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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021209022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-09
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Während die Agitatoren der Leitung des Bun des d e r L a n d tv i r t e sich bei den Versuchen, die Land wirte gegen die Verständigung und die daran beteiligten Abgeordneten aufzustacheln, mit Vorliebe auf die früheren Vorschläge des Deutschen Landwirtschafts rates beriefen, hat bekanntlich der Ausschuh dieser Körperschaft, der die geordnete Vertretung der ganzen deutschen Landwirtschast darstcllt, in seiner jüngsten Tagung seine Zustimmung zu der Verständigung über die Zolltarifvorlage erklärt und diese seine Ausfassung durch den nachdrücklichen Hinweis auf die großen Vorteile, welche dadurch der deutschen Landwirtschaft über die Re gierungsvorlage hinaus erwachsen, begründet. Damit ist den extrem-agrarischen Agitationen gegen das Zustande kommen der Zolltarisvorlage das zugkräftigste Argument entzogen. Umgekehrt ist sowohl in der freihünblerischen Presse, wie von einzelnen, besonders freihändlcrischcn Handelskammern die bestimmte Erwartung ausgesprochen worden, daß der in den letzten Tagen zusammengetrctene Ausschuß des Deutschen Handelstages auf das nachdrücklichste gegen die Annahme des Antrages Kar dorff wie des Zolltarifs überhaupt protestieren werde. Bon einem solchen Protest ist aber nicht die Rede; es ver lautet im Gegenteil von zuverlässiger Seite, daß in diesem Ausschuß mit 20 gegen 1-1 Stimmen ein Antrag auf Z u - stimmnng zu der Verständigung über die Zolltarifvor lage auf der Grundlage der Regierungsvorlage angenom men worden sei, daß man aber mit Rücksicht auf die Stärke der Minorität von der Verlautbarung dieser Stellung nahme nach außen abzusehen beschlossen habe. Dieser Ver lauf der Erörterung der Zolltarifvorlage im Ausschüsse des Deutschen HandelStagcs ist um so bemerkenswerter, als in dieser Körperschaft bekanntlich zwar der Handel vollständig, die Industrie aber nur lückenhaft vertreten ist, weil ihr die großen industriellen Verbände, die, wie der Zentralverband Deutscher Industrieller, durchweg auf dem Boden der Zolltarifvorlage stehen, nicht angehören. Die Stellungnahme des Deutschen HandelStagcs entzieht daher den freihändlcrischcn Behauptungen, daß Handel und Industrie in dem Kampfe a-gen die Zolltarifvorlage auf ihrer Seite wären, vollständig den Boden, und es zeigt sich, daß die vereinbarte Zolltarifvorlage in der Tat die mittlere Linie darstcllt, auf der die Interessengegen sätze zwischen den groben Zweigen des heimischen Er werbslebens sich anSgleichen lassen. Wenn endlich die Wortführer derFreisiunigenVereinigung auf ihrem Parteitage für ihre Gruppe in Anspruch genommen haben, daß sic allein die wirklichen Liberalen wären und auch lediglich aus idealen Rücksichten und aus reiner Arbeiterfrcundlichkeit die Zolltarifvorlage und die dabei nach ihrer Meinung hervorgetretene Jntercssenwirtschaft bekämpften, so werden sie nicht gerade mit besonderer Freude wahrnehmen, daß die sozialdemokratische Presse für die Sozialdemokraten allein das Ver dienst in Anspruch nimmt, den Zolltarif aus Rücksichten des Gemeinwohls zu bekämpfen, die Bundesgenofsenschaft der Freisinnigen Vereinigung mit ihnen aber lediglich auf den Umstand zurückführt, Lab die Anhänger der Freisinni gen Vereinigung völlig einseitig die Interessen der Aus- fuhrindustrie laber auch dies ist eine Fiktion) verträten. Diese geringschätzige Behandlung seitens der Sozialdemo, kratie wird sie freilich auch in der Folge nicht hindern, diesen, selbst auf die Gefahr hin, die Existcnzfühigkeit des Parlamentarismus in Deutschland zu gefährden, Hand langerdienste zu leisten. Welsen, Elsässer, klerikale Agrarier und die parlamentarische Lage. Gerade weil man recht selten an den Auslastungen wel fischer Organe Freude haben kann, rwingt die Gerechtig keit, eS zu konstatieren, wenn eS einmal ter Fall sein kann. Das welsiiche Hauplorgan ist mit dem Anträge auf Abände rung des Z 44 der Geickaftcordnung des Reichstags in der von den MebrheitSparteien beliebten Form allerdings nicht einverstanden, aber es erklärt zugleich: „Eine Abänderung der Geschäftsordnung in anderer Form war kaum mehr zu umgehen bei der fortgesetzten Tätigkeit der Ob» struktioiiislen, dem Geiste der Geichüftöordnung, die doch nur dazu dienen soll, die Geschäftsführung des Reichstages und die Ordnung innerhalb deS Hause» aufrecht zu erhalten, Gewalt anzutun. Die Verminderung der Rechte der Rcichstagsabgeordncten, insonder heit der Minderheit, welche indirect alio auch eine Beschränkung der Bolksrechte bedeutet, hat das deutsche Volk ausschließlich den Sozialdemokraten und deren Verbündeten, der Freisinnigen Vereinigung, zu verdanken, welche in unerhörter Weise die Mehrheit terrorisierten." ES ist leicht begreiflich, daß gerade die Welsen, die, einerlei ob sie einmal ein paar Sitze gewinnen oder verlieren, natur gemäß immer eine kleine Paitei bilden und die ebenfalls naturgemäß meist der Opposition und der Minderheit an geboren, eine Beschiänkung der Reckte der Minderheit bitter empfinden. Wenn also auch die Klage des Welfenorgans dem Egoismus, freilich einem berechtigten, cntspnngt, so ist eS dock sehr anzuerkennen, daß das Organ wenigstens bei vieler Gelegenheit nicht nach der Art der Sozialdemokratie auf die Anarchie spekuliert, sondern im Gegenteil die Herbeisübrer anarchischer Zustände offen anklagt. Aus dem selben Giunde ist eS anerkennenswert und erfreulich, daß der „Elsässische Bolksbote", Vesten Anhänglichkeit an das Reick nicht über allen Zweifel erhaben ist, noch energischer den Obslruklionisten den Standpunkt klar macht. Das Blatt schreibt: „WaS sich heute im Reichstage breit macht, ist nicht mehr eine um ihre Rechte kämpfende Minderheit, sondern ein Rowdietum. daS um kein Mittel verlegen ist. Für solche Gesellschaft danken die elsässischen Abgeordneten und kein Recht» denkender kann eS ihnen verübeln, daß sie das Tischtuch schleunigst rntzwrigeschnitten haben." Welfen und Elsässer zu zwingen, einer Mehrheit, die ihrem Hauptbestandteile nach aus den alten nationalen Karlellparleien besteht, Recht ru geben, — dies fertig gebracht zu baden, ist ein großes Kunststück ver Sozialdemokraten und ihrer Verbündeten. Je mehr eS nun anzuerkennen ist, daß Welfen und Eliäster Wahrheit und Anständigkeit über ihren Haß gegen das Reich siegen lasten, desto bedauerlicher ist e», daß da» Organ de» katholischen rbeinpreußlschen Adel» in seinem Hasse gegen vie Industrie und in seinem Ueberagrariertum Ve>vächtigungen gegen die Mehr- beitSparteien ausspricht. Die „Rheinische Volksstimme" unter stellt, daß „gewisse industrielle Kreise" mit der Obstruktion der Sozialdemokratie „gerechnet", also gewissermaßen bei dieser Obstruktion die Hand im Spiele gehabt hätten. Als Beweis dasür fühlt daS Blatt an, Konseivative uud Mitglieder de» Zentrums hätten offen zugestanben, daß die Verständigung zwischen Mehibeiisparteien und Regierung nur mit Hülle der sozialistischen Obstruktion möglich gewesen wäre. DaS Blatt übersieht, daß denn koch ein gewaltiger Unterschied besteht -Wischen einem Zufall, der der VerständigungSaction zu gute kam, und der absichtlichen Herbeisührung oder Föiderung der Obstruktion, wofür auch nicht der Schalten eine» Beweiies vorhanden ist. Die Lust des Blattes am Fabu lieren ergibt sich auch aus der Bebauptung, daß diej nrgen Führer der Sozialdemokiatie, „welche im geheimen Einver ständnis mit den hanbelsvertragSwütigen Jndustrieparieien ttaneen, die Fortdauer der Obstruktion bedauerten". Wenn dies der Fall wäre, so wäre eS doch sonderbar, daß die Freisinnige Vereinigung, die offen „bandelSvertragswütig" ist, die Obstrukiion noch immer miimacht. Freilich ist cs sicher — und daS sicht eben die Freisinnige Bereinigung leider nicht ein —, daß der Abschluß neuer Handelsverträge durch die Obstruktion nicht erleichtert, sondern erschwert wird, aber von Intrigen kann nickt die Rede sein, sondern nur von Borniert heit. Daß aber Bornienheit eine Gottesgabe ist, deren sich a»ck Leute erfreuen, die das Gegenteil von „handelsvertrags wütig" sind, dasiir liefert die „Rheinische VolkSstimme" den schlagenden Beweis. Die Indiskretionen Numbolds. In der gestrigen Sitzung des englischen Oberhauses führte Lord Lansdowne in einer Erwiderung auf Fragen, betreffend den jüngsten Artikel des früheren Bot schafters in Wien, Hora ec Rumbold, in der „Rational Review", ans, Rnmbvld habe sowohl ein Buch, als auch den Artikel in der Zeitschrift veröffentlicht. Der Redner gab zu, daß der Inhalt des Buches harmlos sei, jedoch nicht der Inhalt des Artikels, der einen Bericht ent halte über eine interessante und wichtige Unterredung Rumbolds mit dem Kaiser von Oesterreich über amtliche Angelegenheiten, sowie einen Bericht über Korrespondenzen mit der österreichisch-ungarischen Regie rung in einer äußerst wichtigen und heiklen Angelegenheit, in welche auch der Name der Königin Viktoria verwickelt sei. Als Rumbold dem Auswärtigen Amte diese Ange legenheiten mitteilte, habe er beide Nachrichten als ver traulich bezeichnet, und die Regierung würde gewiß nie mals daran gedacht haben, dieselben zu veröffentlichen, ohne vorher die Zustimmung der österreichischen Regie rung erlangt zu haben. Um so mehr hätte Rumbold das Auswärtige Amt um seine Zustimmung angchen müssen, bevor er ans eigene Faust die Veröffentlichung unternahm. Eine der Folgen der Veröffentlichung des Artikels sei eine Interpellation im Wiener Reichsrat gewesen, die für die österreichisch-ungarische Regierung äußerst peinlich ge wesen sei. Die Veröffentlichung sei indiskret und tadelns wert gewesen; er sei aber nicht der Ansicht, daß Rumbold sich mit dieser Indiskretion eines Vertrauensbruches schuldig gemacht oder sich von unlauteren Motiven habe leiten lassen. Lansdowne sclsivß: „Ich nehme gern die Versicherung Rumbolds an, daß er nicht für den Zufall verantwortlich ist, infolge dessen der Artikel zu einem sehr ungelegenen und sehr unglücklich gewählten Zeitpunkt er schienen ist. Die Negierung beabsichtigt, eine neue Ver ordnung zu erlassen, durch die cs vollständig klargestellt wird, daß die Mitglieder deS diplomatischen Korps ohne ausdrückliche Genehmigung deS Auswärtigen Amtes keine Berichte über Vorgänge des Landes, in dem sie beglaubigt sind oder waren, veröffentlichen dürfen, noch auch irgend welche Nachrichten, die sie in amtlicher Eigenschaft Hinsicht lich der betreffenden Negierung erhalten haben. Diese Beobachtung des Geheimhaltens muß gleicherweise auch dann gewahrt werden, wenn der Diplomat aus dem Amte geschieden ist. Ich bin überzeugt, daß die Verordnung ge bührende Beachtung finden wird." Der Skandalprozeß Wolf »Schalk, der bekanntlich mit der Verurteilung vr. Schalks wegen schwerer Beleidigung Wolfs endete, dem er n. a. Bestech lichkeit und Untreue gegen seine eigene Partei vorgewor- fen hatte, wird in der „Zeit" mit scharfem Sarkasmus kom mentiert. Das neue Wiener Blatt schreibt unter anderem: Am schlechtesten wcggekommen sind die von der Partei Schönerer die publizistischen Werkzeuge des Rosenauer Donnerers, der sich vorsichtig hinter dem Gewölk seiner Walhall verborgen gehalten hat. vr. Schalk, der Dauphin der Partei, ist nicht bloß von den Geschworenen schuldig befunden worden. Das Bild der deutschen Mannestreue, das er bot, und mit ihm alle diejenigen, die sich Wolfs agi tatorische Dienste gefallen ließen, um in dem Augenblick, da dessen Popularität lästig umrde, wie die Detektivs mit langgeführten Sündenregistern gegen ihn aufzutreten, sie sind nicht nur gerichtlich verurteilt, sie sind auch mora lisch erledigt. Auch Wolf, der siegreiche Ankläger, sieht übel genug aus in der Glorie seines Sieges. Ein leicht fertiger Mann (der pathetische Ankläger der Liguori- Moral ein Verführer!), ein Eato mit Schwächeanfällen, ein politischer Wortführer ohne irgendwelche Sachkennt nis, stand er da, sympathisch allein in der Verteidigung gegen den schnöden Verrat falscher Freunde. Und mit ihnen allen kompromittiert die Eröme der radikalen Partei, die ihr eigenes Organ betteln gehen ließ und nicht die lumpigen paar tausend Gulden aufbrachte, bas Blatt vor den drückendsten Schulden und Sorgen zu befreien. Neid, Engherzigkeit, Kleinstädterei auf allen Seiten, ein Bild zum Jammern, wenn nicht zum grausamen Lachen. Und doch wird niemand sich des Eindrucks erwehren können, daß gerade Wolf aus dem Gerichtssaal gestärkt hervor ging, so daß man wohl Voraussagen kann, er habe seine Rolle in Böhmen und in Oesterreich noch lange nicht auS- gcspielt. Tenn eines ist in dem Prozeß mit voller Klarheit erwiesen morden: die Parteitreue hat Wolf gewahrt und reine Hände hat er behalten bei all der Mist-re eines Ne- daktcurgehaltes von 125 Gulden monatlich; von den Be stechungen des Znckcrkartells hat er nichts gewußt, und in die Laube des Ministerpräsidenten bat er sich nicht locken lassen. Er hat gefehlt, aus Sinnlichkeit, aus Leichtsinn und politischem Unverstand; aber für den privaten Vorteil hat er seine politische Position nie ausgenützt, und für die Mittelsmänner der Regierung war er schlechterdings unzugänglich. So selbstverständlich eigentlich das eine nnd so sonderbar für jedes andere Land das andere, in Oesterreich ist es ein Ehrentitel, in einflußreicher Stellung reine Hände bewahrt zu haben, nnd es ist ein Verdiemt, welches man sich vor Gericht ausdrücklich testieren läßt, daß man zur Regierung in keine wie immer geartete Be ziehung getreten ist. Feuilleton. Sf Der Anlersnchungsrichler. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. AuS den Antworte», die die ängstlich Niedergcbeugte dem Untersuchungsrichter auf seine Fragen gab, wurde festgestellt, daß Karl Schwielinski im großen nnd ganzen bezüglich seines Zusammentreffens mit seiner Mutter die Wahrheit gesagt habe. Ganz verstört sei er in die Küche gestürmt uud habe voll Entsetzen nach der Tür des Mord gemachs gewiesen. Auf ihr Klagen nnd Jammern und auf ihre Anklagen sei er sodann zornig geworden und habe jede Verdächtigung, die Untat begangen zu haben, mit Entrüstung zurückgewiesen. Und zuletzt sei er voll Zorn davongcstürzt. Befragt, ob sie wisse, woher das Geld stamme, das man bei ihrem Sohne vorgefnuden habe, erwiderte Frau Schwielinski zunächst stotternd und sichtlich bestürzt nnd verlegen, daß sie darüber nichts anssagcn könnte. Endlich aber, durch die Fragen des Untersuchungsrichters in die Enge getrieben, gestand sie unter vielen Tränen ein, daß ihr Sohn, bevor sie zurückgekehrt sei, und wahrscheinlich bevor er sich in das Zimmer des ermordeten Assessors be geben habe, ihre Kommode gewaltsam geöffnet und sich ihre Ersparnisse angeeignct habe. Der Untersuchungsrichter und der Protokollführer hörten mit Interesse zu, und der letztere protokollierte eifrig. „Ihre Aussage", nahm der Untersuchungsrichter daS Wort, als die Zeugin erschöpft schwieg, ^belastet Ihren Sohn freilich, doch nicht bezüglich der Sache, mit der wir uns hier beschäftigen. In dieser Richtung dient Ihre An gabe eher zur Entlastung des Beschuldigten. Wenn Ihr Lohn sich mit bösen Absichten in Bezug auf Assessor Wrcde getragen hätte, würde er sich nicht damit aufgehalten haben, Ihre paar Ersparnisse an sich zu bringen, zumal er doch damit rechnen mußte, daß Sie jeden Augenblick von Ihrem Ausgang zurückkchren konnten." Die alte Frau hob ihr tränenfeuchtes Gesicht und ein Heller Schein ergoß sich über die verhärmten Züge. „Nicht wahr", sagte sie eifrig, „nicht wahr, Herr Land richter? Er hat's nicht getan. Meine Hand lege ich dafür ins Feuer, er hat's ganz gewiß nicht getan." „Auch ich hoffe, daß sich seine Schuldlosigkeit Heraus stellen wird", sagte der Untersuchungsrichter in einem so bestinrmten und fast feierlichen Tone, daß der Protokoll führer ihn ganz erstaunt ansah, und daß das skeptische Lächeln, mit dem er die Beteuerung der auf die Unschuld ihres Sohnes bauenden Mutter angehört hatte, im Nu verschwand. Auch bezüglich der Animosität des Assessors Wrede gegen Karl Schwielinski bequemte sich die vorgeladenc Zeugin endlich zu einer Erklärung. Dem Herrn Assessor sei einmal eine wertvolle Kravattennadel sortgckommen, und er habe den Verdacht gehabt, daß der Sohn seiner Wirtschafterin der Dieb gewesen sei. Bewiesen sei ihm — dem Sohne — in dieser Hinsicht nichts morde». Daß er arbeitsscheu und ein moralisch nicht einwandsfreier Mensch sei, müsse sie ja leider mit Kummer zugeben. Und auch das habe den Herrn Assessor geärgert, daß der sünf- undzwanzigjährigc Mensch keine Arbeit gehabt uud seiner armen Mutter auf der Tasche gelegen habe. Damit war das Verhör der alten Frau beendet. Der Tag brachte nur noch die Obduktion der Leiche, die am Nachmittag von zwei Acrzten vorgenommen wurde, und bei der der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter zugegen waren. Es ergab sich, daß der Ermordete aus nächster Nähe durch einen Revolverschuß getötet worden war. Die Mordwaffe war mittleren Kalibers. Der Tod mußte auf der Stelle eingetreten sein. Mährend der Staatsanwalt der peinlichen Handlung mit der Ruhe und dem innerlichen Unberührtsein des an dergleichen Amtstätigkeiten gewöhnten Beamten folgte, er trug der Untersuchungsrichter den schrecklichen Anblick nur mit Anstrengung. Er mar entsetzlich bleich und nervös und er mußte sich wiederholt abwenden und seine ganze Willensstärke ausbieten, um sich aufrecht zu erhalten. Schließlich fiel das den anderen Herren auf. „Sie sind wohl zum ersten Male bei einer Obduktion?" fragte der eine der Aerzte lächelnd. Und als der Untersuchungsrichter mühsam bejahte, fügte er tröstend hinzu: „Na, beim nächstcnmal werden Ste'S besser überstehen." Der Staatsanwalt forderte ihn auf, auf ein paar Minuten hinauSzugehen und einen Kognak zu trinken. Doch Herbert Dctnbard schüttelte mit dem Kopf und hielt wacker bis zum Gchurß stand. Als er zusammen mit dem Staatsanwalt den düsteren Raum verließ, sagte sein Begleiter: propog, ich wollte mir noch das Vergnügen machen, Sie persönlich zu morgen cinzuladcn. Sie wissen, wir feiern morgen die offizielle Verlobung. Meine Krau und ich rechnen darauf, lieber Herr Landrichter, daß Sie den Toast auf die Ver lobten ausbringen." Zehntes Kapitel. Am Abend des nächsten Tages füllte eine fröhliche Menge das Speisezimmer der Tellingschen Wohnung. Nachdem der Braten serviert worden war, erhob sich Her bert Deinhard zu seiner Rede. Alle merkten ihm an, daß er von Anfang an mit einer großen Rührung und Er schütterung kämpfte. Als er von dem innigen Verhältnis sprach, das innner zwischen dem Bruder und ihm ge herrscht habe, versagte ihm einmal die Ltinnuc und die Tränen schossen ihm in die Augen. Ein paar peinliche Sekunden verstrichen, bis er sich wieder so weit gefaßt hatte, um xvcitcr sprechen zu können. Er sprach nun in fast fieberhafter Erregtheit zu Ende. Als er sich an die Braut wandte, und von ihrer Pflicht sprach, dem Bräuti gam auch die brüderliche Sorge, die in Zukunft nicht mehr über ihm wachen könnte, zu ersetzen, nahm seine Stimme etwas besonders Eindringliches an und seine Mienen wurden noch erregter. Alle atmeten auf, als er endlich mit dem Hochruf auf das Brautpaar schloß. Wer den Untersuchungsrichter weiter beobachtet hätte, Hütte wahrnehmcn können, wie sein Blick wieder und immer wieder sich auf die Verlobten heftete, wie der düstere, grübelnde Ausdruck seines Gesichts sich bei dem Anblick ihres Glückes erhellte »nd wie er sich förmlich labte an dem strahlenden, überglücklichen Aussehen des Brautpaares. Gegen das Ende der Feier befand sich Herbert Dein- hard in sehr animierter Stimmung. Die flammende Röte seiner Wangen und der feuchte Glanz seiner Augen bc wiesen, daß er den trefflichen Weinen des Festmahles wacker zugesprochen hatte. Paul Deinhard ivar nickt wenig erstaunt, als er seinen Bruder nach Aushebung der Tafel mit ziemlich unsicheren Schritten auf sich ziikommeu sah. Der ernste, ruhige Mann, der sonst die Mäßigkeit selbst war und das starke Trinken verabscheute, schien heute einmal eine Ausnahme gemacht und die Selltngschen Weine gründlich geprobt zu haben. Als er der Braut die Hand geküßt hatte, sagte er lallend -u ihr: „Da- müssen Sie mir versprechen, Hildegard, daß Sie ihn glücklich machen werden, bas müssen Sie mir feierlich geloben." „Aber das ist doch selbstverständlich", erwiderte die Braut lächelnd, im stillen ein wenig überrascht uud pein lich berührt von seiner dringlichen Art. „Pauls Glück ist doch mein höchstes Ziel für alle Zukunft." „Das ist cs", sagte der halb Berauschte und in seinen unstät blickenden Augen prägte sich ein fast drohender Ausdruck aus. „Das sind Sie mir schuldig, Hildegard! Das fordere ich von Ihnen als Ihre heiligste Pflicht." Paul Deinhard klopfte seinem Bruder beschwichtigend aus die Schulter. „Nun ja — natürlich!" sagte er mit einem verstohlenen bittenden Blick auf seine Braut, die ganz erschreckt nnd be tretcn drcinsah. „Warnm sollte Hildegard nicht. Mein Glück ist doch ihr Glück und umgekehrt. Das ist doch selbst verständlich." Und als gleich darauf ein Gast au Paul berantra,. raunte er seiner Brant entschuldigend zu. „Sei ihm nickt böse! Er ist nervös, überarbeitet. Die Wrcdcsche Mord asfärc verursacht ihm viel Arbeit und Kopfzerbrechen. Es ist das erste Mal, daß er als Untersuchungsrichter amtiert." Paul Deinhard hatte nicht znvicl gesagt. Der Kall Wrede war in der Tat ntit anstrengender, uervcuan- greifcndcr Arbeit verknüpft. Am Tage nach -der Ver lobung hatte der Untersuchungsrichter die sämtlichen Be wohner des Hauses zu verhören, in dem der Mord srattg:- funden hatte. Dabei ergaben die zeitraubenden Ver nehmungen fast gar kein Resultat. Einen einzigen guten Fingerzeig gab eine' der vernommenen Dienstmädchen. Um die Zeit gegen halb sieben Uhr abends pflegte der Zeitungsjunge ;u tommen, um die Abendblätter abzu geben. Vielleicht tonne der Herr Untersuchungsrichter von dem etwas erfahren. Der betreffende Junge, ein Knabe von zwölf Jahren, wurde für den nächsten Tay vorgcladeu. Seine Aus sagen ergaben endlich etwas Neues. Es sei gegen halb sieben Ubr gcwe'eu, so berichtete der Knabe, als er an dem fraglichen Abend den Hausflur des von dem er mordeten Assessor Wrede bewohnten Hanse - betreten habe. Hier fei ilnu ein Herr begegnet, der eilig an ihm vorbcigelaufcn sei. Der Herr sei in solcher Hast gcwes.-n, daß er ibn fast umgerannt habe. Daß der Fremde aus der Wredesche» Wohnung kam, könne er mit Bestimmtheit behaupten, denn, wenn er das auch nicht gesehen habe, so habe er doch die Tür zuklappen hören, die der Weg-
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