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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021205021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-05
- Monat1902-12
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Bon Anfang an lagerte über dem „hohen Hause" eine sckwüie, gewitterschwere Stimmung, die denn auch infolge bedauerlicher Mißverständnisse zwi'chen dem Präsidenten und den Sozialdemokraten gegen Mittag zum Ausbruche kam und zur Aushebung der Sitzung auf eine halbe Stunve führte. Eigentlich ist es ein Wunver, daß solche Mißveiständnisse nicht öfter vorkommen, denn kein Mensch ist mehr im Stande, den Ariadnefaden zu finden, der auS dem Labyrinthe der GeicbästsordnungSdebatten führt. Und wenn nicht bald ein Mittel in Borschlag gebracht wird, taS wenig stens eine Uebersicht über die Verhandlungen ermöglicht, so läßt sich nicht absehen, wie daS Trauerspiel ende» wird. Um die Vorgänge des gestrigen Tages einigermaßen erklärlich zu machen, muß man ziemlich eingehend berichten. Nachdem der Abg. vr. Blankenborn über die KommissionSverhano- lungen betreffs der Positionen 176—189 Bericht erstattet, die Sozialdemokraten, wie üblich geworden, die Zurückverweisung an die Kommission beantragt und die Fraktionen der Rechten diesen Antrag durch Ueberzang zur Tagesordnung er ledigt hatten, beantragte Abg. Roeslcke-Dessau (wildlib.), wenigstens die Position 184 (Bier) an die Kommission zurück- zuverweilen. Vizepräsident Graf Stolberg erklärte die'en An trag für unzulässig, ve> kündete aber trotzdem den Antrag Sp ah n, über den Antrag Roesicke zur Tagesordnung überzugehen. Abg. Spahn betrat denn auch, obgleich der Abg. Singer vom Präsidenten Graf Ballcstrem früher zum Worte zu gelassen war, die Rednertribüne, um seinen Antrag zu be gründen. Daß das möglich war, erklärt sich nur ans der Verwirrung, die selbst ter leitenden Stelle des Reichs tags sich bemächtigt bat. Immerhin war der Irrtum nicht so, daß er die sozialdemokratische Fraktion und besonders ihren Führer Sing er, der Vorsitzender der Geschäftsordnungs kommission ist und als solcher gerade die Pflicht hätte, Stö rungen der Geschäftsordnung zu vermeiden, zu dem Skandale berechtigt dätle, den sie nun herdeiführten. „Zur Geschäfts ordnung! Zur Geschäftsordnung!" tobte eS iu den Reihen der „Genossen" wild durcheinander. Abg. Singer eilte auf die Stufen der Rednertribüne, schrie und gestikulierte heftig. Nun begann auch die Reckte mit den Rufen zu toben: „Runter, runter von der Tribüne!" Vergebens schrillte die Glocke Les Präsidenten dazwischen. In den halben Se kunden, in denen der Lärm zu erlahmen scheint, vernahm man die Stentorstimme des Vizepräsidenten Graf Stolberg: „Abg. Singer, ich fordere Sie auf, die Stufen zu ver lassen — — ich rufe Sie zur Ordnung!" Endlich batte die Rechte sich beruhigt; aber Abg. Singer be harrte unter dem rhythmischen Geschrei seiner Frak- tionSzenosscn: „Zur Geschäftsordnung, zur Geschäfts ordnung!" auf seinem Platze, der ihm nach der jüngsten Hausordnung des Piäsidenten verboten war. Hierdurch setzte sich der Abg. Singer noch mehr ins Unrecht: er gehorchte der Aufforderung des Vizepräsidenten nicht, der ibn vergebens ermahnte und dem nun nur das äußerste DiSziplinarmittel übrig blieb. Er verkündete: „Ich schließe den Abgeordneten Singer von der Sitzung aus!" Mil erneutem Geschrei beantworteten die Sozialdemokraten diese Maßregel und Abg. Singer wich und wankte nicht von seinem Platze Inmitten dieses kaum beschreiblicken Skandals tönte die Stimme deS Präsidenten: „Ich hebe die Sitzung auf eine halbe Stunde auf!" In tiefster Erregung verließen die meisten Abgeordneten den Saal. „Was nun?" fragte sich alles. Wenn nun Singer der An ordnung des Präsidenten nicht gehorcht und wieder in den Saal kommt? Und er kam wirklich bei Wiederbeginn der Sitzung, nahm ruhig seinen Platz ein und Abg. Roesicke durfte nunmehr seinen Antrag auf Nückverwcimng an die Kommission begründen, der in einfacher Abstimmung abgclebnt wurde. Wie aber konnte daS alles nach der voraufgegangenen Skandalscene geschehen? Abg. Bebel, dem das Wort zur Geichäftsordnung erteilt wurde, mußte nun selbst eingestehen: Mißverständnisse, lediglich Mißverständ nisse! Die Sozialdemokraten g la u b ten sich in ihren Rechten gekränkt, weil Präsiden! Graf Ballestrem dem Abg. Singer das Wort zur Geschäftsordnung zugesagt batte; das wollte ihm freilich auch Vizepräsident Graf Stolberg geben, aber — weil er glaubte, das sei ebenfalls abgemacht — erst nach der Begründung deS Abg. Roesicke zu dessen Anträge. Die Worte Bebels klangen trotz seines zuversichtlichen Tones doch wie eine Entschuldigung, und Abg. Spahn hielt den Sozialdemokraten in tiefem Ernst vor, raß, wenn sie auch „glaubten", in ihrem Rechte verkürzt worden zu sein, sie doch nicht berechtig« wären, gegen die Hausordnung zu ver stoßen und sich den Anordnungen deS Präsidenten zu wider setzen. Vizepräsident Graf Stolberg erläuterte die „Miß verständnisse" kann näher, hielt aber seine Anordnung auf AuSichluß Singers von der Sitzung aufrecht. Singer sei zwar wieder im Saale erschienen, aber er dürfe infolge der Präsivial-Anordnung in „dieser" Sitzung nicht daS Wort er greifen. Diese Auslegung war unstreitig das beste Mittel, um einen neuen unwürdigen Skandal zu verhüten; aber sie schafft auch den P r ä c e d e n z f a l l, daß ein von der Sitzung ausgeschlossener Abgeordneter trotzdem der Sitzung beiwohnen kann. — Daß diese Vorgänge aus den weiteren Verlaus der nach einer neuen Ruhepause bis fast um Mitternacht sich hinziehenden Sitzung nicht ohne Wirkung blieben, ist selbstverständlich. Bei verschiedenen Gelegenheiten flammten die Leidenschaften wieder auf. Im übrigen wiederholte sich das alte Spiel: Referate über die Kommisüonsbeschlüff-, Anträge von links auf Zurückverweisung einzelner Tarifpositionen an die Kommission und daraus Anträge von reckts auf Ucber- gang zur Tagesordnung. Inzwischen uneiquickliche Gesckäfts- vrdnungSdebatten, Ordnungsrufe und gereizte persönliche Be merkungen, welche die Verwirrung nur noch mehr steigerten. Ueber einen Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung wird heute der „Köln. Ztz." Folgendes berichtet: „Die beiden konservativen Parteien, die Nalionalliberalen, da.' Zentrum und die Elsässer haben im Reichstage einen Antrag eingebracht, der die Geickäftöorbnunz dahin ab ändert: 1. Das Wort zur Geichäftsordnung erteilt der Präsident nach freiem Ermessen. 2. Die betreffende Rede deS Abgeordneten darf Vie Dauer von fünf Minuten nicht überschreiten. Die GeschäsiSordnungS- debatte hat den Zweck, den verschiedenen Parteien die Möglichkeit zu geben, durch eine kurze, trockene Be merkung ihre Ansicht darüber zu bekunden, wie sie sich die zweckmäßigste Form der Fortführung der Geschäfte denken. Kem Mensch hat daran gedacht, eine fanatische Minderheit könne die Geschäftsordnungsdebatte monatelang sortsetzen, um cine sachliche Beratung und Erledigung unmöglich zu machen. Die Geschäftsordnung enthält nur die Bemerkung unter dem Titel „R.ve-Ordnuiig": „Sofortige Zulassung zum Worte können nur diejenigen Mitglieder verlangen, welche über die Verweisung zur Geschäftsordnung reden wollen." Selbstver- ständl ch gelten jedoch auch sür die GesckäflsordnungSdebatte die generellen Bestimmungen über den Schluß ter Debatte, dessen Beantragung die Unterstützung von 30 Mitgliedern erfordert. Dennoch batte sich die Auffassung festgesetzt, man könne wobl eine sachliche Debatte über die großen weltbewegenden Fragen, um welche die Paileien ringen, schließen, nicht aber eine Debatte über die formale Erledigung der Geschäfte. Und auf diesen unbestimmten Glauben hin, der in der Geschäfts ordnung keine Stütze findet, machten nun die Sozialdemo kraten den Versuch, die ganze Zeit bis zum 16. Juni, dem Todestage des Reickstags, mit Gesckäflsordnungscebatten auszufüllen und so die Verabschiedung der Zolltarisvorlaze zu hintertreiben. Eben deshalb setzt der Vorichlag auf Abänderung der Geschäftsordnung bei diesem Punkt ein. Lei der Schaffung der Geschäftsordnung sab man vor allem darauf, die Minderheit zu schützen. Die Minderbeit hat eö nun glücklich soweit gebracht, daß man gezwungen ist, jede Bestimmung daraufhin zu untersuchen, ob die Totengräber des Parlaments sie mißbrauchen können. Ueber die Rede ordnung, über den Schluß der Beratung, über die Präsidial gewalt gegenüber rednerischen Ausschreitungen, gegenüber Lärm- scencn und gegenüber der Obstruktion baden gerade die Länder, die über eine ältere parlamentarische Erfabrung verfügen, drako nische Bestimmungen getroffen, die jedem deutschen Doktrinär die Zornesader schwellen lassen. Sie baben sie getroffen, um das System des Parlamentarismus zu schützen gegen Abgeord nete, welche Formalitäten mißbrauchen, um daS MebrheitS- prinzip zu untergraben. Ob der MehrbeitSantrag auf Ab änderung der Geichäftsordnung nickt verbesserungsfähig ist, kann man ruhig erörtern. Wenn die Obstruktion so weiter macht, so treibt sie die Mehrbeit in eine Stimmung hinein, die noch ganz andere Vorschläge gebären wirb." — Wir müssen (gestehen, daß uns der Vorschlag, den Präsidenten zu ermächtigen, nach freiem Ermessen das Wort zur Geschäfts ordnung zu erteilen — und also auch zu versagen —, mit Rücklicht auf unsere Partcrverbältnisse sehr bedenklich erscheint. Jedenfalls wird der Antrag von der Linken leidenschaftlich bekämpft werden und erneute Skandalicenen berbeiführen. Aber auch diese wird man in den Kauf nehmen müssen, wenn Brauchbares bei der Beratung berauskommt. Jeden falls öffnet die Geschäftsordnung in ihrer jetzigen Gestalt den tollsten Wirren Tür und Tor. Deutsch-tschechische 'Lerftiindigungsaktion. Sämtliche deutsche Fraktionen des österreichischen Abgeordnetenhauses, ausgenommen die Alldeutschen, stimmten prinzipiell den von den veutschböhmiichen Abgeord neten ausgearbeileten Vo-schlägen zu, welche als Grundlage für die Verhandlungen mit den Vertretern der Tschechen bienen sollen unter der Btdmgung, daß der Kampf auf der ganzen Linie des deutsch-tschechi sch enSpr ach en st reiteü ei »gestellt werde, und das Parla ment unverzüglich an die Beratung der für den Staat und die produzierenden Klaffen wichtigen Regierungsvorlagen berantrete. Diese Vorschläge umfassen als erste Gruppe die Regelung der äußeren und inneren Amtssprache bei den staatlichen autonomen Behörden, wofür eine wichtige Vorarbeit durch die nahezu gelungene Vereinbarung über den Gesetzentwurf, betr. die Sprache bei den autonomen Behörden Böhmens, geleistet sei. Als weitere Vorarbeit wird die Schaffung einer staatlichen und autononien Kreisverwaltung vorgeschlagen, einerseits durch die Er richtung von national abgegrenzten Kreisregierungcn, denen ein wesentlicher Teil der Kompetenz der Stattballerei über lassen werden müßte, anderseits durch Schaffung auto nomer Kreisvertretungen, in deren Kompetenz das ge samte Volksschulwesen und Humanitälöeinrichtungen falten sollen. Hierdurch sollen möglichst wenig national gemischt: Kreise entstehen. Obwohl an der Forderung, durch gesetzliche Festlegung der deutschen Sprache als Staats- und Beimitte- lungssprache festgehalten wird, kann die Zulassung der inneren tschechischen Amtssprache in rein tsckechi- schenGebieten auS Gründen der Vereinfachung deS Geschäfts verkehrs unter Aufzählung der Behörden ivwie der Arten von Amtshandlungen Platz greifen. Was die äußere Amts sprache anbetrifft, so können in ganz Böhmen Eingaben in beiden Laiidesiprachen gemacht werden, wenn dadurch die weiteren Amtshandlungen der einsprachigen Behörden in Bezug auf die Anwendung ihrer AmlSiprache nicht beein flußt werden. Für die Ernennung der Staatsbeamten und Slaatsdiener soll der Grundsatz maßgebend sein, daß innerhalb der abgegrenzten Gebiete nur solche zu er nennen sind, die sich bei der letzten Volkszählung zu der Um gangssprache, welche in jenem Gebiete als Amtssprache gilt, bekannt haben. — In Piag und dessen Vororten müssen die Beamten beider Landessprachen mächtig sein. Das gleiche Eifordernis gilt mindestens für einen Be ¬ amten bei jedem Amte sür die innerhalb eines eni- sprachiaen Gebietes seßhaften Minderheiten. Weitere Punkie zur Löjung der deutsch-tschechischen Frage in Böhmen bilden die Errichtung von Schulen «ür die Miuderheiten, die sprach liche Scheidung bei den Handels- und Gewerbekammern, so wie eine Wahtreform beiüglich der Kurien. Die Vortchläge gipseln zunächst in der Forderung der Schaffung eines Reichs gesetzes über die Errichtung von Ki eiSreglerungen in Böhmen, ivwie eines Landeögesetzes, betreffend die Errichtung von Kreisvertretungcn mit einer Wahlordnung für die Kreistage, wobei daS Inkrafttreten beider Gesetze gleichzeitig zn folgen hätte. — Weiter wird unö.gemeldet: * Wien, 4. Dezember. Die Abgeordneten der deutschen Fort schrittspartei und der deutschen Voltspartei in Mähren und Schlesien halten morgen eine Besprechung, betreffend die Präzi sierung ihres Standpunktes in der Berständigungsaklion, ab. Tie Matzregelung französischer Bischöfe. Bekanntlich bat der französische Mimsterrat über fünf von den 74 Bischöfen, die die Bittschrift an die Kammern zu Gunsten der Orden richteten, die Gehaltssperre ver hängt. Diese Maßregelung fußt auf der Entscheidung des Staatsralö, daß die Bischöfe durch ihr Vorgehen sich eines Amtömißbrauchs schuldig gemacht hätten. In der Begrün dung dieses Entscheides heißt es: „Das Schriftstück (der Bischöfe) ist ohne Beachtung dec für Petitionen vorgeschriebenen Formen Len Senatoren und Abgeord- ueken einzeln zugestellt worden. Es ist in den kirchlichen Amts- blättern der meisten Diözesen abgedruckl und infolgedessen von der Tagespresse aller Departements wiedergegcben worden, llnter diesen Umständen hat es Nicht Len Eharakicr einer Petiiion, sondern den eines Aufrufs des Episkopats. Nach Artikel 4 des Gesetzes Feuilleton. Der Untersuchungsrichter. No mau von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. Er erhob sich mit jähem Ruck. „Es ist gut", beschiod er den ihn verwundert beobachten den Burschen. „Sagen Sie dem Boten: Tie haben mir die Verfügung des Herrn Präsidenten übergeben. Es sei alles in Ordnung; ich werde mich sogleich nach dem Tat ort begeben." Ter Bursche stapfte hinaus. Die letzten Worte waren dem Landrichter in seinem Eifer und in seiner Erregung unwillkürlich herausgefahren. Jetzt stand er zügeriid im Zimmer und überlegte. Als Untersuchungsrichter mar er nicht verpflichtet, den Tatort zn besichtigen. Das war Sache des Staatsanwalts und der Polizei. Er als Unter suchungsrichter hatte zwar das Recht, bei der ersten Be sichtigung des Tatortes zugegen zu sein, aber eine Ver pflichtung dazu lag ihm nicht ob. Er konnte sich genügen lassen, sich morgen von dem Polizei-Kommissar den bis her ermittelte«« Tatbestand mitteilen zu lasten und danach seine weiteren Maßnahmen zu treffen. Aber nun kam doch eine prickelnde Unruhe über ihn. Während er leb haft im Zimmer auf und ab schritt, malte er sich aus, wie der Staatsanwalt und die Poltzeibeamten bei ihren Er mittelungen vorgingcn. Zuerst nahmen sie den Er mordeten in Augenschein, stellten genau fest, in welcher Lage sich der Leichnam befand und wodurch sein Tod ver ursacht worden war. Dann besichtigten sie eingehend den Raum, in dem der Ermordete sich befand, und suchten vor allem den Beweggrund der Tat zu erforschen. Zuletzt ver hörten sie die Wirtschafterin und die Nachbarn des Toten. Eine siedende Unruhe kam über den Grübelnden, eS litt ihn nicht mehr in seiner dumpfen Untätigkeit, und mit raschen, heftigen Bewegungen schlüpfte er in seinen Paletot und nahm seinen Hut. Danu stürmte er mit eiligen Schritten davon, dem Tatort zu, als sei Gefahr iu« Verzüge. Der Staatsanwalt blickte erstaunt auf, als plötzlich Landrichter Deinhard erschien. Er beendete eben mit dein Polizei-Kommissar die eingehende Untersuchung des Schreibtisches des Ermordeten, der sich im Studierzimmer -efan-, als Herbert Deinhard, dem ein ar» der Tür postierter Polizeidiener geöffnet hatte, den Schauplatz des Verbrechens betrat. Der Landrichter erklärte mit kurzen Worten den Grund seines Erscheinens. Der Staatsanwalt reichte ihm freudig die Hand. „Desto besser, mein lieber Herr Landrichter", sagte er. „Ich freue mich, mit Ihnen gemeinsam zu arbeiten. Vor läufig haben wir noch keine Spur. Tie Tat ist noch voll kommen rätselhaft. Sehen Sie selbst!" Er wandte sich dem Leichnam zu, der «nit den Füßen der Tür zu lag, seitwärts vor« dem Waffen-Arrangemcnt an der Wand. Die Leiche lag noch genau so, wie sie von den Beamten gefunden worden war. Der Tote war völlig bekleidet, nur auf der Brust hatte man das Hemd ge öffnet, um die Todeswunde, die sich in der Herzgegend befand, bloßzulegen. Tas, was jeden« Beschauer zuerst auffiel, war der Umstand, daß der Ermordete den Säbel in der Hand hielt, um dessen Griff sich noch krampfhaft die steif gewordenen Finger krallten. Auch der Staatsanwalt wies sogleich'darauf hin. „Er scheint den Säbel zu seiner Verteidigung von der Wand gerissen zu haben", sagte er. „Vielleicht ist er es auch gewesen, der zuerst zu der Waffe gegriffen hat, nm dem ihn plötzlich Ueberfallenden zu Leibe zu gehen. Tas kommt ganz darauf an, aus welchen Gründen der Mörder sein Opfer ausgesucht hatte." Der Untersuchungsrichter stand wortlos vor der Leiche; tiefe Ergriffenheit malte sich in seinen Zügen; alle Farbe war aus seinem Gesicht geschwunden. Der Staatsanwalt streifte ihn mit einem mitleidigen Blick. „Ich sehe, es greift Sie an", bemerkte er. „Zu allen sonstigen Aufregungen des Tages nun dieser Schluß!" Den Untersuchungsrichter schienen diese Worte aufzu rütteln. Er gab sich einen sichtlichen Ruck und fragte: „Hat denn niemand den Schuß gehört?" Der Staatsanwalt verneinte. „Merkwürdigerweise nicht. Nun, die Straße ist belebt und geräuschvoll. Dazu kommt, daß auf dieser Sette des Hauses im Erdgeschoß niemand wohnt als Assessor Wrcde. Zwischen den beiden Parterrewohnungen liegt der Flur. Bon der Partei, die oben wohnt, hat niemand etwas ge hört. Mann und Frau waren aus, die Köchin in der Küche, das Kindermädchen mit zwei kleinen Kindern, die wohl gelärmt habe«« mögen, in einem Hinterzimmer. Die Wirtin deS Ermordeten, eine Witwe namens Schwielinski, behauptet, daß sie zwischen halb sechs und halb sieben Uhr ausgegangen war. Als sie zurückkehrte und den Asteflor fragen wollte, ob er zu Hause speisen wolle oder auswärts, fand sie ihn aus dem Fußboden liegend. Er war bereits tot. Tie Tat muß also zwischen halb sechs und halb siebe«« geschehen sein." Ter Untersuchungsrichter hatte mit gespannter Auf merksamkeit zugehört. Er nickte. Dann warf er einen raschen, verstohlenen Blick auf den Staatsanwalt und schien etwas fragen zu wollen. Aber gerade in diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet und ein uniformierter Polizerbeamter trat ein. Er schritt auf den Polizei-Kom missar zu und überreichte ihm ein Blatt. „Ein Auszug aus dem Personenstands-Register", sagte dieser, sich zu dem Staatsanwalt wendend. Tann über flog er rasch die Notizen. In seinen Mienen zuckte Ueberraschung. „Rufen Sie doch 'mal die Wirtin!" befahl er dem Unterbeamten. „Etwas ganz Neues!" sagte er zu den« ihn fragend anblickeuden Staatsanwalt. „Die Frau hat uns verheim licht, daß sie einen Sohn hat, der bei ihr wohnt." Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter blickten interessiert auf. „Vielleicht bietet sich hier ein Anhalt", meinte der Kommissar und sah erwartungsvoll nach der Tür. Eine bescheiden, aber sauber gekleidete Frau anfangs der Fünfziger trat ein. Sie war mager und hatte ein verhärmtes Gesicht, auf dem noch deutlich die Spuren der gehabten Aufregungen und des Schreckens zu sehen waren, ihre Augenlider waren gerötet und geschwollen, und auch jetzt führte sie ihren Schürzenzipfel an die Augen. Sie zuckte sichtbar zusammen, als sie der Kommissar gleich anfuhr: „Warum haben Sie uns belogen? Sie haben doch ausdrücklich erklärt, daß außer Ihnen und dem Er mordeten niemand hier gewohnt hat." „Das hat auch nicht, Herr Kommissar." „So!?" Der Kommissar klopfte »nit dem Zeigefinger seiner Rechten auf das Blatt, das er noch immer In der Hand hielt. ... „Ich sehe doch, daß Ihr Sohn -bet Ihnen gemeldet ist/ Eil« Ausdruck von Erschrecken lief blitzschnell über das Gesicht der Frau. Aber sic bemühte sich offenbar, unbe- fangen zu erscheinen. „Er wohnt nicht mehr bet mir! „So! Warum haben Sie ihn denn nicht abgemelbet?" „Er ist erst vor vier Tagen fortgezogen." Der Kommifsar sah die ihm Gegenüberstehende durch bringend an. „Ist das wahr?" Die Frau zeigte eine getränkte Miene. „Sie können «ich ja ertundlgen, Herr Kvmmissar." „Tas rverde ich auch. Wo ist er hingczogen?" „Nach der Mühlcngasse ö, drei Treppen, bei Eisen dreher Weiche." Der Kvmmissar «vinkte dem Unterbcamten, der ihm eben den Auszug aus den« Personenstands-Register ge bracht hatte, und erteilte ihn« leise einer« Auftrag. Während der Unterbeamte davvncilte, fuhr der Kommissar in seinem Verhör fort: „Wenn Ihr Sohu schon seit vier Tagen fort ist, warum haben Sie ihn denn noch nicht ab gemeldet?" Tie Frau zuckte «nit den Schultern: „Mein Gott, man hat doch zu tun. Und dann dachte ich doch auch, er würde ja doch nicht lange bleiben und ja doch bald wieder zurück ziehen zu mir. In der Kammer steht doch noch sein Bert.' „Warum ist er denn überhaupt von Ihnen fvrtge- gangen?" Die Frau blickte zu Boden und schwieg. Ihre Finger griffen an der Schürze herum. „Na!" mahnte der Kommissar. „Sic konnten sich wohl nicht mit Um« vertragen?" Die Frau erhob ihren Kops. Es zuckte in den» von Sorgenfalten durchzogenen Gesicht. „Das — das war's nicht gerade", antwortete sic endlich. „Aber der Herr Assessor mochte ihn nicht leiden " In den Augen des.Kommissars blitzte es auf und anch der Staatsanwalt machte cine Bewegung und in seinen Mienen prägte sich gespanntes Interesse aus. „Aba!" machte der Kvmmissar. „Der Herr Assessor mochte wohl guten Grund zu seiner Abneigung gegen Ihren Sohu haben." Er blickte wieder aus das 'Blatt in seiner Hand. „Wie ich hier sehe, ist Ihr Sohn nichts weniger als ein Musterknabe. Er ist erst vicrundzwauzig Jahre alt und hat schon cine ganze Anzahl böser Sachen ans den« Kerbholz. Er ist schon einmal wegen Unter schlagung und zweimal wegen Gewalttätigkeil bestraft." Beide, der Untersuchungsrichter, sowie der Staats anwalt, horchten hoch ans. Der letztere griff sogar in nn willkürlicher Bewegung nach dem Blatt hin, das ihm der Kommissar nun «nit einer Verneigung überreichte. „Ihr Sohn ist Schreiber", begann der Kvmmistar wieder. „Jawohl." „Wo arbeitet er denn jetzt?" Die Frau wandte ihrer« Blick ab, schluckte einige Mal«
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