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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031009020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903100902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903100902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-09
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug SO.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annahmelchlub für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Mvrgeu-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Nr. 515 Freitag den 9. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Oktober. Kleinbeamtentum und Sozialdemokratie. In einem „Die Rettung des Vaterlandes vor den Ge fahren des Umsturzes" überschriebenen Artikel des national liberalen Frankfurter Blattes '„Für Wahrheit nnd Reckt" wird den königstreuen Parteien der Borwurf gemacht, das; sie sich viel zu wenig um die Lage der kleinen Beamten aller Gattungen kümmerten und ruhig zusähen, wie die Apostel deS Umsturzes sich bei den Hunderttausenden von kleinen Beamten lieb Kind machten und ihnen vorspiegelten, die sozialdemo kratischen Abgeordneten würden in den Parlamenten für eine bessere Beamteufürsorge eintreten. Wörtlich schreibt der Verfasser: „Daß es unter den kleinen Beamten innerlich viel Unzufriedene gibt, daS will ich sofort durch ein untrügliches Beispiel beweisen. Bei den letzten Reichstagswahlen in Frankfurt a. M. erhielt die »ationalliberale Partei nur 5500 Stimmen. Das gibt zu denken, wenn man hört, daß Frankfurt allein etwa 10000 kleine Beamte und etwa 8500 nationalliberale Bürger zählt. Die kleinen Beamten müssen unstreitig, die geheime Wahl benutzend, nicht für die Re gierung gestimmt haben, denn sonst wäre ein solch jammervolles Wahlresultat niemals möglich. Es wird mir kein ehrlicher Patriot zürnen, wenn ich hier offen schreibe, woran es liegt, daß die Masse der kleineren Beamten offenbar unzufrieden ist. Es liegt an der Besoldung. Reichstag und Landtag bewilligen zu wenig für den kleinen Beamten .... Millionen werden alljährlich zum Fenster hinauSgeworfen. Nehmt diese Millionen und erhöht den kleinen Beamten, besonders in den teueren Großstädten, das Einkommen, und wir werden ganz andere Neichstagswahlresnltate erleben. ES läßt sich viel sparen zu gunsten der Beamten. Welchen Zweck hat eS, wenn fortgesetzt Beamte von Ost- nach Westdeutschland beispielsweise versetzt werden? Solche Versetznnaen kosten viel Geld. Man sollte nur in den seltensten Fällen solch weite Versetzungen vornehmen und meist nur innerhalb kleinerer Distrikte der einzelnen Provinzen versetzen. Eine Zusammenstellung der Ausgaben schon allein sür diese hier erwähnten Versetzungen ergibt jährlick Millionen. Es gibt noch eine Menge anderer Stellen, wo zu gunsten der Be soldung gespart werden dürfte. Ein weiterer Fehler ist, daß bei den kleinen Beamten ans die Zahl der Kinder keinerlei Rücksicht genommen wird. Ich kenne Beamte mit 9 bis 10 Kindern, welche mit 2000 Gehalt nach langjähriger Dienstzeit noch aus kommen müssen." Sind wir nun auch der Meinung, daß die Beamten versetzungen selten ohne guten Grund erfolgen und daß deSbalb eine erhebliche Verminderung solcher Versetzungen nicht ratsam sein wird, so muffen wir dem Verfasser dock unbedingt darin beipflichten, daß die Lage der kleinen Beamten fast überall im Reiche sehr viel zu wünschen übrig läßt. Und das ist um so bedenklicher, je mehr diese Beamten inne werden, daß infolge des sozialen Zuges der Zeit die Arbeiterfürsorge daS Sinnen und Trachten ter Gesetzgeber seit Jahren fast aus schließlich beschäftigt und daß deshalb die gelernten Arbeiter sich zumeist mehr leisten können, als die kleinen Beamten. Wie kann man sich da wundern, wenn die letzteren vielfach für sozialdemokratische Kandidaten eintreten, denen fälschlich daS Verdienst zugeschrieben wird, die Arbeitersürsorge wesentlich gefördert zu haben? In der Tat ist kaum etwas nötiger, als eine bessere Fürsorge für die kleinen Beamten. Wie aber, so muß man sich leider fragen, soll eine solche bessere Fürsorge ermöglicht werden bei der kläg lichen Finanzlage des Reiches, die in den Einzel staaten zur schärfsten Anziehung der Steuerschraube fuhrt und dadurch gerade den kleinen Beamten besonders fühlbar wird und sie immer unzufriedener macht? Im Reichs tage wie in den Einzellandtagen wird die Antwort auf jede Anregung zur besseren Fürsorge sür die kleineren Beamten in absehbarer Zeit lauten: „Wir haben kein Geld." So rächt sich die mangelhafte Finanzpflege im Reiche, über die wir schon seit Jahren klagen, auch auf diesem Gebiete schwer. Müssen nun aber die bürgerlichen Parteien zugestehen, daß zur Zeit eine ausreichende Besserstellung der kleinen Beamten ein frommer Wunsch bleiben wird, so sollten sie dock nicht ver fehlen, diesem frommen Wunsche bei jeder passenden Gelegenheit Ausdruck zu geben und dadurch die einzelstaatlichen Regie rungen zu nötigen, im Bundesräte auf möglichst schleunige Inangriffnahme einer Reichsfinanzresorm oder wenigstens auf eine solche Regelung des Verhältnisses zwischen Reichs und Staatssinanzen zu dringen, daß die letzteren unabhängig von den ersteren werden. Dadurch wird wenigstens erreicht werden, daß die kleinen Beamten bei Wahlen nicht ihr Heil bei der Sozialdemokratie suchen, die durch ihre Behandlung ihrer eigenen Lagerhalter sattsam bekundet, wie wenig ihr die Beamtenfürsorge am Herzen liegt. Die römische Frage. Den alljährlich in den Generalversammlungen der ultramvnlanen Partei, fälschlich Katholikenversammlungen genannt, gestellten Anträgen auf Zurückgabe von R o m und dem früheren Kirchenstaate an den Papst eilt jetzt ein früherer hoher Verrrmltungsbeamter des Reiches, Herr Or. Büdicker, zu Hülfe Er will Rom teilen; die eine Hälfte dem Königreiche Italien belassen, die andere Hälfte dem Papste übergeben. Wir möchten aus diesem Anlässe daran erinnern, daß noch am 20. September 1900, au dem 30jährigen Jahrestage der Befreiung Roms, der König von Italien an den Bürgermeister von Rom tele graphierte: „Ich nehme mit hoher Befriedigung die Ver sicherungen entgegen, welche die Untreunbarkeit des Vater landes und seiner ruhmreichen Hauptstadt betonen." Auf der Festversammlung las der Bürgermeister diese Depesche vor und fügte hinzu: „Wir wollen für das Vaterland den Ruf wiederholen: Rom oder den Tod demjenigen, der unsere Unabhängigkeit anzutasten wagt!" Und Ca vour erwiderte einmal trocken, als mau ihm von einer „römischen Frage" sprach: „Eine römische Frage? Die existiert für uns nicht." — Das Eintreten des Deutschen Reiches für die Ideen und Phantasien des Herr Bödicker würde vielleicht das Wort „von den Knochen der pommer scheu Grenadiere", das BiSmarck aus anderem Anlaß, aber bei einer glcichivcrtigen Forderung einer Ein mischung iü anderer Staaten und Leute Interessensphäre aussprach, in die Tat umsetzen müssen. Jedenfalls darf man sich nicht darüber wundern, wenn in Italien der Vorschlag eines ehemaligen hohen Reichsbeamten Ver stimmung erweckt. Deutlich spricht sich eine solche aus in dem Schlußsätze eines Briefes, den der „Hann. Kur." aus Rom erhält: „Italien legt niemandem etwas in den Weg, der vom Auslände her mit dem Vatikan in irgend welche Beziehung treten will. Aber es verwahrt sich dagegen, daß man es nach dem Gutdünken vatikaüfreundlicher Kombi- nationspolitikcr als KonrpensationSobjekt behandele, von dem mau Streifen losreißen könne." Schwedisches Parlament. Morgen tritt in Christiania das neue Storthing zusammen, das nun dazu berufen ist, das norwegisch« Staatsschiff im Sinne derjenigen politischen Anschauungen zu führen, denen die letzten Wahlen zum Siege verhalfen haben. Die radikale Partei erlebte bekanntlich den Schmerz, zur Minderheit herabgedrückt zu werden, und die Herrschaft geht nun auf eine Mehrheit über, die aus Konservative u und Gemäßigte n, sowie einigen Abgeordneten besteht, die wenigstens in unionspolitischer Beziehung mit der Rechten übereinstimmcn. Darum wird vermutlich auch das Kabinett Mehr sofort dem Storthing seinen Rücktritt anmcldei» Welchen politischen Zielen die neue Mehrheit zustrebt, läßt sich allerdings noch nicht klar erkennen, denn ähnlich, wie in den letzten Jahren in der Linken, machen sich jetzt in der Rechten neue Strömungen geltend, von denen im Augenblick niemand weiß, wohiln sie führen können. Während der Wahlen war hiervon weniger zu spüren. „Morgenbladet", das ein Hauptorgan der Rechten ist, erklärt jetzt, daß die heutige konservative Partei in Norwegen von der früheren Rechtem sehr ver schieden sei: „Astenposten", ein Blatt von derselben Partei karbe, bestreitet dagegen, daß die Partei eine wesentliche Veränderung durchgemacht habe. So ganz ungerecht fertigt ist es aber keineswegs, von einer neuqn Rechten zü reden, denn die Partei hat im recht auffälliger Weise den herrschenden politischen Anschauungen Rechnung zu tragen verstanden, In erster Linie gilt dies von der Konsu latssache. Hierin hat sic sich dem Standpunkte der Linken sehr genähert und fordert wie diese ein eigenes Kosulatswesen, das sie allerdings in versöhnlicherem Geiste und mit rein friedlichen Mitteln erstrebt. In der Stimmrechtsfragc geht sie sogar noch weiter als die Radi kalen, denn was die auf der Tagesordnung stehende Frage der Einführung der direkten Wahlen angeht, so will die Linke diese Reform auf die Städte beschränken, die Rechte aber will sie auf das ganze Land ansdehncn. Jedenfalls hegt ein Teil der Konservativem bis zu eiuem gewissen Grade freisinnige Anschauungen, und daraus erklärt sick S auch, daß sich eine Gruppe der Linken den Konservativen angeschlossen, nnd daß sich während der Wahlen iu einigen Städten Konservative und Radikale als Samm- luugSpartct zusammengctan haben. Es ist weiter be zeichnend, daß mehrere rechtsstehende Blätter außerhalb Christianias den Zentralvorstand der konservativen Partei ersuchmr, dahin zu wirken, daß der Name in nationallibe rale Partei, liberale Sammlungspartei oder einen ähn lichen Namen geändert werde. Diese Strömungen sind auch für die Bildung eines neucuMinisterrums von Bedeu tung. Professor Hagerup, der Führer der Rechten und Leiter des Koalitionsmintsterimns von 1895, erklärte vor einigen Monaten, daß auch die Gruppen, die zum Um schwünge der Dinge beigetragen haben, im dkkr neuen Re gierung vertreten sein müßten. Die Ministerfrage wird ja schon in den nächsten Tagen in Fluß kon^nen, und dann wird sich bald auch deutlicher zeigen, wes Geistes Kind die neucStorthingsmehrheit ist, und ob ein cinigenderGedanke sie beherrscht. Die Lage im fernen Osten. Wir haben schon wiederholt Gelegenheit genommen, vor den alarmierenden Meldungen englischer Blätter über eine kriegerische Zuspitzung der Lage zwischen Rußland und Japan zu warnen. Wenn sie richtig wären, müßten jetzt die Ge wehre von selbst losgehen, da, wie versichert wird, Rußland zum festgesetzten Termine die Mandschurei nicht räumen werde. Bei weitem mehr der Wirklichkeit entsprechend ist das Bild, welches folgende Nachricht entwirft: * London, 8. Oktober. Der hiesige japanische Gesandte, Vicomte Hayas hi, hat einem Berichterstatter der „St. James'- Gazette" gegenüber erklärt, er halte die Meldung von der Auf teilung Koreas für phantastisch und ernsthafter Erwägung nicht wert. Die Nachricht stamme aus Kobe und die von dort kommenden Nachrichten seien ungefähr ebenso unzuverlässig wie die aus Shanghai. Auch der Nachricht, daß Rußland erklärt habe, es weigere sich, die Mandschurei zu räumen, und Japan habe kein Recht, sich in die russische Okkupation zu mischen, messe er keinen Glauben bei. Be züglich Koreas gebe es nichts, was auch nur das leiseste Unbehagen rechtfertigen könnte; zwischen Japan und Rußland herrsche bezüglich dieser Frage Einverständnis und die amtlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern seien auch im allgemeinen herzliche. Der Gesandte kam dann nochmals aus die Mandschureifrage zurück und sagte, er sehe in der augenblicklichen Lage nichts, was Meldungen von einer kriegerischen Haltung, sei es Rußlands, sei es Japans, begründen könnte. Daß ein Teil der japanischen Presse schon geraume Zeit mit dem Säbel raffelt, ist gewiß richtig, die Regierung aber läßt ihn vorsichtig in der Scheide und hat sich biS jetzt allen rum Kriege treibenden Strömungen gegenüber von aner kennenswerter Festigkeit gezeigt. Deutsches Reich. H- Berlin, 8. Oktober. lDie Partetverhält- nisse im preußischen Abgeordnetenhauses Zur rechten Zeit, nicht lange vor den nächsten Landtags wahlen, hat der Vüreaudircktor Plate einen Ucberblick über den Verlaus der 19. Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses (Sessionen 1899 biv 1903) hcrausge- geben und diesem verschiedene Beilagen über die Mit- gliedcrzahl der Fraktionen von 1860/67 an, über die Parteigruppiermng nach Provinzen, sowie Über die gegen wärtigen Partciverhältnisse nach Provinzen, Regierungs bezirken nnd Wahlkreisen beigefügt. Die Konservativ vcn hatten danach 1866/67 von den damals erst Vorhände- nen 352Mandaten 119 inne.Jn der nächstenLegislatnrperi- odesteigertc'sichdieZahluufl25. Tanütrennten sich dieNcucn Konservativen von der alten Partei, jene hatten 44, diese 70 Sitze in der Periode von 1870/73 tnme. In der nächsten Legislaturperiode brachten es die Konservativen nur auf 6, die Neuen Konservativen auf 24 Litze, die in der darauf folgenden, auch nicht wesentlich, nämlich auf 10 und aus 31 Litze erhöht wurden. Dann vereinigten sich beide Fraktio- nen wieder zur Konservativen Partei, und diese gewann in der 14. Periode 1879/82 von den vorhandenen 433 Man. daten 110, in der 15. Periode 122, dann 133, hierauf 129 und mr den beiden letzten jedesmal 144 Sitze. Tsie freikon servative Partei besaß 1866/67 17 Mandate. Die höchste Zahl hatte sie mit 65 Mandaten in der Periode 1894/98 er- reicht, in der letzten zählte sie 58 Sitze. Die national- liberale Fraktion hatte am Ende der 10. Legislatur periode im Jahre 1870 99 Mandate und konnte sie 1873/76 auf 174 steigern. Schon in der nächsten Periode sank die Zahl auf 169, in der darauffolgenden auf 85. Den tiefsten Feuilleton. Das neue Modell. 8j Roman von Paul Oskar Höcker. s^chbrml verboten. Viertes Kapitel. Es war wohl kaum ein größerer Gegensatz denkbar, als der zwischen Liselottens bisheriger und ihrer neuen Umgebung. Die Capitantfche Häuslichkeit war auf Repräsentation in großem Stile eingerichtet. Und Marion machte die Honneurs mit einer erstaunlichen Sicherheit und Ge wandtheit. Es wollte Liselotte jetzt gar nicht mehr möglich er scheinen, daß sie es noch kurz zuvor im Stillen gewagt hatte, die Schwester zu kritisieren. Im persönlichen Ver kehr besaß Marion etwas so Ucberlegcnes und dabei doch Gewinnendes, ja Bezauberndes, daß sie sich selbst daneben geradezu als Aschenbrödel vorkam. Marion hatte im Eingänge ihres Einladungsbricfes mit ihrem Alter kokettiert; in Wahrheit bot sie das Bild strahlender Jugend. Die entbehrungsreichen Jahre in Amerika und Schottland hatten keinerlei Spuren in ihrem schönen Gesicht hinterlassen. Sie hatte blondes Haar wie Liselotte, hatte es aber neuerdings, wie cs schien, noch Heller gefärbt, denn es besaß eine überraschende Leuchtkraft. Ihre dunkeln Wimpern und Augenbrauen gaben dem Gesicht, das fein geschnitten war, einen gewissen pikanten Reiz. Ihre Figur war prächtig entwickelt. Sie war dabei aber schlank, fast noch mädchenhaft. Es kleidete sie ziemlich alles. Am meisten bevorzugte sic Empiregcwänder und Prinzeßkleider, in denen ihre schlanke Taille zu erkennen war, ohne daß man ein Einzwängen gewahren konnte. Ueber Liselottens Toiletten amüsierte sie sich herzlich. „Nein, Liebchen", sagte sie gleich bei der ersten ge meinsamen Ausfahrt, „in dem vorsintflutlich«,, Jackett darf ich dich nicht auf die Champs-Elysees mit nehmen. Du mußt zunächst einmal einen halblangcn Herbstpaletot kriegen, sandfarben, mit hohem Biber- kragen. Davon hebt sich dann dein Köpfchen so hübsch ab, daß du selbst deine Freude daran haben wirst, wenn da dich tm Spiegel beguckst." Es gab gegen solche Entscheidungen keinerlei Ein wände. „Du verdirbst uns ja sonst den Kredit, Herzblatt", sagte Marion lachend. Die erste Zeit verging mit der Besorgung von lauter solchen Kleinigkeiten, die Liselotte, obwohl sie selbst Ge schmack besaß und immer auf eine hübsche und aparte Kleidung gehalten hatte, manchmal fast zur Verzweiflung brachten. „Ei, ich will doch Staat mit meinem hübschen kleinen Schwesterchen machen", sagte Marion, indem sie in ihrer drolligen Weife Liselotte am Kinn faßte und sich mit ihr lachend hin und her wiegte. Uebrigens hatte sie auch ihr Versprechen, Liselotte bei Bizinard einzuführen, gehalten. Liselotte war noch nie so befangen gewesen, hatte noch nie zuvor so schlecht gespielt, als bei der Probe, die sie vor dem berühmten, etwas kühlen nnd blasierten Manne ablegen mußte. Dennoch war er bereit, sie unter die Zahl seiner Schüler aufzunehmen. Bei ihm selbst sollte sic frei- sich nur alle zwei Wochen einmal antreten. Ihren eigentlichen Unterricht leitete einer seiner vor- gcschrittcncren Eleven, ein Geigenvirtuose, der im letzten Semester mit dem ersten Preise des Conservatoire aus gezeichnet worden war. Mit großem Eifer nahm sic ihre häuslichen Hebungen auf. Da sie ihr tägliches Pensum immer schon in den frühen Morgenstunden erledigte, zn einer Zeit, wo Marion noch im Bett lag, so fand sich in der großen Etage immer ein Plätzchen, wo sie ungestört blieb nnd selbst nie mand störte. Ihre Hausgenossen hatten kaum eine Ahnung von ihrem Fleiß. George Capitant war stets liebenswürdig und auf merksam, ja, galant gegen seine junge Schwägerin,' be- sondere Herzlichkeit brachte er ihr aber nickt entgegen; das lag wohl überhaupt nicht in seiner Art. Er war den ganzen Tag über in der Fabrik tätig oder hatte Geschäfte in der Stadt. Oft kam er nicht einmal zum Diner nach Hanse, so daß er seine Damen manchmal erst abends in Gesellschaft oder in der Thcatcrloge rraf. Es war jedenfalls eine ganz moderne Ehe, die diese nervösen Menschen miteinander führten: Sentimentalitäten liebten sic beide nicht. Als Liselotte einmal der Schwester gegenüber ihrer Verwunderung über daS laue Verhältnis zwischen ihr und ihrem Manne aber doch Ausdruck gab, lachte Marion sie übermütig aus. „Ach, du süße, kleine Provinzialin, du glaubst also noch an ein ewiges Flitterwochenglück?" Noch seltsamer berührte sie Marions Verhältnis zu ihren Kindern. Die beiden Kleinen waren eigentlich den ganzen Tag über bloß auf ihr Fräulein angewiesen. In die vorderen Gesellschaftsräume kamen sic nur abends zum Diner. Das war so ziemlich die einzige Tagesstunde, in der sich Capitants um ihre Kinder nnd deren Ange legenheiten kümmern konnten. „Ja, liebstes Herzblatt", sagte Marion zu ihrer Schwester, „du darfst unser Leben hier in Paris nicht mit dem bei euch da drüben an der Grenze vergleichen. Das sind hier ganz andere Zustände, sowohl in sozialer Hin sicht, als auch in gesellschaftlicher." Liselotte meinte: „Aber die Menschen sind doch überall dieselben." „Du wirst gewiß einmal eine ganz vorzügliche, kleine Hausmama, Lotti. Aber wir Pariserinnen haben weder Talent, noch Zett dafür." „Ach, Marion, das ist doch frivol, so etwas auch nur im Scherz zu sagen." Die junge Frau lachte herzlich. „Ja, wie machen es denn die anderen Damen hier? Kann man denn einer großen Wirtschaft vorstehen, einen eleganten Salon auS- machcn, sich in der Gesellschaft zeigen, einem wetter wendischen Hanstyrannen untertan sein — oder wenigstens ihn in der Repräsentation unterstützen — und gleichzeitig auch noch Kinderbonne spielen? Wenn Edith zwei Jahre älter ist, kommen unsere beiden Tra banten selbstverständlich in die Pension." „Du wirst sie ganz von dir wcglassen — nach anher- halb?" „Ja, aufs Land. Da l>aben sie bessere Luft, ein regel- mäßigeres Leben und mehr Ruhe. Das ist jetzt so in Frankreich allgemein Sitte." „Und der Sitte könntest du dich ohne jede Trauer fügen?" „Aber, um was sollte ich denn trauern, Herzchen? In der vorzüglichen Pension draußen ans dem Lande sind die Kinder doch viel bester anfgehoben, als hier in der großen Stadt." „Ich meine nur: was d» selbst dadurch entbehren müßtest." „Ach, Liebchen, sei doch nicht so furchtbar sentimental und altmodisch. Millionen Kinder werden hier in Frank reich so erzogen, wachsen heran, blühen und gedeihen. Hat man Zeit, dann besucht man sie, zu den Festen dürfen sie auf Urlaub konnnen. Das sind dann immer doppelte Feiertage für beide Teile. Nein, mit den Vorurteilen von Chateau-Lanney mußt du gründlich aufräumen, beste Liselotte, wenn du eine rechte Pariserin werden willst." „Ten Ehrgeiz habe ich nicht, Marion", erwiderte Liselotte kopfschüttelnd, „wirklich nicht." Wenn sic in der Folgezeit in die beiden Kinderzimmer kam, mußte sie immer an diese Unterredung zurückdenken, sich vorstellen, daß die Räume hier nun bald leerstehcn würden. So kurze Zeit sie die Kinder erst kannte — sie war ihnen doch schon von Herzen zugetan. Raoul war ein schlanker, zarter, blasser Junge. Seiner körperlichen Entwickelung konnte die Landlust gewiß nur förderlich sein. Aber es lag ein seltsamer Ernst in seinen großen Augen, ein stummbittendcr Aus druck, wie ihn Liselotte noch nie bei einem Kinde wahr genommen l-atte. In seinen Antworten war er scheu und schüchtern, er war gewissermaßen vereinsamt. Hübsch war er nicht. Nach der in Frankreich üblichen Knabentracht hatte man ihm die bis zur Schulter reichenden braunen Haare von der Stirn an bis zum Wirbel hin abgcschnittcn, oder viel mehr abrasicrt, so daß ihm die Haare links und rechts nach polnischer Pagenart über die Ohren sielen. DaS gab ihm bei seiner Bläste ein fast leidendes Aussehen. Edith, ein niedliches kleines Mädchen mit rosigem Gesichtchen und blonden Locken, stach vorteilhaft gegen den älteren Bruder ab. Die pausbäckige Kleine wurde von ihrer Mutter unb von: Fräulein wie ein Püppchen gehalten. Liselotte stahl sich oft, wenn Marion in den vorderen Räumen Besuch empfing, wobei sie sich entbehrlich vor kam, ins Ktndcrzimmer und nahm sich den Jungen vor. Am liebsten batte er cS, wenn er dem Oieigcnspiel der Tante lauschen durfte. Er saß dann ganz still in einer Ecke, sah Liselotte mit seinen großen fragenden Augen trmrmver- koren an nnd ließ das Spielzeug oder das Bilderbuch, das sie vor ibn hingelegt hatte, ganz außer acht. „Weißt dn, Tante Lotti", sagte er einmal, „wenn ich erst in der Pension bin, dann will ich auch Geige spielen lernen." „Hast du die Musik lieb, Raoul?" fragte sie. Er nickte heftig. „Am liebsten von der ganzen Welt." „O wirklich?"
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