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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021210016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-10
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Lüaktiou vu- Erve-Mo« r Jobannt-gaffe 8. Deaispncher 1LS »L WL FUt«t-v»edM-»«* r «IftedGah»,v«chd»»dlg„ L-wersitLtSk,.^ ii-LLsche, K-thart«llstr. 14» ». «0»tg«pl. 7- BezugS-PreiS der HouptexpebMo« »der den tm Stadt- beßtrk «d de» Vorort»» errichtete» An». Ladestelle» »dßeholt: »tertrljührttch ^l 4.K(^ — zweimaliger täglicher tza Kello»g in» Ha»» t^LL Durch dl» Po- bezog« für Deotjchlmld ». Oesterreich olerteljührlich ^l st» ptr dl» übrig« Länder lastLewmgstpreirltst«. Haupt-Filiale Vres-eu: Htrehlener Straße st» Fernsprecher «mt I Nr. 17IS» Hauvt-Filiale Serliu: Kdutggrätzer Straße list. Fernsprecher Lmt VI Nr. Sövst. Morgen-Ausgabe. MpMerIagMak Anzeiger. Amtsölatt -es Lömgtichen Land- «nd -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates «n- -es Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Nu 627. Mittwoch den 10. Dezember 1902. Slnzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Nekl»««» «tt« dem Nedaktionlstrich (LgrspMt«) 7K vor d« Aamütomach richt« (S gespaU«) KO Tabellarischer and Hiffernsatz entsprechend Häher. — »tbsthren für Nachweisungen und Osferteuannahiue VS (exel. Porto). Ertra-Veikagea (gesalzt)» nur mit der Morgen-An-gab«, ohne Postbesärderung stst.—» mit Postbesürdernag 70.—» Auuahmeschluß fLr Anzeigen: Ad«»d-Au»gab«: vormittag» LV Uhr. vr»rg«»-Nn»gab«r Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» Pud stet» a» di« Expedition z» richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geäffuet von früh S bi» ab«d» 7 Uhr. Druck und Verlag von E, Polz in Leipzig. Sk. Jahrgang. Das Werk der Obstruktion. Als der Reichstag vor beinahe einem Menschen alter sich seine Geschäftsordnung selbst gab, glaubte er, auf diejenigen disziplinarischen Mittel verzichten zu dürfen, welche in parlamentarisch regierten Ländern dem Präsidenten gegen ungefügige Mitglieder oder gegen den Mißbrauch der Geschäftsordnung zustchen, weil damals niemand voraussehen noch ahnen konnte, welche Hand habe die illoyale Anwendung der Geschäftsordnung selbst einer kleinen Minderheit bietet, um die Mehrheit nicht zu tyrannisieren und die Erledigung der wichtigsten Vorlagen zu verhindern, sondern noch dazu, als endlich die Mehrheit infolge Mißbrauchs der Geschäftsordnung durch die Minderheit sich gezwungen sieht, zu einer Aende- rung der Geschäftsordnung zu schreiten, seitens dieser ob struktiven Minderheit das Geschrei erhoben wird, ihr werde Gewalt angetan. Gegenüber einer solchen Unterstellung und Umkehrung der wirklichen Tatsachen und Vorgänge ist es nötig, noch mals auf den Beginn dieser Kämpfe zwischen Mehrheit und Minderheit zurückzugehen. Die Mehrheit befindet sich lediglich im Zustande der Notwehr gegen eine Minderheit, welche seit einem Jahre auf immer neue Mittel sinnt und solche durch mißbräuchliche Auslegung und gewalttätige Anwendung der Geschäftsordnung findet, um die Mehrheit zu zwingen, ihr Bemühen um das Zu- standebringen eines brauchbaren Zollgeseyes aufzngeben. Die gewalttätigen Absichten und Handlungen liegen bei der Minderheit, und mit Recht ist ihr von Leiten der nationalliberalen Partei, wie sogar von Rednern der Freisinnigen Volkspartei wiederholt nachgewiesen worden, baß ihr skrupelloses Vorgehen zur Verhinderung deS Zolltarife» ein Stoß ins Herz -es Parlamentaris mus sei. Wie gänzlich fern es gerade -er nationalltbe- ralen Partei und Fraktion gelegen hat, den Gegnern der zollpolitischcn Aktion der verbündeten Negierungen anzusinnen, sie sollten sich in der loyalen Bekämpfung der Zolltarifvorlage irgend welche Schranken auferlegen, dafür liegt ein urkundlicher Beweis in der entschiedenen Anlehnung eines Vorschlages vor, der bereits vor einem Jahre auftauchte: Als das Zollgesetz zum Zweck denkbar gründlichster Beratung an eine Kommission gewiesen war, erwogen einige Mitglieder der letzteren, ob es nicht an gebracht erscheine, den Fortgang der Arbeiten von vorn herein dadurch zu erleichtern, daß man -em Vorsitzenden der arbeitenden Gedanken des Gütcrerze ug u n g Ausdruck zu ver- das Recht in die Hand gäbe, die Dauer der Reden zu be schränken. So wenig ungerechtfertigt der Verdacht er schien, die Sozialdemokraten würden durch ihren Genossen Ltadthagen die Methode des Zeittotschlagens kultivieren, um die Verhandlungen der Kommission zu verschleppen, so unbedingt ablehnend verhielt sich insonderheit die nationallibcrale Partei gegen jeden Gedanken, gerade die Entwickelung des parlamentarischen Zollkampfes dadurch beeinträchtigen zu wollen, daß man auch dem intransi- gentesten Gegner nicht das äußerste Maß von Redefreiheit zubillige und nicht das rückhaltloseste Vertrauen entgegen brächte. Ans diesen letzteren Gesichtspunkt jetzt wieder hinzuweisen, ist nm deswillen nicht überflüssig, weil auf dem in diesen Tagen abgehaltenen Parteitag der Frei sinnigen Vereinigung behauptet worden mar, dieMehr - heil habe sich eines Treu« und Vertrauensbruches gegen die Minderheit schuldig gemacht, während die Sache sich doch gerade umgekehrt verhält. Wie stark seitens der Zollgegner, so weit sie durch die Vertreter der Sozial demokraten in der Kommission zu Worte kamen, durch Dauerreden Verschleppung getrieben wurde, geht daraus hervor, daß, nachdem monatelang die Beratungen in der Konnnission sozusagen nicht vom Flecke gekommen waren, ans den Reihen derOrdnungs Parteien — nicht etwa um deswillen, weil diese einig gewesen wären, das Zoll gesetz zu stände zu bringen, nein, bloß um bessere Bürg schaften, als sie die Geschäftsordnung allein bot, für eine gründliche Durchberatung des Gesetzentwurfes in der Kommission zu gewinnen — der Vorschlag gemacht wurde, den Mitgliedern der letzteren Diäten zu bewilligen. Die Verschleppung der Arbeiten der Kommission wurde dadurch nicht unmöglich gemacht; im Gegenteil. Aber es wurde folgendes erreicht: je gründlicher die Beratung vorgenommen ward und je weiter sic zu fördern es gelang, um so weniger konnten die Sozialdemokraten ihren unbedingt ablehnenden Stand punkt der grundlegenden Tendenz des Zollgesetzcs gegenüber fest halten. Nicht nur einer, sondern mehrere ihrer Vertreter in der Kommission sahen sich genötigt, zuzugebcn, daß cs speziell auch im Interesse Klassen liege, dem Schutzes der heimischen einen gesetzgeberischen leihe n. Und siehe da: Mit diesem Moment änderte die Sozialdemokratie ihre Taktik. Sie legte der Erledigung der Zollberatung in der K o m m i s s i o n keine allzu großen Hemmnisse mehr in den Weg. So wurde es erreicht, -aß der Reichstag, als er seine Plenarsitzungen Mitte Oktober wieder aufnahm, sich einer fertig gebrachten Kommifstonsarbeit gegenüber sah. Nunmehr aber setzten imPlenum die Sozialdemo kraten mit ihrer Verschleppungstaktik ein. Sie erzwangen einen Erfolg der letzteren nicht nur durch Dauerreden, sondern auch durch unbegründetes Stellen von Anträgen ans namentliche Abstimmungen. Durch den Antrag Aichbichler wurde das Recht, solche Ab stimmungen zu beantragen, nicht im e n tf e r n t e st e n angetastet, sondern nur ein Modus gefunden, um die Dauer der namentlichen Abstimmungen zu ver kürzen. Nachdem auf diese Weise ein wenigstens etwas schnellerer Fortgang der Beratung gesichert zu sein schien, verfielen die Obstruktiontsten auf bas Mittel, ihn dadurch unmöglich zu machen, baß sie stundenlang zur Geschäftsordnung Dauerreden hielten, in denen sie nicht etwa ihre Stellungnahme gegenüber dem Zolltarif begründeten, sondern das Präsidium und die Mehrheit einfach verhöhnten. Das Bemühen trat in dem Maße mehr hervor, in dem durch Verständigung der Mehrheit über eine geeignete Grundlage für eine möglichst wenig zeitraubende Art der Beratung des Tarifs, wie sie der Antrag Kardorff bieten wollte, durchaus nicht etwa, wie gesagt worden ist, eine on dioc-Annahme deS Gesetzes in Aussicht gerückt und einer Entwicklung sachlicher Gründe die Möglichkeit abgeschnitten war, sondern im Gegenteil eine solche nur leichter geworden zu sein schien. Nachdem das Verhalten der Obstruktion bei der Er stattung der Niese rate über die einzelnen Abschnitte des Tarifes an jedem Tage mehr zu erkennen gab, das jene sich durch keinerlei Scheu abhalten lassen, die Redefreiheit ans der Tribüne zu mißbrauchen, ist cS nicht etwa in erster Linie tu, Interesse -es Zustandebringens des Zoll« tarifs, sondern in dem einer geordneten Ge schäftsführung im Reichstage dringend notwendig, den Präsidenten mit der Machtvoll kommenheit auszustatten, wie der Antrag Groeber be zweckt. Wie das den Parlamentarismus untergrabende Vor gehen der Obstruktion zu der Aenderung im Verfahren der namentlichen Abstimmung führte, so zwang es die MchrheitSparteien gegen bereu Absichten zu einem engen Zusammenschluß im Antrag Karbvrfi und legt ihnen jetzt die Notwendigkeit auf, die Befugnisse des Präsidenten gegen eine willkürliche und mißbräuchliche Ausnützung Feuilleton. Franz Liszt und Fürstin Earolyne Layn-Wittgenstein. „Du bist mir ein erstaunlicher Mensch, dem ich in keiner Weise irgend eine andere Erscheinung auf dem Gebiete der zumst und des Lebens zur Seite stellen kann." Richard Wagner an Franz LiSzt. Wer aufmerksam dem Laufe der Kunstgeschichte folgt, dem wir- die Tatsache nicht entgangen sein, daß auch auf diesem, anscheinend so friedlichen Gebiet ein beständiger Kampf herrscht. So oft zu irgend einer Zeit ein Meister mit einem nach Form oder Inhalt von dem bisher ge wohnten und liebgowordenen Alten abweichenden Kunst werk an die Oeffentltchkeit getreten war, so erschien auch sofort einmütig die Gegnerschaft auf dem Plan, die sich in ihrem bisherigen, ängstlich behüteten Besitzstand bedroht fühlte, und jammerte gar beweglich über -en angeblich nun nahe bevorstehenden Verfall und Untergang der Kunst. Die Erscheinung ist nicht neu. Auch in der Ge schichte der Tonkunst gehört der Streit zwischen Gluck und Picctni und ihrem beiderseitigen Anhang nicht zu den ältesten Belegen dafür. Mozart und Beethoven hatten so gut ihre Gegner, wie später Berlioz, Liszt und Wagner, oder heute die „Modernsten". Man denke hierbei auch noch an Robert Schumann, wie der mit Steinen beworfen wnrde, als er seinem gerechten Zorn über „die Gemein heit, Berzerrtheit, Unnatur, Unsittlichkeit, Unmusik" der Hugenotten von Meyerbeer kräftig Luft gemacht hatte, und mit welch eisigem Stillschweigen die gleichgültige Menge seine warme Verteidigung der ersten Sinfonie Berlioz' entgegennahm. Die Teilnahmslosigkeit und Verständnis, losigkeit -er Menge ist aber nicht so sehr eine Schädigung der schaffenden Künstler, als vielmehr eine Schädigung der von diesen geschaffenen Kunstwelt. ES erklärt sich da her das Auftreten von Meistern, die — aus dieser Er kenntnis — leidenschaftlich, sowohl für ihre eigenen Schöpfungen, wie auch für die anderer, auS durchaus un persönlichen Beweggründen etntraten, die nicht nur ver teidigten, sondern auch anzugreifen gezwungen wurden, „wo sie falschen Gebilden einen verderblichen Götzendienst geweißt sahen". Zu diesen in Abwehr und Angriff gleich gewaltigen, gewandten und gefährlichen Kämpfern gehört Franz LiSzt, der als Virtuos einst so Vergötterte, als Komponist nachmals so bitter Angefeinbete, -essen un ermüdlicher und selbstloser Tätigkeit als Richard Wagners Lebenswerk -um -rotzen Teil seine Lebensfähig- kett tzertzimkt. In diese» «»elften Künstler» vebensschick- sal griff einst mächtig eine eigenartige Franengestalt ein und hat cs bestimmend beeinflußt, so daß ihrer an dieser Stelle wohl mit Recht gedacht werden darf. Liszt war bis ziemlich zur Mitte des vorigen Jahr- Hunderts, wenn mau so sagen will nnd darf, Klavier virtuos gewesen. Im Herbst 1846 trat er seine letzte Kon zertreise an, die ihn dnrch Ungarn, Siebenbürgen, Süd rußland bis nach Konstantinopel führte. In Kiew war er im Februar 1847 zum ersten Male der Fürstin Earolyne Sayn-Wittgenstein begegnet, und im Spätsommer des- selben Jahres gab er noch in der kleinen Festungsstadt Elisabcthgrad mehrere Konzerte „zu seinem Besten", mit denen cr seine Birtuvscnlausbahn endgültig abschloß. Wie er aber seine Ausgabe als Virtuos erfaßt Hatte, worin sie nach seiner Ueberzeugung bestand, faßt Eduard Reust in seinem Buche „Franz Liszt" ^Leipzig, 1898) treffend in dem Latze zusammen: „Er wurde Virtuos im umfang- reichsten Sinne des Wortes, um die Virtuosität als solche, nämlich in ihrem Selbstzweck, gänzlich zu vernichten, in- dem er ihr das Prunken mit Aeusterlichkeitcn ohne innere Bedeutung raubte." Elisabcthgrad bedeutet, rein äußer lich genommen, einen Wendepunkt in Liszts Leben. Innerlich war dieser Wendepunkt, dieser Umschwung, schon längst vorbereitet. Andere, höhere Aufgaben waren ihm gestellt, an deren Lösung er nunmehr herantrat. Als wandernder Virtuose hätte er diese Aufgaben nicht lösen können, dazu bedurfte er eines festen Rnhepunktcs, und den fand er in Weimar. Daß cs die Fürstin Layn^Littgen- stein gewesen sein solle, dnrch die Liszt zum Anfgeben seiner Virtuosenlaufbahn veranlaßt worden, wird vielfach erzählt, mit der Begründung, sie, die Fürstin, hätte als erste LiSztS Komponistenberuf erkannt. Eine Wider legung einer derartigen haltlosen Ansicht darf wohl als völlig überflüssig angesehen werben. Dagegen würde cS -er historischen Richtigkeit nicht entsprechen, wollten wir den tiefen Eindruck ableugnen, den die Fürstin auf den Künstler gemacht hat, gleich beim ersten Zusammen- treffen in Kiew. Um aber diesen unauslöschlichen Ein druck ganz zu verstehen, ist eS notwendig, ein wenig bei dem LebenSgange dieser gMtg hochstehenden Frau zu verweilen. Earolyne war das einzige Kind aus der Ehe des pol- Nischen EdelmanneS Peter von Iwanowski mit Pauline von Podvska. Geboren am 8. Februar 1816 in Monaster- zySka, einem im Gouvernement Kiew gelegenen Gute ihres Großvaters mütterlicherseits, verbrachte sic in länd licher Abgeschiedenheit ihre ersten Lebensjahre. Ein Kind der Steppe*), dem ein ungebändigteS, leidenschaftliche» Herz, ein weiter Horizont, eine in» Ungemcfsene schwel- ) clr. Franz Liszt» Brief« an di« Fürstin Earolyne Sayn.-Wttwenstein. Herau»gegeb«n von La Mara. 4 Bd«. Leipzig« LN», 1V00, 1»0S. sende Phantasie, ein starkes Macht- und Herreugcfüyl ebenso von der Natur angeboren waren, als ihm Maß und Ziel, die leise Herrschaft über sich und die Situation, die Kraft ruhigen Beharrens von Haus ans versagt schienen, wuchs sie auf. Da die Eltern getrennt lebten, mußte sic sich von Kindheit ans zwischen Vater und Mutter teilen, denn kcins von beiden wollte sic lange missen. Der Vater, -em seine reichen Landgüter es gestatteten, unbe hindert seinen Wissensdurst und Drang nach positiver Er kenntnis zn befriedigen, vererbte der Tochter seinen männ lichen Geist, die logische Kraft und Schulung deS Denkens. Bei seinen Studien, wie bei der Verwaltung seiner nm- fangreichen Güter und seines Vermögens entbehrte er nicht gerne der Gesellschaft »nd Hülfe Earvlynes: bis spät in die Nacht hinein faßen sic zusammen am Arbeitstisch. Um sich hierzu munter zu erhalten, hatte sich Earolyne an das Rauchen schwerer Eigarren gewöhnt. Die Mutter hinwieder war eine schöne, liebenswürdige Dame, die gerne reiste und das Leben in der vornehmen Welt bevor zugte. Mit ihr lernte Earolyne alle europäischen Haupt städte und Höfe kennen. Sv lebte die Tochter beständig zwischen zwei Extremen. Am 7. Mat 1886 heiratete sic auf das Gebot des Vaters -em Fürsten Nikolaus Sayn- Wittgenstein, einen „schönen, aber geistig unbedeutenden Mann", der damals als Rittmeister bei einem russischen Dragoner-Regiment stand. Das einzige Glück, da» die Fürstin in dieser unglücklichen Verbindung sand, war die Geburt einer Tochter, Prinzessin Marie. Auf ihr Kind übertrug die Mutter alle die Liebe ihre» heißen Herzens, die sie dem Gatten nicht zn schenken vermocht hat. Sehr bald brachen offenkundige Mißhelligkeiten zwischen den ungleichen Ehegatten auv. Die junge Fürstin, längst der ehelichen Fesseln überdrüssig, sehnte sich mit brennender Seel« hinaus in den vollen Strom künstlerischen uns Ute« rarischen Lebens, hinaus auS ihrer ländlichen Grille in lebhafte geistige Bewegung. Da trat LiSzt in ihren LebenSkreis. Die erste Be gegnung schon — so teilt La Mara mit — zündet«. „War die Fürstin auch nicht schön zu nennen, so sprach doch ein eigener geistiger und seelischer Ausdruck, bedeutend und anziehend zugleich, ihr aus Augen und Angesicht. Zudem gebot sie über eine wunderbare Beredsamkeit und eine unglaubliche Wissensfülle. Welches Gebiet man ihr gegen« über auch berührte, ihr souveräner Geist zeigte sich mit Wissenschaft wie mit Kunst gleichmäßig vertraut. Viel- seitige Beziehungen ergaben sich zwischen ihr, der viel Gereisten, und dem in allen Ländern Europas heimischen Künstler." Liszt» Spiel, da» sie -um ersten Male in seinem im UniversttätSsaal am 14. Februar gegebenen Konzert vernahm, nahm sofort ihre schönhritSburftige Seele ge fangen. Einander näher gebracht wurden beide, al» LiSzt ihr seine Pläne bezüglich der Komoofltion seiner „Dante-Sinfonie. auSeinandrrfttzte, für die st« sich sofort der Geschäftsordnung zu erweitern.' Alles das ist das Werk der Obstruktion. Die Verantwortung für neue des deutschen Reichstags unwürdige Scenen im Kamps um die Abänderung der Geschäftsordnung fällt auf ihre Schultern. Deutsches Reich. verli», 9. Dezember. Die Freisinnige Ber einigung bat sich auf ihrem Berliner Parteitage als Bundeögrnossiu ver Sozialdemokratie auch in der Art be währt, daß sie nach dem Muster ihrer parlamentarischen Vertretung maßlose Angriffe gegen die Nationalliberalen richtete. Darauf nochmals einzugthen, verlohnt sich nicht. Wohl aber bedarf der Gedankengang, mit Hülfe dessen auf dem Parteitage der Antrag Kardorff als „Treubruch" hin- gestellt wurde, einiger Beleuchtung. Daß der Antrag Kardorff ein Recht»bruch im juristischen Sinne nicht sei, hat Pro fessor von LiSzt vor seinen freisinnigen Freunden klipp und klar festgestellt. Diese Feststellung von juristischer Seite behält ihren Wert, wenn Projeffor von LiSzt auch for tsuhr: Der Antrag Kardorff sei etwa» Schlimmeres, ein BertrauenS- und Treubruch, den die Mehrheit für einen Einzelfall vor nehme. Zum Verständnis der vorstcbendeu Auffassung muß die Rede herangezogen werden, die der Abg. Gor Hein ebenfalls auf dem Parteitage gehalten hat. Darin sagte er: .In zweiter Lesung haben wir eS zugelasseu, daß die Kom mission den Tarif durchpeitschte; denn wir alle hatten da« Gesühl, daß die Verhandlungen aus der Enge der Kom mission heraus vor die Oeffentlichkeit müßten. Der An trag Kardorff ist daher der flagranteste Rechts- und Treubruch." — Vom Abgeordneten Gothein wird hier also gleichfalls der Antrag Kardorff nicht in Bezug auf dre Geschäftsordnung des Reichstages — wie daS bisher so oft und so leidenschaftlich geschehen ist —, sondern im Hinblick auf den augebltchkn Gang der Kommissions beratung als „RrchtS- und Treubruch" aurgez br>»« Gerade im Munde deS Abg. Gothein jrdoch klingt diese Beweisführung seltsam genug; denn eS war derselbe Abg. Gothein, der in der NcichrtagSsitzung vom 27. November seine Red« mit folgenden Sätzen begann: „Ich habe der Majorität deS Hause» alle» Mögliche zugetraut, sogar, daß st« d«rs«n Antrag einbringen würde, der ja schon seit Monaten stillschweigend aus der Tagesordnung steht. . . Mir ist von Mitgliedern der Mehr heit ihre Absicht schon vor Monaten mitgrteilt." — Wie der Abg. Gothein seine Auslastung vom 27. November mit seiner Auslastung vom ü. Dezember vereinbaren will, das ist sein Geheimnis. Natürlich hat es die Freisinnige Vereinigung auf ihrem Parteitage an einem Protest gegen den Zolltarif mit Rücksicht auf die Handelsverträge nicht fehteu lassen. An dem gleichen Tage hat der ungarisch« Minister präsident von Szell abermals Material zur Beurteilung >eneS PioirsteS geliefert, indem er betreff» der künftigen Handelsvertrags-Verhandlungen u. a. sagte: „Ich werde dafür sorgen, daß wir nicht ohne Wehr und Waffen blrideu. Ich werde darnach trachten, daß der autonome Zoll tarif so schnell wie möglich zu stände kommt, damit miss lebhafteste begeisterte. Mehrmals war Ltszt tu Worvninee, einem ihrer ausgedehnten pvdolischcn Güter, Gast der Fürstin. Im April 1848 verließ sie mit ihrer Tochter Rußland, um ihr Geschick fortan an dasjenige Liszts zu knüpfen, nachdem sie vorher schon die Ehe scheidungsklage eingercicht hatte. In Ratibor erwartete sie Fürst Felix LichnowSky, LiSztS treuer Freund, der sie nach seinen Schlössern Krzyzanowty und Graev jbcide tu österreichisch Schlesien gelegen) geleitete. Von Gractz ans schrieb Ltszt unterm 22. April an den ihm befreundeten Hosrat von Schober in Weimar: „Sie (die Fürstin) ist un zweifelhaft ein ganz außerordentliches Prachtexemplar von Seele, Geist und Verstand (avoo proüigieuromünt, ll'ssprü inclusivmiient, bioi» vutouäu). Du wirft nicht lange brauchen, um zu begreifen, daß ich fernerhin sehr wenig persönliche Ambition und in mir abgeschlossene Zukunft fortträumen kann. In politischen Verhältnissen mag die Leibeigenschaft aufhören, aber die Seelenetgcnschaft in der geistigen Region, sollte die nicht unzerstörbar sein?" Im Junt desselben Jahre» wandte sich die Fürstin nach Weimar, wo Liszt inzwischen da» Amt eines großherzog lichen Hofkapellmetster» „in außerordentlichen Diensten' übernommen hatte. Dort stellte sie sich auf de» Freunde , Rat unter den Schutz der regierenden Großherzogin Maria Paulowna, der Schwester des Kaiser» Nikolaus von Rußland, deren Vermittelung im Scheidungsprozesse sie sich erbat. In der Altenburg schlug sie ihr — wie sie damals wähnte — provisorisches Heim auf. Etwa nach Jahresfrist übersiedelte auch Liszt dorthin, um in einen, Seitenflügel der Altenburg die fruchtbarsten Jahre seines Komponistenlebens zu verbringen. Die Mehrzahl seiner musikalischen. und literarischen Werke ist dort entstanden. Die Fürstin verhalf ihm lekr.: La Mara, a. a. O.), indem sich die Türen des Hauses nur auf ihren Befehl öffneten, zu -er dem Schassenden nötigen Ruhe und Konzentration. Sie in spirierte ihn nicht nur zu dem schönen Werke Über Chopin, dessen Schilderungen der polnischen Sitten und National tänze ihren Geist und ihr Empfinden widrrspuakln. sondern anch zn vielen anderen seiner Schöpfuimen. Auch die Idee und den ersten Entwurf zur „heiligen Elisabeth", die Otto Roguette poetisch auSsührte — wie später den Plan zu einem „hetftgen Stanislaus" — empfing er von ihr. Die Mühen einer auSgcbreiteten Korrespondenz nahm sie ihm vielfältig ab. Sie sand tbre Freude darin, „sein Sekretär" zu sein, ihm allerwege zu helfen, die Pfade zu ebnen. Sie lebte nur ihm. Sie schmückte sein Leben nach innen und außen und gestaltete ihr Hau» zu einem Musenhof, der die vornehmsten Geister der Zeit um ihn versammelte. (Schluß folgt.)
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