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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-27
- Monat1902-12
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S06L l-elgetragen, daß seine Ernennung für Chicago nicht erfolgte, wo man einen Bischof braucht, der immer auf dem Platz ist. UeberdieS hieß eS, daß Msgr. Spalding ein persönlicher Gegner deS jetzigen provisorischen Verwesers der Diözese ist, der selbst ein Kandidat für die Erzbischofswürde war und in der dortigen Geistlichkeit einen großen Anbang besitzt. Die ErnennungdeS Msgr. Spaldinghätte daher,wie man befürchtete, in der Diözese Chicago eine Spaltung herbeisühren können, welche den kirchlichen Interessen nachteilig gewesen wäre. Nach reiflicher Erwägung aller dieser Umstände habe die Propaganda ibre Wahl auf den Bischof von Buffalo, Msgr. Ouigly, gelenkt, der als sehr tüchtiger Verwalter gerühmt wird. Wenn cS auch bedauerlich sei, daß die Kandidatur des Msgr. Spalding nicht berücksichtigt wurde, so wäre eS Lock auch nicht richtig, darin eine Niederlage ter von ihm vertretenen freisinnigen Anschauungen zu erblicken. Deutsches Reich. * Berlin, 26. Dezember, lieber einen Akt eng lischer Brutalität beim Schiffbruch des in ter Nordsee verloren gegangenen Schoners „Barbara Hendrika" ans Glückstadt teilt der Führer der „Barbara Hendrika'', Kapitän Kl een, folgendes mit: Er ist mit der übrigen Mannschaft deS Schoners Montag abend in Glückstadt angekommen. Am Abend des 15. d. M. webte eine frische Brise aus süd westlicher Richtung. In der Nacht gegen 2 Uhr wurde der Wind böenartig und artete zum Sturm aus. In einer schweren Böe ging die ganze Takelage mitsamt den Masten über Bord; innerhalb 5 Minuten war alles vom Deck glatt wegrasiert. Die ganze Nacht wurde Notfeuer ge zeigt, außerdem wurden alle Augenblicke Raketen abgebrannt und Notzeichen gegeben, um Hilfe zu erkalten, aber kein Schiff zeigte sich. Den nächstfolgenden Tag trieben wir mit dem Wrack b'.lfloS umher; die Wellen spülten fort während über Deck, so daß wir Len Tod stets vor Augen hatten. In der folgenden Nacht gaben wir dieselben Notzeichen und sichteten zwei in der Nähe befindliche Fischdampfer, die sich jedoch gar nicht um unser Hülsesignal kümmerten, obwohl sie uns ebenfalls ganz deutlich sahen. Am 17., morgens 9 Uhr, kam der schwedische Dampfer „Atland", von BurnS-Jsland nach Lysekiel unterwegs, in Sicht und steuerte gerade auf uns los. Die Bergung der Mannschaft und der notwendigsten Sachen ging ohne Zwischenfall bei bochgehender See von statten. Kaum hatten wir unser Schiff verlassen und wollten eS, damit cs der Schiffahrt nicht hinderlich fei, zum Sinken bringen, als einer der Fischdampfer, der sich während der ganzen Nacht in unserer Nähe aufgehalten hatte, auf das Wrack zusteuerte und es ins Schlepptau nahm. ES war der englische Fischdampfer „May Queen" (Maikönigin), der daSLeck gedichtet haben muß und hernach das Schiff in Leith eingebracht hat." Nach dieser Darstellung des Kapitäns Kleen verdient das Benehmen des Engländers, der zur Rettung der in äußerster Not befind lichen Mannschaft nicht die geringsten Anstalten machte, jedoch daS verlassene Schiss als gute Beute betrachtete, aller dings den schärfsten Tadel. * Berlin, 26. Dezember. (Abg. v. Bollmar und der Fall Baudert.) Der elsässische ReichStagSabgeordnetc Hauß hatte seinerzeit als Ohrenzeuge mitgeteilt, wie der wzialdemokratische ReichStagsabgeorvnete Baudert wegen seines ungehörigen Betragens im Reichstage bei Beratung der Zolltarisvorlage von seinem Fraktionsgenossen v. Vollmar zurechtgewiesen worden war. Die sozialdemokratische Presse hatte die Angaben deS Abg. Hauß angezweiselt. Auf eine Anfrage der Straßburger Post hat der Abgeordnete v. Vollmar geantwortet, der Widerspruch erkläre sich einfach daraus, daß der Abg. Hauß auö einer persönlichen Unter redung zwischen v. Vollmar und Baudert einige Worte auf gefangen und sie dann auf seine Weise gedeutet und ergänzt habe. Hierzu bemerkt der Abgeordnete Hauß: „Die von mir im „Volksboten" veröffentlichte Schilderung der Unterredung zwischen Len Abgeordneten v. Bollmar und Baudert entspricht in allen Punkten der Wahrheit. Ich habe nicht Bruchstücke der „kollegialen" Auseinandersetzungen der beiden Herren wieder gegeben, sondern einen Satz, wie er Wort für Wort von Herrn v. Vollmar gesprochen und von mir sofort zu Papier gebracht worden ist. Schließlich möchte ich noch bemerken, Laß Las, was sich zwischen den beiden Herren abspielte, keine „persönliche Unterredung" sein konnte. Es war eia Zwischenruf, den die nächste Umgebung, ohne es zu wollen, hören mußte. Ich unterscheide in dieser Beziehung sorg fältig zwischen Privatgesprächen und parlamentsüblichen Zwischen- rufen. Würde ich das nicht tun, so könnte ich noch weit interessantere Sächelchen, die sich bei diesen denkwürdigen Verhandlungen im Reichstag in meiner Nähe zugetragen haben, der Oessentlichkeit über geben." Der Abgeordnete Wetterlü gibt hierzu folgende Er klärung ab: „In der Sitzung vom 3. Dezember stand ich etwas entfernt von meinem Platze und unterhielt mich mit eincin Kollegen. Während dieser Zeit trat durch eine Tllre auf brr linken Seit« deS tzause- Herr v. Bollmar und rief in zornigem Tone dem Abgeordneten Baudert, der mal wieder krakehlte, etwas zu. Genau konnte ich seine Worte nicht verstehen. Ich begab mich sofort zu meinem Kollege» Hauß, der an seinem Pulte saß, Nlithin direkter Ohren« und Augenzeuge war, und er teilte mir die Worte des Herrn v. Vollmar so mit, wie er sie in der Presse später veröffentlicht hat." — Eine vollständige Neu- und Umgestaltung der Geschäftsordnung d e s R e i ch s t a g e s auf Grund der Erfahrungen eines Menschenalters wird in der „Köln. Voltsztg." empfohlen. Tie geltende Geschäfts« orduuug sei durchaus kein Muster von Systematik und Klarheit und hätte eine griiudlkche Aendcrung in vielen Punkten längst nölig gehakt. „Es empfiehlt sich aber nicht, die Arbeit jetzt vorznnehmcn, wo die Gernüter von den Ickten Kämpfen um die Geschäftsordnung noch zu erregt sind. Man überläßt sie besser dem nächsten Reichstage, der der Sache unbefangener und unparteiischer gegenüber stehen und nicht mit so viel Mißtrauen zu kämpfen haben wird. Man sollte gleich nach dem Zusammentritt des neuen Reichstages eine besondere Kommission zur Revision der Geschäftsordnung nicdcrsctzcn. Sic konnte dann in aller Ruhe prüfen und Vorschläge machen." Man wird in dieser Auregnng einen Versuch erblicken dürfen, die not wendig gewordenen Aeuderungen der Geschäftsordnung etwas gründlicher und systematischer vorzunehmen, als dies bei der Eile der Zvlltarifvcrhandlungen möglich war. — Das Zentrum ist sich über seinen Kandidaten für die NeichStagSnachwahl in Lingen noch nicht einig; neben dem AmtSgerichtSrat Enge len in Osnabrück ist auch der Landgerichtsrat von Hagen, der bisherige Landtags abgeordnete für Meppen, in Aussicht genommen. Zn einer Versammlung, die am 2. Januar n. Z. in Meppen stattsinden soll, wird dann endgültig durch Mehrheitsbeschluß der Zen trumskandidat bestimmt werben. — Zu den Zugeständnissen der deutschen Regierung in dem S t r a ß b u r g e r A b k o m m e n schreibt die „Post": „Dieses Zugeständnis hat noch eine bemerkenswerte Folge. Die logische Konseguenz des Vorganges in Straßburg ist die, daß die alten katholischen theologischen Fakult ä ten in Preußen über kurz oder lang das Schicksal der Straßburger Schwester- f a k u l t ä t t e i l e n müssen, denn was dort recht ist, kann hier nur billig sein, nnd die römische Kurie wird nicht ver fehlen, für die anderen Bischöfe dieselbe verbesserte Stellung dieser Fakultäten zu verlangen, die der Straß burger Bischof erhalten hat. Auch wird dann die ultra montane Agitation nach demselben Ziele in den übrigen deutschen Bundesstaaten, Baden, Bayern und Württemberg, trachten, und so wird Preußen nicht nur, wie bisher, den wenig beneidenswerten Ruhm haben, in Bezug auf manche kirchlichen und kirchenpolitischen Fragen rückständig zu sein, sondern auch in einer Lebens frage der deutschen Universitäten den Anstoß zum Rück schritt gegeben zu haben." — Die im Etat des Neichsamts des Innern aus geworfene Position zur Bekämpfung der Tuber kulose, soll, nach den „Hamb. Nachr.", im Rcichshaus- haltsctat für 1903 eine Erhöhung erfahren. — Die französische Legende, daß Deutschland den 1870er Krieg hervorgerufen, in welche ja unsere Sozial demokratie mit der Bebauplung von der Fälschung der Emser Depesche usw. einstimmt, wird illustriert durch folgende Aeuße- rung, welche der Pariser „Teinps" an die kürzlich mit geteilte Entstehung der von Grammont im französischen Parlament am 6. Juli 1870 verkündeten Erklärung knüpft. Grammont, Ollivier, Napoleon selbst u. a. hatten bekanntlich lange im Ministerrat an dieser Erklärung herumgearbeilet. Nun sagt der „TempS": „Man kann den verbrecherischen Wahnsinn der Kaiser lichen Regierung nicht verstehen, wenn man bedenkt, daß wir nach einer Erklärung so drohenden Tones jede erforderliche Genugtuung erhalten hatten, auch die formelle Zurückziehung der Kandidatur des Fürsten von Hohcnzollern, — eine Zurück ziehung, die unter solchen Umständen einen wahren Rückzug Preußens bedeutete und all unsere Eigenliebe zufrieden stellen mußte! Und dieser selbe Herzog von Grammont war es, der (nachträglich so sehr darauf bedacht, seine eigene Verantwortlichkeit abzuschwächen) im Einverständnis mit dem Kaiser und um der Kaiserin einen Gefallen zu tun, ein zweites Mal den Gesandten Benedettt zum Könige von Preußen geschickt hat, nachdem alles zu unserer Genugtuung erledigt war — und zur Hellen Verzweiflung Bis marcks — all' unser Unglück ist daher gekommen." — Die Arbeitslosenzühlung der Hirsch- Dun ckersch en dentschen Gewerkvcreinc vom 15. Novellier d. I. hat ein verhältnismäßig günstiges Er gebnis gehabt. Von den 63 614 Verbandsmitgliedern, die sich an der Zählung beteiligten, waren im ganzen 653, das ist 1,03 v. H. arbeitslos. Die Gesamtfrist der Arbeitslosig keit betrug 3723 Woche«, durchschnittlich 39 Tage auf einen Arbeitslosen. — Eine Statistik über die Arbeitszeit der An gestellten in den Kontoren kaufmännischer Be triebe ist vom Kaiserlichen Statistischen Amt bearbeitet worden. Auf Veranlassung der Kommission für Arbeiter statistik sind in den größeren Städten deS Deutschen Reiches an Prinzipale und Gehülfen 14 638 Frage- bogeu ausgegeben worden, wovon auf Berlin 1260 entfielen. Nach den durch 13 673 Kontore auSgesülllen Fragebogen waren in diesen Bureaus 64 560 männliche (92 Proz.) nnd 5126 (8 Proz.) weibliche Personen beschäftigt. WaS nun die Arbeitszeit betrifft, so haben durchschnittlich eine Arbeitszeit von weniger als 9 Stunden männliche G«' hülfen über 16 Jahre 61,3 Proz., von 9 bis 10 Stunden 28,l Proz., von mehr als 10 Stunden 10,6 Proz., weibliche Gehülfen 55,9, rejzz. 30,4, bezw. 13,7 Pro^. Die Arbeitszeit bei Angestellten unter 16 Jahren verbält sich ungefähr in dem gleichen Maße. Zn Betreff der Urlaubs verhältnisse wurde in einem Drittel aller Betriebe regel mäßiger Urlaub, iy den übrigen nur bei 6 Prozent, dagegen auf Wunsch ein solcher bewilligt. Obwohl eine Statistik in so geringem Umfange wenig beweiskräftig ist, fo zeigt sie doch, Laß man an Len maßgebenden Stellen geneigt ist, der gxoßen- teilS recht schlechten sozialen Lage der kaufmännischen An gestellten wenigstens näher zu treten. — Der ehemalige Gouverneur von Neu-Guinea v. Ben nigsen hat an Bord deS ReichSpostdampferS „Großer Kurfürst" seine Reise nach Deutsch-Südweslafrika angetreten zur Uebernahme seiner neuen Stellung als Direktor der dortigen Kolonialgesellschaft. Der Aufenthalt in Afrika ist vorläufig auf sieben Monat berechnet und wird sich bauptsächlich auf Erhebungen über die Möglichkeit der Be siedelung des der Gesellschaft gehörenden Landes mit deutschen Bauernsöhnen und jungen Boeren erstrecken. — Der Untcrftaatssekretär im preußischen Justizministerium, vr. Küntzel, ist, wie die „Kreuzztg." erfährt, zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt worden, vr. Küntzel hat lange Jahre die mit der Einführung des Bürger lichen Gesetzbuches zusammenhängenden Arbeiten geleitet und ist in hervorragender Weise an dem Zustandekommen des Gesetzbuchs tätig gewesen. Ter Kommission für die zweite Lesung des Ent wurfs gehörte er n. a. zuerst als stellvertretender Vorsitzender, und nach dem Tode des UnterslaatKsekretärs Hanauer als Vorsitzender an. — Der Bevollmächtigte zum Bundesrat, hessische Geheime Staatsrat Krug von Nidda, ist von Berlin abgereist. * Aus -er Ostmark. In der katholischen Kirche von Moschin, einem kleinen Landstädtchen bei Posen, hat am ersten Weihnachtsfeiertage Gottesdienst mit deutschem Kirchengesang und deutscher Predigt stattgefunden — an geblich zum allerersten Male. Der „Orcndownik" über schreibt Liese Mitteilung „Traurige Weihnachten" und meint, die Ankündigung der deutschen Predigten bade in der Kirche große Bewegung hervorgerufen. Zn einer Zeit, wo die Polen allenthalben in Deutschland polnische Gottes dienste fordern, mutet es seltsam an, daß ein sogenanntes gemäßigtes polnisches Blatt sich in dieser Weise ent rüstet , wenn einmal oder bestenfalls einige Male im Jahre für die deutschen Katholiken deutscher Gottesdienst abgehallen wird. Die Polen fordern eben für sich stelS eine Ausnahmestellung und stellen sich dabei so unbefangen, als sei eS die natürlichste Sache von der Welt, daß die katholische Kirche alle Mittel auswendek, um die deutschen Katholiken zu Polen ^u machen. Daö ist jahrzehntelang geschehen und hat die Polen mehr gestärkt, als die Deutschen ahnen. Daher ist man sofort mit Vorwürfen gegen die geistliche Behörde bei der Hand, wenn diese sich endlich zu einem Schritte versteht, den sie tun muß, will sie sich nicht offen ins Unrecht setzen. Selbst die schwere Erkrankung deS Erzbischofs hindert die polnische Presse nicht daran, gegen ihn Klage zu erheben. Altenburg, 24. Dezember. Eine herzogliche Verord nung verfügt bezüglich der Vorbereitung zum höheren Zustizdienste, daß die Referendare eine Vorbereitungs zeit von drei und ein halb Jahren im praktischen Zustizdienste zurückgelegt haben müssen, bevor sie zu der zweiten juristischen Prüfung zugelassen werden. Während der Vorbereitungszeit kann die Beschäftigung der Referendare außer bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und Rechtsanwälten für einen Zeitraum von nicht über sechs Monaten auch bei Verwaltungsbehörden erfolgen. Bisher betrug die Vorbereitungszeit nur 3 Jahre. * Gotha, 26. Dezember. Herzog Karl Eduard von Sachsen-Kobnrg und Gotha wird demnächst die Kriegs schule in Metz beziehen, um dort in gesonderten Kursen Unterricht zu genießen. * Kattowitz, 26. Dezember. Der Zentrums »Reichstags abgeordnete Stephan-Beuthen wird angeblich nicht mehr kandidieren. Das ist freilich schon ebenso ost dementiert, wie ge- meldet worden. * Mainz, 26. Dezember. Gegen den verantwortlichen Redakteur der s oz iald emokratischen „Mainzer VolkSztg.", Beruh. Adelung, ist wegen einer an der letzten Kaiserrede geübten Kritik durch Veröffentlichung eines Artikels das Straf verfahren wegenMajestätSbeleidigung eingeleitet worden. * AuS Bayern. Die Generaldirektion der Posten klagt über die mangelhafte Adressierung von Post sendungen, insbesondere Briefe», wodurch viele unbestellt bleiben oder verspätet zugestellt werden. Verschiedene KreiS- regieruugen haben nun die Volksschallehrer angewiesen, die Schüler von FortbildungS- und SonataaSschulea über die Wichtigkeit der sorgfältigen und genauen Adressierung auf- zuklären, ferner sie in Ausfertigung und Ausfüllung von Postanweisungen und anderen Postformularien zu unterweisen. Die Prüfungskommissare müssen sich am Jahresschluß davon überzeugen, ob diese für das praktische Leben bedeutsame neue Lehraufgabe auch erfüllt wurde. * Augsburg, 23. Dezember. Mangels genügender Auf träge haben hiesige Maschinenfabriken Arbeiter-Ent lassungen in größerem Umfange vornehmen müssen. In der Textilbranche wurden die Löhne abermals ge kürzt. (Frkf. Ztg.) * Aus Elsatz-Lothringen. Die Vertrauensmänner versammlung der reichsländischen Klerikalen, in welcher über die Errichtung einer elsaß-lothringischen Laudes organisation, sowie über die Frage des Eintritts der reichs- läudischen Klerikalen in das Zentrum definitiv entschieden werden soll, ist auf nächsten Montag in Straßburg an« beraumt. Oesterreich - Ungarn. Tschcchisierung NordböhmenS. U Geradezu ausfallend ist das Einströmen der tschechischen Arbeitermassen in die ehemals ganz deutschen Braun kohlenbezirke NordböhmenS. So lebten Ende 1900 im Gerichtsbezirke Brüx neben 53 787 Deutschen 19 218 Tschechen, im Gerichtsbezirke Dux neben 38530 Deutschen 13661 Tschechen, im Gerichtsbezirke Bilin neben 27 637 Deutschen 3474 Tschechen, im GerichtSdezirke Ttplitz neben 78136 Deutschen 9018 Tschechen. Aber auch in den Nachbarbezirken haben sich schon Tschechen in beachtenswerter Zahl angesiedelt: im Bezirke Karbitz wurden 290, im Bezirke Aussig 987, im Bezirke Tetschen 1050, im Bezirke Postelberg 1776, im Be zirke Saaz 733, im Bezirke Görkau 695 und im Bezirke Komotau 607 Tschechen gezählt. * Wie», 26. Dezember. Kaiser Franz Josef ist heute bei bestem Wohlsein aus Wallsee in die Hofburg zurück gekehrt. Frankreich. Der Marinemintster. * Paris, 26. Dezember. Marineminister Pellet an hat an den Berichterstatter für den Marineetat, LeygueS, ein Schreiben gerichtet, in welchem er gegen die von der Budget kommission an dem Marine-Etat vorgenommenen Aende- rungen Einspruch erhebt, weil dieselben ohne, wie eS ge bräuchlich sei, ihn zu befragen vollzogen seien. Er verlangt sodann Angabe von Gründen für diese Aenderungen. Auch an den Präsidenten der Budgetkommission Doumer hat Pelletan geschrieben und seiner Ueberraschung darüber Aus druck verliehen, daß die Kommission, ohne seinen Rat ein zuholen, daS Dekret vom 7. Oktober über die Marine stammrollen für ungesetzlich erkärt hat. Jenes Dekret sei gesetzlich und habe keine Rückwirkung auf das Gesamtergebnis der Ziffern des Marinc-ElatS. Er verlange daher, daß man dem Dekret Folge gebe, welches vom Präsidenten Loubet unterzeichnet, offiziell vor Schluß der Parlamentssession ver öffentlicht und niemals zum Gegenstände einer Interpellation gemacht wurde. Rußland. Jubelfeier des Pagenkorps; Universität Dorpat. * Petersburg, 26. Dezember. Kaiser Nikolaus richtete an das Pagenkorps auS Anlaß seiner Jubel feier einen Erlaß, durch den der Großsürst-Throosolger, sowie die Großfürsten Michael Nikolajewitsch, Wladimir Alexandrowitsch und Konstantin Konstantinowitsch ä la suite des Pagenkorpö gestellt werden. — Gestern fand in Gegen wart des Kaisers und der Kaiserin eine Parade deS sin- ländischen Leibgarde-Regiments und darauf im Wiuterpalais die feierliche Nagelung der vom Kaiser dem Pagen korps verliehenen neuen Fahne statt. Dieser Feier lichkeit wohnte auch die zur Teilnahme an der Jubelfeier Les Pagenkorps hier eingetroffene deutsche Abordnung bei. Während der Feier und bei dem darauffolgenden Cercle richteten der Kaiser und die Kaiserin an General von Schwartzkoppen, Leutnant von Kietzel, sowie jeden der entsandten vier Kadetten huldvolle Worte. — Der „Regierungsbote" veröffentlicht ein längeres Handschreiben deS Kaisers an die Universität Dorpat aus Anlaß des 100jährigen Bestehens derselben. In dem Handschreiben spricht der Kaiser der Universität seine Anerkennung für das bisher Geleistete aus und versichert den Lehrkörper und die Studierenden feines Wohlwollens. Orient. Matzregelung; Russischer Besuch. * Konstantinopel, 26. Dezember. Der Mutessarif von Bajezid (Vilajet Erzerum), der am Namenstage des vorübergerauscht; die Kommilitonen, die mit ihm zu sammen zur Universität gekommen waren, hatten alle längst das Staatsexamen bestanden, nur er — er hatte im Nichtstun, in äuloi jubilo die Zeit vertändelt und nun tam die Erkenntnis, daß er ein törichter, gewissenloser Mensch gewesen, zu spät.... Zu spät? Gab es keine Umkehr mehr? Sollte er wirklich verzweifeln, das Ziel, das er sich einst gesteckt, doch noch zu erreichen? Un möglich! Vom nächsten Semester ab wollte ja der Vater den Wechsel nicht mehr senden. Tann blieb ihm nichts mehr übrig, als unverrichteter Sache ins Philisterium zu gehen und Subalternbeamter zu werden. Dann lag ein verlorenes Leben vor ihm, eine Tätigkeit, die ihn anwidern mußte mit ihrem ewigen stumpfen Einerlei. Karl Sägmüller schnappte nach Luft. Ein entsetzlich beengendes und beklemmendes Gefühl kam über ihn. Es war ihm, als wankte der Boden unter seinen Füßen, als sänke er tiefer und tiefer, und nirgends, nirgends ein Halt. Er schlug erschüttert die Hände vor sein Gesich., und ein folterndes Schluchzen drang aus der ringenden Brust herauf. „Herr Sägmüller!" Eine sanfte Stimme war eS, die ihn seinem dumpfen, verzweiflungsoollen Brüten entriß. Lieschen Schütze, die l'ilia Iiospitslis, stand vor ihm. „Ein Brief für Sie", sagte sie und trat näher an den Tisch. Als sie sein blasses, verstörtes Gesicht mit den Tränenspuren entdeckte, schrak sie heftig zusammen. Mit entsetzten Augen starrte sie ihn an, während er mechanisch den Brief öffnete. Aber er warf nur einen flüchtigen Blick hinein, dann ließ er das Blatt mit einer Geberde verzweifelter Resignation auf den Tisch fallen. Natürlich ein Mahnbrief. Was hätte es auch anders sein sollen? „Was — waS ist Ihnen, Herr Sägmüller?" fragte die bebende Stimme des jungen Mädchens. „Sie haben ja ge —" Sie brachte es nicht über die Lippen, sondern senkte, sich für ihn schämend, das erbleichende Gesicht. Der alte Student sah eine Weile starr vor sich hin, dann raffte er sich auf und entgegnete mit dumpfer Selbst. Verachtung: „Ihnen brauche ich ja nichts vorzumachcn, Fräulein Lieschen. Sie wissen ja, wie cs mit mir steht. Feyt gilt von mir, was in dem alten schönen Liede steht: „Was fang' ich armer Teufel an? Die Gelder sind verzehret; Mein Hab und Gut ist all vertan, Der Beutel ausgeleeret; Und daraus folgt der harte Schluß, Daß ich aus L-sta-t wandern muß —" Tas junge Mädchen zuckte heftig zusammen. „Sie — Sie scherzen doch nur, Herr Sägmüller — " stotterte sie angstvoll. Er schüttelte mit dem Kopf und deutete auf den Tisch. „Mein Vater hat mir geschrieben. Er will mich ein heimsen. Sie wissen ja, was dieser alte studentische Aus druck zu bedeuten hat." Der kilia üospitaUs kamen die Tränen in die Augen. „Aber das ist ja nicht möglich, Herr Sägmüller", stam melte sie. „Sie müssen ja doch erst Ihr Examen machen." „Darauf will mein alter Herr nicht mehr warten. Ich kanns ihm nicht verdenken; mir wär' an seiner Stelle auch die Geduld ausgcgangcn." Der alte Bursche ließ sein narbengeschmücktcs Haupt auf die Brust sinken und verlor sich wieder in ein dumpfes Brüten. In den Mienen des jungen Mädchens arbeitete es krampfhaft. Endlich brachte sie schüchtern die Worte heraus: „Aber wenn Sie nun ernstlich an die Arbeit gehen?" Karl Sägmüller sah mit verwundertem Blick zu der Gläubigen hinüber, die immer noch Vertrauen zu ihm hatte. „Dann brauche ich noch mindestens drei Semester", er widerte er, „bis ich mit einiger Aussicht auf Erfolg ins Examen steigen könnte. Mein Vater aber will mir mit Schluß des Semesters seine Hülfe entziehen." „Und haben Sie sonst gar keine Hülfe?" „Keine." Die Augen des jungen Mädchens flirrten. Ihre ge ängstigte Seele suchte nach allerlei rettenden Gedanken. Wenn Sie ihm anbot, an seinen Bater zu schreiben? Oder wenn sie in ihre Mutter drang, Herrn Sägmüller Woh nung nnd Kost umsonst zu geben, bis er sein Examen be standen hatte? Ihr Schamgefühl hielt sie ab, ihm ihre Gedanken zu offenbaren; auch wußte sie ja nicht, ob die Ideen, die ihr in der Erregung des Augenblicks durch den Kopf schossen, irgendrvelchen Erfolg in Aussicht stellten. Und so wußte sie in ihrer Not nichts anderes .zu tun, als plötzlich ihr Schürzchen vor die Augen zu drücken und laut aufweinend ans dem Zimmer zu stürzen. Gerührt, tief bewegt sah ihr der alte Bursche nach und die warmherzigen Verse des Liedes von der kilia üospitLlis kamen ihm unwillkürlich inS Gedächtnis: „Sie ist ein gar zu herzig Kind Mit ihren blonden Zöpfen. Tie Füßchen laufen wie der Wind Zn Schuh' mit Quast und Knöpfchen; Tie Schürze bauscht sich auf der Brust, Allwo ich schaue eitel Lust, Und keine ist aoqualis der kilia liospitalis. Im Haus herrscht sie als guter Geist Und zeigt'ö an jedem Ersten: Der einzige Schüler war verreist, Die Kasse mir am leersten, Da ward ihr Wort mir Schutz und Schild Und stimmte den Philister mild. Drum ist auch nichts aequalis der kilia üospitalis. Tu lieblich Mädchen, müßt ich doch, Was Gott mit uns beschlossen? — Ich schanz' mir in den Kopf ein Loch Und ochse unverdrossen —" Karl Sägmüller sprang auf seine Füße. Der Gedanke an Lieschen Schütze, an alles das, was er ihr schuldete, hatte ihm das Herz warm gemacht und ließ sein Blut schneller durch die Adern kreisen. Seine Hände ballten sich in dem Rausch seiner sich jäh hebenden Stimmung nnd neuer Mut und neue Zuversicht gossen sich in seine Seele. Ja, ochsen wollte er, ochsen, daß ihm der Schädel brummte. Ja, nun wollte er einmal zeigen, daß er noch Lust und Kraft, zu arbeiten, hatte, und wenn er in den Ferien nach Hause kam und seinen „alten Herrn" überzeugte, daß er setzt ernstlich strebte, doch noch sein Ziel zu erreichen, so würde vielleicht noch alles gut werden .... Bon da ab erhob sich Karl Sägmüller jeden Morgen um sechs Uhr von seinem Lager und setzte sich vor seinen Schreibtisch, der mit Büchern und Heften dicht bedeckt war. Auch im Hörsaal fing er an, ein regelmäßiger Gast zu werden. Die Kommilitonen staunten nicht wenig. Was war denn plötzlich in den alten Burschen gefahren? Ec, der sonst jeden, der Kollegien hörte nnd bei den Büchern hockte, als Streber verhöhnte, wurde jetzt der fleißigsten einer. Ja, es geschahen noch Zeichen und Wunder. Bet keinem Frühschoppen stellte sich Karl Sägmüller mehr ein, und wenn er abends wirklich einmal die Kneipe besuchte, so war er regelmäßig der erste, der aufbcach. Hatte die elfte Stunde geschlagen, so konnte ihn kein Hänseln und Necken und kein freundliches Zureden mehr zurückhalten. Niemand war glücklicher als die kiUa üospitaU«. Mit fröhlichen Mienen ging sie umher, und ihre frische, melodische Stimme sang von früh bis spät die lustigsten Studentenlieder. Sie wußte ja, es störte ihn nicht, im Gegenteil, es erinnerte ihn an sie und verlieh ihm neue Ausdauer und neuen Mut. Freilich, dem alten Burschen selbst wollte die Freude an -er Arbeit noch nicht so recht kommen. Es war ihm eine gar zu ungewohnte Beschäftigung, stundenlang hintereinander bei den Büchern zu sitzen. Dazu kam, daß hie Junisonne so freundlich lockte, und daß ihm seine Phau- tasie die Herrlichkeiten eines Ausfluges nach dem roman tisch gelegenen Bierdorf Birkenfeld in anziehenden Farben malte. Es kostete ihn oft eine heldenhafte Neber- Windung, -en in ihm gärenden Drang, aufzuspringeu, das trockene Studium im Stich zu lassen und sich unter die vergnügt bummelnden Kommilitonen zu mischen, zu überwinden. Ein anderer Umstand, der ihm nicht selten den Angstschweiß erpreßte und ihn dumpf aufstöhnen ließ, war die Wahrnehmung, baß sein Wissen zahlreiche Lücken aufwies. Da traf er zuweilen auf Stellen, die ihm troy allen Grübelns dunkel blieben, und trotz aller An- strengung kam er nicht recht vom Fleck. Eines Abends hatte Sägmüller wieder einmal den fidelen Kreis der Kommilitonen aufgesucht. Es ging heute in der Tafelrunde besonders lustig zu. Ein „alter Herr" der Verbindung hatte auf einer Vergnügungsreise in L-stadt halt gemacht, und er saß nun im Kreise des jungen Nachwuchses und erging sich in allerlei heiteren un ernsten Erinnerungen an seine lustige Burschenzeit, die nun, ach, schon mehr als vierzig Semester hinter ihm lag. So fröhlich und ausgelassen war man selten gewesen, und Karl Sägmüller überlegte, ob er nicht heute einmal eine Ausnahme machen sollte. Aber als es elf Uhr schlug, siegte doch der gute Geist in ihm, und so erhob er sich und ver abschiedete sich von der Tafelrunde. Merkwürdig, während sonst immer ein lautes Halloh entstand, wenn er sich so frühzeitig drückte, verlor heute niemand auch nur ein Wort. Nahm man endlich die Tatsache seiner Solidität und das ernste Pflichtgefühl, das in ihm erwacht war, als etwas Unabänderliches? Nur ein spöttisches Lächeln zuckte in dem Gesicht einiger der Jungburschen, als er ihnen die Hand zum AbschiedSgruß reichte. lFertsctznng folgt.)
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