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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.12.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021229017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902122901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902122901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-29
- Monat1902-12
- Jahr1902
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Bezugs.Preis in der Hauptexpedltton oder deren Ausgabe stellen ab geholt: vierteljährlich ^l 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau- .Xt 3.75. Durch die Post bezogen für Dentsct,- land u. Oesterreich vierteljährlich .« 4.50, für die übrige» Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion «nd Expedition: IohanntSgafse 8. Fernsprecher 153 und 222. FUtalrvprdM»ne» r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversttätSstr.3, 8. Lösche, Kathartneastr. 14, u. KSnigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße «. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Carl Duncker, Herzgl.Bayr.Hosbuchhandlg^ Lühowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Morgen-Ausgabe. UchMcr. JagMM Anzeiger. Ämtsösatt des Königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates «nd des Vokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Str: «58. Monters den 29. Dezember 1902. Anzeigen.Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktion-strich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabella-nscher und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung «0.—, mit Pvstbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Amtlicher Teil. Bekanntmachung. Die öffentliche Einlegung und Mischung sämmtlicher 100 000 Loos- nummer-Zettel der 143. Königlich Sächsischen LandeS-Lotterie sowie der Gewinn-Zettel 1. Klasse dieser Lotterie erfolgt Sonnabend, den S. Januar 1ÜV3, nachmittags S Uhr im ZiehungSsaale deS Loiteriegebäudes, Grimmaischer Steinweg Nr. 12, Mittelbau, II. Obergeschoß hier. Es steht jedem Betheiligten frei, sich die Nummer seine! Looses vor der Einlegung 'n das Nummernrad vorzeigen zu lassen. Bon der für die 1. bis 4. Klasse 143. Lotterie planmäßig zur Ziehung auSgeworfencn Anzahl von Nummern und Gewinnen an je 3500 Stück werden an den für die einzelnen Klassen im Lotterie- plane bestimmten ZiehungStagen und zwar an jedem 1. Tage 2000 Nummern und Gewinne, an jedem 2. Tage 1500 Nummern und Gewinne gezogen. Leipzig, am 27. Dezember 1902. Königliche Lottericdircktion. Schilling. Hse. Ortskrankenkasse^ Für da- Jahr 1903 werden die Zahlungstermine der Beiträge zur Krankenversicherung und zur Invalidenversicherung wie folgt festgestellt. Monat umfassend die Zeit Januar vom 29 /12. 1902 bis 25./1. 1903 ----- 4 Wochen, Februar - 26./1. 1903 - 22./2. - ----- 4 März - 2.3./2. - - 29./3. ----- 5 » April - 30./3. - - 26./4. ----- 4 Mai - 27.4. - - 24./5. ----- 4 Juni » 25./5. - - 28/6. -- — 5 <- Juli - 29./6. - - 26./7. . 4 August - 27./7. - - 23-/8. . 4 September - 24./8. - - 27./9. - — 5 -- Oktober - 28./9. - - 25./10., . 4 November - 26./10. - - 22./11. . 4 Dezember - 23./11. - - 27./12. » — 5 - Die Beiträge zur Krankenversicherung werden gemäß § 33 deS Kassenstaluts berechnet, während solche zur Jnvalidenbersichc- rung gesetzlicher Bestimmung zufolge von demjenigen Arbeitgeber zur Einhebung gelangen, welcher den Versicherten in der Kalender- Woche zuerst beichästigt hat. Von denjenigen Arbeitgebern bez. Dienstherrschaften, welche Per- sonen nur zur Invalidenversicherung gemeldet haben, werden die Beiträge in zwei- oder dreimonatlichen Termine» eingeboben. Obige Termine gelten auch für die freiwilligen Mitglieder. Diese haben die Beiträge jeden Monat im Voraus zu Anfang eines Termins an die Kassenstelle, Gcllcrtstraße 7/9, abzuliefcrn. Leipzig, am 23. Dezember 1902. Tic Ortskrankenkasse für Leipzig und Umgegend. Organ der LandeSvcrfichcrnngSanftalt Königreich Lachsen. vr. Willrnar Schwabe, Vorsitzender. ' Bekanntmachung, die vor der Veranstaltung össentlichcr Ausstellungen, Bazare re. cinznrctchcndcn Pläne n. s. n>. betreffend. Aus allgemeinen sicherheilspolizeilichen Gründen haben wir Fol gendes beschlossen: Von der Veranstaltung össentlicher Ausstellungen, Bazare oder dergleichen ist unserem Baupolizctamtc unter Einreichung vorschriftsmäßiger Grund ritz-Plänc (auf Piuslcinwand) über die zu denselben in Aussicht genommenen Räume und entsprechender Leichreibung des betreffenden Unternehmens mindestens l-t Tage vor dessen Beginn Anzeige zu erstatten. Die Pläne müssen die für die AuSstellungs-pp.-Objette be stimmten Plätze deutlich darstellen und genau erkennen lassen, welcher VerkehrSraum sür das Publikum vorhanden ist. Erst nach clsolgle: Prüfung dieser Unterlagen und nachdem dce etwa im Interesse der Feuer- und Verkehrssicherheit zu treffenden Maßregeln angeordnet und durchgesührt worden sind, kann die erforderliche Erlaubniß zu den erwähnten Veranstaltungen ertheilt werden. Für die Befolgung vorstehender Anordnungen sind die Ver anstalter und Leiter des betreffenden Unternehmens und die Inhaber der zu verwendenden Räume gemeinsam verantwortlich. Nichtbeiolgung derselben wird mit Geld bis zu 100 ./k, evcnt. mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft. Leipzig, am 20. Dezember 1902. Tcr Rath der Ltadt Leipzig. — Va. 7215.— Or. Tröndlin. Busch. Konkursmaffe-Bersteiqerung. Am Montag, den 2'.). S. Mts., und folgende Tage, je Vormittags von IO—2 Uhr, tollen !u Lcipzlg-Aiigcr, Brcitcstrarzc <», im Laden, im Auftrage LeS Konkursverwalters Herrn Paul Gotrichalck dir zur Ttcinbach'ichcn Konkursmasse gehörigen Eolonialwaareu, Kon serven, Cigarren, Weine, Cognac, oiv. Liköre, Pnnfchcssrnzr» u. s. w. öffentlich gegen sofortige Baarzahlung versteuert werden. Leipzig, den 27. December 1902. F-reckeoltv, Localrichtcr. Oie öffentliche Meinung in Sachsen M6-M2. ii. Nühlmann geht nun weiter auf den sächsischen Charakter jener Zeit ein. Er bezeichnet ihn als einen Erstarrungszustand, beding» einerseits durch die außcr- vrdcuUich in die Breite gehende und darum verflachte Wolffschc Philosophie, anderseits bedingt durch die Gc- dankencrbschast eines Gottsched und Gellert, d. h. durch ein Uebcriviegcn der literarisch-ästhetischen Interessen. Der hohe allgemeine Bildnugszustand ermöglichte die große Ausbreitung der Philosophie jener Zeit. Wir können Rühlmann in seinen scharfen zerlegenden Ausführungen hier nicht weiter folgen. Wie war nun die politische Nicht n n g der Lachsen damals? Tcr Verfasser hat dar auf die Antwort, daß die staatstheorctischcn Anschauungen eines Noussean-Fichte, sowie die Lehren der französischen Revolution, die zu dem modernen Begriff der Nation führten, in Lachsen in den Massen nicht wirksam waren, vielmehr wurde die öffentliche Meinung im allgemeinen beherrscht von durchaus irenischcn, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Untertanen und Herrscher von streng legitimistischen und hinsichtlich der äußeren Politik von deutsch-preußischen Ideen. Ucbrigcns beschäftigte man sich sehr ungern mit politischen Dingen. Zu Anfang des Jahres 1806 schlug Preußen die Gründung eines nord deutschen Bundes vor. Tie Diplomatie war diesem Vor schläge feindlich gesinnt, das Volk jedoch hatte entschieden Abneigung gegen Frankreich und war preußenfrcundlich. Auch die sächsische r'krmce war durchaus preußisch gesinnt, vom Kricgsministcr herab bis zum letzten Soldaten. Unter den damaligen sächsischen Staatsmännern werden I als Gegner Frankreichs und entschiedene Freunde l Preußens genannt: der Minister des Auswärtigen, Graf von Loß, der fanatisch preußische Kricgsminisler v. Low und aus religiösen Gründen der Wirkliche Geheime Rat von Burgsdorf. Tcr Haupttrügcr aber dieser Richtung in Dresden war der Oberhofprediger II. Reinhard. Diese auch für die Folgezeit wichtige Persönlichkeit wird geschildert als „ein Mann von lebhaftem Geist, leiden schaftlich begeistert für die Unabhängigkeit Deutschlands, als Gelehrter und Schriftsteller ein Feind jeder Beschrän kung der Freiheit des Gedankens und der Presse". Seit der Erschießung Palms <20. August) gehörte er zu den erbittertsten Gegnern Napoleons, und in diesem Sinne pflegte er seinen mit dem größten Beifall aufgcnommenen Predigten politische Reflexionen einzufkcchten. So zeich nete er kurz vor der Schlacht bei Jena das Bild Neros, des Tyrannen, jedermann aber wußte, daß Napoleon ge meint war. Wie diese, so wurden fast alle seine politischen Predigten durch Einzeldrucke verbreitet und erlangten so einen viel weiteren Wirkungskreis als das gesprochene Wort. Zu seinen entschiedensten Anhängern gehörten vor allem die Damen der höheren Gesellschaft, deren poli tischer Lehrmeister er war. Wie die Predigten Rein hards, so unterstützten die preußischen Sympathien auch verschiedene Flugschriften, vor allein die eines Gentz. Sie wurden fast alle in Leipzig verlegt und scheinen auch in Sachsen viel gelesen und besprochen worden zu sein; so nennt z. B. der durchaus nicht für Preußen schwärmende Dyck in Leipzig die entschieden preußische Tendenzen ver tretende Schrift „Das Interesse Dcntschlands am Preußi schen Staate", 1806, „ganz ein Wort geredet znr rechten Zeit", und sucht durch Exzerpte ihre Verbreitung zu sördcrn. Indessen schon herrschte eine liefe französische Unter strömung. Napoleons Versuche, Sachsen und Preußen zu trennen, fielen nicht auf ganz unfruchtbaren Boden. Im Aufrufe an seine Armee am 6. Oktober sagt Napoleon, daß es Sachsen sei, das die Preußen durch einen schimpf lichen Vertrag zwingen wollten, seiner Unabhängigkeit zn entsagen, indem die Preußen es schon zu ihren Pro vinzen zählen, und am 10. Oktober stellte er in seinem Ausrufe „An die Völker Sachsens" als sein Ziel auf, die sächsische Unabhängigkeit, Verfassung und Freiheit zu putzen. Nach der Schlacht bei Jena wurde diese fran zösische Einwirkung auf die Sachsen energischer. Tie Leipziger politischen Zeitungen wurden unter französische Zensur gestellt. Daneben trug zu einer Umkehr der öffentlichen Meinung das Betragen der französischen Soldaten bei. Wenn man sich das Vorgehen des alten Fritz vergegenwärtigt, der rücksichtslos im höchsten Grade war, so wird man verstehen, daß, als am Nachmittag des 18. Oktober das Tavoutsche Korps in Leipzig einrllckte, am Abend bereits die Bürger des Lobes voll über die straffe militärische Zucht des französischen Militärs waren. Sie, die als Sieger aus einer Schlacht kamen, und denen, wie die Menge glaubte, Leipzigs Plünderung zugesagt war, begnügten sich mit dem Nachtlager in der Thomas- kirche und auf dem Markte. Ihr gesittetes Betragen er schien den guten Leipzigern, meint Nühlmann, wie ein Mirakel; denn bis dahin hatte man in Leipzig Held und Barbar so ziemlich identifiziert. Ueberhaupt war die zwar strenge,' aber, nicht willkürliche französische Heeres leitung nach Kräften bemüht, die Drangsale des Krieges so viel als möglich zn mildern. Die Ouartierwirte wurden durch Macons Bcköstigungörcglemcut gegen jede Terrorisierung geschützt. Ein Armeebefehl machte das Marvdcurwesen im großen Stil unmöglich. Wenn auch hier und da aus Einzelhösen und Dörfern die Marodeure übel gehaust haben mögen, im allgemeinen waren damals noch die Tage der glänzenden und imponierenden fran zösischen Maunszucht. Menschlich näher brachte die fran zösische Herrschaft den für weiche Gefühle besonders zu gänglichen Sachsen auch das höchst traurige Schicksal des jungen Leipziger Stadtkommandanten Macon, der, erst 38jährig, dem Typhus zum Opfer fiel. Von französischer Seite verfehlte man nicht, diesen Todesfall zu einer politischen Demonstration auszunutzen. Das Leichen begängnis wurde mit allem verfügbarem Pomp gefeiert; so mußte z. B. der Rat die akademischen und kurfürstlichen Behörden cinladen. Der Zweck war erreicht; die zeit genössischen Berichte können sich nicht genug tim im Be schreiben des fast vier Stunden langen LeichenzivgeS. Ferner mußte den schöngeistigen Sachsen die Achtung der Franzosen vor der Wissenschaft imponieren. Sowohl Macon und Davout, wie auch Napoleon selbst, sicherten der Universität den weitgehendsten Schutz zu. Die Kauf mannschaft gewann und bestach Napoleon durch seinen liebenswürdigen Empfang der Abordnung der Stadt Leipzig am 6. November. Vor allem frappierte die außer gewöhnliche Sachkenntnis, mit der er über das eingereichte Memorial sprach. Welche günstig stimmende Wirkung diese Unterredung hatte, kann man aus ihrer Behandlung in den damaligen Zeitschriften ersehen. Hierzu trat LaclffcnS Erhebung zum Königreich und die Freude, daß Sachsen selbst vom Kriege verschont blieb, und die Begeisterung für Frankreich erreichte ihren Höhepunkt bei der Anwesenheit Napoleons in Dresden im Juli 1807. Trotz alledem blieb eine preußische Untcrströmung bestehen. Sie gründete sich auf den stark ständischen Zug, der Adel glaubte seine Stellung §u ver lieren, auf das starre Luthertum, erzählte man sich doch mit Gruseln, daß durch Dresden schon katholische Prozes sionen zögen, und das deutsche Gefühl. Lange hielt diefran- zösische Obcrströmung nicht an. Die lange Kriegsdauer führte zur Entfremdung gegenüber Napoleon. Im Jahre 1^00 klärten sich dicMcinungen. Dem süchsischenVolke, sagt Nühlmann, wurde der undeutschc Charakter deS fran zösischen Volkes klar, der sächsischen Regierung zeigten die Ereignisse, wo die Sympathien des Volkes lagen und wie gefährlich offen sic zu Tage traten. In dieser Zeit liegen auch die tieferen Wurzeln deS sächsisch-französischen Ucberwachungssystems, bestehend in der politischen Zensur und Polizei. Während dieser Episode wird die öffentliche Meinung beherrscht von zwei Strömungen. Die eine ist die etwas demokratisch gefärbte, deutsch-nationale, öster reich-freundliche Richtung. Sie ist am stärksten zu Anfang des Feldzuges. Durch die Mißerfolge der österreichischen Waffen und durch das Auftreten der Braunschweiger in Sachsen erlangt dann allmählich die Oberherrschaft eine zweite, streng sächsische, legitimistische, franzosenfreund- lichc Strömung, die nach dem Schönbrunner Frieden den Charakter der Reaktion annimmt. Im Gegensatz zu Dresden war die Haltung der Leip ziger drohender und aggressiver. Deutlich erkennt man den schärferen Charakter der politischen Haltung aus der ver hältnismäßig großen Zahl der Verordnungen des Leip ziger Rates, die sich mit der Aufrechterhaltung der öffent lichen Ruhe befassen. Der Schluß liegt nahe, cs muß dem Rate schwer gefallen sein, die Ordnung in der erregten Feuilleton. - — Oie Centauren des Orinoco. Lti.zze aus dem Nciterleben in den Pampas Venezuelas. Don Emil Bcrdau. Nachdruck verboten. Die energische Aktion Deutschlands und Englands gegen das renitente Venezuela dürfte die öffentliche Auf merksamkeit nicht nur auf die rein politischen Ereignisse in jener Republik lenken, sondern den Leser auch für sonstige Eigentümlichkeiten des Landes interessieren. Ein bc- solideres Charakteristikum Venezuelas ist der „Gaucho" oder Stcppcnrciter der Pampas des Orinoco. Was für die Union die Prärien deS Mississippi, das sind sür Venezuela die Llanos oder Pampas. Der Leser stelle sich im Geiste ans eine der höchsten Dünen an unserer deutschen Seelüfte und denke sich das zu seinen Füßen schier endlos bis zum Horizont hinwogcndc Meer zu einer mit mannShobcm Grase bewachsenen Ebene erstarrt, und er hat eine Idee davon, welchen Anblick die Llanos, von einem Abhang der Cordillcrcn ans gesehen, dem Beschauer liefern müssen. Diese unendlichen Grasslächcn weisen wohl hier nnd da einen Wasserlauf oder einen Weiher, nirgends aber Baum oder Strauch auf. Belebt sind sic nur von Tausenden von verwilderten Rindern, die unter der Aufsicht ausgezeichnet berittener und reitender Llancros oder „Gauchos" stehen, deren niedrige, im hohen Grase kaum sichtbaren „ttakos" oder Hütten über die ganze ungeheure Graswüste, meilenweit von einander entfernt, zerstreut sind. Der echte Gaucho kann weder lesen, noch schreiben. Seine Sprache, ein spanisch-indianisches Kauder welsch, beschränkt sich auf die allernotwendigsten Worte. Er ist durch die vereinsamte, fast völlig abwechslungslvsc, anregungsarme Lebensweise, die er von Kind auf führt, geistig bis znr Vcrtiertheit beschränkt. Seine Gestalt ist untersetzt, skelctthäger, aber sehnig. Der Kopf ist klein; er verschwindet samt dem struppigen, schwarzen Haar fast unter der breiten, schlappen Krümpc deS abgegriffenen Ltrohhutcs. Die Züge des wcttergebränntcn Gesichtes verraten keine Spur von Intelligenz. Nur in dem teils stechenden, teils lauernden Blick der kleinen, schwarzen Augen liegt eine gewisse, mehr tierisch-instinktive Schlau heit. Alle Gauchos haben Sübclbctnc, die sich wie eine Kneifzange um den Pferdeletb klammern und die wahrhaft verblüffende Sattelfestigkett de» Reiter» mit bedingen. Zn Fuß bewegt sich der Gaucho wie eine watschelnde Ente; vollends wenn er läuft, sicht-er urkomisch aus. Zu Pferde aber ist er ein „Genie", nnd der Gaul soll noch geboren werden, der im stände ist, ihn abznwerfcn. Sitzt der Gaucho erst auf dem Pfcrdcrückcn, gesattelt oder nicht, so ist er in Wahrhaftigkeit ein Centaur, und verdient die lauteste Bewunderung jedes Sportsmannes der Welt. Die Garderobe des Llauerv besteht aus einer baum wollenen „moettittr", einer Art Staubhcmde, kurzen, weiten Hosen aus gleichem Stoff und dem unvermeidlichen „ponosto", einer wollenen, rechteckigen Decke, iu deren Diagonalcn-Schnittpnnkt etwa sich ein rundes Loch be findet, durch welches der Kopf gesteckt wird. Bei schönem Wetter befindet sich dieser ponctto gerollt am Hinteren Ende des Sattels festgebniiden. Bei Regenwcttcr, dem einzigen Witterungswechsel, um den sich der Gaucho zu kümmern hat, wird der ponctto als Mantel über die moettiia gezogen. Sonst dient er auch als Kopspvister, als Lager, ia im Notfall selbst zum Sattel. Tic Füße schützt der Gaucho mit Sandalen ans Rindshant nur so weit, daß sie sich am Steigbügel nicht wnndschcucrn können. Strümpfe nnd Stiefel sind ihm ein rarer Luxus. Sitzt der Gaucho zu Pferde, so führt er rechts am Lattclknopf den ans gefetteter Rindshaut geflochtenen Lasso, mit dem er äußerst geschickt zn lxniticren versteht, und links die „tnnalia", einen gnrlensörmigcn, mit Wasser gefüllten Schlauch von Kalbslcdcr, und ein Säckchen mit gerösteten Maiskörnern nnd etwas gedörrtem Fleisch mit sich. Die einzige Waske, die der Gaucho kennt, ist die „mnottetv", ein 11/2 bis 2 Fuß langes, schweres Hicbmesscr in lederner Scheide welches er entweder rechts hinter sich am Sattel, oder, wenn zn Fuß, an einem Riemen nm dein Leib be festigt. In dieser primitiven Ausrüstung ist der Gaucho im stände, in glühendem Sonnenbrand oder in strömen dem Regen, oft meilenweit von seiner „ttnto" entfernt, den Tag zuzubringcn. Dabei schert er sich weder um Fliegen, r.och Moskitos, noch „persönliches" Ungeziefer, von welchem nicht nur er allein, sondern alle die „Häupter seiner Lieben" daheim „frequentiert" sind. Höchst selten siebt der Gaucho andere Mcnschcngesichter, alö die seiner Kameraden, mit denen er geistig so ver wachsen ist, wie einst die siamesischen Zwillinge in leib licher Hinsicht. Gegen Fremde ist er mehr schen, als miß trauisch; doch, wer ihn richtig zu nehmen, oder noch besser: wer ihm richtig zu „geben" versteht, dem ist er fast kindlich zugetan, und seine Gastsrenndschast, die man begreiflicher weise nur im äußersten Notfall, nnd auch danu nur in bescheidenster Weise in Anspruch nimmt, ist von einer rührenden Offenherzigkeit und Selbstlosigkeit. Die Hütte des Gaucho beherbergt seine Familie in engstem Raume. Sic ist aus „Motto", einer gedorrten Mischung von Lehm nnd Gras, auf einer viereckigen Erderhöhung errichtet, nnd oben mit vcrspleistenNindshüuten gedeckt,die mit einer hohen Schicht Maisstengcl verkleidet sind. In der Mitte des Raumes erhebt sich ein Lchmhügcl, auf welchem ein „ewiges" Feuer von getrocknetem Rindermist um einen oben abgeplatteten Feldstein glimmt, der als Bratpfanne dient. Um den Lchmhügcl stehen die Stühle, alia-! Feld steine. Ringsum au den Wänden befinden sich die Betten d. b. Lager aus Maishülsen und Nindsfellcn. Aus diesen liegt in einem Winkel das „Jüngste", splitternackt, nnd zum Schutz gegen allerlei „Scchsbciniges" mit einer roten Erdart beschmiert. Tic Mutter, eine meist schmierige, zer lumpte, aber nicht immer häßliche Mestize, serviert mit spanisch-indianischer Grazie, die sic selbst im Greiscnalter nicht verliert, eine „toetilttr" ans geröstetem Maisschrot nnd Wasser, dazu ein „ronstttoc-t", welches mit rotem Pfeffer derart gewürzt ist, daß man meint, man esse glühende Kohlen, und als „Löschmittel" einen Schluck „mietto" leine Art selbstgcbrauteu Rums) aus einem Flaschenkürbis. Die „ninos" oder Kleinen waren vor dem Fremden kreischend in die kleine Gemüse- und Mais pflanzung geflohen. Sie lugen ab und zu herein und staunen das zweibeinige Wundertier von Fremdem mit ausgcspcrrtcm Mäulchen und glotzenden Acuglcin an. Man freut sich, wenn man ihrer zudringlichen Neugier durch einen Daucrrit entgangen ist. Den Spanier kann auch der (tzancho nicht verleugnen. Wenn auch zu nenn Zehnteln Indianer- oder gar Neger blut in seinen Adern rollt, er sicht doch mit kältester Ver achtung auf jeden Schwarzen und jeden Indianer herab. Diese letzteren halten daher auch gar keinen intimeren Verkehr mit ihren stolzen Nachbarn, und leben mehr in den Grenzgebieten der Pampas am Fuße der Cordillcrcn. In religiöser Hinficht steht der Gaucho auf denkbar niedrigster Stufe. Ein nur mehr instinktiver Glaube an ein höchstes Wesen ist alles, was die armseligen Urenkel spanischer Immigration noch übrig haben vom katholischen Glauben ihrer Urahnen. Dickster Aberglaube und eine Art christlicher Fetischismus sind an die Stelle der Religion getreten, die bis heute den Weg zu ihnen nicht wieder ge funden hat. Im ganzen bleibt den Gauchos auch nicht viel Zeit zu religiöser Observanz. Häufig haben ihrer sechs bis acht allein eine nach Tausenden zählende Herde zu hüten, und müssen, da sie durchschnittlich 5 bis 6 deutsche Meilen von einander entfernt wohnen, sich ost wochenlang unter freiem Himmel in den Pampas hermntretben. Nur zwei bi» drei Tage hintereinander im Jahre ist cs dem Gaucho ver gönnt, civilisicrte Menschen in größerer Zahl zu sehen nnd sich dabei im Kreise der Kameraden zu — betrinken. Tas ist die Zeit der „la ttiorra", in welcher die Rinder magnaten ans denKüstcnstädtcn oder die grotzenRanchervs von ihren palastähnlichen Haciendas sich auf den offene» Pampas cinsindcu, um den Kälbern ihrer Herden den be hördlich registrierten Brandstempcl aufdrücken zu lassen, und mit den sic in großer Zahl begleitenden Viehhändlern oder Marcadorcs ein profitables Geschäft in fettem Schlachtvieh abzuschlicßcn. Dann sind die Gauchos aller Herden von früh morgens bis spät nachts damit beschäftigt, das Vieh ihrer Herrschaft anö der brodelnden Masse der durcheinander drängenden Stiere, Kühe und Kälber frem der Marken abzvsvndern und in den großen „orarck", einen aus weit vom Gebirge herbcigcschafften Baumstämmen Hcrgcstclltcn Riescnpferch zusammenzutreiben. Auf der sonst so totenstillen Prärie herrscht nun allerorts ein wahres Pandämoninm. Tas Donnern der Hufe, das Gebrüll der Kühe und Kälber, das Klappern der Tausende von Hörnern, der Lchwcißdamps, der Mistgcruch, das Brummen der Stiere, der auswirbelndc Staub, die überall qualmenden Feuer, das Zischen der Brenneisen, das Ge schrei, Gejnchze und Gelächter der schier entmenschten Gauchos, das Sausen und Klatschen der Lassos nnd so weiter — wer wollte, wer könnte dieses entsetzliche Ge tümmel, dieses sinn- und vcrstandvcrwirrcudc Chaos auch nur annähernd anschaulich schildern'. In dieser Zeit wird auch der junge Gaucho gewissermaßen in seinen zukünf tigen Beruf eiugcsührt. Er muß dem Barer beim Treiben helfen und darf sich von jetzt ab ihm als ebenbürtig znr Seite stellen. Am letzten Tage der „ttic-i-rn" herrscht die tollste Ausgelassenheit. Dann werden vor den Augen der Besucher die wagehalsigsten Reitcrkunststückc ausgesührt, die wildesten Pferde gebändigt, Wettrennen abgehaltcn und der roheste Jur getrieben. Dann lassen die Rancheros nnd Magnaten den „mic-tte", den Rum und Branntwein reichlich fließen, und die jahrelang ausgctrockneten Kehlen der Gauchos werden gründlich „angcfeuchtet". Bald darauf tritt der Dienst wieder in sein Recht, und in stumpfsinniger Geduld fügt sich der Gaucho aufs neue den Gefahren und Strapazen seines eintönigen Berufs, bis eines TagcS ein Haufen Feldsteine anzeigt, daß er zum letzten Male aus dem Sattel gestiegen. Dann tritt der Sohn in deS Vaters Stelle, bis auch er dereinst seinen letzten Ritt tut. Soviel Steinhaufen in den PampaS, soviel GanchoS hat es gegeben.
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