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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021215016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-15
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Tabellarischer and Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren str Nachweisungen und Offerteuaaaahme LS (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Marge».Au-gabe, ohne Vostbeförderung SV.—, mit Postbesörderuug 70,—. Anuahmeschluß fir Ruzeige«: Ab end »Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-LuSgaber Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets a» di« Expedition za richt«. Die Spedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh S bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 88. Jahrgang. Montag den 15. Dezember 1902. Großhcrzog Peter von Oldenburg. Im Nordvesten unseres deutschen Vaterlandes liegt ein Land, dal nur selten politisch von sich reden macht, das einen traten, derben Menschenschlag beherbergt und das weniger durch seinen Handel als durch seine Land wirtschaft benihmt ist. Ucbcr dieses kräftige und saftige Land Oldenkirg regierte bald fünfzigJahre lang Trotz herzog Nicolrus Friedrich Peter. Erst vor zwei Jahren schloß er sein« Augen, und damit ging wieder ein deutscher Fürst dahin der mit tätigen Anteil au der Gründung üeö Reiches genommen hatte, eine jener Kraftnaturen, wie sie das erste Drittel des vorigen Jahrhunderts her vorgebracht hatte, damit sic im letzten Drittel grvtze Taten vollbringen konnten. Wie sein Land, ist auch der Großhcrzog selbst politisch wenig hervvrgetrcten, er hat sich gewissermaßen nach seinem ersten politischen Auf treten zurückgezogen und hat das Werk der Weltgeschichte anderen üterlassen. Deshalb hat er aber nicht weniger Anteil an der Entwickelung des deutschen Volkes ge nommen, und wenn ihm sein langjähriger Minister Günthec Jansen in seinen Erinnerungen, die jetzt bei Schultze in Oldenburg erschienen sind, ein schlichtes Denkmal jetzt, so hat er das wirklich verdient, nnd es ist nicht mehr recht als billig, wenn wir an der Hand dieses Buckes einen Blick auf das Leben des Grvtzhcrzogs werfen. Sein politisches Bortretcn fällt in die Zeit des schles wig-holsteinischen Erbfolgestrcites. Schon im Lause der fünfziger Jahre führten den Grvßherzog eingehende Studien auf der Grundlage des im Oldenburger Staats archiv vereinigten urkundlichen Materials auf die „Spur der Wahrheit" in der schleswig-holsteinischen Erbfolge frage, wie man in oldenburgischem Sinne das gefundene Ergebnis bezeichnen zu dürfen glaubte. Bei diesen Studien stand dem Großherzog eine Persönlichkeit zur Seite, welche während einer Reihe von Jahren auf die Anschauungen des hohen Herrn auf dem Gebiete der schleswig-holsteinischen Frage einen bedeutenden Einfluß geübt hat und vielleicht der Erste gewesen ist, der seine Aufmerksamkeit auf die zweifelhafte Fundierung der Augustenburger Doktrin und die vvrgehcndcn Erb- ansprüche des Gottorper Hauses lenkte. Es war dies ein Mann von umfassender Gelehrsamkeit und vollständiger Beherrschung des geschichtlichen und urkundlichen Mate rials, der damalige Archivar vr. Wilhelm Lcvcrkus, welcher im Fortgänge seiner Tätigkeit in der schleswig- holsteinischen Angelegenheit allmählich zum Referenten im Staatsministcrium und zum Staatsrat aufrückte. Von ihm wurden in überaus gründlichen Arbeiten die Materialien für den Nachweis zusammengebracht, daß nach der Ordnung der Staatöcrbsolge in den Herzog tümern nach dem Erlöschen des dänischen Königshauses nicht das Haus Sonderburg, sondern das Haus Holslein- Gvttorp — und zwar an erster Stelle die in Rußland regierende ältere Linie desselben — zur Nachfolge berufen sei. Tic Levertusschen Deduktionen mochten namentlich in Beziehung auf Schleswig von gewissen Lücken nicht frei sein, gewannen aber den Großhcrzog, der dabei auf selbständige Prüfung niemals verzichtete, nach reiflichster Ueberlegung in der Hauptsache vollständig für sich, und auch der erste Berater deS Grotzherzvgs, Miuister v. Rössing, der sich anfangs mehr skeptisch verhalten und die Zweifclspunkte hcrvorgckehrt hatte, fügte sich all mählich der Beweiskraft der vorgebraätten Argumente. Alle diese Tinge vollzogen sich unter der Mitwisscnschaft weniger, und in Oldenburg hatte von dein, was zu jener Zeit in der Seele des Grvtzhcrzogs vorging, sonst niemand eine Ahnung. Es mag sich die Frage aufwerfe», wie cS geschehen konnte, datz so weittragende Rechtsansprüche unter den Lebenden völlig in Vergessenheit geraten waren nnd erst durch eine neue Entdeckung gewisscrmatzcn wieder aus gegraben werden mußten. Darauf wäre zn erwidern, daß eine solche Vergessenheit in dem nächstbetciligtcn die ältere Gottorper Linie vertretenden Rußland niemals stattgcsnnden hat, sondern diese Rechte (Londoner Proto koll» tatsächlich zur Geltung gebracht sind, wenn sich Anlatz dazu bot. In Oldenburg, als dem Sitz der jüngeren Linie des Gottorper Hauses, hatte man seit dem Jahre 1773 keine Veranlassung mehr, um diese verwickelten und weitablicgenden Dinge sich zu kümmern, und der Minister des Herzogs Friedrich August, Graf Friedrich Leviu v. Holmer, ist wohl der letzte vldeuburgische Staatsmann gewesen, der die Materie der schleswig-holsteinischen Erb- fvlgeverhältnissc vollkommen beherrschte. Tann kam mit der französischen Revolntion nnd dem Untergänge ver alten deutschen Reichsverfassung, der französischen Occu- pation Oldenburgs, den Freiheitskriegen und der inneren Umgestaltung Deutschlands eine völlige Wandlung bcr Zeiten, die diese Dinge dem Gesichtskreise der Mit lebenden noch mehr entrückte, bis endlich »ach einer langen Reihe von Jahrzehnten die Zuspitzung der schles wig-holsteinischen Frage wieder aus sie zurückführte und Auffassungen, die seit Generationen verloren gegangen waren, wieder belebte. Auch mochte man früher davor zurückgescheut haben, Auffassungen näher zu treten, welche in erster Linie Rußland zu gute zu kommen schienen. Ter politische Plan des Grvßherzogs für die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage, welcher auf dieser wiedergewvnncnen Rechtsausfassung sich aufbautc, zielte aus eine Uebertragung der schleswig-holsteinischen Erb rechte der älteren Gottorper Linie aus die jüngere ab, eS sollte also nach dem Scheitern der Londoner Kombination zn Gunsten Oldenburgs nur geschehen, was Rußland zu Gunsten Hvlstein-GlttcksburgS zu tun bereit gewesen war. Beruht doch der Rcchtsbestand des gegenwärtigen Groß herzogtums Oldenburg ebenfalls auf einer durch die Austanschvcrträge von 1707 »nd 1773 vollzogenen Eession der Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst von Seiten der älteren Gottorper Linie an die jüngere, und wie diese Verträge zu ihrer Zeit nach ihrem eigenen Ausdruck „die Ruhe des Nordens" zn sichern bestimmt gewesen waren, so batte durch eine entsprechende Wiederholung dieses Vorganges den Herzogtümern eine einheimische Dynastie unter voller Wahrung ihrer altverbrieftcn Rechte ge sichert nnd aus diesem Wege die schleswig-holsteinische Frage auch im nationalen Sinne befriedigend gelöst, ins besondere aus ihrer weiteren Entwickelung der gefähr liche politische Faktor Rußland ausgeschieden werden können. Tabei ward davon ausgegangcn, daß — waS die politische Lage Europas ausschloß — der Kaiser von Rußland an eine unmittelbare Geltendmachung eigener Ansprüche ebensowenig wie an eine russische Secundo- genitur in den Herzogtümern denken, sondern wie früher bereit sein werde, einen angemessenen Austrag der An gelegenheit innerhalb des oldenburgischcn Gcsamthauses herbcizusühren. Dafür die geneigte Stimmung des Kaisers und der ihn beratenden russischen Staatsmänner zu gewinnen, erschien als die nächste Ausgabe. Tie Frage ist anders gelöst worden. Eine mächtigere Hand zerhieb den Gordischen Knoten und bereitete damit die neue deutsche Zeit vor. Großhcrzog Peter war trotz des Mißlingens seiner Pläne ein treuer Anhänger Preußens, und wenn ihm auch 1886 die Annexion Han novers nahe ging, so fühlte er wohl, daß ein Teil der Schuld ans Seite des Königs Georg lag. Zu Bismarck stand der Großhcrzog in einem eigen tümlichen Verhältnisse. Sv wenig der Großherzog dem Gange der inneren Politik Geschmack abgcwinncn konnte, würdigte er doch, wie kaum betont zu werden braucht, die weltgeschichtlichen Verdienste des großen Staats mannes in vollem Maße und ließ sich in dieser Haupt sache durch Stimmungen und Betrachtungen über Nebendinge nicht beirren; aber cs lag wohl in der Eigen art seiner Natur und seines Charakters, datz er eine gewisse innere Abneigung gegen diese mächtige Indivi dualität nicht zu überwinden vermochte, und einem Biö- marckkultus, wie er mehr und mehr sich zu entwickeln be gann und auch von manchem seiner fürstlichen Ltandcs- gcnossen geübt wurde, blieb er fern, ohne deshalb ge legentliche Aufmerksamkeiten zu versäumen, deren Unter lassung demonstrativ hätte aussehen können. Persönlich begegnet dürste er nach den großen Kriegen auch bei häufiger Anwesenheit in Berlin dem Kanzler kaum wieder sein, außer flüchtig nach den beiden Thronwechseln des Jahres 1888. ES war das nicht ausfallend, da Fürst Bismarck bei Hvssesten und offiziellen Anlässen nur noch in seltensten Fällen erschien und der Großhcrzog ihn nicht aufsuchtc. Daß der Kanzler nach verschiedenen Zu sammenstößen der Anschauungen in wichtigen Punkten dem Großhcrzog besonders freundliche Gesinnungen ge widmet haben sollte, ist bei seinem den Widerspruch selbständiger Naturen übel vermerkenden Naturell kaum anzunchmcn; die vorübergehende Ausmerzung Olden burgs aus den Ausschüssen des Bundesrates nach dem Umschwünge der Wirtschaftspolitik und andere kleine oder wichtigere Vorgänge — noch kurz vor dem Sturze deS Kanzlers — schienen nicht dafür zu sprechen. In Olden burg hörte man manchmal dem Bedauern über solche Dissonanzen, wenn darüber im engeren oder weiteren Kreise verlautete, Ausdruck gebe»; es lag das aber zn tief in seinem Wesen begründet, als daß diejenigen, die dem Großhcrzog näher standen, davon hätten überrascht sein können. Daß auf die Stimmungen des Großhcrzogs zeit weilig auch die weiteren Geschicke des entthronten han noverschen Königshauses, die Beschlagnahme des Ver mögens des Königs Georg, die er für einen rechts widrigen und politisch nicht gerechtfertigten Akt hielt, und das Treiben bei der Verwendung des Wclfenfonds eine starke Einwirkung übten, war bekannt. Ter Großhcrzog war in seinen kirchlichen Ge sinnungen ein frommer und gläubiger Christ und Pro testant. Während die religiösen Auffassungen seines Vaters und seines Großvaters noch mehr in dem Zeit alter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurzelten, stand er auf dem Boden der positiven Kirche; an kirch Winterblüten. Ein klarer, frostiger Wintcrmorgcn. Es ist grimmig kalt. Auch die liebe Sonne scheint die Fähigkeit und Lust, uns zu wärmen, verloren zu haben, — spitz und frostig funkeln ihre rothen Strahlen daher durch die Morgen luft und werfen einen violetten Schein über die gefrorene Erde. Da treffen sic auf ihrem Laus auf eine Fenster scheibe, vergebens versuchen sic ans dem gewohnten Wege in das Zimmer zu gelangen, — all' ihre Bemühungen scheitern an dem Widerstande der diamantnen Stores, mit denen sich die Scheiben überzogen haben. Hei! wie das glitzert und funkelt! Freundlich umschmeichelt der frostige Sonnenstrahl die kristallenen Blüten, die des Winters Gärtnerkunst hier über Nacht hervorgezaubcrt hat. Aber der Widerstand wird zum Bundesgenossen, und in köstlicher Pracht funkelnd, geben die glitzernden Kristalle -er Kensterblüten den Glanz des Sonnenscheins weiter, strahlen ihn von sich aus in die Stnbc hinein und ergötzen so doppelt unser froh erstauntes Auge. Ist cs ein Stcrnengcmimmcl? Jst's Spitzcngcwcbe? — Ist es ein Arabeskcngcrank modernster Art, oder sind cs Bilder einer Tropenlandschaft von ungeahnter Schönheit? Hier nnten sproßt es in dichtem Gedränge, wie die Gebilde eines grotesken Miniaturwaldes, da ringt cs sich in zartem Gewölk empor, duftigen Federn vergleichbar und sich in» und umeinander verschlingend. Dann wieder schießt es wuchtig in gestreckten Strahlen hervor, wie die elektrischen Entladungen eines Nordlichts, und oben fügt sich Sternchen bei Sternchen zu einem dichten, undurch sichtigen Hintergrund. Der lebhaften Schaffensfreude des Frühlings tritt diese Kristallisationsarbeit deS Winters würdig an die Seite. Ist es im Frühling die Wärme, die schöpferisch wirkt, so im Bereiche des Winters die Kälte. In den Regionen, wo ständiger Winter herrscht, arbeitet auch die Natur gern an der Kristalli sation des Gesteins. Welch' wunderbare Gebilde ver mag die schaffende Kraft der Natur in den Kristallen zu gestalten. Und cs ist dieselbe Tätigkeit, wenn sie die Kieselsäure zur sechsseitigen Säule des Bcrgkristalls fügt, aus dem Kohlenstoff den Diamant bereitet oder ans dem wässrigen Dunste der Lust wunderbare Formen gestaltet. Um die Gebilde der zu einer feenhaften Landschaft sich aufbaucnden Winterblttten an unserem Fenster zu ver stehen, müssen wir zunächst den Vorgang des Gefrierens im allgemeinen betrachten, nm dann zu sehen, wie durch besondere Einflüsse dieser Vorgang bei den Eisblumen zu einem so besonderen, eigenartigen sich gestaltet. Be schauen wir uns das Verhalten ruhig stehenden Wassers >u einer Lache oder besser noch einem offenen Gesäß beim Eintrick der Külte. Ta setzen sich allerlei Zacken und Nadeln am Rande an, die in immer dichterer Fülle nach der Mitte sich zusammenschließcn — hier nnd dort schießen längere Spitzen hervor, die sich treffen und durch schneiden. Bald setzen auch diese Nadeln nenc Spitzen und Seitenzwcige an, die aber stets mit dem Stamm einen Winkel von 60 Grad oder 120 Grad bilden. Bon diesen sich kreuzenden Strahlen werden allmählich durch Ein schließung die verschiedensten Polygone gebildet, die durch sternförmig gruppierte Verästelungen sich ausfüllen, bis dann die geschlossene Oberfläche sich nach unten verdichtet. Diese Erscheinung liegt auch der Bildung der Winter blüten am Fenster zu Grunde, nur vollzieht sic sich hier unter anderen Bedingungen andersartig und bringt so ganz andere, wunderbare Gebilde hervor. Die Ein wirkung des Randes zeigt sich auch hier, doch wirkt zu gleich auch die ganze Scheibe, die meist gleichmäßig in ihrem vollen Umfange der Kälte ausgesetzt ist, gleicher maßen als ein einziger Rand. Hier werden die Wasser diinste der Luft sofort bei ihrem Ansatz an die kältere Scheibe in Kristalle gewandelt. Reichlicher und wunder barer gestalten sich die Gebilde in bewohnten Räumen, da hier mehr Wasserdämpfe vorhanden sind, regelmäßiger aber und die ursprüngliche Form darbietend, gestalten sie sich in unbewohnten Stuben, wo die Luft trockener ist. Hier setzen sich in Unmassen jene kleinen Sternkristalle an, die in ähnlicher Weise hier klarer ausgebildet sind, wie die kleineren, aber regelmäßigeren Schneeflocken, die bei größerer Kälte, also dnnstärmcrcr Luft, fallen. Tas Ganze gleicht hier mehr einer gleichmäßigen stern funkelnden Schicht, nnr an den Rändern von einem eigen artigen Spitzengewebc umgeben. Ein Teil der Scheibe bleibt oft unbedeckt, aber cs strecken sich in diesen un bedeckten Teil allerlei Zacken und Linien hinein, die ge wissen Linien und Kurven in der Struktur des Glases zu folge» scheinen. Wenigstens läßt sich dies daraus folgern, daß an den einzelnen Fensterscheiben gern dieselben Linien nnd Bilder wicderkchren. Namentlich findet sich das in unbewohnten Räumen, bei welchen allerdings noch cinErklärungögrnnd mit hinzutritt. Diese Fenster werden nicht abgewischt, cs bleiben also gewisse Auflagen von Staub, fettiger Substanz usw. ständig von demselben Einfluß. Dann ist es klar, datz auch solche Auflagen sowohl für das leichtere Auftreffen der Dünste der Luft des Zimmers, als auch für die Einwirkung der Kälte von außen von Bedeutung sind. Auch das minimalste Stäubchen zwingt den kleinen Kristallen bei ihrer Bil dung einen bestimmten Weg auf. Entgegen der Be hauptung verschiedener Forscher drängt sich nns aber bet regelmäßiger Beobachtung die Ucbcrzeugung auf, daß auch die Bildung des Fensterglases selbst entschieden auf die .Kristallisationsbilder einwirkt. Ein kleiner Riß läßt die Kälte von außen her schneller ihre Einwirkung ausüben, eine Verdickung des Glases hält zunächst das schnellere Hereindringcu der Kälte ans, wirkt aber dann bei einem abgetaut gewesenen Fenster umgekehrt, indem die dicken Stellen des Glases die Kälte länger in sich bewahren. Genaue Beobachtungen haben mir erst jüngst wieder ge zeigt, wie kleine Blasen, ja selbst die kleinsten Pickelchen auf dem Glase einer abgctauten Scheibe dann bei größerer Kälte sofort zu Zentren für neue Kristallbildungen wurden. Und gerade an solchen abgetauten Stellen tritt uns gleich wieder eine neue Erscheinung entgegen. ES entstehen, wo sich die Dünste des Zimmers sofort als EiS- kristalle Niederschlage», ganz andere Bildungen, als da, wo sich zuerst Wasser angcsctzt hat oder solches später durch Wicderabschmelzcn entstanden ist. Im ersteren Falle haben wir die dichten, undurchsichtigen Sterngcwcbc, im anderen klare, durchsichtige, federförmig gerieste Strahlen und Zacken oder auch, wenn sich immer wieder neues Wasser aufsetzt, geschlossene und kompakte Eis massen. Je nach dem Grade bcr Temperatur außen und innen kann ein Zerfließen vorhandener Kristalle zu Wasser cintrcten, bald ist eö bei nicht zu großer Külte der lockende Sonnenstrahl draußen, bald ist cs wieder die Ausstrahlung der Stubenwürmc, die ein zeitweiliges Schmelzen hcrvorrnft. Etwas anders ist cö mit der Ein- ivirknng einzelner Gegenstände am Fenster oder in der Stube. Letztere können die Kristallisation in doppelter Weise beeinflussen, indem sic entweder selbst Wärme aus» strahlen oder dem gleichmäßigen Auftrcffcn der Zimmer wärme hindernd in den Weg treten. Betrachten wir zunächst den Einfluß des Wasser ansatzes oder der Abschmelzung auf die Eisbilder, so sehen wir, wie gerade besonders dies dazu beiträgt, datz jene wunderbaren Gebilde entstehen, die wir als Eisblumen bezeichnen und die unser Auge so erfreuen. Wir öffnen das innere Fenster, bis eine teilweise Abschmelzung der porösen Eishaut nn den äußeren Scheiben sich zeigt, — wenn wir nun durch Schließen des Doppelfensters wieder die äußere Kälte in voller Wirksamkeit auf die beschlagenen Scheiben treten lassen, wie erheben sich da von unten heraus — den» das Wasser fließt ja nach unten, bis eS die Kälte auf sciuem Wege aufhält! — in eleganten und kühnen Sprüngen dichte Büschel von Federn, Palm zweigen, Farnkräutern und wunderbaren Blättern, teils über dem glitzernden Spitzenvorhang und daher undurch sichtig, teils an freien Stellen klar durchscheinend und doch alle Feinheiten ihrer zarten Struktur dem erstaunt folgenden Blicke offenbarend. Um die Natur in dieser ihrer Malerei zn belauschen, behauchte ein Forscher bei einer Temperatur von — 7 Grad Rcaumur eine mit dichte», Reife bedeckte Fensterscheibe so lange, bis die Eiskruste fvrtschmolz und auf der Glasfläche nur eine dünne Wasscrschicht hängen blieb, die so zart war, daß die Scheiben, besonders an den oberen Stellen, dem Auge ganz trocken erschienen. Nach kurzer Zeit zeigten sich zu beiden Seiten, bald darauf auch unten, kleine gerade und gekrümmte Spitzen, die von dem noch stehen gebliebenen Eisrand — dieser ist, wie jeder Rand, von besonderem Einfluß — in verschiedenen Richtungen ausgingcn. Einige schoben sich mit besonderer Schnelligkeit vor und trieben nach beiden Seiten schön geschweifte Büsche, die bald darauf an Größe und Ausbreitung noch zunahmcn. Es war, so schreibt er, ungemein ergötzend, das Ent» stehen und Wachsen der buschigen Zweige mit dem Auge zu verfolgen; sie hatten ursprünglich das Ansehen der wohlgeformtcn Fahne einer Feder. Diese vorn scharf zu gespitzte Fahne ivar anfänglich eine Linie breit, mit den zartesten Scidcnfasern versehen; letztere traten in voll» ständiger Anzahl ganz im nämlichen Moment ans ihrem Stamm heraus, sowie die Spitze sich vorwärts schob, was mit einer sichtbaren Geschwindigkeit von etwa ', Linie in der Sekunde stattfand. Das von der heranstretenden Spitze sichtbar verdrängte Wasser umfloß in weicher Rundung die neuen Gewächse, so daß nirgends etwas Scharfes, Eckiges sich bilden konnte. Diese Figuren nun waren klar und durchsichtig, weil ihnen der duftige Hintergrund der gewöhnlichen Eisfigurcn fehlte. Doch waren sie, besonders wenn ein dunkler Grund nicht allzu nahe dohinterlag, durch die verschiedene Brechung des Lichtes deutlich zn erkennen. Nach einiger Zeit fingen sic an, durch den Ansatz neuer Dünste ihre Schärfe zu verlieren, und die Scheibe wurde wieder undurch sichtig. Die Scitenäste bilden sich übrigens auch hier, wie in dem oben betrachteten Gefäß, meist mit dem ursprüng lichen Winkel von 60 Grad, — die weiteren Krümmungen werden teils durch die Unebenheiten des Glases, durch cntgegcntrctendc andere Zweige, besonders aber auch da durch veranlaßt, daß jedes neu ansschicßendc Kristall auf der vertikalen glatten Glasfläche die Neigung bat, ab wärts zu gleiten. Während eS sich neigt, schießt schon wieder ein anderes Kristall hervor, ebenfalls mit der Neigung nach abwärts,- — dieses Streben nach unten dauert aber so lange, bis entweder ein norbandener An satz oder eine Erhöhung im Glase selbst, vielleicht auch auflicgendc Körperchen Halt gebieten oder die Kristalle an die Scheibe angesrorcn sind. Ferner ist zu beachten, daß namentlich in bewohnten Räumen, wo die Fenster oft abgewischt werden, die Richtung dieses Wischens in den aufgelagerten Stäubchen und fettigen Substanzen sich er hält und daher gleichfalls den entstehenden Blumen gebilden bestimmte Linien und Wege vorzcichnct. Aber nicht bloß das, was auf der Fensterscheibe selbst sich vorfindet: Wasseransammlungen, Staub, Jett, Er höhungen im Glase, Risse, Ränder, beeinflußt die Viel gestaltigkeit der Kristallisation, — auch das, was vor und hinter den Fenstern ist, gibt seine Wirkung kund. Daß dies ein Gegenstand tut, der außerhalb deS Fensters den Anprall der Külte abhält, wie teilweise hcrabhängende Jalousien, Rolläden usw., ist klar und drängt sich auch dem unaufmerksamen Beobachter unabwcislich auf. Aber ebenso wirken die im Zimmer befindlichen Gegenstände ein. Die Einwirkung kann hier eine zweifache sein: ent weder treten solche Gegenstände der Bestrahlung der Fenster durch die Stubenwärme an gewissen Stellen in den Weg, oder auch sie wirken durch eigene Wärmeaus strahlung aus die Eisblumenformung ein. In letzterem Falle können die betreffenden Bestrahler selbst Wärme quellen sein, wie etwa ein in der Nähe des Fensters be findliches Licht, oder sic können auch als Wärme, escrvvir fungieren, indem sie bei rascher Abkühlung des Zimmers, besonders in der Nacht, die Zimmcrwärme länger festhalten und infolgedessen dann im erkalteten Zimmer die ansgcspcichcrtc Wärme allmählich aus strahlen. Da aber die Lust bedeutend schneller die Wärme verliert, als ein fester Gegenstand, so werden in der Nacht fast alle solche Gegenstände, die am Fenster sich be finden, in gewissem Sinne wärmestrahlcnd sich ver halten, — ja cs werden dies ost gerade die Gegenständ: sein, die dann am Morgen wieder der Osenwärmc aus ihrem Wege zum Fenster sich in den Weg stellen, so daß ihre Einwirkung ans die Kristallisation gerade so eine dvppclartigc ist, wie die der stärkeren Stellen im Glase der Scheiben. Nur ein Beispiel aus der Erfahrung. ES ist der Morgen des ersten WcihnachtsscicrtageS. Es lockt uns in die festliche Weihnachtsslnbc, wo der Ofen bereits wieder eine gemütliche Wärme verbreitet. Noch liegen die Gaben der gestrigen Bescherung unter und um den prächtigen Wcitznachtsbaum gebreitet, und wir genießen eine stille Nachfeier. Funkelnd spielen die glitzernden Strahlen der Morgcnsonnc in dem grünen Geäst des stattlichen BanmcS und seines Schmuckes von Glaskugeln und silbernem gestrählten Flimmer. Wie prächtig daS Sonncngold den Baum umschmeichelt. Unwillkürlich folgt unser Blick den Sonnenstrahlen, wir setzen, wie sie durch das in wnndcrbaren Kristallsorwationen beeiste Fenster hercinbrcchcn. Da — o wie köstlich! Schnell rnsen >vi. die anderen herzu, das Wunder zu schauen: auf der großen Spiegelscheibe des Balkons findet sich umrankt von einigen kleineren Arabesken, ein allerliebstes kleines Abbild unseres btzristbaumcs deutlich ausgeprägt. Die strahlenden Lichter des BanmcS am Weihnachtsabend, die in ihm anfgespeichertc Wärme in der Nacht, — sic habe» der unübertreffliche» Bildnerin Natur bei ihrem Maler werk den Pinsel geführt, und so hat sie »ns in duftige» Konturen über Nacht das Bild iinsereS EtzristbaumeS auf die Fensterscheibe gezaubert. Wen» wir aber auch nicht immer so im einzelnen die Entstehung der wunder baren, zarten Gebilde verfolgen können, cS gehört doch stets zu den schönsten der Naturgeinisie, die »ns der Winter bietet, daß wir uns an den Blütrngürten erfreue», die uns seine kunstvolle Hand ans das Eis der Fcnsterscheibcii zaubert ^V. v. I-.
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