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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190310117
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19031011
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19031011
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-11
- Monat1903-10
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.10.1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren mr Nachweisungen und Ofsrrtenannahme L8 (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), unr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbefürderung ^l 70.—» Iiuuahmrschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabr: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» a« di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 518. Sonntag den 11. Oktober 1903. 37. Jahrgang. Aus der Woche. Dem preußischen Minister des Innern ist vor Kurzem mit berechtigtem Hohne vorgehalten worden, daß in seinem publizistischen Organe zu einer Zeit, da das preußische Volk sich anschickt, seine Vertreter neu zu wählen, von Politik mit keiner Silbe, wohl aber mit Aus führlichkeit von der Behandlung aufgefundener Luftballons gesprochen werde. Auf Herrn v. Hammer- stein hat dieser Borwurf, scheint es, tiefen Eindruck gemacht. Er ist alsbald nach Erfurt gegangen und hat dort wahr und wahrhaftig in Politik gemacht. Insbesondere glaubte er eine Er klärung darüber schuldig zu sein, warum er nach der Dresdener Tagung sich nicht im Sinne der starken Männer von „Post" und „Hamburger Nachrichten" auf die Sozialdemokratie gestürzt hat, um sie mit „be stimmten Gegenmaßnahmen" zu erdrosseln. Er hat sich bei seiner Verteidigung auf jenes Rezept berufen, das im Sommer den von Hochwasser Geschädigten Heilung hatte bringen sollen: Selbsthülfe. Er „hofft bestimmt, daß es der deutschen Bürgerschaft gelingen werde, eine Gesellschaft, deren Endbcstrcbungcn so unverhüllt auf den Umsturz der bestehenden Staatseinrichtungen, ja sogar auf Be seitigung derNeligion gerichtet seien, aus cigenerKrast von sich abzuschütteln, und daß man die geeigneten Mittel und Wege dazu finden werbe". Wir gehören nicht zu denen, die nach der Polizei oder gar der bewaffneten Macht rufen gegen die Sozialdemokratie. Wir würden es auch für ein sehr verfehltes Unternehmen halten, wenn die Reichsregierung auf preußischen Antrag dem neuen Reichstage ein neues Sozialistengesetz vorlegen und sich der Gefahr aussetzen wollte, nicht nur von den im Juni ge wählten ReichSbotcn, sondern auch von ihren «6 Koo ge wählten Nachfolgern im Stiche gelassen zu werden. Aberder Optimismus,mitwelchemderpreußtscheMtnistervomStaate jegliche Konsequenz aus der erschreckenden Erscheinung abwälzt auf bas Bürgertum, ist leider wieder ein Beweis der schon oft beklagten Schwäche. Ihre Symptome haben wir auch in den gleichfalls offiziösen Orakelsprüchen über die Kanalvorlage wieder gefunden. „Durch Forcie rung der Kanaloorlagc um jeden Preis den rechtsstehenden Parteien eine politische Niederlage zu bereiten" — dieser Gedanke ist für die Nachfolger einer Regierung, die mehr als einmal im Sinne Les „Gebaut wirb er doch" sich ver nehmen ließ und dteKanalvorlage geradezu als den Mittel punkt der Staatsaufgaben bezeichnet hat, zur unwürdigen Zumutung geworben. Es hat etwas Empörendes, wie dieselben Politiker, die den Mut nicht finden, gegen das Agrariertum da» als richtig Erkannte durchzuführen, das Publikum mit einer Phrase abspeisen zu dürfen glauben, die darin gipfelt, daß die nicht vorhandene Kanalvorlage als Mittel zu sachgemäßer Befriedigung wirtschaftlicher Bedürfnisse nicht aufgehört habe, „ihre Geltung zu be haupten". Und dabei wundert sich La» Offiziösentum anderseits, daß die Nationalliberalen sich herausnchmen, ihre Gegnerschaft gegen die Konservativen und das Zentrum zu betonen, und sich mit der Allerweltsduselei- Äoalition gegen -je Sozialdemokratie nicht begnügen. Danken sollte man ihnen dafür, daß sie in der bet den RegterungSmännern chronisch gewordenen Stagnation, so viel an ihnen liegt, gegen Versumpfung von Kultur und Wirtschaftsleben die Initiative ergreifen. Es ist in der Tat ein erfreuliches Moment, daß Bündnisse mit den Konservativen bei den Nationalltberalen Preußens im Kurse fallen, daß bte Fühlung eher nach der «nderen Seite genommen wird. In Königsberg, Breslau, Charlottcn- burg, Frankfurt a. O. ist man bereits zu Kompromißen mit den Freisinnigen gelaunt. Damit sind wir allerdings noch weit vom Ziele einer allgemeinen Verbindung aller liberalen Elemente Les national gesinnten Bürgertums. Das Hindernis dafür liegt noch immer in der Unfähigkeit gewisser Elemente, sich von der suggestiven Kraft der Sozialdemokratie frei zu machen. Man sollte es nicht glauben: vr. Theodor Barth betrachtet als die wichtigste Aufgabe der heutigen deutschen Staatsmänner noch immer, „die Sozialdemokratie in den Kreis der übrigen politischen Parteien zurückzuführcn und die wertvollen Bolkskräfte, die in dieser Partei stecken, einer aufgeklärten nationalen Politik dienstbar zu macken". Das alles nach dem Tage von Dresden! Seitdem die preußischen Landtags kandidaten Kopsch und Bernstein, beide vom Freisinn, einander mit Vorwürfen wie Verleumdung und Lüge in die Haare geraten, muß man zwar anch von den Sitten des Bürger- tums wieder etwas geringer denken. Aber das Maß von Roheit und Gehässigkeit, das nickt nur in, sondern vor allem nach dem Dresdener Parteitage bet den Organen und Personen der Sozialdemokratie sich gezeigt hat, übt seine abstoßende Wirkung vrrmutlick noch auf sehr lange Zeit au». Wichtiger noch für bte Zurückweisung der Barth- scheu Gedanken bleib« bte ErwLamr». baß bte Sozialbemo. kratie von den bürgerlichen Parteien, auch den liberalen, ganz und gar nichts wissen will. Deren eigene Würde sollte ihnen nach denDresdener Resolutionen verbieten, einen sol chen Vorschlag, wie den Barthschen, auch nur anzudeuten. Aber auch davon abgesehen, könnten wir aus rein politi schen Erwägungen den Gewinn einer Verbindung mit der Sozialdemokratie für den liberalen Gedanken nicht hoch anschlagen. Sahen wir doch gerade ihre parlamen tarischen Vertreter weit davon entfernt, eine in sich ge schloffene, in der Frage der Beziehungen zu den anderen Parteien auch nur annähernd einige Gruppen zu bilden. Eben weil sie hier keinen festen Standpunkt zu gewinnen vermögen, hat sich ihrer diese Verwirrung, Liese leiden schaftliche Streitsucht bemächtigt. Schon jetzt steht fest, daß sie mit dieser Frage in Dresden keineswegs fertig geworden sind. In den Berliner Versammlungen ist, kaum vierzehn Tage nach dem Ende des Parteitags, der Tanz mit fast noch größerer Heftigkeit losgegangen. ,Löenn man, wie ich, noch so mancherlei weiß, was hinter den Kulissen vorge gangen ist, was aber nicht gesagt werden kann, so möchte man mit der Keule dreinschlagen, daß die Fetzen fliegen." Mit solchen Krastausdrücken, mit der großen Gereiztheit, die aus jeder seiner Erklärungen spricht, beweist Bebel immer aufs neue, daß der äußerliche Triumph seiner Sache deren Sicherheit durchaus nicht herbetgcführt hat. Eine förmliche Ketzeruntersuckuna über die Braun, Bern- Hard, Heine und Gühre wird von den Berliner Ge noffen verlangt, als wäre in Dresden über alle mit diesen Persönlichkeiten zusammenhängenden Fragen nicht nach des Diktators Willen Beschluß gefaßt worden. Sind diese Vorgänge nicht geeignet, die niederschmet ternde Wirkung der drei Millionen Neichstagsstimmen, mit denen durch den ganzen Sommer so widerlich geprahlt worden ist, wenn nicht aiAzuheben, so doch be deutend abzuschwächen? Müßte nicht vor allem ei"r pro duktive, von staatsmännischem Willen ausgehende, sich nicht auf Erledigung der nicht zu umgehenden Arbeiten be- .schränkende Politik der Negierung den Augenblick der Schwäche des Gegners auSnityon, um die Schwankenden, die Mißvergnügten „einer aufgeklärten nationalen Politik nutzbar zu machen", um mit vr. Barth zu reden? Wir wollen nicht in jenen Fehler fallen, den einst der große Bismarck gerügt hat, als ihm der englische Konstitutiv, nalismus als beste StaatSsorm vorgchalten wurde. Wir wollen keine Nachahmung englischer Beispiele empfehlen. Das hindert uns aber nicht, den Kontrast zwischen der Zuversicht, dem Selbstvertrauen der Chamberlain und Balfour mit der Zaghaftigkeit, dem selbst zufriedenen OuietiSmuS der heute in Deutschland maß gebenden Regierungsmänner zu empfinden. Da bc- schwort man sich immer darüber, daß große politische oder sonstige geistige Vereinigungen, nehmen wir den All deutschen Verband oder den Evangelischen Bund, Wege gehen, auf denen die praktische Politik ihnen nicht zu folgen vermag; ja, daß sie deren Wege mitunter störand kreuzen. Läge da nicht aber der Gedanke nahe, baß unsere StaatSmäner, statt in unfreund, lich formulierten Zeitungsnoten gegan solche im Kerne edle Bestrebungen zu zetern, einmal den Rock ein wenig aufknöpften und versuchten, durch das Gewicht ihrer Per- sönlichkett unmittelbar auf jene zu wirken, mit denen sie doch so vieles verbindet? Auch 'Balfour ist ein Minister, der jedes seiner Worte aus die Wagschale legen, der auch auf daS Ausland Rücksicht nehm«» muß. Und den- noch spricht er in Sheffield vor sechstausend Menschen über die Umrisse der für die Zukunft geplanten Regierungs politik. Ein armseliges Civilkabinetts-Telegramm ist bei uns in der Regel die einzige Form der Verbindung zwischen der Regierung und den großen Volksvereinen. Unsere Staatsmänner hüten sich, von ihren Absichten auch nur andeutend zu sprechen, weil sie nicht wissen, ob sie Mehrheiten finden werden, mit denen sie sie ausführen können. Auf diesem Gebiete, meinen wir, könnten von den englischen Kollegen die Bülow, Posa- dowSky und Hammer st ein etwas lernen. Es wäre wirklich an der Zeit, daß wir wenigstens einen Versuch wahrnähmen, durch frisches HinauStreten vor die Oeffentlichkeit Mehrheiten für große Ziele zu gewinnen. Es macht sich in allen Schichten des nationalen Bürgertums, je länger wir ihn entbehren, um so lebhafter bemerkbar die Sehnsucht nach dem für wahr haft vaterländische Arbeit werbenden StaatSmanne. Deutsches Reich. --- Berlin, 10. Oktober. (Herr Wacker und die badischen Wahlen.) Die Auslassungen deS Geistlichen Rats Wacker auf der Landesver sammlung der badischen ZentrumSpartn über die volitische Lage und die LandtagSwablen sind zweifellos von besonderem Interesse, denn wenn auck Herr Wacker kein Mandat mehr annehmen will, so ist e» doch noch immer der Führer und die be deutendste Persönlichkeit unter den Zentrumsleuten Badens. Einigermaßen verwundern muß e» freilich, wenn einer sobedeu- tendeu politischen Persönlichkeit der Irrtum unterlaufen kann — wir folgen dem Referate der „Kölnischen VolkSztg."— die Bestrebung des Zentrums gälte dem Ziele, die national liberale Mehrheit zu beseitigen. Dieses Ziel braucht nicht mehr angestrebt zu werden, denn die nationalliberale Mehrheit besteht schon seit geraumer Zeit nicht mehr und die Nationalliberalen haben im letzten Landtage noch nicht ganz zwei Fünftel der Landtagsmandate inne gehabt. Wäre aber das Referat der „Kölnischen VolkSztg." ungenau und hätte Herr Wacker gesagt, das Zentrum müsse die Möglichkeit einer nationalliberalen Mehrheit im nächsten Landtage verhindern, so wäre auch dies wider sinnig, denn um diese Mehrheit zu erzielen, müßten die Nationalliberalen nicht nur sämtliche dreizehn Mandate, die sie zu verteidigen haben, behaupten, sondern noch acht neue einzugewinnen, was nach Lage der Dinge ganz aus geschlossen ist. Herrn Wackers Aeußerung kann vielmehr nur den Sinn und Zweck gehabt haben, von vornherein eine Entschuldigung für freundschaftliches Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie zu haben. Herr Wacker erklärte näm- lich: „Wo daS Zentrum nichts für sich erreichen kann, ist jedenfalls ein nationalliberaler Wahlsieg zu vereiteln. Bei einem Wahlkampfe zwischen Nationallrberalen und Sozialdemokraten stehen wir selbstverständlich „Gewehr bei Fuß". Ob eS bei dem „Gewehr bei Fuß" bleiben wird, ist nach dem dieser Erklärung vorauf gehenden Satze zu bezweifeln, denn wenn man dort, wo man nicht selbst siegen, aber vielleicht die Entschei dung geben kann, „jedenfalls" einen nationalliberalen Wahlsieg „vereiteln" will, so genügt eS gegebenen Falles nicht, „Gewehr bei Fuß" dazustehen, sondern man muß noch ein bißchen zu gunsten der Sozialdemokraten nach helfen. Das badische Zentrum hat ja auch schon wiederholt der Sozialdemokratie seine wohlwollende Gesinnung be- wiesen, und wenn Herr Wacker dem Großherzog den Vorwurf macht, daß seit 1876 die Leitung der Politik in der Hauptsache bei ihm ruhe und daß die National liberalen sich rühmen könnten, an dieser höchsten Stelle ihren Rückhalt zu haben, so wird die seit einem Jahrzehnt bestehende Intimität zwischen dem Zentrum und der Sozialdemokratie den Großherzog gewiß nicht haben bestimmen können, den Nationalliberalcn sein Woklwollen zu entziehen und eS dem Zentrum zuzuweuden; hat doch das Zentrum zweimal die Landeshauptstadt den Sozial demokraten in die Hände gespielt, was dem Landesherrn selbstverständlich unerfreulich sein mußte. Im übrigen kann man Herrn Wacker für seine Erklärung, daß der Großherzog in seinen Empfindungen den Nationalliberalen nahe stehe, nur dankbar sein. Eö hätte den Nationalliberalen vielleicht nicht gut an gestanden, sich selbst darauf zu berufen, aber sie können sich la nunmehr auf das Zeugnis des Herrn Wacker berufen. Und da wohl auch ein sehr großer Teil der katholischen Wähler Badens zugeben wird, daß der Großherzog von Baden nicht nur eurer der sympathischsten, sondern auch einer der bedeutendsten Herrscher Deutschlands ist und daß Baden unter seiner Herrschaft ein kräftiges Stück vorwärts ge kommen ist, so kann es doch auch um die Leistungen der Partei, der das Wohlwollen eines solchen Herrschers gehört, nicht so übel bestellt sein. 6». Vertin, 10. Oktober. (Friede im Gottesdienst!) Auf der letzte» Jahresversammlung der südwestdeutschen Konferenz für innere Mission hat Pfarrer Wahl auseinander gesetzt, wie sehr dem kirchlichen Gefühl der Landgemeinden und dem inneren Leben der Städter gedient werden könnte, wenn eS Sitte oder Mode würde, auf Sonntags ausflügen im ersten besten Dorfe am Gottes dienste teilzunehmen. Die „Christliche Welt" steht dieser Anregung sympathisch gegenüber, zeigt aber in einer Zuschrift von I. Smend die Kehrseite der Sache. Smend berichtet nämlich von den Erfahrungen, die er unter ähnlichen Verhältnissen, wie die eingangs erwähnten, machen mußte. Da predigte z. B. an der Nordsee der OrtS- pfarrer über den Text: Pharisäer und Zöller im Tempel. Im Verlauf der Predigt fühlte sich der Pfarrer zu der Be hauptung gedrungen, der Pharisäer „stehe noch immer turm hoch über denen, die von der modernen Theologie irregeführt werden": „glaubt er doch noch an einen Gott, hält er sich doch noch zu Gottes Wort". Smend deutet auf Grund solcher Erfahrungen darauf hin, daß gebildeten Städtern durch Pre digten der gedachten Art der Besuch deS Gottesdienstes auf dem Lande sehr leicht verleidet werde; theologische Fragen gehörten vor ein ganz anderes Forum, außerdem werde durch das Eingehen auf jene Probleme der evangelischen Gemeinde die einzige Stunde der Erhebung und des Frieden« ver dorben, die ihr als Gesamtheit im Wochenlaufe beschieden sei. Wer die moderne Theologie bekämpfen wolle, der möge seine Meinung dort sagen, wo man ihm dienen könne : aus der Kanzel gebe es andere Dinge zu sagen, und der Eindruck des verkündeten Wortes werde um so ttefer sein, je sachlicher und positiver das Zeugnis ist. * vcrttn, 10. Oktober. (Die Konservativen und der Reichskanzler.) In den letzten Tagen ist wieder viel die Rede davon gewesen, daß gegen den Reichskanzler und Ministerpräsidenten Grafen Bülow Ränke gesponnen werden, um ihn au« seiner Stellung zu entfernen, und zwar wurde der Vorwurf der Ministerstürzerei gegen die Konservativen erhoben. Daß an diesen Mitteilungen etwa» Wahres ist, kann nicht bestritten werden; auch die „Kreuzztg." bat zugeben müssen, daß in agrarischen und konservativen Blättern der Wunsch uach einem Wechsel im Reichskanzleramt laut geworden ist. Das führende konservative Blatt hatte diese Machenschaften aber damit ab geschüttelt, daß eS erklärte, die Partei habe nicht« damit zu tun, wie sie es überhaupt ablehne, daS Recht der Krone, sich ihre Ratgeber zu wählen, irgendwie anzutasten. Allein das Eingeständnis, daß auch konservative Kreise an der Ministerstürzerei beteiligt seien, ist doch sehr wertvoll; es deutet darauf hin, daß sich nicht alle Mitglieder an diesen angeblichen Grundsatz der Partei kehren, sondern auf eigene Faust Politik zu machen suchen, noch dazu in einer Form, die den führenden Herrschaften nicht gefällt. Wo diese Kreise zu finden find, ist nicht schwer zu sagen; e« ist einmal jene Richtung unter den Konservativen, die sich mehr au die Agrarier, al» an die alte Partei anzu lehnen sucht, dann gehören aber auch dazu die Politiker, deren Anschauungen durch den hiesigen „Reichsboten" vertreten werden. Wiederholt hat sich daS Pastorenblatt in der letzten Zeit auffällig an dem Grafen Bülow gerieben: auch jetzt spricht e« wieder spöttisch von der „Wilhelmstraße", genau wie seit einer Reihe von Monaten, wo eS nicht nur an der inneren, sondern auch an der auswärtigen Politik deS Grafen Bülow allerlei aus zusetzen hatte. Der „Reichsbote" ist aber wenigstens aufrichtig genug, um offen zu sagen, daß sein Vorgehen auf den Sturz des Reichskanzlers abzielt, denn er erklärt, ein ehrlicher kon servativer, königstreuer Mann müsse eS doch für seine Pflicht halten, es herauSzusagen, wenn er die Minister auf falschen Wegen sehe — auch auf die Gefahr hin, daß die Minister das als einen Versuch, sie zu stürzen, ansehen. Aeußerlich genommen, hat die „Kreuzzta." vielleicht Recht, wenn sie bemerkt, daß die Ministerstürzer nur in solchen Kreisen sich befänden, die zuweilen abseits der Partei sich bewegen. ES ist richtig, daß der „Reichsbote", auf den sie damit hinzielt, kein eigentliches Parteiorgan ist; aber eS ist doch bekannt genug, daß dieses Blatt in orthodoxen und hochkonservativen Kreisen fast mehr Ansehen genießt, als die „Kreuzztg." selbst. Und diese wird doch gewiß nicht den Abg. v. Kröcher als ein einflußreiches und hervorragendes Parteimitglied zurückweisen wollen, der wieder holt der Sehnsucht nach dem „starken Mann" Ausdruck ver liehen hat. So ganz unschuldig ist also die konservative Partei nicht, wenn man gegen sie den Vorwurf der Minister stürzerei erhebt. Da« Recht der Kritik an den politischen Maßnahmen der Minister wird man ihr selbstverständlich nicht verschränken wollen, aber eS kommt doch sehr darauf an, in welcher Form und in welcher Absicht diese Kritik geübt wird. * Berlin, 10. Oktober. lEin neueS „Sozialiften- gese tz") Die „Germania" beleuchtet das Wesen des Streites im sozialdemokratischen Lager mit dem folgenden ironischen Hinweise: „Ein neues Sozialistengesetz ist, wie wir aus zuverlässiger Quelle mitteilen können, bereit» beschlossene Sache. Es handelt sich bei diesem Beschluß allerdings nicht um einen pavagraphierten Gesetzentwurf, -sondern vorläufig Um/«ine Festlegung der Girundzüge eine« nauen SoziakisttngeLetzeS. Der Beschluß, der von der zuständigen Instanz am IS. Sep tember gefaßt worden ist, ist inzwischen weiter verfolgt worden. Es handelt sich bei diesem neuen Sozialistengesetze im wesent lichen um eine Bekämpfung des Umsturzes der bestehenden Ordnung. Zu diesem Zwecke soll eine weitgehend« Beschränkung der Freiheit, insbesondere ein« Be schränkung der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift, eintreten; auch ist wiederum eine Expatriierung al» Strafe für Vergehen gegen die Ordnung, wodurch jeder gefährlich oder mißliebig gewordene Sozialdemokrat unschädlich gemacht wer den kann, vorgesehen, womit zugleich eine Jnfamieerklärung verbunden ist. — Sollten diese unsere Mitteilungen von irgend einer tzcite in Zweifel gezogen werden, so sind wir erbötig, den Beweis dafür sogleich anzutreten: LS handelt sich bei dem neuen Sozialistengesetze, wie wir etwaigen irrigen Ver mutungen gegenüber sogleich bemerken wollen, nicht um eine Vorlage der Reichsregierung, auch nicht um einen Beschluß irgend einer Reichs- oder Staatsbehörde, sondern um den Beschluß des Dresdener Parteitage» vom 19. September gegen die umstürzlerischen Bestrebungen derRe - visionismus, ein Beschluß, der die vorhin von uns an gegebenen Grundzüge eine» neuenSozialistengesetzes von Sozialisten gegen Sozialisten in sich schließt. Bekanntlich ist ja auf dem Parteitage in Dresden in den De batten und in der Resolution Bebel-Kautsky-Singer der Re visionismus nicht anders als «in Umsturz gegen die bestehende Ordnung und als gemeingefährliche Bestrebungen gegen die Grundlagen der Sozialdemokratie bewachtet und parteigesetz lich verboten worden. Um diesen Umsturzbestrebungen der; Revisionisten entgegenzutreten, ist auch der „Maulkorbzwang" deS alten Sozialistengesetzes nicht verschmäht worden. Einer weitgehenden Beschränkung der Freiheit, insbesondere einer Beschränkung der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift, sollen die sozialdemokratischen Redakteure unter worfen werden. Anhänger revisionistischer Bestrebungen gegen die Grundlagen der orthodoxen Sozialdemokratie werden, wenn sie in Wort oder Schrift zu revisionistischen Anschauungen sick bekennen, expatriiert, d. h. au» der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen, wa» natürlich mit einer Jnfamieerklärung in den Augen aller ZukunftsstaatSgenoffen identisch ist. von einer Verhängung von Zuchthaus- und Gefängnis strafen hat man einstweilen absehen müssen, da der Zukunftsstaat zur Zeit noch nicht im Besitze der Exekutive ist und über die bestehenden JnternierungSanstaltcn nicht ver fügen kann. Statt besten ist aber, nach dem Vorgänge im 3. Berliner Wahlkreise, die Anwendung der Prügel strafe in Aussicht genommen. ES gibt auch noch andere „gemeingefährliche" Bestrebungen gegen die bestehende Ordnung und gegen die Grundlagen der marxistischen Sozial demokratie, die auch vop dem neuen Sozialistengesetze ge troffen werden sollen. So soll z. B. nicht nur die Mit arbeit an bürgerlichen Blättern, sondern auch der Verkehr mit bürgerlichen Personen ver boten werden. In dieser Beziehung sollen jedoch Unterschiede gemacht werden, wie da» früher auch der Fall gewesen ist. Die „Donnerstagssymposien" der Revisionisten bei Harden fallen z. B. unter daS neue Sozialistengesetz, di« Diner» und Souper, der marxistischen Ober. genossenbeiDressel aber nicht. Da, sonst alle» noch als revisionistischer Umsturz der bestehenden marxistischen Ord- nung und al» gemeingefährlich» Bestrebungen de» Revisioni». mu» pr bestrafen wäre, lehren di» Verhandlungen de» »«»,
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