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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031001025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903100102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903100102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Zisfernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 1. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Nr. 590. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Oktober. Zentrum und Polen. Der LandtaaSwahlaufruf der preußischen Zentrumsfraktion unterscheidet sich, wre schon erwähnt, in einem sehr wesent lichen Punkte von der 1898 erlassenen Kundgebung: er nimmt mit verhältnismäßig großer Ausführlichkeit von der Polen politik Notiz. Dieser Umstand an sich und die Art, wie der Polenpolitik gedacht wird, beweist deutlich genug, daß die leitenden Stellen der Zentrumspartei den Wandel berücksichtigen müssen, der in dem Verhältnis zwischen Zentrum und Polen eingetreten ist. Noch haben sich die deutschen klerikalen und die polni schen Geister bei weitem nicht völlig geschieden, und deshalb trägt jene Stelle im Wahlaufruf der Zentrumsfraktion den Stempel der Halbheit. Der überlieferten klerikalen Polen politik gemäß tritt der Wahlaufruf für die Ansprüche der Pole» in bezug auf Religion, Muttersprache, Sitten und Gebräuche u. s. w. ein. Zugleich aber sieht sich das Zen trum zu der Erklärung genötigt, das Deutschtum in den Ostmarken, wo und insoweit es gefährdet ist, schützen zu wollen, wofern jene Grundsätze nicht verletzt werden. Und vor allen Dingen betont der Wahlaufruf die Pflicht der Polen, „sich ihrer Angehörigkeit zum preußischen Staate bewußt zu bleiben und alle sogenannten großpolnischen Bestrebungen, welche auf Loslösung preußischer Landesteile aus dem Staatsverbande gerichtet sind, als landesverräte risch zurückzuweisen". —Wie lange ist es her, daß dieZentrums- partei das Vorhandensein landesverräterischer polnischer Be strebungen überhaupt anerkennt? Die tonangebende klerikale Presse hat sich bis in die jüngste Vergangenheit darin gefallen, die Existenz solcher polnischer Umtriebe entweder ganz zu leugnen oder entsprechende Kundgebungen, die nicht abgestritten werden konnten, als belanglose Hirngespinnste vereinzelter unmaß geblicher Phantasten auszugeben. Wenn jetzt die Zentrums fraktion des Hauses der Abgeordneten aus einem hochwichtigen Anlaß in feierlicher Kundgebung die Polen vor landes verräterischen großpolnischcn Bestrebungen warnt, dann geht aüö 'diesem Verhalten klar hervor, wie wohl begründet die vielgeschmähten „hakatistischen" Anklagen in der gedachten Richtung sind. Die Zentrumspresse kann die ernste Besorgnis, mit der die preußische Regierung und die ihre Polen politik unterstützenden Parteien das Umsichgreifen der großpolnischen Umtriebe seit Zabr und Tag beurteilt haben, nicht länger auf die leichte Achsel nehmen, ohne sich zu einem feierlichen Manifeste der preußischen Zentrumsfraktion in den schroffsten Gegensatz zu bringen. Geraume Zeit hat die Zentrumsfraktion gebraucht, ehe sie sich über die wahre Bedeutung der proßpolnischen Gefahr klar wurde. Jetzt hat sie ihre Erkenntnis offen bekannt und sich damit die Pflicht zur gewissenhaften Prüfung der Frage auferlegt, bis zu welchem Grade die preußischen Staats bürger polnischer Zunge ihre Sprache und ihre Religion, ihre Sitten und ihre Gewohnheiten zum Deckmantel proßpolnischer landesverräterischör Bestrebungen mißbrauchen. Es wäre ein verkehrter Optimismus, wenn man annehmen wollte, daß die preußische Zentrums partei schon jetzt richtig zu antworten in der Lage wäre. Andererseits jedoch ist es vielleicht allzu schwarz seherisch, die richtige Beantwortung jener Frage durch das Centrum überhaupt für unmöglich zu halten. Wenigstens darf der Wahlaufruf der Centrumsfraktion als ein kleiner Fortschritt auf dem Wege zur Erkenntnis der großpolnischen Gefahr durch das Zentrum gelten. TaS Deutschtum tm Elsaß hat sich in den letzten Jahren in erfreulicher Weise ent wickelt; ein neuer Beweis dafür ist soeben in Mülhausen erbracht worden. In dem ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung des Elsaßes mit dem deutschen Reiche bildeten die eiugewanderten Deutschen an vielen Orten be sondere politische Vereine, um dem deutschen Gedanken im Elsaß Geltung zu verschaffen. Schon vor einer Reihe von Jahren war aber in der Landeshaupt stadt die reichsdeutsche Entwicklung eine so günstige, daß der nationale Gegensatz vollständig verschwand und die Parteien sich in Straßburg in ähnlicher Weise gruppierten wie in Altdeutschland. Nach der Aufhebung des Diktaturparagrapben wiederholte sich dieser Vorgang in einer Reihe von Orken. So haben sich in Kolmar die Mitglieder des altdeutschen Vereins an den sich bildenden liberalen Verein angeschlossen. Eine festgefügte altdeutsche Partei bestand bisher nur noch in Mülhausen. Dieser Verein war seiner Zeit ins Leben gerufen worden, um vor allem antideutschen Strömungen zu begegnen. Im Lause der Zeit haben sich aber die natwnalen Gegensätze auch in Mülhausen immer mehr verwischt, und es ergab sich auch hier mehr und mehr eine ähnliche Parteikonstellation wie in Altdeutsch land. Bei den heurigen Wahlen zum Reichstage und zum Bezirkstage vereinigten sich bekanntlich alle nicht sozialistischen Elemente mit Erfolg gegen die Umsturzpartei. Um nun auch in Zukunft den gemeinsamen Feind energisch bekämpfen zu können, hat der „Wahlverein Mülhausen", in dem bisher die liberalen altdeutschen Elemente sich zusammenfanden, auf seiner in den letzten Tagen abgehaltenen Generalversamm lung einstimmig beschlossen, den Wahlverein aufzulösen und sich dem eine gemäßigt liberale Tendenz verfolgenden, durch aus aus deutschem Boden stehenden Allgemeinen Wahlvereine des Kreises Mülhausen anzuschließen. Ein englisches Urteil über die deutsche Flotte. In der „Times" findet sich ein großer Artikel über die deutsche. Flötte, der insofern überrascht, als er nicht nur keine Gehässigkeit enthält, sondern sogar der bisher verbrei teten Annahme entgegentritt, als sei die deutsche Flottenbe- wegnng ein Akt der Feindseligkeit gegen England. Der Ver fasser dieses Artikels hat ein gewisses Verständnis dafür, „daß Deutschland in irgend einem Seekriege, in den England verwickelt werden könnte, eine Stellung ein- zunchmen wünscht, nicht unähnlich der Stellung, die die irische Partei im Parlament einzunehmen bemüht ist, eine Stellung, die ihm ermöglichen würde, je nachdem seine Interessen eS verlangen, seinen Einfluß in eine der beiden Wagschalen zu werfen." Nach einigen selbstbewußten Aus führungen über die Unentbehrlichkeit Englands für Europa, seine Unüberwindlichkeit zur See, kommt der Verfasser zu der Erkenntnis: Wegen seines ausgedehnten Handels müsse das Deutsche Reich eine Flotte haben, denn im Kriege gegen Frankreich seien die deutschen Handelsschiffe sozusagen von dem Meere verschwunden gewesen, nur weil es an einer Flotte fehlte, und das noch dazu zu einer Zeit, wo Frankreich von den siegreichen deutschen Armeen überschwemmt wurde. „Frankreich und Rußland haben I beide starke Flotten und unterhalten enorme Armeen. I Beide Länder haben Grenzen, die an Deutschlands Grenzen I stoßen, und beide Länder sind verbündet. Sind das nicht gute und solide Gründe für Deutschland, zu wünschen, daß es wenigstens zur See so stark ist, wie eine der beiden Mächte, die ihm nicht immer zu freundlich gesonnen sind, und womöglich stark genug zu werden, um sich gegen beide wehren zu können? Aber trotzdem ist jede Aenderung in der maritimen Wagschale eine Aenderung, die wir nicht leicht nehmen dürfen. Wir müssen ohne Beunruhigung, stets unermüdlich, und mit Verständnis von der Aenderung Kenntnis nehmen. Die Stärkeverhältnisse der See mächte in Europa ändern sich, und nicht zu unseren Gunsten- Das ist eine Tatsache, der wir ins Gesicht sehen, und über deren Folgen und Verwickelungen wir uns klar sein müssen, mit dem festen Entschluß, daß diese Folgen uns nicht unvorbereitet treffen. Der sogenannte Zwei - Mächte - Stand punkt wird jetzt vielleicht veralten. Wir müssen wenigstens so stark sein, daß unsere Stärke uns ein unzweifelhaftes Uebergewicht über je zwei Mächte bietet, und daß drei Mächte sich die Sache doch noch einmal überlegen, ehe sie uns angreifen. ... Es liegt auf der Hand, daß das Maß unserer Stärke sich mit jeder einzelnen Aenderung in den allgemeinen Stärkeverhältnisfen zur See ändern muß. Es kann sich sehr zu Gunsten beider beteiligten Nationen ändern, wenn die augen blicklich lo glücklich angeknüpften Beziehungen zwischen uns und Frankreich mit der Zeit zu einem dauernden Einverständnis führen sollten, das eine Verminderung der maritimen Rüstungen beider Länder ermöglichte. Ohne Zweifel würde aber ein Wechsel in der umgekehrten Richtung eintreten, wenn bei Gleichbleiben aller anderen Verbältnisse die maritime Entwickelung Deutschlands eine neue und unerwartete Ausdehnung erfahren sollte." Der Artikel kommt also auf eine Propaganda für Stärkung der englischen Flotte heraus. Bemerkenswert ist er aber da durch, daß, wie die „Berl. N. N." hervorheben, jetzt nicht, was sonst geschah, die Deutschen verdächtigt werden, wenn sie dasselbe tun, wie die Engländer. Die Haltung Japans, Der Reise des russischen Gesandten in Tokio, deS Baron Roofen, nach Port Arthur wird in den unterrichteten Kreisen der russischen Hauptstadt große Bedeutung beigelegt. Der Oberkommandierende über die russischen Seestreitkräfte in Oftasien, AdmiralAlexejeff, vertritt offenkundig die „Drauf partei", während Roofen als Diplomat einen vermittelnden Einfluß auszuüben bemüht ist. Schon als der KriegSminister Kuropatkin in Port Arthur den bekannten Kriegsrat mit Alexejeff abbielt, kostete es ersterem große Mühe, den Kriegs eifer Alexejeffs zu dämpfen. Roosen hat daher eine ähnliche Mission, indem er nochmals die Bedingungen einer russisch japanischen Verständigung darlegen wird. Alexejeff steht, wie man in Petersburg weiß, auf dem Standpunkt, daß die gegenwärtige Lage völlig unhaltbar sei. Nach seiner Meinung sollte Japan entweder in eine Rußland befriedigende Verständigung bezw. Unterordnung einwillcgen, oder es solle von Rußland zur Einstellung seiner Rüstungen mit Gewalt gezwungen werden. Desgleichen verwirft Alexejeff grundsätz lich die Forderung Japans, Korea als japanisches Interessen gebiet anzuerkennen. Wohl solle Japan an einigen korea nischen Häfen Handelsniederlassungen unter eigener Ge richtsbarkeit und mit eigener militärischer Bedeckung aufrecht erhalten, das übrige koreanische Staatsgebiet aber solle von jeder unmittelbarer Einwirkung Japans freibleiben. In Petersburg vertreten die maßgebenden militärischen Kreise im wesentlichen denselben Standpunkt, wogegen der Minister Witte die Lage noch keineswegs als eine unhaltbare ansieht. Man sieht daher den Ergebnissen der Besprechung zwischen Alexejeff und Roosen mit Spannung entgegen. Werden dieselben die Richtung der militärischen Kriegspartei stärken, so würde trotz der vorgerückten Jahres zeit die Kriegsgefahr für den fernen Osten steigen. Offenbar stehen damit auch die Bemühungen der russischen Diplomatie betreffs Beilegung des türkisch-bulga rischen Streitfalles in enger Verbindung. — Die alarmierende Meldung der Londoner „Morning Post", im Palu - Distrikt hätten russische Truppen das koreanische Üfer des AaluflusseS besetzt, ist bis jetzt weder bestätigt noch dementiert. Deutsches Reich. -4- Berlin, 30. September. Der Streit im sozial demokratischen Lager dehnt sich über einen so großen Schauplatz aus, daß der bürgerliche „Kriegsberichterstatter" genug zu tun hat, wenn er bloß die wichtigsten GefecktS- momente berücksichtigt. Dahin gehört vor allem die An gelegenheit deS von Bebel so verherrlichten „psychologischen Rätsels", des „Genoffen" vr. Mehring. In einer Ver sammlung des Charlottenburger sozialdemokratischen Wahl vereins ist Mehring vom „Genoffen" vr. Alberti als der Besiegte des Parteitages bezeichnet worden und die Ent wicklung der Dinge deutet darauf hin, daß trotz Bebel über Mehring unheildrohende Wolken sich zusammen ziehen. In der Charlottenburger Versammlung hat auch der Parteitagsdelegierte Hoffmann die Ueberzeugung ausgesprochen, es wäre für die sozialdemokratische Parier besser, wenn man Mebring nicht wieder in die von ihm ver lassenen Stellen zurückberiefe. Gleichzeitig veröffentlicht der „Vorwärts" eine Erklärung deS Reichstagsabgeordneten Heine, in der Mehring auf Grund seiner an Harden ge richteten Briefe der Unwahrheit überführt wird und sich sagen lassen muß, daß Mehring die Mitarbeit an der „Zu kunft" nicht von vornherein a^elehnt, sondern im Gegenteil aus drücklich zugesagt hatte! Hardens allein treu gebliebener Mitarbeiter unter den „Genoffen", vr. Borchardt, hat sich schließlich dem Parteitagsbeschluß unterworfen, obwohl er ausdrücklich erklärt, den Beschluß „nach Form und Inhalt nach wie vor für verfehlt und unzweckmäßig" zu halten. Weshalb „Genosse" vr. Borchardt gleichwohl dem Dresdener Beschlüsse sich fügte, dafür machte er in der Charlottenburger Versammlung geltend, „daß er für seine Person nicht solche Bedeutung habe, um auf die Zugehörigkeit zur Partei ver zichten zu müssen". — Um diese Unterwerfung des „Ge nossen" vr. Borchardt zutreffend zu würdigen, muß man sich erinnern, daß s. Z. die sozialdemokratische Kontrollkommission den Ausschluß des vr. Berthold aus der Partei, der die „Zukunft" sogar als verant wortlicher Redakteur zeichnete, abgelehnt hat. „Genosse" Konrad Schmidt gedachte dieses Vorganges, um „die ganze Frivolität" des Bebel scheu Vorwurfs gegen die sozialdemokratischen Mitarbeiter der „Zukunft" zu be- Fenilletsn. Das neue Modell. Roman von Paul Oskar Hücker. vtacdvru» verboten. Erstes Kapitel. Man sprach in Chateau-Lanney seit drei Tagen von nichts anderem als dem Brande der Holzstoffabrik. Mitten in der Nacht mar das Feuer ausgekommen. Der Fabrikwächter hatte noch um zehn Uhr seine vor schriftsmäßige Runde durch alle Baulichkeiten des Riesen anwesens ausgeführt, ohne irgend etwas Verdächtiges wahrzunehmen. Als er gegen Mitternacht in die Pförtner loge -urückkehrte, hörte er plötzlich das Knallen und Klirrcu der Fensterscheiben, die die Hitze zum Bersten ge bracht hatte. Gleich darauf schlug vom ehemaligen Glockan- turme eine mächtige Feuers,lamme gen Himmel, die im Nu das ganze Gebäude mit all seinen Anbauten, Höfen, Werkstätten und Lagerschuppen in grellrote Beleuchtung setzte. Die Holzstoffabrik, eine der größten in der ganzen Provinz, war erst vor einem Dezennium in dem statt- siichen Bau der ehemialigen Benediktiner-Abtei einge richtet worden. Die ehrwürdigen Mauern, die seit sechs Jahrhunderten standen, hatten schon mancherlei Wand lungen erfahren. Die durchgreifendste war die gewesen, die der Baumeister Kerkhövt vorgenonrmen hatte, als er von der belgischen Aktiengesellschaft den Auftrag bekam, da- mächtige Häusergeoiert der einstmals reichsunmittel baren Abtei, die zuletzt als Lagerhaus des Hauptzollamts gedient hatte, für die Zwecke der Holzstoffindustrie einzu richten. Kerkhövt war seiner Abstammung nach Wallone, gleich den meisten Ansässigen in diesem entlegenen Winkel des deutschen Reiches zwischen der belgischen Grenze und dem Hohen Benn. Seine Ausbildung hatte er in Frank ersahren. Nach einem langjährigen, wechselvollen No madenleben mit Weib und Kind, das ihn durch alle Teile Belgiens und der Niederlande geführt, war er durch die Uebernahme des großen Umbaues hier, in Clxateau-Lan- ney, endlich zu einem festen Wohnsitze gekommen: die In- Haber der belgischen Firma hatten den in allen Sätteln erprobten Baumeister al- technischen Beirat behalten und späterhin Dls Leiter ihrer deutschen Fabrikfiliale angestellt. Seit mehreren Jahren stand Kerkhövt dem Anwesen vor; zu Reichtümern hatte er es aber nicht gebracht, obgleich er mit großem Ehrgeiz bei -er Sache mar und kraft seines eisernen Fleißes die Bedeutung der Mutteranstalt in Brüssel durch das rasche Aufblühen der Filiale sogar wesentlich gehoben hatte. So ehrwürdigen Ursprungs die Grundmauern waren, in denen das industrielle Unternehmen seine Heimstätte gefunden, so modern-geschäftig war die Art des Betriebes selbst. Die Schneidemaschinen, die Schleiferei, die Schmelz, und Farbenküchen und chemischen Laboratorien hatten allesamt elektrische Kraft bekommen. Es lag ein eigqn- artiger Retz in dem Gegensätze zwischen der Romantik deS alten Abteigemäuers mit den gothischen Fenstern und Türen, dem Kreuzgange, den Spitzbogen und Säulen hallen und dem emsigen, neuzeitlich belebten Fabriktretben in den ehemaligen Zellen der Benediktiner. Das Werk war Kerkhövt tm Lause der Jahre wirklich ans Herz gewachsen. Als er in der Unglücksnacht von dem plötzlichen Lärm aus dem Abteiplatze, den Alarmsignalen der freiwilligen Feuerwehr, dem Tuten und Knarren der Wächter, baS sich durch alle Straßen des Städtchem-s fort- pslanzte, aus dem Schlaf geschreckt wurde und er gleich darauf vom Fabrikpförtner, der atemlos zu ihm vors Haus gestürzt kam, die Hiobsbotschaft vernahm, fürchteten seine Frau und Liselotte, seine jüngste noch ledige Tochter, geradezu für seine Gesundheit, wenn nicht gar für sein Gemüt. Der vierschrötige Mann, dessen gedrungene Gestalt mit dem mächtigen Schädel den echt wallonischen Typus darstellte, eilte, nur znr Not bekleidet, ans die Straße, rannte zur Fabrik, draug iu deu schon brennenden Seitenflügel ein, in dem sich die Bureaus befanden, brach mit einem Beilhieb, da er die Schlüssel nicht bei sich führte, die Tür zum Kaffenzimmer ein und rettete in der Eile, was ihm rettenswert erschien. Viermal führte er den gefährlichen Weg anS, obgleich seine Frau und sei »' Tochter zitternd vor Angst und Aufregung, ihn schließlich beschworen, sich für sic zu erhalten. Von dem Lagervorräte war nichts zu retten. Es gab ja kaum etwas leichtEntzündlichcres als dieNnmengen der in den Trockenschnppen lagernden Espenhölzer und che misch verarbeiteten Holzstoffe, die versandtbereit in den vorderen Abteihallen ausgestapelt waren. Die Feuerwehr war rasch zur Stelle und setzte ihre Dampfspritzen in Tätigkeit. Aber die beiden, wenn auch armdicken Wasserstrahlen waren ohnmächtig gegenüber dem mit Sturmeseile sich über den gciwzen Komplex ver breiteten Feuer. Die Wehr beschränkte ihre Tätigkeit schließlich darauf, die die Abtei umgebenden Gebäude zu schützen, denn der Feuerherd gestattete ohne Gefahr für das Leben der Wehr, leute keine Annäherung mehr. Der Brand wütete die ganz« Nacht. In der Morgenstunde stand nur noch eine gewaltige, rauchende Ruine. Der östliche Teil mit dem Glockenturme war völlig in sich zusammengestürzr; bloß auf der Westseite ragten noch ein paar hohe Mauern empor, von denen aber auch schon schwärzliche Teile ab bröckelten, um mit Geknatter auf die schwelenden Trüm merhaufen niederzustürzen. Aus das telegraphische Ansuchen der Ortsbehörde war ein Kommando Pioniere aus dem Manövergelände bet St. Vtth hcrbeigeeilt. Unter dem Befehl eines Pionier leutnants wurde das Löschgeschäft dann die ganze nächste Nacht hindurch fortgesetzt. Aber unter der Asche hatte die Glut weitergebrannt: gegen Morgen schlug plötzlich wie der die Helle Flamme aus dem schwärzlichen Scheiter. Haufen, die Bevölkerung von Chateau-Lanncy von neuem in Schrecken seuend. Kerkhövt war nicht in seiner Wohnung zu halten. Bet einem Bekannten, dem Zeichenleherer Mittwald, der mit seiner Schwester, Frau Daus, einer AmtSrichterSwitwe, am Abteiplatze wohnte, nahm er schließlich am Fenster Aufstellung. Bon hier aus beobachtete er bis spät in die Nacht hinein den Fortgang der Löscharbeiten. Auch in der Frühe des nächsten Morgens stellte er sich auf diesem Posten wieder ein. Am dritten Tage endlich war ei.n erneutes Ausbrechen von Stichflammen nicht mehr zu befürchten. Der ganze Platz mußte aber mach wie vor abgesperrt bleiben, weil die Sorge auskam, daß die stehengeblicbcueu Mauern cin- stürzcn und Menschenleben gefährden könnten., Der die Pionierarbeiten leitende Offizier entschloß sich daher, die Mauern durch Sprengung niederzulegen. Die Kunde hiervon eilte durch die Stadt und veran laßte alle Einwohner, die von ihrcen Geschäften abkommcn konnten, sich als Znschcnrer des seltenen Schauspiels auf- zustcllc» — natürlich in der gebotenen Entfern»,ug. Der Tag schritt aber vor, ohne daß Vorbereitungen hierzu zu bemerken waren. Liselotte Kerkhövt war gleich ihrer Mutter schon mehr mal- in der Wohnung der Freunde erschienen, um ihren Papa zum Nachhausckommen zu bewegen. Der ehemalige Baumeister saß noch immer am Fenster. Dis Nervenerregung war einer tiefen Apachie gewichen. Ec entwortete auf die Fragen seiner Tochter kaum, gab ihr.'n Bitten dann aber endlich nach. Es war inzwischen schon später Nachmittag geworden. Auf dem Heimwege kam es zu einer neuen erschüttern den Scene. Ernst Mittwald, der das Paar begleitete, hatte sich mit dem Pionieroffizier bekannt gemacht. In einem Gespräch mit ihm, das ganz harmlos be gonnen hatte und rein technischen Inhalts war, brach Kerkhövt plötzlich in lautes Weinen aus. Liselotte geriet dadurch in solche Erregung, daß sich die Tränen auch in ihre Augen drängten. Umstehende Bekannte halfen ihr, den Schwermütigen allmählich wieder zu beruhigen. Daheim gelang es der Mutter Kerkhövt mit Aufbietung flehentlicher Bitten, ihren Mann dazu zu bringen, daß er sich zu Bett legte. Kerkhövt hatte sich großer Beliebtheit erfreut; die An. teilnahme ar: seinem Befinden war allgemein. Liselotte mußte die vielen Besucher, die nun kamen, um sich nach seinem Ergehen zu erkundigen, im Hausflur abfertigen, damit ihr Papa durch das Sprechen der Fremden nicht am Einschlafen behindert ward. „Es fehlt ihm nichts als Ruhe", sagte der dem Hause befreundete alte Sanitätsrat, der arff Liselottens Bitte nach dem Baumeister gesehen hatte. „Und Ihnen, Fräulein Liselotte, fehlt Luft und Zerstreuung. — Mtttwald, nehmen Sie mal das Mädel an den Arm und machen Sic mit ihm einen Spaziergang über die Promenade." Der Zeichenlehrer, ein ruhiger, snmpathischer Mensch, hatte cim« stille Schwärmerei für das junge Mädchen. Das war den wenigsten im Orte unbekannt. „SS ist ja schon Abend", sagte Liselotte ausweichend, die sich in ihrer Besorgnis um den Vater nicht aus dem Hanse rühren wollte. „Meine Schwester geht mit, Fräulein Liselotte. Sie sind so bleich und nervös geworden. Der Santtätsrat meint es nur gut mit Ihnen. Sie werden selbst noch krank werden, wenn Sic nicht gehorchen." lFortsetzung folgt.)
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