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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031015014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-15
- Monat1903-10
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In den Franzosen regen sich nicht so lyrisch-idyllische Gefühle bei diesem Namen, der allein schon nach dem Raffeln der Rüstungen und dem Klirren der Schwerter klingt. Seit einiger Zeit gibt cs in Frankreich eine besondere Richtung, die weder von den romanischen, noch von den germanischen Wurzeln der Bevölkerung der bvlls Graues etwas wissen will, sondern die etwas wie eine pangallische, als Pendant zu der panenglischen, alldeutschen und allslawischen, Be wegung anstrebt. Unter der Einwirkung dieser guten Leute beschloß man in unsprünglich ganz unpolitischen Gefühlen, dem unglücklichen, aber tapferen Verteidiger der keltischen Erde in Clermont-Ferrand ein Denkmal zu errichten. Die Parteipolttik verdirbt aber auch dir mildesten Sitten, und so wird schließlich aus dem ganz einfach patriotischen Feste der Denkmalsweihe ein großer Kriegs- und Siegestanz der Radikalen und der Demokraten . Das ist nun einmal hier des Landes so der Brauch, und ein nationalistisches Ministerium würde den Schatten des alten Galliers ebenso für seine Parteiinteressen be schwören, wie eS jetzt Herr Combcs zu Ehren des allein seligmachenden Radikalismus tut. Der Parteitag der Radikalen und Radtkalsozialtsten, der in den letzten Tagen der vergangenen Woche in Marseille tagte, bekam durch den Vercingetorixtag den eigentlich festlichen Abschluß, was durch das Telegramm Brissons nach Clermont seinen for mellen Ausdruck erhielt, und die kommende parlamen tarische Tagung bekam durch den guten alten Bcrcinge- torix das Programm der Regierung und zugleich die Schmcrtweihc der demokratischen Waffen. Nun ist der Kampsplatz abgesteckt, der Gang kann beginnen. Natürlich verlief das Fest in Clermont wundervoll. Das Programm war so lange vorher schon cingeiibt und von den radikalen Vorkämpfern des auvergnatischem Gaus so schön eingedrillt, daß alles klappte. Zwar behaupten die nationalistischen Blätter, es hätte schauderhaftes Wetter gegeben, nur mit Mühe und Not wären eine Handvoll Menschen — natürlich Logenbrüder, Protestanten und Juden — aufgebracht, um Herrn Combcs' Rede mit anzu hören, und von Begeisterung fei keine Spur zu merken gewesen, nur hier und da Pfeifen und Zischen. Aber was die bösen Nationalisten sagen, darauf ist nichts zu geben. Also nehmen wir an, es wäre wirklich alles nach Wunsch des Herrn Combcs verlaufen. Es wäre schwer, zu sagen, worin sich dies Denkmalsfest von unzähligen andermr unterscheiden sollte. Man feiert eben auch in Frankreich ebenso wie anderswo die Feste, wie sie fallen, und wenn cs einmal in Trvgnier Herr Ernest Renan ist, der in Reden verherrlicht wird, und der zur Reklame für das politische Programm der Regierung herhalten muß, so ist's das andere Mal Herr Bercingetorix, — die ganze Aufmachung bleibt immer dieselbe. Die eigentliche Weihe rede hielt Herr Andre, der demokratische Kriegsministcr der Republik. Biel Neues wußte er uns auch nicht zu erzählen, dagcgom überraschte er Freund und Feind da durch, daß er den alten, pechschwarzen Heiden Bercinge- torix mit der seligen Jungfrau von Orleans als fran zösische Nationalhelden auf eine Stufe stellte. Das wird ihm vielleicht sehr verdacht werden, nicht am wenigsten von den Englandschwärmern, die augenblick lich am Ruder sind, und die jede Andeutung an ver gangene Kricgsaffären mit den Briten jetzt ebenso ver meiden möchten, wie vor zehr« Jahren jede Erwähnung der Napoleonischen Feldzüge gegen Rußland verpönt war. Im übrigen zeigte Herr Andrs, daß ein ebenso chauvini stisches Herz unter seinem Generalsrock trotz der radikalen Etikette schlägt, wie in der Brust der Dkroulede oder Millevoye. Nach der Denkmalswethc hatten die Klubs der demo kratischen nnd der radikalen Partei zu einem großen Freudenfest nach Gravanche, einem kleinen Ort bei Cler mont, entboten, zu dem sich dann sa auch vorschriftsmäßig die üblichen vielen Tairsenbe versammelt hatten. Der Herr Ministerpräsident sprach höchst persönlich über seine und seine- Ministeriums Politik im allgemeinen und das Arbeitspensum der bevorstehenden Wintertagung des Parlaments im besonderen. Man kann nicht gerade sagen, baß e- neu war, ums er uns gestern erzählt hat. Nein, cs war dieselbe Rede, nach demselben Schema, das wir hier nun schon seit Jahren kennen, und das von Waldeck-Rousseau eingesührt und von Herrn Combcs übernommen ist. Diesmal konnte die Rede schon deshalb keine Neberraschung bringen, weil ihr wesentlicher Inhalt schon im letzten Ministerrat beraten und dann durch offi ziöse Entrefilets an die Zeitungen mitgetcilt war. Herr Combcs wehrt sich gegen den Vorwurf, daß er ein Gefangener der Sozialdemokraten fei. La- sei er keiner- wegS, wohl aber sei für den Kampf, der nun einmal gegen den Klerikalismus geführt werden müsse, keine andere Mehrheit im Parlament möglich, als die jetzt im soge nannten Bloc vereinigte, in der also auch die Sozialdemo kratie eine ausschlaggebende Stellung einnehme. Würde das jetzige Ministerium die vom Bloc gewünschte Politik nicht mitmachen, so würde ein anderes Ministerium vom Bloc diesen Auftrag bekommen, da sonst die Mehrheit sich aus Progressisten, Meli'nistett und Nationalisten -u- sammensetzen würde, und also ein Kulturkampf im bis herigen, vom Parlament gutgeheißcnen Sinne nicht mehr möglich wäre. Diese Stelle -er Combesschen Rede ver dient alle Beachtung. Es war schon lange bekannt, daß der Ministerpräsident nur noch als Kommis der radikal-sozia listischen Mehrheit in der Kammer handelte; aber hier zum ersten Male gesteht er ganz offen ein, daß er nur die Weisungen des eigentlichen Herren und Meisters im Palais Bourbon, des Herrn JaureS, befolge und sich von diesem immer weiter nach links treiben lasse, aus dem einfachen Grunde, weil sonst ein anderer die Staatsgeschäfte übernehmen würde, in deren Führung sich vorläufig Herr Combcs noch ausgezeichnet gefällt. Daß das Parlament bis Neujahr nur am Budget zu tun haben würde, wußte man schon; wenn Herr Combes es durchzusetzen versteht, -aß wirklich bis zum Jahres schluß der Etat durchberaten ist, dann hat er sich ganz sicher ein großes Verdienst erworben, denn die Nachlässig keit in dieser Beziehung war bisher grenzenlos und führte zu den ärgerlichsten Verschleppungen. Ob aber Herr Combes der starke Mann sein wird, um hier Ord nung zu schaffen, muß allerdings erst abgcwartet werden. Danach wird man der Kammer das vom Senate schon ver arbeitete Gesetz über die z w e i j ä h ri g c m i l i t ä ris ch c Dienstzeit vorsetzen, mit dem man sich nun schon an die drei Jahre in Frankreich herumschleppt. Das Gesetz wird die Piou-Pious sicher sehr erfreuen und wird, wie Herr Combes hofft, „die Herzen des Volkes mit Achtung und Liebe für die Republik erfüllend. Später wird dann die Abschaffung der loi I'alloux beraten werden, die einst die Freiheit des Unterrichts sestsetzte, was den heutigen Machthabern wegen des Einflusses der Ordens männer und der Priester auf die Volksbildung gefährlich scheint. DieRadikalen in Marseille wollen auch die Freiheit im Unterricht für die mittlere und die Univcrsitätsbildung aöschaffen; so weit will aber Herr Combes — vorläufig wenigstens — noch nicht gehen. Der Senat wird sich inzwischen mit der Altersversorgung der Greisen und der Siechen und der Zwangserziehung der Verwahr losten befassen, auf daß das Programm des Herrn Combes doch auch mit etwas sozialdemokratischem Oel gesalbt sei. In einer weiteren Ferne zaubert der Herr Mknisterpräsi- dcnt dann das Erscheinen der Einkommensteuer, derArbciterversicherung und -er Tr e nm ung von Staat und Kirche. Er hofft, daß auch aus diesen Gebieten am Schluffe der Legislaturperiode etwas Fortschritt erreicht sein wird. Ob die guten Zuhörer von derselben Hoffnung getragen waren? — Offiziös wird berichtet, daß Herr Combes lebhaften Beifall erntete. Nun kommt die italienische Festwoche, und dann beginnt der Ernst des Lobens, die parlamentarische Kampagne. Herr Combes scheint zuveZichtlich und siegesfreudig beim Ein tritte in die parlamentarische Periode. Wird er an ihrem Schlüsse ebenso stolz um- zufrieden sein? I'. W. Deutsches Reich. -7- Berlin, 14. Oktober. (Der Fall Dippold und das Strafgesetz.) Während sonst wohl in der ganzen Presse der Fall Dippold in dem nur zu berechtigten Tone de« Schmerzes und der Entrüstung besprochen wird, stimmt die „Deutsche Tagesztg." ein Hubellied an, da- auf den Refrain des bekannten kmgen Mannes abgestimmt ist: „Ich hab's ja immer gesagt." Die „Deutsche TageSztg." hat's also immer gesagt, daß die Prügelstrafe wieder ein geführt und die lex Heinze endlich votiert werden müßte. Für die -Forderung auf Einführung der Prügelstrafe beruft sie sich darauf, daß auch Blätter, die sonst Gegner der Prügelstrafe sind, in der Zuchthausstrafe eine ungenügende Sühne für die Barbarei DippolvS sähen. DaS mag wohl in der ersten in diesem Falle so sehr begreiflichen Erregung geschehen sein; aber bei näherem Nachdenken wird man doch wohl zugeben müssen, daß die Zuchthausstrafe mit allen ihren Einzelheiten, der Zwangsarbeit, dem Abschneiden der Haare, der Einkleidung m die Sträflingstracht, der Benennung der Strafgefangenen mit Du, der Möglichkeit schwerer disziplinärer Straf- mittel im Falle der Widerspenstigkeit des Sträflings usw. denn doch eine außerordentlich strenge Strafe ist und daß diese Strafe natürlich von einem gebildeten und bi« dahin eine« gewissen Wohlleben« sich erfreuenden Menschen doppelt hart empfunden wird. Ein sehr humaner erster Staats anwalt sagte un« einmal: „Die Leute, die die Zuchthaus strafe bei schweren Delikten als ungenügende Sühne ansehen, sollten nur einmal acht Tage im Zuchtbause zubringen müssen, dann würden sie über die „Milde" dieser Strafe ander« denken." Für eine Aenderung nicht de« Straf vollzuges, sonders de- Strafgesetze« möchte« wir bei dieser Gelegenheit allerdings wiederholt votieren: daß nämlich für die gefährlichen Mißhandlungen der Rückfall und dessen besonders strenge Bestrafung mit Zuchthaus ebenso vorgesehen werde, wie dies für Diebstahl und Betrug bereits vorgesehen ist. Der Fall Dippold ist ja Gott sei Dank in deutschen Landen ein Unikum, die gewohn heitsmäßigen Raufbolde aber kommen immer wieder vor Gericht, und wenn sie nicht gerade dauerndes Siechtum oder den Tod des Verletzten herbeigeführt haben, so können die wackeren Messerhelden immer nur mit Gefängnis bestraft werden. Die Einführung der Zuchthausstrafe für die ge wohnheitsmäßige Begehung von Roheitsdelikten würde viel wirksamer sein, als die Wiedereinführung der Prügelstrafe. WaS nun das Verlangen nach einer lex Heinze anbelangt, so hat zunächst die tagelange Ver handlung nicht erwiesen, daß Dippold zu seiner gräßlichen Verirrung durch die Lektüre von Schundliteratur verleitet worden ist. Wir wollen aber zugeben, daß die sog. Schund literatur Verirrungen und krankhafte Neigungen Hervorrufen oder zum mindesten steigern kann, und daß darum eine Be seitigung einer solchen Schundliteratur Wohl erwünscht wäre. Aber bedarf es dazu einer lex Heinze und würde eine solche nützen? Die „Deutsche Tagesztg." sagt selbst, daß eine Fassung der Bestimmung zu finden, die einerseits den wissen schaftlichen Forderungen (sie sollte hinzufügen „und dem wirklichen Kunstwerke") freien Raum ließe, anderseits aber der Schundliteratur das Geschäft gründlich verdürbe, sehr schwer wäre. Nicht sehr schwer, sondern unmöglich. DaS Gesetz wird nie etwas anderes tun können, als den Verkäufer und event. auch den Verfasser „unzüchtiger Schriften" zu belangen, das ist schon nach dem bestehenden Gesetze möglich. Nie aber wird ein Gesetz den Begriff der unzüchtigen Schrift in einer den Richter bindenden Weise definieren können, sondern es wird stets im einzelnen Falle dem Ermessen des Gerichts überlassen bleiben müssen, ob ein Buch oder eine Broschüre oder ein Witzblatt als Schund literatur, d. h. als unzüchtige Schrift anzusehen ist, oder ob eS als wissenschaftliche Schrift oder als wirkliches Kunstwerk zu betrachten ist. Dagegen, daß die Richter in dieser Frage vielleicht ein wenig strenger als bisher wären, haben wir gar nichts cinzuwenden; dies ist aber nur möglich durch eine Wandlung bezw. Schärfung der Auffassungen, nicht aber auf dem mechanischen Wege deö Gesetzes. /X Berlin, 14. Oktvber. ,Löir siu- die Partei -er Unzufriedenen", vroklamierte vor einigen Wochen der vorwärts", und getreu dieser Parole sät die Sozialdemokratie reichliche Scrat -der Unzufriedenheit auch da aus, wo die Existenzen Tausender von Familien auf dem Spiele stehen. Arbeiter werden durch trügerische Vor spiegelungen in Lohnkämpfe und fanatische Erbitterung gegen die Arbeitgeber hineiugetriebcn, wo früher fried liches Einvernehmen zwischen Unternehmern und Arbei tern herrschte und etwaige Lohüdifferenzen ohne das ge walttätige Eingreifen organisierter sozialdcmvkra- tisckwr Arbeiterverbände mit Leichtigkeit zu aller Zufriedenheit ihre Erledigung gefunden hätten. Der jetzt tobende Kampf in der Berliner Metall - Industrie bietet dafür ein klassi sches Beispiel. Die erhöhten Lohnforderungen der Gürt ler wären jedenfalls zu einem befriedigenden Ausgleiche gelangt. Da griff der Berliner Metallarbeiter-Verband mit unerhörten Forderunaen ein. Die neunstündige Ar beitszeit ist in den meisten Fabriken der Metallindustrie schon erfüllt. Nun verlangt aber der Arbeiterverband eine vertragsmäßige schriftliche Verpflichtung der Arbeitgeber, daß der Stundenlobn der Akkordarbeit auf 60 Pfg. — gleichviel, wie die geleistete Arbeit beschaffen, ob sie von einem Lehrling oder dem geübtesten Arbeiter ausgeführt ist, — festgesetzt werde. Der geschickteste Arbeiter soll also nicht mehr verdienen dürfen, als der Anfänger, oder: der Arbeitgeber muß dem eben erst eingestellten nnd auzu- lerneüden Arbeiter, der ihm vielleicht viel Material ver dirbt, ehe er es zu einiger Geschicklichkeit bringt, ebenso viel im Akkord zahlen, lvie dem erprobten und zuverlässi gen Arbeiter! Und dann die Hauptsache: Ueber die Ar« beiterentlasiungen soll künftig nur die Gewerkschafts-Kom mission zu befinden und zu bestimmen Haven. Wenn also der sozialdemokratischen Gewerkschafts-Kommission ein Arbeiter mißliebig erscheint, so fliegt er, unbeschadet seiner Tüchtigkeit bei der Arbeit, auf die Straße, wird brotlos! Die Arbeitgeber würden sich, worin sie auf einen solchen Vertrag cingingen, mit Haut und Haaren der Sozialdemo, kratie verschreiben und jegliches Verfügungsrecht in ihren eigenen Betrieben verlieren. Der Arbeitgeber würde in die Lage geraten, seine besten Arbeiter entlassen zu müssen, weil sie nicht zur sozialdemokratischen Partei gehören, und dafür Arbeitskräfte einzutauschcn, die vielleicht minder wertig, in jeden» Falle aber sich in steter Opposition gegen den Unternehmer befinden. Erbitterte Kämpfe ohne Auf hören müßten die Fol-ae davon sein. Man wewde nicht ein: einen solchen Zwang wird die Gewerkschafts-Kommission auf einen nicht organisierten, aber sonst vortrefflichen Ar. beiter nicht ausüben. Lehren denn die Beispiele der Krankenkassen usw. nicht schon zur Genüge, daß überall da, wo die Sozialdemokratie die Mehrheit der Verwaltung in Händen lwt, die erprobtesten Beamten „hinauSfliegen" und unerbittlich auf die Straße gesetzt werden, wenn sie sich dem Willen der Sozialdemokratie nicht fügen? Darin zeigt sich ja das gepriesene Evangelium der „Freiheit" der Sozial- demokratie! Und dieser rücksichtslose Terrorismus tritt überall, auch bei dem jetzigen Streik der Metallarbeiter, zu tage: die Arbeiter, auch die Lehrlinge, werden ge zwungen, Wochenbeiträa« in die Streikkasse zu entrichten und dadurch dem sozialdemokratischen Metallarbeiter^Ber- bande beizutreten. Und wehe den Arbeitswilligen! Ein un erhörter gewalttätiger Druck wird aus sie ausgeübt. Wir veröffentlichten bereits vor einiger Zeit den Inhalt einer Postkarte, worin ein Arbeiter, durch Drohwngen der Streikposten abgehalten, seinem 'Arbeitgeber anzeigte, daß er nicht kommen könne. Die meisten Arbeitswilligen wagen aber gar nichts zu sagen, sondern fügen sich schiveigend dem Zwange. Aber leider richtet sich die durch die materielle Not entstehend« Verbitterung nicht gegen -en verhetzende« Metallarbeiter-fverchand, fordern -egen öie Arbeitgeber. Durch die Presse geht ein Schreiben, da rin Arbeitswilliger erhielt: „Da uns zu Ohren gekommen ist» daß Sie bei der Firma Israel L Thomas als StreiKuecher hineingegangen sind, so wollen wir Ihnen ans Herz legen, daß Sie die Arbeit bis Sonnabend dort niederlegen, widrigenfalls Sie eine unver schämte Tracht Prügel bekommen; denn für Hallunken wird kein Pardon gegeben. Also, wenn Sie als gesunder Mensch weiter leben wollen, so befolgen Sie unfern Rar, oder es gibt Oleum ins Gesicht." Bei dem jetzigen Kamvie in der Berliner Metall- industrie tritt die Lohnbewegung vor -er politischen und sozialen Machtfrage völlig zurück. Wenn derMetallarbeiter- Verband nicht von seiner unerfüllbaren Forderung hin sichtlich der Arbeiterentlassungen absteht, läßt sich keine Verständigung voraussehen. Für andere Forderungen werden die Arbeitgeber im Interesse deS Friedens und ihrer Arbeiter jedes möglich« Entgegenkommen zeigen. (-> Berlin, 14. Oktober. (Telegramm.) Die Kaiserin und Prinz Adalbert sind, von HubertuSstock kommend, heute mittag 1 Uhr im Neuen Palais bei Potsdam eingetrofsen. (» Berlin, 14. Oktober. (Telegramm.) Wie die antisemitische „Ltaatsbürgerzeituug" meldet, sind die Gesuche ihre» Letter» Bruhn und ihres Redakteurs Bötticher wegen Begnadigung abgelehnt worden. Beide waren wegen Umwandlung der gegen sie anläßlich der Veröffentlichung in der Konitzer Angelegen heit erkannten Gefängnisstrafe von 6 bezw. 12 Monaten in Festungshaft vorstellig geworden. (Diese Veröffentlichung der Ab lehnung ihres Gesuches ist wohl wegen der kürzlich gemeldeten Begnadigung Levys erfolgt. Red.) — Zum Falle Dippold ist den „Münch. N. N." eine Anzabl Zuschriften zugegangen, von denen zwei recht charak teristisch sind. Mit dem bittersten Hohne spricht sich „der Träger eines in der Wissenschaft hochgefeierten Namens" wie folgt aus: „Der Herr Staatsanwalt hat seinen Antrag aus ein geringeres Strafmaß damit begründet, daß Dippold noch nicht vorbestraft war. Wenn doch der Mordbube, gegen den Kneißl ein Kavalier war, als Radfahrer nur einmal ohne Laterne gefahren wäre! War das Vorleben Dippolds, der das Vermögen feiner Braut mit Dirnen verpraßte, noch nicht scheußlich genug und Hütte vielleicht erst ein früher begangenes Münzverbrechen die Strafwürdigkeit der Buben schlächterei zur richtigen Höhe erhoben? Dem nicht im juristi schen Formelwesen Ausgewachsenen ist es unverständlich, wie ein Verbrechen, das an Scheußlichkeit nicht mehr zu überbieten ist, deshalb milder beurteilt werden soll, weil der hundertfache Mörder vorher nicht auch gestohlen hat!" Aus die Gleichgültigkeit und Indolenz aller derer, die taten lose Zeugen der Dipvolvschen Scheußlichkeiten waren, bezieht sich der sehr beamtenswerte Schlußsatz einer von heißester Entrüstung flammenden Zuschrift erneS Gymnasial professors: „Möchte der schaudererregende Fall Dippold jedem aufs neue klar machen, daß das Leben Fälle bringen kann, in denen ein rechter Mensch nicht bloß den Kopf schüttelt wie ein alte« Weib, nicht erst Briefe schreibt und Berichte macht wie ein angestellter Sklave, auch nicht erst lang zum Bürgermeister läuft und gott ergeben auf die hohe Polizei wartet, sondern mit einer frischen fröhlichen Tat auf eigene Verantwortung dreinfährt wie Gottes Zorn, um Recht zu schaffen und Unrecht zu verhüten. Ein ganzer Mann müßte sich freuen und gehoben fühlen, wenn ihm das Schicksal das höchste Hochgefühl des Lebens vergönnte, indem es ihm Gelegenheit böte, durch eigene Kraft himmelschreiendes Un recht unmöglich zu machen." — Des „Genossen" v. Vollmar „Münchener Post" schreibt zu Bebels „Revision" seines Urteils über Harden nach einigen Kraftstellen, die abzudrucken wir uns nicht ent schließen können: „Bebel preist den aus Privatunterhaltungen und willkürlich zitierten Privatbriefstellen von Harden mit Liebe zusammengekneteten Klatsch als glorreiche Enthüllung. Der nämliche Bebel, der im Jahre 1893 auf dem Kölner Parteitage, als ein Parteigenosse auf einen Privatbrief von August Bebel Bezug nahm, folgendes sagte: „Könen hat mich zu einer öffentlichen Erklärung aufgefordert darüber, ob eine Aeußerung, die ihm privatim mitgeteilt worden ist, auf Wahrheit beruht. Ich würde auf diese Frage in der Debatte nicht geantwortet haben, weil eS mir nicht einfällt, eine private Aeußerung, die Könen falsch zugetragen worden ist, die vielleicht niedere Klatscherei ist, zum Gegenstände einer öffentlichen Debatte zu machen. Ich verwahre mich überhaupt dagegen, daß ich für brieflich oder pri vatim getane Aeußerungen hier öffentlich Rede stehen soll.» So damals und so heute. Indessen, WaS Bebel recht ist, wird wohl auch anderen Parteigenossen noch billig sein, denn für ihn besteht nun einmal kein Sondergesetz, und er wird darum gut tun, seine Ansicht wieder der Gerechtig keit entsprechend zu revidieren ... Die durchaus unparter- genössische und nicht anständige Art, die Teilnehmer de« Parteitages, die für die Resolution 130 gestimmt haben, nach allen Dimensionen zu beschimpfen nnd zu schmähen, ist wohl auch ein Zeichen der höheren norddeutschen Kultur." * Mölln i. L., 13. Oktvber. Hier wurde ein liberaler Bauernverein „Nord west" ge gründet, der sich über ganz Nordwestdeutschland aus« breiten soll. Der Verein erstrebt politische und wirtschaft liche Aufklärung auf -em Laude, Zusammenfaffen der liberalen Elemente im -iauernstan-e, Kampf gegen die Sonderinterefsen des AgrariertumS; er will durch unent geltlichen Arbeitsnachrveis, Rechtsschutz und gemeinschaft lichen An« und Verkauf von Saatgut, Dünger- und Futtermitteln den Bauern Vorteile bringen. Zahlreiche Lanblciitc haben sich bereits dem „Nordwest" angcschlossen, -essen Verein-'blatt der liberale „Lanenburgcr Anzeigers ist. Vorsitzender ist Hofbesitzer Jenkel in Wtetzer-e, A tzruyy ÄU-L-tz tg *
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