verlassen. Menn Sie mich bei der Gräfin entschuldigen wollten . . . und vielleicht auch meinem Bruder sagen möchten, daß es mir nicht möglich gewesen wäre, länger zu bleiben ..." „Aber sicher. Sic erlauben mir doch, Sie zu be- «leitend „Nein, nein Ich danke Ihnen " Thyra verstummte. Die Nähr des Rechtsanwatts erweckte die Erinnerung an ihre Unterhaltung im Leise- mannschen Wintergarten in ihr. Von der Scheidungs sache eines Ehepaars von Rönniger, die er als junger An walt gefühlt, hatte er ihr damals erzählt. Mit Blitzes schnelle reihte sich eine Folgerung an die andere. Die Erzählung ihrer Mutter hatte sie in ihren Hauptbestand teilen ja nie angezweifclt, aber sie glaubte zu empfinden, daß die «Schilderung der verschiedenen Vorgänge eine Lücke ließen. Ein Glied in der Kette fehlte, und im Hinter gründe stand noch irgend etwas Dunkles, Unfaßbares, un ausgesprochene, unaufgedcckte Tatsachen, die die Ereignisse der Vergangenheit in ein wesentlich anderes Licht rückten. „Noch eins, Herr Doktor. Ich möchte Sie für morgen um eine Unterredung bitten Wann dürfte ich in Ihr Bureau kommen?" „Sie wünschen mich in geschäftlicher Angelegenheit zu sprechen?" „Ja!" „Morgen nachmittag um sechs Uhr, direkt nach Be endigung meiner offiziellen Sprechstunde, stelle ich mich Ihnen gern zur Verfügung. Sie wissen, wo ich wohne? Französische Straße." „Ich weiß. Also um sechs Uhr. Ich . . . möchte eine Auskunft von Ihnen. Ich will mich jetzt unauffällig entfernen. . . . Gute Nacht, Herr Doktor." Sie gab dem Anwalt ihre Hand zum Abschied, erhob aber keine Ein wendungen, als er mit ihr in die Garderobe ging und sie hinunterbegleitete, nm eine Droschke herbeizurufen. Sein wiederholtes Anerbieten, mit ihr zu fahren, lehnte sie dagegen entschieden ab. Um elf Uhr war sie wieder in ihrem Zimmer. Die Nacht war böse. Durch die Schatten der Fenster vorhänge schaute bis zum Morgen der Vollmond hinein und streute flimmernde Ringe und blaffe Blüten ans ihike Bettdecke. In den Schläfen hämmerte ihr das Blrtt, als wollte es die dünne Wand zersprengen, nnd ihre Augen lider schnellten in nervöser Spannung immer wieder zu rück, so oft sie sich schließen wollten. Dazu das wilde Pochen und Hämmern im Hinterkopf, das unruhige Schlagen des Herzens und der Pulse. . . . Es war so eigentümlich, daß sic das Auftanchen der Mutter im Herzen fast wie ein Unglück betrachtete. Ver- gobens suchte ihre Vernunft nach einer Begründung dieser rein instinktiven Empfindung. Umsonst horchte sie auf das „Regen einer Stimme des Blutes", die zu Gunsten dieser Frau sprach, auf das Erglühen eines noch so leisen Funkens natürlicher Zuneigung. Bor ihren Augen gaukelte immerzu die phantastische Schmetterlings gestalt der Zigeunerin mit den schwellenden Gliedern und dem schwarzen Lockengertesel, deren Erscheinung und Wesen ein eigenartiges Odeur frivoler Leichtlebigkeit an haftete. Eine Essenz schwuler Sinnlichkeit umschwebte die Frau. . . . Thyra konnte sich nicht retten vor dem Gefühl, das gleichzeitig mit der Wicdersehensscene in ihr empor rankte: eine fast gehässige Abneigung, Widerwille. Sie legte den Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite, ihre Hände zupften nervös an der Decke. Endlich gelang es ihr, die unerquickliche Vorstellung zu verscheuchen und ihre Gedanken fest zu halten. Sie konzentrierte ihre Energie und zwang sich eine Art Suggestion auf, eine gewisse Selbsthypnosc. Ihre Gedanken wanderten rück wärts in die letzten Winkel -er Vergangenheit, deren sie sich noch entsann. Nnd sie sah den Vater vor sich, so, wie er in ihrer Erinnerung lebte, den ernsten Mann, mit den schwermütigen -lugen und dem gütigen Lächeln, der sein Kind mit frauenhafter Weichheit und Zärtlichkeit liebte und pflegte, dessen Gestalt und Charakter, so wie sie sich seiner erinnerte, in keinem Strich und keinem Punkt der Zeichnung ähnelte, welche seine ehemalige Gattin von ihm entworfen hatte. Ihre Phantasie hatte sich eigentlich niemals viel mit der angeblich toten Mutter beschäftigt. Bisweilen wohl; aber selten, sehr selten. Die äußere Anregung dazu fehlte. Niemand in ihrer Umgebung erwähnte die Verstorbene, nnd sie entbehrte sic nicht. Tante Ingcborg war ihre Mutter gewesen, eine zärtliche, pflichtgctreue, aufopfernde Mutter. Die Ändere konnte sie sich kaum als „Mutter" denken. Bilder aus ihrer Kindheit glitten an ihren weit offenen Augen vorüber. Sie war noch klein, ganz klein. Tante zog ihr das schneeweiße Nachtkittelchen an, gab ihr den „Gute Nacht-Kuß" »nd legte sie in ihr Bettchen. Nun noch beten. „Müde bin ich, geh' zur Ruh', schließe beide Aeuglein zu; Vater, laß die Augen dein, über meinem Bettlein sein." „Nun mußt du schlafen, Mausi!" — „Noch ein Ge- schichtchen, Tante." „Ja, aber nur eins." Also ein Geschicktchen »nd ein Liedchen. Von Male Winkler. „Du sollst schlafen, Pnppi." „Einmal Male Winkler." „Also: Male Winkler steiht an de Eck bi de grüne Pump un weent: Abschied eines holsteinischen Soldaten von seiner Geliebten. „Ade, mein Liebchen, ich muß fort, muß wandern in den fernen Ort .... Raubt eine Kugel mir das Bein, dort am schönen, deutschen Rhein." Und ehe das schöne Lied von Male Winkler ver klungen war, war sie hinüber Oder die herrliche Ballade von Myrtill. . . . Das war mich ein Lied aus Tantes Kinderzeit. . . . Ein bißchen schaurig-traurig, und das war gerade das Schöne, wenn man sich im warmen, weichen Bettchen streckte und auf den Sandmann wartete. „In Myrtills zerfallener Hütte schimmerte die Lampe noch, als in feiner Laufbahn Milte düster sich der Mond ergoß. Walter irrte in dem Haine, sucht das Licht und folgt dem Scheine, nach dem väter lichen Dach mit gepreßtem Herzen nach . . ." Die Melodie schläferte so wundervoll ein. Ein ander Bild. Da war sie krank. Hinter dem grünen Schirm brannte das Nachtlämpchen, und Tante saß an ihrem Bettchen und legte kalte Kompressen auf daS fiebernde Köpfchen und führte von Zeit zu Zett das GlaS niit kühler Limonade an die trockenen Lippen. Und die Uhr tickt, und es ist so totenstill im Zimmer. Und das Kind liegt ganz still und unbewegt in den Kissen. Da gleitet auf einmal ein Seufzer durch den Raum, ganz leise .... das gespannte Ohr -er kleinen Kranken fängt die Laute auf . . . .Herrgott . . . lieber Gott... laß mir mein Kind! Thyras Hände Haschen mechanisch nach den Mond strahlen auf der Decke. Und sie versuchte es, alle die lieben, von Muttertreue und Mutterzärtlichkeit über fließenden Bilder nochmals zu beschwören und an Tante Ingeborgs Stelle die Andere zu denken. ES gelang nicht; eine fratzenhafte Karikatur kam zum Vorschein. Aber die Gedanken der Heimat wirkten beruhigend; ihre Augen schloffen sich, der Schlaf kam. Nun war sie wieder im Maskengvwlihl. Der Pierrot flog wieder mit ihr durch den Saal, mitten im wilden Galopp stolperte sie — über Olli Leiscmann und stürzte der Länge nach zu Boden. Dabei war Ahne Waldmeister- Brautkleid zerrissen; bestürzt suchte sie die niederhängen, den Fetzen zusammenzuhalten, derweil wurde eS finster im Saal, ganz finster. Die MaSken verschwanden, die Wände weiteten sich . . . Statt der Decke blickte der «bendhimmcl ans sie nieder. Da stand sie allein auf einem Kirchhof, neben einem vom letzten, roten Tageslicht ange glühten Grabhügel. Auf dem weißen Stein wenige Worte: „Hier ruht in Gott der vr. pttii. Cornelius vo»
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