Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030930022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903093002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903093002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-30
- Monat1903-09
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
6784 Landsleuten zu nützen, besonders in einem tatsächlich so ernsten Augenblick, so daß er in den Interessen der Brüder in Makedonien und Tdriauopel das eigenste Interesse sehen werde, ohne indessen dir vitalen Interessen Bulgariens auf-Sptelzu setzen, deuu, setzte er hinzu, für jede bulgarische Regierung müssen die Jateresseu und di» Sicherheit Bulgariens dcn Bortrltt hab«» vor dir Sympathie und den Pflichten gegenüber den Brüdern i» der Türkei. Unseren Bedenken, daß die Regierung de« Fürsten Ferdinand schließlich doch zu der Ueberzeuguna kommen werde, daß sie geschoben wird, während sie zu schieben glaubt, baden wir schon wiederholt AuSdrilck gegeben. Es kommt alles daraus au, ob die Pforte sich entschließt, uud zwar ohne Besinnen, sofort entschließt, das perfide, echt türkische Doppelspiel aus zugeben, mittels dessen sie bemüht ist, den Balkan durch Reformen zu pazifieieren, und zugleich die bulgarische Nationalität in Makedonien auSzurolten. Deutsche- Reich. * Leipzig, SO. September. Ueber die HülfSkasse für Deutsche Rechtsanwälte wird noch als Nachtrag zu den Berichten über die am 11. September 1903 zu Straß burg i. Els. abgehaltene neunzehnte Generalversammlung der Hülfskafse bekannt gegeben. Das Geschäftsjahr 1902/1903 schließt ab mit einer Mitgliederzahl von 4742 gegen 4548 im Vorjahre. Der Kapitalgrundstock hat sich von 868 030,13 im Dorjahre auf 927 755,91 -6 erhöht. Für Unterstützungen ist ausgeschieden der Betrag von 98 110,25 ^e, hiervon war am 1. Juli 1903 schon über 84 044 durch Ueberweisungen verfügt. * Backt», 29. September. (Nachklänge zum Hanno» verschenDelegiertentage.) Wenn man sich erinnert, wie eifrig und erfolgreich die sozialdemokratische Partei leitung sich bemüht hat, die sozialistische Parteipresse in die Lage »u versetzen, so schleunig und so eingehend wie mög lich Über den Dresdener Parteitag zu berichten, so be rührt geradezu peinlich die Gleichgültigkeit, mit der die Leiter der preußischen Nationalliberalen über die Frage der Berichterstattung über den hannoverschen Delegierten tag hinweggegangen sind. Heute macht sogar die „Natlib. Korr", die spät und ziemlich dürftig über Mesen Delegierten tag berichtet hat, folgende« naive Eingeständnis: „von den hochgehenden Wogen der Begeisterung, welche gleich die ersten Worte unsere« verehrten Seniors vr. Ham mach er an and über die nattonalliberalr Jugend am Sonntag abend bei der Festtafel hervorriesen, waren alle Anwesenden derartig fortgerissen, daß sich sogar keine einzige berufsmäßige Feder ihrer Pflicht erinnerte, sondern den Worten des Nestors folgte, ohne sie zu Papier zu. bringen. Heute empfinden wir diese Lücke doppelt schmerzlich, hoffen aber, aus der Erinnerung doch noch manches aus HammacherS Ansprache zurückrufen zu können." Parteiseitig war also nicht daS Geringste geschehen, was eine schleunige und eingehende Berichterstattung hätte verbürgen können. Diese« Versäumnis wird auch nicht gut gemacht dadurch, daß das Parteiorgan heute die folgende Ansprache d«s Privatdozentin an der Hannoverschen Technischen Hoch schule Albert v. Haustein über den Idealismus mitteilt: „Wes da« Herz voll ist, davon geht der Mund über". Muß mir al« akademischem Hochschullehrer da« Herz nicht heißer und höher schlagen, wenn ich am heutigen Vormittage in solchen unübertrefflichen Meisterwerken der Redekunst so herr liche Worte für die Freiheit der Wissenschaft und die Unbesieg barkeit der Wahrheit mit anhvrte?! Unsere Partei hat damit wieder einmal gezeigt, daß sie in Wahrheit die Partei de« Idealismus ist. ES wird aber über keinen Begriff so viel Törichte- geredet, als über den Idealismus. Da meint manch einer: Idealist sei derjenige, der da- Alte um jeden Preis Hochhalte, weil rS durch die Zett geheiligt sei; Mancher denkt, «in Idealist müsse unfähig für das irdische Dasein, müsse weltflüchttg sein oder mit seinem Geiste immer nur in höheren Gegenden schweben. In Wahrheit aber kann ein Idealist tapfer seinen Beruf auSüben, gleichviel, ob mit dem Schwerte oder mit der Feder, ob er das Werkzeug führt, Maschinen klappern läßt oder Handel treibt — nur mit Einem darf er niemals Handel treiben: mit den Ideale« selbst! Und so hat die nattonalliberalr Partei niemals Handel getrieben mit ihren beiden großen Idealen: mit dem Vater- lande und mit der Wahrheit. Wenn eine Forderung für die Sicherheit oder die Ehre des Vaterlandes zu erfüllen war, so hat die nattonalliberalr Partei sie stets bewilligt, ohne dabet zu fragen: was erhalten wir dafür zum Entgelt? Und ebenso unantastbar wie das irdische Vaterland war ihr die geistige Heimat des Menschen: die Wahrheit. Wenn die Feinde unserer Partei ihr nachsagten, daß sie einzuschlafen dn Begriff sei, so brauchte nur irgend eine Vorlage für ein Schulgesetz oder ähnliches den Zwang der Gewissen heraufzube schwören oder die Freiheit des Denkens zu bedrohen, so rief die nattonalliberalr Partei ihre Mitglieder auf die ginnen zur Abwehr solcher Knechtung deS freien Menschengeiste-. Und dieser in doppelter Hinsicht idealistische Standpunkt sichert den Nationalliberalrn die im mer nachwachsrnde Teilnahme gerade der Jugend. Wie unser großer Nalionaldichter Schiller noch heute, fast ein Jahrhundert nach seinem Tod«, die Jugend immer neuer Geschlechter zu dem erzieht, zu dem er einst sein deutsches Volk erzogen, zum Anschluß an das Vaterland, das teure, und zum „Posa"-Kampfe für die Gedankenfreiheit, so leuchten diese beiden Ideale auch auS dem nationalen Liberalismus hervor. Und das ist eS gerade, was uns immer von neuem junge Mitstreiter zuführt! Darum schießen jetzt die vielen nationalen Jugendvereine allerorten hervor! Darum ist in den Wettesten Kreisen der akademischen Jugend keine Partei so reich an Anhängen: wie die unsere! Und darin liegt es begründet, daß unser nationaler Liberalismus trotz aller gegenteiligen Behauptungen seiner Feinde den Wechsel der Zeiten siegreich überdauert hat und überdauern wird! Immer wieder wird diese jugendfrische Partei sich verjüngen, so lange sie ihren Idealen treu bleibt. Darum lasten Vie mich meinen Trink- spruch tu die Worte zusammenfassen: „Es leb« der Idealismus in der Politik!" Wann endlich wird man denn von den Gegnern lernen, nicht nur schöne Reden zu halten, sondern auch für ihre rechtzeitige und möglichst weite Verbreitung zu sorgen? * Berlin, 29 September. (Der Schutz der Arbeits- willigen.) Die „Köln. Ztg." schreibt: „In der Be sprechung deS nunmehr völlig zu Ungunsten der Arbeitnehmer beendeten Ausstandes der Berliner Omnibuskutscher ist unsere« Wissens bisher ein Moment nicht genügend inS Auge gefaßt worden, das unserer Meinung nach greller als irgend eine andere Tatsache unsere Zustände, den Schuh der Arbeitswilligen betreffend, beleuchtet. Der OmmbuS-Gesellschaft war e« gelungen, sofort nach Aus bruch de« Au-stande« eine so große Zahl Arbeitswilliger »u finden, daß der Betrieb leidlich aufrecht erhalten werden konnte. Da kam eine Verfügung deS Berliner Polizei präsidiums, nach der vorläufig abend« nach 6 Uhr ein Be trieb nicht mehr stattfinden könne, da befürchtet werden müsse, daß sich die au« den Fabriken oeimkehrenden Arbeitermafsen gegen die Arbeitswilligen wenden würden. Wenn eine solche Verfügung am ersten Tage noch zur Not zu verstehen gewesen wäre, so ist es doch völlig unbegreiflich, daß mehr als 24 Stunden nach Ausbruch des Aus standes das Berliner Polizeipräsidium nicht in der Lage war, genügende Vorkehrungen zum Schutze der Arbeitswilligen unter allen Umständen zu treffen. Das Gegenteil stellt ohne Zweifel eine völlige Kapitulation vor dem haupt städtischen Mob vor, denn auSständiaen Arbeitern kann man doch Angriffe auf Arbeitswillige nicht zutrauen. Dies Nachbeben legt die Frage nahe, ob nicht die Berliner OmmbuS-Gesellschaft eine wirksame Entschädigungs klage gegen da« Berliner Polizeipräsidium an strengen könnte. Behördlicherseits müssen unserer Ansicht nach in Berlin sowohl als in der Provinz Maßnahmen ge troffen werden, die geeignet erscheinen, bei Ausständen den möglichen Angriffen des PobelS auf arbeitswillige Leute unter allen Umständen zu begegnen." Inzwischen werden weitere Vorgänge bekannt, die zu den ernstesten Bedenken nötigen. Es wird berichtet: An der Ecke der Potsdamer und der Bülowstraße wurden an einigen Wagen die Scheiben eingeworfen, ebenso an der Ecke der Chaussee- und der Liesen straße. Hier ging eS am lärmendsten zu. Di« Wagen, die ankamen, wurden mit Gejohle und Geschimpfe empfangen und ebenso gab man ihnen da« Geleit, wenn sie wieder abmhren. Es sammelten siH wohl an tausend Personen, die die Schutz mannschaft fortwährend in Bewegung zu halten suchte. Eine reitlang blieb es bei Worten. Die waren allerdings mitunter sehr kräftig. Als die Schutzmänner verschiedene Lärmmacher nach der Wache brachten, trieben die anderen e« noch ärger. Sie warfen schließlich die Scheiben der Wagenfenster ein und versuchten, die Pferde zu verscheuchen. Einem Kutscher wurde die Leine durchschnitten, so daß er nichts mehr anfangen konnte. Schutzmänner mußten im weiteren Verlauf die Wagen schon von der Wöhlertstraße nach der Haltestelle geleiten, andere kehrten schon vorzeitig wieder um. Die aussteiaenden Fahrgäste wurden auf da« gröbste belästigt, so daß die Sicherheits beamten sie beschützen mußten. Einsteigende riß man aus den Wagen wieder heraus. — Am Moritz- platz kam es ebenfalls zu Zusammenstößen. — Uebrigens ist das Telegramm über die Bereitwilligkeit de« Ober bürgermeister« Kirschner zur Vermittelung dahin zu ergänzen, daß diese nur für den Fall der Zustimmung der Gesellschaft erklärt wurde. Die Gesellschaft hat aber Ver handlungen definitiv abgelehnt und hält den Ausstand für erledigt. * Berlin, 29. September. Der Wahlaufruf der Zentrumspartei, auf den Rrklamenotizchen bereits sorg fältig vorbereitet hatten, ist heute erschienen. Er ist sehr lang, aber auch sehr langweilig. Er befleißigt sich in seinem ersten Teile des Bauern-, Handwerker- und Kleinbeamten fanges, um dann in seinem zweiten und Hauptabschnitte die bekannte konfessionelle Programmmusik zu blasen. Natürlich Interessen der deutschen Arbeiter mit Füßen ge- E« ist ein« Komödir, wie «in« solche nur je ernsten einer Körperschaft wir dem Deutschen Reichstage Im Reichstage selbst wird darüber je nachdem noch zweite und endgültige Lesung allem vermuten nach rasch verlaufen dürfte. Ernster ist e«, daß sie bisher kaum ein Drittel des Programm« durchgearbeitet bat und daß die wichtigsten Fragen, insbesondere die Ge staltung der Voruntersuchung, die Zusammensetzung der Strafkammern, die Berufung gegen Strafkammer urteile und die Revision argen Berufsurteile noch der Entscheidung harren. In diesen Fragen liegt der Schwer punkt der Reform. Die Beratungen darüber werden sicher noch längere Zeit beanspruchen. Inzwischen darf erwartet werden, raß di^ Regierung nichts Unterlasten wird, um im gleichen Schritte mit den Arbeiten der Kommission zu deren Beschlüssen Stellung zu nehmen, damit später auf Seite der Regierung keine Zeit mit Ueberlegungen verloren geht, die ebenso gut schon früher hätten angestellt werden können. — Wie das „Berl. Tagebl." wissen will, sind die Grupd- züge der neuen Militärvorlage und des neuen Militäretats schon bestimmt. Eine Erhöhung der Friedens präsenzstärke sei vorgesehen, die aber auf das Notwendige beschrankt sei. Die Vermehrung würde voraussichtlich 10 000 Mann nicht übersteigen. Eine Verstärkung einzelner Grenzregimenter in Ostpreußen und Lothringen um drifte Bataillone sei vorgesehen. Bei der Kavallerie soll höchst wahrscheinlich keine, bei der Artillerie nur eine unwesentliche Personalvermehrung zu erwarten sein. Aehnliche Angaben wurden noch vor kurzer Zeit als Kombinationen bezeichnet; die vorliegenden werden vermutlich daS Wesentliche treffen. — Der hannoversche Abgeordnete Wallbrecht hat einmal im Landtage angedeutet, der Mittellandkanal würde vom Privatkapitale erbaut worden sein, falls die Regierung diesem Plane nicht entgegengetreten sei. Jetzt hat er sich auf dem nationalliberalen Delegiertentage in Hannover näher über die Angelegenheit ausgelassen: Als im Jahre 1899 der Kanal abgelehnt wurde, traten die Kanaltnter«ss«nten zufammen und sagten sich, wir müssen einfach den Kanal selbst bauen, wenn die Regierung die Kon zession erteilt. Wir kamen nach Aufstellung einer Rentabilitäts berechnung zu dem Resultate, daß der Kanal au« Privatmitteln zu bauen ist. ES ist mir damals gelungen, von den Inter essenten 100 Millionen aufzubringen, die übrigen 200 war der verstorbene Herr v. Siemens z« übernehmen bereit. Der Plan wurde den Ministern und dem Fürsten Hohen lohe vorgrlegt. Herr v. Thielen stand der Sache kühl gegenüber, Miquel war heute dafür, morgen dagegen, und nur Reichs kanzler Fürst H ohenlohe war ein entschiedener Freund des Projekts. Wir wollten die Konzession nur für den Fall, daß der Kanal wieder abgelehnt würde. Die Verhandlungen wurden aber durch Thielen in die Länge gezogen; er sagte, er habe die Sache einer Kommission zur Prüfung überwiesen. Nachdem ich fünfmal in sechs Monaten bet ihm war, erhielt ich die Nachricht, die Regierung wolle die Konzession nicht erteilen. Inzwischen war auch Hohenlohe aus dem Amte geschieden, und der jetzige Reichskanzler brachte der Angelegenheit anscheinend kein Interesse entgegen; ich habe wenigstens von ihm nicht einmal eine Antwort bekommen. Nachher habe ich auch erfahren, daß die von Herrn v. Thielen eingesetzte Kommission niemals zusammengetreten ist. Herr v. Thielen hatte also auch keine Lust, sich mit dem „Lausekanal vor den Bauch stoßen" zu lassen. Und doch war er r«, der das stolze, zuversichtliche Wort prägte: „Gebaut Wird er doch!" — Der gesetzgeberische Plan einer Neuregelung der preußischen SchulunterhaltunaSpflicht, der in dem nationalliberalen Wahlaufruf erwähnt wird — und um einen solchen allein handelt eS sich, nicht um den Plan eine« vollständigen Schulgesetzes, wie fälschlich behauptet wird — befindet sich in der Vorbereitung, aber dies» ist dem Abschlüsse noch durchaus nicht nahe. Zur Zeit schweben erst kommissarische Verhandlungen zwischen den verschiedenen beteiligten Ministerien über die Grundzüge eines solchen gesetzgeberischen Planes. — Den Hülfsbramten und Arbeitern der preußisch-hessischen Eis en bahn gemein schäft, die vor ihrer Militärzeit schon im Eisenbahndienste beschäftigt waren und nach diesem sofort wieder in denselben einaetreten sind, wird jetzt nur die Zeit vor dem Militärdienste für das Lohndienstaltcr angerechnet, nicht aber die Militärdienstzeit selbst. Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten beabsichtigt nun, dem Vernehmen nach, auch die Militär dienstzeit selbst bei der Festsetzung deS Lohndienstallers zu berücksichtigen. Ehe aber ein endgültiger Beschluß gefakt wird, sind noch die durch diese in Aussicht genommenen Maß nahmen entstehenden Mehrausgaben für den gesamten Bereich der preußisch-hessischen Staatsbahnen festzustellen. — Im „Vorwärts" veröffentlicht der*Parteivorstand al« Zrntralwahlcomits einen Aufruf an die „Genossen", die Vorbereitung für die preußischen Landtagswahlen zu betreiben. ÄS heißt da: Wir fordern nunmehr die Genossen in Preußen auf,. unverzüg- lich da, wo es noch nicht geschehen ist, Wahlcomitös einzusetzen. kein Gchulunterhaltungögesetz ohne Auslieferung der Schule I die au die Kirch»! Deuu was soll eS wohl anders heißen, wenn' da gesagt wird: , Wenn wir daher bereit sind, die SchuluuterhaltungSpflicht im Rahmen eines Einzelgesetzes zu regeln, so müssen wir doch er warten, daß dir andere« mit dieser Frage tn untrennbarem Zu sammenhang stehenden Fragen gletchzrtttg geregelt werden, daß insbesondere der konfessionelle Charakter unserer christlichen Volks schule in Preußen gesetzlich festgelegt wird. Bemerkenswert ist, daß diesmal doch eine kleine Warnung an die Adresse „unsererMitbürger polnischer Zunge" miteinfließt, alle „sogenannten großpolnischen Bestrebungen, welche auf Loslösung preußischer Landesteile aus dem Staat«- verbande gerichtet sind, zurückzuweisen". Das war doch früher nicht! Als Muster einer durchsichtigen, wahrhaft klassischen Prosa sei der Passus herausgehoben, der von der Kanal vorlage handelt. Er lautet: Anlangend die wasserwirtschaftliche Vorlage, so sind wir unter Würdigung der durch dieselbe erstrebten Erleichterungen des Massen- verkehr« und Entlastung der Eisenbahnen bemüht gewesen, einerseits die vielfach davon befürchteten Nachteile für wichtige Interessen gruppen und große Laudesteile, insbesondere für das oberschlesische Industriegebiet, nach Möglichkeit auSzuglrichen, anderseits aber die davon erhofften Vorteile auf wettere Gebiete und Flußläufe au-zudehnen, haben hierbei aber stet« die mit den BerkehrSverhält- nisseu so eng verknüpft» finanzielle Lage unseres Staatswesens im Auge behalten. Da« hat wohl «in „Mitbürger polnischer Zunge" ge- schrieben? — In der nächsten oder übernächsten Woche wird der Bundesrat seine durch die Sommervertagung unterbrochenen Sitzungen wieder aufnebmen und zunächst in üblicher Weise die Neuwahl seiner Ausschüsse vornehmen. Außer dem Rest der AuSführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetz, von dem mitgeteilt wurde, er sei dem Bundesrat zugegangen, wird sich derselbe in der nächsten Zeit u. a. auch mtt dem thm noch vorliegenden Entwurf wegen der kaufmännischen Arbeits gericht« zu befassen haben. — Die Einberufung des Reichstags soll, wie e« heißt, diesmal am Dienstag, 1. Dezember, erfolgen. — Die Zentrum «presse konstatiert jetzt ausdrücklich noch, daß d,e „elende Vizepräsidentenfrage" auf dem Dresdener Parteitage ihre endgültige Erledigung ge funden habe. Die sozialdemokratische Fraktion habe so wenig wie irgend eine andere an und für sich einen „Anspruch" auf einen Präsidentenposten; über ihre Besetzung entscheide einzig und allein die Mehrheit. Diese Mehrheit aber lasse sich selbstverständlich keine Vorschriften machen. So kommt denn die „Köln. Bolksztg." zu folgendem Ergebnis: „Aus parlamentarischem Gebiet läßt sich etwas Unhaltbareres als die Dresdener Resolutton gar nicht denken. Sic ist ja auch nur zu AgitattonSzwecken verfaßt und gefaßt worden. Bisher pflegten die Sozialdemokraten unter der Hand anzufragen, ob man von einem sozialdemokratischen Schriftführer — welcher bisher allein in Frage stand — auch die Erfüllung der Repräsentationspflichten ver langen werde. Wenn das, wir selbstverständlich, bejaht wurde, ver- zichteten sie darauf, »inen Kandidaten für einen der Schriftführer- posten zu präsentieren. Von jetzt an werden sie, gemäß den Be schlüssen deS Dresdener Parteitages, ihren „Anspruch" auf einen Vizepräsidenten erheben und dabei zugleich bekunden, daß eS diesem Vizepräsidenten gar nicht einfallen werde, die Obliegenheiten eines Vizepräsidenten zu erfüllen. Wenn dann der Retch-tag diesen Vize präsidenten nicht wählt, so werden sie rufen: Da seht ihr, wie im Reichstage die treten werden! Männern und geboten wurde. ein weiteres gesagt werden." — Aus dem Vorsidenden der Reichsschulkommission Vr. Kelch war kürzttch ein solcher der Reichsschulden kommission gemacht. Man hatte ihn in dieser Eigenschaft nach Bonn reisen lassen, wo angeblich eine Sitzung der Reichsschuldenkommission stattfand. Cs handelte sich um eine der von Zeit zu Zeit ftattfindenden Sitzungen der Reichs- schulkommisston. Diese hat Sorge dafür zu tragen, daß den Anforderungen der Militärverwaltung an den Grad der Ausbildung der zum Einjähria-Freiwilligen-Dirnst sich Mel denden im ganzen Reichsgebiet einigermaßen gleichmäßig Genüge geleistet wird. — Die Kommission für dieRevision der Straf- Prozeßordnung ist gestern im Reichsjustizamt« wieder zu sammengetreten. Ihre Arbeiten haben in diesem Sommer, zunächst durch die ReichStagSwahlen und dann durch die GerichtSferien, ungewöhnlich lange Unterbrechungen erfahren, sodaß der Stand der Behandlungen, wie die „Köln. Ztg." hort, zur Zeit nicht so weit gediehen ist, wie im vorigen Winter Wohl angenommen werden durfte. Die Kommission befindet sich noch in der ersten Lesung der ihr vorgelegten programmatischen Fragen. DaS wäre nicht so schlimm, da In der Schatulle, im oberen Fach, links .... hörst du." Morgens erwähnte sie aber nie etwa- davon. Einmal fragte Thyra die Tante, ob sie nicht an Friy schreiben sollte, aber Ingeborgverneinte heftig. „Wozu? Er kann mir nichts nützen. Wenn ich sterbe, sage ihm, daß ich ihm klingst nicht mehr böse war. Ich sehe ein, daß alles so kommen mußte, und baß eS gut war. Ich wünsche ihm alles Gute. Ihm und seiner Braut." Am Morgen nach einer besonders schlimmen Nacht — die Kranke war vor Mattigkeit und Erschöpfung fest cinge- schlafen — mußte Thyra, um einen Geldbetrag herauSzu- nehmen, an die Schatulle gehen. Dabcl fiel ihr ein dünnes Heft in die Hände mit der Aufschrift: „Aufzeich nungen aus meinem Leben." Thyra nahm bas Buch und blätterte darin. Das Tagebuch — denn ein solches schien es zu sein — inter essierte die Schriftstellerin in ihr, und da cs völlig aus geschlossen schien, daß Jngcbvrg jemals in ihrem einfachen AlltagSlcbenSgang ein Geheimnis ihrem Tagebuch anzn« vertrauen gehabt Hätte, hielt sic cs für keine Indiskretion, darin zu lesen. Aus meinem Leben. Deshalb ich dieö hier nieüerschrcibc? Ich weiß eS nicht. Meiner Kinder wegen. Doch will ich -u Gott hoffen, -aß sie eS nie lesen. Denn wenn meine Befürch. tungen nicht eintreffen, dann muffen diese Aufzeichnungen vernichtet werden, bevor ich sterbe. Dazu wird Gott mir Zeit und Kraft verleihen. Ich war schon ein altes Mädchen, als ich Jens Ehrtstiensens Braut wurde. Vielleicht eben deswegen hing mein einsames Herz so fest an ihm, baß ich wohl meinte eher müsse die Welt auscinandersallen, ehe ich ibn lassen könne. Aber man erträgt viel, wenn man start ist, und auch ich habe es überwunden. Nicht ohne Kampf, als ich zuerst die Wahrnehmung machte, daß Jens' Augen öfters als nötig die kleine Helge suchten, als ich Merkte, baß auch st« ihm zuneigte, da erhob sich «tn grimmer Zwie spalt in mir. „Schicke sie fort", sagte die böse Stimme in mir. „Ans Barmherzigkeit habt Ihr sie aukgenoinmen. Willst Du zu sehen, wie sie Dir Dein Glück stiehlt? Bring sie weg, tn «ine andere Stabt, in eine Stelle. Aus den Augen, aus dem Sinn, nnv wenn Jens sic nicht mehr sieht, wird er nur Dich lieben und sic bald vergessen." So sprach der bitte Geis», aber mein guter Engel redet« ein« andere Sprache. „Sie ist ein Waisenkind und Du könntest beinahe ihre Mutter sein. Geh, steh, ob Du es fertig bringst, sie htnauSzustoßen, weil ihr unschuldiges Herz sich in unbewußter Neigung dem Mann, den Du liebst, erschloß. Jens ist jünger als Du, Helge aber patzt zu ihm. Versuche sie zu trennen. Lege das Weltmeer zwischen sie, und dann sieh' zu, ob Du si« wirklich auS- cinandergebracht hast!" Ich mutz gestehen, datz ich damals lieber dem Bösen als dem Engel znhvrte, aber Gott, der Herr, stand mir tn dem Ringen zur Seit«. Nach einer Nacht voll Gethsemane kämpfe war ich fertig mit mir, und am nächsten Morgen legte ich selbst die Hände der Beiden ineinander, Sie wollten das große Geschenk erst nicht von mir annehmen, aber ich sagte ihnen, daß ich mir die Sache überlegt habe, und in einer Ehe kein Heil für mich erseh«, und da waren sie zufrieden und voll überströmender Dankbarkeit für mich. Ganz leicht wurde eS mir anfangs nicht, das Glück der beiden anzusehen, und dabet zu lächeln und gelassen zu bleiben. Die Brust war mir ost so eng und das Herz so voll, baß ich mich in meine Kammer einschlietzen mußte, um mich auszuwcinen, allein, nach und nach l«rnt« ich mich finden, und allmählich wurde es kirchenstill und totenfriedlich in meiner Seele. Ganz später wurde ich so- gar wieder fröhlich und konnte mich an dem Glück der beiden freuen, besonders, als der Junge erst da war und prächtig heranwuchs. Fritz ging schon tm zweiten Jahr zur Schule, als Doktor von Rönniger mit seinem kleinen Töchterchen neben uns einzvg. Ich traf den blassen, stillen Mann manchmal oben an der Bleiche, wo er sein Kind spazieren stthrie, und wechselte ein paar Wort« mtt ihm. Später setzte er sich auch ost nächmittags ein bißchen -u mir aus die Bank unter der Lind«, um -u plaudern. Sehr oft gesellte sich auch Helge mit ihrer Näharbeit zu uns. Rönnigers mutterloses ^linb, ein herziges, kleine« Mäd« chen von Virk Jahren, erweckt« ihre mütterliche Teil nahme, sie nahm es ost auf den Schoß, herzte und küßt« e«, Und das Kind hing bald anch mit inniger Liebe an der sanften, jungen Frau. Sv saßen wir manchen FrÜhling- und Somlmrnachmittag zu Dreien unter der Linde, während die beiden Kinder, Fritz und Thyra, im Hof und Gurten spielten. Jen« Ehristieiisen kam nie zu uns; er hatte eine merk würdige nnd auf jeden Fall ganz unberechtigt« Aversion gegen den Doktor, der ich jedoch wenig Gewicht beilegte. Als ich aber eines Nachmittag- zufällig nach dem Fenster blickt«, hinter dem Jen- arbeitete, sah ich, datz er bas Ge sicht dicht an die Scheiben gebrückt hatte, um uns zu be obachten: seine grünlich fahle Farbe, ein häßlicher, ver zerrter Ausdruck seiner Züge und da- boshaft gehässige Funkeln seiner Augen erschreckten und entsetzten mich. Was bedeutete daS? Unter irgend «tnem Borwande erhob ich mich und ging in- Haus. „Was fällt dir ein, IenS", sagte ich, als ich ibm gegenüberstanb, „wa- fehlt dir?" Gr schüttelte die Faust gegen das harmlos plaudernde Paar unter der Linde. „Der Kerl soll mir ins Gehege kommen. Kalt mach' ich ibn ... . kalt." Da merkte ich erst, daß Jens Lhristtensen eifersüchtig auf den Doktor mar, und das schien mir im ersten Moment beinahe komisch, so datz ich lachen mutzte. Mein, Heiterkeit verging aber vor seinem rachsüchtigen, finsteren Blick. „Du bist verrückt, Jens", sagte ich, „den armen Mann da brautzen hat bas Schicksal so mürbe gemacht. datz ihm schon die Lust am Leven nahezu vergangen sein mag. Eher denkst du selber an frivole Liebesabenteuer, als der." Er lachte besser. „Eine hübsche, junge Schusterfrau, bas ist noch immer zum Mitnehmen, für einen so lackierten Affen Ich mutz sehr böse auSgesrhen Haven, denn er brach mit rinemmal ab und nahm wieder Hammer und Leisten zur Hand. Mir fehlten die Worte zu einer paffenden Ent- grgnung und deshalb wandte ich ihm verächtlich d«n Rücken und ging hinaus. Obgleich ich mir Müh« gab, die Sache von der leichten Seit, zu nehmen, krallt« sich mir doch ein« unbestimmt« Angst am Herzen fest. Wiederholt nahm ich mir vor, Helga zu warnen, aber wenn ich in ihr kindlich reines Gesicht und in ihr« fröhlichen Augen blickte, stockt« mir daS Wort auf den Lippen und ich gewann es nicht über mich, ihre harmlose Unbefangenheit durch Line Anspielung dieser Art -u vergiften. Sie wurde auch ohne meine Warnung früh genug ge wahr, was die Glocke geschlagen hatte. Schon bald be merkte ich an ibrem scheuen, gebrückten Wesen, datz Jens auch ihr gegenüber seinem törichten Argwohn Warte ge liehen hatte. Wenn Rönniger oei mir war, kam sie nie mehr zum Borschstn, auch sonst wich sie ihm sichtlich aus. Ick glaube nicht einmal, daß Rönniger von ihrem ver- änderten Wesen Notiz nahm. Sine- abends gegen elf — ich lag schon eine Stunde wach im Bette -- glanvte ich laute Stttmnen zu vernehmen, gleich darauf einen er- stickten Aufschrei. Ich horchte atemlos, ststd al- sich der Schrei wiederholte, sprang ich auf, warf rasch einige Kleidungsstücke über und eilte hinaus. In der Hof wohnung bei Christiensens war noch Licht; gleich darauf unterschied ich die schreiende, wütende Stimme des Mannes und Helgas Schluchzen. Mit ein paar Schritten war ich hinüber und riß die Tür aus. Auf der Schwelle blieb ich, wie angewurzelt und erstarrt von dem Anblick, der sich mir bot, sekundenlang stehen. Helga, nur mit Rock und Jacke bekleidet, war hinter den schweren, eichenen Eßtisch geflüchtet. Jens Chrsstiensen suchte fluchend und tobend mit einem Hammer auf sie ein- -ubringcn. In langen Strähnen hing bas blonde aufge löste Haar nm das schneeweiße, träncnnasse Gesicht des jungen WelbeS. Ich packte den Rasenden am Arm und schüttelte ihn so heftig, datz er den Hammer fallen ließ. „Jens!" rief ich, „Menfck! Feigling! Schämst du dich nicht?! Pfui . . . dein Weib schlagen . . . Bist du ein Trunkenbold oder wa-, daß du dich an deiner Frau vergreifst .... Pfui! Pfui! Willst du sie morden?" In seinen tiefliegenden Augen lag tn diesem Moment ein grausamer, fast blutgieriger Ausdruck. Dabet zitterte er am ganzen Leibe, ich merkte jedoch, datz er sich zu be herrschen suchte. Er hatte mich nie geliebt, aber in der Stunde wurde es mir klar, baß er mich respektierte und — daß er sich vor mir schämte. Langsam, wie erschöpft, Netz er sich auf einen Stuhl nieder. „Wa- ist hier vorgefallen? Bist du denn rein des TeufelS, Mensch?" schrie ich, „Vas ist in dich gefahren? Steh mir Rede oder du hast Weib und Kind heute den letzten Tag unterm Dache gehabt." „Ich habe sie vorhin auf der Bleiche betroffen", rieb eS sich knirschend »wischen seinen fest zufammengcpreßten Zähnen hervor. „Wen? Wer? Wieso? Sprich du, Helga! Kamm her- vor, er tut dir nichts." Sie näherte sich zögernd; unaufhaltsam stürzten ihr die blanken Tränen aus den Augen. Alsdann erfuhr ich bas Weiter«. Sie hatte vorhin, als sie noch ein paar Wäsche stücke von der Bleiche holen wollte, oven am Wege Doktor Rönniger getroffen nnd war von ihm angerebet worbt«. Natürlich hatte sie nicht ohne weiteres svrtlausen können, und war so, ohne ihr eigenes Dazuiun, von ihm in «in längeres Gespräch verwickelt worden. (Fortsetzung folgte
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder