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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031007023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-07
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig. Nr. 5«. Mittwoch den 7. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Oktober. vom Kanal. In da- ChaoS der Behauptungen und Vermutnngen darüber, ob und wie der preußische Landtag wieder mit den wasserwirtschaftlichen Plänen der Regierung werde beschäftigt werden, kommt jetzt plötzlich völlige Klarheit durch einen auS Berlin stammenden, die vorstehende Ueberschrift tragenden Artikel der hochoffiziösen „Siidd. Reichs - Korr.". AuS ihm geht hervor, daß wir gestern die Lage vollständig richtig beurteilten, als wir ausführten, Graf Bülow denke nicht daran, in der Kanalvorlage eine führende Rolle zu spielen, und werde die weitere parlamentarische Behandlung der wasserwirtschaftlichen Pläne ganz nach dein Ausfälle der Wahlen einrichten. Der Artikel lautet nämlich: „Für eine überraschende Neuigkeit wird es jetzt in Blättern verschiedener Parteirichtung ausgegeben, daß die preußische Regie rung an ihren wasserwirtschaftlichen Plänen festhalte. Diese Verwunderung hat etwas Gemachtes. Denn eine autoritative Aeußerung, wonach die Kanalvorlage als ausgegeben betrachtet werden konnte, istnirgendserschienen. DieBehauptung, derMittel- landkanal sei ganz und gar zum alten Eisen geworfen, war im wesentlichen eine Finte oppositioneller Blätter, die mit dem Borwurf der Inkonsequenz gegen die Regierung und besonders gegen den leitenden Staatsmann Geschäfte machen wollten. Die Wahrheit ist, daß Graf Bülow von dem Augenblicke ab, wo er nach Uebernahme des Ministerpräsidiums sich mit der Kanalfrage befaßte, für die Behand lung dieser Vorlage lediglich wirtschaftliche Gesichts punkte als maßgebend anerkannt hat. Von dieser rein sachlichen Versahrungsweise gibt es bisher und wird es auch ferner- hin keine Abweichung geben. Tie Blätter, die den Tatbestand dahin verschieben, daß die Regierung in Preußen nichts Dring- sicheres zu tun habe, als durch Forcierung der Kanal vorlage um jeden Preis den rechtsstehenden Par teien eine politische Niederlage zu bereiten, verwechseln ihre eigenen Wünsche mit den Absichten, die ein verant- wörtlicher Staatsmann hegen kann. „Die Kanalvorlage ist tot — darüber darf man sich schon seit Monaten nicht mehr täuschen", schreibt der hiesige Korrespondent der „Frankfurter Zeitung". Ja, als politische Kampfvorlage ist sie allerdings tot, aber nicht erst seit Monaten, sondern schon seitdem Graf Bülow an der Spitze der preußischen Regierung steht. Als Erisapfel zwischen Krone und Landtagsmehrheit ist sie nicht zu verwerten. Als Mittel zu sachgemäßer Befriedigung wirt schaftlicher Bedürfnisse hat sie darum nicht aufgehört, ihre Gel tung zu behaupten, und nur in diesem Sinne kann sie verwirk licht werden. Und zwar um so eher, je weniger die wasserwirt schaftlichen Gesetzentwürfe mit Machtfragen der Parteipolitik in unnatürliche Verbindung gebracht werden. Ueberall, wo man ehr lich das Kanalwcrk zu fördern wünscht, sollte diese als verfehlt erwiesene Taktik aufgcgeben werden. Der Regierung kann man jedenfalls nicht zumuten, daß sie fürdieZu- sammensetzung des PreußischenLandtags mit demFeld- geschrei„Mittellandkanal"Amok laufen soll. DieKanal- vorlage als Wahlparole wäre wohl auch den Nationalliberalen nicht unbedingt erwünscht. Die Sache der Reform und des Aus baus unseres Wasserstraßennetzes ist an sich gut genug, um einer falschen Agitation im Wahlkampf nach der einen wie der anderen Richtung entraten zu können." Man wird also zunächst Mittel zur Oder-Regulierung verlangen, für die man einer Mehrheit sicher ist, dann vielleicht die Lippe-Linie vornehmen, für die das Zentrum sich interessiert, und das Uebrige vertagen, bis einmal eine Mehrheit im preußischen Landtage vorhanden sein wird, welche die Bollendung des Ganzen verlangt, d. h., wie die Verhältnisse in Preußen nun einmal liegen, vertagen für un absehbare Zeit. Es ist nichts als ein Spiel mit Worten, wenn der Artikel sagt, die Kanalvorlage sei zwar als politische Kampfvorlage tot, aber nicht als wirtschaftliche Vorlage. Ohne Kampf, in dem die Regierung alle ihr zu Gebote stehenden Machtmittel in Anwendung bringt, wird der Mittellandkanal nicht durchzu setzen sein, wenn nicht Wunder geschehen oder das Wahl recht gründlich geändert wird. Und wenn Graf Bülow einen solchen Kampf nicht will, so verzichtet er eben auf die „Be friedigung wirtschaftlicher Bedürfnisse", die von der Mehrheit nicht als solche anerkannt werden. Damit ist also in der Tat der Mittellandkanal ebenso „zum alten Eisen geworfen", wie das vielbesprochene Wort „Gebaut wird er doch". Die Freikonservativen haben das gewußt, wie aus ihrem Wahlaufrufe hervoraeht; die Nationalliberalen haben sich, als sie den ihrigen festsetzten, anscheinend durch eine mißverstandene oder zweideutige Andeutung täuschen lassen. Nun werden sic wegen ihres Drängens zu vem Unbequemen geworfen, die bei den Wahlen der Unterstützung nicht würdig find. Vielleicht befördert man nun auch die alten beamteten Kanalgegner noch weiter und sorgt so dafür, daß diejenigen, von denen sich Graf Bülow um den Hauptteil der wasser wirt schaftlichen Pläne herumführen lassen will, für alle Zeiten die Mehrheit im preußischen Abgeordnetenhause behalten. Freisinnige Bcveinigung nnd Sozialdemokratie. Wen» Graf Bülow als preußischer Minister präsident wirklich, wie es scheint, bezüglich der bevor stehenden preußischen Landtagswahlen keinen sehnlicheren Wunsch hat, als daß keine Sozialdemokraten in das Abgeordnetenhaus einziehen, so braucht er sich nicht besonders anznstrcngen, um diesen Wunsch der Erfüllung wenigstens nahezubringen. Die Konservativen und die Fr e i k o n f e r v a t i v e n betonen in ihren Wahl aufrufen die Notwendigkeit der Bekämpfung der Um stürzler, die spärlichen jugendlichen N a t i o n a l l i b e - ralen, die es für einzelne Fälle den Wählern frei gestellt wissen wollten, nm sozialdemokratische Unter stützung im Kampfe gegen reaktionäre Kandidaten zu werben, haben sich dem Parteibeschlüsse unterworfen, der jedes Paktieren mit der Sozialdemokratie verwirft; Herr Eugen Richter als Führer der Freisinnigen Bolkspartei lehnt gleichfalls jedes derartige Pak tieren ab, und mehr und mehr stellt cs sich heraus, daß auch Herr vr. Barth, -er das Zusammengehen der Liberalen mit der Sozialdemokratie empfiehlt, bei seiner eigenen Partei keinen Anklang findet. Zwei der ange sehensten Organe der Freisinnigen Bereini gung, die „Weserzcitung" in Bremen und die in Stettin erscheinende „Ostsee-Zeitung", sprechen sich sehr entschieden gegen vr. Barth aus. Beide Blätter zeichnen sich aus durch ein besonnenes Urteil und er scheinen an Orten, wo ein gesund empfindendes, gewerbs fleißiges Bürgertum sich seine feste Meinung über das Wesen der Sozialdemokratie gebildet hat. Die „Ostsee- Zeitung" wirft Vr. Barth vor, daß er mit seiner Mah nung, der Liberalismus müsse mit den Sozialdemokraten Hand in Hand gehen, einen neuen Zankapscl in die libe ralen Reihen geworfen habe. Diese von Barth be folgte Taktik — das müsse einmal mit allem Nachdruck nnd voller Offenheit zum Ausdruck gebracht werden — sei zur Zeit völlig verfehlt und lediglich geeignet, einen neuen Keil in die liberale Phalanx zu treiben, neuen Zwiespalt, neue Zersplitterung in ihre Reihen zu tragen. Leider habe der Verlauf des sozialdemokratischen Partei tags Herrn Barth nicht klar gemacht, daß das, was er an strebt, bei dem Verhalten der Sozialdemokratie als Ge samtheit vor der Hand ein Ding der Unmöglichkeit sei. Die „Wcserzeitnng" wendet sich gegen das parteioffiziöse Organ der Freisinnigen Bereinigung, die „Liberale Korrespondenz", die dem Bremer Blatte vorgeworfen hatte, es finde mit seinen Warnungen vor einem Wahl bündnis mit der Sozialdemokratie den Beifall Engen Richters, der kein Frennd der Freisinnigen Bereinigung sei. Sie betont, daß ihr Urteil nicht von dem Beifalle des Herrn Richter abhängig sei, und fährt dann fort: „Wir können nicht etwas Unvernünftiges schreiben, Weik das Vernünftige vielleicht von dem Führer der Freisinnigen Volkspartei gelobt würde. Wir müssen uns nach dem richten, was wir selber für recht hakten, und «bedauern, wenn — im Gegensätze zu vielen Provinzblättern unserer Partei — das offiziöse Organ, statt uns sachlich zu widerlegen, den Schreckens ruf ausstößt: das gefällt ja Eugen Richter. Seltsam genug fügt die „Liberale Korrespondenz" dann noch hinzu, die Ge sinnungsgenossen der „Weserzeitung" würden auf dem Partei tage der Liberalen Vereinigung am 11. Oktober in Berlin Gelegenheit haben, sich wegen der verkappten Drohung mit der Spaltung der Partei zu „r e ch t f e r t i g e n". Also man scheint uns disziplinarisch belangen zu wollen. Wie kann man so blind gegen den wahren Sachverhalt seinl Wir meinen übrigens, es sei verdienstlicher, vor einem falschen, zur Spaltung führenden Schritt zu warnen, ehe er getan ist, als hernach darüber zu klagen und zu schelten, wenn' das Unheil geschehen." Nach dieser Stellungnahme der beiden einflußreichsten Blätter der Freisinnigen Vereinigung ist anzunehmcn, daß der Berliner Parteitag, wenn er nicht eine einseitige Zusammensetzung hat, keinen Herrn vr. Barth günstigen Ausgang nehmen wird. In diesem Falle braucht Graf Bülow nur noch dafür zu sorgen, daß die preußischen Klerikalen nicht dem Beispiele ihrer badischen Ge sinnungsgenossen folgen. Und das zu verhüten, wird ihm nicht schwer fallen. Illustrationen zmc ungarische» Krise. Der ex lex-Zcrstand in der österreichisch-ungarischen Doppelmvuarchre kann, je länger dieser Zustand andauert, noch Ereignisse zeitigen, welche einer revolutionären Er hebung des MagyarentümS verzweifelt ähnlich sehen. Lxompla ckooont. Man berichtet uns aus P e st vom 6. Oktober: In Szegedin wurde heute früh am Kossuth- Denkmal ein Kranz gefunden mit der Aufschrift: „Zu rückbehaltene Soldaten deinem heiligen Andenken." Das Platzkommando ließ den Kranz fortnehmen und auf das Stadthaus tragen, wo der Vize- stadthauptmann den Kranz einer großen Volksmenge, die die Herausgabe desselben forderte, zurückgab. Letztere legte den Kranz unter Absingen des Kossuthliedes wieder am Denkmal nieder. Nachmittags marschierten zwei Kom pagnien Infanterie zum Denkmal und nahmen den Kranz fort. Als die Menge hiergegen protestierte und mit Steinen auf die Soldaten, auf die Kaserne und Fenster von Offizierswohnungen warf, ging das Militär mehrere Male mit dem Bajonett gegen dieselbe vor. Von der Kaserne wurden nochmals zwei Kompagnien abgeschickt, die mit Hülfe der Polizei die Menge, die eine drohende Haltung annahm, mit dem Bajonett auseinandertricb. Gegen Abend sammelte sich jedoch die Menge wieder in den Straßen an. Abends 6 Uhr erneuerten sich die Kundgebungen vor der Kaserne. Eine nach Tausenden zählende Menschenmenge warf die Fenster ein und forderte den Kranz, den das Militär vom Denkmal genommen hatte, zurück. Ein Bataillon Infanterie und eine Eskadron Husaren rückten aus, säuberten die Um gebung der Kaserne, sperrten sie ab und gaben auch eine Salve auf die Menge ab, wodurch fünf Personen verwundet wurden. Tie Kundgebungen dauerten in den Abendstunden noch fori. Später kamen keine er heblichen Ruhestörungen mehr vor. Militärpatrouillen durch ziehen die Straßen. Es wird sich nun fragen, ob dieser Vorfall vereinzelt bleiben wirb oder nicht. Zum Glück hat sich das Militär pflichttreu gehalten und sich nicht, was in magyarischen Blättern wiederholt prophezeit wurde, zur Meuterei Hink reißen lassen. Aber das Vorkommnis zeigt doch, mit welchem Fanatismus die magyarischen Ultras Hetzen und wie leicht empfänglich die große Blasse dafür ist. Man hat sich in letzterer Beziehung entschieden einer zu optimistischen Auf. fassung hingegeben, wenn auch nicht außer Erwägung bleiben darf, daß der Szegediner Vizestaüthauptmann da- durch, daß er unbegreiflicher Werse der Menge den Kvsiuth- kranz zurückgab, sie erst recht zu weiteren Demonstrationen verleitet hat. Daß solche Demonstrationen ihren Zweck, zu guusten der magyarischen Armeesprache einen Druck auf den König Franz Josef auszuüben, erreichen werden, glauben wir nicht. Die Maßregel der Zurückbehaltung der für den 1. Oktober zu beurlaubenden Mannschaften war zur Sicherheit des Staates, namentlich im Hinblick aus die Balkanwirrcn, unumgänglich, weil Ungarn die Rekrutie rung verweigert hatte. Deutsches Reich. H Berlin, 6. Oktober. (Entwickelung des K r a n k e n k a s s e n w e s e n s.) Am 1.Dezember 1W3 wer, den zwei Jahrzehnte verflossen sein, seit das Krankeuver- sichernngsgesetz in Kraft getreten ist. Um zu erkennen, wie die Entwickelung der Krankenkassen in diesem Zeiträume sich vollzog, empfiehlt es sich, den Zustand vor und bei Beginn dieser Periode ins Auge zu fassen. Lange vor Fririlletsir. Das neue Modell. 6j Roman von Paul Oskar Höcker. Nachdruck verbalen. Liselotte begleitete ihn auf seinen Spaziergängen. Die Hinfälligkeit ihres rasch gealterten Vaters ängstigte sie mehr, als sie der Mutter eingestehen wollte. Sie hatte ihre täglichen Uebungen im Geigenspiel wie der aufgenommen. Aber mit ihrem großen Entschluß wagte sie sich noch immer nicht hervor. Es zerrte sie hin und her zwischen den widerstreitendstcn Empfindungen. Bon Marion war endlich ein Briefchen gekommen. Was Donat in der Zeitung gelesen, hatte seine Richtigkeit: Capitant hatte sein Geschäft nach Paris verlegt. Marion berichtete auch über die Art und Weise, wie sich die Ueber- siedelung so rasch gemacht hatte. Kerkhövts Aelteste hatte George Capitant seiner Zeit in Brüssel kennen gelernt, wo sie bei einer Schulfreundin zu längerem Besuche verweilt hatte. Verlobung uud Ver- heiratung waren einander ziemlich überstürA gefolgt. Marions Eltern hatten den jungen Fabrikanten nur ge- legentlich seiner kurzen Anwesenheit in Chateau-Lanney zu sehen bekommen. Er war ein lebhafter interessanter Mensch mit großen Plänen. Man hatte in Chatean-Lan- ney allgemein angenommen, daß Kerkhövts Tochter eine brillante Partie machte. Die Verhältnisse hatten aber vor erst durchaus nicht so günstig gelegen. Capitant hatte gegen seine Stiefmutter, eine New Vorkerin, mit der sich sein Vater wenige Jahre vor seinem Tode in dritter Ehe ver heiratet hatte, erst noch einen langwierigen Prozeß zu führen gehabt. Nach vielen Wechselfällen, in denen Ma rion, die inzwischen Mutter zweier Kinder geworden war, mancherlei Unruhe nnd auch materielle Sorgen kennen gelernt hatte, war cs jetzt endlich zu einer für Capitant günstigen gerichtlichen Entscheidung gekommen. Das Ver- mögen, das ihm zufiel, war inzwischen freilich stark zu- sammengeschmolzen. Immerhin schrieb Marion im Tone Heller Freude darüber, baß sie endlich das ihr verhaßt ge- wordcne Edinbnrg hatte verlassen können — daß sic nach Paris übergesicdclt waren. Die Automvbilsabrik in Edin- burg, die den Namen ihres Nlannes geführt hatte, war Nicht dessen Eigentum gewesen. Er selbst war daran nur mit einem geringen Kapital beteiligt. Schlechte Konjunk turen, dazu schwere, sowie unvermutete Verluste der bis herigen Geldgeber hatten für die Fabrik eine kritische Zeit heranfbcschworen. Unter Umständen wäre cs jetzt zum Konkurs gekommen. Im rettenden Augenblick war da der Erbsckiaftsstrcit beigelcgt worden. Für die Etablierung in Paris hatte George Capitant hochfliegendc Pläne uns Hoffnungen. Die Industrie des Automobils war nach langen und kostspieligen Versuchen endlich in ein« günstiges Stadium der Eutwickelung getreten. Bei seiner Energie, seinem Spetulattonstalent konnte es ihm nun, wo ihm in in letzter Stunde das nötige Kapital in den Schoß gefasten war, nicht mehr fehlen. Kerkhövts freuten sich über das Glück ihrer Tochter. Es war doch ein Lichtblick in der für sie so trüben Zeit. Mama Kerkhövt sah in ihrem Enthusiasmus natürlich gleich wieder einen blanken Goldregen auf ihr Kind her- niedcrgehen. Schmerzlich war es ihnen allen, daß sic Marion, die sie seit der Hochzeit nicht mehr gesehen, auch jetzt nicht gleich bei sich bcgrüßsn sollten. Sic kannten noch nicht einmal Marions Kinder, den jetzt sechsjährigen Raoul u,nd die kleine Edith, die soeben ihren vierten Geburtstag gefeiert hatte: Marion versprach, sie werde im nächsten Sommer für ein paar Wochen mit den Kleinen nach Chatcau-Lan- ney kommen: vorläufig nähme dis Einrichtung ihres Pariser Haushaltes sic noch zu sehr in Anspruch. Liselottens Leben floß einförmig weiter nach wie vor. Eines Tages aber, als sie ihre Freundin besuchte, brachte Mittwald eine sie lebhaft interessierende Nachricht. Leutncint Donat hatte an ihn geschrieben. Der Zeichenlehrer hatte das Schreiben, das den Poststempel Paris aufwies, soeben unterwegs, als er vom Progym nasium heimkehrte, vom Briefboten bekommen nnd schon auf der Straße gelesen. Es waren nur wenige, flott geschriebene Seiten: aber der Ton, in dem einzelne Partien abgefaßt waren, strömte doch eine gewisse Wärme aus. Man konnte dar aus entnehmen, daß der junge Offizier mit wirklichem Interesse seines kurzen Aufenthaltes in Chateau-Lanney und der Menschen, die er da kennen gelernt hatte, gedachte. Der Brief wanderte von Hand zu Hand. Als Lise lotte den Eingang überlas, trat ihr das Blut ein wenig in die Schläfen. Vielleicht hauptsächlich deshalb, weil so wohl Mittwald als auch seine Schwester sic dabei so for- scheu- anblickten. „Er hat also richtig Capitants besucht", sagte sie in mitten der Lektüre. „Und ist natürlich entzückt von Frau Marion", setzte Anna lächelnd hinzu. „O, ich glaube wohl, daß sie das Zeug dazu hat, ein elegantes Haus auszumachen", ließ sich Mittwald ver nehmen. „Hier in unserem armseligen Chateau-Lanney hat sie sich ja nie besonders wohl gefühlt." Liselotte antwortete nicht. Sie war ans Fenster ge treten, um nicht fortgesetzt beobachtet zu werden, während sie las. ,-Liebcr Herr Mittwald", schrieb der Leutnant, „ge statten Sie mir, daß ich heute, wenn auch etwas spät, mich für die freundliche Aufnahme in Ihrem Hause bedanke, die Sie dem „fremden Kriegsmann" seiner Zeit gewährt haben. So traurig die Veranlassung für die Beteiligten war, die mich nach Chateau-Lanney geführt hatte, so hell und freundlich ist mir noch die Erinnerung an manche Be gegnung dort. ,Mach Schluß deS Manövers bekam ich ein Kommando nach dem Artillerieschießplatz, wo ich die Ehre hatte, vor dem Herrn Kommandierenden Höchstselbst mein Spreng mittel im Verlauf mehrerer recht gelungener Uebnngen vorzuführcn. Als erste Folge darf ich die Gewährung des erbetenen viermonatigen Urlaubs für Privatstudien zwecke ansehen. Freilich batte es seine Schwierigkeiten, die Genehmigung zur Reise gerade hierher nach Paris zu bekommen. Seitdem der Militärattach« das Seinebabel hat verlassen müssen, ist den deutschen Offizieren die äußerste Vorsicht zur Pflicht gemacht worden. Ich habe mich hier unter eingehender Darlegung meiner durchaus friedlichen Absichten bei einer Anzahl von Kommando stellen melden müssen. Die Sache war sehr feierlich, denn ich erschien natürlich in Uniform, wozu es noch der be sonderen Erlaubnis Sr. Majestät bedurft hatte. Ein so genannter Jnkvgnito-Aufeitthalt in Frankreich wird uns grundsätzlich nicht mehr gewährt, seitdem die Spionen- riecherci so viel Unannehmlichkeiten aus beiden Seiten -er Vogesen gesckwfsen bat. „Im großen und ganzen kann ich mit der Aufnahme in den offiziellen Kreisen jedoch zufrieden sein. Die Fran- zvscn sind im gesellschaftlichen Verkehr äußerst liebens würdige Menschen, sei es, daß es ihnen ein Bedürfnis ist, einem „Prussien" einen Begriff von fränkischer Kultur zu geben, sei es, daß sie ihn möglichst fortdauernd unter Aussicht halten wollen: ich werde fast Tag für Tag zn Empfängen, Thees und allen möglichen Festen cingcladen. „Mein erster Weg aber war zu Mme. und Mr. Capi tant. Mit ihm stehe ich bereits in geschäftlicher Verbin dung. Ich bin — erschrecken Sie nicht — als eine Art Lehrling in seine Fabrik eingetreten und errege bei den Herren Monteuren durch mein rheinländisches Fran zösisch zeitweise eine liebenswürdige Heiterkeit. Mme. Capitant ist eine der charmantesten Frauen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Sie wird binnen kurzem unter die gefeierten Schönheiten zählen, nach denen sich, wenn sie in der Loge der großen Oper erscheinen, sämtliche Operngucker wenden. Ihre ganz einzige Kunst, französisch zu plaudern, hat mich beinahe darüber hinweg gesetzt, daß ich noch zahlreiche Fehler gegen die geheiligten Regeln des Subjonctif mache. Ich habe aber trotzdem so fort mit einem gewissenhaften Neustudium der französischen Sprache begonnen. ,-Als amüsantes Kuriosum muß ich Ihnen noch er zählen, daß Mme. Capitant überrascht mar, als ich ihr dies und das von Fräulein Liselotte erzählte. Tic gestand mir, daß ihre Schwester ihr die ganze Zeit über in der Gestalt im Gedächtnis geschwebt hatte, in der sie sie bei ihrer Hoch zeit zuletzt gesehen hatte. Damals sei Fräulein Liselotte in dem reizenden Backfisckialter von kaum dreizehn Jahren gewesen. Die konnte sich zunächst gar nicht vorstcllen, -atz aus dem Backfisch von damals irrzwischen eine große, schöne junge Dame geworden sein sollte. Ich nahms aber auf meinen Diensteid — und da glaubte sic mir. Daß sich ihre Schwester der Musik widmen will, findet sie allerliebst. Leider konnte ich ihr nichts über einen persönlichen Ein druck ihres Spiels sagen, denn ich habe Fräulein Kerkhövt ja nicht selbst gehört. Mme. Cavitant nimmt es als ganz selbstverständlich an, daß ihre Schwester ihre Ausbildung hier in Paris fortsctzcn wird. Haben, Sie doch die Güte, dem gnädigen Fräulein auszurichten, daß ich gestern einer öffentlichen Ausführung im Conscrvatoire beige- wohnt habe und noch ganz unter dem Eindruck der wirk lich künstlerischen Leistungen stehe, die ich da zu hören be kam. Unter den hiesigen Lehrkräften sind anerkannte Kapazitäten, und ich glaube wohl, daß das gnädige Fräu lein hier finden würde, was ibrer Ausbildung zur Voll kommenheit verhelfen kann. Mme. Capitant sagte mir, daß sic gleich in den allernächsten Tagen ein feierliches Einladebricfchen an ihre Schwester abgehcn lassen werde. Selbstverständlich müsse Fräulein Liselotte in ihrem Hause wohnen. Es wäre mir eine innige Freude, der jungen Dame in dem gastlichen Hause ihrer Frau Schwester wie der begegnen zu dürfen. Ich verspreche, meine Sprach, studicn inzwischen so intensiv zn betreiben, daß ich ihr i»
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