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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031016022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
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Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 528. politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Oktober Befähigungsnachweis für das Handwerk. Die am 7. und 8. September in Mainz abgehaltene Hauptversammlung deS Verbandes deutscher Gewerbe vereine hat erneut zu der Frage des obligatorischen Be fähigungsnachweises Stellung genommen. Da die betreffende Besprechung gelegentlich deS Berichtes über das abgelaufene Geschäftsjahr und nicht als besonderer Punkt stattfand, so ist bei der Fülle der im September abgehaltenen Tagungen über diesen Punkt von der Tagespresse kaum Notiz genommen worden. Bei der Stellungnahme einer so kompetenten Körperschaft wie des Verbandes der deutschen Grwerbevereine zu der Frage deS Befähigungsnachweises er scheint es jedoch angebracht, aus dem soeben im „Gewerbe blatt für da- Großherzogtum Hessen" (Nr. 41) erscheinenden offiziellen Berichte der Hauptversammlung noch nachträglich folgenden Abschnitt zur Kenntnis zu bringen: „Auf die in dem Tätigkeitsberichte dargelegte Stellungnahme des Ver- bandSvorstandeS bezüglich des Befähigungsnachweises der Handwerker kam der Vorsitzende besonders zu sprechen. Er erwähnte, daß der Verband deutscher Gewerbevereine zunächst in dieser Frage nicht nötig habe, aufs neue Stellung zu nehmen, da er sich schon früher dahin aus gesprochen habe, daß man an der neuen Gewerbeordnung, oie erst seit einigen Jahren für das Handwerk in Kraft getreten ist, nicht unnützer Weise jetzt schon rütteln solle. Organische Gebilde bedürften naturgemäß eines gewissen Zeitraumes zu einer gesunden Entwickelung, bevor man ein abschließendes Urteil über ihre Lebenskraft fällen könne. Seit Einführung des freiwilligen Befähigungsnachweises der Meisterprüfungen seien noch nicht drei Jahre ins Land ge gangen. Die Beteiligung an diesen Meisterprüfungen sei über Erwarten groß. Der praktische Erfolg lasse sich in der kurzen Spanne von Zeit bis jetzt nicht übersehen. ES werde eine Reihe von Jahren notwendig sein, um beurteilen zu können, ob diese Art des Befähigungsnachweises genügen werde zur fachlichen Kräftigung und sittlichen Hebung des Handwerkerstandes. Dann würden die gewonnenen Er fahrungen lehren, ob und nach welcher Richtung weitere Maßnahmen versucht werden sollten. Der Vorstandsrat des Verbandes deutscher Gewerbevereine stehe aber nach wie vor einstimmig aus dem Standpunkte, daß die Einführung deS obligatorischen Befähigungsnachweises für das Hand werk die Weiterentwickelung des deutschen Handwerks schädigen würde. Diese Ausführungen wurden mit Beifall ausgenommen." Wochcnfahrkarten für Arbeiter. Mit großer Entrüstung über eine angebliche „scharfgemachte" Schalterdame berichtet der „Vorwärts" das Folgende: „Am Billetschalter des Görlitz er Bahnhofes forderte sich am Sonnabend mittag ein Metallarbeiter die übliche Wochen karte. Seltsamerweise erhielt er die Karte nicht ausgehändigt: er wurde vielmehr von der Verkäuferin durch die Frage überrascht, ob er eine Legitimation vorzeigen könne. Obgleich der Metallarbeiter bis dahin noch nie mit solcher Schererei behelligt worden war, zeigte er doch seine Versichern ngskarte vor. Beim Anblick dieser Legitimation rief die Schalterdame triumphierend aus: „Ach, Sie sind ja ein streikender Gürtler, Ihnen gebe ich keine Wochen Freitag den 16. Oktober 1903. 97. Jahrgang. karte, bringen Sie erst eine Bescheinigung von Ihrem Arbeit geber!" Selbstverständlich suchte der Arbeiter die Verkäuferin durch die Antwort zur Raison zu bringen, daß sie sich nicht um die Privatangelegenheiten der Fahrgäste bekümmern und geziemend ihre Pflicht erfüllen solle. Doch die Ver käuferin klappte das Schalterfenster zu und zwang so den Arbeiter, sich an den zuständigen Stationsbeamten zu wenden. Dieser Herr war sehr überrascht, als ihm die Pflichtwidrigkeit der Verkäuferin vorgetragen wurde, und sorgte selbstverständlich dafür, daß der Fahrgast für sein gutes Geld die Karte ausgehändigt erhielt. Wie wir hören, sind noch andere ausständige Metall arbeiter solchen Unziemlichkeiten auSgesetzt gewesen. Wir dürfen wohl annehmen, daß der unternehmerfreundlichen Billetverkäuferin von ihren Vorgesetzten gebührend der Standpunkt klar ge macht wird." In dieser Annahme dürfte sich der „Vorwärts" denn doch wohl täuschen. Auch seine Behauptung, daß die Schalterdame von dem zuständigen Stationsbeamten rektifiziert worden sei, ist schwersich richtig. Und wenn sie richtig sein sollte, so dürfte der Stationsbeamte seinerseits eine Rekti fikation zu gewärtigen haben, denn zweifellos ist die „Post" im Rechte, wenn sie den Fall folgendermaßen beurteilt: „Die Eisenbahnverwaltung gewährt den Arbeitern die Ver günstigung der „Wochenkarten", damit ihnen das Wohnen in den billigeren Vororten Berlins ermöglicht werde, ohne daß die Kosten für die Fahrten nach und von der Arbeitsstätte die Verbilligung des Wohnens auf der Peripherie des Complexes der Reichshaupt stadt zum größten Theile wieder illusorisch machen. Solche Wochen- oder Arbeiterkarten sind nur für Arbeiter be stimmt, nur diesen soll die beträchtliche Fahrpreisermäßigung zu Gute kommen, nicht aber solchen Personen, die zum Privat vergnügen häufig die Bahn benutzen. Wenn daher das Schalter personal einen Nachweis verlangt, daß der Förderer einer Wochen karte auch tatsächlich ein Arbeiter ist, der auf die Bahn benutzung des Erwerbes wegen angewiesen ist, so erscheint das nur als ganz selbstverständlich. Wenn die Vorzeigung eines Aus weises nicht jedesmal verlangt wird, so ist das begreiflich, denn das Schalterpersonal kennt ja bald alle Bezieher von Wochen karten genau genug, um die jedesmalige Legitimierung entbehrlich erscheinen zu lassen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Vorzeigung einer Legitimation jederzeit verlangt werden kann. Im Ausstande befindliche Arbeiter haben nun, so lange der Ausstand dauert, von Rechtswegen keinen Anspruch auf die Verab folgung von Wochenkarten. Sie sind ja gar nicht mehr genötigt, täglich zu ihrer Arbeitsstätte zu fahren. Wenn sie zum Vergnügen oder wegen persönlicher Zwecke nach der Stadt hineinfahren wollen, mögen sie den angemessenen Fahrpreis dafür entrichten." Es wäre, so schließt die „Post", geradezu widersinnig, wenn die Eisenbahnverwaltung ihnen durch erhebliche Preis vergünstigung noch die Möglichkeit erleichtern sollte, als Streikposten auszuziehen und an eventuellen Ausschreitungen gegen Arbeitswillige teilzunehmen. Es wäre wünschenswert, wenn die Bestimmungen über die Arbeiter-Wochenkarten so scharf präzisiert würden, daß derartige widerspruchsvolle Aus- jegungen, wie sie nach der obigen Mitteilung zwischen dem Stationsbeamten und dem Schaltcrpersonal hervorgetreten sind, nicht mehr Vorkommen können und daß auch Arbeiter karten nur zu dem Zwecke ausgegeben werden, für welchen sie bestimmt sind. Französische Verstimmung über den verschobenen Larenbesuch. Die Verschiebung des Zarenbesuches in Rom hat die leitenden Kreise Frankreichs stark verstimmt. DaS zeigt sich auf daS deutlichste in einer ausführlichen Be trachtung des „Journal des Dsbats". Dieses Organ des Herrn Delcasss kleidet zwar seine Verstimmung in das Gewand der Ueberraschung, aber seine Darlegungen selbst beweisen klar, wie sehr dem Quai d'Orsay die Verschiebung der Zarenreisc wider den Strich geht. Es wäre nicht wun derbar, wenn man in Rußland einiges Gewicht auf den Umstand legte, daß das „Journal des Dsbats" auf Kosten des Kaisers Nikolaus den König von England mittelbarund nnmittelbar mit Lobsprüchen bedenkt. Davon ausgehend nämlich, daß auch in Paris Lärmscenen für den Be such König Eduards geplant waren, schreibt daS „Journal deS DöbatS": „Eduard Vll. hat verstanden, wie er jene polternde Minderheit einzuschätzen Halle, und nichts binderte ihn, zu uns zu kommen. Die Ereignisse haben gezeigt, daß er wohl beraten war. Fast kein Mißton wurde während seines Aufenthalts in Paris laut . . . . Alles deutet darauf hin, daß es inRom ebensogewesen wäre, wo der vom „Avanti" und den Sozialisten geführte Feld zug fern davon war, ebenso heftig zu sein wie der, welcher bei uns gegen den Besuch des Königs von England geführt worden ist. Darum kann man sagen, daß der Kaiser von Rußland die italienischen Sozialisten zu ernst nimmt und ihnen zu viel Ehre erweist, wenn er ihretwegen seinen Besuch aufschiebt. Ander seits kann man sich fragen, ob der nach Rom entsandte russische Polizeibeamte sich nicht durch leere Schreckbtlder hat be einflussen lassen." Die Gegenüberstellung deS russischen und des englischen Monarchen ist natürlich um so bemerkenswerter, je größer der Gegensatz zwischen Rußland und England im allgemeinen ist. Das „Journal des Dsbats" begnügt sich jedoch mit dieser Gegenüberstellung nicht, sondern bedauert die Ver schiebung des Zarenbesuches noch aus einem anderen Grunde. Nachdem es von den heute üblich gewordenen Fürstenbesuchen gesagt hat, sie seien nicht einfache Banalitäten, sondern wich tige Akte der internationalen Politik, da sie die Annäherung zwischen den Staaten vorbereiten oder krönen, fährt das „Journal deS DsbatS" fort: „Da jede politische Annäherung zwischen zwei Ländern von anderen Staaten mit Mißgunst betrachtet wird, könnte deren Diplo matie jene Annäherung verhindern, indem sie unter der Hand feind- liche Kundgebungen hervorruft. Mit anderen Worten: durch die Drohung derartiger Kundgebungen sich beeinflussen lassen, läuft auf die Ermunterung industriöser agents Provokateurs hinaus." Um die Wirkung dieses weit ausschauenden, in der Wirk lichkeit recht wenig bedeutenden Gedankens zu erhöhen, liest das Pariser Organ alsdann den italienischen und den wahl verwandten französischen Sozialisten wegen ihrer Verständms- losigkeit für die Erfordernisse der auswärtigen Politik den Text Den Beschluß aber bildet zunächst der Ausdruck der Hoffnung, daß der Zarenbesuch in Italien wenigstens außerhalb Roms bald erfolgen werde. Darauf schreibt das „Journal des Dsbats" endlich: „Auf alle Fälle muß man in Rußland die Begegnung des Ver bündeten Frankreichs mit dem Könige von Italien um so mehr wünschen, als dieser letztere für uns ein be freundeter Souverain ist." — Unbefangener, als es hier geschieht, können französische Wünsche den Russen nicht suggeriert werden. — Es werden jetzt übrigens Stimmen jaut, welche bezweifeln, daß die Besorgnis vor sozialistisch anarchistischen Kundgebungen der wirkliche Grund für daS Fernbleiben des Zaren gewesen ist. Die sozialistischen Agitatoren in Italien haben selbst nicht daran geglaubt, daß der Zar durch solche Erwägungen sich werde fern halten lassen. Man berichtet uns: Rom, 15. Oktober. DaS Turiner Blatt „Moments" veröffent licht ein Interview des sozialistischen Deputierten Morg ari, der die Agitation gegen den Besuch des Kaisers von Rußland eingeleitet hatte. Morgari erklärt, die italienischen Sozialisten hätten eine Vertagung des Besuchs nicht erwartet. Beim russischen Proletariat, nuter welches eine Million Abdrücke seiner Interpellation in der italienischen Deputiertenkammer über den Zarenbesuch in Rom verteilt worden sei, werde, wie er glaube, die Vertagung ein lautes Echo finden. Wenn der Zar Rom besucht hätte, so würden feindliche Kundgebungen von irgend welcher Bedeutung nicht veranstaltet worden sein, da die Sozialisten in Rom eine kleine Minorität bildeten. Sie würden, wenn der Zar nach Rom komme, auf Demonstrationen verzichten, weil sie ihren Zweck nunmehr erreicht hätten. Dem „Giornale d'Jtalia" zufolge tritt der russische Botschafter Nelidow noch immer für den Besuch des Zaren in Rom ein. Den Entschluß desselben, die Reise aufzuschieben, habe er sehr bedauert. Die „Tribuna" sagt, es erhalte sich das Gerücht, daß die Vertagung der Reise auf das Verhalten der russischen Polizei zurückzuführen sei. Deutsches Reich. /?. Berlin, 15. Oktober. (Der Aufklärung bedürftig.) Nach einem Halleschen Blatte soll der Fähnrich Hüßener täglich in Magdeburg nachmittags von 2 Uhr ab in Be gleitung eines Offiziers auf einer der Hauptstraßen spazieren gehen und seine freien Stunden hin und wieder auch in einem Restaurant zubringen. Die Glaubwürdigkeit dieser Meldung wird sogar vom „Vorwärts" bestritten. Wenn das sozial demokratische Zentralorgan gleichwohl eine amtliche Auf klärung für erforderlich hält, so ist ihm darin aus nahmsweise beizupflichten. Schon die Verhängung der ehrenvollen Festungshaft gegen Hüßener hat dre öffent liche Meinung empört. Sollte vollends diese Haft unter Umständen wie die oben erwähnten verbüßt werden, so würden sich die weitesten Kreise geradezu herausgefordert fühlen. Den praktischen Vorteil davon hätte sicher- jich wieder die Sozialdemokratie. Und darum muß den maß gebenden Stellen daran liegen, volle Klarheit über die Art, wie Hüßener seine Strafe verbüßt, zu schaffen. Sind dem Hüßener in Magdeburg wirklich derartige Vergünstigungen zu teil geworden, dann muß der dafür verantwortlichen Stelle von maßgebender Seite klar gemacht werden, daß die Züch tung von Sozialdemokraten nicht ihre Aufgabe ist. Vorläufig ist es nur der „Vorwärts", der in Ermangelung einer be hördlichen Aufklärung auf Grund einer Mitteilung aus Magdeburg die Angabe deS Halleschen Blattes dahrn ein schränkt, daß Hüßener nur in der Haupt-Allee der Citadelle täglich beim Spazierengehen zu beobachten sei und zwar die Uniform, jedoch nicht den Dolch trage. Das sozialdemokratische Zentralorgan fügt dann hinzu, Hüßener darf aus folgendem Grunde „einstweilen" nicht in die Stadt gehen: Auf der Citadelle verbüßt noch ein Fairillrtsii. Das neue Modell. 14j Roman von Paul Oskar Höcker. -ua>l>»u„ »erboten. „Wie stehen wir, mein Freund?^ fragte sie ihn lächelnd, indem sie ihren Arm in den seinen legte, um sich von ihm in die obere Etage führen zu lassen. ,Haben Sie Ihre Entscheidung getroffen?" Er preßte den Arm der schönen Frau leicht an sich. „Ja, Marion", sagte er leise. „Also?" „Ich habe mein Entlassungsgesuch eingereicht." Sie waren auf der obersten Stufe angelangt. Wie unwillkürlich lieb sie den Arm sinken. Tabei berührte ihre Hand für einen Augenblick seine Rechte. „Ich danke Ihnen!" flüsterte sie. Eine einzige Sekunde ruhte ihr Blick auf seinem er regten Gesicht. Dann nickte sie harmlos lächeln- ihrem Gatten zu, der soeben dazustieß. „Mr. Donat ist der unsrige", sagte sie mit trium phierender Miene. Darauf traten sie zu dritt in den Saal ein, in dem sich sämtliche Herren der Tür zuwandten, um sie lebhaft zu begrüßen. * * * Am folgenden Tag verließ Marion ihr Schlafzimmer erst in der Mittagsstunde. Sic war spät hcimgekommen und sie wollte heute abend wieder frisch sein. Sie brauchte ihre ganze Elastizität, denn es hing viel von diesem Abend ab. Mit Staunen hatte sie beim gestrigen Herrendtner bemerkt, wie kühn, aber auch wie sicher ihr Gatte die Fäden nach allen Seiten answars, um das Capitantsche Werk neu zu fundieren. Ihrer Mithülfe verdankte der spekulative Geschäfts mann bereits einen Hauptersolg: Samoissin, der vielfache Millionär, hatte sich bis über beide Ohren in sie ver liebt. Entsprechend der Verabredung mit George hatte sie ihn für heute abend cingcladcn — und Samoifsin hatte angenommen. Dieser Erfolg war freilich mit einer Verstimmung er kauft, die ihr unschuldiger kleiner Flirt mit dem reichen Mann -wischen sie und Donat getragen hatte: Donat hatte bald nach Mitternacht die Gesellschaft verlassen, sich mit einer plötzlichen Abspannung entschuldigend. Den Nachmittag über befand sie sich in großer Er regung. Die Gäste waren auf sieben Uhr gebeten. Tas Fest dauerte voraussichtlich lange, denn nach dem Diner sollte getanzt werden. Tic hauswirtschaftliche Fürsorge für ihre Gäste beun ruhigte sie weiter nicht. Ihr Personal war von früheren Dienststellen her vorzüglich eingeschult. Die Aushülfs- -icrierschaft war durch den Oekonomen instruiert, dem gewöhnlich die Lieferung der größeren Diners von ihr übertragen worden war. An Luxus und Korrektheit standen ihre Salons in keiner Weise denen der ersten Kreise, in denen sie nenerdings verkehrte, nach. Schwierigkeiten bereiteten ihr nur die bet der eigen artigen Zusammensetzung der Gesellschaft und Georges raffinierten Plänen erforderliche Taktik: Da mußte sie dieses Gespräch in Anregung bringen, dort jene An- deutung fallen lassen, hier die Bekanntschaft zwischen diesem und jenem vermitteln, und all diese kleinen Salon intrigen mußten völlig unauffällig -urchgeführt werden, wenn sie ihren Zweck nicht verfehlen sollten. Sie hatte sich die Friseurin und die Vertreterin der Modistin für fünf Uhr bestellt. In ihrem Toilettenzimmer batte bereits die Pracht des neuen Gewandes, das auf der Modellfigur ihrer harrte, die Bewunderung des gesamten weiblichen Personals erregt. Der pompöse Raum, der hernach unter den Ge sellschaftszimmern der Damen mit figuriern sollte, war strahlend erleuchtet. Marion hetzte ihre Jungfer ebenso wie die beiden fremden Angestellten in ihrer Nervosität hin und her. Noch immer fürchtete sie, daß eine der wichtigeren Persönlichkeiten in letzter Stunde absagen könnte. Sic saß mit aufgelöstem Haar vor dem großen vene- tianischen Spiegel. Die Friseurin hatte das leichte Färbemittel, dessen sich die junge Frau bediente, schon am gestrigen Tage sorgsam aufgctragen. Ihr volles Haar besaß nun jenes wundersame Tizianblond, dessen leichter Goldschimmer sich von ihrem herrlichen Teint ebenso wirkungsvoll abhob, wie er mit der schwarzen Cröpe de Ehine-Seide kontrastieren mußte. Der Kamin, in dessen Nähe sie saß, strömte eine so behagliche Wärme aus, daß Marion Len mit Spitzen besetzten Frisiermantel auszog. Sie betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel, beobachtete dabet aber jede Nadel, die die Friseurin bet dem kunstreichen Aufbau verwendete. Es war eine neue Frisur, die Marion versuchen ließ. Alles Haar ward in breitem, leicht getufftem Kranz unter halb -es Wirbels zusammengenommen, so daß es von vorn wie ein schmaler, goldener Rahmen, der hinter ihren Ohren auftauchte, wirkte. Der Scheitel lag in der Mitte; in leicht gelockten Bahnen a la Cleo de Mörode war das Haar rechts und links zurückgerafft. Sie trug keine Ohrringe, ließ aber im Haar selbst zwei Brtllantnadeln anbringcn. Die Friseurin, eine lebhafte kleine Pariserin, die ihren Beruf ebenso vorzüglich verstand, wie sie ihre Kundinnen zu beurteilen wußte, brach von Zeit zu Zeit in einen kurzen Ausruf des Entzückens aus. Gerade hatte die Modistin der schönen jungen Frau das Kleid übergcworfen, als es an die Tür pochte. „Madame — der Fakteur!" meldete daS Stuben mädchen. Sie händigte ihrer Herrin ein paar Postsachen ein, die soeben gekommen waren. An den in Paris üblichen blauen Umschlägen erkannte Marion, daß es Telegramme waren. „Geben Sie her." Sie riß die Couverts auf. „Natürlich noch Absagen!" kam es dabei ungeduldig von ihren Lippen. Ein kleiner Unfall von Mme. Bergerac (wahrscheinlich war die neue Toilette nicht fertig geworden), eine plötz liche Reise von Mr. d'Ajoult. Es waren zum Glück keine allzu wichtigen Persönlichkeiten, die da ausblieben. Tie beiden Depeschenformularc flatterten zu Boden. Sie riß den dritten Umschlag auf, den Inhalt mit noch lächelnder Miene überfliegend. „Der arme Papa heute morgen acht Uhr sanft ent schlummert. Ich erwarte Euch. Eure Mutter." Sie begriff gar nicht, waS das heißen sollte. Es war ihr über all der Hast der letzten Tage ganz entfallen, daß man aus Chatcau-Lanney so trübselige Nachrichten bekommen hatte. Den letzten Bries der Mutter hatte sie Liselotte noch nicht einmal ausgehändigt. Es schien ihr mit einem Male alles rund um sie herum zu schwanken. Sic tastete in die Luft, als müßte sie nach einem Halt suchen. Die Frauen rückten ihr hastig einen Stuhl hin, sie sank darauf nieder. „O, gnädige Frau, Sie dürfen sich nicht so aufregen!" sagte die kleine Friseuse ängstlich. „Aber es ist doch ein — solches Unglück . . ." Ihre Brust hob und senkte sich immer hastiger, sie empfand einen stechenden, dabei zusammenziehenden Schmerz mitten im Kopf hinter den Augen. „Um alles in der Welt, nicht weinen, gnädige Frau!" warnte die Zofe. Und in vertraulicher Neugier setzte sie hinzu: „Es ist eine Absage?" Marion bedeckte für ein paar Sekunden ihre Augen. „Nein, nein, keine Absage . . ." Mit sanfter Gewalt suchte die Friseuse ihr die schönen weißen Hände vom Gesicht zu nehmen. „O, bitte tausendmal, gnädige Frau, Sic ruinieren meine ganze Arbeit. Es war so wundervoll gelungen." „Lassen Sie mich!" stieß Marion fast rauh aus. Plötzlich fuhr sie empor. „Annette", wandte sie sich an ihre Zofe, „laufen Sie sofort zu Mlle. Liselotte hinüber, es ist ein Unglück ge schehen, es ist . . ." „Gnädige Frau, in zwanzig Minuten kommen die ersten Gäste!" gab ihr die Zofe zu bedenken. Sie hörte nicht. ,Q>der warten Sie, ich werde selbst —" Hastig stürmte sie auf die Tür los, die zum Korridor führte. Am Ausgang blieb sie wieder unschlüssig stehen. „Nein, ich kann nicht, ich kann jetzt nicht!" Sie hob die Hände empor, wollte sie wieder gegen Stirn und Augen pressen — da entsann sie sich -er War nung der ängstlichen kleinen Friseuse. Unwillkürlich hielt sie inne. Sie schlug die Hände krampfhaft inein ander. Und es war ganz seltsam: sie beobachtete sich dabei selbst. Sie wußte auch, daß sie späterhin noch oftmals an diese Sekunden znrttckdcnken werde, aber sie hatte nicht die Kraft, all das Aeuherlick^ von fick' abzuschütteln; sie stand zu sehr unter dem Zwange der Vorbereitungen für dieses bedeutende Fest, das vielleicht über das Glück ihres ganzen Hauses entschied. Tas Depeschenformular war zerknittert. Sie überlas die kurze Nachricht noch einmal. Jetzt hatte sie endlich Sie Kraft, Wort für Wort sich einzuprägen, ohne dem Träncnreiz nachzugeben. „Arme Mama, arme Mama!" flüsterte sie vor sich hin. Tie Zofe winkte den beide» anderen verstohlen zu. Während ihre Herrin regungslos dastand, näherte sie sich ihr wieder und fuhr dann in ihrer Arbeit fort, indem sie behutsam, als solle es die junge Frau nicht merken, die
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