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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021212028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Er bat, wie schon >n einem Teil der Auslage unseiS brütigen MorgenblatieS mitgeieilt werden konnte, sämtliche deut schen und englischen Gefangenen wieder auf freien Fuß gesetzt. Ob er noch weiter in seinem sinnlosen Widerstand be harren wird? Nack den von ihm geirosfenen Vorbereitungen scheint e» so. In Guayra sind, wie glnchsallo sckon in einem Teil deS MorgenblatieS aemcldet, achizehn G schütze aus Caracas eingetrcffen; die Munition wurde »ach Fon Lavigia geschafft. Die Wegnahme des .Bolivar" rief große Auf regung bervor. Äuß-r 2000 Mann, welche in Guayra unter Kriegsminister Ferrer eingetioffen sind, werden noch 800 Mann unter dem Befehle des Bruders des Präsidenten erwartet. Soll eS also zu einem regelrechten Kriege kommen? Die Akte schroffster Feindseligkeiten gegen Deutschland und Eng land haben sich so gebäust, daß sich, im Augenblicke wenigstens, für diese Machte die Perspektive auf einen neuen Kolonial krieg, be,w. eine kriegerncke Landexpevition wie diejenige gegen Cbina, und unter 'änmlicken Veidältnissen, ähnlich deijenigen SüdafnkaS, eröffnet, da das Gebiet Venezuelas doppelt so groß wie dasjenige Deutschlands ist Noch bleibt jedoch Vie Aussicht übrig, daß der Druck den eine enge Blockade aus die Dauer auj die Regierung und Bevölkerung Venezuelas auSruüeen vermag, dieielben auch ohne eine deutsch-englische Lantexpediiion, schließlich zur Ra>ion und zum Nachgeben zwingen wird. „Vimta" und „Retri- buiion" sind, wie man annimmt, beauftragt, die Antwort Venezuelas aus die Forderungen der beiden Mächte zu über bringen. Üeberraschen muß, daß Präsident Castro nur einen Augen blick über den Ernst der Situation zweifelhaft sein konnte, als die Vertreter Deutschlands und Englands nach Ablauf der 24stündlgen UlumaiuniSsrist Caracas verließen, und leinen vier „Kriegs ch ffen" im Hasen von La Guayra nicht recht zeitig den Befehl ertbeilte, sich schleunigst zu drücken und sich wie die übrigen Schiffe der venezolanrichen Floue, mit Aus nahme des „Bolivar", nach einem vor der Hand noch sicheren, sei es selbst neutralen Haien zu begeben. Nack der bis jetzl ve>össentlich!en Kriegsflotte nliste Venezuelas ist von den r.-eggenommenen Schiffen: „Ge neral C-eSpon", „Tolumo", „Assure" und „Margarita" nur der „General Crespon" linier den armierten 6 Zollkreuzern Venezue'aS, die übrigen 3 Schiffe werden nicht namenllick aufgejührt, jedoch können dieielben, da nur als Zollkreuzer der „General CreSpon", „Zamara", „Marcicall Ayakucko" und „Voncekor" genannt sind, in jener K-Zabl inbegriffen, bezw. bmzugekomrnen sein. Diese Zoükreuzer haben nur 140—350 Tonnen Deplazement und ihre Armierung bestellt nur in einigen leichten Ma'chinengewehren. Der Kern der venerolanischen Flotte, das Kanonenboot „Restaurator" von 309 Tonnen, einem 7,6 cm und vier 5,7 cm Schuellseuergeschützen und 15 Knoten Geichivindigkeit, und die weit kleinere, um 60 Mann bemannte und zwei 5,7 cm Schnellfeuergeschützen und 1 Maschinengewebr armierte „Miranda", sowie die übrigen genannten Zollkreuzer sind daher noch nicht weg genommen, sondern nach Barcelona und dem Orinoco ab gegangen. Die Ausbringung dieser Kriegsschiffe aber, welche die Depeschcnboole. Kob.en und sonstigen ApprovisivnierungSvvr- räte des deutsch-englischen G schwader- von Willemstad oder Trinidad her, sosein sie nicht von ihnen überlegenen Knege- schiffen begleitet jsind, abzusangen veimöch en, dürfte um so mehr eine der nächsten Aufgaben des deutich-englischcn Ge- schwad»rS bilden, als dieselben, wenn auch au» den Jahren 1883 und 1891 stammend, immerbin noch sür den Dienst namentlich in den Kolonien verwendbar, einen materiellen Wert von mehreren Millionen revräseniieren, der eventuell auf die venezolanischen SchuldbeNäae, oder aus die Aktions kosten zur Halste mit England, oder je nach der Wegnahme, geteilt, in Anrechnung kommen könnte. Bereits ging der eng lische Torpedobootzerstörer „Qnail" nach der Orinocomün- cung, um das dort stationierte venezolanische Blockaveschiff abzusangen. Bei der Aufbringung jener Kriegsschiffe kann es, falls sie nicht rechtzeitig in einem neutralen Hasen Zuflucht suchen, ebenso wie dies bei der erfolgten Besetzung des Zollamts von La Guayra der Fall zu sein vermochte, zu einem Geieckts- zuiammenstoß kommen, der jedoch nicht die Erklärung veS Kriegszu'tandeS zur Folge zu baben braucht, analog wie dieselbe, ungeachtet zahlreicher Kampfe und selbst eines ganzen FelvzugeS, betreffs CainaS n i ch l erfolgt ist. Ausfallend könnte erscheinen, daß bis j tzt nur der allerdings wichtiaste Hasen von Venezuela, deinige der Hauptstadt, La Guayra, allein von dem deuisch-engltscken Geickwader besetzt ist, während zwei Kreuzer zu jener Blockade vollkommen genügen. Allein für die mit der, viel leicht schon auSgefübrten, Besetzung des Zollamtes verknüpfte Landung mußte auf die Schiffsbemannungen recurrirt werten und dieselben betragen zur Zeit vor La Guayra bei der „Vmeia" 465 Mann, der „Gazelle" 219 Mann, dem „Panther" 121 Mann,^dem „Jndesaiigable" (derselbe ging inzwischen nach Poit of Spain auf Trinidad) 273 Mann und der „Retribution" 273 Mann, miibin in Summa 1381 Mann, von denen etwa die Hälfte für den Besetznngszweck versügbar gemackt werden konnte. AuS der bisherigen Entwickelung der Vorgänge scheint bervorzuzeben, daß eine strikte Kooperation beider Geschwader, obne gemeinsamen Oberbefeol jedoch aus G>und gemeinsamer Vereinbarung unter Blockade der Küste von Bar>ma bis La Guayra durch die englischen, von La Guayra bis zur columdischen Grenze durch die dcuticken Schiffe stailfindet, und es sollen demnächst auch die Häsen und Zollämier von Barcelona und Bolivar (entweder Rio Cbico der Provinz Bolivar oder, wie wabricheinlicher C>ueav Bolivar am Oriuoco) von dem Aklionsgeichwader besetzt werden. W üter wird uns gemeldet: * London, 12. Dezember. (Telegramm.) Das Reserve geschwader erster Klaffe in Devonport erbiett den Befehl, innerhalb 24 Stunden sich seebrreit zu halten. Der dem Kreuzer „Hogue" erteilte Befehl, nach Vigo zu gehen, ist zurück- genommen worden. * London, 11. Dezember. (Telegramm.) Unterhaus. Cran- borne bestätigt dir Beichlagnahme der drei venezolani>ch-n Schiffe in La Guayra; rin viertes Schiff sei kampsnn'ühig gemacht worden; auch das venezolanische Kanonenboi „Bolivar" sei beschlagnahmt. Zwei Prisen, die vom deutschen Kommodore genommen, seien versenkt worden. Ein Bericht über die Verhaftung des englischen Konsul» in Caracas sei noch nicht verifiziert. Der englische Vize- konsul in La Guayra habe mit einigen Frauen und Kinderu aus einem englischen KriegSlch ffe Aufnahme gesunden. zWiederh.) Ueber die Höbe der englischen Ansprüche an Venezuela liegen folgende Mitteilungen vor. Für die im Jabre 1897 von der Puerto Cabello and Vnlerian Railway Compai y eibante Enenbabn war im Jabre 189l ein Zinsbetrag von 77 000 Lstrl. fällig, von dem jerock nur 40 000 Lltil. erlegt wurden. Seitdem sind, obwohl mit Zustimmung der Geielllchast der ZinSsuß der Anleihe von 7 aus 5 Prozent berabge'etzt und ter Regierung VorzugSsrachtlarise in halber Höoe der sonst üblichen Sätze bewilligt wurden, weitere Zahlungen nicht erfolgt, sodaß gegenwärtig die venezolanische Regierung bei der genannten Gesellschaft mit einem Fehlbetrag von rund 360 000 Lstrl. zu Bucke stehl. Die La Guayra and Caracas Railway Company beansprucht 10 150 Lstrl. für ausgefallene Fracht gelder und 13 000 Lstrl. sür die bei dem Finanzabschluß des JabreS 1896 infolge der Eniweitung der ver ausgabten Sckatzickeine erlittenen Verluste, die Vene zuela Central Railway hat 30 000 Lstrl. an staat lich garantierten Ziusbeirägen zu fordern, ebenso beklagt die Bol var Railway-Gesellschaft den Ausfall erheblicher Einnaomcn, da infolge der langdauernven Wirren und Bürgerkriege der Betrieb aus der Sirecke häufig unterbrochen war. Endlich erheben die Atlas Investment Company und und die Debenture, Guarantee Company Anspruch auf Zavlung der seil >898 rückständigen Zinsen, die einen Gesamtbetrag von 45 500 Lstil. repräsentieren. Abgesehen von den durch in V nezue a aniäisige und handeltreibende britische Staats angehörige erlittenen Verlusten und Ergentumsschädigungen, belaufen sich allo die Schuldfs>dcrungen der brinschen Euenbabn- und Finannrnte>nebmungen auf die Summe von rund 480000 Lstrl. Die Gesamihöhe der englischen Ansprüche durste also den Betrag der deutschen Forderungen nockiveit ü be rste igen, da, wie der englische Unterstaa's ckreiär deS Auswärtigen erklärt bat, außerdem noch Ansprüche vorliegen auf Entschädigung wegen ungerecht fertigter Einmischung gegenüber englischen Handelsschiffen, wegen Einkerkerung und Mißhandlung englischer Siaats- aiigeböiiger, wegen Zerstoiung englischen Eigentums und wegen Beschädigung von rollendem Bahnmaterral, das eng lischen Kompagnien gehörte. politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Dezember. Tie Annahme des Antrags kardorff. War eS gestern beim Beginn der Sitzung deS Reichs tags noch fraglich, ob die zweite Le'ung der Zollvorlage mit dem Anträge Kar vorff in dieser Sitzung werde zu Ende gejührt werden, so wurde der Zweif.el bald gehoben, und zwar dadurch, daß die Sozialdemokraten nicht weniger als 370 Abänderungsaniräge einbrachten, die ver lesen werden mußten, weil sie noch nicht gedruckt waren. Hatte vorher bei den Mehrbeiisparteien die Neigung vor gewaltet, tei Minoiität möglichst viel Zeit zur Anbringung und Begründung ihrer Wüuicke und Einsprüche zu lassen, so verschwand diese Neigung infolge deS sozialdemokratischen Vorgehens, dessen Zweck — den Schluß der zweiten Lesung zu verschleppen — um so klarer zu Tage lag, je weniger eS wählend deS ganzen bisherigen Verlaufes dieser Lesung der sozialdemokratischen Fraktion eingefallen war, auch nur mit einem einzigen AbänderungSantrage hervorzu treten. Während der anderthalbstündigen Verlesung einigten sich daber dir MehiheitSsraklionen dabin, den Schluß alSbald verbeizusübren, von jeder Fraktion der Minderheit nur einen Redner zum Worte zuzulassen und dann die weitere Debatte adzuschneiren. Diese Redner, die Abgg. Bebel, Müller- Meiningen, Gothein und Liebermann v. Sonnen berg recbiserliglen diesen Beschluß dadurch, daß sie lediglich „olle Kamellen" vorb,achten. So konnte man unveimuiet bild zur namentlichen Abstimmung erst über den Antrag Kar- dorsf — die zufälliger Weise die hundertste in der zweiten Lesung des Zolliarifs war — und bann über den § 1 deS Zolliarifgesetzes >m ganzen schreiten. Die Annahme des Antrags Kaivoiff ersolzic mit 181 gegen 136 Stimmen bei 9 Enthaltungen, die des H 1 mit l82 Stimmen gegen 136 Stimmen bei ebensoviel Einhaltungen. Damit war die zweite Lesung d-sTarifs beendet, so daß die dritte auf die Tages ordnung sür Sonnabend gesetzt werden konnte. Die ohne hin schon gelö ie F>age, welche Stellung die verbündeten Regierungen zu dem Änira > Kardoiff einnebmen, hatte bald nach Beginn der Sitzung der Reichskanzler auch formell durch eine kurze Eikläiung aus der W lt geschafft, duich die er durch den Abg Basser mann veranlaßt wurde, der zugleich nochmals die Gründe darlegte, welche die große Mehibeit der nationalliberalen Fraktion bewogen hat, für den Antrag Kaiborff einzutreten. Seine Rede werden wir im Wortlaute mitteilen, sobald der stenograpbische Bericht vor liegt. — Nach dem Verlaufe der gestrigen Sitzung ist anzu nehmen, daß der Reichstag, der heute keine Sitzung abhält, die dritte Lesung schon am Sonnabend zu Ende bringt-, jedenfalls wird sie sich über den Mittwoch hinaus nickt aus- debnen. Darüber, daß die Verabschiedung deS Zolltarifs vor Weibnach'en gelingt, herrscht kein Zwe fel mehr. — Man wird vernünftigerweise nickt leugnen tönnen, daß daS Ende überhastet wird. So rächt sich die frühere maßlose Ver schleppung. Aber im ganzen ist die Behauptung, die Oppo sition ser nicht genügend zu Worte gekommen, unsinnig. Der Abg. Liebermann v. Sonnenberg hob gestern hervor: In der ersten Lesung sind 9 Sitzungen, in der zweiten blöder 38 Sitzungen, in der Kommission 112 Sitzungen ab- gehalien worden, zusammen also 159 Tage sind im Reichs tage auf die Zollvorlage verwendet worden. Dazu ist ein von den „Bert. N. N." in Erinnerung gebrachter Vorgang auö der parlamentarischen Behandlung der die neue deutsche Handelspolitik inaugurierenden Handelsverträge mit Oesterreich, Italien, Belgien und der Schweiz von 1891 von Interesse. AlS namens der Konservativen, die Gegner der Handelsverträge waren, am 9. Dezember 1891 der Abg. v. Massow beantragte, die Handelsverträge nicht auf die Tagesordnung vom 10. zu setzen, da die Flaktionen die vom 7. Dezember datierte Vorlage soeben erst in die Hände bekommen batten, lebnte die Mehrheit diesen Antrag ab. Der Abg. v. Massow konstatierte hierauf, daß die Mehrheit nickt die Zeit gehabt habe, eine gründliche Piüi'ung vorzuneh- men, ebe in die Verhandlungen ringetreten wurde. Der Abg. Rickert nannte diesen Vorwurf „sehr eigentümlich", das Land warte auf die Entscheidung. Namens der freisinnigen Partei erklärte Abgeordneter Rickert, sie werde sich gegen die KeiumissionSbe>atung aussprechen, da sie deu dringenden Wunsch habe, daß die Vorlage noch vor dem Weib- nachrsfest ihre E'ledigung finden möge. DaS ei fordere die Rücksicht auf das Land und auf alle ErwerbSzweige. Dir Reckte fügte sich. Die dritte Lesung der Handelsverträge sowie die Gcsamtabstimmung über dieselben waid in einer einzigen Sitzung beendet. Die ganzen parlamentarischen Verhand lungen über diese umfangreiche, wichtige Vorlage nahmen nicht mehr als acht Sitzungen in der Dauer von inszeiamt 37 Stunden in Anspruch. Damals blieb die Linke, welche die Handelsverträge wollte, taub gegen die Vorwürfe dec Durchpeitichung; heute schreit sie über die Durchpeitschung, weil ibr der Zolltarif nicht genehm ist. Ja, Bauer, das ist ganz waS anderes! Uebrigens schreibt beuie die „Freisinnige Zeitung" des Herrn Eugen Richter den Obstruktionisten ins Stammbuch: „Was hat nun die Obstruktion bewirkt? Die Reqieruligs- vorlaqe ist durch di« in der Kommission erhöhten Zollsätze noch ganz erheblich verschlechtert und mehrere Bestimmungen der Geschäfts ordnung und der bisherigen Gejchäftspraxis sind zu Ungunsten aller Minoritäten auch für küastige Berhandlungen abgeändert worden. Für alles Dies und sür die großen Schädigungen der Volksinteressen tragen die Obstruktionsparteieu in erster Reihe die Verantwortlichkeit". Arbeitcrwahlen und Gewerkschaften. Nachdem sich der Kaiser in seiner Breslauer Rede zu Gunsten von Arbeiterkandidaturen ausgesprochen bat, tritt das Organ des Buchdruckerverbandes ebenfalls sür solche Kandidaturen ein. Im inneren Zusammenhänge aber mit der Breslauer Kaiserrede steht die Haltung des Buchdruck-rorganS nicht. Denn schon früher Hal es sich in dergleichen Richtung vernehmen lasten, wenn auch nicht mit so schaisir Zuspitzung gegenüber der sozialdemo kratischen Partei wie jetzt. Den Anlaß dazu boten Vorgänge, die sich in Düsseldorf bei den letzten Stadtverordneten wahlen abspielten, und ihre Beurteilung durch daS Organ der sog-nannten neutralen, in Wirklichkeit sozialdemokratiichen Gewerlschasten. In Düsseldoif haben die Gewerkschaften der letzteren Art gemeinsam mit den Hirsch-Dunckerschen Gewerl- Feuilleton. ns Der tlnterluchmigsrichler. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. Herbert Deinbard blieb jetzt vor ihr stehen. „Verzeihen Sie, liebe Freundin", sagte er mit mühsam beherrschter Fassung, „verzeihen Sie, daß ich wie eio Fahnenflüchtiger Sie und Walter verlasse. Ich hatte eS anders vor mit Ihnen und mir. Aber eS darf nicht sein. Ein schweres, unseliges Verhängnis lastet auf mir. Ich bin zur Einsamkeit und Freudlosigkeit verdammt. Ich darf Ihre Hand nicht mehr berühren und die Ihres un schuldigen Kindes." Er nickte und wollte gehen, ohne ihr die Hand noch einmal zu reichen. Aber sie war schnell auf ihren Füßen nnd an seiner Seite und erfaßte seine Hand. „Nein!" rief sic. „Gehen Sie nicht so! Was auch ge schehen ist, das lasten Sie sich sagen, daß ich nie — nie schlecht von Ihnen denken werde, daß ich nie aufhören werde, Sie zu achten und Ihnen freundschaftlich ergeben zu sein. Ich weiß ja, daß Sie nicht aus unedlen Motiven handeln können und wenn Sie etwas getan haben, was Ihnen die Menschen als etwas Böses anrechncn, so taten Sie eS, weil Sie nicht anders konnten, weil Ihr Herz, Ihre selbstlose Liebe. Ihre edle Aufopferungsfähigkeit Sie dazu trieben." Er drückte ihre Hand mit krampfhafter Heftigkeit. In seinen vergrämten Zügen leuchtete es auf. „Dank — tausend Dank!" stammelte er. „Sie sind gut und hochherzig. Leben Sie wohl und lüsten Sie mir den »eine« »altert Er preßte seine Lippen auf ihre Hand und schritt schwankend hinaus. Dreizehntes Kapitel. An demselben Abend reiste Herbert Deinhard nach Parts ab. In dem Hotel, in dem er schon telegraphisch sein Zimmer bestellt hatte, fand er einen Brief seines Bruders vor. Pauls Zeilen strahlten das höchste, seligste Menschen, glück aus und sie wirkten auf den müden, gebrochenen Mann wie ein Stärkungsmittel. Die nächsten Tage brachte er damit zu, sich die Sehenswürdigkeiten der inter essanten Weltstadt an der Seine, die er noch nicht kannte, anzusehen. Acht Tage weilte er in Paris, dann reiste er nach der Riviera. In sich gekehrt, kaum den Blick er hebend, schritt er an den berückenden, paradiesisch schönen Naturwundern vorüber ohne Anteilnahme, ohne sich ihre, bewußt zu werden. Seine innere Ruhelosigkeit wuchs von Tag zu Tag. Sein Hauptinteresse wurde von den Zeitungen in Anspruch genommen, die er sich aus der Heimat nachschicken ließ. Auch Pauls Briefe, die immer von dem himmelhohen Glück der Liebe verklärt waren, trafen regelmäßig ein, während er selbst nur mit Ansichts postkarten, auf die er ein paar kurze Zeilen kritzelte, ant wortete. Am zwanzigsten Mai enthielt die ihm aus der Heimat nachgcsandte Zeitung die Notiz: „In dem geheimnisvollen Fall Wrede, der noch immer der gerichtlichen Sühne harrt, hat die Staatsanwaltschaft die Anklage erhoben. Des Mordes verdächtig ist bekanntlich der ehemalige Schreiber Karl Schwtelinski, der sich seit Monaten in Untersuchungs haft befindet. Am sünfundzwanzigsten dieses Monats wird die unaufgeklärte Angelegenheit vor dem hiesigen Schwur gericht zur Verhandlung gelangen." Lin Beben ging durch die schwache, abgemagerte Gestalt des Lesenden und das Zeitungsblatt zitterte in feiner Hand. Sein« Auge« -lickten entsetzt in die Wette, die sich vor ihm in lockender, paradiesischer Schönheit auSbreitete. Er stand auf und schleppte sich mit schlotternden Beinen an das Fenster und eine Stimme schrie in ihm: „Fort! Rette dich, so lange es noch Zeit ist!" Am Abend erkundigte er sich nach den Zügen, die nach der Hafenstadt Triest gingen. Die ganze Nacht hindurch kam kein Schlaf in seine Augen, ja, er nahm sich überhaupt nicht die Mühe, sich zu entkleiden und sich zu Bett zu legen. Er wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab, vor sich hin brütend, grübelnd, in heißem Kampfe mit sich ringend. Am Morgen reiste er ab nach — Deutschland. Am drei- undzwanzigsten abends traf er in der Heimat «in. Am anderen Vormittag erstaunte Staatsanwalt Selling nicht wenig, als er Herbert Deinhard in sein Arbeitszimmer treten sah. „Wie? Sie sind es wirklich?" rief er dem langsam, schwerfällig Näherkommenden entgegen. „Sie haben sich wenig erholt, lieber Landrichter. Wirklich, Sie sehen nicht gut aus. Sie hätten noch nicht zurückkehren sollen." „Ich wollte Sie um eine Einlaßkarte zu der morgen den SchwurgcrichtSverhandlung bitten", sagte Herbert Deinhard. Der Staatsanwalt machte eine Bewegung der Ueber- raschnng. „Deshalb kommen Sie? Freilich, ich verstehe, daß die Sache Sie juristisch interessiert, haben Sie doch die Unter suchung geführt. Aber daß Sic deshalb Ihre Kur unter brechen, bas lohnt sich doch wahrhaftig nicht. Die Zei tungen werden ja alles ansführlich berichten." Aber der Landrichter nahm gar keine Notiz von dieser Bemerkung. „Ich darf also auf eine Karte rechnen?" fragte er. „Natürlich. Aber nun setzen Sie sich doch! Erzählen Sie! Sie waren an der Riviera, schrieb uns Hildegard." Herbert Deinhard nickte, und ohne den angebotrnen Stuhl anzunehmen, forschte er, während eine hektische Röte auf seinen Wangen aufflammte: „Welches Resultat wirb die Verhandlung bringen?" Der Staatsanwalt zuckte die Achseln. „DaS kann man ja bei einem Laiengcrichtc nie mit einiger Sicherheit Voraussagen. Aber ich hoffe doch, daß ich die Verurteilung des Angeklagten erreichen werde." Des Staatsanwalts vollwangigcs Antlitz strahlte voll Genugtuung, im Vorgefühl eines sicheren Triumphes. Der Landrichter aber ri§f: „Das hoffe ich nicht. Der An geklagte ist unschuldig. Die Geschworenen werden ihn frei sprechen." Der Staatsanwalt blickte in höchstem Staunen zn dem vor ihm Stehenden hinüber, dessen Mienen eine heftige Bewegung widerspiegelten. Das schien sich zu einer förm lichen fixen Idee bei dem ehemaligen Untersuchungsrichter ausgebildet zu haben, dieser unbegreifliche Glaube an die Schuldlosigkeit des Mörders. Tas war ja etwas ausge sprochen Krankhaftes. Und in dem sanften, rücksichts vollen Tone, den man Lchwerkranken gegenüber anschlägt, sagte er laut: „Sie haben Unrecht getan, lieber Land richter, zu der Verhandlung hcrzukommen. Wozu sich dieser Erregung ausicyen? Glauben Sie mir, Sie sind kränker, als Sie sich selbst halten. Ich werde Paul schreiben, er soll mit Ihnen sprechen. Sie sollten in ein Sanatorium gehen, lieber Deinhard, und einmal eine gründliche Knr durchmachen . . . Am anderen Vormittag nm neun Uhr begann die Schwurgerichtovcrhandlung. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Für Herbert Deinhard war ein Sitz in der ersten Reihe der Zuhörer reserviert worden. Mit fieberhafter Spannung hörte er den Aussagen der wenigen Zeugen zu, die abwechselnd vom Staatsanwalt und von dem Verteidiger des Angeklagten befragt wurden. Ab und zu warf er ängstlich beobachtende Blicke zu den Geschworenen hinüber, um aus dem Ausdruck ihrer
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