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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021213012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-13
- Monat1902-12
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Bezug-«Preis tz« Hao-t-rpedttto» »der den v» Stadt- »qM «d d» Vvr««i «Nchttlr» >»-- aa-ekell«, «»ß«tz» r BeetelsllLriich -t 4.«), - Muiiattßt, Lu stell»», sie» H<m» K.LL D»rch Ü» Post be»»,e* für De»eschta»» » Heft erreich aterteljLhrllch >l I», dt» tztzri^» Laich«« >a-»L«ttw>,-p»>i-lch«. Reöchktis« tt»> Er»etttto»r Tohmmt-gaffe 8. »—W-ch« l« «ch «. U!fU»Hcktz«,»llchtz»»dl^. a<w«rMU-«.^ L. Löschs » Lüut^pl, 7, Hae-1-Filiale vrrsde»? Strehleiler Atratz« -» Fernsprecher Amt l N». tTlth Haust-FUlale L erlitt: KSutggrLyer Straß« 11«, Fanrtprrch« Am» VI Ar. as»a. Str. 833. Morgen-Ausgabe. KiWMr.TMblaü Anzeiger. ÄmLsAatt -es Königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und des Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu-Prei- di» SgespaUen« PetüzeUe >L -Zh, Reklam«» »rter de» UrdaMmchstrtch st,«spalte») V» L» vor de» F»«Ute»nach- rtchte» (vgispalleu) VS rabellartschu a«d gtfferns», entsprechend höhe«. - Vetüthr« für Rachwe1sun»ea «N» Offirtenaumcha» «» ch, strcl. Erkra-Beilagen (-«jal^ an« mit der Mor-e»-1!lnsaav«. »ha« PosWef-rdenurg S0.--, Mit Potz des SrderLLg chl 7S--^ Annahaefchl«r str A«iei-ea: »»«»d-Ansgab«: vormtttag» 10 Uhr. M»ri«»-A»Sg<chi: RachwMazst ä llhr. Anzeigen sind stell an di« EppeRtioa z» richte». Ltr TrpedMoN ist wocheataqs mmMerbrochea gedslaet 0»» früh - bi» abend« 7 Uhr. Druck und Verla- vo» L. Pol, ia Leipzig. S6. Jahrgang. Tonnabenb den 13. Dezember 1902. Vie Erekution gegen Venezuela. Di« l« einem Teil der Auslage de» gestrigen Abendblattes schon kurz skizzierte offiziöse Berliner Korrespondenz der „Köln. Ztg.*, die übrigens noch vor der Befreiung der deutsche« und rnglischen Staatsangehörigen geschrieben ist, lautet wörtlich: verltn, 11. Dezember. Die Lage in Venezuela ist jetzt so weit geklärt, daß über den rücksichtslosen Bruch deS Völker rechte- durch Verhaftung friedlicher Deutscher und Engländer und durch Beschlagnahme privater Besiygegenstaade keinerlei Zweifel mehr besieht. Widerrechtlich und brutal, wie daS Auftreten des Präsidenten Castro, ist das Verhalten deS venezolanischen Pöbels, der, an Plünderungen und Ver wüstungen gewöhnt, jetzt die beste Absicht zeigt, sein Mütchen an den Ausländern zu kühlen und sich durch Raub und Diebstahl zu bereichern. ES geht in Caracas drüber und drunter, und es ist nicht der Pöbel allein, der dafür die Verantwortlichkeit trägt, sondern die Regierung des Herrn Castro, die die niedrigsten Triebe der Bevölkerung ausstachelt. ES ist noch zu hoffen, daß di« Venezolaner, die sich jetzt selbst außerhalb deS Völkerrechte- stellen, noch in letzter Stunde einsehen werden, auf welche für sie selbst gefährliche Bahn sie sich begeben haben, und daß die sehr ernsten und ent schiedenen Vorstellungen des amerikanischen Gesandten Bowen nicht ohne Eindruck bleiben. Einige wenige Tage werden in dieser Beziehung die Entscheidung bringen muffe». Bis dahin find wir jedenfalls den Bereinigten Staaten zu Dank ver pflichtet für da- tatkräftige Eingreifen ihre- Gesandten, der schon di« Befreiung eine- Teile- der Verhafteten durchgesetzi hat und heut« hoffentlich auch die Freigabe der andern be- wirken wird. In jedem Falle aber bestebt für uns jetzt die unbedingte Verpflichtung, Venezuela zur Achtung des Völker rechte- zu zwingen und unsere Forderungen durch,»setzen. Waren wir früher schon dazu entschlossen, so gibt e« jetzt nach dem Verhalten des Präsidenten Castro kein Zurück weichen mehr und kein Kompromiß. Angesicht» dieser Sachlage ist eS bedauerlich, daß man in einigen wenigen deutschen Blättern an der Politik der Regierung gegenüber Venezuela herummäkelt und statt den jetzt allein maßgebenden nationalen Standpunkt zu betonen, sich in Spitz findigkeiten darüber ergeht, wie e- hätte besser gemacht werden können. E» wird die Frage aufgeworfen, ob Deutschland oder England den ersten Schritt zu dem gemeinsamen Vorgehen getan hätte und dabei unterstellt, daß e- wohl Deutschland gewesen sein würde. Wir glauben nicht, daß man schon jetzt mit beglaubigten Mitteilungen über die Einzelheiten der Vorverhandlungen hervortreten wird, und halten e- für wahr scheinlicher, daß man diese Aufgabe einem spätern Blaubuche überlassen wird. Wie dem aber auch sei, für den Augenblick scheint eS unS recht gleichgültig, wer zu dem Einvernehmen den ersten Schritt getan hat, sondern eS kommt nur daraus an, daß er geschehen ist und jetzt feine praktische Bedeutung zeigt. Zweifelsohne wäre Deutschland auch allein mit Venezuela zu Ende gekommen, aber angesichts der böswilligen Hartnäckigkeit de« Präsidenten Castro erscheint eS doch als eine sehr nützliche Errungenschaft, daß wir Seite an Seite mit England stehen und daß der Kraftaufwand, wenn er in noch erhöhtem Grade nötig werden sollte, von zwei Schultern getragen wird. Am allerwenigsten aber ist e- zu verstehen, wenn man den Versuch macht, die Sache so darzustellen, als ob man den Vereinigten Staaten gegenüber eine falsche Politik be folgt habe. Die Tatsache, daß Amerika den Schutz unserer Bürger übernommen hat und jetzt seinen Einfluß einsetz», um Castro iu seinem rechtswidrigen Treiben zu verhindern, zeigt so klar wie möglich, daß man eü verstanden hat, alle etwaigen Bedenklichkeiten und Besorgnisse der Vereinigten Staaten zu zerstreuen und nach dieser Seite hin das Feld für die Operationen zu ebnen. Nicht nur haben wir die Bereiuigten Staaten nicht gegen un«, sondern wir er' freue» un» ihrer moralischen Unterstützung, mehr kann mau doch eigentlich nicht verlangen! E» wird dann auch die Frage aufgeworfen, ob beide Mächte eine Vereinbarung getroffen haben, wie sie sich ver halten werden, wenn Castro die Forderungen de» eine« Teile» bewilligt, die de» anderen aber ablehnt. Wir kennen nicht die Abmachungen der beiden Regierungen, aber e» scheint un» selbstverständlich, daß, wenn zwei Regierungen sich zu einer gemeinsameu Handlung zusammentun, sie dieselbe auch gemeinsam bi» zum End« durchführen. E» ist eine selbstverständliche Forderung der Loyalität, und wir sind über zeugt, daß beide Regierungen dementsprechend handeln werden, ohne Rücksicht darauf, ob eiu« solch« Verpflichtung schriftlich frstg«l«gt ist oder nicht. Herrn Castro wäre es schon zu- zutrauen, daß er auch auf eine solche Möglichkeit spekulierte, er würde sich aber darin ebenso täuschen, wie in der Hoff nung, daß dir Bereinigten Staaten da- Raubsystem Venezuelas gutheißen und schützen sollten. . Angesicht- der Bedrohungen und Vergewaltigungen, bereu Gegenstand jetzt unsere Landsleute in Venezuela sind, wird von manchen Seiten di« Frage erwogen werden, ob durch die angewandte Radikalkur nicht neue Uebel hervorgerufen ind, die größer sind als die alten, zu deren Heilung sie angewendet werden. Unsere deutschen Landsleute, di« in den Gefängnissen von Caracas faßen und noch sitzen, mögen ich wohl einen Augenblick in verzagter Stimmung befinden; es konnte aber nicht anders gehandelt werden, al» wir eS geschehen ist, und gerade unser« Landsleute in Vene zuela waren es, die feit Jahren darauf drangen, ihre Forde rungen gegen Venezuela durch Vermittelung de« Reiche- und nöligensall» durch Anwendung von Gewaltmitteln einzu treiben. Seit Jahren wurde darüber geklagt, daß die Re gierung zu langsam vorgehe und die deutschen Interessen zu zaghaft verträte. Da- deutsche Geschäft wäre in Venezuela unmöglich geworden, wenn die deutsche Regierung die Rechtsverletzungen und Ausschreitungen der dortigen Machthaber weiter geduldet hätte. Der augen blickliche Zeitpunkt bedeutet einen nicht ungefährlichen und schmerzhaften Wendepunkt; aber es war nölig, daß man ihn durchmachte, da man auf andere Weise zu gedeihlichen Der- dältnisseu nicht gelaagea konnte. * La Guayra, 12. Dezember. (Telegramm.) Tie strategischen Punkte in den Bergen hinter der Stadt halten die venezolanischen Regie rungstruppen besetzt. Die eifrigen Vorbereitungen zum Widerstande dauern fort. Unter der Bevölkerung herrscht große Begeisterung. Die Männer suchen dringend nm Waffen nach. Die Verladungen im Hafen sind eingestellt. * Pari«, 12. Dezember. (Telegramm.) Ein eigener Trahtberickt des „Matrn" auS Caracas enthält noch folgende Einzelheiten: In der Nacht auf Donnerstag durch - zogenVolkSmasscn die Haupt ft raßen unter dem Rufe: „Nieder mit England! Nieder mit Deutschland! " und verbrannten unter Händeklatschen Fahnen der beiden Länder. Ein großes Geschäft mit dem Schilde „Alcmania" mußte diese Aufschrift vor den Drohungen der Menge entfernen. Alle waffenfähigen Männer von 18 bis 60 Jahren wurden zudenFahn en gerufen. Castro verhandelt mit den Aufstandsführern wegen gemeinsamer Verteidigung des Landes. Er bietet Rolando und Elmocho Befehlshaber-steilen an und gibt das beschlagnahmte Vermögen MatoS heraus. (Voss. Jtg.) * Washington, 12. Dezember. (Telegramm. ) In folge telegraphischer Instruktionen svrachen der deutsche und der englische Botschafter dem Staatsdepartement den Dank für die guten Dienste des amerikanischen Ge sandten Bowen, durch den die Befreiung den englischenund deutschen Staatsangehörigen in Venezuela hcrbcigrführt wurde, aus. Die beiden Diplo maten erörterten die gegenwärtige Lage mit dem Staats sekretär Ha», der sich erbot, die Botschafter über die Meldungen, wclckc von der Gesandtschaft in Caracas und den amerikanischen Konsuln eingchen, auf dem laufenden zu er halten. Die Botschafter sind angewiesen, dem Staatsdeparte ment die Versicherung zu geben, daß weder England, noch Deutschland bcabsiclNige, in irgend einer Einzelheit abzugchcn von dem Plan ihrer gemeinschaftlichen Aktion, wie sie in London und Berlin fcstgcstellt und dem Staatsdepartement vor einiger Zeit mitgcreilr worden ist. " London, 12. Dezember. (Telegramm.) Bei der Besprechung der Vorgänge in Venezuela schreibt „Standard": Tie durch Castros Haltung ge schaffene Lage ist entschieden nicht zufriedenstellend. Wenn wir cs mit eeincr geordneten Verwaltung und einem wohl organisierten betriebsamen Volke zu tun hätten, würde eine Unterbrechung des Handels und Abschneidung von der Außen welt die Regierung zum Nachgcbcn zwingen, aber unglücklicher weise stehen wir einem ganz regellosen Gcmeimvesen gegen über, das von einer Clique von Abenteurern beherrscht wird. — „Daily Chronicle" sagt: Selbst Castro muß ein sehen, daß er dem Untergang zusteucrt, lvcnn ihm keine diplo matische Intervention zu Hülfe kommt. Der ernsteste Umstand ist die Erregung der Bevölkerung Venezuelas, die ein Blut vergießen wahrscheinlich macht. * Berlin, 12. Dezember. (Telegramm.) In der „Vossischen Zeitung" wird die Londoner Meldung, daß die Ver bündeten die Gefangennahme des Präsidenten Castro planen, als unrichtig bezeichnet. Es werde nicht beabsichtigt, einen Feldzug im Innern des Landes zu führen, was geschehen müßte, wenn man Castro fcstnehmen wollte. Eine solche Expedition wäre nicht bloß mit großen Schwierigkeiten verbunden, sondern müßte auch zu Blutver gießen führen, und das wolle man vermeiden. Die Aktion werde daher auf die Küste beschränkt bleiben. Rußland und die Lurie. V. kl. Die Reise des Zaren nach Italien ist festgesetzt. Sie wirb, wie es heißt, in einigen Wochen vor sich gehen und gilt zunächst einer Pflicht der Höflichkeit, nm die Visite Viktor Emanuels am russischen Hofe zu erwidern. Aber eS sind damit auch politische Aufgaben verbunden, die in zwiefacher HinsichtBeachtung verdiennen: einmal im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Rußland und Italien, das seit der Thronbesteigung des gegenwärtigen Königs entschieden enger und fester geworden, und sodann mit Berücksichtigung der auffallenden Beziehungen, welche Rußland und die Kurie unterhalten. Letztere namentlich haben die Aufmerksamkeit in hervorragendem Maße auf sich gezogen und bilden seit Jahren den Gegenstand des Interesses. Daß man an -er Newa Wert darauf legt, den Papst sich freundlich gesinnt zu erhalten, ist bet verschiede nen Gelegenheiten hervorgetrcten un- äußert sich gegen wärtig durch die Ankündigung des Besuches des Kaisers im Vatikan. , Bekanntlich weilte der GroßsürstS ergius, derOhenn und Schwager des Kaisers Nikolaus, kürzlich in der ewigen Stadt und hielt Konferenzen mit dem Kardinal- StaatSsekretär Ramoolla ab; es sollen dabei die Einzel heiten des Besuches und das dabei zu beobachtende Ecre- moniell festgestcllt worden sein. Es war das aber kaum der einzige Grund, der den russischen Prinzen bewogen hat, mit dem Leiter der Politik Leos XIII. in direkten Gedankenaustausch zu treten. Zur Regelung dieser ledig lich äußeren Fragen hätte die Gesandtschaft auch genügt, die in Herrn Tscharnkoff ein geschicktes nnd taktvolles Oberhaupt besitzt. Man muß vielmehr annehmen, daß Großfürst Sergius, der beim Zaren in besonderer Gnade steht, auch politische Aufträge bei der Kurie zu er füllen hatte. Tie Natur dieser Aufträge läßt sich nicht mit Sicherheit fcststcllen, aber verschiedene Ereignisse aus der Vergangenheit könnten uns doch auf den richtigen Weg weisen. Zu den Lieblingswünschen Leos XIII. gehört bekannt lich die Bereinigung der römisch-katholischen und der griechisch-orthodoxen Kirche. Der Plan ist auch scheinbar mit großem Eifer betrieben worden und Papst und Zar haben außerordentliche Gcsandschasten wegen dieser Ange legenheit ansgetauscht.Aber ein praktischcsErgebnis wurde nicht erzielt. Bei der Umsicht der russischen und der päpst- lichenDiplomatie erscheint cs nun fraglich, ob dicscKirchcn- vereiriigung überhaupt so ernst gemeint war, wie man sie hinstcllte, und ob nicht unter der theologischen Decke ganz andere, und zwar politische Tinge betrieben wurden. Das Papsttum hat ungeachtet scheinbarer Friedfertigkeit nie den Gedanken der Wiederherstellung seiner weltlichen Herrschaft aufgegeben und sucht Verbündete für diesen Zweck. Es weiß, daß es darin vom Dreibünde nichts zu erwarten hat, und deshalb hat es sich gleich nach dem Auf tauchen -er französisch-russischen Allianz dieser zu gewandt und ist als dritter freiwilliger Faktor dem Bunde zwischen der Republik nnd dem absoluten Kaisertum bei getreten. Wir bezweifeln indes, daß Rußland der Kurie in dieser Hinsicht irgend ein Zugeständnis gemacht habe. Je denfalls ist man viel zu vorsichtig an der Newa, um sich in einer so kritischen Frage zu bindenden Beschlüssen hin reißen zu lassen, deren Erfüllung dem Zarenreiche mehr und Schwereres kosten konnte, als ihm die Freundschaft der Kurie cintraaen würde. Man verkennt aber in Petersburg keineswegs den moralischen Einfluß des Papfttirms tn den katholischen Ländern Europas. Und deshalb hat man auch ein ge wisses Entgegenkommen an den Tag gelegt, das, wenn auch mehr äußerlicher Natur, doch gewiß zur Festigung der beiderseitigen Beziehungen geeignet ist. Zunächst wurde schon vor mehreren Jahren eine ständige Gesandt schaft beim Vatikan eingerichtet, welche den Verkehr zwischen dem Zarentum und der Kurie erleichtern muß. Allerdings wurde die Gesandtschaft zunächst dazu benutzt, den Papst zum Abschluß eines Vertrages zu bringen, der die katholische Kirche Rußlands fonnell in vollste Ab hängigkeit von der Regierung brachte. Aber man hat doch auch in höherem Maße den Wünschen der Kurie Rechnung getragen. Bei der Ernennung der Bischöfe, bei der Beurteilung von Streitigkeiten und überhaupt in allen den Katholizismus berührenden Angelegenheiten ist der Einfluß des Papstes stärker als früher zur Geltung ge kommen. Rußland hat dabei seine staatlichen Rechte und Inter essen nicht vernachlässigt. Als vor einigen Monaten der polnische Bischof Zwicnowiczin einer Ansprache scharf die zarifche Politik verurteilte, wurde er seines Amtes entsetzt und ohne daß der Papst um Erlaubnis gefragt wurde, »ach Twer verbannt. Indes hat die Sache kürzlich eine völlig uner wartete Erledigung gefunden. Zwienvwiez ist trotz seine ungewöhnlichen Vorgehens zurückbcrnfen und zum Bischof von Sandomir ernannt worden. Hier sicht man deutlich deu Einfluß dcr Kurie selbst in dem absolutistischen Ruß land, das sich in seine inneren Angelegenheiten sonst nicht gern hcrcinrcdcn läßt. Die baltischen lutherischen Prediger, die niemals in so rücksichtsloser Weise die Re gierung des Zaren angegriffen haben, sind bedeutend strenger bestraft worden, und keiner von ihnen hat eine ähnliche Begnadigung wie dcr Bischof Zwicnowicz erlebt. Diese Wiederberufung deS polnischen Prälaten verdient gerade jetzt besondere Beachtung, da die Vorbereitungen für die römische Reise des Kaisers Nikolaus getroffen wer den. Sie beweist, daß Rußland von der Begegnung zwischen Zar und Papst politische Vorteile erwartet. Es ist besonders der große Einfluß dcr römischen Kurie auf gewisse Kreise dcr französischen Republik, den man in Petersburg sich nutzbar machen will. Und sch'ießlich liegen die Dinge in Frankreich so, daß niemand mit Bestimmtheit voraussagen kann, ob die gegenwärtige Staatsform von Dauer ist oder ob sie nicht am Ende von der Monarchie abgelöst wird. Man pflegt in Petersburg das Nächst liegende zu beachten, aber man erkennt die Dinge auch in der Ferne. Alles dieses rechtfertigt die Annahme, daß der Besuch des Zaren Nikolaus beim Papste bedeutsame Wir kungen staben kann, die vielleicht vom gesamten Europa empfunden werden. Deutsches Reich. H v«rli», 12. Dezember. (R e i ch s f t n a n z e n und Zolltarif.) Es gehört ein starkes Stück Schönfärberei dazu, um, wie cs jüngst von freisinniger Seite geschehen ist, aus den letzten Veröffentlichungen über die Ist- cinnahmen des Reiches ans eine günstige Lage der Reichs finanzen schließen zu wollen. Es ist nach diesen Daten keineswegs sicher oder auch nnr n»ahrschcinlich, daß, wie von jener Seite angenommen wir-, der Reich-Hau-Halt». etat des laufenden Jahres ohne Fehlbetrag abschlicßen und da» Verhältnis zwischen Ueberwetsungen und Matrikularumlagen sich gegenüber dem Etat nicht ver schlechtern wird. Aber selbst wenn diese Annahme zu- träfe, könnte von einer günstigen oder auch nur leidlichen Finanzlage im Reiche nicht die Rede sein, denn der Reichs aufwand deS laufenden Jahres kann nur unter Zuhülse nahme beträchtlichen Äapttaloerbrauches aus dem Reichs- invalidcnfonds und aus dem Reste der China-Anleihe, sowie unter Belastung der Bundesstaaten mit mehr als H6 Millionen Mark ungedeckter Matrikularumlagen be stritten weiden. Aus die Dauer lassen sich aber beide Hülfsmittel zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen Einnahme und Ausgabe im Reiche nicht verwenden. Tas Jahr 100g läßt zudem, wie bekannt, ein noch ungleich un günstigeres Verhältnis zivischen Einnahme und Ausgabe im Reiche erwarten. Auch abgesehen von dem Bedarf zur Deckung deS Ncichsdcsizits aus dem Jahre 1901 bleiben die ordentlichen Einnahmen hinter den aus denselben zu bestreitenden Ausgaben für 100 s um rund 100 Millionen Mark zurück, und es wird, da bei der keineswegs günstigen Finanzlage aller Bundesstaaten an die Aus schreibung eines so hohen Betrages ungedeckter Matri- kularumlagcn nicht gedacht werden kann, zweifellos zu dem bedenklichen AuSkunstSnffttel einer Ergänzungs anleihe gegriffen werden müssen. Es läßt sich eben, seit die außergewöhnlich starke Zunahme der Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchssteuern wieder der regel mäßigen Entwickelung Platz gemacht hat, die Tatsache nicht mehr abstreiten, -aß die ordentlichen Einnahmen des Reiches zur Bestreitung seines stetigen und ziemlich rasch wachsenden Ausgabebedarses nicht ausrcichen. Eine Verstärkung deS Zollschutzes, wie sie für die Neuregelung unserer Zoll- und Handelsbeziehungen zu dem Auslände in Aussicht genommen ist, verfolgt an sich finanzielle Zwecke selbstverständlich nicht, aber es ist eine günstige Nebenwirkung von Schutzzöllen, daß sie zugleich eine finanziell ergiebige Einnahmequelle liefern und so mit dem wirtschaftlichen Nutzen fttr das Erwerbsleben auch finanzielle Vorteile für den ReichSsäckel mit sich bringen. Wenngleich infolge des 8 11» des Zolltarifgesetzes ein Teil der zu erwartenden Mehreinnahmen für sozial politische Zwecke vorweg festgelegt ist, so siebt doch aus den Zöllen, wie sie sich aus den auf der Grundlage des neuen autonomen Zolltarife- abzuschlteßenden Handels verträgen ergeben werden, auch eine beträchtliche Mehr- cinnahmc für die Neichskassc in Aussicht. Insoweit dies der Fall ist, erübrigt sich natürlich die Erschließung anderer Einnahmequellen, welche naturgemäß nur auf dem Gebiete der Steuern gefunden werden kann. Wer daher der Annahme des Zolltarifs wider strebt, zieht von selbst einen Wechsel auf neue Reichs steuern in Höhe der von dem Zolltarif für daS Reich zu erwartenden Mehreinnahmen, während umgekehrt diejenigen, welche den Zolltarif zur An nahme bringen, der Bevölkerung neue Steuern in Höhe dcr zu erwartenden Mehreinnahmen ersparen. Auch diese Seite der Sache fällt naturgemäß setzt, wo die endgültige Ent scheidung über den Zolltarif unmittelbar bcvorsteht, zu Gunsten des Zustandekommens desselben ernstlich ins Okwicht, und man wird wohl in der Annahme nicht fehl gehen, daß die eingangs erwähnte schönsärberische Dar stellung der Relchsfinanzen wesentlich von dem Bestreben diktiert ist, die Wirkung dieses Arguments zu Gimsteu dcr Verabschiedung -er Zvlltarifvorlagc abzuschwächcn. —Berlin, 12. Dezember. (Der Parteitag deS bayrischen Zentrum-) Die Leiter der bay> «scheu Zentrunispartei baben bekanntlich mitgeteilt, daß der siir die Mitte riete- Monat- geplante Parteitag deS bayrischen Zentrum- bi- nack Nenjalir verschoben worden ist. Als G>und biersür wurde die Rücksicht auf die ReickStag-verband- lungen angegeben, bei deren Wichtigkeit die bayrischen ReichS- tagSabgeorvneten in Beilin anwesend sein müßten; ebne i tztere aber könne der Parteitag nickt stattfinden. Dieser G>und ist sicherlich mehr al- ein Vorwand. Im Übligen jerock wird es dem bayrischen Zentrum iebr lieb sein, bis zur Abbaltung de« Paneitages noch einige Zeit verstreichen zu leben. Denn seit der Anlündigung des Parteitages hat die politische Lage in Bayern eine er be blich veränderte Gestalt angenommen. Geplant wurde der Parteiiazin rerübeiströmenden Entrüstungwegen desRiicktriite- des Kultusministers von Landmann: daS war der Angel punkt für die VerbandlunHen des Parteitage-, wie das Bor- ipiel für ibn in einer Benammlung deS christlichen Bauern vereins und die Haliunz ter bayrischen ZentrumSpresse anfs drastischste erkennen ließen. Seither ist Herrn ven Lanrmanns Nachfolger Freiberr von PobewilS in Aktion getreten, und die Wirkung davon war» daß er im klerikalen Lager mit den wärmsten Lobiprüchen bedacht wurde. Verdient war dieses Lob einerseits durch die Erledigung der Weißenburger Schul angelegenheit, dir Freiberr von PovewilS, wie erinnerlich, endgültig dabin ent chied, daß er da-Lerbot, in Weißenburg eine Simultanschule zu errichten, auSsprach. Anderseits zeigten sich die Klerikalen aufs höchste durch die Ar» befriedigt, wie Frei herr von Podcwils den Würzburger Fall Chroust be seitig», nämlich du-ch die gleichzeitige Beförderung de» außer ordentlichen Protest.-,- vr. Cbroust und seine- Gegner», deS auße'orrentlichen piojessorS I)r. Förster, zu ordentlichen Pro fessoren. Beide Vorkommnisse haben sicherlich nicht nur i» der bayerischen ZentrumSpresie, sondern auch in der bayerischen ZentrumSpartei Eindruck gemacht, sodaß der Parteitag deS dayeriichen Zentrum» unter einem ganz andern „Stern" tagen wird, al- ursprünglich beabsichtigt war. Unter solchen Um- »änben wird eS dem bayerischen Zentrum doppelt erwünscht sein, für die Erledigung der Parteitags-Arbeit die RrichS- tag«arbeiten und damit die ReichStageabgeordneten in un gleich höherem Grade heranzuFeden, als von Anfang an in Aussicht genommen war. Sollte aber wider Vermuten der Rücktritt des Herrn von Landman» auch dem vertagten bayerischen Parteitage seine Signatur verleiben, dann würde Freiherr von Podewü» gleich beim Beginn seiner ministeriellen
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