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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021208025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-08
- Monat1902-12
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Die Sprache de« „Vorwärts" gibt bereit« einen Vorgeschmack dessen, waS bei dieser Gelegenheit von den Sozialdemo kraten zu erwarten ist. Und da nun der Aba Singer e« bereit- so weit getrieben hat, einen vom Präsidenten auf Grund de« § 60 der Geschäftsordnung über ihn ver hängten Ausschluß von der Sitzung nicht Folge zu leisten, so dürste e- sich empfehlen, den erwähnten Antrag dahin zu er weitern, daß dem Präsidenten ausdrücklich die Befugnis erteilt wird, den Ausschluß eine- renitenten Abgeordneten zu erzwingen. Eigentlich ist e« ja rin Unding, daß dem Präsidenten die Au«w«suagSbefugniS zusieht, aber nicht die Macht, die Aus weisung dürchzuführen. Aber diese» Unding ist nun einmal in die Geschäftsordnung dadurch hineingekommen, daß man dem PafsuS, der die AuSweisungSbefugniS erteilt, den andern hinzusügte: „Leistet dasselbe (das Reichstagsmitglied) der Anf- forderuna keine Folge, so hat der Präsident in Gemäßheit des §6l dieserGeschäfiSordnung zuverfadren",d.h. er hat die Sitzung auf bestimmte Zeit auSzutetzen oder ganz aufzubeben. Durch diesen PafsuS ist also dem Ausschließungsrechte des Präsidenten daS Recht der ReichStagsmitglieder zur Renitenz an die Seite gestellt. ES würde nun unseres Erachtens au-reichen, den eben wörtlich citierten PassuS einfach zu streichen, denn dann würde sich das Recht des Präsidenten zur Durchführung einer Ausweisung von selbst versieben. Aber bei der Wortklauberei, die nun einmal im Reichs tage herrscht, ist eS besser, den Präsidenten ausdrücklich ru bevollmächtigen, seiner Ausweisung Nachdruck zu geben. Und da man einmal daran geht, die Geschäftsordnung zu ändern, so sollte man nicht zaudern, au« ihr auch einen inneren Widerspruch zu entfernen, der im AuSlande komiich wirken muß. Wie in anderen großen Staaten die parlamentarische Disziplin gehandhabt wird, lehrt eine Zusammenstellung der „Köln. Ztg.*. Sie beginnt naturgemäß mit dem englischen Parlamente, da» auf die längste Geschichte zurückvlickt, die wertesten Befugnisse besitzt und die schärfsten Maßregeln gegen «»botmäßige Mitglieder erlassen hat: Die Obstruktion ist dort eine alte Erscheinung. Im Jahre 1771, um nur »in Beispiel herauszugreisen, veranlaßte über die Frage, ob die Drucker der Verhandlungen des Unterhauses straibar seien, die Minderheit nicht weniger als 23 Abstimmungen, und Burke behauptete, „die Nachwelt würde die Hartnäckigkeit dieses Tages preisen". Die Nachwelt denkt ander» darüber. In dem letzte» Drittel des neunzehnten Jahrhundert» und bi» in die letz»» Wochen diese» Jahre» hinein bildeten sich ausführliche Regeln au« die einer Stauung wirksam entgegen arbeiten sollen. Im Jahre 1877 erklärte der Sprecher, daß „ein Mitglied, da» geflissentlich und hartnäckig di« öffentlichen Geschäfte ohne rechtliche und billige Ursache hemme, sich der Mißachtung des Hauses (coutempt ot tdo Lonne) schuldig mache und eine Strafe verwirke, sei eS durch Rüge, zeitweiligen Autschluß oder Verhaftung, Wie «S daS Hau» für gut halte". Diese allgemeine Regel wurde in den folgenden Jahren in genauere Bestimmungen eingekleidet. Ein Mitglied, da« der mehrfachen Aufforderung des Sprechers, Ruhe zu halten oder sich an den Sprecher zu wenden (und nicht an das Haus oder einzelne Mitglieder), nicht Folge leistet, wird zunächst durch die Mehrheit mit lauten Rufen: „Oräer" und „okair" zur Ordnung gerufen. Der Sprecher oder bei Einzelberatungen der Vorsitzende kann den Ab geordneten, der sich überhaupt ungebührlich ausführt, ausfordern, sich sofort für den Rest der Sitzung zurückzuziehen oder, wenn der Sprecher die ihm durch die Regeln der Geschäftsordnung (stanäink rulea) zustehenden Befugnisse für nicht ausreichend erachtet, das Mitglied bei drffen Namen zu nennen (anstatt wie üblich, als „Mitglied für So und So" zu bezeichnen) oder das Hau» ouffordern, über das Verhalten de« Betreffenden zu entscheiden. Wer mit seinem Namen angerufen wird, ist mit dem Ausschluß bestraft, zum ersten Male auf eine Woche, zum zweiten Male für vierzehn Tage, und dann jrdtSmal für einen Monat, und darf nicht innerhalb der Gebäulichkeiten des Hause» erscheinen. DaS Mitglied, Lessen Benehmen zur förm lichen Erörterung steht, muß den Saal verlassen; in anderen Fällen darf e» Erklärungen geben und Entschuldigungen vor bringen. Fälle, ia denen »in Mitglied mit Namen genannt wurde, werden seit 1792 aufgeführt. Einmal hatte der berühmte O'Conell sich den Weisungen de» Sprechers nicht gefügt und wurde mit Namen genannt; er bat um Entschuldigung, und der Fall war damit erledigt. 1881 aber wurden Dillon, Parnell und andere Iren durch Namennennung unmittelbar ausgeschlossen. Auch da» Ober haus hat bestimmte, wenn auch weniger ausführliche Regeln, die ihm gestatten, die Disziplin ausrecht zu halten. In beiden Häusern gibt rS einen Serjeant-at-ArmS, der dem Vorsitzenden untersteht und dessen Befehle gegen einzelne Mitglieder au-zuführen hat. Er hält im Allgemeinen die Ordnung im Saale und im Hause aufrecht. Wenn eia Mitglied, daS der Sprecher mit Namen genannt hat, sich nicht sofort zurück- zieht, erscheint der Serjeant-at-Arms und nimmt ihn fest, indem er ihm die Hand auf die Schulter legt; folgt der Bestrafte dann nicht freiwillig, so erscheinen die Büttel und schleppen ihn weg. DaS ist wiederholt vorgekommeu und wird noch vorkommen, so lange Irland sich nicht vorsichtiger in der Wahl der Personen zeigt, die es nach Westminstrr entsendet. Zur Sicherung de» Geschäftsganges sind wiederholt, dauernd und vorübergehend, besondere Maßregeln beschlossen worden. DaS Parlament hat es ganz in der Gewalt, eine durch Obstruktion verschleppte Verhandlung abzubrechen und die „stehenden Regeln" zu ergänzen, wo sie nicht ausreichen. Hierüber giebt es ein umfangreiches Recht, daS im Jahre 1893 bei der Behandlung der zweiten und letzten Home Rule- Vorlage eine schärfere Fassung erhielt. Gladstone sah sich genötigt, der endlosen Beratung ein Ziel zu setzen. Die Geschäfts ordnung ermöglicht den Abbruch der allgemeinen und der Einzel beratung, sobald die Mehrheit Len Schluß für notwendig eiachtet, auch wenn noch Verb.sserungSonträge vorliegen. Diese Regeln erwiesen sich vor kurzem bei der Beratung der Unterricht»- > Vorlage nicht al» ausreichend, und wie Gladstone seine Home Rule-Borlage damals gegen die Konservativen und Unionisten mittelst der Guillotiurparagraphrn allerdings nur im Unterhaus« durchgebracht hatte, so ist e» jetzt Balfour gelungen, neue Bestimmungen zur Annahme zu bringen, so daß die Unter- richtevorlag« an dem Tage, den da» Hau» dafür vorher bestimmt hatte, gegen den Widerstand der Liberalen zur Erledigung kam. Die bei dieser Gelegenheit neu ausgestellten Regeln sind am letzten Montag der Geschäftsordnung de» Hauses endgiltig «invrrleibt worden. Die Geschäftsordnung der französischen Kammer kennt vier Disziplinarstrafen: l) OrbnungS>uf, 2) Ordnungs ruf mit Eintragung inS Sitzungsprolokoll, 3) Rüge (consurv), 4) Rüge mit zettweiligem Ausichluß. 1) Zur Ordnung gerufen wird jeder Redner, der gegen die Ordnung verstößt, jeder Abgevidnete, der sich durch Unterbrechungen, durch persönliche Bemerkungen,' urch ordnungswidrig» Kundgebungen, durch laute Befragung eine» anderen Abgeordneten usw. stört. (Art. 107 u. 108.) 2) Zur Ordnuug gerufen mit Eintragung ins Proto koll wird der Abgeordnete, der in derselben Sitzung sich einen ersten (einfachen) Ordnungsruf zugezogen hat. (Art. 119.) Ein solcher verschärfter Ordnungsruf Hot den Verlust der halben Diäten während 14 Tagen zur Folge. (Art. 120.) Ist ein Redner zweimal in derselben Sitzung zur Ordnung gerufen worden, so kann ihm für Len Rest der Sitzung auf den Vorschlag de» Präsidenten da» Wort entzogen werden. Die Kammer entscheidet darüber ohne Debatte durch Auistehen und Sitzenbleiben. (Art. 122.) 8. Die Rüge (censure) wird erteilt: a. dem Abgeordneten, der nach einem Ordnungsruf mit Eintragung ins Protokoll sich nicht auf seine Pflicht besinnt, d. dem, der in einem Zeitraum von dreißig Tagen sich drei Ordnungsrufe zugezogen hat, o. dem, der in der Kammer daS Zeichen zu einem lärmenden Austritt giebt oder zu einer kollektiven Enthaltung von der Teilnahme an den gesetz geberischen Arbeiten, ä. dem, der seine Kollegen beleidigt, heraus- fordert oder bedroht. (Art. 123.) Die Rüge hat den Verlust der halben Diäten während eines Monat» zur Folge. Außerdem wird in 200 Exemplaren auf Kosten de» Betroffenen der die Censurverhängung enthaltende Ausschnitt des Sitzungs protokoll» gedruckt und in allen Gemeinden angeschlagen, die den Abgeordneten gewählt haben. (Art. 128.) 4. Die Rüge mit zeitweiligem Ausschluß au» dem SitzungSgtbäud« wird erteilt: a. dem Abgeordneten, der in derselben Tagung schon zwei einfache Rügen erhalten hat d. dem, der in öffentlicher Sitzung zu Gewalttätigkeiten und zur Verletzung der VerfassungSgeietze aufrust, o. dem, der die Kammer, einen Teil der selben, den Präsidenten der Kammer, ein Mitglied der Regierung, den Präsidenten der Republik oder den Senat beleidigt u'w. (Art. 124). Eine solche verschärfte Rüge schließt das Verbot ein, an den Kammerverhandlungen teilzunehmen und im Kammergebäude zu erscheinen, bevor der Tag der 15. darauffolgenden Sitzung abgclausen ist. Folgt der Abgeordnete infolge solcher Maßregelung nicht der Aufforderung, den Sitzungssaal zu verlassen, so wird die Sitzung aufgehoben. (Art. 125.) Erscheint der Abgeordnete vor Ablauf der gesetzten Frist, so wird er auf Befehl der Quästoren verhaftet, in einen dafür hergerichteten Raum geführt und dort nicht über drei Tage festgehalten. (Art. 126.) Im Falle eine» solchen Wiedererscheinen» und auch, wenn die verschärfte Zensur in der nämlichen Tagung ein zweite» Mal denselben Abgeord- neteu trifft, so wird di« Ausjchlußzeit auf 30 Sitzungen aus gedehnt. (Art. 126.) Di« „verschärfte" Rüg« hat deu Verlust der halben Diäten während zweier Monate zur Folge. Dazu kommt natürlich der öffentliche Anschlag in den be treffenden Gemeinden. (Art. 128.) Ueber dir verschärlte wie die einfache Rüge enticheitet die Kammer durch Ausstehen und Sitzen bleiben, ohne Debatte. Die Kammerpolizei wird vom Präsidenten auSgrübt. Ec hat daS Recht, die bewaffnete Macht und oll« Behörden zu requirieren, deren Mithülfe ihm nötig erscheint. Zur sofortigen Verfügung steht ihm die militärische Kammerwache, die er beispielsweise herbeirust, wenn nach Erteilung einer verichärftea Rüge der bestrafte Abgeordnete sich weigert, den Saal zu verlassen. In Italien bestimmt der Artikel 80 der Geschäft«- vrünung: „Beschwerden bezüglich der Tagesordnung, der Geschäftsordnung oder des Vorrangs von Abstimmungen haben den Vorrang vor der Hauptfrage. Ja diesen Fällen können nach gemachtem Vorschlag nur ein Redner gegen und «in Redner für denselben das Wort erhalten." Noch der mehrmonatigen Obstruktion der Sozialisten in der Tagung 1899—1900 nahm die italienische Kammer unter Mit wirkung aller Parteien, auch der Sozialisten, Verschärfung«» der Geschäftsordnung vor, indem sie die ganze Geschäftsordnung durch einen Ausschuß durchsehen ließ und die so umgearbeitete Ordnuug am 1. Juli 1900 ohne erhebliche Erörterung gut hieß. Es wurden damals dem Präsidenten neue wirksame Waffen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in die Hand gegeben, u. a. im Artikel 43 ausdrücklich die Befugniß, die bewaffnete Macht in den Sitzungssaal zu rufe», um unbotmäßige Abgeordnete zum Gehorsam zu zwinge». Außer dem wurde die Möglichkeit, namentliche Abstimmungen herbei- zuführrn, erheblich eingeschränkt, indem sie völlig ausgeschlossen wurden bei der Genehmigung des Sitzuugsprotokolls, den Urlaubs- geiuchen und allen das geschäftliche Verfahren betreffenden Fragen, Zur Arbeiter-Reichstagskaudidatur tu BreSla«. Wie schon berichtet worden, beabsichtigen die Bres lauer Freisinnigen, den Führer der vom Kaiser empfangenen Arbeiterdeputation Federschmieü Slammt bei den nächsten Reichstagswahlen als Kandidaten aufzustellen, wobei sie erwarten, daß auch die Kvuservativen im Hinblick auf die Kaiserrede vom 5. De zember diese Kandidatur unterstützen werden. Da Klommt seit Jahren als rühriger Anhänger der frei sinnigen Volkspartei in Breslau bekannt sein soll, ist es begreiflich, daß die Breslauer Freisinnigen aus der letzten Kaiserrede für die Reichstagswahlen eine prak tische Konsequenz ziehen, die in Anbetracht der Breslauer Verhältnisse durchaus begrüßt werden kann. Bekanntlich sind beide Breslauer Wahlkreise seit der Reichstagswahl von 1898 sozialdemokratisch vertreten, und auch bei der Nachwahl im Mürz dieses Jahres hat „Genosse" Bern- stein das Mandat von Breslau-West behauptet. Für welchen der beiden Breslauer Wahlkreise die Kandidatur Klammt ausgestellt werden soll, darüber ist bisher noch nichts mitgeteilt. Günstiger liegen die Stimmenverhält nisse in Breslau-Ost; bei einem einmütigen Zusammen gehen der bürgerlichen Parteien, wie es auf Grund der letzten Kaiserrede vielleicht erzielt werden kann, ist es nicht ausgeschlossen, daß hier eine Kandidatur Klammt Er- Feuilleton. 7, Der Untersuchungsrichter. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. Der Untersuchungsrichter hatte mit einer instinktiven Bewegung sein Gesicht gesenkt. Ein paar Sekunden lang herrschte nach den Worten SchwielinSkis völlige Stille. Nur das Kratzen der Feder des Protokollführers, der emsig schrieb, war hörbar. Jetzt blickte der GerichtS- schretber nach seinem Vorgesetzten hin. Dieser nahm endlich wieder das Wort. „Haben Sie geschrieben?" fragte er, ohne seinen Blick zu erheben, mit einer merkwürdig heiseren, klanglosen Stimme. „Als der Borgeführte den Flur durch den Hin teren Eingang betrat —" „Jawohl, Herr Landrichter", erwiderte der Protokoll führer. Der Untersuchungsrichter wandte sich wieder dem Arrestanten zu. „Sie wollen also gehört haben, daß jemand die Woh nung des Ermordeten durch den vorderen Anisgang verließ?" „Ja." „Können Sie sich auch nicht irren?" „Nee. Ich habe doch 'n ganz gutes Gehör. Die Tür wurde ganz kräftig zugeschlagen. Man hörte es durch die ganze Wohnung schallen. Der Weggehende muß es sehr eilig gehabt haben." Der Untersuchungsrichter warf einen raschen, kurzen Blick zu dem Arrestanten hinüber; den Kopf hielt er da bei noch immer gesenkt. Die Frage kam etwas zögernd und in merkwürdig gepreßtem Tone heraus: ,Haben Sie denn gesehen, wie der Betreffende aussah?" „Nee. Wo werd' ich denn? Ich sagte ja schon, baß ich in dem Moment ganz hinten war — in der Küche. Ich war doch eben erst etngetreten, alv der andere vorn wegging." Der Untersuchungsrichter richtete sich straffer in die Höhe und erhob gleichzeitig sein Gesicht. „Haben Sie sonst etwas gehört — ein Geräusch, einen SchutzN „Nee." „Ist Ihnen überhaupt etwas Außergewöhnliches aus gefallen?" „Nee, gar nicht. Ich dachte doch einfach, es ist eben jemand zu Besuch bet dem Herrn Assessor gewesen." „Und Sie selbst, sind Sie dann nach vorn gegangen?" Der Gefragte ließ seinen Kops sinken und seine Hal tung verlor sichtlich an Sicherheit und Selbstbewußtsein. Ja, er knickte förmlich zusammen; seine Augen blickten unruhig hin und her. Er öffnete ein paar Mal den Mund und schloß ihn wieder, ohne gesprochen zu haben. Der Untersuchungsrichter und der Protokollführer be obachteten ihn interessiert. Sie wußten sofort, daß der Verhaftete an einem bedeutungsvollen Punkt seiner Aus- sage angclangt war und hin- und herschwankte, ob er die volle Wahrheit sagen sollte, die ihn vielleicht erheblich belastete, oder nicht. „Nun!" mahnte der Untersuchungsrichter. „Ant worten Sie, SchwiclinSki! Betraten Sie die Zimmer des Assessors oder nicht?" Der Arrestant zuckte mit den Schultern und finsterer Trotz sah wieder aus seinen Augen. „Hm, es ist ja ganz egal, was ich sage", stieß er heftig hervor. „In Ihren Augen bin ich's ja doch gewesen. Sie lassen sich's ja doch nun 'mal nicht auSreden, daß ich's getan habe. Der Herr Kommissar hat mir's ja schon auf den Kopf zugesagt." „Was denn, SchwiclinSki?" „Na, daß ich ihn abgcmurkst haben soll." Der Untersuchungsrichter schüttelte mit dem Kopfe und sah den Verhafteten mit anfmunterndem, begütigendem, fast mitleidigem Blick in die Augen. „Ich denke gar nicht daran, das zu behaupten", sagte er. „Die Aussage des Dienstmädchens hat Sie ja in ge wisser Hinsicht verdächtigt, aber die Ueberzeugung, baß Sie der Täter sind, habe ich noch lange nicht. Vom Verdacht bis zur Ueberführung ist noch ein langer Weg, und wenn Sie sich unschuldig fühlen, so tun Sie jedenfalls gut, gleich von vornherein die volle Wahrheit zu gestehen. Denn da- werben Sie sich ja selber sagen, wenn Sie erst eine falsche Aussage machen, die Die später wieder zurücknehmen müssen, dann mutz sich natürlich Ihre Lage verschlechtern, denn dann können wir Ihnen ja überhaupt nicht mehr glauben und wir müssen uns bann doch natürlich sagen: Warum lttgt er, wozu macht er falsche Angaben, wenn er nicht der Täter ist!" Diese in eindringlichem, festem Tone gesprochenen Worte des Untersuchungsrichters schienen ihre Wirkung auf den Arrestanten nicht zu verfehlen. Die Starrheit und finstere Hoffnungslosigkeit wichen auS seinen Zügen. Es zuckte und wetterleuchtete in dem verkniffenen, frechen Gesicht. Seine Hände, die sich zur Faust geballt hatten, lösten sich. Jetzt ging ein Ruck durch seine kräftige, muskulöse Gestalt, er machte einen Schritt nach dem Tisch des Untersuchungsrichters hin und rief laut und heftig: „Unsinn! Ich denke gar nicht daran — keine Ahnung, daß ich's gewesen bin. Aber wenn der Kommissar gleich so auf einen einredet und einem gleich von vornherein auf den Kopf zusagt: „Sie sind's ge wesen! Machen Sie keine Flausen! Wir wissen s ganz genau", dann natürlich, dann wird man tückisch, dann nimmt man sich vor: nun sagst du gar nischt mehr. Glauben tun sie dir ja doch nicht. Ich — hahaha — wenn ich's gewesen wär', dann, na natürlich, dann hält' ich ihn doch auch gefleddert." Der Protokollführer machte einen förmlichen Satz auf seinem Stuhl und auch -er Untersuchlmgsrichter blickte erstaunt auf. „Dann hätten Sie ihn gefleddert?" wiederholte er. „Ja, sagen Sie 'mal, woher wissen Sie denn, daß der Er mordete von dem Täter nicht beraubt worden ist?" Der Gefragte machte ein unendlich verblüfftes Gesicht und im Nu wurde er rot bis zur Stirn hinauf. Er biß sich ärgerlich über sich selbst in die Lippen und stampfte zornig mit dem Fuße auf. Der Untersuchungsrichter schüttelte ernst mit dem Kopfe. „Sie sind ein recht törichter Mensch, Schwielinski", sagte er. „Nun haben Sie sich schon zweimal auf falschen Angaben ertappen lassen. Gestern abend haben Sie dem Herrn Polizeikommiffar gegenüber behauptet, Sie wären gar nicht bei Ihrer Mutter gewesen. Mir gegenüber haben Sie zugegeben, daß Sie zwischen halb und sieben abends bet Ihrer Mutter waren. Dann haben Sie sich zweitens vor dem Herrn Kommissar so angestellt, als ob Sie überhaupt von der Ermordung des Assessors nichts wüßten und erst durch ihn von derselben erführen. Jetzt haben Sie sich nun in der Erregung «erschnappt und haben eben durch Ihren Ausruf bekundet, daß Sie von der Tat genau unterrichtet sind und sogar darüber, daß der Ermordete nicht beraubt worben ist, was ja tat sächlich der Fall ist. Nun sagen Sie mir doch endlich dir volle Wahrheit! Woher wissen Sie, daß dem Ermordeten die Wertsachen nicht abgeuommen worben find?" Der Untersuchungsrichter heftete in ersichtlich großer Spannung seine Blicke auf das zu Boden gelehrte Gesicht des Verhafteten. Jetzt hob Schwielinski mit einem Ruck seinen Kopf. „Das ist ja wahrhaftig, als wenn — als wenn Sic einem Daumenschrauben anlegen", stieß er gellend her vor, und dann schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn. „Na ja, warum habe ich auch nicht gleich die volle Wahrheit gesagt.... Aber man weiß ja nicht, was das Beste ist. Man will sich doch auch nicht belasten, wenn man auch weiß, daß man nicht -er Täter ist. Aber es ist doch schon oft genng dagewcsen, daß einer unschuldig ver- knaxt worden ist, weil die Indizien gegen ihn sprachen. Und das ist mein Fall, die Indizien sprechen gegen mich und ich bin's doch nicht gewesen." „Das behaupte ich ja auch nicht, Schwielinski", be gütigte und ermunterte der Untersuchungsrichter. „Also, wie war's?" Der Gefragte strich sich mit der Hand über die Stirn und begann: „Na, das war ganz einfach. Und wenn ich nicht schon ein paar Vorstrafen auf dem Kerbholz hätte, wär' ja auch gar nichts dabei. Aber so — na ja, da trauen Sie einem immer gleich alles zu. Aber wenn man 'mal 'n paar Mark unterschlagen oder einem im Streit eins auf den Kopf gegeben hat, dann ist man doch noch lange kein feiger Mörder. Nee, pfui Deibel —" Der Untersuchungsrichter klopfte ungeduldig auf -en Tisch. „Lassen Sie das! Und sagen Sie endlich die Wahrheit!" „Na also. Das war so: es war meine Absicht, mit dem Herrn Assessor 'n vernünftigen Ton zu reden. Sie wissen, daß ich bei dem Eiscndreher Werche in Schlaf stelle liege. Warum? Weil der Herr Assessor mich nicht in der Wohnung meiner Mutter leiden wollte. Meine Mutter hat Küche, Zimmer und Kammer zu ihrer Ver fügung. Ich schlief in der Kammer, meine Mutter in dem Zimmer. Der Herr Assessor aber verlangte, daß ich mir anderswo 'ne Schlafstelle suchte. Da zog ich denn zu WerchcS. Aber schön war's nicht, und eS war nun meine Absicht, den Herrn Assessor zu bitten, daß er doch nischt dagegen haben sollte, wenn ich wieder zu meiner Mutter zurückzog. Als ich nun — es mag ja gegen oder nach viertel sieben gewesen sein — bei meiner Mutter an der Küche klingelte, machte niemand auf. Ich hatte noch von früher den Drücker und öffnete selbst. Alle» still. Na, ich schnüffelte zuerst 'n bißchen in der Küche 'runr,
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