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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031006021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903100602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903100602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-06
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Noch schwieriger werden sich die Verhältnisse gestalten, wenn der neue Zolltarif mit seiner weitgehenden Unter scheidung der zollpflichtigen Gegenstände in Kraft tritt. Sollen nicht Schwierigkeiten erivachsen sowohl für die Zollbeamten selbst, als auch für die Industrie und den Handel, so müssen bei Zeiten Vorkehrungen getroffen werden, um nicht nur eine schleunige, sondern auch eine richtige Abfertigung der zollpflichtigen Waren sicher zustellen. Mit einer bloßen Vermehrung des Beamten personals und einer Vergrößerung der Abfertigungs räume bei den bedeutenden Zollstellen ist es nicht getan. Vielmehr wird auch auf eine bessere Ausstattung der Zoll erhebungsstellen mit technischen Geräten, wie Mikroskopen, Destillierapparaten usw. gerechnet werden müssen. Wenn schon jetzt an das technische Wissen und Können der Zoll beamten große, oft kaum zu bewältigende Ansprüche ge stellt werden, so wird dies durch den neuen Zolltarif in noch weit höherem Maße geschel-en, und man wird daher bei Zeiten darauf Bedacht nehmen müssen, den Zoll beamten Gelegenheit zu geben, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten auf technischem Gebiete zu erweitern und zu vervollkommnen. Denn es wird von ihnen nicht nur eine gründlichere Warenkunde verlangt werden müssen, son dern auch weitergehende Kenntnisse in der Chemie, der Physik und der mechanischen Technologie,' Kenntnisse, die durch die Praxis allein nicht in genügendem Maße er worben werden können. Außerdem dürfte es noch ge boten sein, die Beamten im allgemeinen über die Grund lagen der Finanzwissenschaft und der Handelspolitik, be sonders aber auch über die Handelsgeographie zu unter richten. Es ist daher mit Freuden zu begrüßen, daß, wie heute die „Berl. Polit. Nachr." mitteilen, die preußische Verwaltung der Zölle und indirekten Steuern beabsichtigt, bet den bedeutendsten Zollstellcn einer jeden Provinz ein mit den erforderlichen Hülssmitteln, auch mit einer Warensammlung und einer F a ch b i b l/i o t h e k ausgestattetes Laboratorium einzurichten, in welchem die Unterweisung der Beamten auf technischem Gebiete durch besonders vorgebildete Oberbeamte erfolgen soll. Für die Vorbildung der Oberbeamten soll ein g r öß e r e s Laboratorium und ein -vörsal auf dem bei dem Hauptsteueramt für ausländische Gegenstände in Ber- l i n befindlichen Packhofc eingerichtet werden. Natürlich würden die Lehrgänge an diesen Fachschulen längere Zeit dauern und -er Unterricht nicht nur von Zollbeamten und einem hierfür bereits gewonnenen Chemiker, sondern auch von einzelnen Lehrern der Berliner Hochschulen und technischen Institute erteilt werden. Man darf wohl erwarten, daß auf dem eingeschlagencn Wege eine genügende Ausbildung der Zollbeamten für ihre er weiterten Aufgaben erreicht und damit auch zugleich den eigenen Wünschen der Beamten, wie denen der Industrie und des Handels Rechnung getragen werden wird. Selbstverständlich werden die an der Zollerhebung be teiligten übrigen deutschen Staaten dem preußischen Bei spiele folgen müssen. Tie preußische Regierung und die Laudtagswahlcn. Während Preußen den übrigen deutschen Staaten in Bezug auf die bessere Ausbildung der Zollbeamten mit gutem Beispiele vorangeht, gibt es in Bezug auf die Stellung der Regierung zu den bevorstehenden Abgeordnetenwahlen das denkbar schlechteste. Die jetzt bei uns in Sachsen zur Wahl berufenen Wähler wissen doch wenigstens, wenn sie auch den Wahlreformplan der Regierung nicht kennen, daß eine Reform in Aussicht genommen ist. In Preußen wissen die Wähler von allem, was die Regierung wollen oder nicht wollen kann, gar nichts. Ob den von den Konservativen unterstützten Forderungen des Zentrums auf dem Gebiete der Kirchen- und Schulpolitik Rechnung getragen werden soll und ob wahr ist, was über Äcußerungen des Kultus ministers erzählt wird: kein Wähler erfährt es; die Offiziösen schweigen in allen Tonarten. Und beinahe noch schlimmer ist es mit der Kanalfrage. Ueber das, was in dieser Hinsicht geplant ist, bringt fast jeder Tag eine neue un beglaubigte Version. Bald heißt es, die Oder-Regulierung habe das ganze große Kanalprojekt verschluckt; unmittelbar darauf wird versichert, der Kanalbau solle „im Prinzip" fest gelegt werden; beute soll Graf Bülow, morgen das Staats oberhaupt eine Schwenkung in der Stellung zur Sache voll zogen haben; aber von der Stelle aus, die nicht nur wissen muß, was gewollt wird, sondern auch wollen müßte, daß die Wähler Stellung nehmen, verlautet nicht eine Silbe über die wirkliche Sachlage. Kein Wunder, daß der Wahlaufruf der Freikonservativen mit der Wendung: „Der Bau von Kanälen ist weder eine politische, noch eine Parteifrage, sondern lediglich eine Frage wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit", um die Sache herumgeht, wie die Katze um den heißen Brei. Kein Wunder aber auch, wenn der „Nat.-lib. Korr." von einem Landtagsabgeordneten geschrieben wird: „In Bezug auf die Kanalfrage heißt es jetzt nach dem national liberalen Parteitag, es werde dem Landtag eine die Oder-Regu lierung im großen Maßstabe durchzuführende Vorlage zugehen und eine solche, in der der Kanalbau im Prinzip festgelegt werden solle. Mit dieser prinzipiellen Festlegung solle dann aber auch durch Bewilligung, einer Teilstrecke mit dem Kanalbau der praktische An fang gemacht werden. Was heißt „im Prinzip"? Diese Frage be antwortet sich doch für die Abgeordneten nach der Gewöhnung der Par teien im Landtag dahin: man bewilligt „im Prinzip" frisch drauf los, wenn es sich aber hinterher um die Durchführung der prinziviell gefaßten Beschlüsse handelt, so bleibt jede Bewilligung nach Belieben Vorbehalten. Aber man will gleichzeitig eine Teilstrecke bewilligt haben. Welche? Vielleicht die Lippelinie, um dem lieben Zentrum eine neue Artigkeit zu erweisen unter dem Vorwande, für die neuen Bergwerkserwerbungen sei sie wünschenswert?" Und die Emscherlinie, die, weil sie für den Westen und seine Entwickelung am notwendigsten ist, den Ostelbiern nach und nach die unbequemste wurde? Und der Mittel landkanal, wird der als Teilstrecke behandelt? Wir verlangen, bet Gewährung der Oder-Regulierung in großem Maß stabe, daß der gesamte große Kanalplan zur Vorlage und gleich zeitig zur Bewilligung gelangt; wir verlangen damit die Wahrung der Interessen des Westens, als der Hauptquelle für die Finanz kraft des Staates. Und wir verlangen, daß der Finanzminister jede Regung verwirft, welche etwa dahin gehen sollte, durch widersinnige Belastung des Extraordinariums mit nicht dahin ge hörigen Dingen die Finanzkraft des Staates als notleidend zu verkünden. Die Milliarden, welche Oesterreich bewilligt hat, um durch Kanalbauten seine Konkurrenzfähigkeit mit dem Auslande aufrecht zu erhalten, geben ihm (dem preußischen Fianzminister) vielleicht Veranlassung, sich einen Vortrag über die Mittel, durch welche man dauernd den Wohlstand eines Landes festhält, und über die vorübergehenden Finanzbelastungen, welche das erfordert, halten zu lassen. Jedenfalls aber dürfte es doch wünschenswert sein, noch vor den Wahlen, zu erfahren, ob denn das jetzige Ministerium wirklich nichts anderes zu tun beabsichtigt, als für den Kanalbau unverbindliche Beschlüsse „im Prinzip" herbei zuführen. Dieses Verstecke »spielen, wie es bis jetzt beliebt wird, scheint doch nur durch eine absolute Ratlosigkeit der Regierung in dieser Frage veranlaßt zu sein. Oder sind die Wähler als kleine Kinder anzusehen, denen über den nach den Wahlen aufzubauenden Weihnachtstisch nichts gesagt werden darf, um sie in kindlicher Unbefangenheit zu erhalten? Ueberhaupt ist es wohl noch nie, solange es in Preußen konstitutionelles Leben gibt, dagewesen, daß eine Regierung das Land in die wich tigsten Wahlen hineinziehen läßt, ohne irgend ein Programm, ohne irgend etuen Regierungsplan kund geben zu lassen." Es ist eben dieselbe Geschichte wie vor den letzten Reichs tagswahlen. Auch damals von oben herab nichts als Mah nungen, gegen die Sozialdemokratie zusammenzuhalten, und keine Silbe über den Kurs, den dre Reichsregierung mit Unterstützung einer geeigneten Mehrheit steuern möchte. Die Zumutung, die Zusammensetzung dieser Mehrheit durch eine Wahlparole zu beeinflussen, wiesen die Organe des Herrn Reichskanzlers wie eine Kränkung zurück. Weil man keine Wahlparole fand, ließ man die Dinge lausen, wie sie laufen wollten, und tröstete sich mit der Hoff nung, daß der neue Reichstag der Regierung den Kurs schon vorschreiben werde. Das wird denn auch geschehen. Und vermutlich gefällt sich der Reichskanzler Graf Bulow in der Ab hängigkeitsrolle so gut, daß er die gleiche auch als preußischer Ministerpräsident spielen möchte. Und auch das wird ge schehen. Kann das Zentrum im preußischen Abgeordneten haus mit Hülfe seiner konservativen Freunde den Ton an geben, so wird eben klerikal regiert und die Lösung der Kanalfrage dem Willen des Zentrums anheimgestellt. Kommt die Sache anders, dann kann man auch anders. Um so mehr Veranlassung für die Liberalen, mit allen Kräften danach zu streben, daß sie den Ton angeben können. Die Los von Rom-Bewegung nnd die Tschechen. Das Liebäugeln der jungtschechischen Partei und ihr Zusammengehen mit den Klerikalen im österreichischen Neichsrate aus politischen und taktischen Gründen hat im tschechischen Volke eine tiefgehende Mißstimmung erzeugt und die Erinnerung an die protestantische Vergangenheit neu geweckt. Die Vorgänge bei der am 4. Juli d. I. in Prag stattgefundenen Huhfeier einerseits, die durch den Zusammenbruch der St. Wenzelskasse zu Tage gekommene Fäulnis im klerikal-tschcchischqn Lager ander seits haben der antiklerikalen Bewegung neuen Anre- gungsstvff Angeführt. Der am 15. August in Kolin statt gefundenen Versammlung ist am 28. September inPrag- Wein berge eine zweite gefolgt, auf welcher insbe sondere die anwesenden Protestanten, meist Fabrikanten und Gewerbetreibende ans Böhmen und Mähren, sich gegen die Verdächtigungen öffentlich verwahrten, welche von jungtschechischen Blättern vom Schlage der „Narodni Listy" gegen die tschechischen Evangelischen Augsburgischen chnd Helvetischen Bekenntnisses wegen ihrer Be- ziehungenzuden reichsdeutschen Glau bensgenossen ausgesprochen worden waren. Diese zahlreich besuchte Versammlung nahm in bedeutsamen Entschließungen zur deutschen Los von Nom-Be wegung Stellung, in denen zunächst betont wird, daß die Versammelten als Verfechter althuffitischer Traditio nen an der von Huß gepredigten Gewissensfreiheit fest halten. Eine Kundgebung sagt: „Die Tschechen evangelischen Glaubens werden die Beziehungen zum Auslande, insbesondere zum Deutschen Reiche, unent wegt weiter pflegen, weil sie von dort Stärkung im Kampfe gegen das Papsttum, den Romanismus und die Re aktion holen im Interesse des tschechischen Volkes, das leider die Fesseln des Klerikalismus noch nicht abschüttelte, woran die leitenden tschechischen Parteien schuld seien. Jede LoS von Rom-Bewegung, sie möge von welcher Seite immer kommen, muß von den tschechi schen Protestanten mit Freude und Genug tuung begrüßt werden, auch wenn sie von deutscher Seite entfacht wird, weil eine solche Bewegung nur geeignet ist, die Menschen und Nationen aus der Grundlage des reinen Evangeliums einander näher zu bringen, sie aber auch kulturell zu heben. Die Versammlung findet darum in der deutschen Los von Rom-Bewegung nichts Antiösterreichisches, nichts Antidhnastisches und nichts Hochverräterisches, sondern nur einen Ausdruck deS intellektuell und kulturell hochstehenden Deutschtums auf dem Wege der Emanzipation von Rom, der Reaktion und des Klerikalismus." Diese Kundgebung ist nicht nur wegen ihreS anti römischen Inhalts erfreulich, sondern auch höchst schätzens wert wegen der Ehrlichkeit, mit welcher die Tschechen die gegen die deutsch-kirchliche Bewegung immer wieder aus gespielte klerikale Tendenzlüge, „Los von Rom" bedeute: „Los von Oesterreich", zurückweisen. Gleich dem Zeugnis Kaiser Franz Josefs, das dieser der Abordnung der öster reichischen evangelischen Generalsynode im Jahre 1901 über die Treue und Verläßlichkeit seiner evangelischen Untertanen gab, ist die spontane Kundgebung von nicht deutscher Seite geeignet, das jesuitische Treiben der Klerikalen ins rechte Licht zu rücken. Haager Schiedsgericht. Im weiteren Verlaufe der gestrigen Sitzung deS Schiedsgerichtshofes setzte Mr. Veigh sein Plaidvyer fort. Er erinnerte an die Alabama-Angelegenheit, die der An- gelgenheit des englischen Schiffes im Dienste der Aufständischen, worüber Venezuela Klage geführt habe, analc^ gewesen sei, und in der England sich mit einem schiedsrichterlichen Verfahren einverstanden erklärt habe. In der jetzt vorliegenden Angelegenheit aber hätten England und seine Verbündeten, anstatt sie auf gütlichem Wege zu regeln, ein Ultimatum an Venezuela ge richtet, innerhalb 24 Stunden 380 000 Dollars zu zahlen und die Reklamationsn zu regeln, die aus dem Bürger. Feuilleton. Das neue Modell. 5s Roman von Paul Oskar Höcker. rttacdvrucl verboten. „Er hat es schon gemacht — das glaube ich aller dings", erwiderte der Zeichenlehrer. „Vielleicht kaufen ihm die beiden Belgier seine Erfindung ab. Sie haben sich alles haarklein berichten lassen: wie es zuging bei der Sprengung, nach welcher Seite die Trümmer gefallen waren, ob der Boden sich gehoben hat, ob Manerteile um- hergeflogen sind und so weiter. Der Obmann der Feuer wehr, der Bürgermeister, die Zollbeamten, der Kreis- kommissar, sie sind alle ganz weg vor Begeisterung. Am meisten hat ihnen ja das imponiert, daß Donat, während die Mine sich entlud, ohne mit der Wimper zu zucken, aus seinem Platze anshielt." „Mir zittern die Kniee jetzt noch vor Aufregung, wenn ich daran zurückdenke", sagte Frau Daus. „Sie wollten übrigens den Pionieren heute abend ein kleines Fest geben", berichtete Mittwald weiter. „Aber das hat der Leutnant abgelchnt, sowohl für sich, als auch für seine Mannschaften. Die armen Kerle müssen morgen früh schon wieder auf dem Manövergelände eintrcsien und sofort in den Gang der kriegerischen Ereignisse ein greifen. Da heißt eS, einen klaren Kopf nnd ansgernhte Glieder mitbringen. Aber das hat er mir versprochen, daß er sich noch bei „meinen Damen" verabschieden wird." Liselotte war es eine aufrichtige Genugtuung, dem tapferen jungen Offizier noch einmal zu begegnen. Sie machte auch kein Hehl daraus vor de» Freunden. Als er eine Stunde später über den Platz kam, sahen sie schon von weitem seine strahlende Miene. Kinder be gleiteten ihn wie im Triumph. Ein paar Passanten, die ihm begegneten, grüßten ihn freundlich, obwohl in Ehateau-Lanney die Prcußenfreuudlicbkeit sonst nicht allzu stark cmtwickelt war; es kam aber nicht oft Militär hierher; der seltene Anblick einer Uniform trug da wohl das Seine dazu bei, daß der junge Offizier so rasch der Held des Tages geworden war. Daß er die allgemeine Sympathie mit sich nahm, das schien jedenfalls unbe streitbar. Herzlich beglückwünschten ihn die Damen zu seinem Erfolg. Sie gestanden ihm dabei beide, wie sehr sie in dem kritischen Augenblick um sein Leben gebangt hatte«. Er mar heiter und guter Dinge. Etwas von seiner frohen Laune geng sogar auf Liselotte über, obwohl diese mit einem Teile ihrer Gedanken immer noch daheim steckte und sich den weiteren Verlauf der Verhandlungen dort ausmalte. Seine Persönlichkeit strahlte indessen so viel Frische aus, seine Art, zu erklären und zu erzählen, war fo lebendig, daß sie seiner Darstellung schließlich folgen mußte, ob sie wollte oder nicht. * Ueber die Vermutung Mittwalds, daß er seine Er findung Fremden zur Ausnützung überlassen werde, wunderte er sich jedoch sehr. „Ich bin doch Soldat", sagte er kurz abmehrend, „kein Geschäftsmann. Meine Arbeit gehört lediglich dem Staate." Mittwald wollte das nicht recht in den Sinn. Auch Frau Anna ereiferte sich ein wenig. „Ja, wofür haben Tie denn dann Ihre Glieder, Ihr Leben gewagt?" „Für die Ehre, gnädige Frau." „Und auf jeden materiellen Vorteil leisten Sie ohne weiteres Verzicht?" „Das ist bei uns nicht anders, gnädige Frau. Einer arbeitet dem andern kameradschaftlich in die Hand. Einer stützt sich auf die Forschungen des andern. Die Aussicht auf den materiellen Gewinn an dem Erfolg ist cs nicht, was uns zur Weiterarbeit anreizt. Einer für alle, alle für einen, das ist unsere Losung. Und habe ich nicht reichlichen Lohn in der Anerkennung, die mir Ihr ganzes Städtchen dargebracht hat? Nach Schluß des Manövers reiche ich einen Bericht über die Wirkung meines neuen Sprengmittels an die vorgesetzte Behörde ein — was kann ich mir.noch mehr wünschen, als daß mir dann auch von der ein uneingeschränktes Lob zuteil wird?" Liselotte gefiel die offene, stolze und doch wieder be scheidene Art des jungen ManneS mehr nnd mehr. „Einen Beruf haben, der einen ausfttllt, -er einen befriedigt, wie herrlich denke ich mir das", sagte sic. Es zitterte dabei eine solche Wehmut, ein faches Verlangen in ihrem Tone, daß das Gespräch danach für einen Augenblick stockte. Mittwald ergriff als Erster das Wort wieder. Er äußerte: Fräulein Liselotte sei doch selbst mit so reichen Talenten ausgerüstet, daß sie wahrlich keine Ursache zur Unzufriedenheit habe. Aus dem nun folgenden Hinundher -er Debatte er fuhr Donat, -aß Fräulein Kerkhövt einen ernsten musi kalischen Lehrgang durchgemacht hatte. Das interessierte ihn lebhaft. „Ich bin selbst nicht musikalisch", sagte er, „aber ich liebe die Musik über alles." „Haben Sie niemals ein Instrument erlernt?" fragte Frau Daus. „Als Kadett spielte ich Klavier, aber ich sah bald ein, daß ich's -och niemals zur Meisterschaft bringen wür-e. Da gab ich's denn lieber auf. Ich sagte mir: es ist viel ersprießlicher für die Kunst, ein guter Hörer zu sein, als ein mäßiger Spieler." „Sie stellen hohe Anforderungen. Fräulein Lise lottens Spiel steht aber wirklich hoch über dem Dilettan tismus." „Und werben Sie die Musik zu Ihrem Lebensberuf machen?" fragte Donat die junge Dame. „Es war seit meiner Kindheit mein einziger Traum. Aber -ie Verhältnisse erlauben es nicht." Verwundert erwiderte Donat: „Gibt es für einen Menschen von Energie etwas, was feinen ernstlichen Willen lahm legen könnte?" „Das Schicksal ist manchmal stärker als wir." Er schüttelte lebhaft den Kopf. „O, das bestreite ich ganz entschieden. Es darf nichts geben, das uns be stimmt: wir müssen das Schicksal bestimmen." „So sprechen Sie, weil Sie Mann sind, weil Ihnen die Welt offen steht. Ich bin ans Haus gebunden, an den engen häuslichen Kreis . . . Und jetzt noch mehr als zuvor!" brach sie mit einem trüben Lächeln ab. Der Unterhaltung mit anderen Einwohnern hatte Donat bereits entnommen, daß die Einäscherung der Fabrik die Existenz des Baumeisters Kerkhövt von Grund ans umzugestaltcn drohte. Er war zn diskret, um auf diesen Punkt näher einzugehen. Aber ihre Verzagtheit suchte er ihr doch auszurcdcn. Das Gespräch wurde von ihnen allein fortgesetzt, denn der Aufmarsch -er ver schiedenen Gruppen des Pionierkommandos unten auf dem Platze lockte den Zeiüsenlehrer und dessen Schwester ans Fenster. „Wenn Sie Kraft genug in sich verspüren, gnädiges Fräulein, Ihrem Talent Geltung zu verschaffen, dann müssen Sic sich auch dazu zwingen können, den äußeren Unbequemlichkeiten Trotz zu bieten." Sic blickte ihn mit ihren großen Augen stolz an. „Glauben Sie, daß ich mich gwr irgend welchen Un bequemlichkeiten fürchten würde? Für ein großes Ziel wäre mir auch der dornenreichste Weg nicht zu schwierig. Aber es gibt manchmal andere Hindernisse, Rück sichten . . . Ach, ich kann darüber nicht so mit Ihnen sprechen." „Sie meinen nicht, daß ich's verstehen würde? — Ich kann Ihnen unter Umständen ein ehrliches, gut ge meintes Wort sagen, das Sie aufrichtet, gnädiges Fräulein." Nach kurzem Zaudern erwiderte sie: ,„Ich weiß selbst nicht, was mir so rasch Vertrauen zu Ihnen eingeslötzt hat. Ich glaube, Ihr persönlicher Mut war'S. Denn der hat mich geradezu beschämt. Ja, beschämt — das ist das rechte Wort." Sie hatte sich etwas von ihm abgewandt. Seine Blicke folgten ihr forschend. Ohne Zweifel hatte ihr freimütiges und herzliches Wesen auch auf ihn einen starken Eindruck ausgeübt. ,Mas sind es also für Rücksichten, die Sie bestimmen könnten, Ihr Talent zu vergraben, gnädiges Fräulein?" Liselotte kämpfte mit sich. Es verlangte sie, daS freie Urteil eines welterfahrcnen Menschen zu hören. AuS ihrer nächsten Umgebung verstand sie ja niemand, auch Mittwald nicht, dessen stillzufriedene Resignation einen so großen Gegensatz zu ihrer temperamentvollen Ver- anlagung bildete. „Ich bin es meinen Eltern schuldig, bei ihnen auS- zuhalten", sagte sie endlich matt. ..Sie haben außer mir niemand mehr für ihre alten Tage. Meine Schwester ist im Auslände verheiratet; es ist fraglich, ob sie wieder auf den Kontinent zurückkehren wird. Mutter ist bis heutigen Tages ein Kind geblieben. Sie ist rührend in ihrer Hülflosigkcit dem Leben gegenüber. Und wie auf Vater der letzte schwere Schicksalsschlag gewirkt hat — nun, da haben Sie ja selbst mit angesehen. Er ist ganz gebrochen und bedarf der Fürsorge." „Und wenn Sie hier blieben, wäre cs Ihnen nicht möglich, Ihre Studien zu vollenden?" „Der Organist hat mich schon letzte Ostern entlasten. Er könnte mir nichts mehr bcibringcn, sagte er. Da hätte mir ja schmeicheln muffen; aber es machte mich nur trauri» Wir musizieren nun oft zusammen. Allein ich fühle jetzt selbst mehr und mehr, was mir fehlt. Einmal kam ein Virtuose her, der hier ein Konzert gab. Ich spielte ihm vor, er sagte mir viel Freundliches und riet mir dringend, nach Berlin oder München oder Leipzig zu gehen, um meine Ausbildung fortzusetzen. Aber ich
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