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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021208010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-08
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rckattio« «d LrpEr«: VresLe«r Stt-Hl«, St»H, S s«aqp«q« «ott r Nr. 171». Hmyt-FUiile Lerlln: «ntMäher Streße 11». Feresporcher Amt VI Nr. »SSL. Morgen-Ausgabe. MchWrIlUMM Anzeiger. ÄmtsLlatt -es HönigNchen Lair-- mr- -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und -es NMei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. »ZK 623. Mo«tag den 8. Dezember 1SVL Anzeige». Pre» di, -gespaltene Petit-etle ist ^m-h«eschl«ß flir Iiiyrize«: «d»,d-A«Mtzei Bo«M»D» u» VH«. ««rgou-Au-Mbet RnGnitwg» 4 Uhr. UMt,« fbib st— « Ri ScheRtt», rteEtt^RttouistwocheuwgSuwmtteAwch« geöffett M» fttih S R» «deud» 7 Üh» Druck rmd Verlag »o» «. P-l» iuLeip^g. S6. Jahrgang. Gohlis zu Schillers Jett. Am 17. Aprll 1786 war Friedrich Schiller nach einer sehr beschwerlichen Reise von Mannheim in Leipzig an gekommen, und acht Tage später schrieb er in einem Briese an den Ätchhändler Christian Schwan in Mannheim: „Man pslegt hier in vielen Familien den Sommer über auf -en benachbarten Dörfern zu kampieren und da- Land -u genießen. Ich werde auch einige Monate in dem Orte Gohli» zubrtngen, -er nur eine Biertelmetle von Leipzig entlegen ist und wohin ein sehr angenehmer Spaziergang Lurch da- Rosental führt. Hier bin ich willen-, sehr fleißig zu sein, an dem Carlos und der Thalia arbeiten und unvermerkt mich wieder zu meiner Medizin bekehren." Der Dichter führte seinen Entschluß aus und weilte vom 7. Mat bis 11. September 1736 als Sommergast in Gohlis, -esse« Schillerhaus ia noch an ihn erinnert. DaS heutige Gohli», -er über 30 000 Einwohner zäh lende Borort von Leipzig, hat im Laufe eines Jahr- Hunderts ein ganz verändertes Aussehen erhalten, und nur wenige Gebäude der einstigen Dorfstraße, jetzigen Menckestraße, haben sich aus jener Zett erhalten. Gohlis bestand, wie auch aus dem im „Bilderbuch aus der Geschichte der Stadt Leipzig" enthaltenen Plane des RosentaleS von 1777 ersichtlich ist, nur au- einer einzigen Straße mit 48 Hau-nummern. Recht» und link- von der Halleichen Straße, die jetzt die belebteste Berkehr-straße von GohltS ist, breiteten sich ausgedehnte Felber au-r die Rietzschke floß noch als munterer Bach durch breite Wiesen- flächen der Pleiße zu. Nach Leipzig führte quer über die Felder von Pfaffendorf eine Straße nach der Hallischen Vorstadt zur Gerbergafse. Sin Fußweg nach Leipzig durch bas Rosental, am linken Ufer der Pleiße ent lang, war 1777 angelegt worden; der Besitzer des Gohliser Schloßgute-, Hofrat Böhme, hatte zu den Kosten 160 Taler beigesteuert. Dieser Weg führte auf die zwischen Pleiße und Pleitzenmühlgraben gelegene Gohliser Müülinsel, die mit Rüstern und Linden bepflanzt war, welche eine Anzahl steinerner Bänke, die zum Teil noch heute stehen, be- schatteten. Hofrat Böhme ließ auf der Mühlinsel einen altarähnlichen Stein setzen, worauf auf der einen Seite die Worte: „Dem geselligen Vergnügen", auf -er anderen Seite: „Der einsamen Betrachtung" standen, un- um den Stein im weiten Kreise junge Kastanien anpflanzen, die, zu mächtigen Bäumen erwachsen, zum Teil heute noch rauschen und der Fugend ihre schmucken, zum Spiel vielbegehrtcn Früchte spenden. Den sreunblichen Platz nannte man nach der Inschrift auf dem Steine: „Gesellige- Ver gnügen". von der Mühlinsel stthrte ein Weg durch die Gohliser Mühle ins Dorf, ein anderer, von Hofrat Böhme angelegt, über -en Mühlgraben nach der vielbesuchten Dafferschenke. Da- am Ausgange de- Rosentals reizend gelegene GohltS wurde von den Bewohnern Leipzigs gern aus gesucht. In einer älteren Beschreibung heißt es: „Fn Gohlis, welches die Reinlichkeit eine- holländischen Dorfe-, nicht aber seine Steifheit hat, scheinen städtische Eleganz mit ländlicher Einfachheit zu streiten. Zwischen den schmuck- losen Häusern der Dorfbewohner standen hier und da ein- zelne reicher verzierte Landhäuser von Leipziger Bürgern. Die Dorfstrabe war sauber gepflastert und in ihrem bretteren Teile mit Linden bepflanzt, wie auch daS Dorf selbst von einer Lindenallee umgeben war. Wo jetzt die stattliche Kirche steht, befand sich ein Lindenhain mit einem Leiche. , Sie Dorfbewohner betrieben meist Landwirtschast und waren der Gut-Herrschaft untertan. Der Gut-Herr Pro- feffor Lüder Mencke, von -em die Mutter des Fürsten Bismarck abstammt, hatte 1720 eine neu« Dorfordnung aufgestellt, die da» öffentliche Leben im Dorf« regelte und die Pflichten nnb Rechte der Bewohner feststellte. Sie wurde halbjährlich von dem Richter der Gemeinde vor gelesen und enthält unter anderem die Bestimmung, daß alle Bewohner bei der Bezahlung von Steuern sich aller höhnischen und anzüglichen Reden, bösen Wünsche und an- derer grober unverantwortlicher Excesse gänzlich enthalten sollen bei Geld- un- Gefängnisstrafe. Da- idyllische Dorf leben »nd die schöne Umgebung von Gohlis übten eine starke Anziehungskraft auf die Bewohner Leipzig» aus, weshalb nach GohltS nicht nur Spaziergänge durch da- Rosental, sondern auch Gondelfahrten auf der Pleiße unternommen wurden. Biele Familien wählten sich bas Dorf zu ihrem Sommeraufenthalte, so daß sich die Zahl der Einwohner während der Sommermonate oft ver doppelte und bis auf 1000 stieg. Noch in den sechziger Jahren -e- vorigen Jahrhundert- beherbergte GohltS eine Anzahl Leipziger Sommergäste. Die Besuche der Einwohner von Leipzig galten na mentlich den zwei Gastwirtschaften beS Dorfe»: der Wafserschänke und der Oberschänke. Die Wasser schänke, später Walbschlößchen genannt, lag am Wasserschänke, späater Walbschlößchen genannt, lag am rechten Ufer der Pleiße, dort, wo sich jetzt die Schokoladen fabrik von Felsche befindet. Sie wurde besonder» von den feineren Familien Leipzigs ausgesucht, und in älteren Be schreibungen heißt eS: „In dem Garten der Wasserschänke findet man an den Morgen und Abenden im Sommer die besten Familien: man lebt da -em Orte angemessen, ganz in der Einfalt ländlicher Sitte. — Sonntag« ist es zum Erdrücken voll, schöne Frauen und Mädchen präsentieren sich hier, sitzen bet einer Portion Kaffee öfter den ganzen Nachmittag; junge Herren flattern um sie herum und bitten mn die Erlaubnis, sie nach Hause begleiten zu dürfen. — Fremde können in der Wafserschänke nicht nur gut spetsen, sondern auch Merseburger Bier, welche- hier sehr gut ist un- gemetnlich mit Brot und Zucker gemischt genoffen wird, bekommen. Damen pflegen sich mit Sahne und Limonade zu erquicken." Die Oberschänke, die heute noch vorhanden ist. wurde mehr von -em gewöhnlichen Volke, von der „niederen Klaffe de» männlichen und weiblichen Geschlechts" besucht, die Sonntag» hier gern dem Tanze huldigte. Auch lei den Studenten war ein AuSflug nach Gohli» beliebt. Auf einem 1773 gedruckten Blätte „Leipziger Studentengeographte" ist auch Gohli», und -war mit den Bemerkungen ausgenommen: „Merseburger. Die nützliche Pflanze der Gelehrsamkeit wird hier von dem vielen Knotenunkraut erstickt. Schade genug." Die Blick« der Besucher von Gohli» aber wendeten sich namentlich dem reizenden Schlößchen zu, da» im lieber- gangSstil vom Barock zum Rokoko, die Vorderseite de« Rosentale zu stehend, an der Stelle von drei kleinen Gütern 1765/60 von dem Kaufmann und Ratsherrn Caspar Richter erbaut worden ist. Mit besten Witwe ver heiratete sich -er Historiograph Hofrat Böhme, und dieser ließ den Saal beS Schlosse» durch Oeser mit Gemälden schmücken. Ein Besucher de» Schlößchens schreibt: „Hofrat Böhme war so gütig, mich im ganzen Gebäude selbst herum zuführen, welches er überhaupt gern tut. Es besteht aus dem Hauptgebäude und zwei Pavillon». Die Anlage und Einrichtung de» ganzen und jede» einzelnen Zimmer- ist überaus schön, und sie sind schön möbliert und mit herr lichen Kupferstichen au-geziert. Fn dem einen der oberen Zimmer hängt de- Besitzer- vil-ni» von Gras, und eS ist auch daselbst eine Landbtbliothek von schönen Werken der Literatur, die alle sehr prächtig gebunden und auf dem Bande mit goldenen Buchstaben mit de- vesitzer» Namen verzeichnet sind. Diese vüchersannnlung scheint stark zu verraten, daß sie zum Teil der Pracht halber mit da ist. Sie wird hinter Glastüren verwahrt. Die Decke de» oberen Saale- ist von Oeser« gemalt. Die Idee des Ge- mäldeS ist etwas schwer zu erraten, un- man bankt »em vesitzer für die Gefälligkeit, mit der er durch eine Er klärung zu Hülfe kommt. Die Pavillon» bestehen unten ebenfall» au» ver- schiedenen Zimmern, dir zum Teil mit kleiner Bildhauer arbeit au» der alten römischen Geschichte und Mnthologie geziert sind. Der Besitzer hat von Dresdner Porzellan sich ein clojsnns machen lasten, wo aus jeder Taffe und jedem anderen Stücke ein Prospekt von Gohli» und d«S Weges von Leipzig dahin gemalt ist: Es ist ein großer Be- weis von Kunst, hat aber dem Hofrat gewiß viel Gelb ge kostet, weil oft ein Stück nicht schön genug ausgefallen war und also mehr al» einmal mußte von neuem gearbeitet werden." « ' Am Schlöffe, nach de« Rosentale zu, wurde ein Park angelegt, den eine mit antiken Vasen geschmückte Mauer abschloß. Der Park war im französischen Geschmack ge halten und wurde wegen seiner schön verschnittenen Baum- gruppen, Rundteile und Statuen allgemein bewundert. Auch eine Kegelbahn fand sich an einer Seite des Parke» vor. Nach dem 1780 erfolgten Tode Böhme» erbte da- Gut besten Fra», und von dieser ihr Bruder, der Hosrat Hetzer, -er es besaß, al- Schiller in Gohli- wohnte. Das Gohliser Schloß mit seinem Turme wurde ge wissermaßen -a- Wahrzeichen von Gohli», da» jedem zuerst in die Augen fiel, und so singt denn ein empfindsamer Dichter: Da» alte Schlößchen, ring-um Nies' und Felder, Zerstreute Häuser, heimlich abgeschieden. von «in«« Gürtel dunkler Eichenwälder — Du bist», mein Gohlis, du mit deinem Frieden! Ein Gottwillkommen dir! O welche Freude, Daß ich dich wiederseh', mein kleine» Eden! Lenk', Freund, den Nachen hin zur alten Weide, Auch hem' will ich von oa an» Ufer treten! Unweit des Schlöffe», mitten auf der Dorfstraße stand da» Gemeindehaus von Gohli», in besten Erdgeschoß die Schule mit der Lehrerwohnung untergebracht war. Hof rat Böhme ließ da- Hau» durch Aufsetzen eine» Stock werke», worin ein Betsaal hergerichtet wurde, vergrößern. SonntagSnachmittag wurde nun hier Gottesdienst ab gehalten, denn Gohli» besaß keine eigene Kirch«, war viel mehr nach Eutritzsch elngepfarrt. Unmittelbar neben dem Gemetndehause befand sich ein kleinere» Hau», da» al- Gefängnis benutzt wurde, und an besten Wand zwei HalSeisen für Verbrecher, die am Pranger stehen mußten, angebracht waren. Bor der Schule standen öfter die Dorfspritze und der Leichenwagen wie eine Wagenburg aofgefahren, wenn dieselben nicht neben den Schulräumen in einer Remise untergebracht waren. Das Stillleben de» Dörfchens erlitt nun eine Unter brechung im Sommer» wenn bemittelte Bewohner Leipzig» hier ihre Sommerwohnung aufschlugen. Schiller mietete eine solche beim Gutsbesitzer Thristoph Schneider, und -war die bezog er, in besten Wohnhau» da» Obergeschoß, da» eine prächtige Aussicht nach dem Rosentale bot, weil die gegenüberliegende Stratzenbreite noch nicht bebaut war. Schillers Wohnung bestand aus einem Dachstübchen mit kleiner Kammer. Die weißgetünchten Räume waren mit den notdürftigsten Möbeln, einem Tisch, einigen Stühlen und einem Spiegel, auSgeftattet. Da» Besitztum Schneider» bildeten da» heute noch stehende Schillerhau», eine mit Stroh gedeckte Scheune und ein Stallgebäube. DaS neben dem Schtllerhause südlich gelegene Gebäude wurde erst nach Schiller- Aufenthalt aufgeführt. Zwischen dem Hause und -er Dorfstraße war ein freier Raum, wo de» Besitzers Ackergeräte standen. Während seines viermonatigen Aufenthalte» lernte der Dichter Gohli» und seine Umgebung näher kennen. Morgen» -wischen 3 und 4 Uhr durchstreifte er öfter bi« Felber nach der Hallischen Straße zu, und zuweilen mußte ihm ein ILjähriger Knabe mit einer Wasserflasche und einem Glase folgen. In -en Vormittagsstunden arbeitete er meist unter einer mächtigen Linde, die zwischen Wohn haus und Scheune stand, oder auch in einer dem OrtS- richter Möbius gehörigen Laube eine» Garten», auf beste« Fläche heute da» Restaurant zur Lchtllerlaube steht. Auch aus -em Schloßgute hielt er Einkehr. Hosrat Hetzer hatte ihm hier ein Zimmer für seine Arbeiten zur Verfügung gestellt, -a- eine hübsche Aussicht nach dem Rosentale ge währte. War Schiller anwesend, so wurde gesorgt, daß man ihn bei seiner Arbeit nicht störte. In Gedanken ver sunken, konnte man ibn auch öfter im Rosentale und auf dem an der Südseite de» Dorfes sich hinztehenden Wege, dem Poetenwege, sehen. Feuilleton. Lei -er Kartenlegerin. Skizze von Fritz Gtavenhagen (Hamburg). Nachdruck vibocen. Karl BeerSoom war ein eigentümlicher Mensch. Fielen thm da kürzlich einige aufbewahrte Schoten der „wohl riechenden Dicke", auch wohl Rtecherbse genannt, in die Hände, und diese Schoten saßen noch voll der kleinen schwarzen Srbsen. Er steckte diese in einen mit Srde ge füllten Blumentopf und stellte ihn vor da» Fenster. Da eS nun gerade November war, so war die Möglich keit nicht allzu groß, daß die Erbsen aufgehen würden. DaS bedachte Karl Beerbvom auch und war also sehr neu gierig, ob die Dinger doch aufgehen würden. Und da er, wie gesagt, ein eigentümlicher Mensch war, so ging er zu einer Kartenlegerin, um bet ihr über da» Schicksal der schwarzen Körner anzufragen. Nicht, daß er abergläubisch gewesen wäre, aber es reizte ihn, einmal bas Milieu einer solchen Wahrsagerin kennen zu lernen. Rach der engsten un- schmutzigsten Straße der Stadt Die» man ihn, da wohnte die alte, weltberühmte Aunertsch. Zwei schmale und dunkle Treppen hatte er zu ersteigen. Ein Geländer war nicht vorhanden, fondern man mußte sich an einem armdicken Seil vorwartStasten. Aber auch -lese» war schon zerschlissen und faserig, so daß man jeden Augenblick fürchten mußte, herunterzustürzen und den Hals zu brechen. Nachdem er dreimal vergeblich geklopft hatte, trat er ei» und befand sich auf einem noch dunkleren Korridor. Eine traurige Funzel leuchtete aus einem Raum linker Hand ihm entgegen. Er tastete sich dorthin und merkte bald, daß er sich in einer Küche befand. Und als sich seine Auge« an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er auf einem alten Sofa, da- neben dem Herde stand, eine -erbe, vierschrötige Frauensperson. „Entschuldigen Tie, sind Sie Frau Aunertsch?" fragte er schüchtern. „Nee", sagte sie, „die ist La nebenan, aber bletbeu Sie man so lange; da ist grad jemand drin. Setzen Sie sich man hier her** — sie rückte ein wenig zur Sette — „denn da» da drin kann noch lange dauern. „Wobnen Sic mit der Frau Aunertsch hier zusammen?" fragte Karl Beerb»»«, nachdem er vorsichtig auf dem ominösen Sofa Pl^z genommen hatte. -»Ja! Aber ich bin fast den ganzen Tag au» arbeiten; und »n komm ich eben zu Hau-, und denn, misten Sie, denn hat «an Hunger." Und st» hieb tapfer in eine Schwarzbrotstulle ein. „Hier ist e» sehr dunkel", fuhr Karl Beerboom gedrückt fort — ihm klopfte da» Herz, er nmßte selbst nicht, warum. Da die Frau nicht» erwiderte, fragte er — nur nm B«a» »u sag« -r Wahlen Sie «iel Ktete k!« „Ich?" antwortete die Frau beinahe gekränkt, „ich be zahl garnichtS! Da» wär noch schöner. Dafür mach ich doch der Aunertsch alle- rein. Und die gibt mir garnichtS dasor; nich 'n Pfennig. Hier, auf dies Sofa, schlaf ich, da» ist mein Bett. Wir könn' daS nich alle so haben, wie die da." Sie zeigte nach nebenan. „Ich habe auch gehört, das Geschäft als Kartenlegerin soll ganz einträglich sein." „Einträglich? Was ist daS?" „Nun, «an verdient gut dabei." „Na, bas will ich Ihnen man sagen, ob Sie mir da nn glauben ober nich, aber 'n besseres Geschäft gibts garnich." »Marum hat denn aber die Frau dann eine so scheuß liche Wohnung?" „Na, deshalb iS sie ja -och so berühmt, weil das hier so grauslich iS. Das woll'n die Menschen ja man bloß, wenn sie zu 'ner Kartenlegerin geh'n!" Damit verschwand die Frau und ließ Karl Beerbvom mit seiner neuen Weisheit allein. Mein Gott, das war auch eigentlich hier zu unheimlich ... dieses Schweigen ... Gott sei Dank, endlich trat ein menschliches Wesen ein, und zwar ein weibliche-. SS erklang ein bescheidenes, zartes: „Guten Abend!" Dann setzte sich das Wesen in Sie andere Ecke de» Sofas. Karl Beerbvom blickte träumend in» Licht. Diesmal wollte er nicht zu sprechen anfangen, denn er hatte durch aus keine Angst mehr. Im Gegenteil, diesmal schien jene, nicht näher erkennbare weibliche Gestalt vor thm etwas wie Furcht zu empfinden, denn sie saß nicht eine Sekunde still. Sie räusperte sich, schurrte einige Male mit den Füßen hin un- her und fragte endlich leise: „Sitzen Sie schon lange hier?" „Na . .. etwa eine Biertelstunde." Wieder eine Pause. Er kam sich vor wie ein Tyrann, er empfand ein wohlige» Gefühl, wie er an ihren Be- wegunge» die grenzenlose Verlegenheit bemerkte, die er durch seine kurze Antwort verursacht hatte. Aber sie mußte, sie mußte sprechen! Und so erzählte sie denn: „Ich - . . ich möchte nämlich gern misten, ob . . . öS wir unser Zimmer vermietet kriegen." „Aha!" dachte Karl Beerboom, sagte aber nichts. „Heut morgen hab ich den Zettel rau»gehängt. — Mein Papa wollt' e» erst nicht. Und Recht hat er ja eigentlich auch; immer besser, wenn man nicht» mit fremden Leuten zu tun hat. — Aber e» ist jetzt alle» fo teuer, Fleisch kann man schon gar nicht mehr jeden Tag essen. So hab ich ihn schließlich doch so wett gekriegt, bi» er e» zugegeben Lat. — Und nun wollt' ich eben gern misten, ob wir Glück damit haben ..." „Ihre Stimme klingt nicht übel", dachte Karl Beer» boom. Laut sagte er:„Si« glauben als», da» Ihnen di« Frau dal jag« kann?- ES wurde das etwas schroff und spöttisch gefragt, und deshalb wntzte die kleine Person nicht gleich eine Antwort. Sollte sie für oder gegen die Kartenlegerin sprechen? „Ich? Ach, alle» trifft ja nicht ein, wa» sie sagt, aber viele» doch. Ich bin ost hier — alle» kann ja auch gar nicht eintressen. Nicht wahr?" Diese» „Nicht wahr?" klang so kindlich, süß, so -art- mädchenhaft, baß Karl Beerbvom» Gefühlsthermometer um mindesten» zehn Grad in die Höhe sprang. Er rückte ein Stückchen näher zu ihr heran und nahm eben einen Anlauf zu einer glänzenden Ansprache, al» aus dem Nebenzimmer jemand herauögelaflen wurde und sich eine bebrillte, ledertrockene Alte zeigte. „Nun? Wer war denn erst da? Sie wohl, junger Mann, ich hab Sie schon gehört." Diese Worte machten ihn für eine Stunde ganz per- plex. DaS Weib wußte doch etwa». Also schritt er in da» Allerheiligstc. S» war ein engeS, niedrige» Zimmer, aber durchaus nicht ärmlich auSgeftattet. Sogar ein Teppich lag aus dem Boden, auf dem Tisch eine neue, dunkle Decke, und das Sofa, wie die beiden Gessel waren mit blaugeblümtem Stofs überzogen. DaS Fenster «ar verhängt und die Lampe brannte. Bor dem Fenster stand ein großer, offener Bauer, der In sasse aber, ein Papagei, kletterte auf dem Stuhl der Asien herum. Sie hatte gleich zu mischen begonnen, er mußte einmal abnehmen, und sie begann, die Karten zu legen. Als sic die sechste Karte auf den Tisch gelegt hatte, stieß sie den andächtig zuschanenden Karl Beerbvom kräftig gegen die Schulter. „Aber, junger Mann, Sie «erde» bald Hochzeit machen! Da, da» find Sie, und die HerzenSbame ist die Brant. DaS wollten Sie doch wissen, nicht?" Er schwieg und lächelte. Sie nahm die nächste Karte. „Ah, nu guck einer an! Ihre Dame ist schwarz!" Sr sprang vo« Sitz aus: „Was, «tue Negerin?" „Nee, nee!" lachte sie, „baß nicht, sie -ar bloß kohlpech- rabenschwarz«» Haar. Sehen Sie, neben ihr liegt Pique- S«hn." Wieder legte sie einig« Karte» in eine neue Reihe, dann sann sie «ach. „Soldat werden Sie nicht." Darin hatte sie unbedingt recht, denn — er «ar längst vom Militär frei. Aber er schwieg und lächelte. „Sie find Schneider?"' Ueber bi« Brillengläser hin- weg sah sie ihn scharf an, «nd Karl Veertzoom mußte lachen. " Richt? Aber Sie haben eine sitzende Beschäftigung?" Donnerwetter! dachte er, die Bezeichnung ist fast un- begrenzt, darunter kann man alle» mögliche »erstehen. „Wad find Sie denn? Si« könne« e» mir t» gerne sagen." St« war rührend, di« „berühmte" Aunertsch. Mit ge« hör« Möchte, hatte sm WpDl »sch X« -n yepaht. Und Karl Beerbvom dachte immer nur an seine Riech erbsen. Würben sie aufgehen? Oder würden sie nicht auf gehen? Aber er erfuhr die Antwort darauf nicht. Gr legte endlich fünf blanke Nickel auf den Tisch und schied schweigend von dem Orakel, dem er ein Rätsel war. Gin gute» Stück war er schon wieder durch die schmutzige Straße gestiefelt, dann hielt er plötzlich inne: wa» würde die berühmte Krau dem jungen Mädchen sagen? Da mußte er noch misten. Er ging also wieder zurück. Sie erkannte ihn gleich wieder und schien nicht sehr er staunt zu sein, baß er sie erwartete. Auch sie >var nicht zufrieden: „Unser Zimmer wird nicht vermietet. Wir haben angefragt, bloß ob ja ober nein. Daun «erden alle Karten in vier Reihen gelegt, und man zählt immer die siebente ab und nimmt sie rau», so immerfort; und wenn zwischen den letzten fünf Karten mehr al» zwei Aß sind, trifft e» ein. — Und bei mir blieb gar kein Aß, — wir haben eS dreimal gemacht." „Ach, da» tut mir aber leib!" „Hahaha!" sie lachte hell und freudig. „Ich denke. Sie glauben gar nicht dran? Dann trifft e» ja auch nicht ein." Da» junge Mädchen machte einen so guten Eindruck auf ihn, daß er sie zu einer Tafle Kaffee einlud. Sie nahm an, und bald faßen sie plaudernd in einem weichen Plüsch sofa hinter einem Marmorttsch. Immer dichter steckten sie die Köpfe zusammen, immer tiefer sahen sie sich in die Augen. Nicht lange, da fühlte Karl Beerboom ihre kleine weiche Hand in der seinen, und sie war plötzlich auffallend still. Bald sah sie hinaus, aus die belebte Straße, bald richtete sie ihre Blicke zu Boden, und er hatte zum ersten Male Muße, sie genauer zu be trachten. Plötzlich ließ er vor Schreck ihre Hand fallen und schaute auf ihr Haar: eS war schwarz, kohlpechra-cnschwarz! „WaS ist Ihnen denn?" „Sie ... Sie haben ja schwarze» Haar, da- sehe ich jetzt erst." „Das hatte ich aber schon immer. Un- darum erschrecken Sie so?" Sie wandte sich ab, fast ein wenig beleidigt. Sie umzustimmen, und damit sie sich wieder umdrehe, erzählte er ihr, was ihm die „Aunertsch" au- den Karten wahrgesaat hatte. Darüber mußte sie lachen, und er stimmte ein. Und dann fand er plötzlich ihr schwarze» Haar ent- zückend, und fragte bescheiden, ob er e» mal ansaffen dürfe. Sie neigte ihm ihr Köpfchen zu, und Karl Beerbvom zeigte sich der Situdtton gewachsen: er nahm ihre» Kopf zwischen seine Hände und küßte da» glänzende Haar voller Fn- brunst. Al» er fie später nach Hause begleitete, war ihm ein klar: diese kleine, schwarz« Hexe würde er nicht wieder freigeben, und al» er dann an die Riecherbsen und di« alte Aunertsch dachte, mußte er lächeln....
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