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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021206016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-06
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I. r. j. <»lts> >. >. m.Op.65 w-vp.i» I. >. I. li»«« n tllouvn. ^1.5. ^xslc.p.l/l.oc :r.vL7 101.^ LI. SS,90V. IV.L «L Ll»rL" :L 2ä»rk: »0. »0. »ot vv < < 5;^ Bezugs «Preis 1» der Hauptrrpedttüm oder de« 1» Stadt» beztrk aud d« Vororten errichtete» Aus» gabestelle, abgeholt: vtertetjShrlich 4.bk), — zweimaliger täglicher Zastelluig tn» Hau» L.Ü0. Durch die Post bezöge« für Deuljchtand «. Oesterreich vierteljährlich 6, für di« übrige« Länder laut ZeitungspretSliste. Ledaktiou und Expedition: Iohanntsgaffe 8. Fernsprecher ISS aud WL FM«t»*p-dtttMr«r r Alfred Pah». Buchhaadlg., llniversitätsstr.s, L. Löschs Nathariueustr. 14, ». Küutg-pl. 7. Haupt-Filiale Dresden: tztrehleuer Straße 8. Fernsprecher Aart I Nr. 17!». Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzer Straße NS. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SL. Morgen-Ausgabe. WpMrr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und -es Nolizei-Äintes der Ltadt Leipzig. Str. «20 Sonnabend den 6. Dezember 1902. Anzeigen «PreiS dle 6 gespaltene Petitzeile LS Netlamr« mitrr dem RrdaMoaSstrich (4 gespalten) 7S vor de» gamilieunach- rtchte« (-gespalten) SO Tabellarischer uad Kiffernsa- entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanaahme L5 (excl. Porto). Ertra-Vellage« (gefalzt), aur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderuug ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—» Äunahmeschluß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morge«»Aa-gab«: NachnMag» 4 Uhr. Anzeigen find stet» an die Ex-edition z« richte«. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet voa früh S bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- tu Leipzig. 98. Jahrgang. Mißverstandenes Deutschtum. V. Vor kurzem hat sich in den Wandclgängeu des ungarischen Abgeordnetenhauses ein sehr bemerkens» werter Vorgang ereignet, Kultusmini st c r W las - sttsch trat daselbst unvermutet aus die beiden siebcnbur- gisch-sächsischen Abgg.Emil v.TrauschenfclS niidErnstHintz zu und begrüßte sie mit den Worten, er komme ans dem Burzcnlande nnd dem alten Lande, woran sich dann ein längeres, in gemütlichem Tone geführtes Gespräch knüpfte. Burzenland wird in Siebenbürgen das Gebiet um Kron stadt herum genannt, am Flusse Burzen; mit dem Namen „Altes Land" bezeichnet man aber nicht nur die Gegend um Hermannstabt herum, sonder» die ganze einstige so genannte Hermannstädtcr Provinz, das Gebiet der ältesten sächsischen Ansiedelungen, dem das Burzenland, begründet durch den Deutsch-Ritterorden, erst später nachfvlgte. Minister Wlassitsch begrüßte die beiden überraschten sächsischen Abgeordneten in kurzer Wendung damit, daß er eben ihr Volk in seinen wichtigsten Punkten besucht habe. Und gleich zu Beginn des nun folgenden Gespräches erklärte der Minister: Mit den, den Sachsen Zu ge s ch r i e b e n e n „alldeutschen" Aspiratio nen könne es doch dort nntcn keine Gefahr haben. So ungezählte Kilometer von Deutschland ent fernt und unter den Verhältnissen, die er dort mit eigenen Augen beobachtet habe, erschcincesi hm geradezu lächerlich, von Derartigem zu sprechen. Kultusminister Wlassitsch war am 27. Ok tober ganz unverhofft und unangemeldet nach Kronstadt gekommen und hatte daselbst sofort sämtliche sächsische Lehranstalten, Gmnuasicn, Real schule, Mädchenschule besucht, an die Schüler in den einzelnen Klaffen Fragen in magnarischcr Sprache ge stellt, j" selbst Latein sofort in Magyarisch übertragen kaffen. Hierauf besuchte er auch die Lehranstalten der anderen Konfessionen und die staatlichen und beschloß seinen Aufenthalt in Kronstadt damit, daß er mit dem Gmnnasialdircktvr des sächsischen Gymnasiums einen Ausflug nach dem nahen Martt Rosenau machte, wo die auf einem Berge liegende Baucrnburg besucht wurde. Von Kronstadt hat sich dann Minister Wlassitsch nach Hermannstadt begeben, wo er neben seinen Visi tationen in den verschiedenen Schulen auch das den Lachsen gehörige Vructcnthalschc Palais mit seiner reich haltigen Bibliothek und seinen andern Sammlungen, sowic das hochragende Denkmal aus sächsischer Vergangenheit, die evangelische Kirche, besuchte. Aus Hcrmannstadt wird auch berichtet, daß der Minister Wlassitsch, wie in Kron stadt, sich die Professoren für magyarische Sprache der höheren Klaffen persönlich vorstellcn ließ nnd sich über die magyarischen Tprachkenntniffe der Schüler in befrie digendem Sinne äußerte. Wenige Tage, nachdem Wlassitsch das siebenbürgtschc Sachsenland verlassen hatte, traf in Kronstadt der unga rische Ackerbanministcr DarKnyi ein. Dieser kam ge rade aus dem von den magyarischen Szeklcrn bewohnten Kronstadt nahen Landstriche Siebenbürgens, wo er sich von der großen Bedrängnis dieses gegenwärtig stark aus wandernden Volkes persönlich überzeugen und die nötigen Vorkehrungen für die eingcleitete Rettungsaktion treffen wollte. In Kronstadt hat Minister Tarünyi sodann in erster Linie die nahe am Bahnhöfe liegenden Lagerhäuser der vereinigten Burzenländcr Bauernschaft, dann die herrliche äolische Stadtkirchc, die Anlagen der sächsischen Molkereigenossenschaft, das prächtig gelegene Reservoir der städtischen Wasserleitung, die Schiclschc Eiscnfabrik, eine Keyenniederlage und manche andere Punkte besucht. Uebcrall war der Minister überrascht von dem, was er vorfand. Tic Mitteilung über die in den sächsischen Lager häusern beispielsweise gezahlten und erzielten Fruchtpreise befriedigten den Minister so sehr, daß er scherzweise be merkte, bei diesen Preisen werde er sein Getreide auch in die Lagerhäuser abliesern. Er ersuchte dcu Obmann des Verbandes, Reichstagsabgcordnctcn Hr.Karl Lurtz, ihm in Pest die Satzungen, sowie sämtliche, diesen Bauernverband betreffenden Drucksachen zu übergeben. Sowohl während der Besichtigung der Lagerräume als auch beim Verlassen derselben trug der Minister den Leitern des Verbandes auf, den Mitgliedern mitzutcilcu, wie sehr er vom Ge sehenen befriedigt sei. Dasselbe wiederholte sich, wohin der Minister auf seinem Gange durch sächsische Kultur- schöpfnngcn Kronstadts kam. Was ihm nach seinem Be suche der verarmten und apathisch die Hände bloß nach Staatshülsc ausstrcckende» Szckler hier, inmitten der Sachsen besonders ansgcsallen sein mag, war das trotz aller Schwierigkeit der gegenwärtig vielfach drückenden Verhältnisse,des gehemmtenHandclsverkchrsmitdcm nahen Rumänien, der hohen Eiscubahntarisc, der Ungerechtig keiten eines starren politischen und wirtschaftlichen Zcn- tralisationssystems, ungebeugt sich äußernde deutsche Volksleben, das sich wohl der Staatsunterstützung, soweit sie zusließt, nicht abwendet, aber doch, aus sich selbst, durch eigene Kraft der vorhandenen zeitlichen Schwierig keiten Herr zu werden und sich kulturell fort nnd fort emporzuringeu trachtet. Auch im Lichte der Erfahrungen, die Minister Darünyi machte, erhalten die Worte des Kultusministers Wlassitsch, die er zu den beiden sächsischen Abgeordneten sprach, daß es nämlich mit den, den Sachsen zugcschriebcnen „all deutschen" Aspirationen hier keine Gefahr haben könne nnd daß solche Beschuldigungen gegenüber den sclbstbc- obachtelen Verhältnissen geradezu lächerlich erscheinen müßten, ihre volle Bedeutung. Es ist eben mißver standenes Deutschtum, dem sich da gleich zwei innerhalb des Regicrungskörpcrs stehende hervorragende Magyaren cntgegcngestcllt gesehen haben: und wenn auch Heißsporne der kvssuthistischcn hauptstädtischen Hetzblätter vielfach die Bedeutung der Erfahrungen und Be ¬ obachtungen der beiden Minister mit herabsetzenden Be merkungen versehen, man kann doch seit der letzten An ¬ wesenheit derselben unter den sicbcnbürgiichcn Lachsen be» vbachtcn, daß sich die lügnerischen Angriffe ans letztere in den hauptstädtischen Blättern wesentlich vermindern. Besonders ausfallend hat tung das Verhalten des wirkt, der bekanntlich vor lich ungcbcrdig tat über nach dieser Rich- „Pester Lloyd" ge- kurzcm außergewöhn- die bösen Deutschen in Ungarn. Gr hat ohne Umschweife eine Unterredung mit dem „Alldeutschen" Cramer im Szcgcdiner Gefäng ¬ nisse veröffentlicht, nach der alle bisherigen, Ungarn so furchtbar bedrohlich sein sollenden, alldeutschen Aspiratio nen als gespenstcrhafter Rebel erscheinen. Gerade der „Pester Lloyd" verkündet jetzt weithin die Erklärung Cramers, daß die landesüblich gewordene Beschuldigung der Bestrebungen, das angestammte Deutschtum bei den Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in ge sunder, ungebrochener Kraft zu erhalten, als „Pan germanismus" und als „Staatsfeindlichkcit" nichts anderes sei, als ein verwerfliches Kampf mittel der chauvinistischen Gegner des Deutschtums. Das Deutschtum, das auch in Ungarn, bei aller Not, die ihm entgcgcntritt, so blühendes Leben entfalten und erhalten kann, als dies die beiden Minister mit eigenen Augen gesehen, das Deutschtum, das ungebeugt bleibt, wo schwächeres VolkSbewußtsein verzagt, das Kulturstätten aufwcist, wie die Siebenbürger Sachsen, Unternehmungen des Gemcinsiuncs, werktätiger Nächstenliebe, kräftiger Sclbsthülfe, trotzigen Wagemutes, ist viel zu stark und stolz, um Aussaugungs- und Verschmelzungsbestrcbungen eines staatlich noch so machtvollen fremdsprachigen Volkes zu unterliegen. Cs crsiillt in gesundem Rcchtsgefühle alle staatlichen Forderungen, bleibt aber in seinem Wesen, was es von scher war. Tas kann der magyarische Chauvinist nicht begreifen. Einem solchen mißverstandenen Dcutsch- tnm wird er ewig ein gcschworcncr Feind bleiben. Zeitgemäße Erinnerung an Bennigsen. In den Angriffen der weiter tinks stehenden und der radikalen Parteien gegen die Haltung der Mehrheit der nationaltibcralen Fraktion, und auch sogar innerhalb der nationallibcralcn Fraktion selbst, ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden: „Was würde der Begründer und dahingcschicdene Führer der nationallibcralcn Partei, Rudolf von Bennigsen, zu dieser Haltung gesagt oder getan haben?" Wir verkennen keinen Augenblick das Mißliche, aus früheren Zeiten und Reden eines großen, nicht mehr dem Leben angcbörigcn Mannes zu deduzieren, wie er in der Ictzzeit und im gegebenen Augenblick gehandelt haben iv ü rde, wenn er sich diesen schwierigen politischen Tagessragen gegcnübcrgcstcllt sähe. Aber auch für die Kritiker der Mehrheit der nationallibcralcn Fraktion gilt dasselbe mißliche Moment für die Anrufung Ben nigsens. Trotzdem kann die Mehrheit der Fraktion Er mutigung schöpfen aus einer groß angelegten Rede Ben nigsens, welche er in Erwiderung der ihm dargebrachtcn Huldigungen zu sciucm 70. Geburtstag in Hannover hielt. Es spricht fast ein propbctischer Geist aus seinen Worten, als kennzeichneten sic die h e » t i g e Situation. Bennigsen führte u. a. folgendes aus: . . . „Wir haben uns immer auf den Boden gestellt, daß ja für uns Dculschc, nach unserer ganzen Vergangenheit, nach den gefährlichen Gegensätzen, die Deutschland früher nicht zu eine m Staate haben kommen lassen, natürlich eine freie Ent wickelung aus einer elenden Zeit heraus eine sehr wesentliche Aufgabe ist. Tic schwierigste Aufgabe aber ist doch, den na tionalen Staat auf eine sichere Grundlage zu stellen und auf derselben zu erhalten, und wenn cs in irgend einer wich tigen Frage zu einem Konflikt kam zwischen den Interessen der Nation und denen der Freiheit, dann sagten wir: lieber stellen wir die Freiheit erst noch einmal zurück hinter den Aufgaben des Naiionalstaalcs; denn das sind die entscheidenden: darin liegen die Gefahren für Deutschland, an denen wir jeden Augenblick wieder zu Grunde gehen können. In den Fragen der Freiheit, des Liberalismus ja, da kann uns ein Aufent ¬ halt dazwischen geschoben werden, da können uns unbequeme Jahre die Freude verderben: aber so gesund und tüchtig sind die Kräfte dock', daß eine eigentliche Reaktion gar nicht mebr möglich ist. Also die Einheit war das Wesentlichste, die Frei heit, so bedeutend und wichtig sic war, tarn erst in zweiter Linie. Darüber sind wir ja häufig angegriffen. Wir sind oft. be schuldigt worden, daß wir die Freiheit, alle Grundsätze des Liberalismus vollständig verraten Härten. . . . Mehrmals habe ich den Führern des Radikalismus im Parlament vorgehalten: diejenigen großen Vcrfassungsbcstimmnngcn und Organisatio nen, auf denen unser ganzes öffentliches und Verfassungsleben beruht, sind alle ausnahmslos gegen den Radikalismus im Parlament angenommen, nnd wenn cs sich nachher nach Jahren darum bandelte, daß seitens der Reaktion oder einer schwachen Regierung vielleicht der Versuch gemacht wurde, an diesen Er rungenschaften zu bohren wer waren dann die cigcnr- lichen Hiner'? Das waren die Männer, die uns wenige Jahre vorher bis in den tiefsten Abgrund der Hölle verurteilt hatten, daß wir solche reaktionären Grundsätze vertreten hätten! Das ist auch einer der großen Gegensätze, die in unserer politischen Praris liegen, in der radikalen Weise, Ivie man da glaubt, Politik treiben zu können — ich halte es aber für keine. Das ist -ine solche Politik, die ein verständiger Mer.sty nn 24. Jahre aufgielu, das ist weiter nichts als das Verständnis einiger all gemeiner Grundsätze und die logische Deduktion, diese Grund sätze im einzelnen Falle anzuwcndcn. Das ist eine Aufgabe Feuilleton. Oie Arche Noah. Bon Jules Casc «Paris). Nachdruck verboten. „Nein", sagte Vanclle, der große Tiermaler, „cs ist nicht immer leicht, seinem Nächsten Dienste zu leisten nnd für ihn Vorsehung zu spielen. Ich habe es auch einmal versucht, obgleich es besser gewesen wäre, die Finger da von fernzuhaltcn. Tas war in meiner Jugend, ist also schon ziemlich lange her. Ich kam aus Italien zurück, ein bißchen muscumsmüdc, übersättigt von Kunsteiudriicteu, nnd haue das Bedürfnis, mich in der Schweiz, in den Bergen, noch etwas zu erholen, noch ein Naturbad zu nehmen, um all das angcsammclte Kniisturtcil wieder abzuspütcn. Tenn man mutz sich von Zeit zu Zeit, finde ich, au den drei ein fachen Naturfarben, dem Blau des Himmels, dem Wiesen grün und dem Weitz der Scyneeberge, die Äugen nnd Ideen rcinwaschcn. Alo ich das Rhvnctal entlang snhr, zwischen den großen Fclscnmaucrn hindurch, wo die Gletschcrbächc sich ihre engen Täler gebahnt haben, da bekam ich Lust, eins dieser Täler hinaufzustcigcn. Es kostete mich etwa acht Stunden Marschieren. Mir waren prachtvolle Eindrücke beschert, aber ich kann das nicht alles erzählen. — Mit cinvrcchen- dcr Dunkelheit kam ich in einen kleinen Ort, wo ich eine Herberge suchen mutzte: das klassische „KurhanS" war leer; denn die Saison hatte noch nicht angcfangeu. Ich aß, ging zu Bett und schlief. Am andern Morgen sah ich mich ein wenig im Torfe um. Tic menschlichen Behausungen, die nicht nur Männlein, Weiblein und Kinder, sondern auch die zur Familie gehörige Tierheit, als da sind: Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner und Hunde, in sich fassen, erinner ten mich an eine Flotte von Archen Noah, die die Sintflut hier auf Bergeshöben hatte stehen lassen. Und unter diesen Holzbauten, die sich alle glichen, bemerkte ich ein einzelnes Haus aus Stein, wie das Kurhaus: cs sah sonst nicht gerade lurnriös aus. Ein großer Kerl trat aus der Türe und grüßte mich schüchtern. — Er war etwa in den Vierzigern, schon leicht ergraut, hatte eine Habichts- oder Don Lluirotc-Nasc und unwahrscheinlich lange Gliedmaßen. Ich mußte unwill- kürlich suchen, welchem Tier er ähnlich sähe, — meine Gc- wohnheit! Er redete mich an, wobei er einen kleinen, spitzen, grünen Filzhut in den Händen drehte. Er bot sich mir als Führer an über den nahen Gletscher und über den Schmugglcrweg nach Italien. Ich lehnte ab, nnd wir singen an zn plaudern. Er erzählte mir stockend, achsel zuckend und einigermaßen wirr, daß er niemals Glück ge habt habe. Es sei ihm alles schief gegangen. In junoeu Jahren hatte er die Heimat verlasse» und war in großen Städten gewesen. Daun ging es einmal nach Amerika. Er hatte viel versucht, aber alles war schlgeschlagen. Schließlich kam er wieder ins Gebirge zurück. Heute sei er verheiratet, Vater von fünf Kindern und Eigentümer dieses Hauses, ans dem er — das war seine letzte Speku lation gewesen — eine Art Cast' nnd Alpenrcstauraut harte machen wollen. Allein die Mittel Härten leider nicht ge langt. Nun stehe zwar das steinerne Haus, aber innerhalb seiner kaikgctünchten weißen vier Wände sei cs leer. Nie mand trete ein, höchstens in langen Zwischenräumen ein mal ein Tourist, nm ein Glas Milch zu trinkcm Er selber wohne mit seiner Familie in der väterlichen Hütte. Das schöne Haus, das sein Glück hatte machen sollen, nütze ihm gar nichts. Als ich meinem Wirt von diesem unglücklichen Kon kurrenten erzählte, zuckte er die Achseln und sagte: „Ach, Metjan, ja wohl, er hat sich Ihnen als Führer angcbvten, nicht wahr? Er ist wieder zu seinem alten Beruf zurück gekehrt. Er ist kein schlechter Führer, doch könnte ich Ihnen noch bessere empfehlen. Immerhin sind Sic sicher mit ihm und Sie würden ihm einen Dienst leisten. Er ist ein armer Temel, der überall Pech gehabt hat. Viel leicht war er zn ehrgeizig. Er ist früh auSgewandert, ist viel in der Welt herumgekommcn, auch in Amerika war er, aber er hat nirgends Glück gehabt. Znletzt wollte er sich wieder hier etablieren. Da hat er das Haus gebaut, neben dem er mit seiner Fran, drei Jungen nnd zwei Mädchen — die jüngste ist eine arme Mißgeburt — sein elendes Leben hinbringt. Es sind die Unglücklichen deS OrtcS: man bedauert sie und hilft ihnen, soviel man kann." Mein Wirt schien mir ein guter Mensch. Er war übrigens reich und gleichsam der König des Tales, in dem er drei stolze Hotels besaß, die die Höhen von den Ufern der Rhone bis au den Fuß des Gletschers zierten. DaS Land war schön und gefiel mir. Ich beschloß also, einige Tage dort zu bleiben, nnd kehrte zn Mctiau zurück. Als ich mir ein Glas Milch von ihm bringen ließ, wirt schaftete er so viel herum, als wenn er vierzig Personen zu bedienen hätte. Dann pflanzte er sich melancholisch in der Tür auf, breitbeinig, nnd ließ die langen Arme bam meln. Er spähte in die Ferne, als ob er einen anderen Reisenden erwarte. Sein Hans war hübsch gelegen, am Waldrand, und ging auf eine schöne Wiese hinaus, die sich sanft senkte. „Mau ist hier nicht übet aufgehoben", sagte ich zu ihm. Sein Gesicht strahlte. Dann aber verdüsterte es sich wieder, als sein Blick auf die kahlen Wände siel. . . Ta kam mir plötzlich der Gedanke: Wie? wenn ich diese Wände bemalte? Ob das Gemälde nun große» Wert haben würde oder nicht — meine Bilder singen damals au, in Mode zu kommen —, jcdensalls würde dadurch die Aufmerksamkeit der Reisenden auf das Haus gezogen wer den und dem armen Kerl geholfen sein. „Meisau", rief ich, „ich will dein Glück machen." Ich schickte ibn in die Stadt, Pinsel nnd Farben zu holen, und machte mich an die Arbeit. Acht Tage lang pinselte ich von früh bis spät drauf los. Ich improvisierte eine großartige Arche Noah. Alle Tiere waren vertreten, und in allerhand scherzhaften Verzerrungen brachte ich auch die Familie Metjan ans die Wand, wobei jedes Familienmitglied mit irgend einem phantastischen Tier geschöpf Aehnlichkcit hatte. Das ganze war eine Mena gerie, die sich sehen lassen konnte, nnd das stampfte, stupste, kletterte, brüllte und brummte durcheinander wie im zoologischen Garten zur Fiittcrungsstundc. In de» Lüften ließ ich alte erdenklichen Vogclartcn ihr Wesen treiben. Ich hatte cs mir große Mühe kosten lassen, den Raum nach Kräften ausznnutzem Natürlich kam alsbald die ganze Einwohnerschaft her bei, und in dem leeren Raume standen sie nun stundenlang und hatten an dem Bilde ihre Freude. Was die Besucher besonders fesselte und meinem Opus eine unerwartete Lvkalfarbc verlieh, war ein Fenster, das ich au der einen Seite angebracht hatte und durch das man die Eisberge, Fclscnmaucrn und den blauen Himmel sehen konnte. Es vervollständigte die Illusion, man befinde sich wirklich in der biblischen Arche Noah, die stier oben, gerade wo das Dorf lag, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel, gestrandet zu sein schien. Draußen malte ich eine große Inschrift an das Haus: „Zur Arche Noah", um die Passanten anzulvckcn. Mein Mann war entzückt. Wie alle ehrgeizigen Menschen hatte er Sinn für Reklame. Er verstand, welchen unerschöpf lichen Wert in dieser Beziehung das wunderliche Ge wimmel von Löwen, Elefanten, Kamelen, Enten und Küsten besaß. Meine Menagerie hatte in der Tat einen kolossalen Er folg. Sie wurde wirklich eine Sehenswürdigkeit. In -en Zeitungen deö Kanton- wurde mein Name gepriesen. Auch für mich war also die Reklame nicht gering, und der arme Metjan schrieb mir am Ende der Saison einen Brief voller Begeisterung, in dem er mir vorrechnete, wie viel Liter Milch, Wein und Absinth er verkauft hätte. Ich war glücklich nnd stolz über meine Tat. Im nächsten Jahre kam wieder ein Bries. Diesmal schmiedete Metjan allerlei Pläne. Sein Erfolg war »och größer geworden, und er wünschte, in offenen Wettkampf mit dem Kurhaus zu treten, k>is er. daut neuer Bauten, die er aussührcn wollte, in wenigen Jahren zu ruinieren gedachte. Teufel, sollte ich Unfrieden in dies friedliche Tal gesät staben ? dachte ich. Aber ich war doch nicht ernsthaft beunruhigt, und jeden Herbst erhielt ich einen Bericht von Mctiau, dessen Wohl stand von Jahr zu Jahr wuchs. Plötzlich ereignete sich etwas Furchtbares. Ich bekam eines Tages ein Schreiben von einem Advokaten. Er war mit der Verteidigung Metjans betraut, der wegen Mord angeklagt war und sich an» mich berufen batte. lind nun erfuhr ich, wie ans meinem Schützling, den ich als so sanften nnd bescheidenen Mann kennen gelernt hatte, ein Verbrecher acivordcn war. Die Einzelheiten des Konkurrenzkampfes zwischen dem Kurhaus und der Arche Noah will ich nicht verfolgen. Es war ein erbarmungs loses Ringen. Als Metjan von den hvchgclencn Weideplätzen, wo er seine Herden knngcführt »nd einige Tage verbracht hatte, zuriickgckehrt war, da hatte er die vier Wände seines Knnstoalais übertüncht vorgcfiindcn. Die Menagerie war für immer dahin. Sein Verdacht siel ans den Wirt des Kurhauses. Er nahm seine Flinte und lauerte ihm auf. Da er ein guter Schütze war, traf er ibn mitten ins Herz, der arme Teufel! Er wurde natürlich pern'stcilt. Das war gerecht. Aber die Sühne ging weiter. Die ganze Gegend geriet in Mitleidenschaft. Metjaus Familie mußte answandern. Sic zerstreute sich in alle vier Winde, heimatlos, elend. Das Kurstans ging in andere Hände über, aber der neue Besitzer statte kein Glück. Die Wirt schaft kam in Mißkredit. Die Reisenden kamen nicht mehr stierster und das Tal wurde öde nnd bekam einen schlechten Rn». So trugen alle Einwohner mit die Folgen der un glückseligen Tat. Die Arche Noah statte der Menscststeit offenbar nur einmal dienen sollen. Hier hatte das Gebilde nur lknsegen gebracht lind ich war von allem die unschuldige Ursache. Woraus stervorgestt. daß eS ein gefährlich Ting ist. in den Laus des Schicksals cingrcisen zu wollen, auch iu bester Absicht."
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