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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021218026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-18
- Monat1902-12
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VezugS «Preis t« der Hauptexpeditton oder de» im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au«, gabestellen abgeholt: vierteljährlich.ck 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich.« 6, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Expedition: Zlohanntsgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. FUtalrrprdM»«»« r Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, 8. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSPl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Stu 843. Abend-Ausgabe. KipMer TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd des Rakizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzelle 25 H. Reklamen unter dem RedaktionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zisfernscih entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen nnd Lffcrtenannahme 25 H (cxcl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .XL 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 18. Dezember 1902. 88. Jahrgang. Die Exekution gegen Venyuela. Die Blocka-efrage und die englischen Ansprüche auf Patos. Mit -er Erklärung des Ministers des Aus wärtigen im englischen Oberhanse, daß nach der Beschlagnahme der venezolanischen Schiffe als weiter- Zwangsmaßrcgel die gemeinsame Blockade einiger venezolanischer Häfen erforderlich sei, -aß jedoch nicht beabsichtigt sei, eine britische Streit macht zu landen und noch weniger venezolanisches Gebiet zu betreten, erhält die militärische Situation bei Venezuela die erwünschte amtliche Klärung, da auch die deutsche Regierung in anbctracht der beschlossenen gemeinsamen übereinstimmenden Maßregeln auf dem selben Standpunkt steht. Um so mehr aber muß auffallen, daß dieBlockade- Erklärung und amtliche Notifizierung derselben an die Mächte bis jetzt noch n i ch t e r f o l g t ist. Dies kann seinen Grund darin haben, daß die vorhandenen Kriegs schiffe noch nicht vor den zu blockierenden Häfen ein getroffen sind, oder daß man vielleicht die verfügbare Schiffszahl, obgleich nur von einigen zu blockierenden Häfen die Rede ist, nicht für ausreichend hält, wenn auch etwa 8 von den Alliierten neubcmannte Fahrzeuge der bisherigen venezolanischen Flotte dazu mitzuwirken ver mögen. Vielleicht liegt der Grund auch darin, daß, was wahrscheinlicher ist, zur Zeit Verhandlungen mit der Union und eventuell den ü>brigen neutralen Mächten wegen der A n e r k e n n u n g derBlockade schweben. Schon vor Jahresfrist hatte die deutsche Negierung in ihrer Mitteilung vom 20. Dezember 1001 an das Staats departement des Auswärtigen der Union nntcr den von ihr gegen Venezuela beabsichtigten Zwangsmaßrcgcln „die Friedensblockade venezolanischer Häsen, ohne Kriegserklärung", bezeichnet und bemerkt, dieselbe würde auch die Schiffe neutraler Mächte insofern berühren, als deren Schiffe, obwohl ihre Konfiskation nicht in Betracht komme, fortzuweisen seien, bis die Blockade wieder auf gehoben sei. Auch die anderen europäischen Staaten waren bei solchen Gelegenheiten früher so verfahren, be sonders England und Frankreich. Die Regierung der Union nahm hiervon, tvie bereits von uns erwähnt, ein fach Kenntnis, ohne eine Antwort zu erteilen. Es er scheint daher möglich, daß von der Union neuerdings er klärt wurde, einer Einschränkung ihres Handelsverkehrs mit Venezuela durch die Blockade nicht zuzuftimmen und daß Verhandlungen darüber mit Washington oder mit den übrigen neutralen, dort interessierten Mächten den bis herigen Aufschub der Blockade-Erklärung bewirkten. Bon besonderer Wichtigkeit für die Beurteilung der derzeitigen Lage und namentlich etwa über die Blockade hinausgehender militärischer Maßregeln erscheint außer den Erklärungen Lord Lansdowncs und Balfours, daß eine Landung und Be tretung venezolanischen Gebiets cng- lischerseits nicht beabsichtigt sei, diejenige des Vorsitzenden des ComMs für die auswärtigen An gelegenheiten der Union, Senators Culloms: „einem Vormarsch auf Caracas werde die Union ein Halt zurufen, weil eine Invasion der erste Schritt zur Besetzung von Territorimn sei". Dadurch scheint aber die der Union seiner Zeit angeküudigte Be setzung und Beschlagnahme der Zollämter in Widerspruch zu stehen, eine Unklarheit, die wir vorläufig lediglich zu konstatieren vermögen. Daß die Blockade, wenn sie, wie zu erwarten, eintritt und durchgeführt wird, den erforderlichen Truck auf die veuezvlauische Negierung ausübcn wird und dieselbe zum Einleuken zwingt, ist aus dem Gründe zwar sehr wahrscheinlich, als die Hälfte der Gesamteinnahmen Venezuelas aus den Leczöllen her rührt und sich daher deren Ausfall ihm sehr bald höchst empfindlich fühlbar machen würde. Allein alsabsolnt gewiß vermag die Wirkung dieses Druckes aus Vene zuela nicht zu gelten. Denn wie man den „Münchner N. N." aus London schreibt, verkennen die Londoner militärischen Kreise nicht, daß das Problem, vor dem die beiden Mächte stehen, falls Venezuela hartnäckig bleibt, keineswegs so leicht ist, wi das Publikum im allgemeinen annehmc. Tie Beschlagnahme der Schiffe komme als Zwangsmittel kaum in Betracht, und eine Blockade, die den Außenhandel sistiere, könne eine Be völkerung, wie diejenige Venezuelas, kaum so hart treffen, daß sie ihre» Willen brechen könne, wenn sie irgendwie für die Politik, die ihre Negierung verfolge, begeistert sei und eine wichtige nationale Sache auf dem Spiel glaube. Die Blockade könne daher unter diesen Umständen lange ohne Wirkung bleiben, wozn »och komme, daß deutsche, eng lische und amerikanische Geschäftshäuser gleichfalls dar unter leiden müßten. Indem eine Blockade die Einfuhr suspendiere, beraube sie allerdings Castro mehr als der Hälfte seiner Einkünfte, und das sei wohl der Punkt, von dem sich die Mächte eine gute Wirkung auf ihn ver sprächen. Bei den Ansprüchen Englands an Vene zuela handelt es sich bekanntlich nicht nur nm die Be gleichung rückständiger Forderungen englischer Eisen bahnen und Finanzgescllschasten und um die Entschä digungen für die sonstigen Verluste britischer Staats angehöriger, sondern auch um das Besitz recht der I n s e l P a t o s, in der nächsten Nachbarschaft Trinidads, welche England als ein Anhängsel Trinidads beansprucht und auf der es unlängst seine Flagge gehißt hat. Es ist bis jetzt nicht recht ersichtlich, weshalb England ans den Besitz dieser Insel besonderen Wert legt, denn sic ist zn unbedeutend, um in Venezuelas Hände» eine unbequeme Nachbarschaft für das britische Trinidad zu sein, nnd kommt ebensowenig wie Trinidad mit Port vf Spain für die unmittelbare Beherrschung der etwa 25 deutsche Meilen entfernten Orinoeomündung, nnd zwar der Boca de Navios, in Betracht. Für die mittelbare Beherrschung derselben und des unteren Orinvcv durch in Port vf Spain stationierte englische flachgehcnde Kreuzer oder Kanonen boote genügen Trinidad mit den Häsen Port of Spain und San Fernando vollkommen. Wie cs scheint, begünstigt jedoch die dicht westlich von Trinidad an der Bocas de Drago gelegene Insel die unmittelbare Beherrschung dieser nördlichen Einfahrt zum G olfvonPari a weit mehr, als das entfernter gelegene Port vf Spain. Denn Patos liegt nur etwa 12 Kilometer vvm Fcstlandc Vene zuelas entfernt nnd etwa ebensoweit von demjenigen Trinidads, so daß auf ihm postierte Geschütze die Bocas de Drago beherrschen. Einer „Lassan"- Meldung zufolge scheinen sich die Engländer hinsichtlich der Insel Patos auf eine Einmischung der Vereinigten Staaten gefaßt zu machen, denn die Frage der Zu gehörigkeit der Insel Patos erregt in offiziellen Washingtoner Kreisen beträchtliches Interesse. Man er klärt, wenn England seinen Anspruch auf ihren Bentz be kräftige, laße es sich ohne Zweifel eine Verletzung der M o n r v e d o k t r i n zu schulden kommen. Man habe Grund zu der Annahme, daß der letzte Besuch.des eng lischen Botschafters beim Staatssekretär Hay sich auf einen Vorschlag bezog, diese Frage zusammen mit der Frage der von Venezuela zugcstan denen Indemnität zum Austrage zu bringen, wahrend die amerikanische Negierung den Wunich äußerle, sie schiedsgerichtlich entschieden zn sehen. Anch Venezuela hat bis jetzt ersvlglvs England gegenüber die schiedsgerichtliche Entscheidnng gefordert und sich auf die Mvnrvedoktrin berufen, als England unlängst einige Venezolaner wegen Mißhandlung eines englischen Unter tanen von der Insel austrieb. Dieselbe ist ein winziges Stück Land zwischen Trinidad und Venezuela, und das letztere beansprucht sic, weil der Vertrag von Amieus 1^02 sie nicht ausdrücklich mit Trinidad an England abgetreten Hal, während England erklärt, sie habe immer als An hängsel Trinidads gegolten, ivie auch in der offiziellen Karte des Venezolaners Cvdarzi von 1840 zum Ausdruck komme. * Loudon. 18. Dezember. (Telegramm.) „Daily Mail'' berichtet ans Willemstad: Die venezolanischen Aufständischen nähern sich Valencia. Tie Bevölkerung von Caracas verlangt dringend Castros Rücktritt. Es heißt, daß dieser sich verborgen habe. — Tie Morgenblälter melden aus Willemstad: Ter frühere venezolanische Präsident Andrade ist aus Columbien hier ein getroffen. * Washington, 17. Dezember. („Reuters Bureau".) TaS Marinedeparlement beauftragte den Admiral Tewey, einen geeigneten Offizier auf einem Torpedobootzerstörer nach Venezuela zu entsenden, der als Gehilfe deS amerikanischen Gesandten tätig sein soll, in Anbetracht der dem letzteren aus den zahlreichen gegenwärtigen Obliegenheiten erwachsenden Arbeitslast. Der Tvr- vedobootszerstörer soll, im Falle daS nach La Guayra führende Kabel zerschnitten würde, als Tepeschenboot dienen. * Caracas, 17. Dezember. Der italienische Gesandte hat heute Caracas verlassen. * Caracas, 17. Dezember. Bei der Abreise des italieni schen Gesandten waren die hervorragenden Mitglieder der italienischen Kolonie auf dem Bahnhose erschienen. Da es noch nicht bekannt war, daß der Gesandte rin Ultimatum überreicht hat, sand keinerlei Kundgebung statt. EZ hatte sich überhaupt nur ein spärliches Publikum eingefunden. Ter amerikanische Gesandte Bowen gab dem italienischen Gesandten de Riva bis zum Bahnhose das Geleit. * London, 17. Dezember. (Unterhaus.) Cranborne erklärt, von der venezolanischen Regierung seien mehrere Beschwerden bezüglich des „Banrigh" an den englischen Gesandten in Caracas gerichtet worden. Tie Regierung Venezuelas habe sich das Recht Vorbehalten, später eine Entschädigung für den ihr angeblich durch dieses Schiss zugejügteu Schaden zu beanspruchen. Ein Schieds gericht habe die venezolanische Regierung in diesem Falle nicht beansprucht. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Dezember. Politischer Pharisäismus. Wiederholt ist in den letzten Tagen daran erinnert wordeu, daß ini Jahre 1891 die ersten Caprioischen Handelsverträge rin Reichstage nut außerordentlicher Schnelligkeit die drei Lesungen durchlaufen haben. Eine konservative Minderheit hatte Kommissionsberatung der am Tag zuvor den Abgeord neten zugegangenen, sehr umfangreichen Vorlage verlangt, die Mehrheit, deren Sprecher Abg. Rickert war, hatte aber dieses Verlangen abgelehnt. Die Minderheit fügte sich und in ein paar Tagen war die ganze Vorlage durch alle drei Lesungen hindurch erledigt. Die Beratung und Beschlußfassung nahm insgesamt 37 Stunden in Anspruch. Fürst Bismarck sprach damals von der Einsamkeit seines Sack'en- walbes aus ein bekanntes Wort von der Würde des Par laments, die durch eine derartig schnelle Verabschiedung einer außerdentlich wichtigen Gesetzesvorlage mißachtet werde. Die Linke aber wies alle Versuche, die Vorlage einer eingehenden Beratung zu unterziehen, mit Energie, ja mit Hobn zurück. Ja sogar der Vorwurf ter „Obstruktion", der geflissentlichen Verschleppung und Verhinderung desGeietzgebungSwerls, wurde damals auS den Kreisen der Linken gegen die agrarischen Rechte geschleudert. Ein parlamentarischer Mitarbeiter des „Schwab. Merkur" erwirbt sich nun das Verdienst, einige Acußerungen der linksliberalen Presse aus jenen Tagen der Vergessenheit zu entreißen und mit der beuligeu Sachlage zu vergleichen. Wer sich nock ein einigermaßen unbefangenes Urteil bewahrt bat, wird aus dieser Vergleichung den Wert der jetzt von den Herren vr. Barth und Singer in die Welt gesetzten Behauptung bemessen können, die Linke habe gegenüber der Zolltarisvorlage in dieieu Monaten und Wochen keines wegs Obstruktion getrieben, nein, sie sei nur von der bösen, faulen Mehrheit an sachlicher eingehender Beratung gewalt sam, ja durch Rechts-und Versaffunqsbruch gehindert worben. Im Jabre 1891 batte sich die „Köln. Ztg." das Wort des Altreichskanzlers von der Wahrung der Rechte der Volks vertretung angeeignet. Hierauf sagte die demokr-itiiche „Franks. Ztg.": „Der gegenwärtige Reichstag hat aufgehvrt, innerlich eine wirtliche Volksvertretung zu sein, er ist dies nur mehr äußerlich und zum Schein. (Genau wie beute!) Er kann die Rechte und die Wünsche des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringen und deswegen ist, bei allen ehrlichen Volks freunden, der Jammer über seine Zurück'etzuiig bei den Handels verträgen nicht w groß wie bei den Vvllsfreunden vom Schlag der „Köln. Ztg." Schließlich kommt es darauf an, ob die Herren im Reichstag etwas zu sagen wißen." Ist daS nicht kostbar, wenn man's zusammenbält mit der Haltung derselben Presse in der jüngsten Zeit? Mit Spott und Witz redet ferner das demokratische Weltblatt von der „durch Verschleppung zu wahrenden Würbe und Autorität der Volksvertretung" — wohlgemeikt im Jahre 1891 und gegenüber den Politikern der Rechten. Und als die konservative „Kreuzzeitung" sich für gründliche Beratung aussprach, da wurde sie wiederum von der „Franks. Ztg." sehr vornebm folgendermaßen belehrt: „Das be weist nur, daß die Konservativen den Blick für die realen Tat sachen verloren haben." Und weiterhin: „Die gewünschten längeren Beratungen würden hinter den Koulissen zum Jahr markt werden und ein ähnlich trauriges Schauspiel gewähren wie Anno 1879 die Zolltarifberatungen im deutschen Reichs tag." Auch der „Vorwärts" warsebr ungnädig gegen die jenigen, die eine gründlichere Beratung der Vorlage wünschten, und schrieb unwirich von den „Jnteresflnten, welche die Ver handlungen durch ihre ebenso langen wie langweiligen Reden aushallen wollen." Am gelungensten aber ist die „Nation" des Herrn 1)r. Barth. Da war am 19. Dezember 189 t zu lesen: „Das Verlangen der Regierung, die Verträge vor Weihnachten angenommen zu sehen, war sachlich vollkommen gerechtfertigt, ohne das; man ihr absolutistische Neigungen unterstellen darf. Das Ver halten der Vcrtragsgegner, welche diese Regelung hinauszuziehcn Feuilleton. Khenania sei's Panier! Roman auö dem Studentenleben von Arthur Zapp. Nachdruck verdvicu. Viertes Kapitel. Am nächsten Montag waren die meisten Mitglieder der Rhenania auf der Exkneipe in dem Bierdorf Birkenfclde versammelt, als der Konsenior des Korps mit wichtiger Miene in das ziemlich niedrige, lange, schmale Kneip zimmer trat. Er näherte sich sogleich dem Platze des Seniors und legte vor ihm ein Blatt Papier auf den Tisch, das er ans seiner Rocktasche gezogen hatte. Aller Augen richteten sich neugierig auf den Senior, der das Blatt hastig, mit angespanntem Interesse über flog. Atemlose Stille herrschte ringsum an der Tafel, als der Senior nun sein Gesicht erhob. „Der Bestimmzektel der Teutonia", sagte er. Ein allgemeines „Ah!" löste sich allen von der hoch atmenden Brust. Sie lmtten eü geahnt, denn sie alle wußten ja, daß noch eine große P. P.-Snite mit dem feindlichen Korpü hing. „Wieviel Partien ?" fragte der dritte Chargierte. „Die üblichen vier." „Und wen bestimmen die Teutonen?" erkundigte sich ein Bursche aus der Korona. „Die drei Chargierten nnd den langen Röder." Eine bedrückende Stille folgte diesen Worten. ES ging wie ein Schauder durch die Kneiprunde. Der Tcutone Röder war ein baumlanger, riesenstarker Mensch, der als der beste Fechter aller studentischen Verbindungen der Stadt bekannt mar. Sorgenvoller Ernst malte sich in den Mienen der Chargierten. Daß sie selbst, die drei Repräsen tanten der Rhenania, den drei Chargierten der Teutonia in dem Kampfe um die Ehre des Korps gegcnübertretcn würden, erschien ihnen selbstverständlich, ohne daß cs weiterer Verabredung bedurft hätte. Aber wen von den Burschen des Korps sollten sie dem langen Röder gegen- iüberstellen? Da erhoben sich einige der Burschen, die als gute Schläger gasten und erklärten sich freiwillig bereit, es mit dem gefürchteten Röder -u wagen. Der Senior überflog die kleine Schar und sagte nach kurzem Ueberlegen: „Gravenhorst soll's sein! Du bist einer unserer besten Fechter. Und wenn du auch nicht Röders Körpcrkraft und seine Routine besitzest, so stehst du ihm doch an Mut und an Feinheit deö Tessins nicht nach. Du wirst die Ehre unseres Korps zu wahren wissen." Gravenhorst verneigte sich dankend. Dann reckte sich seine schlanke Gestalt in ihrer ganzen Große. „Was an mir liegt", gab er mit blitzenden Augen und sich rötenden Wangen zurück, „soll geschehen, um mit Ehren zu bestehen." Dann setzte er sich. Die Mienen der Kommilitonen aber erhellten sich,- sie blickten mit freudiger Zuversicht auf den Korpsbrudcr, der sich noch immer als ein zuverlässiger, in allen studentischen Angelegenheiten und Tugenden wohl bewanderter Bursche bewiesen hatte. Und um der be geisterten Stimmung nach Studenteuart lautschallendeu Ausdruck zu geben, stimmten sie wie aus einem Munde an: „Wo Mut und Kraft in deutscher Seele flammen, Fehlt nie das blanke Schwert beim Bechcrklang; Wir stetm vereint und halten treu zusammen, Und rufeu'S laut im feurigen Gesang: Ob Fels und Eichen splittern, Wir werden nicht erzittern! Den Nhenanen reißt cs fort mit Sturmeswehu Für Grün-weiß-rot in Kampf und Tod zn gehn - " Es wurde am nächsten Tage mit der Teutonia verab redet, daß am Donnerstag zunächst zwei Partien — und zwar die zwischen den beiden ersten Senioren und die zwischen den beiden Burschen Röder und Gravenhorst — ansgefochtcn, und daß die anderen beiden in der folgenden Woche znm AuStrag gebracht werden sollten. In der Zwischenzeit besuchte CKavenhvrit jeden Tag den Universitätsfechtboden und schlug einige Stunden laug mit dem Fechtmeister. Bei denjenigen Kommilitoncu, die dem langen Röder bereits auf der Mensur gegcnüberge- standcn hatten, informierte er sich über des gefürchteten Gegners Fechtart. „Hackenquart — Durchzieher — Terz —" belehrte ihn einer, der von dem langen Röder einst eine furchtbare Abfuhr erlitten, sei des berühmten Fechters Lieblings- Dessin. Trotz seines jugcndfrischcn Optimismus und dem Ver trauen in seine Gewandtheit, befiel den Rhenanen in diesen Tagen doch zuweilen eine bedrückende Melancholie. Das war jedesmal, wenn er an den kommenden Sonn- abend dachte, an dem die zweite Lawntennispartie statt finden würde, bei der Else Wrcdenkamp seine Partnerin sein wollte. „Auf Wiedersehen!" hatte sie zu ihm gesagt. Und nun war cs sehr in Frage gestellt, ob er seinem Versprechen würde Nachkommen können. Wenn ihn nun der lange Röder abstach, wie er es mit den anderen getan hatte'? Dann mußte er zu Hause auf der öden Bude die Zeit vertrauern und Eis auflegcn, anstatt an der Leite des lieblichsten Mädchens das Nackett zu schwingen. Und an seine Stelle würde der verhaßte Baumeister treten und mit der liebreizendsten .V. - Städterin scherzen, lachen und flirten. Aber solche Anwandlungen von Mutlosigkeit und Sentimentalität pflegte er zuletzt immer mit trotziger Ent schlossenheit von sich abzuschüttelu und, die Zähne aus einander beißend, sich zu geloben, alle Kräfte und alle seine Geschicklichkeit ausznbictcn, nm sich von dem Teu tonen nicht besiegen zu lassen. Ter Donnerstag ist gekommen. Tic beiden Mensuren sollen in dem Tanzsaal im Wirtshaus zu Birkenfeld statt linden. Ans den weißen Dielen, über denen am Sonntag kreischende Bauernmädchen am Arm ihrer dörflichen Kavaliere dahinwirbcln, soll jetzt — welch' schauerlicher Kontrast — ein blutiger Kampf beginnen. Uebrigcns be wiesen die rötlichen Spritzer an der Wand, daß der Tanz boden nicht znm ersten Male studentischen Ehrenhändeln znm Schauplatz gedient hat. Als Kurt Gravenhorst in Beglcitnng SägmüllcrS und Bergers cintrisft, breitet der Coulcurdiencr eben eiirc große Matte auf dem Fußboden aus, die von getrockneten großen Blutflecken bereits ganz steif geworden ist. Die Sekundanten — ein Nhenanc und einer der Teutonen —» beide in farbigem Tnchschurz, mit großer Schirmmü^c, Halsbinde und dem stumpfen Farbcnschläger, schreiten öle Mensur ab, die sie durch Kreidcstrichc markieren. Dann werden ans Ende der Matte zwei Stühle gestellt, auf die der Korpsdiener Waschbecken mit Karbvlwasscr setzt. Füchse tragen indes mehrere scharfgcschlisfenc Rapiere heran nnd lehnen sie gegen die Stühle. Nach diesen Vor bereitungen kommt eine Gestalt in weißem Leinenschurz herein mit aufgekrcmpelten Acrmeln. Es ist der Pauk, arzt, ein alter Mediziner, der die Klingen desinfiziert und Pinzetten, Nadeln, Messer nsw. auf einem Stuhl auö- breitct. Mit leichtem Frösteln wendet sich Kurt Gravenhorst ab und begibt sich ins Nebenzimmer, um den Paukwichs anzu legen. Der alte erfahrene Louleurdtener, der schon die „ältesten Herren" der Rhenania bedient hat, schnallt ihm den dicken Lederschurz um den Leib, daun werden Seiden bandagen um Achsel, Ann und Hals gelegk. „Nicht so fest!" ruft er, während die steife Halsbinde zugeschnürt wird. „Oh, ich mache Sie das ganz delikat, Herr Doktor", versicherte der alte Evulenrdicncr. „Tas merken Sic gar nicht." Aber trotz dieser Versicherung kann er ein unbehag liches Gefühl nicht unterdrücken, und jappst nach Lust, wie ein auf den Land gesetzter Fisch. Zuletzt wird die eiserne Paukbrille vorgcbunden. Von nebenan schallt das Klingen nnd Klirren der Schläger hinein. Die Mensur zwischen den beiden Senioren hat seinen Anfang genommen. Schon nach fünf Minuten verkündet ein bereinstürzender Fuchs der Rhenania triumphierend: „Abfuhr bei der Teutonia, bei uns nur ein Blutiger!" Also Sieg ans Leiten der Rhenania. Alle jubeln. Kurt Gravenhorsts Augen leuchten. Er nimmt den Sieg seines Seniors als eiu gutes Omen und erhebt sich kraftvoll nnd kampfesmutig. Ter Cvnlcurdiener schiebt ihm schnell noch nach altem Aberglauben ein Fnchsband in die linte Hosen tasche. Das soll ihm den Lieg verbürgen. Dann tritt er, von seinen Testanten geleitet und seinen bandagierten rechten Arm auf den Schleppfuchs stützend, 'N den Saal. Er schließt die Finger seiner Rechten fest um den Griff der scharfgeschliffencn .Klinge, die ilnn der Testant zuvor über reicht hat. Fast in demselben Augenblick kommt auch sein Gegner, der lange Röder, von der entgegengesetzten Seile aus in den Saal. Es ist ein riesenhafter, großer, breitschulteriger Bursche, der seinen Gegner mit spöttischen Blicken mißt. In Gravenhorst steigt Kampfcszorn empor. (Fortsetzung folgt.) ij Unter -em Christbaum. Eine Weihnachtsgcschichte von O. Elster. Nachdruck verbalen. Keuchend und fauchend hielt der Hamburger Schnell zug auf der kleinen Station, die wie eine Insel aus dem weißen Meer der verschneiten Haide hcrvorragte. Neu- gierig steckten die Reisenden die Köpfe zum Fenster hin»
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