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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031019021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-19
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Wenn die ReichSreaierung durch die von ibr inspirierten Federn die von gewissen Blättern erhobene Forderung, sie solle dem neuen Reichstage ein neues Sozialistengesetz vorlege», entschieden ablehnt, so ist sie, wie wir mehrfach betont haben, dazu vollauf berechtigt, da sie bei der Zu sammensetzung dieses Reichstags durch eine solche Borlage nur eine Niederlage provozieren würde, die der Sozialdemo kratie zu gute käme. Aber nicht nur als unberechtigt, sondern al- höchst bedenklich müßten wir eS ansehen, wenn die Reichs regierung sich auch ablehnend gegen den weiteren Ausbau der sozialen Gesetzgebung zu Gunsten der Arbeiter verhalten wollte, wie es den Anschein durch folgende Aus lassung der „Berl. Pol. Nachr." gewinn:: „WaS für merkwürdige Ideologen gibt es doch gerade auf dem Gebiete der Sozialpolitik bei unS! So wird jetzt wieder von ver schiedenen Seiten alS sichere« Allheilmittel gegen die Sozial demokratie der Ausbau der sozialen Gesetzgebung zu Gunsten der Arbeiter bezeichnet. Und doch liegt es auf der Hand, daß in einer Zeit, in welcher die so zialdemokratisch beeinflußten Arbeiter zu der Auffassung plan mäßig erzogen sind, alle, selbst die weitestgehende soziale Fürsorge unseres Staates und unserer Gesellschaft für die Arbeiter sei nichts wie eine kleine Abzahlung auf da-, was den Arbeitern von rechts- wegen gebührt und ihnen in vollem Umfange unter der Herrschaft des Proletariats geboten werden würde, eine solche Wirkung von positiven Sozialreformen nicht zu erhoffen ist; am wenigsten, wenn zugleich den Arbeitern der Glaube beigebracht wird, alle diese Reformen seien lediglich von der Furcht vor der zunehmenden Macht der Arbeiter diktiert, und wenn den Arbeitern zugleich der Glaub« an di« Sozialdemokratie und daran eingeimpft ist, daß diese in naher Zukunft im Deutschen Reiche die Macht erlangen und so die Verwirklichung der weitestgehenden Träume der Arbeiter herbetführen werde. Solange diese Auffassung in den Kreisen der Arbeiterschaft in vollem Umfange bestehl, müssen naturgemäß alle Sozialresormen der Heilkraft gegen die Sozial demokratie entbehren. Will man diese mit Erfolg bekämpfen, so muß man daher z u n ä ch st dafür sorgen, daß in den breiten Massen der Bevölkerung der Glaube an die künftige Macht der Sozialdemokratie beseitigt und in ihnen wieder die Ueberzeugung wachgcrufen wird, daß sie nur auf der Grundlage der bestehenden Rechts- und Gesellschafts ordnung eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage zu erwarten hat. Erst wenn so der Boden geebnet ist, wird man von vernünftigen Sozialreformen eine heilsame Wirkung gegen die sozialdemokratischen Bestrebungen erhoffen dürfen. Das liegt für jeden, der die Dinge kühl und unbefangen betrachtet, auf der Hand. Aber unser» deutschen Sozialideologen leben eben in einer mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmenden Ideenwelt und sind deshalb, sobald sie praktische Politik treiben wollen, geradezu gemeingefährlich." Bedenkt man, daß mit der — von uns beklagten — Zu stimmung des Herrn Reichskanzlers die Mehrheit des vorigen Reichstage» in das Zollgesetz die Berwendung eines Teiles der infolge dieses Gesetzes zu erwartenden Mehreinnahmen zur Versorgung der Witwen und Waisen der Arbeiter eingefügt hat, so ersieht man, daß ohne Verletzung eines kaum erlassenen Ge setzes ein weiterer Ausbau der sozialen Gesetzgebung zu gunsten der Arbeiter gar nicht unterlassen werden kann. Und die Verletzung eines solchen Gesetzes würde jedenfalls der Sozialdemokratie mehr zu gute kommen, al ber Regierung. Es hat dem Grafen Bülow an Warnungen vor der Zustimmung zu einer Verteilung deö Bärenfells vor Erlegung des Bären nicht gefehlt. Daß er diese Warnungen in den Wind geschlagen, mag ihm jetzt nach dem Dresdener Parteitage fatal genug sein; aber die nachträgliche Reue be freit ihn nicht von der Pflicht, ein mit seiner und der Zustimmung der BundeSratsmehrbeit erlassenes Gesetz loyal auszuführen. Und dabei wird es nicht bleiben können, wenn nicht auch die Arbeiter, die noch nicht im Banne der Sozial demokraten stehen, in deren Arme getrieben werden sollen. Nicht nur von den „Genossen" im neuen Reichstage, sondern auch von anderen Fraktionen werden Initiativanträge sozial politischer Natur eingebracht werden. Da liegt es denn doch auf der flachen Hand, daß vom BundeSratStische aus nicht alle diese Anträge, auch wenn ein Teil von ihnen von der großen Mehrheit der bürgerlichen Parteien befürwortet wird, mit dem Hinweise auf den Aus fall der Wahlen und den Dresdener Parteitag kurzweg zurückgewiesen werden können, ohne daß die Gefahr eines noch weiteren Anschwellens der sozialdemokratischen Bewegung heraufbeschworen wird. Allerdings sind wir der Meinung, die bürgerlichen Parteien, soweit ihr Eifer für sozialpolitische Reformen nicht ohnehin durch die neuesten Ereignisse ab gekühlt ist, sollten ihre sozialpolitischen Anträge etwas ein- fchränken und die Hoffnung aufgeben, mit solchen Mitteln die Umstürzler zu gewinnen. Wo aber offenbare Mißstände zu Tage treten, werden die bürgerlichen Parteien die Initiative zur Beseitigung ebensowenig unterlassen dürfen, wie der Bundesrat die Ausführung bestehender Gesetze und die Zu stimmung zu vernünftigen Anträgen. Ein katholisches Urteil über die Polen, das gewiß alle Beachtung verdient, finden wir in den als ultramontan bekannten Münchener „Historisch - pylitisch en Blättern". In einem Aufsatz über „daSSlawentum in Deutschland" läßt sich ein ungenannter Verfasser folgender maßen über die Polen vernehmen: „In der Nähe gesehen, kranken die Polen mehr oder minder an den gleichen Feh lern wie andere Sterbliche auch. Andere sittliche Mängel bei den Polen finden ihre Erk ärung in der traurigen Lage. So verleitet sie oft ihr überschäumendes Temperament zu Aeußerungen, deren Tragweite sie nicht ermessen, welche aber von Gegnern im schlimmsten Sinne gedeutet werde». — Vom Borwurf der Unduldsamkeit und von Mangel der Rücksicht auf die Rechte anderer ist dieser Bolksstamm nicht ganz frei zu sprechen. Dieselben Rechte, welche unsere Polen in so rührend schönen Worten beanspruchen, verweigern ihre Brüder in Galizien häufig den^ ftammeSverwandten Ruthenen trotz der österreichischen Staatsgrundgesctze. — Auch die Haltung der Polen gegenüber den deutschen Katholiken ist nicht einwandfrei; man hat in der Tat oft mehr zu po tonisieren als zu katholssieren gesucht. Ferner sieht man nicht gern den Zuzug deutscher Priester behufs Pastoration ihrer Landsleute. Auch die deutschen Katholiken in Petersburg, Odessa, Moskau sind von der polnischen Liebenswürdigkeit nicht verwöhnt. Mehr Inter esse an den Arbeiten und Bestrebungen der Katho liken Deutschlands wäre bei der preußisch-polnischen Geistlichkeit auch zu wünschen — der Pole, auch der Priester, treibt zu viel Politik. Wo die Politik überwiegt, kommen ankere wichtige Interessen zu kurz, wie ein Blick auf die Verhältnisse in Spanien und Südamerika lehrt. — Den Polen feblt auch dieGabe de« Regierens; die Mißstände der polnischen Verwaltung in Galizien, die Unregelmäßigkeiten und Unterschleife mitöffentlichen Geldern haben sich rn jüngsterZeit be denklich gemehrt. Daö Vaterland verloren zu haben und zwei Regierungen um Gotteswillen gehorchen zu müssen, welche dem Aufschwung der polnischen Nationalität die größten Hindernisse bereiten, ist gewiß hart. Aber teil weise sind doch die Polen an diesem Verhängnis schuld. — Ob und inwieweit eine Wiederherstellung Polens als Staat möglich ist, mag die Zukunft lehren. Angenehm wäre dann jedenfalls nicht die Lage der im preußi schen Gebietsteile wohnenden Deutschen. Die auch die polnischen bürgerlichen Kreise beherrschende Adelssitte er zeugt oft ein wunderliches Selbstbcwußtsein, welches sich im Essen, noch mehr im Trinken, im Spielen, kurzum in einem großen Mangel an wirtschaftlichem Sinne kundgibt Mußte doch neuerdings der Erzbischof von Posen feine warnende Stimme gegen das überhandnehmende Hazardspiel erheben. Auch den Söhnen aus wohlhabenden adeligen Familien, welche auS begreiflichen Gründen meist Staats- und Militärdienst meiden, fehlt es häufig an einer geordneten Tätigkeit; man amüsiert sich in VaristsS, Tingeltangeln und spielt." Sin Sieg per deutschen Interessen tm Vöhmerwalde. Wir berichtete» neulich über die nationale Gefährdung deS Marktes Eisenstein im Böhmerwalde. Mit Freuden können wir heute melden, daß die Gefahr abgewandt ist und sich in der Tat, was wir kaum noch zu hoffen wagten, im letzten Augenblicke ein Retter gefunden hat. Dieser edle deutsche Mann, der mit dem Verständnisse für die nationalen Werte, die auf dem Spiele standen, auch die Opfer freudigkeit, sie zu halten, verband, ist Fürst Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, der im Böhmerwalde und speziell in der Gegend von Eisenstein umfangreiche Besitzungen hat. Er hatte seinen Domänenrat vr. Fifchbach mit weit gehenden Vollmachten zu der Versteigerung, die am tt. Oktober im Bezirksgericht Neuern stattfand, aus gerüstet. Ihm in erster Linie ist dir von keiner Seite erwartete Niederlage der Tschechen zu danken. Doch erfordert es die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß auch der deutsche Bauernstand des Böhmerwaldes zur Stelle war und nach Maßgabe seiner Mittel an dem denkwürdigen Ringen, das sich in der kleinen, zum Erdrücken vollen Amts stube des Bezirksgerichts Neuern abspielte, tapfer teilnahm. Des Anteils, den der unermüdliche ReichSratS- und Landtags abgeordn^te vr. Schreiner an der deutschen Abwehr bewegung hatte, ist schon gedacht worden. Dagegen entnehmen wir einem Pilsener Berichte die bedauerliche Tatsache, daß die deutschen Parteien des Landes als solche sich ihrer natio nalen Pflicht in einem Falle, wo es einmal praktisch nationale Politik zu treiben galt, nicht bewußt geworden waren. Bekanntlich handelte es sich um die Zwangöversteigerung des Hotel« Rixi und der angrenzenden Grundkomplexe, die zusammen den bewohnbaren Grund und Boden des SpitzbergeS ausmachen. Alle diese Grundstücke sind in deutschen Händen geblieben. Die Tschechen, die seit Monaten Sturm geblasen hatten, haben eine beschämende Niederlage erlitten. Bereit- am Mittag schlichen sie sich nach einem letzten vergeblichen Ansturm auf ein kleines Landstückchen, daS den strategischen Schlüssel der Situation bildet — eS wurde von dem Fürsten von Hohenzollern um den siebenfachen Preis deS Schätzwertes gekauft —, in der gedrücktesten Stimmung aus dem Saale. Am Nachmittage waren die Deutschen unter sich. Mit diesem Siege ist nicht bloß die Gefährdung Eisensteins und seiner Umgebung ab gewendet, sondern die Lage der dortigen tschechischen Prokop- kolonie wesentlich verschlechtert. Eine bessere Nachricht ist unS seit langem nicht aus dem Böhmerwalde zu Ohren ge kommen. Französisch - englischer SchiedSgerichtSvertrag. Wie die Vorgeschichte deö soeben zum Abschlüsse ge langten französisch-englischen Schiedsgerichtsvertrages erkennen läßt, ist es bei den langwierigen Verhand lungen, die zwischen den beiderseitigen Ministerien des Auswärtigen gepflogen wurden, nicht ohne Meinungs verschiedenheiten und Widersprüche abgegangen. Die erste amtliche Behandlung der Frage erfolgte am 11. Mai dieses Jahres, als sich tm Unterhause der Premierminister auf eine Interpellation hin zu diesem Thema äußerte. Der vorhergegangenen Agitation in englischen und fran zösischen Handels- und Industrickreisen, die das Handels kammermitglied Thomas Barclay in Scene gesetzt hatte, wurde damit gewissermaßen ein offizieller Charakter ver liehen. Mitte Juli waren bereits 60 englische Handels kammern für den Plan gewonnen, und auch in Frank reich machte sich eine lebhafte Stimmung für die An bahnung eines besseren Einvernehmens mit dem nörd lichen Nachbar geltend. Indessen haben die bald nach der erwähnten UnterhauSrede Balfours von Lansüowne und Mr. Delcasss begonnenen Verhandlungen nicht so gleich zu einer Uebereinstimmung über den Inhalt des projektierten Vertrages geführt. Vielmehr beutet die wiederholte Anwesenheit des französischen Botschafters Cambon in Paris darauf hin, -aß es an Schwierigkeiten und Gegensätzen keines wegs gefehlt hat. Allem Anscheine nach wurde von eng lischer Seite der Versuch gemacht, auch solche Fragen den Vertragsbestimmungen zn unterwerfen, welche, wie Artikel 1 des jetzt abgeschlossenen Vertrages besagt, vi- tale Interessen beider Staaten, ihre Unab hängigkeit und Ehre vder das Verhältnis zn dritten Staaten berühren und des- halb von dem Vertragsbereiche ausgeschlossen sein sollen. Jedenfalls darf es als feststehend gelten, daß die jetzige Fassung desVertrages dom wesent lichen Inhalte nach von dem französischen Minister deS Auswärtigen herrührt, der mit aller Bestimmtheit daran sesthielt, daß Fragen politischer Natur, welche die Stellung beider Mächte in kolonialen Territorien oder die sonst zwischen ihnen schwebenden, noch nicht geklärten Schmierigkeiten betreffen — man wird dabei vor allem an die Interessen und Absichten beider Staaten in Aegnpten, Nordwestafrika, Newfoundland und Siam zu denken haben —, von vornherein aus dem Kreise der auf schiedsrichterlichem Wege zu erledigenden Streitfragen ausgeschieden werden sollten. Läßt schon diese Be schränkung der VertragSgültigkeit bett Wert des nunmehr vollzogenen Abkommens recht gering fügig erscheinen, so darf mit Rücksicht auf die von ver schiedenen Seiten geäußerte Annahme, daß dieser Schicdsgerichtsvertrag nnr der Vorläufer eines weiter« Feuilleton. Das neue Modell. lffj Roman von Paul Oskar Höcker. verboten. Donat hatte die Stirn gesenkt. Er scheute sich, -em mit leicht überlegenem, aber doch gutmütigem Lächeln ihm gegenübersiyenden älteren Offizier inp Gesicht zu sehen. „Siimmt's, alter Freund?" fuhr der Major fort. „Na ja, das leidige Paris." Er seufzte leicht auf. „Natür lich 'ne Actrice oder Ehanteuse, wie? — Na, indiskret will ich nicht sein!" „Es ist — wirklich ein ganz besonderer Fall hier", sagte Donat. „Selbstverständlich, Donat", wehrte der Major ab. „Jeder Fall ist ein neuer; aber sie ähneln einander zum Verzweifeln." „ES ist aber keine Dame vom Theater. Nein, Herr Major, über diesen Punkt kann ich nicht so weiter mit sprechen." „Ruhe, Ruhe, Ruhe, bleiben wir bei der Logik. Daß eine Vertreterin des sogenannten schwächeren Geschlechts daran schuld ist, daß Sie den Abschied nehmen wollen, das werden Sie nun nicht mehr bestreiten. Gut; kommt die nächste Frage: Weshalb heiraten Sie sie nicht?" Donat wollte ihn mit einer ungeduldigen, fast trotzigen Kopfbewcgung unterbrechen. Allein der Major fuhr fort: „Da gibt's verschiedene Antworten. Die häufigste ist die: Ueberfluß an Geldmangel. Na, das ist keine Schande- Dies war seiner Zeit, als ich mich als junger Dachs bis über beide Ohren sterblich in unser Oberstentöchterchen verliebt hatte, die Ursache, daß ich lebig blieb — und noch heut« lebig bin, weil mir die Sache damals furchtbar nahe ging. Na, da» in Parenthese. Kommt die weitere Ant- wort: daS Geld wäre vorhanden, aber das Mädel paßt nicht in Offizierskrcise; oder das Mädel ist eine Frau, die — noch nicht wieder ledig ist. Jesses, Donat, sehen Sie mich nicht so fuchtig an, das kommt alles in den besten Familien vor, und ich erwähne es bloß der Boll» ftäntzigkeit halber. Welcher von diesen Punkten in Ihrem Fall zutrifft, bas geht «ich nicht» an und ich werde Sie nicht danach fragen. Aber rein akademisch behandelt, wird die Frage wohl nicht anders beantwortet werden können, stimmt'S?" Donat zuckte die Achseln. „Ich — glaube wohl", sagte er gepreßt. „Lon, dann sind wir schon einen tüchtigen Schritt weiter und ich kann Ihnen sofort meinen kameradschaft lichen, wenn Sie wollen, väterlichen Rat geben. Der lautet nämlich ganz schlicht und prosaisch: prüfen Die, überlegen Sie, und vor allem — warten Sie." „Uebcrlegt habe ich mir die Sache schon oft und viel", erwiderte Donat, nun -och ein bißchen verwirrt. „Auch geprüft, Donat? Denn eS ist ein heidenmäßig ernster Schritt." „Auch geprüft." „Hm, so ganz fest klingt das nicht, Donat. Wenigsten» sollten Sie darum meiner striktesten Mahnung solgen: Warten Siel" „Worauf soll ich warten, Herr Major? Ich werde mich nicht ändern. Ich habe viel gelitten. Es waren keine leichtsinnigen Tage, die in Paris. Es hat mich so von Grund auS aufgewühlt. . Er brach stöhnend ab. „Das glaube ich Ihnen alle», lieber Freund. Aber gerade weil Sie ein ernster, tiichtiger Mensch sind, um den eS schade wäre, wenn er einer Leidenschaft geopfert würde, sage ich: Warten Sie wenigsten» so lange damit, die Brücke hinter sich abzubrcchen, bis Sie wieder festen Grund unter sich fühlen. Ich meine: bis Ihr Herz wieder ruhig, Ihr Kopf wieder klar geworben ist. Jetzt schwimmen Sie gegen den Strom, nicht wahr, kreuz und quer werben Sie hin und her geworfen. Gewinnen Sic erst wieder Ufcrland, junger Freund, damit Sie die Strömung übersehen und sich sagen können: dahin steuern wir." Es lag viel Beherzigenswerte» in feinen Worten. Donat sah das wohl ein. ,Hch glaube nur nicht, Herr Major", sagte er un sicher, „daß ich jetzt noch die Energie hätte, eine längere Frist abzuwarten." * Dcstcrnhagen lächelte. ,^v, das würde ich Ihnen schon erleichtern. Wenn Sie mich in dieser Stunde bitten, daß ich Ihr Abschiedsgesuch alS nicht eingetrosfen behandle, dann sollen Sie heute abend einen Dienst zettel für morgen vorftnden, der Ihnen jede Möglichkeit, auf dumme Gedanken »u kommen, abschneibet." Donat »ar so unschlüssig und schwankend geworden, -ah -er ältere Offizier schließlich keine schwere Arbeit mehr mit ihm hatte. Aber noch in letzter Sekunde zögerte er. Das verführerische Bild Marions tauchte vor seinen Sinnen auf, das Blut stieg ihm warm vom Herzen her auf. Sogleich jedoch regte sich -er trotzige Grimm wieder in ihm, wie am letzten Abend in Paris. „Herr Major", sagte er, sich erhebend, indem er wieder -en dienstlichen Ton anschlng, „ich ziehe mein Abschieds gesuch zurück." Nun legte auch der ältere Offizier die Cigarre weg. „Das freut mich aufrichtig, Herr Leutnant Donat, und ich bitte Sie, auch künftighin Vertrauen zu mir zu haben und sich stets gegenwärtig zu halten, daß Ihr Kvm- mandeur nicht nur Ihr Vorgesetzter ist, sondern auch Ihr treuester Kamerad. Nicht wahr, das ist etwas, das wir Prusfien» vor den windigen Franzosen da drüben denn -och voraus haben? Na, also abgemacht. — Und nun »rr Dache. Sic führen also bis auf weiteres die dritte Kompagnie. Das wird Ihnen eine tüchtige Menge zu tun geben. Zwei verflixt schwere Tage stehen Ihnen da bevor: erstens die Kompagnievorstellung — nnd im März die ökonomisch« Musterung. 'Da sind Sie vorläufig gut unter- gebracht, denke ick." „Zu Befehl, Herr Maior!" Westernhagen gab ihm die Hand. Damit schien die Audienz beendet zu sein. Als Donat zur Tür gelangte, rief der Major ihn noch einmal an. „Ja, richtig, Herr Leutnant Donat. und Ihr Urlaub war doch schon am letzten Januar abgelaufen; Sie sind zwei Tage zu spät eingetrosfen. Waren Sie krank? Ich erwarte darüber bis morgen zur Parole Meldung!" E» märe dem jungen Offizier nun ein Leichtes gewesen, sich mit einer Notlüge aus -er Klemme zu ziehen. Dazu war er aber zu ehrlich. „Ich war nicht krank, Herr Major", gestand er mit einiaer Ueberwindung. „Nicht krank? So! Hm!" Westernhagen strich sich über den Schnurrbart. „Unglaublich. Also geradezu ver bummelt? Dafür diktiere ich Ihnen acht Tage Stuben arrest, Herr Leutnant Donat, verstanden?" „Zu Befehl, Herr Major!" Am Abend war LiebeSmahl im Kasino für einen älteren Hauptmann, -er wegversetzt wurde. Die Kameraden hätten Donat» Entschluß, tm Bataillon zu bleiben, gern mttgcfeiert, aber Donat nahm an der Festlichkeit nicht teil. E» verband zwar niemand eine festere Freundschaft mit ihm — aber gut «ar«» ft« ihm all«. Donat fühlte hernach, als die trübselige Woche, wäh rend deren er das Haus nur zum Dienste verlassen durfte, vorbei war, wohl heraus, daß hier unter den Kameraden doch seine einzige Heimat war. Aber irgend welche Auskunft über die Gründe, die ihn zur Einreichung und dann zur Zurückziehung seines Ab schiedsgesuches bewogen l-atten, gab er keinem. Da man zu taktvoll war, um ernstlich in ihn zu -ringen, so blieb dieser Punkt dauernd ein Geheimnis. Schon nach vier zehn Tagen sprach übrigens niemand mehr davon. Donat hatte während der ersten Monate nach seinem Urlaub kaum eine freie Stunde. War er nicht im Kom- pagniedicnste auf dem Exerzierhofe, dem Pionicrübungs« platze, auf den Schießständen oder in der Kaserne be schäftigt, so war für ibn siä>er ein Ertrakommando an gesetzt: der Unterricht der zur Ucbung eingezogenen Aspi ranten, eine Borinstruktion der Konvpagnieschule und wa- es sonst noch gab. Indessen hatte die harte dienstliche Epoche Donat nur wohl getan. Heute beurteilte er seine Pariser Zeit — und besonders Marion — schon viel, viel ruhiger. Eine Korrespondenz mit Marion hatte er nicht be gonnen. An Capttant selbst hatte er ein paar Tage nach seiner Ankunft in der Garnison ein kurze» Ent schuldigungsschreiben gerichtet. Er dankte ihm darin Höf- lich für die Gelegenheit, die man ihm geboten hatte, auf dem Automobiliverk mit tätig zu sein — und bedauerte gleichzeitig, daß die Nichlgewährung eines Nachurlaubs ihn gezwungen batte, so ohne letzten Abschied von ihm und seinen Damen zu scheiden. Sapttant antwortete ihm zunächst nicht. Erst zwei Wochen später kam die telegraphische Anfrage von ihm, ob er zur Wettfahrt Pari»—Bordeaux auf seine Anwesen heit rechnen dürfe. Donat» Antwort lautete natürlich verneinend. Umgehend traf dann ein Schreiben von Tapttant ein, da» allerlei geschäftliche Mitteilungen ent-tett. «apitant berichtete ihm auch über verschiedene Bestellungen, -i< die Probefahrt der „Marion" ihm etngebracht, die er aber wegen einer technischen Störung in der Fabrik noch nicht habe ausführen können. Lr schloß mit -er wiederholten Bitte: Donat möchte sich doch unter allen Umständen frei machen, um sich die Wettfahrt mit anzusehen, di« für Ihn selbst -och ein starke» Interesse haben müsse. Monsieur Lavalette, der ein vorzüglicher «Hauff,ur lei, hab« sich mit -er neuen Maschine ausgezeichnet elugeß»-««, o«- ftz>
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