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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030925029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903092502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903092502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-25
- Monat1903-09
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Der jungnatiolnalliberale Verein Berlin hat in einer Versammlung, über deren Besuch zahlenmäßige An gaben nicht vorliegen, in einer Resolution die Erwartung ausgesprochen, daß „angesichts der Gefahr der erneuten Bildung einer klerikal-konservativen Majorität bei den nächsten preußischen Landtagswahlen die nationalliberalen Wahl männer sich bei etwa nötig werdenden Stichwahlen mit den Freisinnigen und den sozialdemokratischen Wahlmännern über eine gegenseitige Unterstützung ver ständigen". In derselben Resolution sollte auch das Be dauern über das Nichtzustandekommen eines Wahlkartells der gesamten Linken einschließlich der Sozialdemokraten aus gesprochen werden. Dazu kam es aber nicht, da der be treffende Passus zurückgezogen wurde. Die „National-Ztg." schließt daraus, daß der jungnationalliberalc Verein Berlin rm Gegensätze zu vr. Barth und v. Naumann die Sozialdemokratie nicht für bündnisfähig halte. Ein derartiger Schluß ist ein Spiel mit Worten. Denn durch den Ausdruck der Erwartung, Nationalliberale und Sozialdemokraten möchten sich bei Stichwahlen über eine gegenseitige Unterstützung verständigen, wird die Sozialdcmo- katie von dem jungnationalliberalen Verein Berlin tat sächlich für bündnisfähig erklärt. Dieser Sachverhalt ist um so weniger bestreitbar, als die Sozialdemokratie durch wieder holte Parteibeschlüsse bekundet hat, nur für Gegen leistungen den Liberalismus im Falle von Stichwahlen zu unterstützen. Bekanntlich hat die Freisinnige Volks partei daS Zusammengehen mit der Sozialdemokratie bei den Landtagswahlen im Gegensätze zur Freisinnigen Ver einigung von vornherein mit voller Entschiedenheit abgelehnt, vor allem auch deshalb, weil die Sozialdemokratie viel zu wenig bei den Landtagswahlen bieten kann. Schlägt jetzt der jungnationalliberalc Verein Berlin für Stichwahlen die Ver ständigung mit der Sozialdemokratie vor, dann tritt er da mit praktisch au die Seite der Barth und Naumann. Dieses Vorgehen des jungnationalliberalen Vereins Berlin erscheint nach dem letzten Ergebnis der Reichstagswahlen und nach dem Dresdner Parteitage doppelt bedauerlich. Nachdem die Reichstagswahl die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen auf 3 Millionen gebracht hat, sollte jeder Schritt vermieden werden, der geeignet ist, das Urteil der Wähler über das Wesen der Sozialdemokratie zu verwirren. Ein solcher Schritt würde aber das Zusammengehen mit der Sozial demokratie bei der preußischen Landtagüwahl sein. Die sozial demokratische Partei würde ein Zusammenwirken von Natio nalliberalen und Sozialdemokraten bei dieser Landtagswahl für die Reichstagswahlen auf das gründlichste ausnützen. Vollends unmittelbar nach dem Dresdner Parteitage national liberalen Wahlmännern die Unterstützung eines Sozialdemo kraten zuzumuten, ist seltsam genug. Hat doch eben erst Bebel unter dem Jubel des Parteitages seine Todfeindschaft gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft erklärt. Glaubt man wirklich, daß unter dem noch frischen Eindrücke dieser Fanfare die nationalliberale Partei nicht Gefahr liefe, bei den Wählern durch ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratie ungleich mehr zu verlieren, als im besten Falle die Unterstützung sozialdemokratischer Wahlmänner dem Nationalliberalis mus an Mandaten einbringen könnte? Glaubt man wirk lich, daß der Zweck, die Verhinderung einer klerikal konservativen Landtagsmehrheit, in den Augen der Wähler das Mittel des Zusammengehens mit der ^Sozialdemokratie „heilige"? Und darf vergessen werden, daß die national liberale Partei mit in der ersten Reihe steht, wenn die Sozialdemokratie politische Gegner mit Kot bewirft? Die Antwort hierauf wird der nationalliberale Delegiertentag in Hannover zu geben haben. Daß sie nicht im Sinne des jungnationalliberalen Vereins Berlin auSfällt, daran zweifeln wir nicht. Der Fall Hiistucr ist bekanntlich abermals vor dem Oberkriegsgerichte zu Kiel verbandelt worden, nachdem Hüßner am 26. Mai von dem Kriegsgerichte der 1. Marine-Inspektion zu 4 Jahren l Woche Gefängnis und zur Degradation verurteilt, dieses Urteil voni Oberkriegsgericyt am 6. Juli aufgehoben und die erkannte Strafe in Festungshaft von 2 Jahren 7 Tagen verwandelt worden, endlich das Reichsmilitärgericht dieses neue Urteil abermals aufgehoben und den Fall an das Oberkriegsgericht zurückvcrwiescn batte. Wenn schon das erste Urteil vielfach für nicht streng genug gehalten wurde und das Berufungsurteil des Oberkricgsgerichts, das die Strafe noch um die Hälfte verkürzte und das Gefäng nis in Festungshaft verwandelte, in den weitesten Kreisen Staunen und Entrüstung weckte, so ist die abermalige Entscheidung deS Oberkriegsgcrichts nicht gerade geeignet, diese allgemeine Auffassung zu mildern. Wenn der Gericbtsbcrr der zweiten Instanz, Admiral v. Koester, auf Grund des Vortrags des Militär- anwaltS Revision einlegen zu müssen glaubte, so geschah es offenbar im Grunde deshalb, weil er selbst eine schärfere Bestrafung für angebracht hielt. Ob das Reichsmilitärgericht diesen Standpunkt teilte, ist aus seiner Entscheidung nicht zu ersehen, denn nachdem der Fall wegen eines im Urteil enthaltenen Widerspruchs, also aus formalen Grünten, an die Vorinslan; zurückverwicsen war, batte es keinen Anlaß mehr, sich über die rechtliche Seite der Urteilsbegründung zu äußern. Nun hat daS Ober- kriegSgericht sich auf den Standpunkt gestellt, daß die notwendige Ausmerzung dieser formalen Ungenauigkeit den Geist des Urteils nicht beeinflussen könne, und somit bat es von neuem auf die früher von ihm verhängte Strafe er kannt. Anders vorzugeben lag kein unmittelbarer Anlaß vor, wenn das Gericht nicht den ausschlaggebenden Wert auf die Tatsache legen wollte, daß sein erstes Urteil mit dem allge meinen Rcchtsbewußtsein sowohl wie mit der Auffassung juristischer Kreise im schroffsten Widerspruche stand. Ihm war nach wie vor die Annahme maßgebend, daß der Angeklagte - zum Gebrauche der Waffe berechtigt gewesen sei und die Möglichkeit eines Todesfalles infolge dieses Gebrauches nicht in Betracht gezogen habe. Und gerade für diese Annahme wird in weiten Kreisen das Verständnis fehlen. Hüßner hatte ja wohl in dem Augen blicke der unfeligen Tat kaum Muße zu Betrachtungen, aber anderseits wird es kaum einen erwachsenen Menschen geben, der nicht weiß, daß ein Dolchstoß, dessen Wirkung man im Laufen jedenfalls nicht zu kontrollieren vermag, tiefer als beahsichtigt dringen und vielleicht den Tod Herber führen kqnn. Und wenn er zum Gebrauche der Waffe be rechtigt war, so ist es gerade diese Berechtigung, die mit der Rechtsanschauung weitester Kreise im Widerspruche steht. Mit vollem Rechte schreibt die „Köln. Ztg.": „Wenn zwischen dem Spruch und der Rechtsanschauung des Volkes eine grelle Dissonanz zutage tritt, so muß wohl die Ursache in eben jenen militärischen Bestimmungen und In struktionen zu suchen sein, an die das Gericht bei der Beurteilung gebunden war. Ist das richtig, so sind diese Bestimmungen der Aenderung dringend bedürftig, denn nichts kann zu einer Entfremdung zwischen Volk und Heer mehr beitragen, als solche auf der künstlichen Unterscheidung zwischen bürger licher und militärischer Moral aufgebaute Urteile. Eine Ent fremdung zwischen Volk und Heer, eine Trennung in bürgerliche und militärische Moral aber sind Tinge, die in einem Lande der allgemeinen Wehrpflicht, wo der Bürger Soldat und der Soldat Bürger ist, überhaupt unmöglich sein sollten. In dem Falle Hüßner hat das Gericht erkannt, daß der Fähnrich zu Recht von seiner Waffe Gebrauch gemacht habe, und gerade das ist der Punkt, der im Volke keinerlei Verständnis finden wird. Glücklicherweise ist man in Deutschland auch heute noch bereit, dem Soldaten und dem Offizier in freudigem Stolz auf unser Heer und seine Ruhmestaten eine achtungsvolle Ausnahmestellung einzuräumen, aber diese Gesinnung wird durch Bestimmungen, wie sie über den Waffengebrauch immer noch zu bestehen scheinen, erschüttert und untergraben. Es ist dem Bürger schlechterdings unverständlich, daß das Ehrenkleid des Sol daten dadurch besudelt werden könnte, daß z. B. ein betrunkener oder roher Bursche seinem Träger einen Schlag versetzt oder ihm etwa kraft der Ucbermacht des Stärkeren den Degen abnimmt oder zerbricht. Es ist ihm unmöglich, milde Urteile wie das gegen Hüßner in Einklang zu bringen mit der harten Strafe, die ihn selbst trifft, wenn er den Einbrecher in seiner Wohnung, ohne daß dieser unmittelbar sein Leben bedroht, niederschießt. Dem Bürger, wie dem Soldaten, so folgert er, sollte die Waffe nur in der Notwehr dienen, und wie vor den bürgerlichen Gerichten, so sollte nach seiner Meinung auch vor dem Militärgericht in jedem einzelnen Falle festgestellt werden, ob Not wehr vorliegt oder ob der Begriff überschritten worden ist; dagegen sollte nicht nach Instruktionen über den Waffengebrauch, die den "Anschauungen unserer Zeit nicht entsprechen, akademisch in einer Weise entschieden werden können, die das allgemein menschliche Empfinden aufs schwerste verletzen muß." Die ungarische Krise. Daß die äußerste Linke im ungarischen Abgeordnetenhause, die Kossuthpartei, wenigstens so stc sich völlig im Bannkreise Kossuths befindet, nicht zu überzeugen, daß mit ihr nicht zu paktieren ist, selbst wenn ein Khucn Hedcrvary versichert, daß ihm die Rechte der „Nation" so nahe am Herzen liegen, wie die Rechte der Krone, das haben die gestrigen Verhand lungen wieder deutlich gezeigt. „LoS von Oesterreich!" ist daS letzte Slurmziel der Mehrheit dieser Partei, darauf hat ihr EbauviniSmus sich so blindwütig verrannt, daß ein Einlenken kaum mehr möglich scheint. Deshalb war es auch ganz aus geschlossen, daß bas kaiserliche Handschreiben, welches dem bekannten Armeebefehl seine Schärfe nehmen sollte, indem es — lediglich an der deutschen Armeesprache festhaltend — der ungarischen Armee mancherlei sehr wertvolle nationale Zu geständnisse machte, auch nur den allergeringsten Eindruck auf die Exaltados um Kossuth machen würde. Im Gegenteil, es stachelte diese Unversöhnlichen zur Aufführung so widerlich-wüster Scenen im Parlamente, zu so ordinären per sönlichen Angriffen gegen den König und den Ministerpräsidenten auf, wie sie das Abgeordnetenhaus — und das will viel sagen — noch nicht gesehen hatte. Vielleicht aber hat dieser krankhafte, dem Paroxismus verfallene Chauvinismus sich gestern doch so überpurzelt, daß er nicht mehr sicher auf die Beinekommt. SelbstdieVolkspartei nahm einedrohendeHaltung gegen die Kossuthianer ein, und es lauckt wenigstens der schwache Hoffnungsschimmer auf, daß die Partei fick spaltet und bann die Obstruktion der eigentlichen Kossnthklique nicht mehr im Stande ist, den Gang der Staatsmaschine aufzuhalten. Sind es doch verfassungsmäßig verbriefte Rechte, die Oesterreich mit dem Festhalten an der deutschen Armeesprache geltend macht, und muß es doch jedem Normaldenkenden einleuchten, daß nur die Einheitlichkeit der Armee die Einheit des Staates garantiert. Jedenfalls steht Oesterreich-Ungarn in diesen Tagen vor einer folgenschweren Entfcheidung, vielleicht der folgen schwersten seiner Geschichte. Französische AufschneiSerei. Der Chefredakteur der "„Patrie", Emile Massard, ist von den großen Manövern, wo er als Reserveoffizier gewirkt zu haben scheint, zurückgekehrt und macht nun den Lesern seines Blattes sensationelle Mitteilungen unter den Titeln: „Die Militärmacht Frankreichs verzwie facht. — Die neue Kugel. — Das französische Heer plötz lich das gewaltigste der Welt geworden. — Ein gestohlenes Geheimnis. — Unmöglichkeit für die Deutschen, aus unserer Erfindung Nutzen zu ziehen. — Ein Toast auf die kleine Kugel." „Bor zwei Jahren," so führt Massard aus, nachdem er durch diese Pompöfen Ueberschriften die Erwartung der Leser aufs höchste gesteigert hat, „kündigte der Kriegsminisler de Galliffet auf der Tribüne der Kammer an, das französische Heer könne morgen dank einer Vervollkommnung das stärkste Europas sein. Seine Worte verhallten in dem politischen Hader; aber man schenkte ihnen in den militärischen Kreisen, besonders des Auslandes, Beachtung. Es handelte sich, wie mau erfuhr, um eine neue Patrone, und die Deutschen ruhten nicht, bis sie sich einiger Exemplare bemächtigt und mit eben falls gestohlenen französischen Gewehren von 1886 ihre Wirkung erprobt hatten. Aber jetzt hat man eine neue Vervollkommnung eingeführt, dank der die Patrone von 1903 alles übertrifft, was man bisher in dieser Art gekannt hat. Mit dieser Patrone kommt es überhaupt nicht mehr auf gutes Zielen an, die Flug bahn des neuen Geschosses ist verdoppelt und seine Gefahrs zone wird unermeßlich. Massard setzt dann weiter aus einander, daß die Deutschen sich dieser Patrone mit ihrem Gewehre von 1898 nicht bedienen können, weil dieses nicht eine längere Kugel und zugleich mehr Pulver auf zunehmen vermag. Die Deutschen müßten folglich ihre ganze Ausrüstung umändern, für die sie 400 bis 500 Millionen aus gegeben haben, wenn sie sich der neuen Erfindung bedienen wollten, und eine solche Aenderung würde vier Jahre Zeit erheischen. Sie besitzen, schreibt Massard, schon lange unser Gewehr von 1886. Sie haben uns Hunderte von Paketen neuer Patronen gestohlen, sie kennen unser Geheimnis, aber eS nützt ihnen nichts, wenn sie nicht Hunderte von Millionen und drei oder vier Jahre Zeit daran wenden wollen. Die französische Militärmacht ist verdoppelt, das französische Heer plötzlich das gewalttgfte der Welt geworden, und während der nächsten vier Jahre ist ihm die Superiorität über alle Heere der Welt gesichert. Die Franzosen mögen also wissen, daß sie trotz ihrer Minderzahl, trotz Verrat und Hader nichts zu befürchten haben, weder von der Seite Feuilleton. Ingeborgs Kinder. Roman von Margarete Böhme. Nuürruck verbalen. ,)Die Namen? Hm. Doktor der Philosophie Cornelius von Rönniger, und seine Frau eine geborene . . „von Haoeland . . „Säe wissen . . ." Er sah die zuckende Bewegung in ihren Zügen und daß sich ihre Hände kramvkbaft ineinander falteten ..." „Alles ... Es waren meine Eltern " „'Ihre Eltern! Und ich habe durch meine Unvorsichtig keit eine Wunde berührt . . . vielleicht erst geschlagen . . ." Sie machte eine abwehrende Bewegung. „Nicht doch. Im Gegenteil. Es ist mir ein tröstlicher Gedanke, daß ich von Ihnen wenigstens ... die Wahrheit erfahren werde. Ich mutz Klarheit haben! Ich muh alles . . . Die Haupt sache weiß ich ja nun doch .. ." Ihre Stimm« klang rauh und spröde, wie ein Instrument mit zersprungenem Reso nanzboden. „Datz sie meinen Vater betrog! Aber ich will alles wissen. Ich will wissen, wie sich mein Vater gegen sie verhielt... ob ich das Andenken an beide Eltern verlieren soll, oder ob mir wenigstens das Bild des einen rein und fleckenlos erhalten bleibt. Ich werde wahn- sinnig, wenn ich nicht klar sehe", schloß sie leidenschaftlich erregt. Der Anwalt blätterte schweigend in dem Aktenheft. „-Die Rönnigers hatten, wie ich eben sehe, wirklich nur ein einziges Kind, eine Tochter. Daß einem so etivas ganz entfallen kann, es ist eben schon so lange her. Wenn ich mich dieses Umstandes entsonnen hätte, wäre ich wahr scheinlich vorsichtiger gewesen. "Ahnten Sie damals schon, daß es Ihre Eltern waren, die " „O nein. Ich wußte überhaupt nichts von der trauri gen Geschichte. Erst gestern abend . . . Sie waren eben von meiner Seite verschwunden, als eine Zigeunerin mich aufforderte, ihr zu folgen. Ahnungslos ging ich mit ihr. Sie führte mich in ein Gastzimmer des Hauses, demas kierte sich und erklärte mir mit kurzen Worten, daß sie meine Mutter sei und daß sie seit Jahren mit ihrem zweiten Vatten in Dresden wohne —" „Frau von Asvern ... Aha ... Mir tagt es. Deshalb schien mir die Dame gestern abend so bekannt; ich er innerte mich dunkel, ihr schon begegnet zu sein, wußte aber doch nicht, wo und wann. Sie hat sich natürlich sehr verändert, seitdem ich sie damals sah . . . Nun begreife ich auch Ihre sichtliche Erregung und Ihren Wunsch, das Fest zu verlassen. Sehr glücklich war der Zeitpunkt für eine Enthüllung von dieser Tragweite gerade nicht gewühlt." „Sic glaubte, mir eine Freude damit zu machen . . . es ist nicht ihre Schuld, datz ich die Angelegenheit von einer anderen Seite auffaßtc. Aber nun möchte ich Sie bitten, mir das Nähere mitzuteilen. Die Schilderung, welche Frau von ASvern von meinem Vater entwarf, ver änderte sein Bild, wie ich es bisher vor 'Augen hatte! Ich wäre Ihnen unendlich dankbar, wenn Sie mir rücksichts los die einfache Wahrheit, den schlichten Tatbestand mit teilen wollten. Ich werde ruhiger, wenn ich erst alles weiß." vr. Fabriani hatte das Aktenheft wieder zugeklappt. In dein breiten Dagobcrtsesscl zurückgelehnt, spielte er mit einem elfenbeinernen Papiermesscr, das er vom Schreibtisch genommen hatte. In seinem Blick, der auf Thyra ruhte, lag viel Wärme und Teilnahme. ,Das Andenken Ihres Vaters sollten Sie nicht ver unglimpfen lassen. Ihn traf keine Schuld. Gar keine. Höchstens könnte ihm seine übergroße Güte zum Vorwurf gemacht werden. Er war ein Märtyrer seiner Liebe — um nicht zu sagen — seiner Schwäche. Begnügen Sie sich damit. Die Frau ist immerhin — Ihre Mutter." „Nein, nein! Das genügt mir nicht. Ich möchte wenigstens den Zusammenhang wissen." „Nun also. Wenn Sie durchaus darauf bestehen: Die Havcland war ein blutjunges, blutarmes Ding, als Herr von Rönniger sie heiratete. Sehr reizend muß sie wohl gewesen sein, das. und der alte Name waren aber auch das einzige, was sie in die Ehe brachte, ihr« einzige Mitgift. Im übrigen war sie maßlos verwöhnt, anspruchsvoll, ober flächlich und kokett. Der glückliche junge Gatte sah in dessen diese Fehler durch die rosenrote Brille des Ver liebten, und anstatt ihrer Verschwendungs- und Ver gnügungssucht den Schwerpunkt seiner besseren Einsicht gogenüberzusctzen und das junge Weib mit Vernunft und Ernst zu erziehen, ließ er sie gewähren, leistete ihren törichten Wünschen Vorschub, gab ihr in allem nach und hoffte dabei immer auf die Einwirkung der Zeit, die ihren Charakter reifen und die schiefen Stellen abschleifen, glätten werde. ... Als ob sie überhaupt jemals Charakter gehabt hätte. Die Geburt des Kindes bewirkte gar keine Aenderung; Rönnigers recht ansehnliches Vermögen schmolz unter Len verschwendungssüchtigen Händen der Frau mehr und mehr zusammen, ohne datz er selber den Mut fand, ihrem leiclstfertiaen Treiben Einhalt zu ge bieten. Er hätte sich widerspruchslos von ihr ruinieren lassen, immer an der vagen Hoffnung festhaltend, datz sie doch einmal zur Vernunft kommen und daß dann eine Wendung zum Besseren eintreten werde. Grenzenlos, wie seine Liebe zu der Frau, war seine Verzweiflung, als er erfuhr, daß sie ihn hinterging. Mit einem Optimismus, einem Glauben, der weltweisen Leuten töricht erscheinen mag, sträubte er sich gegen den sich ihm mehr und mehr anfdrängenden Verdacht, bis ihm eines Tages ein Zu fall die unzweifelhaften Beweise ihres Ehebruchs brachte. Das war natürlich das Ende. Und bei alledem glaube ick. wäre er im stände gewesen, ihr zu verzeihen, wenn sie reuig zurückgekehrt wäre. Aber das fiel ihr natürlich nicht ein; sie wollte ja selber die Trennuna. Dieser Leutnant von Asvern. mit dem sie geflohen war, hatte schon im Hause ihres Vaters verkehrt, und damals mögen sich zwischen beiden schon Beziehungen angebahnt haben, die aber an der Aussichtslosigkeit der Verhältnisse — der Leutnant hatte kein Vermögen — strandeten. In diesem Punkte war seit Jahresfrist eine Aenderung ein getreten, da Asvern eine Tante beerbt hatte und dadurch in den Besitz eines ausreichenden Vermögens gekommen war. Die fragwürdige Rolle, welche -er Leutnant in dem Ehescheidungsprozesse spielte, machte sein Bleiben im Re- giment zur Unmöglichkeit; er erhielt bald darauf den schlichten Abschied. Rönniger hatte seiner geschiedenen Frau den Rest seines Vermögens überlassen; nach Jahres frist heiratete sie Aspern. Das Paar siedelte wieder nach Württemberg über, lebte eine Zeitlang in Stuttgart, fand aber dort wohl nicht recht den gewünschten gesellschaftlichen Anschluß und ging deshalb später nach Dresden. Seitdem habe ich nichts weiter von ihnen gehört; auch Herr von Rönniger, der nach der Scheidung in seine Heimatsprovinz Schleswig zog, ist mir gänzlich ans den Augen gekommen. Nach Ihres Vaters Tode hätten Die aber eigentlich -och wieder der Mutter überwiesen werden müssen. Hat sie darauf keinen Anspruch erhoben?" ,,Die!" — Eine Summ« unsäglicher Bitterkeit und tiefer Verachtung lag in -em kurzen, gequälten Ausrufe. Sie wollte noch etwas hinzufüaen. kam aber nicht dazu. Ihre mühsam bis jetzt aufrecht erhalteneSelbstbeherrschung brach wie ein Kartenhaus zusammen; umsonst, daß sie da- Schluchzen zu ersticken, die Tränen zurückzuhaltcn suchte. Unaufhaltsam stieg es auf in kurzen, ruckweise» Stößen, als ob jemand hinter ihr stände und ihr unaufhörlich Faustschläge in den Nacken versetzte. . . . vr. Fabriani lieb sie gewähren. Erst als eine geraume Zeit verstrichen war, gab er seinem Sessel einen kleinen Ruck nach vorn, bog sich vor und nahm Thyras kalte Hände in die seinen. Und von den weichen, warmen Fingern des Mannes, die ihre Hände mit sanftem Drucke umschloffen, schien ein eigenes Fluidum auszuströmen, sich ihr mitzu teilen. Sie wurde sichtlich ruhiger. Wie schon vordem» weckte Fabrianis Nähe die Vorstellung von etwas Alt bekanntem, Altvertrautem, von einem guten, treuen Menschen, den sie nicht flüchtig und erst seit kurzem, nein, den sie jahrelang kannte, der ihr von Ewigkeit her lieb un wert gewesen war, in ihr; unbewußt empfand sie, datz Fabriani ein guter Mensch sei, und daß sie ihm voll ver trauen dürfe. Und das beruhigte sic. „Armes Kind . . . Weinen Tie! Weinen Li« sich aus, das erleichtert", sagte er freundlich, „ich fühle Ihnen alle- nach: Sie haben gestern zum zweiten Male Ibre Mutter verloren. Sie ist Ihnen zum zweiten Male gestorben. Unb das Weh um einen Lebendia-Toten ist brennender, peini gender, qualvoller, als die Trauer um einen Entschlafenen. Ich habe Ihnen auch noch weh tun müssen; sehr gut ver stehe ich, wie tief Ihre Gefühle durch diese alten, längst verjährten Geschichten verletzt wurden, aber Sie wollten es . . „Ja. Und ich danke Ihnen. ES ist mir so . . . Der- zeihen Sie, daß ich mich so schlecht beherrschen konnte", ein leises Aufschluchzcn vibrierte über ihre Lippen, „ich glaube, ich werde es überwinden. Wenigstens den Vater darf ich behalten ... Ich verstebc ietzt alles . . . alles. Ich bin nicht einsamer dadurch aeworden." „Nein. Und wenn Sie einen Freund gebrauchen — verstehen Sie mich recht, einen uneigennützigen, treuen Berater in irgend welcher Angelegenheit und Lebenslage, dann — nicht wahr — erinnern Sie sich meiner, als des Freundes Ihres Vaters." „Ich danke Ihnen. Ich nehme Ihr freundliches An erbieten nur zu gern an. Wenn ich je in die Lage kommen sollt-, den Rat eines erfahrenen Menschen einzuholen, würde ich nur zu Ihnen kommen."
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