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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030929015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903092901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903092901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-29
- Monat1903-09
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Es schien, al- wollten sich bi« europäischen Weltmächte zunächst mit dem Errungenen begnligen, und Rußland war jedenfalls durch die orientalischen Vorgänge in solchem Maße in An spruch genommen, daß es ohne zwingenden Grund nicht Verwicklungen in Afrika suchen konnte. So gingen die Dinge in Acthiopien ihren gleich mäßigen Gang. Plötzlich haben die Vereinig- ten Staaten in unerwarteter Weise in dieses bisher von Europa allein beackerte Feld hinein gegriffen und zeigen das Verlangen, bet der Ernte eben- falls dabei zu sein. Bekanntlich hat der amerikanische Generalkonsul in Marseille den Auftrag erhalten, in ver traulicher Mission nach Abessinien zu reifen. Worin sein Auftrag bestehen soll, wirb nicht gesagt. Manche meinen, e- handele sich um den Abschluß eines Handelsvertrages und die Erlangung gewisser wirtschaftlicher Vorteile. Von anderer Seite aber wird versichert, das Vorgehen der Union richte sich gegen mehrere europäische Mächte, die in Abessinien ausschließlich politische Zwecke verfolgten. Wie dem auch sei, sicher ist eins, daß die Vereinigten Staaten nicht länger Zuschauer bei den Vorgängen in Afrika bleiben wollen. «. Unter den Ländern, welche für die 'Beurteilung der Lage in Abessinien in Betracht kommen, sind vor allem Frankreich und England zu nennen. Diese wenigstens haben bisher die grüßten Erfolge erzielt. Frankreich baut feine Eisenbahn von Dschibuti nach Addis-Abeba, erhält dadurch die Möglichkeit, in direkte Verbindung mit dem Innern des Landes zu treten, und gewinnt einen bequemen Schienenweg bis zur Hauptstadt MenelikS. Bekanntlich hat es wegen dieses Bahnbaues mannigfache Kämpfe ge geben. England suchte ihn durch sein Kapital in die Hand zu bekommen, und als das nicht ging, veranlaßte cs den NeguS, Bedingimgen an die Koivzession zu knüpfen, die von Frankreich nicht erfüllt werden konnten. Gegen wärtig sind aber die Schwierigkeiten überwunden, die Eisenbahn wird weiter gebaut. Frankreich und Abessinien sind, Lank dem Geschick Ras MakonnenS: vollkommen einig. Ja, au- der Rede, welche dieser Fürst gelegentlich der Eröffnung eines Teiles der Fahrstraße zwischen der Stabt Harar und der neuen Linie hielt und in welcher er dem Wunsche Ausdruck gab, daß Frankreich und Abessinien stets zusammengehen möchten, könnte man, im Anschluß an das Früher«, auf ein besonders intimes Verhältnis beider Staaten schließen. Jedenfalls ist es nicht undenkbar, daß zur Zeit die französische Republik größeren Einfluß als England in Addis-Abeba ausübe. Letztere- freilich hat es ebenfalls verstanden, seine Stellung in Aethtopten zu sichern. Bereits im Jahre 1897 schloß es mit «dem Ncgus durch Str Rennel Rodds ein vorteilhäftes Abkommen, das ihm nach der politischen wie nach der wirtschaftlichen Seite Nutzen brachte. Dann folgte im Herbst« des vergangenen Jahres der bekannte Handelsvertrag, der England ein Gebiet an Len Ufern des Baro-KlufleS zur wirtschaftlichen Ausbeutung, wenn auch ohne militärische Vergünstigungen, eintrug. Noch haben die Briten anscheinend keine Anstalten getroffen, um die Zugeständnisse auszumeven; aber sie werden das Erreichte jedenfalls niemals vrei-geben und jede Macht, di« sich ihrer Einflußsphäre nähert, werden sie mit Miß trauen und feindlicher Gesinnung betrachten. Mit beiden Staaten werden die Amerikaner es zu tun bekommen, sollten sie ernstlich in den Wettkampf der Na- tionen im Osten Afrika- einareisen wollen. Dann ist aber Rußland auch noch da. Letzteres hat in den letzten Jahren eine auffällig« Zurückhaltung in Abessinien gezeigt. Nach den anfänglichen Expeditionen, Gesandtschaften und Ge- schenken, die von Petersburg nach Addis-Abeba und von dort an die Newa gegangen sind, -schien ein Stillstand in den Unterhandlungen der beiden Negierungen einge treten zu sein. Erst im Sommer 1902 sah sich der NeguS aufs neue veranlaßt, ein« besondere Gesandtschaft unter Fahrung de- Metropoliten Abu na Mateos nach Petersburg zu schicken, deren eigentlicher Zweck bisher noch nicht enthüllt worden ist. di« aber die Ernennung LischinS als russischen Gesandten kür Abessinien nach sich zog. Aber auch dieser hat bisher etwas Bemerkens wertes nicht getan,eSwäre denn, daß er vielleicht seinen Ein- fluß zu gunsten der befreundeten und verbündeten Republik aufgewandt hätte. Deshalb aber darf man doch nicht glauben, daß da» Zarenreich gesonnen sei. seine abessinisch« Interessen- sphäre «rfzngeben. Namentlich, »en« Ne vereinigt«» Staaten sie ihr streitig machen wollten. Amerika begegnet demnach in Abessinien einer Anzahl Gegner auS Europa, die unter sich zivar uneinig sind, niemals jedoch den Inter essen der Union das mindeste Entgegenkommen zeigen werden. Wenn man die Aussichten der verschiedenen, in Acthio pien ringenden Staaten in Betracht zieht, pflegt man einen wichtigen Faktor zu übersehen: den Kaiser Menelik in Person. Dieser ist nicht ein Schattenfltrst, «r weiß recht genau, was er will, und hat schon oft die europäischen Staaten als Schachfiguren zu benutzen verstanden. Menelik ist bisher, was auch dagegen gesagt werden kann, durchaus der Herr der Lage geblieben, und anscheinend wird er freiwillig diese Stellnna niemals aufgeben. Mag die Union die Russen, die Franzosen und die Engländer berücksichtigen oder nicht, in erster Linie müßte sie mit dem Herrscher des Landes rechnen und sein« Freundschaft zu gewinnen suchen. Da scheint sie jedoch merkwürdige Mittel anzuwenden. Die Entsendung eines Geschwaders an die afrikanische Küste wird schwerlich die Ziele Amerikas fördern und di« Mächte willfährig stimmen. Und zum Aeußersten wird man es in Washington rvahrschetnlich auch nicht kommen lassen. Dann würde es sich nur nm eine Drohung handeln, die nichts erzielt uud nur das Ansehen der Veranstalter herabsetzen müßte. Ernste Konflikte sind, wie die Dinge gegenwärtig liegen, in Abessinien nicht zu fürchten, aber jedenfalls stehen wir vor scharfen diploma tischen Kämpfen, di« mit der Zeit wichtige Macht verschiebungen in Afrika nach sich ziehen können. Der Deleyierlentag der preußischen Nationalliberalen, der am Sonntag in Hannover stattfand, ist glänzend ver- lanfen. Schon am Borabend hatten sich mehrere hundert Abgesandte auS allen Teilen der preußischen Monarchie ein gefunden und mit ibnen viele Abgeordnete ans dem Reichs tage und bisherige Mitglieder des preußischen Abgeordneten hauses. Besonders lebhaft wurde Bassermann begrüßt, der mit seinem Danke einen Hinweis aus die hinter der Partei liegenden wirtschaftlichen Kämpfe, auf die Erfolge bei den RerchStagSwahlen und die Bedeutung der preußischen Landtags wahlen für daS ganze Reich verknüpfte. Die gestrigen Haupt verhandlungen leitete der Abg. v. Eynern ein und begrüßte namentlich den Senior der Partei, vr. Ha mm ach er, dem die Versammlung den Ehrenvorsitz übertrug. An den Kaiser wurde ein HuldigungStelegramm gesandt. Zum Wahlaufrufe sprach in einer großangelegten Rede vr. Sattler über die politischen Aufgaben der jetzigen Lage. Mit der Sozialpolitik des richtigen MaßeS, des besonnenen und zugleich kräftigen Fortschrcitens habe die nationalliberale Partei siegreich bei den Wahlen bestanden. Dieses Verhalten zeichne zugleich die Richtungslinie für die Frontstellung zur Sozialdemokratie. Auch naiven Gemütern habe wohl der Dresdener Parteitag die Augen geöffnet. (Heitere Zustimmung.) Jetzt wisse man, wie die Träger der sogen, neuen Kultur auösehen. Alle solche radikalen Klaffen bewegungen führten immer zur Diktatur des Einzelnen; die brutale Verkündigung deS ganz einseitigen Klassenstandpunktes habe den freiheitsfcindlichen Cbarakter der Sozialdemokratie offenbart. Der Redner bewertete dann die Stellung des Zentrums im neuen Reichstag und brandmarkte unter wachsendem Beifall die Schacherpolitik, zugleich die Politik der preußischen Konservatwen als Schleppenträger des Zentrums, die eine Folge der Mißleitung zur Vertretung einseitiger Klassenintercssen sei. Die höchste Gefahr drohe von einer konservativ-klerikalen Mehrheit im Landtag der Volksschule, und die Zweifel an dem nötigen Rückgrat der Regierung spornten die letzte Kraft an, eine starke nationale und liberale Partei zu erringen. Der Abg. Wall- brecht sprach über die preußische Wirtschaftspolitik und erwies an treffenden Beispielen, daß eine gute Verkehr-- politik auch eine gute Sozialpolitik ,st. Der letzte der drei großen Vorträge, die Rede des Ab geordneten vr. Hackenberg über Kirche und Schult, erwies sich als eine programmatische Kundgebung, die sich in ihrer Art und ihrer Wirkung den hervorragendsten der national liberalen Parteigeschichte an die Seite stellt. ES war eine Aufrechnung und Abrechnung mit dem Zentrum und seinen kulturfeindlichen Nachtretern, ein flammender Aufruf und Alarmruf zur Wahrung der geistigen Güter, heraus entwickelt aus den Zeichen, die schrecken, aus der Wucht eines BeweiS- material«, da« der Redner mit großer Kraft der Kritik nach Form wie Inhalt unter wachsendem Beifall vor führte. Er steckte die Grenzen ab mit sicherer Hand, zeigte die Aufgaben der liberalen Wachtposten und belebte den Glauben an einen dieKräfte nach wie vor belebenden Idealismus. Die Versammlung konnte sich der hinreißenden Gewalt der Rede nicht entziehen. Eine nicht endenwollende Kundgebung feierte den Redner im richtigen Gefühle dafür, waS dieser Appell für den Wahlkampf wert sein kann. Erst nach einer Pause konnte in eine Erörterung einaetreten werden, die keinen großen Umfang annahm. Einen mehrfach er wähnten Antrag Berlin betreffend alljährliche öffent liche Parteitage überwies man dem Zentralvorstandr; der andere Berliner Antrag über daS etwaiae Zusammen gehen mit Sozialdemokraten zu Waylzwecken fand so gut wie kein Echo. Der Kölner Delegierte Bau erklärte, daß der Verband der nationalliberalen Jugendvereine damit nicht- zu tun habe. (Lebhafter Beifall.) Siebert-Hagen und vr. Lohmann-Kreuznach wiesen unter dem Beifall der Versammlung jede Möglichkeit deS Eintreten» für einen Sozialdemokraten gegen eine andere Partei, auch gegen da« Zmtrum, ab. «»stimmig ward« fodan» der folgende Wahlaufruf für die preußischen Landtag-Wahlen angenommen: Die nattonalliberale Partei kann mit Befriedigung und Genug tuung auf die Reichstagswahlen zurückbltcken. Sie hat einen Zuwachs von 300 000 Stimmen erhalten. In weiten Kreisen des Volkes ist daS Vertrauen auf sie gewachsen. Massen von Wählern sind mit ihr von der Bedeutung der alten nationalen und liberalen Grundsätze erfüllt, stimmen ihr aus voller Ueberzeugung zu in der gerechten Förderung des wirtschaftlichen Gedeihen» aller Volksklassen, in der kräftigen, aber besonnenen Weiterentwicklung einer wahrhaft menschenfreundlichen, sozialpolitischen Gesetzgebung uud Verwaltung zum Schutze des Schwachen. Leider sind aber zugleich die Stimmen der sozialdemo kratischen Partei, deren staats- und gesellschaftSfrindliche Be strebungen durch die Tagung in Dresden von neuem in volles Licht gestellt sind, in gefahrdrohender Weise angeschwollen. Der Kampf gegen diese in Wahrheit rückschrittliche Partei bleibt nach wie vor unsere nationale und liberale Pflicht. Verfehlt aber wäre es, die Abwehr der sozialdemokratischen Gefahr von einer reaktio nären Politik zu erwarten. Unsere Aufgabe ist es, dem Rückschritt an jeder Stelle «nd in jeder Form entgegenzutreten. Das muß unser Ziel auch bet den bevorstehenden Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus« sein. Mit frischem Mute und vollem Vertrauen kann die national liberale Partei sich den Wahlen zuwenden. Sie bedarf hierzu keiner erneuten programmatischen Kundgebung ihrer Grundsätze und Ziele. Auf die Kennzeichnung der gegen wärtigen politischen Lage und der Bedeutung der Wahlen kommt es an. Im Reichstage ist die Regierung in Fragen der nationalen Wehrkraft und bet den auf Grundlage des neuen Zolltarifs abzu schließenden Handelsverträgen auf die Mitwirkung des Zentrums angewiesen. Dafür wird dieses Zugeständnisse auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung in Preußen zu erlangen suchen. Noch größer als bisher ist darum die Gefahr des weitern Anwachsens der Macht de- Zentrums. In seinem Streben, die Schule kirchlicher Herrschaft zu unter werfen, hat das Zentrum in einem großen Teil der Konservativen leider einen willfährigen Bundesgenossen. Dringend erforderlich ist nun eine neue Regelung der Unterhaltungspflicht der Volksschule im Interesse der Gemeinden, der Lehrer und besonders der Schule selbst. Gelingt es einer konservativ-ultramontanen Vereinigung bei dieser Regelung mit ihren Bestrebungen durchzudringen, so würde dies für die Bildung und Kultur unseres Voltes von den verhäng nisvollsten Folgen sein. Tie Konservativen, denen in der Verwaltung ein übergroßer, nicht im Interesse des Landes liegender Einfluß eingeräumt ist, verfolgen mebr und mehr eine einseitige Jnteressenpolitik, während eine weise Politik wie allen Landesteilen so allen Berufsständen gerecht werden muß. Wie die erforderliche Regulierung der Flüsse zur Ver hütung der immer wiederkehrenden Schädigung in erster Reihe der Landwirtschaft zugute kommen soll und wird, so sind an der Ver bindung unserer Flüsse untereinander durch leistungsfähige Wasserstraßen ebenso Industrie und Handel wie die Landwirt schaft interessiert. Die Verwerfung der Kanalvorlage durch eine aus Konservatwen und Zentrum bestehende Mehrheit hat die wirt schaftliche Entwickelung unsere» Landes schwer geschädigt. Ihre unverkürzte Wiedereinbringung muß deshalb eine der ersten Forderungen der nationalliberalen Partei sein. Rückschritt und Rückständigkeit bedrohen uns. Ihre Bekämpfung wird erschwert durch das Laudtagswahl- recht in seiner gegenwärtigen Gestaltung. Eine zeitgemäße Re form des Dreiklassenwahlrechts ist anzustreben, insbesondere auch eine gerechtere Abgrenzung der Wahlbezirke und Beseitigung der widersinnigen Drittelung in den Urwahlbezirken. Der Wahlkampf wird schwer sein. Die Gegner sind zahl reich und mächtig. Bei der Regierung sehen wir in der Polenfrage eine zielbewußte, deutsche Politik, welche unsere Partei mit ganzein Herzen unterstützt. Aber die Re- gierung muß auch die Gefahren der Klassen- und Inter« essenwirtschaft, sowie des immer weiter vordringenden Ultramon- tanismus mit der gleichen Festigkeit bekämpfen. ES gilt bei den Wahlen eine Mehrheit zu schaffen, welche dazu die nötige Stütze bietet, die Berücksichtigung der Gesamtinteressen des Bolles gewähr- leistet, alle Mißstände in der Verwaltung rückhaltlos aufdeckt und bekämpft. Aus eigener Kraft, unabhängig nach allen Seiten, wollen wir unsere Ueberzeugungen vertreten, in deren siegreicher Durchführung wir für daS Wohl unseres Bolle» den richtigen Weg erblicken. Drum auf zur Wahl mit Mut und Selbstvertrauen! Laßt un» an die Arbeit gehen, erfüllt von nationaler Begeisterung, durchglüht von der Ueberzeugung, daß nur in einem innerlich gesicherten Staatswesen und auf freiheitlicher Grundlage eine gedeihliche Weiterentwicklung unserer Bildung und Kultur sich ermöglichen läßt. Ls gilt, die Wähler aufzukläreu und aufzurütteln, die Br- deutung der Ziele und die Größe d«r Gefahr ihnen vor Augen zu führen. Sehe ein jeder feine beste Kraft ein und kämpf« im Interesse de» Vaterland«» für den Sieg der nationalen und libe- ralen Partei. Deutsches Reich. Berlin, 28. September. (Steuerfragen.) 9m Oktoberhcfte der „Deutschen Rundschau" veröffentlicht der Göttinger Nationalökonom Gustav Cohn den ersten Teil einer Untersuchung über die Steuern und Steuerreformen im Reiche und in Preußen. Cohn steht selbstverständlich auf dem Standpunkte, daß die Schulden des Reiches eine Lücke in der Ordnung seiner Finanzen bedeuten, die verkleinert werden muß. Dazu könnte, nach dem Vorgänge ausländischer Staate», em« Reform der Tabak» uud der Biersteuer dienen, die beispielsweise in England und Frankreich bedeutend größere Erträae bringen als bei un». Daß aber mit einer stärkeren Belastung deS Tabaks und deS Biere» eine wesent liche Belastung breiter Schichten der Bevölkerung ver bunden wäre, stellt Cohn nicht in Abrede. Einer Reichseinkommensteuer ist Cohn nicht geneigt, zumal die Einzelstaaten sich ihrer schon bemächtigt haben, und die Einkommensteuer-Gesetzgebung der einzelnen Länder vorher in Uebereinstimmung gebracht werden müßte. Dagegen sei eine Reichserbschaftssteuer nicht einUeberbau über die vorhandenen, fast durchweg ganz niedrigen Erbschafts steuern der Cinzelstaaten, sodaß die Entschädigung der selben ein Leichte- wäre. Eine Reich»weyrfteuer, wie sie in Oesterreich, Frankreich und Rußland schon besteht, findet vollends den Beifall des Göttinger National ökonomen. Die ehemals bei un» dagegen eingewendeteu Argumente von der Ehre der Wehrpflicht, von der Wieder herstellung des Loskaufes und dergleichen mehr, beruhten auf Unklarheiten und Mißverständnissen und seren heute kaum noch so mächtig wie früher. Inzwischen habe die preußische Regierung eme Verfügung erlassen, die in engerem Kreise, aber desto bemerkenswerter, den Gedanken vHr Wehr steuer verwirkliche. „Seit dem Jahre 1891 .schreibt Cohn hierüber, „wird in Preußen die Erfüllung der Militär pflicht den Staatsbeamten auf ihr Dienstalter angerechnet, rnsoweit als die dafür verbrauchte Frist die Zeit der Vorbildung zum Staatsdienste verlängert hat. Angesichts dieser amtlichen Anerkennung kann der Gedanke der Wehrsteuer nicht mehr m Frage gestellt werden wie einstmals. Wenn einem studierten Manne die Last des Wehrdienstes gut gemacht wird durch eine Ausgleichsmaßregel, dann sollte man dieselbe Gerechtigkeit einem Handwerksgesellen vorenthalten gegenüber seinesgleichen? Und eine Ausgleichung der Gerechtigkeit ist eS auf die eine oder die andere Weise —, ob der mit dem Wehrdienst Be lastete dafür einen Vorteil erhält oder der vom Wehrdienst Be freite dafür mit einer Abgabe belastet wird. Namentlich aber wird, wenn einmal die Gerechtigkeit einer solchen Ausgleichung anerkannt ist, dieselbe sich vorzugsweise auf die zahlungs fähigeren Schichten der Bevölkerung erstrecken müssen, weil hier so viel mehr Grund und soviel mehr Leistunaskraft zur Ausgleichung vorhanden ist." — Mit einer Erhöhung der Offizierspenjionen darf die Wehrsteuerfrage allerdings nicht in Verbindung gebracht werden, wie das vor einiger Zeit leider geschehen ist. Verkoppelungen solcher Art bringen auch die triftigsten Argumente für die Wehrfteuer zum Schweigen. verlia, 28. September. (Staat und katho lische Kirche in Frankreich und in Preußen.) Die von berufenster Seite bestätigte Wahrheit, daß die katholische Kirche sich in keinem der leitenden Kultur staaten so frei entfalten könne, wie ftn Deutschen Reiche, verdient, so oft, wi« angebracht ist, wiederholt zu werden. Mit Recht führt P. M üllen dorff-Köln in einer soeben erschienen«» Arbeit: „Staat und katholische Kirche in Frankreich und in Preußen" (Heft 18 der Bibliothek für Politik und Volkswirtschaft, herausgegeben von Pro fessor vr. Hieber, Stuttgart, Mitglied des Reichstages, und C. A. Payig, Groß-Lichterfelde, Mitglied deS Reichstages, Verlag von A. Baensch) aus, wie das Ber- halten der klerikalen Politiker häufig im umgekehrten Verhältnisse steht zu der Behandlung, die ihre Kirche durch den Staat erfährt. Besonders lehrreich und zeitgemäß ist ein Vergleich über die Behandlung der katholischen Kirche durch den Staat in Frankreich und in Preußen. In Frank- reich hält der Staat die Kirche in einer beispiellos strengen Zucht. Trotzdem weiß dort die Kirche der „Not der Zeiten" tn weitgehendem Maße zu gehorchen, und nicht selten küßt sie die Hand, von -er sie geschlagen wird. Wie wenig der Verfasser daran denkt, die Entwickelung in Frankreich als mustergültig anzusehen, geschweige als maßgebend für deutsche Verhältnisse, geht aus der Art her- vor, wie er den Unterschied des religiösen Lebens in Frankreich und in Deutschland darstellt. ES wäre zu wünschen, daß mehr deutsche Katholiken auS eigener An schauung die religiösen Verhältnisse in Frankreich kennen lernten. Sie würden über den mangelhaften Kirchen, besuch in Stadt und Land staunen, sie, die sich Sonntags in Hellen Scharen zum Gottesdienst einfinden, wenn der deutsche Choral mit mächtiger Orgelbegleitung durch daS Schiff erbraust, — in Frankreich ist der Gemeinde-Gesang in ber Kirche längst unterdrückt —, oder, wenn sie -rinnen keinen Platz mehr gefunden, andächtig unter -em Tor bogen gedrängt sichen. Die Gemütseigrnschaften, die der Deutsche bei der Ausübung seiner Religion bekundet, würden sie bei den meisten Franzosen vergebens suchen. Von der Pariser Bevölkerung ist ein Viertel nicht getauft und nicht zur Kommunion gegangen, ein Drittel der Be gräbnisse findet in Paris ohne kirchlichen Beistand statt. Mit Recht hebt der Verfasser hervor, in Deutschland geh« daS Streben der liberalen Politiker keineswegs dahin, das blühende religiöse Leben der Katholiken zu kränken. Keine engherzige Behandlung -er Kirche, wie in Frank reich, so läßt er sich in feinem Schlußwort vernehmen, aber auch keine solche Verhimmelung des Klerikali-muS wie in Preußen Auf dem Boden ber Verfassung und be- VerwaliungsrechtS hat sich in Preußen und im Reiche ein Ausgleich gcfundo^ wie er für alle Katvoliken, denen e» auf die Religion ankommt, nicht befriedigender sein kann, wie cr aber in Frankreich wohl kaum mehr gefunden wird. Das preußische kirchenpolitischc System hat sich aus dem Gedanken der Toleranz langsam, wenn auch, wie überall, nicht ohne Ruck, entwickelt und wird ber wirklichen Religion weiter nützlich sein, wenn auch wette» von Toleranz geredet und Unduldsamkeit gemeint wird, gerade wie einst unter dem französischen Königtum der adlige und ber geistliche Siand einen demokratischen Ton anschlugen, nicht um dem gemeinen Manne Freiheiten zu verschaffen, sondern um daS Wasser von der Mühle der Monarchie auf die ihrige abzulenken. Gverlt«, 28. September. (Telegramm.) Der ^ReichSanz." schreibt. Am 2b. und 26. September fauden im ReickSamte de» Innern kontradiktorffche Verhandlungen über den Verban» Teutscher rruL»a-iersabrike» (ZeitungSbruck- paprer - Syndikat) statt. Außer de» Vertreteru de«
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