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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031015021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-15
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung ./t 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 526 Donnerstag den 15. Oktober 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Oktober Niedergang des politischen Lebens. Nachdem die Ergebnisse der Stichwahlen zum Reichs tage bekannt geworden waren, schrieben wir am 26. Juni an dieser Stelle: „Im Königreich Sachsen sind bis auf den Bautzener Wahlkreis al 1 ean di« Svzial- demokrati« verloren gegangen. Selbst unser Leipzig, das so lange die vergebens von der Umsturz partei bedrängte Hochburg des Nationalismus und ge mäßigten Liberalismus war! Und lvas das Betrübcndste und Niederdrückendste gerade an dieser Niederlage ist: sie ist nicht auf ein natürliches Anwachsen der Sozialdemo kratie zurückzuführen, sondern auf einen Abfall bürger licher Gruppen, die keineswegs sozialdemokratisch gesinnt sind, sondern durch die Unterstützung des sozialdemokrati schen Kandidaten lediglich ihrer Mißstimmung über den Gang der Reichsvolitik, wie über Vorkommnisse vor der Hauptwahl Ausdruck aebcn wollten. Als ob Mißstimmung überhaupt maßgebend bei einer solchen Entscheidung sein dürfte! Mißstimmung ist es jedenfalls auch im Frei berger Wahlkreise gewesen, was dem Sozialdemokraten den Sieg verschafft hat. ... Bessere politische Schulung Hütte wie in Leipzig, so auch im Freiberger Kreise sicherlich zu günstigeren Resultaten geführt. Aber freilich, woher soll die politische Schulung kommen bei der Schlafmützigkeit, die in der Pflege des politi schen Bereinslebens der bürgerlichen Parteien in Lachsen seit Jahren eingerissen ist? Neue Vereine aller Art schießen wie Pilze aus der Erde und erfreuen sich sorg fältiger Pflege und einer gewissen Blüte. Aber in den politischen Vereinen, wo solche überhaupt bestehen, herrscht fast durchweg eine fast unglaubliche Ocde. Und wenn die Vorstände sich noch so sehr bemühen, den Mitgliedern Belehrendes und Anregendes zu bieten: der Besuch der Versammlungen bleibt weit hinter dem zurück, dessen die Borträge irgend eines mittelmäßigen Rhetors sich zu erfreuen haben." An diese Auslassung werden wir heute erinnert durch die Berichte über "die gestern im großen Saale des Zentral-Theaters von dem Gründer und Leiter der Heilsarmee, „General" Booth , ver anstaltete Schaustellung. Sie hatte eine mächtige Zugkraft ausgeübt, eine mächtigere jedenfalls, als die Ankündigung ausgeübt haben würde, daß eines der hervorragendsten nationalen Mitglieder des deutschen Reichstags oder der sächsischen Zweiten Kammer Uber die wich tigsten Aufgaben -der bevorstehenden Reichstagssession oder über die sächsische Wahlreform zu sprechen gedächte. Nichts kann den Niedergang unseres politischen Lebens so drastisch illustrieren, als die Tatsache, daß in Leipzig ein Booth bei seiner Werbung für die Heilsarmee ein ungleich größeres Auditorium um sich versammelt, als der bewährteste politische Redner herbeilocken würde, um ihm sein« Ansichten über die wichtigsten Angelegenheiten des Reiches und des enaeren Vaterlandes darzulegen. Sicherlich sind unter den Zuhörern des „Generals" sogar solche gewesen, die bei der letzten Wahl zur sächsischen Zweiten Kammer den Weg zum Wahllokale für zu weit und zu beschwerlich hielten. Allerdings mag gar manchen dieser Zuhörer lediglich die Neugier und nicht ein tieferes Interesse an der Heilsarmee zum Besuche -er gestrigen Schaustellung veranlaßt haben. Aber das macht die Sache eher schlimmer als besser. Wirkt sogar die Neugier mäch tiger auf weite Kreise, als die Pflicht des Reichs- und Staatsbürgers, so sind die Aussichten in die politische Zu kunft sehr trübe — es müßte denn sein, daß die nationalen Parteien sich entschlössen, für ihre Versammlungen den „General" Booth und seine „Stabsoffiziere" zu engagie ren, oder vorher einen Umzug mit Bären, Affen und Kamelen zu veranstalten und zum Schluffe die Verteilung von Sensationsbroschüren zu versprechen. „Agitations - Kalender". Der allezeit muntere „Genosse" Ignaz Auer hat vor kurzem den revisionistischen und den rechtgläubigen Sozialdemokraten begütigend zugerufen: Wenn mir nach der Eröffnung des Reichstages die praktische Agi- tationsarbeit durch die Stellung von Anträgen wieder aufnehmcn, werden wir Sozialdemokraten alle samt einig sein und geschlossen -diese agitatorischen Be strebungen unterstützen. Der „Vorwärts" will offenbar so lange nicht warten) er hält augenscheinlich schon jetzt für nötig, durch Agitation in des Wortes verwegenster Bedeutung die mit dem Dresdener Schlacht feste noch immer intensiv beschäftigten „Genossen" auf andere Gedanken zu bringen, und so veröffentlicht er heute einen „Agitations-Kalender" auf die Monate Juli, August und September. Wenn das sozial demokratische Zcntralorgan die Erfahrungen der letzten Reichstagswahl als bestimmend für die Zusammenstellung dieses Kalenders anführt, so mögen ihm die naiven „Ge nossen" glauben, die „zielbewutzten" werden ganz genau wissen, weshalb diese Katze aus dem Sacke gelassen wird. Daß ein« sozialdemokratische Agitationsschrift lediglich darauf zugeschnitten ist, sozialdemokratischen Partei zwecken zu dienen, bedarf keiner Erwägung. Erstaunlich aber ist, mit welcher Unbefangenheit der „Agitations- Kalender" dem vorwärts" selbst Vorkommnisse zu gute schreibt, die herbeigeführt zu haben in ungleich höherem Maße -das Verdienst ganz anderer Organe ist. In dieser Beziehung heißt cs in dem „Agitations-Kalender" unter dem 25. Juli: „Unter dem Eindrücke der heftigen Kritik, die die Haltung der Regierung zur schlesischenHoch- wasserkatastrophe seit der Stellungnahme des „Vorwärts" in weiten Kreisen gefunden hat, be schließt ein eilig zusammenberufener preußischer Minister rat, für Schlesien einen Kredit von 10 Millionen Mark flüssig zu machen." — Eine derartige Selbstbeweih räucherung kann nur darauf spekulieren, daß die scharfe Kritik, die unter dem Vorantritte der „Schlesischen Ztg." von -en angesehensten nationalen Blättern an der Saumseligkeit der Regierung von Anfang an geübt wurde, den Lesern des „Agitations-Kalenders" unbekannt geblieben ist. Geleitet von derselben Spekulation, be handelt der ,/Agitations-Kalender" die S o l d a t e n m i ß- handlungen, das Urteil gegen Hützner, den Fall Arenberg in Hannover uiw. An allen derartigen Fällen hat auch die bürgerliche Press« mit wenigen Ausnahmen die notwendige Kritik geübt. Aber die Masse der „Genossen" weiß ja davon nichts, die führenden „Ge noßen" wissen es besser, stellen sich jedoch so, als ob sie es nicht besser wüßten, und deshalb kann der „Agitations- Kalender" getrost dem Anscheine dienen, daß nur die Sozialdemokratie für Recht und Billigkeit eintrcte. Der König von Italien in Paris. Die Begrüßung des Königs durch den Präsi denten im Elysse war überaus herzlich. Beide schüttelten einander die Hand und auch die Königin reichte Madame Loubet die Hand. Die Unterhaltung der beiden Staatsoberhäupter währte etwa 25 Minuten, nach welcher Zeit die hohen Gäste, von Loubet zum Wagen geleitet, das Elysse verließen. Bei dem Dinerim Ely säe bracht« Präsident Loubet folgenden, von allen An wesenden stehend angehörten Trinkspruch aus: „Sire! Frankveich ist! sich der Bedeutung des Besuches, den Eure Majestät dem Präsidenten der Republik macht, bewußt; es sieht in diesem Besuche eine glänzende Kund gebung des engen Einvernehmens, das zwischen den Regierungen Italiens und Frankreichs hergestellt ist und das in gleicher Weise den Gefühlen und den Interessen des italienischen wie des französischen Volkes entspricht. In der Gewißheit, daß beide Länder hinfort mit gegensei tigem Vertrauen und mit demselben guten Wil len ihre nationale Aufgabe verfolgen können, begrüßt Frankreich mit aufrichtiger, durch die huldreiche Anwesenheit Ihrer Majestät der Königin noch verdoppelter Freude die Ankunft Eurer Majestät. Von ganzem Herzen erhebe ich im Namen Frankreichs und seiner Regierung mein Glas zu Ehren Eurer Majestät und trinke auf den Ruhm ihrer Re gierung, auf Ihr Wohl, wie auf das Wohl Ihrer Majestät der Königin, Ihrer Majestät der Königin-Mutter, und der ganzen Königlichen Familie und auf die Größe und die Wöhlfahrt Italiens." Der König von Italien antwortete mit folgendem Trinkspruch, der gleichfalls stehend «»gehört wurde: „Herr Präsident! Die so liebenswürdigen Worte, die Sie soeben an mich gerichtet haben, erhöhen die lebhafte Ge nugtuung, die ich in diesem Augenblicke empfinde. Der enthusiastische Empfang, den die Stadt Paris und das gesamte Frankreich der Königin und mir bereitet haben, hat uns tief gerührt. Wie Sie, Herr Präsident, sehe ich in einem solchen Empfang etwas mehr als eine einfache Kundgebung dieser ausgesuchten Höflichkeit, die eine der traditionellen Eigenschaften der edlen französischen Nation ist. Mit Recht sieht Frankreich meine Gegenwart in Paris als ein natürliches Ergebnis des zwischen unseren beiden Ländern glücklich voll endeten Werkes der Annäherung an. Die Interessen Italiens gehen dahin, daß es mit allen seinen Kräften die Erhaltung be's Frtodems 'wünffcht, und seine Stellung in Europa seht es in die Lage, durch seine Haltung zur Verwirklichung dieses in hohem Grade der Civilisation dienenden Ergebnisses beizutragen. Nach diesem Ziele richten sich meine heißesten Bestrebungen ebenso wie die beständigen Bemühungen meiner Regierung. Ich weiß, daß meine Gefühle von Frankreich und von der Regierung der Republik geteilt werden; ich bin daher doppelt glücklich, mich heute auf französischem Boden zu befinden, glücklich über die Herzlichkeit, die man der Königin und mir bezeigt, glücklich, mein Glas auf Ihre Gesundheit, Herr Präsident, und auf die Größe und Wohlfahrt Frankreichs zu erheben." Nach dem Trinkspruch« des Präsidenten der Republik spielte die Musik der Garde röpublicaine den italienischen Königsmarsch, nach dem des Königs die Marseillaise. — Die italienischen Blätter geben ihrer Freude über den glänzenden Empfang Ausdruck. (Weitere Mit teilungen finden sich unter Frankreich,) Sozialisten, Anarchisten und Kaiser Niklolans. Ueberall dauern in den italienischen Städten die Pro testerklärungen der Sozialisten und Anarchisten wegen des Zarenbesuchs noch fort, obgleich ja der Zar seine Reise aufgegeben hat. Bei näherer Betrachtung dieser Demon strationen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die russi - sch en nihilistischen Elemente hinter ihren italienischen Genoss en st eh en. Das mutzte der russischen Polizei bekannt werden: wie weit die Be ziehungen reichen, entzieht sich ja der Oefsentlichkeit; aber sie sind sehr intim geworden. Daß der nihilistische An archismus leider auch Personen in seinen Bann gezogen hat, die dem Hofe gar nicht so fern stehen, kann wohl nicht mehr bestritten werden. Reisen -er russischen Nihilisten im Auvlande darf man niemals als harmlos betrachten und die russisch-polnischen Anarchisten und Sozialisten sind sehr viel unterwegs gewesen. In der Schweiz, in Lon don haben diese revolutionären und verbreche rischen Jn-ividuen ans dem Osten Europas mit Vorliebe Italiener als Freunde und Bekannte ausgesucht: wenn nun die ita ¬ lienischen Sozialisten unausgesetzt gegen -en Zaren Hetzen und wüten, so mutzten sich die Personen, welche für die Sicherheit des Zaren die Verantwortung tragen, doch sicherlich die Frage vorleaen. ob bet aller Anwendung von Vorsichtsmaßregeln die Garantie für di« voll ständige Fern Haltung verbrecherischer Schurken gegeben sei. Man kann doch auch die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß säst alle anarchiski- schen Attentäter der letzten Zeit Italiener gewesen sind. Selbst die Kaiserin Elisabeth verblutete unter dem Dolchstich eines Italieners. — Der „Italic" zufolge hatte Botschafter Ne lidoff gestern mit dem Generalsekre tär im Auswärtigen Amt. Malvano, ein« Besprechung, betreffend die "Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Reise des Kaisers Nikolaus nach Rom. — Der Deputierte Donati reichte gestern in der Kammer eine Interpellation an den Minister Morin ein über die Gründe, welche den Aufschub der Reis« des Kaisers von Rußland, di« bereits amtlich angekündigt war, ver anlaßten. Rußland im fernen Osten. Ohne auf den ergrimmten japanische!» Nachbar Rück sicht zu nehmen oder gar die unverhüllten Drohungen Englands zu beachtan, geht Rußland den einmal in seiner ostasiatischen Politik cingeschlagenen Weg Schritt für Schritt weiter. Nachdem es durch Verbleiben in dec Mandschurei über den 8. Oktober hinaus, durch Heran- ziehung starker Truppenmaffen, durch den Bau von Häfen, Werften und Trockendocks in Port Arthur, Wladiwostok und Dalny, endlich durch die Mission des russischen Ober befehlshabers in Ostasicn an die japanische Regierung zu Feuilleton. Das neue Modell. 13j Roman von Paul Oskar Hücker. v-actwrua verboten Erst gegen Abend zog «r sich an. Auf seinem Schreib tische lag etwas Korrespondenz, die die Bedienung, wäh rend «r im Schlaf« lag, dort niedergelegt hatte. Außer gleichgültigen Drucksachen aus Deutschland hatte die Post ein Billett von Marion gebracht. „Lieber Freund", schrieb sie, „ich bin sehr traurig, daß ich Sie soeben nicht aus der Rennbahn begrüßen durfte. Das System ,-Donat" — dem George nunmehr offiziell den Namen „Bkarion" gegeben hat, wohl auf Ihren Wunsch? — hat Sensation erregt. Sie dürfen sich den Ovationen nicht entziehen. Kommen Sie morgen auf alle Fälle. Und nicht nur dieser Ovation wegen. Ich habe Ihnen viel, viel zu sagen. Am besten. Sie holen mich mittags von hier aus der Wohnung ab. Ich bin da ganz allein. Abreisen lasse ich Die nicht, mein trotziger, kleiner Barbar. Am 2. Februar geben wir hier bei uns ein Fest. Es ist mein Namenstag. Außerdem soll meine Namens- vetterin, der Stolz der Firma Capitant, gefeiert werden. Sie werden mir die Freude machen, dabei mein liebster, verwöhntester, bevorzugtester Gast zu sein, nicht wahr? Richten Tie «s mit Ihrem abscheulichen Soldatcndicnst ein, wie Sic wollen. Aber lassen Die mich an meinem Festtage im Stich — so sind wir Freunde gewesen. Seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrer auf Ihre Entscheidung sehr, sehr neugierigen Marion." Das Herz schlug ihm fast hörbar, während er diese Zeilen überflog. Und dann überlegt« er wieder. Uebermorgen war der letzte Januar, er hätte an diesem Tage spätestens mittags abreisen müssen, um sich am 1. Februar früh beim Bataillonskommandeur und seinem Kompagniechef zurück- zumelüen. Was könnt« er zum Vorwande nehmen, um einen Nach, urlaub — wenigstens für ein paar Tage — zu erlangen? Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Er setzte sofort ein formelles Gesuch auf und erbat sich die Antwort tele graphisch. Andern Tags fand er sich zur verabredeten Stunde bei Marion ein. Siebentes Kapitel. Es war ein Fest großen Stils, das Capitants für den 2. Februar planten. Zum ersten Male hofften sie eine Reihe einflußreicher Sportsleute aus den Kreisen der Finanz- und Geburts aristokratie bei sich zu leben. Marion war schöner, gewinnender, übermütiger, denn je. Sogar ihrem Manne, den sonst das aufreibende Ge schäftsleben, das Hasten und Jagen seines Werktages nur selten zum vollen Genuß eines Festes kommen ließ, fiel es auf, wie strahlend feine Frau sich in ihren glänzend ausgestatteten Salons ausnahm. Auch ihr« neue "Toilette mußte ihr« Wirkung tun. Sie wollte an diesem Abend nicht durch prätentiöse Farben aufsallen, da sie die Gastgeberin war. Sie hatte daher eine langsließendc Toilette von schwarzem gouffrir- tem Crepe de Chine gewählt. Die Einsätze bestanden aus einem kunstvollen und zarten Gewebe von Chantilly spitzen. Das ganze Kleid war auf weißen Seidcntaffet gearbeitet. Der tiefe, namentlich im Rücken tiefe Aus schnitt hob sich von dem schleierartigen schwarzen Seiden krepp und dem feinen Spitzengewirre, aus dem hier und dort gleich Tauperlen ein L jonr gefaßter Brillant leuchtete, besonders pikant und wirkungsvoll ab. Ihr Hals, ihre Schultern, ihre Arme und ihre Büste hatte die erste junge Fraucnreife — ihr Gesicht, ihr schlanker, anmutiger Körper, dessen edle Linien sich durch die mattschimmernde, in weichen Falten hinabfließende Seide abhoben, er schienen noch durchaus mädchenhaft. Dagegen kam Liselotte natürlich nicht auf. Allein apart wirkte sie in ihrer graziösen Toilette gleichfalls. Deren Karbe war jenes neu in Mode gekommene bleu clektrik, das ihren etwas blassen Teint wirkungsvoll hob; besonders durch den im Sezessionsstil bestickten Goldkragcn, der den mit gleichfarbigem Seidenkrcpp verhüllten Aus schnitt abschloß. Liselotte hatte wenig Stimmung für das rauschende Fest, besten Vorbereitungen in den letzten beiden Tagen das ganze Haus durchcivianderbrachten. Sic kannte die wenigsten der Geladenen — es war dies eine ganz andere Welt. Am liebsten hätte sie sich davon ausgeschlossen. Denn cs kam hinzu, daß der letzte Brief der Mutter wieder recht trübe gelautet hatte. Sic machte sich nun bittere Vorwürfe, daß sic hcrgckommcn war, und nahm sich vor, gleich nach dem Feste abzureisen. Künstlerisch hatte sie in diesem Vierteljahre eine ganze Menge gelernt. Mehr als sie selbst gehofft hatte. Andere — kaum eingestandene Erwartungen freilich hatten sich nicht erfüllt. Die Erinnerung daran rief in Liselotte eine gewisse Wehmut wach. Sie hatte sich seiner Zeit so innig auf das Wiedersehen mit Donat gefreut gehabt. Aber zu der ehrlichen Freund- schäft, die sie sich in stillen Träumen und Ahnungen auSge- malt hatte, war cs doch nicht gekommen. Sie kannte auch den Grund. Oder glaubte ihn zu kennen. Marion hatte den talentvollen und begeisterten jungen Deutschen vor ihrem Triumphwagen haben wollen — und Hans Donat hatte sich fast willenlos von ihren Launen abhängig gemacht. Anfangs hatte sic Marions skrupellose Gefallsucht ge radezu entsetzt. Dann sah sie jedoch mehr und mehr ein, daß Marion alle diese Huldigungen, die ihr dargebracht wurden, selbst nicht ernst nahm. Einen großen Schreck aber jagte ihr einen Tag vor dem Feste ein Gespräch Marions mit Hans Donat ein. Er hatte sich zu etwas ungewöhnlicher Zeit, zu der sie an anderen Tagen auf dem Konservatoire weilte, melden lasten. Sie waren beide leicht betroffen, als sie uner wartet eintrat, ließen sich es aber nicht merken. „Ich fürchtete schon, Sie würden Paris vor morgen Abend verkästen müssen und könnten das Fest nicht mehr mitmachen" sagte sie zögernd zu Donat. Es gab eine klein« Pause. Marion beobachtete ihn fortgesetzt. Es lag etwas nervös Gereiztes in ihrem ganzen Wesen. „Ich war im letzten Augenblick noch rasch um Nach urlaub eingckommen, hauptsächlich des Festes wegen, aber man hat mein Gesuch leider abschlägig beschicken, mein Urlaub ist schon gestern abend abgelaufen." „O", entfuhr es Liselotte in ziemlichem Schreck, „da müßten Sie nun eigentlich schon in der Garnison fein?" Donat bejahte trotzig. Marion hatte in lässigem Spott die Achsel gezuckt. „Daß sich ein preußischer Offizier des furchtbaren Ver brechens schuldig machen kann, einen ganzen Tag zu spät zum Dienst zu kommen — einer unwichtigen kleinen Parsierin wegen, die ihren Namenstag feiert, — das ent hält ja eine ganz allerliebste Tragikomik." Der kurzen, ziemlich gereizten Debatte, die nun folgte, entnahm Lise'.otte, über welchen Vorschlag die beiden kurz vor ihrem Eintritt in Marions Salon debattiert hatten: Marion hatte dem Freund geraten, seinen Abschied zu nehmen und sich dauernd in Paris niederzulasien. Liselotte war äußerst verdutzt über diese ZumM'- die Marion dem jungen O'fizier da stellte — wahrschein lich ohne auch nur entfernt die Konsequenzen zu bedenken, die ein solcher Schritt nach sich ziehen würde. „Befriedigt Sie denn etwa Ihr Beruf?" fragte Ma rion, die in ihrer kapriziösen Weise erregt durchs Zimmer ging, hier und dort stehen blieb, mit den Nippes spielte, einen Blick durchs Fenster warf und dann wieder kokett den Kopf zurückwandte. Donat war selbst noch zu verstimmt und auch zu erregt, als daß er ihr daraufhin seine Auftastung von den mili tärischen Pflichten hätte zu erkennen geben mögen. Er merkte, daß sie es darauf ubsah, ihn zu reizen. Allein ihr Schmollen hatte doch wieder etwas Verführerisches für ihn — etwas, das ihm schmeichelte. Sie war wie ein Kind, dem mdn das Spielzeug weg nehmen wollte. Auf Liselottens Vorhaltungen erwiderte sie trotzig: „Und wenn du nun recht hast — wenn mirs tatsächlich zu allermeist bloß darum zu tun ist, daß Donat an meinem Feste teilnimmt — weil ich mich darauf gefreut habe, weil mir der ganze Festtag gestört ist, wenn Donat fehlt, weil ich ihn hier bei mir haben will — ja will, will, will . . . warum soll ich das nicht eingestehen?" Sie machte ihm danach in ihrer nervösen, hastigen, leichtbegcistcrten Art Vorschläge, wie er sein Leben hier am besten eiurichten könnte. Donat hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ziem lich mittellos war. Seine Eltern, verarnttc Gutsbesitzer im Rheinlande, hatte ihm überhaupt nichts hinterlassen. Von einem Onkel, demselben, der ibn im Kadettenkorps hatte erziehen lasten, war ihm eine kleine Erbschaft zugc- fallen. Die gab ihm aber auch nicht mehr, als einen kleinen Zuschuß zu seiner Gage. „Ich wüßte etwas, lieber Freund, das Sie mit einem Schlage über all die Kleinlichkeiten des Alltags Hinweg setzen würde", sagte Marion plötzlich. Fragend sahen beide sie an. „Sie müßten hier bei uns eintreten — in die Fabrik — als Teilhaber der Firma, als technischer Leiter oder wie Sie wollen, wie es Ihnen paßt." Donat war äußerst überrascht. „Aber ich habe doch
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